EDITORIAL
Einatmen, ausatmen
Foto: Julia Nimke
D
as Wort Ruhe hat etwas Lautmalerisches. Sein gedehnter dunkler Vokal und der gehauchte Ausklang versetzen (mit ein bisschen Fantasie) einen sanften Schubs in die innere Einkehr. Um den Begriff ins Englische zu übersetzen, muss man sich zwischen sage und schreibe vier Sinnentsprechungen entscheiden: Stille (silence), Ungestörtheit (peace), Erholung (rest) und Gelassenheit (calmness). Verschmelzen diese Zustände für einen Moment, ist das für viele eine paradiesische Rarität. „RUHE!“ gibt es aber auch in Versalien. Dann, wenn wir genervt sind, übernächtigt im lärmerfüllten Großraumbüro sitzen und auf allen Kanälen belagert werden. An den Sommerurlaub erinnert nur noch der verbrannte Nacken, und die Mittagspause ist – mal wieder – verplant mit strategischem Never-eat-alone-Business-Schnickschnack oder aber Fertig futterkonsum vorm PC. „Entspann dich!“ ist besonders an solchen Tagen ein Imperativ des Grauens, zu übertreffen nur noch von „Lach doch mal!“. Ob wir tendenziell in uns ruhen oder leicht aus der Haut fahren, ist aber auch eine Frage der Persönlichkeit. Bei allem Charme der Lauten und Wilden: In einer Welt (oder einem Unternehmen) voller Extraversion und Impulsverliebtheit würden wir wohl au gu st / septem ber 2019
kaum glücklich. Ruhepole sind unverzichtbar. In der Physik bezeichnet Ruhe den Spezialfall der Bewegung mit der Geschwindigkeit null. Die unangestrengte Eleganz der Gleichförmigkeit macht es uns erst möglich, Arbeitszeit ohne Herzrasen zu überstehen. Gelassenheit, die die Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach einmal als „anmutige Form des Selbstbewusstseins“ beschrieb, ist das höchste Ziel für unruhige Geister. Aber wie dorthin kommen? In jeder Bahnhofsbuchhandlung ist die Auslage bestimmt von Ratgebern mit Pastellcovern, die mit Rezepturen für ein ausgeglicheneres Sein und Arbeiten aufwarten. Wer tatsächlich schon einmal Phasen der inneren Unruhe durchlebt hat, oft als Überlastungsresultat, weiß, dass es mit Meditation am Morgen und Hopfentee am Abend meist nicht getan ist – wenn auch Dauerstress plus Valium eine zugegebenermaßen wesentlich unheiligere Allianz bilden. Ein Universalmittel gibt es nicht. Aber wichtige kleine Schritte. Und: Ruhe ist ansteckend. Wie wir uns nachhaltiger regenerieren, lesen Sie in unserer Titelstrecke. Dort erfahren Sie auch, wie Sie mit Menschen umgehen, die a) in Krisensituationen ausflippen oder b), verführt durch Messenger und Social Media, es völlig verlernt haben, abzuschalten. Wenn Sie Achtsamkeit mit Walgesang-untermalten Gesprä-
chen im Sitzkreis assoziieren, vermag Sie das Interview mit Hotelier Bodo Janssen und dem Happiness-Trainer Robert Jabin vielleicht eines Besseren belehren. Selbst der extrovertierteste Action Junkie freut sich über eine entspannte Arbeitskultur. An ständigem Hochdrehen, dem Prahlen mit geringem Schlafbedürfnis und bis an Selbstaufgabe grenzender Leistungsbereitschaft erkennen Sie einen Oldschool-Manager. Heute erregt eher Mitleid, wer drei Privatnummern ins Intranet stellt und einen freien Abend ironisch als Sabbatical tituliert. Wer ein Berufsleben lang rastlos auf die Rente schielt, wird sich, ist der Tag endlich gekommen, kaum in einen Ruhestand im Wortsinne versetzt fühlen. Ressourcen sind erschöpflich. Andere zu ermuntern, sorgsam mit ihnen umzugehen, ist eine manchmal wenig dankbare, aber stets lohnenswerte Aufgabe. Ich wünsche Ihnen eine entspannte Lektüre!
Anne Hünninghaus, Chefredakteurin i. V. Human Resources Manager
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04/19 5
SCHWERPUNKT: RUHE
Editorial
8 Desktop Maria Caridia, Head of Human Resources bei 365 Farmnet, sorgt für Spaß am Arbeitsplatz 10 Debatte aktuell Was taugt das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz? 14
Mehr Geld für Techies! Starre Gehaltsstrukturen schränken Unternehmen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit ein
16 Chancengleichheit ist ein Märchen Um innovativ zu sein, müssen Eliten ihr Handeln gegenüber Minderheiten ändern 18 HR ist kein Ort für Bewahrer Damit Unternehmen beweglicher werden, muss HR Tempo machen
22 Zeit zum Schäfchenzählen Motiviert dank Powernap und Ruheraum? So fördern Sie die Regeneration Ihrer Mitarbeiter 26 Klappe halten Wenn wir, statt permanent zu reden, mehr auf Beobachtung und aktives Zuhören setzen, geschehen kleine Wunder 30 Zeit für Ruhe Ein Gespräch mit Drogerist Dirk Roßmann über Verantwortung, Termindruck und Gelassenheit 34 Hört auf zu nerven! In Zeiten ständiger Erreichbarkeit müssen wir das (digitale) Abschalten neu lernen. So geht’s 38 Ruhig Blut! Was tun, wenn Kollegen in Krisenzeiten die Nerven verlieren? 42 Revolution der leisen Töne Hotelier Bodo Janssen und Happiness-Trainer Robert Jabin über Achtsamkeit in der Führung. Ein Doppelinterview 46 Stille Wasser Muss man introvertierte Mitarbeiter anders führen als extrovertierte? 50 Entspannt in den Ruhestand Wie bereitet man sich auf das Leben nach der Arbeit vor? Modelle für den Ruhestand
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IM FOKUS: Social Media als HR-Tool
Unternehmer Dirk Roßmann hat mit seiner Drogeriekette Höhenflüge wie Krisenzeiten durchlebt. Heute kann ihn so schnell nichts aus der Ruhe bringen.
54 Follower begeistern, aber wo? Ein Wegweiser, welche Social Media-Kanäle sich für welche HR-Zwecke eignen 58 Komm ... zu ... uns! Es geht auch ohne Peinlichkeiten. Tipps, sich als Arbeitgeber auf Youtube zu präsentieren
ANALYSE 62 66
HRler in die Aufsichtsräte! Warum die Gremien von Personalern in den eigenen Reihen profitieren würden Lernen, neu zu lernen Permanente Entwicklung ist wichtiger denn je. Es ist an der Zeit für neue Lernkonzepte
70 D ie ideale Karriereseite Ein Ranking der besten DaxKarriere-Websites zeigt, wie wichtig gutes Storytelling ist www. hu ma n re so u rce s ma n age r. d e
Foto: Rossmann, Illustration: Danny Schuster (2)
MEINUNG
INHALT
VER B AN D 94 Editorial 95 Die Nacht der Personaler 2019 96 Personalmanagement kongress 2019
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Einfach nur S t i l l e. Wäre das nicht manchmal schön? Wir gönnen uns und Ihnen eine spätsommerliche Ruheoase und widmen uns in der Titelstrecke Pausen und Regeneration, Schweigen und Zuhören.
PR A X I S
LETZ TE SEITE
74 Jammern hilft ... nur kurzfristig Miese Stimmung im Büro ist ansteckend. Wie sich Unzufriedenheit bekämpfen lässt
87 Meine digitale Welt Rudi Bauer, Geschäftsführer von Stepstone Österreich, nutzt auch privat smarte Technologien
76 K arrieremodell einführen o können junge UnternehS men ihre Hierarchie- und Kompetenzebenen strukturieren
88 Rezension Ein Ratgeber, wie man dem Wahnsinn des Büroalltags gelassen entgegentritt
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Führungskompetenz Loslassen Tipps, wie Führungskräfte Mitarbeiter durch die digitale Transformation begleiten
RE CHT 90 Aktuelle Urteile
Foto: Alex Klebe
82 Ein guter Abschied ist viel wert Wollen sich Mitarbeiter und Firma im Guten trennen, helfen wohlgeplante Austrittsgespräche 86 Sieben Gedanken Die Online-Plattform Housing Anywhere hat gesetzliche Feiertage in bewegliche transformiert
au gu st / septem ber 2019
98 Brian Solis: Employee Experience – HR muss denken und handeln wie ein Start-up! 100 Interview BPM-Präsidentin Inga Dransfeld-Haase
92 Essay Das Betriebsverfassungsgesetz braucht dringend ein Update 93 Impressum
102 Fragebogen Constanze Buchheim, Unternehmerin und Digitalexpertin, genießt die Ruhe am Morgen
DEBATTE
AKTUELL
Ein Interview von Anne Hünninghaus
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll es qualifizierten Arbeitnehmern von außerhalb der EU erleichtern, nach Deutschland zu kommen. Aber wie wirkungsvoll ist dieses Instrument tatsächlich, um personellen Engpässen in Unternehmen entgegenzuwirken? Darüber haben wir mit dem Arbeitsmarktexperten Holger Bonin gesprochen. 10
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err Professor Bonin, das ab März 2020 geltende Gesetz soll helfen, unser Demografie problem auf dem Arbeitsmarkt zu lösen. Während sich die Regierungsparteien dafür feiern, sind Experten skeptisch. Machen wir einen großen Schritt voran? Nein. Was vielen nicht bewusst ist: Im internationalen Vergleich waren die deutschen Regelungen für die Fachkräftezuwanderung zuletzt schon ziemlich liberal. Mit dem neuen Gesetz werden die bestehenden Regelungen punktuell noch etwas weiter gelockert. Das ist durchaus sinnvoll. Demografisch bedingte Engpässe kann man allerdings nur schwer durch Migration ausgleichen, dazu ist die Alterungsdynamik einfach zu stark. Damit die
Erwerbsbevölkerung nicht kleiner wird, müssten auf mittlere Sicht jedes Jahr per Saldo rund 300.000 Menschen kommen, um dauerhaft in Deutschland zu arbeiten. Laut Bundesregierung lassen sich dank des Gesetzes künftig 25.000 Fachkräfte pro Jahr aus dem nicht europäischen Ausland rekrutieren. Das ist nicht viel, da erfahrungsgemäß viele von ihnen nicht einwandern möchten, sondern Deutschland nach einiger Zeit wieder verlassen werden. Dass es sich um einen kleinen Schritt handelt, zeigt sich auch, wenn man die Zuwanderung aus dem europäischen Ausland dagegen hält. Deutschland hat von der Umsetzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU seit 2011 enorm profitiert. 2016 etwa kamen www. hu ma n re so u rce s ma n age r. d e
Foto: getty images
MEINUNG
MEINUNG
aus Ländern der EU 850.000 Menschen nach Deutschland, in andere EU-Länder gingen im selben Jahr nur 630.000 Menschen. Diese Nettozuwanderung von Arbeitskräften ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass wir momentan Rekorde bei den Beschäftigtenzahlen erreichen. Sie reicht allerdings nicht aus, der Fachkräftebedarf ist ja nicht wegzureden. Arbeitskräfteengpässe bleiben ein strukturelles Problem. Wir haben sie aber teils in Bereichen, die für Zuwanderer schwer zu erreichen sind. Zum Beispiel? Seit langem als Mangelberuf gelistet sind Pflegefachkräfte. Um in diesem Feld tätig zu sein, müssen Sie sehr gutes Deutsch mitbringen. Hinzu kommt: Deutschland geht mit der schulischen Pflegeausbildung einen speziellen Weg. In vielen anderen Ländern ist sie akademisch organisiert. Daher sind ausländische Pflegefachkräfte hierzulande oft überqualifiziert. Sie dürfen schlichtweg vieles nicht tun, was sie aus ihrer Heimat gewohnt sind, zum Beispiel Spritzen setzen. Im Zweifel werden Pfleger also lieber nach Schweden gehen, wo sie mehr Verantwortung haben und die Arbeitsbedingungen günstiger sind. Generell gilt: Jobs, die für deutsche Arbeitskräfte nicht attraktiv sind, werden es für gut ausgebildete und mobile Fachkräfte aus dem Ausland auch nicht unbedingt sein. Worin besteht dann die maßgebliche Verbesserung durch das neue Gesetz? Ein zentraler Punkt ist, dass die bislang zersplitterte Sammlung von Verordnungen und Regelungen nun zusammengezogen wird, was für etwas mehr Transparenz sorgt. Allerdings sind Zuwanderungsgesetze nie simpel – auch in anderen Ländern nicht. Es gibt nun einmal verschiedenste Kategorien. So braucht man eigene Regeln für Unterau gu st / septem ber 2019
nehmer und Investoren, für Wissenschaftler, für Familienangehörige, für Asylsuchende. Anders geht es nicht. Im Umgang mit Fachkräftemigration wird immer wieder Kanada als Vorbild genannt. Zurecht? Kanada hat lange Zeit Merkmale der Zuwanderer, die für die Integration in den Arbeitsmarkt förderlich sind, mit Punkten versehen. Wer eine bestimmte Summe erreichte, durfte einwandern. Ein Punktesystem bringt aber nicht unbedingt die gewünschten Resultate. Kanada musste es sogar lange Zeit praktisch aussetzen – die Behörden sind in einer Masse von Anträgen untergegangen. Vor allem aber gab es viele Zuwanderer, die trotz guter Voraussetzungen schlecht im Arbeitsmarkt Fuß fassen konnten, weil passende Stellen fehlten. Das Ergebnis war, dass zum Beispiel junge, qualifizierte Ingenieure nach Kanada kamen, dort aber teils als Taxifahrer arbeiteten.
Wie wurde das Problem gelöst? Kanada hat das System radikal umgestellt. Inzwischen ist die Zuwanderungserlaubnis daran gekoppelt, dass man vorab einen angemessenen Arbeitsplatz nachweist. Damit hat man sich de facto dem genähert, was in Deutschland seit langem praktiziert wird, etwa mit der seit 2012 vergebenen Blue Card EU. Deutschland hat also bei der Fachkräftezuwanderung keinen Nachteil gegenüber Kanada? Nicht so sehr wegen den Zuwanderungsregeln. Deutschland ist aber im globalen Wettbewerb um mobile Fachkräfte erheblich schlechter aufgestellt, weil hier keine Weltsprache gesprochen wird. Arbeitgeber in klassischen Einwanderungsländern wie den USA oder Australien haben natürlich viel bessere Chancen, jemanden zu finden, der die Landessprache gleich sehr gut beherrscht.
Das sind die wichtigsten Neuerungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes: Ein einheitlicher Fachkräftebegriff, der Hochschulabsolventen und Beschäftigte mit qualifizierter Berufsausbildung umfasst, der Verzicht auf eine Vorrangprüfung bei anerkannter Qualifikation und Arbeitsvertrag, der Wegfall der Begrenzung auf Mangelberufe bei qualifizierter Berufsausbildung, die Möglichkeit für Fachkräfte mit qualifizierter Berufsausbildung entsprechend der bestehenden Regelung für Hochschulabsolventen, für eine befristete Zeit zur Arbeitsplatzsuche nach Deutschland zu kommen (Voraussetzung: deutsche Sprachkenntnisse und Lebensunterhaltssicherung), bei Vorliegen eines geprüften ausländischen Abschlusses verbesserte Möglichkeiten zum Aufenthalt für Qualifizierungsmaßnahmen im Inland mit dem Ziel der Anerkennung von beruflichen Qualifikationen. Quelle: Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat
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MEINUNG
HR ist kein Ort fĂźr Bewahrer 18
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MEINUNG
Ein Gastbeitrag von Anne M. Schüller Rasante technologische, ökonomische und gesellschaftliche Veränderungen zwingen Unternehmen zum raschen Handeln. Bremsende Strukturen kann sich kein Anbieter länger leisten. HR muss in seinem Aufgabenbereich konsequent ausmisten.
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n einer Umgebung von gestern kann man nicht auf Gedanken für morgen kommen. Selbst da, wo sich Pilotteams neuartig ausrichten und selbstorganisiert arbeiten dürfen, verpufft deren Transformations energie, sobald sie auf althergebrachte Strukturen treffen. Der Hauptgrund, weshalb sich tradierte Unternehmen mit dem Sprung in die Zukunft so schwer tun, ist nämlich der, dass sie ihr organisationales Grundgerüst nicht wirklich verändern wollen. Es reicht nicht, nur ein paar Spielwiesen freizugeben, um etwas agiler zu werden. Die neuen Methoden sind alle da. Doch bei unzeitgemäßen „Betriebssystemen“ bringen sie wenig. Gegen die quirligen Netzwerkorganismen der Jungunternehmen haben klassische Top-down-Forma tionen keine Chance. Im Kern ist das Wettrennen zwischen herkömmlichen Unternehmen und den neuen Top-Playern au gu st / septem ber 2019
der Wirtschaft keines um das bessere Produkt, sondern eines um das bessere Organisationsmodell. Passende organisationale Strukturen machen bahnbrechende Geschäftsideen überhaupt erst möglich.
Die Basis für ein organisationales Redesign Patentrezepte für den organisationalen Wandlungsprozess gibt es nicht. Business-Situationen sind verschieden, also müssen es auch die Methoden sein. Jede Firma muss ihren eigenen Weg finden, experimentieren und ausprobieren. Was bei dem einen funktioniert, wird anderswo scheitern. Kann der organisationale Erneuerungsschalter in einem Ruck umgelegt werden? In Einzelfällen ist das möglich. Doch normalerweise – das sagen alle, die Transformationsprozesse hinter sich haben – sollte das Pendel nicht gleich komplett in Richtung Hierarchiefreiheit und Selbstorganisation schwingen. Wer alle Wände gleichzeitig einreißt, dem fällt das Dach auf den Kopf. Eine entscheidende Frage ist: Was ist die minimal notwendige Machthierarchie, die minimal notwendige Ordnungsstruktur und die maximal mögliche Form der Selbstorganisation? Der wichtigste Schritt ist die grundsätzliche Entscheidung, den Umbau als solchen loszutreten. Denn ohne einen ausdrücklich bekundeten Willen, der von der Führungsspitze ausgehen muss, wird jede organisationale Metamorphose zum Rohrkrepierer. Vor allem müssen Sie typische Silostrukturen aufbrechen, denn sie stehen jeder Vernetzung im Weg. Führung ist dabei weiterhin vorhanden. Wer versucht, Hierarchien mit Gewalt einzuebnen, sorgt für ein Vakuum, in dem sogleich wieder Machthierarchien entstehen. Denn Gemeinschaften brauchen ein Ordnungssystem – und genügend Struktur, um Qualität sicherzustellen.
Vom bewahrenden Verwalter zum Vorreiter und Strategen Wenn HR seine strategische Bedeutung im Unternehmen untermauern und ausbauen will, sollte es beim organisationalen Redesign Vorreiter sein, bereit sein, sich selbst zu verändern und sich systematisch von Veraltetem trennen. Dies bedeutet, und das wäre ein beeindruckender Schritt, sich aus der Silodenke zu lösen und strukturell neu aufzustellen. Weshalb das notwendig ist? Es war ein Fehler der klassischen Organisationsentwicklung, die gestaltende und die verwaltende Personalarbeit zusammenzupferchen. Dabei herausgekommen ist vor allem Bürokratie. Sie macht Personaler zu Administratoren – und eben nicht zu Strategen. Ich empfehle, Gestaltung und Verwaltung konsequent zu 19
TITEL
RUHE
Zeit zum Schäfchenzählen
E-Mails, Meetings, Geschäftsessen: Im Arbeitsalltag bleibt manchmal kaum Zeit zum Durchatmen. Dabei brauchen Körper und Geist dringend Erholungsphasen, um dauerhaft leistungsfähig zu sein. Was Unkrautjäten mit Regeneration zu tun hat und warum Unternehmen ihren Mitarbeitern erlauben sollten, tagsüber zu schlafen 22
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Foto: Getty Images MojoD
Ein Beitrag von Annika Janßen
in kühles Bad in der Eistonne, ein Besuch beim Physiotherapeuten – und tageweise einfach nichts tun, dem Körper eine Auszeit gönnen: Im Sport spielt Regeneration schon lange eine große Rolle. Wer viel trainiert, muss sich zwischendurch erholen, so das einfache Prinzip. Sonst bleibt der Trainingserfolg aus, weil der Körper keine Zeit hat, seine Energiespeicher zu befüllen und Muskelmasse aufzubauen. Im Büro erbringen Mitarbeiter keine sportlichen Höchstleistungen. Dafür läuft ihr Gehirn stundenlang auf Hochtouren. Selbst die Mittagspause wandelt manch einer in einen Business-Termin um. 55 Prozent der Arbeitnehmer nehmen ihr Mittagessen am Schreibtisch ein, ergab eine Umfrage des Karriereportals Jobware im Jahr 2017. Zusätzlich sorgen Faktoren wie eine hohe Arbeitsbelastung, stundenlanges Im-Stau-Stehen im Berufsverkehr und der ganz normale Lärm in Städten bei vielen Arbeitnehmern für Stress und Überforderung.
TITEL
Hölzel überzeugt. Die Neuropsychologin ist Gründerin des Instituts für Achtsamkeit und Meditation I AM in München. „Erste Studien weisen darauf hin, dass Achtsamkeitstraining und Meditation die Kreativität und Aufmerksamkeit von Menschen positiv beeinflussen und die Konzentrationsfähigkeit stärken können.“ Wer regelmäßig meditiere oder Achtsamkeit trainiere, sei weniger gestresst und nehme das eigene Befinden insgesamt besser wahr: „So fällt es auch leichter, Alarmsignale zu erkennen, wenn Körper und Geist überfordert sind“, erklärt Hölzel. Achtsamkeit ist dem Buddhismus entlehnt und eine besondere Art der Aufmerksamkeit: Ziel ist es, den gegenwärtigen Moment wach und präsent wahrzunehmen. Unternehmen wie Bosch, BMW und Osram bieten ihren Mitarbeitern bereits Achtsamkeitskurse oder Seminare zur Schulung der Stressresistenz an, kleinere Unternehmen haben das Thema oft noch nicht auf dem Zettel. „Mitarbeiter können aber auf eigene Faust Achtsamkeit trainieren oder meditieren – je nach Gusto in Gruppenkursen oder auch mit SmartphoneApps“, sagt Hölzel.
Permanent überfordert
Kaum Angebote zur Stressbewältigung Für die Regeneration nach Feierabend hat jeder seine eigene Strategie. Aber auch auf der Arbeit sind kurze Auszeiten wichtig. Denn um dauerhaft kreativ und konzentriert zu sein, braucht das Gehirn Pausen. Hier spielt zum einen die Eigenverantwortung der Mitarbeiter eine große Rolle. Zum anderen können Unternehmen ihre Mitarbeiter mit verschiedenen Maßnahmen unterstützen, stressigen Momenten im Job mit Ruhe zu begegnen. Bedarf gibt es reichlich: Vier von fünf Arbeitnehmern fühlen sich von ihrer Arbeit gestresst, zeigt eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Yougov, das im März 2019 mehr als 1.000 Beschäftigte im Auftrag des Karrierenetzwerks Linkedin befragt hat. Nur 21 Prozent der Befragten gaben an, dass ihr Arbeitgeber ihnen Angebote zur Stressbewältigung macht. Bewusste Auszeiten können viel bewirken – nicht nur temporär, sondern mit langfristigem Effekt. Davon ist Britta au gu st / septem ber 2019
Hölzel hat sich ausgiebig mit dem Einfluss von Stress auf das Gehirn beschäftigt. „Viele Arbeitnehmer sind heute in einem Zustand permanenter Überforderung“, weiß sie. Das habe deutliche Auswirkungen auf Körper und Geist: „Menschen reagieren auf Stress wie auf eine akute Bedrohung: Die Muskeln spannen sich an, der Herzschlag beschleunigt sich, der Körper schüttet vermehrt das Stresshormon Kortisol aus. Außerdem werden evolutionär ältere Hirnregionen wie die Amygdala aktiviert, die helfen, auf akute Bedrohungen zu reagieren, und den Fluchtinstinkt aktivieren.“ Andere Hirnregionen würden in Stressphasen dagegen herunterreguliert – unter anderem der präfrontale Kortex, der für das Bewältigen komplexer Situationen wichtig ist. Kreative Ideen bleiben aus, und auch Empathie und Mitgefühl leiden, wenn der Körper in den sogenannten Kampf-oder-Flucht-Modus schaltet. Vermutlich jeder hat schon einmal eine böse E-Mail geschickt, die er im Nachhinein lieber nicht gesendet hätte. „Das liegt daran, dass die Emotionsregulation in Stressphasen eingeschränkt funktioniert“, sagt Hölzel. Eine gewisse Grundruhe im Leben ist essenziell, findet Reinhild Fürstenberg. Sie ist Geschäftsführerin des Fürstenberg Instituts, das Unternehmen und Arbeitnehmer in puncto Gesundheit und Leistungsfähigkeit berät. „Man muss wissen, wie sich Ruhe anfühlt, um richtig abschalten zu können“, sagt sie. Wer sein Auto volltanke, müsse schließlich auch an der Tankstelle anhalten. Das bedeute jedoch nicht, dass Regeneration nur mit Nichtstun zu 23
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RUHE
Einfach mal die Klappe halten
Kommunizieren ist nicht gleich reden. Im Gegenteil: Wer in Konferenzen und Mitarbeitergesprächen permanent sendet, verpasst das Wesentliche. Warum aktives Zuhören sich lohnt und wir unserem Gegenüber viel mehr vom Gesicht ablesen können, als wir denken – wenn wir ein Fünkchen Geduld aufbringen
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ituationen, in denen das Sendungsbewusstsein dominiert, kennen wir alle. Aber wie lässt sich unsere Kommunikation entschleunigen, unser Umgang miteinander beruhigen? 45 Prozent unserer wach erlebten Zeit verbringen wir mit Zuhören, die Rolle des Empfängers ist demnach die gängigste für uns. Dennoch verfügen die wenigsten über eine gut ausgebildete Technik, um ihr gerecht zu werden. „Im Fokus der meisten Kommunikationstrainings steht es, Steuerungsimpulse im Gespräch zu setzen, beispielsweise durch Fragen. Das steigert die Ichbezogenheit“, sagt der Wirtschafts- und Sozialpsychologe Rolf H. Bay. Der systemische Berater lehrt Führungskräfte die Fähigkeit des Zuhörens. Sein Ratgeber „Erfolgreiche Gespräche durch aktives Zuhören“ ist im vergangenen Jahr in der neunten Auflage erschienen, nach wie vor gibt es offenbar großen Nachholbedarf. Verbreitet ist in Bays Beobachtung das abtastende Zuhören nach dem Prinzip „Was von dem, was der andere sagt, ist für mich besonders relevant, wo kann ich einhaken?“ Aber: „Das ist keine partnerorientierte Kommunikation, sondern ein reines Filtern dessen, was zu den eigenen Motiven oder ins eigene Weltbild passt.“ Der Rest des Gesagten wird als uninteressant ausgesondert. * www. hu ma n re so u rce s ma n age r. d e
Illustration: Danny Schuster
Ein Beitrag von Anne Hünninghaus
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Wir wollen uns selbst profilieren und tendieren dazu, In- schiene, ohne in die Integration zu gehen“, kritisiert Bay. formationen gezielt zu Themen aufzunehmen, zu denen „Echte Kommunikation ist aber eine Mischung aus beidem: wir schon eine Grundlage geschaffen haben, die wir gleich Mit gezielten Fragen treibe ich das Gespräch voran, mit akverknüpfen können. So bleiben wir in der analogen Filter- tivem Zuhören lote ich den Hintergrund einer Aussage aus.“ blase, erliegen der Versuchung, kognitive Dissonanzen zu vermeiden. Davon sollten wir uns lösen und erkennen, dass Dauersender sind Blender Zuhören so viel mehr ist, als Schallwellen zu empfangen – es geht ums Verstehen. Bay erklärt die Technik anhand eines * Sie sitzen in einem Meeting. Der Alltagsbeispiels: „Jemand hat sich ein Kollege hängt noch in der Nebensatz- Bild gekauft und präsentiert es einem Analoge Filterblasen verschachtelung, aber sie haben seine Bekannten. Der Ichbezogene wird nun „Der Fokus liegt oft mehr auf dem Nettonachricht doch eigentlich längst fragen: ‚Wo hast du das her? Wie viel Mitteilen und weniger darauf, innezu- begriffen. Dieses eine Schlagwort hat hat es gekostet?‘ Er wendet eine Domihalten, aufzunehmen und zu verarbei- sich Ihnen eingebrannt, und wenn Sie nanztechnik an, treibt das Gespräch ten“, bestätigt die auf Mimikresonanz gleich dran sind, dann wissen Sie nur dahingehend voran, welche Inforspezialisierte Kommunikationstrai- schon ganz genau, wie Sie sein Ar- mationen er für sich konkret verwerten nerin Michaela Vogel. Wenn wir das gument entkräften und Ihren eigenen kann. Von der Euphorie des anderen Gesagte wahrnähmen, dann häufig mit Vorschlag inszenieren können. Wann hat er indes nichts mitbekommen.“ dem Vorbehalt, uns daraus etwas für schweigt er endlich?! Und ein aktiver Zuhörer? „Der würde die eigene Argumentation zurechtzudie Gesamtheit erfassen, starten mit: legen. Unsere Aufmerksamkeitsspanne wird immer kürzer, ‚Du klingst begeistert – hört sich an, als hättest du dir einen auch das ist Studien zufolge auf unseren Medienkonsum Wunsch erfüllt!‘ Das wäre integrativ – ich nehme die Aussage zurückzuführen. „Es ist eine Abwehrhaltung: Je mehr In- des anderen und bearbeite sie. Ich paraphrasiere, nehme formationen auf uns einprasseln, desto stärker wird unser die Stimmung auf – das hat einen öffnenden Effekt, weil der Selektionsreflex.“ Wir haben uns an die Schlagwortkom- andere sich ernst genommen fühlt.“ munikation gewöhnt, die wir beispielsweise über MessenDas ist zunächst aber keine Frage der Technik, sondern gerdienste wie Whatsapp betreiben. eine der Haltung und der Empathie: Interessiert mich mein Hinzu kommt, dass die Geräte auch in Konferenzen auf Gesprächspartner? Dem Urvater des aktiven Zuhörens zudem Tisch liegen und uns ablenken. In einem Vortrag sitzen folge, dem amerikanischen Psychologen Carl Rogers, ist und dabei auf dem Handy tippen? Was früher als unhöflich eine der Grundprämissen dafür Akzeptanz und ein positiver gegolten hätte, ist heute unter Angabe von Hashtags zu Ver- Blick auf den anderen. Im Job ist das leider nicht immer anstaltungen meist sogar erwünscht.** gegeben. Was also tun, wenn mir mein Schadet das unserer Zuhörkultur? ** Stellen Sie sich eine Konferenz Gegenüber herzlich egal oder sogar „Ja, absolut“, sagt Bay. Allein durch die vor. Menschen lauschen gebannt dem unsympathisch ist, ich aber mit ihm Präsenz des Smartphones kommuni- Gast auf dem Podium. Na ja, also Men- arbeiten und ihm daher auch zuhören zierten wir eher in kleinen Häppchen schen lassen sich berieseln, blicken muss? „Das geht, indem ich zwischen und investierten weniger in die emo- unaufhörlich auf ihr Smartphone und Person und Verhalten trenne“, erklärt tionale Bindung. „Wenn ich ein ehrli- warten. Und warten. Bis sie ihn auf- Bay. „Rogers zufolge sollten wir darches Interesse habe, den Sprecher zu schnappen: den perfekten – minimal auf achten, ob das Verhalten des andeverstehen, seine Gedanken nachvoll- justiert – twitterfähigen Satz. Eilig ren mit meinen Zielen in Einklang zu ziehen zu können, dann lasse ich ihm getippt, Hashtag dazu, fertig. Mal bringen ist. Dafür kann aktives Zuhödie fünf Minuten im Mittelpunkt. Ich schauen, wie das Netzwerk reagiert … ren nützlich sein, beispielsweise dem signalisiere dem anderen, dass das, anderen zu spiegeln: ‚Bei mir ist das was er sagt, wertvoll ist, indem ich ihm meine Aufmerksam- Gesagte gerade so angekommen: ...‘“ keit schenke.“ Der Effekt ist doppelt positiv: Ich bekomme Der Hörer hat immer die Interpretationshoheit – dienicht nur mehr mit, sondern bewege ihn auch dazu, sich se Pille müssen wir als Sender schlucken. Doch auch wer weiter zu öffnen und mir tiefere Einblicke zu gewähren. sich angegriffen fühlt, sollte vermeiden, dass sich Fronten Unser Umgang mit digitalen Medien lässt uns ungedul- verhärten. „Wenn der andere sagt: ‚Ich finde Ihr Vorhaben diger werden. Er hat uns darauf programmiert, sofortige ziemlich ambitioniert‘, würde ich nicht in die Gegenrede Reaktion zu erwarten. „So bekommt Kommunikation einen gehen, sondern stattdessen eine klärende Frage stellen: Pingpong-Charakter, wir bewegen uns auf der Dominanz- ‚Was genau meinen Sie mit ambitioniert?‘ Fühle ich mich au gu st / septem ber 2019
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RUHE
„ Ich habe ein Gefühl der absoluten inneren Ruhe“ Dirk Roßmann zählt mit seiner Drogeriemarktkette zu Deutschlands erfolgreichsten Unternehmern. Was bedeutet Ruhe für jemanden, der sich von ganz unten an die Spitze hochgearbeitet hat, Krisenzeiten erlebte und mit fast 73 Jahren noch nicht so richtig ans Aufhören denken will?
Dirk Roßmann, Jahrgang 1946, war gerade 25 Jahre alt, als er in Hannover den „Markt für Drogeriewaren“ gründete. Er legte damit den Grundstein für sein Imperium. In den Neunzigerjahren durchlebte er Krisen – sein Unternehmen stand kurz vor der Insolvenz, er erlitt einen Herzinfarkt – und überwand sie. Heute gibt es rund 4.000 Rossmann-Filialen und insgesamt 56.000 Mitarbeiter. Herr Roßmann, was kann Sie aus der Ruhe bringen? Neulich hatte ich mit einem bekannten Manager zu tun, der nie einen klaren Satz spricht. Wenn ich ihn etwas frage, hält er immer Vorträge. Er kann nicht mit „ja“ und „nein“ antworten. Ich 30
mag es nicht, wenn Menschen nicht auf den Punkt kommen, sondern immer drum herum reden. Da kann ich auch energisch werden. Sie leiten ein Firmenimperium mit 56.000 Mitarbeitern – unter anderem in Ungarn, Polen, Tschechien und der Türkei. Wie bleiben Sie ruhig bei so viel Verantwortung? Ich erlebe Verantwortung anders. Unsere Filialleiter beispielsweise arbeiten eng mit ihren Mitarbeitern zusammen und tragen vor Ort die Verantwortung – und nicht ich. Natürlich, je höher jemand im Management arbeitet, desto gravierender können die Auswirkungen eines Fehlers sein. Die Verantwortung ist bei uns aber auf viele Schultern verteilt.
Wie sieht das aus? Wir arbeiten sehr stark im Team. Natürlich gibt es auch mal Probleme, aber dann setzen wir uns zusammen und überlegen, wie wir sie lösen können. Große Entscheidungen werden von uns prinzipiell gemeinsam getroffen und nicht vom Einzelnen. Das Team ist letztlich viel schlauer als der Einzelne. Nach dem Motto: Einer für alle, alle für einen? Wir haben tolle Mitarbeiter, ein gutes Führungsteam. Daher fühle ich mich gut aufgehoben. Das ist wie im Fußball: Wenn ich weiß, dass ich nicht der einzig gute Spieler auf dem Platz bin, sondern die ganze Mannschaft aus guten Spielern besteht, fühle ich mich besser. Ihr Unternehmen läuft seit Jahren auf Erfolgskurs. Kann man sagen, dass Sie gerade ruhige Zeiten erleben? Wir haben heute nicht den Druck, den wir früher hatten. Diese Angst, dass die Banken die Kredite kündigen, wenn ein Jahr schlecht läuft. In den Neunzigerjahren hatte ich Verbindlichkeiten bei zwanzig verschiedenen Banken. Da kann man nicht ruhig bleiben. Heute spüre ich eine Leichtigkeit, weil das Unternehmen anders dasteht. Wir sind in einer sehr komfortablen Situation, da wir Eigenkapital und keine Bankschulden haben. Das heißt nicht, dass es heute leicht ist, so eine Firma zu fühwww. hu ma n re so u rce s ma n age r. d e
Foto: Rossmann
Ein Interview von Heike Thienhaus
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ren. Die Probleme, die ich heute habe, sind aber anders als die damaligen. Welche wären das? Wirtschaftlich geht es dem Unternehmen gut. Der Arbeitsstress ist manchmal grenzwertig – ich bin jetzt fast 73 Jahre alt. Aber es macht mir Spaß. Verantwortung heißt ja auch, sich zu engagieren und einzusetzen. Das kann im Einzelfall auch mal stressige Tage und viele Termine mit sich bringen. Was sind das für Termine? An manchen Tagen habe ich vormittags eine Beiratssitzung, dann drehen wir einen Werbefilm, abends bin ich in einer Sitzung oder mit meinem Buch auf Lesung. So ein Tag endet schon mal um ein Uhr nachts. Ich bin dann völlig erschöpft. Dazu führe ich tatsächlich viele Interviews und treffe au gu st / septem ber 2019
mich mit Leuten aus Politik und Gesellschaft. Da ist der Terminkalender voll. Das ist zwar kein Druck, der von Sorgen herrührt, aber trotzdem bin ich manchmal im Grenzbereich und merke: Holla, das war alles etwas viel. Auch wenn finanzielle Ängste natürlich ein ganz anderer Stress sind, zum Beispiel, wenn plötzlich ein Gerichtsvollzieher vor der Tür steht und das private Haus pfänden will. Es ist immer die Frage: Welche Qualität haben die Probleme? In den Neunzigerjahren standen Sie mit Ihrem Unternehmen kurz vor der Insolvenz, Sie hatten sich an der Börse verspekuliert … Und dann habe ich noch einen Herzinfarkt bekommen. In dieser Zeit hat sich das Negative verdichtet. In Ihrer Autobiografie „… dann bin ich
auf einen Baum geklettert!“ schreiben Sie, dass Sie in dieser Zeit unruhig, nervös und auch aggressiv waren. Wie wirkte sich Ihr Gemütszustand auf die Mitarbeiter aus? Nicht gut. Es ist immer wichtig, dass man als Chef selbst stabil ist. Denn nur dann habe ich eine Antenne für andere Menschen. Wenn ich selbst vor lauter Problemen nicht geradeaus gehen kann, kann ich auch nicht gut führen und bin auch nicht empathisch. Was haben Sie aus dieser Zeit gelernt? Ich lernte zu vertrauen und den Blick aufs Wesentliche zu richten. Damals habe ich erst mal alle Aktien verkauft, alle Aktivitäten reduziert und gesagt: Mensch, wir müssen für die Drogeriemärkte ein neues Geschäftsmodell finden! Dafür, dass es Ihnen gesundheitlich und Ihrem Unternehmen finanziell nicht gut ging, waren Sie recht umtriebig … Es gibt Menschen, die unter Druck kapitulieren. Denen ist das dann alles zu viel. Bei mir ist es so: Wenn ich unter starken Druck gerate, werde ich richtig effizient – meine grauen Gehirnzellen kommen in Fahrt und ich bin in einer Art Alarmzustand. Dann finde ich die richtigen Formulierungen und die richtigen Antworten, beziehungsweise moderiere gut – das ist meine Stärke. Sie moderieren auch, wenn es Probleme in der Firma gibt? Auch wenn es Probleme oder Krisen gibt, steht Teamarbeit an erster Stelle. Ich habe keine Ahnung von IT, Logistik oder Einkauf. Aber ich kann dafür sorgen, dass eine positive Energie da ist und die Mitarbeiter zielorientiert am Erfolg der Firma arbeiten. Dabei ist wichtig, dass es ihnen in der Firma gut geht. Das ist mein Job. Wie moderieren Sie? Ich nenne Ihnen das Beispiel einer Firma, die nichts mit Rossmann zu tun hat, an der ich aber beteiligt bin. Ich saß vor einiger Zeit mit dem Chef 31
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Hört auf zu nerven!
Ein Beitrag von Kristina Wollseifen Nach Feierabend mit Kollegen chatten, sonntags die Mails checken und während des Urlaubs an einer Telefonkonferenz teilnehmen: Digitale Medien verführen dazu, ständig erreichbar zu sein – und niemals abzuschalten. Wie Mitarbeitern, Personalern und Führungskräften ein Umdenken gelingt 34
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Illustration: Danny Schuster
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aum haben Mitarbeiter das Büro verlassen, um mit Bahn, Fahrrad oder Auto nach Hause zu fahren, holt ihr bimmelndes Smartphone sie schon zurück in den Arbeitsalltag: Der Chef ruft an, weil er noch ein, zwei Anmerkungen zum laufenden Projekt hat. Ein Kunde schickt eine Mail, in der er die Leistungen seines Angebots bemängelt. Und dann diskutieren die Kollegen auch noch eine anstehende Deadline im Gruppenchat im Intranet. Ständig erreichbar zu sein – ob nach Feierabend, am Wochenende oder gar im Urlaub – gehört für viele Angestellte und Führungskräfte längst zum Arbeitsalltag. Denn Smartphone, Tablet und zahlreiche digitale Tools ermöglichen nicht nur ein mobiles Arbeiten, zum Beispiel im Homeoffice oder während einer Zugfahrt, sondern auch flexible Arbeitszeiten. Zwar erhoffen sich viele Arbeitnehmer davon, Beruf und Familie besser unter einen Hut zu bekommen. Aber dadurch verwischen auch die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit und es fällt schwer, abzuschalten. Fast 40 Prozent der Arbeitnehmer sollen auch im Privatleben mehr oder weniger für ihren Chef erreichbar sein, zeigt
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der Arbeitszeitreport Deutschland der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin aus dem Jahr 2016. Die möglichen Folgen: Schlafstörungen, Erschöpfung und Niedergeschlagenheit. „Arbeitnehmer sollten ihre gesetzlichen Ruhezeiten einhalten, um ihre Batterien für den nächsten Tag und die anstehenden Aufgaben aufzuladen“, erklärt Christine Woodruff, Partnerin bei der Herrmann Kutscher Weidinger Arbeitszeitberatung in Berlin. Um das zu gewährleisten, sei jeder in der Pflicht: Arbeitnehmer selbst genauso wie Personaler, Teamleiter und Geschäftsführer. Wer ständig erreichbar ist, also auch außerhalb der regulären Arbeitszeiten geschäftlich kommuniziert, kann damit gegen geltendes Recht verstoßen. Denn das Arbeitszeitgesetz schreibt eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden vor. „Die deutschen Gesetze regeln zwar sehr viele Aspekte in Sachen Arbeitszeit und Arbeitsschutz, aber mit einer digitalen Arbeitswelt, in der rund um den Globus und rund um die Uhr miteinander kommuniziert werden kann, kommen sie nicht mehr mit“, sagt Ursula Vranken, Geschäftsführerin des Kölner Instituts für Personalentwicklung und Arbeitsorganisation (IPA). „Die Unau gu st / septem ber 2019
ternehmen sind gefragt, auf Basis der Gesetze Lösungen für den Umgang mit Kommunikationsmitteln zu finden.“
Keine Mails nach Feierabend Der Stuttgarter Automobilhersteller Daimler hat im Jahr 2013 mit einer radikalen Maßnahme auf sich aufmerksam gemacht: Der Konzern bot seinen rund 100.000 Mitarbeitern in Deutschland einen Abwesenheitsassistenten namens „Mail on Holiday“ an. Das Ziel: den elektronischen Posteingang der Beschäftigten während ihres Urlaubs entlasten. Denn wenn das System aktiviert ist, löscht es automatisch alle E-Mails, die während des Urlaubs eingehen, teilt Daimler mit. Bei Volkswagen gilt seit 2011 eine E-Mail-Sperre: Tarifbeschäftigte des Wolfsburger Konzerns können wochentags zwischen 18.15 Uhr und 7 Uhr sowie an den Wochenenden auf ihren Diensthandys keine E-Mails empfangen. Jedoch: „Das Abschalten von Servern kann nicht die Lösung sein“, meint IPA-Chefin Vranken. „Die Be- und Auslastung der Mitarbeiter lässt sich nicht ausschließlich über feste Vorgaben regeln.“ 35
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Revolution der leisen Töne
Ein Interview von Thomas Trappe
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Foto: xyz
Bodo Janssen, Chef der Hotelkette Upstalsboom, vollzog vor zehn Jahren eine öffentliche Läuterung vom schlechten zum einfühlsamen Chef. Wie sein Fokus auf Achtsamkeit das gesamte Unternehmen verändert, erzählt Janssen im Doppelinterview mit Upstalsboom-HR-Chef und „Happiness Trainer“ Robert Jabin. www. hu ma n re so u rce s ma n age r. d e
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Bodo Janssen zieht sich regelmäßig ins Kloster zurück, introvertiert ist er deshalb aber noch lange nicht – vielmehr ist er einer der wohl umtriebigsten Botschafter des seit ein paar Jahren geradezu virulenten Achtsamkeitstrends. 2016 erschien Janssens Buch „Die stille Revolution“, in der er den Weg beschrieb, mit dem er die von seinen Eltern geerbte ostfriesische Hotelkette Upstalsboom 2011 umkrempelte und seine Führungsrolle völlig neu definierte. Janssen beschreibt seitdem sein altes Ich in der Öffentlichkeit immer wieder in düstersten Farben: als einen durch und durch unbeliebten Vorgesetzten, der sich erst nach einer niederschmetternden Mitarbeiterbefragung darauf besann, fortan „achtsam“ mit sich und seinen Angestellten umzugehen – und darauf eine ganze Unternehmensphilosophie aufbaute. Führungskräfte gelten bei Upstalsboom seitdem als Dienstleister. Personalreferent Robert Jabin kam 2011 ins Unternehmen, zu einer Zeit, als die komplette HR-Kultur auf den Prüfstand gestellt wurde.
Foto: Dominik Oldenkirchcen
Herr Janssen, Sie unterbrechen gerade Ihren Urlaub. Wo waren Sie denn? Bodo Janssen: Vergangene Woche mit meiner Familie in Österreich, nächste Woche mache ich noch mal Pause. Dass ich zwischendurch eine Woche im Büro bin, war so geplant. Gut, dann stören wir also nicht. Es war schwer, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen. Sind Sie im Urlaub offline? Janssen: In der Regel schon, ja. Meine Mitarbeiter wissen aber, dass sie mich im Notfall anrufen können. Und obwohl ich gerade die Arbeiten am Manuskript meines neuen Buchs abschließe, habe ich es geschafft, den Rechner die ganze Zeit auszulassen. Das Skript habe ich vor der Reise abgeschickt. Okay, Ihre Chance für einen kleinen Werbeblock: Worum geht’s im Buch? Janssen: Der Titel ist „Kraftquelle Tradition: Benediktinische Lebenskunst für heute“. Im Buch beschäftige ich
mich mit dem New-Work-Konzept von Frithjof Bergmann und den Ideen des heiligen Benedikt. Ich komme dabei zu dem Schluss, dass alles, was wir heute bei Upstalsboom umsetzen, im Prinzip schon vor 1.500 Jahren als Konzept entworfen wurde und damals auch funktionierte. Heute müssen wir dieses alte Wissen mühsam reaktivieren. Das klingt nach viel Schreib- und Recherchearbeit. Vor allem, wenn man hauptberuflich eine Hotelkette leitet und stets darauf achtet, ein ausgeglichenes Leben zu führen. Janssen: Ich musste für das Buch nicht groß recherchieren, weil ich mich intensiv mit New Work beschäftigt und das verinnerlicht habe – auch die philosophische Geschichte, die dahintersteht. Aber natürlich hat das Buch mich ein bisschen gebunden. Zwischen vier und sieben Uhr morgens meditiere ich für gewöhnlich, in dieser Zeit habe ich
„ Früher waren meine Angestellten für mich Mittel zum Zweck, Geld zu verdienen. Heute sehe ich mich als Mittel zum Zweck, Menschen zu stärken.“ BODO JANSSEN
au gu st / septem ber 2019
in den vergangenen Monaten stattdessen immer geschrieben. Kennen Sie Stress? Janssen: Bei mir selbst nicht mehr, aber dafür habe ich auch einiges getan. Unter anderem habe ich mein komplettes Genom und mein Mikrobiom, also die Darmflora, sequenzieren lassen. Ich bin hormonell so veranlagt, dass neben mir eine Bombe einschlagen könnte und ich ruhig bliebe. Das hat viel mit Ernährung zu tun, aber auch mit Meditation. Die Sequenzierungen bieten wir bald auch regulär unseren Mitarbeitern an: Auf dieser Grundlage können sie dann eine Beratung bekommen, wie sie sich ernähren sollten, um gesünder und stressfreier zu leben. „Präventorium“ nennen wir dieses Programm, es befindet sich noch in der Entwicklungsphase. Herr Jabin, es ist gerade Hochsaison, das Personal, für das Sie Verantwortung tragen, hat also viel zu tun. Betten müssen bezogen, Tische gedeckt, Gäste zufriedengestellt werden. Bleibt da Raum für Ausgeglichenheit bei den Mitarbeitern? Robert Jabin: Im Alltagsgeschäft gibt es derzeit natürlich wenig Flexibilität bei allen Beschäftigten. Gerade deswegen laden wir alle ein, sich Zeit für sich zu nehmen. Dafür bieten wir zum Beispiel Meditationsworkshops an, die werden angenommen. Ihre offizielle Bezeichnung bei Upstalsboom ist „Personalreferent und Corporate Happiness Trainer“. Was hat es damit auf sich? Jabin: Diese Bezeichnung spiegelt den Upstalsboom-Weg wider, der auf positive Psychologie setzt. Im Zentrum stehen dabei Faktoren, die einen guten Einfluss auf das Leben haben: Schlaf, Sport, Ernährung, Energie management, gelingende Beziehungen. Wir haben rund 20 Corporate-Happiness-Beauftragte in unseren Hotels, sie alle haben wie ich eine einjährige Ausbildung gemacht. Das sind keine Larifari-Veranstaltungen, 43
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RUHE
Entspannt in den Ruhestand
Arbeitnehmer müssen immer länger bis zur Rente arbeiten. Der Wunsch nach einem flexiblen Übergang in den Ruhestand wächst. Welche Modelle es gibt und für wen sie sich eignen
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eutige Berufsanfänger kann der Gedanke an das bevorstehende Arbeitsleben schon mal entmutigen: 67 Jahre müssen Arbeitnehmer derzeit werden, bis sie abschlagsfrei in Rente gehen dürfen. Derweil wünscht sich mehr als ein Drittel der 50- bis 59-Jährigen einen Renteneintritt vor dem 63. Lebensjahr, 19 Prozent sogar vor dem 60. Geburtstag. Auch unter jüngeren Arbeitnehmern zwischen 30 und 39 Jahren würde fast ein Viertel gern mit unter 60 in Rente gehen. Das zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsorge aus dem Jahr 2018. Auch Arbeitgeber wünschen sich oft, dass ihre Angestellten flexibel in den Ruhestand gehen können: „In Unternehmen gibt es inzwischen ein starkes Bedürfnis, flexible Arbeitszeiten anzubieten“, sagt Professorin Maike Andresen, Inhaberin des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Personalmanagement und Organizational Behaviour an der Universität Bamberg. Strukturwandel und internationaler Wettbewerb führten in vielen Branchen zu Stellenabbau. „Mit flexiblen Ruhestandsmodellen wollen www. hu ma n re so u rce s ma n age r. d e
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Ein Beitrag von Nina Bärschneider
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Unternehmen dies möglichst sozialverträglich gestalten – verbleibende Mitarbeiter sollen schließlich motiviert bleiben. Darüber hinaus wollen Arbeitgeber auch ältere Fachkräfte lange binden, um von ihrem Wissen zu profitieren.“ Die altbekannte Methode, Mitarbeiter über Abfindungen früher in Rente zu schicken, gebe es immer seltener, sagt Andresen: „Abfindungen sind vielen Firmen inzwischen einfach zu teuer.“ Außerdem verlässt der Arbeitnehmer dadurch abrupt das Unternehmen, was zu Wissensverlust führen kann. „Es ist wichtig, einen sanften Übergang in den Ruhestand zu ermöglichen“, sagt die HR-Expertin. „Zum einen lässt sich das Wissen scheidender Mitarbeiter so besser an die jüngere Generation übertragen. Zum anderen ermöglicht es Arbeitnehmern, sich langsam an den Ruhestand zu gewöhnen.“ Altersteilzeit, Vorruhestand, Lebensarbeitszeitkonten oder auch die Flexi-Rente: Welche Ruhestandsmodelle gibt es und wer setzt sie ein?
Altersteilzeit Die Altersteilzeit ist eine der bekanntesten Möglichkeiten. Rund 236.000 gesetzlich Versicherte befanden sich im Jahr 2017 in Altersteilzeit, zeigen Zahlen der Deutschen Rentenversicherung. Das Konzept: Beschäftigte arbeiten kürzer; die verbleibende Arbeitszeit bis zur Rente wird halbiert. Man unterscheidet zwischen zwei Modellen: Beim sogenannten Gleichverteilungsmodell wird die reduzierte Arbeitszeit auf die gesamte Dauer der Altersteilzeit verteilt. Das Modell eignet sich zum Beispiel für Menschen, die im Alter nur noch
„ Das Modell steigert die Attraktivität des Unternehmens, da Mitarbeiter ihre Arbeitszeit flexibilisieren können.“ Susanne Löffler, SAP, über Arbeitszeitkonten au gu st / septem ber 2019
„ Manche Arbeitnehmer können ihren ursprünglichen Job nicht ausüben, weil er in Teilzeit nicht machbar ist.“ Maike Andresen, Uni Bamberg, über Altersteilzeit
halbtags arbeiten wollen oder phasenweise für bestimmte Projekte eingesetzt werden. Das Blockmodell gliedert sich dagegen in eine aktive und eine passive Phase: Zuerst arbeitet der Arbeitnehmer in Vollzeit, erhält aber nur die Hälfte seines Gehalts. In der passiven Phase ist er freigestellt und erhält die andere Hälfte. Das Blockmodell hat sich in der Praxis vielfach durchgesetzt – obwohl das ursprünglich nicht so gedacht war. „Schließlich wollte man mit der Teilzeit Arbeitnehmer länger ans Unternehmen binden“, sagt Professorin Andresen. Der Volkswagen-Konzern plant derzeit den kompletten Umstieg auf Elektromobilität und streicht Stellen. Um den Personalabbau möglichst sozialverträglich zu gestalten, wirbt Betriebsratschef Bernd Osterloh schon länger für die Altersteilzeit. Bisher haben sich rund 9.300 VW-Beschäftigte für das Modell entschieden – sie gehen bis zum Jahr 2020 in die passive Phase der Altersteilzeit. Für Arbeitnehmer ist Altersteilzeit jedoch nicht immer die beste Wahl: Zwar stocken Unternehmen mit mächtigen Betriebsräten das reduzierte Gehalt in der Regel auf 60 Prozent auf und zahlen zusätzliche Rentenversicherungsbeiträge. Dennoch müssen Arbeitnehmer in Altersteilzeit später mit Renteneinbußen klarkommen. Ein weiterer Nachteil: „Manche Arbeitnehmer können damit nicht mehr ihren ursprünglichen Job ausüben, wenn dieser in Teilzeit nicht machbar ist“, sagt Andresen.
Lebensarbeitszeitkonten Die Idee hinter Lebensarbeitszeitkonten ist einfach: „Ich kann bestimmte Arbeitszeiten auf ein Konto buchen und diese Zeit am Ende meines Berufslebens wieder entneh51
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Follower begeistern, aber wo?
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Fünf Social-Media-Plattformen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch eines haben alle gemeinsam: HR macht sie sich als Tool zunutze.
uman Resources Management ohne Social Media? Schwer vorstellbar. Kaum ein Arbeitgeber ohne eigene Fanpage auf der – mal mehr, mal weniger – potenzielle Interessenten auf dem Laufenden gehalten werden und Einblicke ins Unternehmen geboten bekommen. Facebook, Youtube, Instagram, Twitter und die Business-Netzwerke Xing und Linkedin: Bei der Vielzahl an Möglichkeiten ist es keine leichte Aufgabe, die für das eigene HR-Anliegen richtige Plattform zu wählen. Schließlich gibt es diverse Aktivitäten, die HR nach außen tragen möchte – seien es Maßnahmen für das Employer Branding, Aktionen für das Personalmarketing, Active Sourcing oder Aktivitäten zur Mitarbeiterbindung. Die Betreuung von Social-Media-Kanälen bedeutet in erster Linie Aufwand – und entsprechende Ressourcen. 54
Sich nicht nur auf einen, sondern gleichzeitig auf mehrere Kanäle zu konzentrieren, kann sich insbesondere für Großunternehmen anbieten. Denn damit erreichen sie gleich unterschiedliche Zielgruppen – je nach HR-Anliegen. So geht das Drogerieunternehmen DM vor. „Wir nutzen verschiedene Kanäle im Bereich Social Media, um potenzielle Mitarbeiter anzusprechen und über unser Unternehmen sowie dessen Werte zu informieren“, sagt DM-Geschäftsführer Christian Harms, verantwortlich für das Ressort Mitarbeiter. Das Unternehmen verwendet unter anderem Xing, um freie Stellen zu veröffentlichen oder potenzielle Kandidaten direkt anzusprechen. Kanäle wie Facebook, Instagram, Snapchat und Youtube nutzt es dazu, um über DM als Arbeitsgemeinschaft zu berichten. Um Mitarbeiter zu informieren und den Dialog untereinander zu fördern, kommt Yammer zum www. hu ma n re so u rce s ma n age r. d e
Illustration: Danny Schuster
Ein Beitrag von Sven Lechtleitner
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Einsatz. Reine Karriere-Accounts sind im Social Web bei DM nicht zu finden. Stattdessen mischen sich auf den Kanälen der Kette Kunden- mit Karrierethemen. Nach Erfahrung von Harms sind potenzielle Mitarbeiter weniger an monetärer Vergütung interessiert, stattdessen möchten sie sich für eine sinnvolle Sache engagieren und sich mit den Unternehmenswerten identifizieren. So setzt DM auf Themenvielfalt verknüpft mit Einblicken in das Unternehmen.
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die bei der Berufswahl und der Entscheidungsfindung als Ratgeber eine Rolle spielen. Die Stärken von Facebook liegen in der Reichweite. So verzeichnet die Plattform Ende Juni 2019 rund 2,41 Milliarden aktiver Nutzer. Darüber hinaus bieten sich diverse Möglichkeiten zur Schaltung von Anzeigen. Nachteilig hingegen zeigen sich die eher rückläufigen Nutzeraktivitäten – insbesondere im Vergleich zu Instagram sowie bei jüngeren Generationen.
Plattformen im Überblick Jede Plattform steht in erster Linie für sich – auch wenn sie häufig in Kombination zum Einsatz kommen. Jede hat ihre eigenen Nutzer beziehungsweise Zielgruppen. Und jede von ihnen weist Stärken wie Schwächen auf. Also für welche entscheiden, wenn es nur eine sein dürfte?
Facebook Der Chemiekonzern BASF ist ebenso auf verschiedenen Plattformen präsent. Ein Fokus der Social-Media-Aktivitäten liegt auf Facebook. Dort verzeichnen der Karriere Account und der Ausbildungs-Account zusammen rund 186.500 Abonnenten. Eine primäre Zielgruppe des Ausbildungs-Accounts des Unternehmens sind junge Menschen, die nach einem dualen Studium Ausschau halten, nach einer Ausbildungsmöglichkeit suchen oder sich noch in der Berufsorientierungsphase befinden. Zwar liegt die Nutzungsrate in dieser Altersgruppe bei Instagram deutlich höher als bei Facebook. Deswegen stehen beim AusbildungsRecruiting auch Instagram-Aktivitäten im Mittelpunkt der Nachwuchssicherung. „Dennoch ist Facebook weiterhin ein bedeutender Kanal für uns“, sagt Daniela Kalweit, Leiterin Rekrutierung Auszubildende und Kaufmännische und IT-Ausbildung bei der BASF SE. Schließlich erreiche das Unternehmen darüber die Eltern vieler junger Menschen, au gu st / septem ber 2019
Aktivitäten bei Facebook spielen für den Landmaschinenhersteller Claas eine geringere Rolle. Stattdessen liegt der Fokus auf Instagram. Der Karriere-Channel hat mehr als 12.000 Follower. „Die bildbasierte Kommunikation über Instagram bietet tolle Möglichkeiten im Personalmarketing“, sagt Corinna Vielmeyer, Corporate HR Marketing bei Claas. Während früher noch lange, beschreibende Texte in Broschüren nötig gewesen wären, ließen sich diese Eindrücke heute auf Instagram sehr gut über Bilder beschreiben. Positive Erfahrungen sammelt das Unternehmen vor allem mit Instagram-Live. Das Format nutzt es dazu, um Ausbildungsberufe und Arbeitsbereiche der jüngeren Zielgruppe näherzubringen – und mit Nutzern live in Kontakt zu treten, unabhängig ihres jeweiligen Aufenthaltsorts. Darüber hinaus eigne sich Instagram auch zur Mitarbeiterbindung. So hat Vielmeyer bei Start des Kanals vor fünf Jahren festgestellt, dass viele Mitarbeiter von sich aus unter dem Hashtag #Claas etwas posten und Einblicke in ihre Arbeitswelt geben. Die Stärken von Instagram: Einerseits lassen sich über die Plattform gerade jüngere Zielgruppen erreichen, andererseits bieten tagesaktuelle Stories und Live-Sessions beste Möglichkeiten zum Austausch. Nachteilig hingegen zeigt sich der zeitliche Aufwand. Ein Instagram-Kanal ist aufgrund der gefragten Tagesaktualität nicht nebenbei betreut. 55
A N A LY S E
In sechs Schritten zur idealen Karriereseite Ein Gastbeitrag von Miriam Rupp
Wie verkaufen sich die Dax-30-Konzerne als Arbeitgeber auf ihren Karriere-Websites? Die Agentur Mashup Communications hat anhand von sechs Kriterien ein Storytelling-Ranking erstellt. Von dem folgenden Best-of können sich auch Unternehmen mit weniger Ressourcen einiges abschauen.
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uf der Suche nach neuen Herausforderungen schauen sich Bewerber nicht nur nach Stellen, sondern vor allem nach interessanten Unternehmen um. Sei es über Ausschreibungen auf Jobportalen oder durch das direkte Aufsuchen der Lieblingsmarke – früher oder später gelangen sie auf die Karriereseite der Firmen. Was dann passiert, lässt sich mit dem ersten Date vergleichen: Manchmal ist es Liebe auf den ersten Blick, andere Male zieht uns das Gegenüber erst mit seinen Anekdoten und Geschichten in den Bann. Nicht nur die Verpackung ist dabei entscheidend. Stimmen die Werte meines Wunscharbeitgebers mit meinen überein? Kann ich hier bekommen, was ich mir verspreche? Das Gesamtpaket muss authentisch sein und passen. Für unseren Storytelling-Report haben wir die Karriereseiten der 30 größten Aktienunternehmen Deutschlands unter die Lupe genommen. Welche Storytelling-Elemente nutzen sie, und mit welchen Werkzeugen begegnen sie dem War for Talents? Die Bandbreite und der Bestand an Geschichten sind sehr unterschiedlich. Jedoch sind es nicht nur die trendigen Lifestyle-Unternehmen wie Adidas oder Autohersteller wie Daimler, die es in die obere Hälfte geschafft haben. Auch Protagonisten aus vermeintlich trockenen Branchen – wie Pharma oder Industrie – konnten überzeugen.
Storytelling im Employer Branding Fakt ist, Traditionskonzerne und Personalverantwortliche stehen vor einer der größten Herausforderungen des 70
vergangenen Jahrhunderts: Mitarbeiter sind informierter, anspruchsvoller und kritischer denn je. Um Bewerber für sich zu begeistern, sollten Unternehmen zu einer der intuitivsten und wirkungsvollsten Methoden zurückkehren, mit denen Menschen seit jeher kommunizieren. Mit Storytelling verschaffen sich Organisationen Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit. Nach Jahrzehnten der Kommunikation von oben herab gilt es also, die Kunst des Geschichtenerzählens wieder neu zu erlernen.
Die sechs Kriterien der Analyse und ihre Spitzenreiter 1. Vision – Erwartungen am Horizont Mit welchen Motiven sprechen Unternehmen ihre potenziellen Bewerber an? Inwieweit wird durch den Claim deutlich, warum sich Jobsuchende für diesen Arbeitgeber entscheiden sollten? Als Gewinner des gesamten Rankings geht Beiersdorf auch in dieser Kategorie mit gutem Beispiel voran. Der Claim „Your Career starts with care“ drückt Empathie für Mitarbeiter und potenzielle Bewerber aus. Die Wachstumsbedürfnisse Wertschätzung und Selbstverwirklichung werden damit direkt angesprochen.
A N A LY S E
unterstützt der Konsumgüterhersteller auch das Arbeiten im Ausland, und dank firmeneigener Kindergärten ist zudem für die Betreuung des Nachwuchses gesorgt.
➔ Entwickeln Sie einen emotionalen Claim und platzieren Sie ihn prominent. ➔ Sprechen Sie die Wachstumsbedürfnisse Ihrer Bewerber an. 2. Werte – Beruflich Sinn stiften Die Sinnhaftigkeit im Job ist wichtiger geworden und wird von Bewerbern gesucht. Gibt es klar erkennbare und durchweg kommunizierte Werte? Wie stark werden sie konkret mit Beispielen oder Storys belegt? Die Deutsche Telekom gehört zu den Spitzenreitern und überzeugt mit klar präsentierten „Wie-Faktoren“. Kultur und Werte wie Teamzusammenhalt werden mithilfe von Symbolen und auf Fotos vermittelt. Awards und Auszeichnungen auf der Website bestätigen die Leistungen als Arbeitgeber und Ausbilder zusätzlich.
➔ Außergewöhnliche Mitarbeiter-Benefits wecken das Interesse. ➔ Maßnahmen für bestmögliche Work-Life-Balance werden vorausgesetzt. 4. Storys – Geschichten, die bewegen Mitarbeiter sollen selbst zu Wort kommen und ihre Arbeitserlebnisse teilen. Das ist wesentlich wirkungsvoller, als wenn über sie erzählt wird. Der Stahlriese Thyssenkrupp lässt Bewerber ihre potenziellen Kollegen kennenlernen. „Ich wollte immer in einem großen Unternehmen arbeiten und habe von einem Beruf geträumt, der mir Spaß macht und in dem ich Dinge erreiche, auf die ich stolz sein kann. Und was soll ich sagen: Ich hab’s geschafft.“ Der berufliche Werdegang von Lilian da Costa Alves wird neben vielen weiteren Geschichten mit Foto, Zitaten und Aussagen der Mitarbeiter vorgestellt.
➔ Präsentieren Sie Ihre Werte klar und deutlich. ➔ Bieten Sie Belege für die jeweiligen Werte an (Auszeichnungen, Mitarbeiterzitate oder -storys, Events).
Screenshot: Beiersdorf, Telekom, Henkel, thyssen Krupp
3. Unique Employment Proposition (UEP) Werden Argumente für das Unternehmen genannt? Gibt es eindeutige, sachliche Alleinstellungsmerkmale („Was-Faktoren“)? Ganz vorne in dieser Kategorie positioniert sich Henkel. Das liegt vor allem an Mitarbeiter-Benefits und dem „Henkel Spirit“, der gelebt und gezeigt wird. Was dahintersteckt, wird auf einen Blick deutlich: Zum Beispiel gibt es die eigene Henkel-Global-Academy zur Weiterbildung der Mitarbeiter. Die Charta für flexibles Arbeiten wurde ebenfalls unterschrieben. Mit einem interkulturellen Programm au gu st / septem ber 2019
➔ Lassen Sie Ihre Mitarbeiter selbst von ihrem Arbeitsalltag und gelebten Werten erzählen. ➔ Videoformate eignen sich besonders gut und wirken nahbar.
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PRAXIS
Loslassen als Führungskompetenz von morgen Ein Gastbeitrag von Jörg Staff
Die HR-Abteilung als isolierter Bereich ist obsolet. Die Organisation der Zukunft ist als Ganzes auf die Mitarbeitererfahrung ausgerichtet. Worauf sollte die Unternehmensführung in Zeiten der digitalen Transformation achten? Tipps und Erfahrungen eines Personalvorstands
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ie „vierte industrielle Revolution“ beschreibt einen grundlegenden Wandel unserer Lebensund Arbeitsformen. Neben dem gesellschaftlichen Umbruch stehen in unserem Geschäft die technologischen Veränderungstreiber im Vordergrund: integrierte Daten, Cloud-Technologien, künstliche Intelligenz. Sie schaffen die Möglichkeit, Menschen, Maschinen, Anlagen und Produkte besser miteinander kommunizieren und kooperieren zu lassen. In der Konsequenz entsteht eine neue Arbeitswelt, in der einfache, stereotype Arbeitsvorgänge langsam verschwinden. Die Industrie 4.0 ist eine moderne Wissensökonomie. Sie baut auf das eigenständige Denken der Menschen, ihr sinnerfülltes und selbst gestaltetes Arbeiten.
Foto: getty images
Aufbruch in die Transformation Vor gut eineinhalb Jahren begann die Fiducia & GAD die größte Wandlung ihrer Geschichte. Der IT-Dienstleister der genossenschaftlichen Finanzgruppe mit rund 7.000 Mitarbeitern ist mitten in einer unternehmensweiten Transformation aus einer traditionellen in eine agile Orau gu st / septem ber 2019
ganisationsform. Im Vorstand haben wir vereinbart, auch die letzten Reste des tayloristischen Arbeitens hinter uns zu lassen: kleinteilige Aufgaben, komplexe Hierarchien mit zahlreichen Führungsebenen und historisch gewachsene Prozesse und Strukturen. Doch das ist schneller gesagt als getan. Unser Handeln hat in der Bankenwelt eine unmittelbare Wirkung. Innovationen sind gerne gesehen – Risiken überhaupt nicht. Unsere digitalen Lösungen sollen Banken effizienter und kundenorientierter organisieren. Das volle Potenzial digitaler Technologie in der Business Transformation auszuschöpfen, wurde aber auch bei uns immer dringender. Bereits in den vergangenen Jahren hatten wir mit crossfunktionalen, hierarchieübergreifend zusammengestellten Teams – sogenannten Schnellbooten – am Rande unserer Organisation experimentiert. In freien, losgelösten Strukturen testeten wir, was agiles Arbeiten bedeutet und wie innovative Lösungen iterativ, schnell und kundenzentriert entwickelt werden können. Diese Erfahrung, der wachsende Druck des Markts und die steigende Unzufriedenheit unserer Mitarbeiter ermutigten uns, das Prinzip auf die gesamte Organisation aus79
PRAXIS
Sieben Punkte, bei denen Vorstände und Führungskräfte dazulernen müssen: 1) Nähe und Achtsamkeit: Gehen Sie auf Augenhöhe mit den Mitarbeitern, und akzeptieren Sie Feedback und dass andere mehr wissen als Sie. Achten Sie auf Ihre Mitarbeiter und sich selbst. 2) Systemdenken und Sinn vermitteln: Schätzen Sie Mitarbeiter wert und geben Sie Verantwortung dahin ab, wo die Kompetenz sitzt. Ganzheitliches hat Vorrang vor funktionalem Denken.
5) Ambidextrie leben: Setzen Sie sowohl auf Corporate Governance als auch auf kreative Innovation. 6) Gemeinsame Vision: Entwickeln Sie unternehmensweit integrierte Zielzustände. 7) Try fast, fail fast: Machen Sie eigene Fehler transparent, teilen Sie das daraus Gelernte mit anderen.
3) Loslassen: Silos sprengen heißt auch, das Eigene zu hinterfragen und Verantwortung für das Ganze zu übernehmen. 4) Diversity fördern: Je vielfältiger ein Team, umso facettenreicher die Lösungen
wie sie funktionieren und angenommen werden. Das heißt: Wir kommen viel schneller an den Markt mit agiler Projektstruktur.
Digitale Leader und neue Rollen
zudehnen. Ergänzend zu den Schnellbooten erproben wir diese neue Arbeitsform im erweiterten Maßstab innerhalb eines großen Kundenprojekts: der Digitalisierungsoffensive für unsere Banken. Um eine kundenfreundliche Plattform zu schaffen, arbeiten wir daran, interne Silos aufzubrechen. Wir etablieren neue Prozesse und Methoden, die von Prinzipien der agilen Projektarbeit bestimmt sind. Dafür haben wir Handlungsfelder identifiziert, die in rund 40 Teilprojekten von crossfunktional besetzten „Squads“ – der kleinsten Teameinheit von maximal zehn Personen – und „Tribes“ – also mehreren gebündelten Squads – vorangetrieben werden. Aktuell arbeiten 430 Mitarbeiter der Fiducia & GAD sowie 220 Mitarbeiter von Genossenschaftsbanken und Verbänden an der Realisierung. Die ersten Ergebnisse werden zurzeit in der sogenannten „Family & Friends-Phase erprobt. Wir setzen dabei kleine Anwendungen in begrenztem Umfang im direkten Kundenkontakt ein und testen, 80
Dieser Geist soll Schule machen: Die Transformation erfasst alle Bereiche in unserer Organisation und verlangt ein Umdenken bei allen Menschen auf allen Ebenen – auch und gerade im Vorstand. Mehr Vernetzung ist gefragt, quer durch das Unternehmen. Das setzt auch im Board die Fähigkeit zur permanenten Selbstreflexion und Veränderungsfähigkeit voraus. Der Vorstand muss runter vom „Feldherrenhügel“. Er muss die Nähe zu den Menschen suchen, zuhören – und im Zweifel mitsprinten! Die Transformation wird in sogenannten „Sprints“ organisiert. Dabei geht es darum, ganz konkrete Handlungsfelder in überschaubarem Zeitraum und mithilfe von agilen Projektmanagementmethoden zu bearbeiten und konkrete Probleme schnell zu lösen. Die Sprints werden crossfunk tional und hierarchieübergreifend besetzt und die Ergebnisse schrittweise in Wochenrhythmen entwickelt. Jeder Sprint hat eine vorgegebene Länge und Struktur. Die Teams stellen dem Vorstand ihre Ergebnisse anschließend zu Sparring und Abnahme vor. Wir haben in den vergangenen zwölf Monaten mehr als 50 dieser unternehmensweiten Sprints durchgeführt. Allein diese neue Form der Zusammenarbeit hat ein enormes Umdenken ausgelöst. Ich erlebe es immer wieder, dass Mitarbeiter völlig begeistert aus den Initiatiwww. hu ma n re so u rce s ma n age r. d e
LETZTE
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Die Fokussierte
In hektischen Zeiten komme ich zur Ruhe, indem ich … bewusst Abstand nehme und mich fokussiere: Mit „Deep Work“ und der schriftlichen Ausformulierung meiner Gedanken verschaffe ich mir einen Überblick und erlange Gelassenheit, um mich später meiner Familie und Freunden zu widmen. Eine entspannte Führungskraft erkennt man daran … dass sie sich auf das Machbare konzentriert, anstatt sich auf das Problem zu versteifen. Die Voraussetzung dafür ist, Emotionen situativ wahrzunehmen und zu akzeptieren. Die größte Herausforderung für Führungskräfte der Zukunft liegt darin … Guidance und psychologische Sicherheit in einer volatilen Welt zu geben. Das setzt immense persönliche Reife, innere Stabilität und die richtige Haltung voraus. Die digitale Transformation macht mich persönlich nicht nervös, weil … in ihr – wie in jeder Innovation – vor allem die Chance auf Verbesserung steckt. Um sie zu erkennen, muss man ihr allerdings mit Offenheit, Neugier und einer Portion Mut begegnen. 10 2
Was mich zurzeit beunruhigt, ist … dass Arbeitsmarkt und Gesellschaft auseinanderdriften: Im Digitalsegment zeichnet sich die Etablierung von digital gut aufgestellten Eliten ab, während die fehlende Ausbildung in der breiten Gesellschaft zu Angst und Ressentiments führt. Die wichtigste Kompetenz des Personalers von morgen ist … fähig zu sein, Strategie und Wertschöpfungsprozess der Organisation in ein zukunftsfähiges Design zu übersetzen. Darin müssen Teams, individuelle Talente, Führung und Kultur ein konsistentes, kundenzentriertes System ergeben. Das erfordert analytische Fähigkeiten sowie starke Sachund Ergebnisorientierung, während man gleichzeitig nah am Menschen ist. Ich plädiere dafür, dass wir uns vom Begriff „Fachkraft“ lösen, weil … er suggeriert, dass es ausreicht, wenn Fachwissen zu einem frühen Zeitpunkt in der Karriere einmal vermittelt wird und danach auf Abruf bereitsteht. Im digitalen Zeitalter ist das eine Illusion: Die Halbwertzeit von Fachwissen wird immer kürzer. Viel wichtiger werden Neugier, Lernbereitschaft sowie Zielstrebigkeit und Verantwortungsbewusstsein.
Constanze Buchheim ist Digitalexpertin, Unternehmerin und Familienmensch. Entspannt bleibt sie dank ihres klaren Blicks – und der Zeit für sich. Unsere Kinder bereiten wir am besten auf die Arbeitswelt vor, indem … wir ihre Neugier und ihren Antrieb erhalten, anstatt sie zu übersättigen. Indem wir ihre Resilienz fördern und negative Emotionen nicht von ihnen fernhalten, sondern ihnen zeigen, wie sie damit umgehen. Indem wir ihnen signalisieren, dass sie wichtig sind, aber eben auch Teil einer Gemeinschaft, in der sie und ihr Glück nicht das Zentrum der Welt sind. Ein guter Start in den Tag beginnt für mich mit … einer Stunde, die mir allein gehört. Dafür stehe ich vor meinen Kindern auf, meditiere, bewege mich und genieße bei einer Tasse Kaffee auf meiner Terrasse den Blick auf den Berliner Fernsehturm bei Sonnenaufgang, dazu meine Lieblingsmusik – dann kann nichts mehr schiefgehen.
Constanze Buchheim ist Gründerin der Personal- und Organisationsberatung I-Potentials. Seit mehr als zehn Jahren baut sie digitale Teams der New & Old Economy auf und um. Als Aufsichtsrätin, Investorin und Beraterin wappnet sie Gründer und Vorstände für die strategischen Herausforderungen zukunftsfähiger Führung und Organisationsgestaltung.
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Foto: Alex Klebe
Der die te ers Job, lle des o R zukünftige er eine d o rs Personale : de Lektüre inspirieren nd u r re h fü chäfts e HRler, Ges rt o n eben Antw Blogger g gen o m Frageb in unsere n te etz auf der „L Seite“.