Magazin Human Resources Manager: Weltweit

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Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Haben Sie sich schon einmal fremd gefühlt? Vielleicht an einem dienstlichen Auslandsaufenthalt? Vielleicht sogar im eigenen Land?

In unserem Themenschwerpunkt Weltweit gehen wir unter anderem der Frage nach, wie eine internationale Zusammenarbeit organisatorisch und kulturell gelingen kann. Wir hinterfragen, was speziell HR tun kann, damit sich ausländische Talente hier, sich aber auch deutsche Expats im Ausland willkommen fühlen. Ohne kulturelle Kenntnisse und Einfühlungsvermögen ist das Willkommen heißen nur eine Floskel, meint Jennifer Spatz (Seite 26).

„Viele kleine Leute, die an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern.“

Diesen als afrikanische Weiheit gekennzeichneten Spruch, den ich kürzlich auf den Überresten der Berliner Mauer, der „East Side Gallery“ las, macht deutlich, welche Gestaltungswirksamkeit jeder und jede Einzelne von uns hat. Globalisierung kann auch Annäherung bedeuten.

Ein internationales Entwicklungsteam sorgt aus einer deutschen Kleinstadt heraus für Fortschritte im Quantencomputing. Wie das funktioniert, hat uns Gründer und CEO Jan Leisse uns im Interview erzählt (Seite 32).

Salome Häbe zeigt anhand einiger persönlicher Beispiele von Menschen mit Mitgrationhintergrund, wie schwierig die Integration in den Arbeitsmarkt sein kann (Seite 52).

Auch im konkreten Arbeitsalltag von interkulturellen Teams gibt es noch viel Luft nach oben für einen sensiblen Umgang miteinander, wie Anja Sturm recherchiert hat (Seite 44).

HR muss in vielen Bereichen längst über die Landesgrenzen hinausschauen. Emmanuel Siregar erläutert, wie HR den Spagat zwischen globalen Standards und lokalen Anpassungen schaffen kann (Seite 40).

Früher auf dem Meer, heute am Meer: Eine Personalchefin, die als Kapitänin die Welt bereiste, steuert heute die Personalpolitik eines Fährdiensts. Charleen Rethmeyer hat sie im Hamburger Hafen besucht und erzählt im Porträt den spannenden Lebensweg (Seite 48).

Sie prägen nicht nur die deutsche Wirtschaft: Mirjam Stegherr zeichnet in unserem Fokus ein Bild von deutschen Familienunternehmen im Ausland (Seite 12).

Ich danke allen, die an dieser Ausgabe mitgewirkt haben, und wünsche Ihnen den nötigen Weitblick und den Mut, Grenzen, im Kopf und im Herzen, zu überwinden.

Bleiben Sie belesen!

Herzlichst, Sabine Schritt Leitende Redakteurin des Human Resources Manager

Diskutieren Sie mit uns Themen aus unserem Magazin, oder was die HR-Community gerade bewegt, auf unserem Linkedin-Kanal Magazin Human Resources Manager, auf Instagram unter @hrm_magazin oder schreiben Sie uns an info@humanresourcesmanager.de.

48 Inhalt

Tanja Cohrt fuhr acht Jahre zur See und war oft nur eine von wenigen Frauen auf dem Schiff. Trotz Hürden ließ sie sich nie unterkriegen. Heute ist sie Personalvorständin.

3 Editorial

6 Bundeswehr auf Wachstumskurs

Nicole Schilling, stellvertretende Abteilungsleiterin Personal im Verteidigungsministerium, erklärt, auf was es bei der Personalplanung ankommt.

Von Sabine Schritt TRENDS

9 Zahlen und Meldungen

16 Kolumne

HR ist tot – es lebe HR?

Von Elise Müller

18 Meine Arbeitswelt

Anna und Nils Schnell, Gründer von Mowomind.

Von Klara Burchart

IMPULS

20 Missverständnis im HR-Diskurs

Das Problem sind nicht die Menschen, die in der Organisation arbeiten.

Von Judith Muster und Lars Gaede

10 Familienunternehmen im Ausland

Lokal verankert, sind sie auch global erfolgreich.

Von Mirjam Stegherr

15 Ein neuer Job für …

Arnd Hermann als Personalleiter

Deutschland bei ZF Friedrichshafen.

SCHWERPUNKT: Weltweit

26 So gelingt eine Willkommenskultur!

Unser Auftaktessay.

Von Jennifer Spatz

32 Quantencomputing made in Siegen

Jan Leisse, Gründer und CEO von EleQtron über eine Entwicklung von weltweiter Bedeutung.

Von Sabine Schritt

36 Remote Work im Ausland

Über grenzenlose Möglichkeiten zu arbeiten.

Von Mia Pankoke und Kathi Preppner

Familienunternehmen blicken oft auf eine jahrzehntelange Tradition. Sie prägen die deutsche Wirtschaft und stellen sich auch den globalen Herausforderungen. Auf ganz unterschiedlichen Wegen.

40 Globale Verantwortung HR und die Balance zwischen lokaler Anpassung und globalen Standards.

Von Emmanuel Siregar

44 Interkulturelle Führung

Verständigung und Respekt beginnt bei den kleinen Dingen.

Von Anja Sturm

48 Standhaft im Sturm

Die ehemalige Kapitänin und heutige Personalvorständin Tanja Cohrt im Porträt.

Von Charleen Rethmeyer

52 Mit offenen Armen? Erfahrungen von ausländischen Fachkräften im deutschen Arbeitsalltag.

Von Salome Häbe

56 Ferien und Arbeit verbinden Was bei der Umsetzung von Workation zu beachten ist.

Von Tobias Preising

Diskussionen um New Work beziehen sich oft auf Bürotätigkeiten. Die Otto Group hat sich Gedanken gemacht, wie New Work auch in der Logistik umgesetzt werden kann.

PRAXIS

ANALYSE

58 Vereinbarkeit im Job Was die Forschung über Beschäftigte mit Familienverantwortung zeigt.

Von Evelyn Stoll

PERSONALARBEIT

Menschen, die sich selbst in den Arbeitsmarkt integrieren wollen, haben Hoffnung, mit offenen Armen empfangen zu werden – machen teilweise aber ganz andere Erfahrungen.

62 Mentale Gesundheit fördern Likeminded gewann den HR Start-up Award. Co-Gründerin Kimberly Breuer im Interview. Von Charleen Rethmeyer

66 Dos and Don’ts Umdenken beim Onboarding.

Von Irina Hagen

68 New Work für alle Ein neuer Blick auf Arbeitsbedingungen in der Logistikbranche.

Von Vanessa Eller

72 Über den Tellerrand Eine neue Serie bietet Einblick in andere Arbeitswelten. Diesmal: die Schweiz.

Von Boris Billing

74 Reingeschaut

Ausgewählte Neuerscheinungen.

76 Rezension

Atlas der KI von Kate Crawford

Von Salome Häbe

78 Sieben Gedanken

Gen-Z-Beraterin Selina Schröter über Traumjobs.

RECHT

80 Aktuelle Urteile

Von Pascal Verma

82 Essay

Einstellungen im Ausland mit dem Employer of Record (EoR) .

Von Christoph Seidler

84 Impressum

VERBAND

86 Editorial

87 #BPMbewegt

88 BPM-Young Professionals

89 BPM Mitgliederversammlung

LETZTE SEITE

90 Die Grenzenüberwinderin Parnian Parvanta ist weltweit für Ärzte ohne Grenzen im Einsatz.

Von Salome Häbe

„Es war sicherheitspolitisch noch nie so ernst wie heute“

Die weltpolitische Lage ist angespannt. Damit ist auch in die Personalstrukturen der Bundeswehr Bewegung gekommen. Nicole Schilling hat im Verteidigungsministerium die strategische Personalverantwortung für die Soldatinnen und Soldaten und hat bei ihren Entscheidungen immer die Welt fest im Blick. Mit welchen Aufgaben sie jetzt befasst ist und vor welchen Herausforderungen die Bundeswehr steht, erklärt sie im Interview.

Frau Dr. Schilling, seit dem Krieg in der Ukraine steht die Bundeswehr stark im politischen und medialen Fokus. Welche Auswirkungen hat die von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende auf die Personalpolitik der Bundeswehr?

Dr. Nicole Schilling: Für uns ist das Entscheidende, dass wir sehr schnell in der Lage sein müssen, auf eine verschärfte Sicherheitslage zu reagieren. Das heißt, wir müssen mit Blick auf unseren Personalbestand schnell wachsen. Die vergangenen Jahrzehnte waren nach Ende des kalten Kriegs eher vom Personalabbau geprägt. Es wird derzeit viel über die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr diskutiert. Wie beurteilen Sie die weltpolitische Lage und wie ist die Stimmung derzeit in der Bundeswehr angesichts dessen?

Ich glaube, dass die Bedrohungslage so schwierig ist wie die letzten 30 Jahre nicht. Es war sicherheitspolitisch noch nie so ernst wie heute. Die Stimmung ist deswegen nicht schlecht, aber natürlich auch nicht besonders euphorisch. Es herrscht so eine gewisse Aufbruchstimmung. Wir sind dabei, uns alle miteinander bereit zu machen, weil wir sehen, dass der Grund, warum wir Soldaten, Solda-

ten oder zivile Beschäftigte in der Bundeswehr geworden sind, tatsächlich jetzt wieder mehr zum Tragen kommt, als das vielleicht für die Menschen in unserem Land schon sichtbar ist. Die Stationierung einer 5.000 Frauen und Männer starken Brigade an der NATO-Ostflanke in Litauen ist eine Konsequenz des Aufbruchs. Bis 2027 soll die Gruppe komplett sein, bereits Mitte nächsten Jahres sollen der Brigadestab und die ersten Bataillone verlegt sein. Wie wird die Stationierung aus Personalsicht organisiert?

Wir gehen Zug um Zug vor, so wie die Litauer aufnahmefähig sind. Die litauischen Streitkräfte haben nicht so viele Kasernen, die sie uns freimachen können. Das heißt, da muss neu gebaut werden. Wir bringen in enger Zusammenarbeit mit den litauischen Partnern immer die Truppenteile nach Litauen, die dort untergebracht können. Es ist bereits ein Einsatzkontingent stationiert, das von der Bevölkerung sehr offen aufgenommen wurde. Wir wissen, dass wir unseren Soldatinnen und Soldaten eine Menge persönliche Härten abverlangen, die wir versuchen müssen, abzufedern. Ich bin aber zuversichtlich, dass die personelle Besetzung funktionieren wird.

Inwieweit sind Sie in Ihrer Funktion damit befasst?

Das passiert konkret im Bundesamt für das Personalmanagement, meinem vorigen Einsatzbereich. Seit einigen Wochen bin ich stellvertretende Abteilungsleiterin im Bundesverteidigungsministerium. Meine Aufgabe ist es heute, die Rahmenbedingungen mitzusetzen, indem wir Vorschriften oder Erlasse anpassen oder Gesetzesvorlagen schreiben. Wenn wir jetzt 5.000 Menschen mit Familie nach Litauen bringen, brauchen die Menschen vorher Gewissheit, wie es nach dem Einsatz weitergeht. Dafür müssen wir hier im Ministerium die Voraussetzung schaffen. Wie kamen Sie als Ärztin zum Personalmanagement?

Ich habe erst eine ganz normale militärische Ausbildung absolviert, auch auf dem Truppenübungsplatz und mit der Waffe in der Hand. Ich sage das deswegen, weil erst mit dem Urteil von 2001 alle Laufbahnen bei der Bundeswehr für Frauen geöffnet wurden. Es gab aber auch vorher schon Frauen bei den Streitkräften. Nach meinem Medizinstudium habe ich im Bundeswehrkrankenhaus und bei unseren Truppenärzten eine Facharztausbildung gemacht, anschließend als Allgemeinmedizine-

Ein Interview von SABINE SCHRITT

rin eine Sanitätseinrichtung für Soldatinnen und Soldaten mit circa 40 Mitarbeitenden geleitet. Dann bin ich ins Personalmanagement beim Sanitär gerutscht und war zunächst zuständig für unsere Studenten und Studentinnen.

Sie sind im Personalbereich hängengeblieben und hatten zuletzt die Personalverantwortung für nahezu alle der 260.000 Beschäftigen in der Bundeswehr.

Natürlich als Stellvertreterin für meine Präsidentin und mit einem gewissen Schwerpunkt auf das militärische Personal, da sie Beamtin ist und ich Soldatin bin. Jetzt im Ministerium ist es ähnlich. Meine Abteilungsleiterin ist auch Beamtin, ich bin ihre Stellvertreterin

Nicole Schilling

ist promovierte Medizinerin, Generalstabsärztin und seit Juni stellvertretende Abteilungsleiterin des Verteidigungsministeriums. Zuvor hatte sie ab 2019 den Posten als Vizepräsidentin des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr in Köln inne und war zudem ab 2022 ständige Vertreterin der Präsidentin dieses Bundesamtes. Schilling trat bereits 1993 in die Bundeswehr ein, durchlief die Grundausbildung und startete mit einem Medizinstudium an der Justus-Liebig-Universität in Gießen zunächst eine medizinische Laufbahn. Schilling war zudem in Auslandseinsätzen, unter anderem in Afghanistan oder Bosnien-Herzegowina, tätig.

und Soldatin, deswegen kümmert sie sich mehr um die zivilen Themen und ich mich mehr um die militärischen. Sie sind die ranghöchste Soldatin bei der Bundeswehr. Haben Sie eine Vorbildfunktion für andere Frauen?

Wir haben inzwischen etwa 24.000 Soldatinnen, von insgesamt 180.000 Streitkräften. Ich wollte es nicht unbedingt werden, aber natürlich sehen mich Frauen als Vorbild für eine eigene mögliche Laufbahn. Diese Rolle habe ich auch gerne angenommen.

Von den 260.000 Beschäftigten sind rund 70.000 Zivilisten und rund 180.000 Soldatinnen und Soldaten. Und letztere Gruppe soll bis 2031 auf 203.000 wachsen. Mit welchen Maßnahmen wollen sie das Ziel erreichen?

Zum einen wollen wir den Einstieg flexibilisieren und erleichtern. Zum anderen wollen wir diejenigen, die bleiben wollen, stärker an uns binden. Es ist nicht so, dass uns die Soldatinnen und Soldaten weglaufen. Viele haben durchaus den Wunsch, länger zu dienen.

Sie müssten jedes Jahr 20.000 Menschen einstellen, nur um den Personalbestand auf jetzigem Niveau zu halten.

Richtig, und das ist auf die Dauer nicht demografiefest. Wir werden uns überlegen müssen, wie wir es künftig besser hinbekommen, vielleicht weniger Menschen einzustellen, dafür aber mehr auf die Bindung zu setzen. Momentaner Schwerpunkt unserer Rekrutierungsaktivitäten ist der Fachkräftemarkt für Menschen, die in unserem System militärisch und zivilberuflich sechs Jahre ausgebildet werden. Das müssen wir im Ministerium auf den Prüfstand stellen und hinterfragen, das ist wichtig, damit sich der Ausbildungsaufwand auf das konzentriert, was für die Aufgabe tatsächlich benötigt wird und somit die Ausbildungszeit in einem guten Verhältnis zur Dienstzeit in den konkreten Job steht. Wie stehen Sie zu den Debatten, die Grundwehrpflicht wieder aufleben zu lassen?

Die Welt der Familienunternehmen

Internationalisierung ermöglicht Familienunternehmen, zu wachsen und Talente zu gewinnen. Als Familie können sie punkten, sie stehen aber auch vor neuen Herausforderungen.

Wer am Hauptbahnhof Wien aussteigt und fünf Kilometer gen Westen fährt, weg von der Donau, hin zum Wienerwald, stößt wenige Schritte vor dem Park Schönbrunn auf die internationale Geschichte des Pharmariesen Boehringer Ingelheim. Zwei hohe Schlote prangen im Gelände, auf dem sich mehr als zehn Gebäude erstrecken. Einige haben zwei Etagen, andere neun, einige Fronten sind aus Glas, andere aus Beton. Sukzessive ist der Standort gewachsen, der 1948 die erste Auslandsniederlassung des Unternehmens war, damals im Hinterhof einer Apotheke. Heute steuert der Standort Wien 33 Länder. Über 130 Märkte bedient der Konzern weltweit. Er hat mehr als 53.500 Mitarbeitende, ist umsatzstärker als Bayer und ist bis heute in der Hand der Familie, deren Name und Heimat im Logo steht.

Albert Boehringer gründete das Unternehmen 1885 in Nieder-Ingelheim, inzwischen eingemeindet in Ingelheim, der „Rotweinstadt“ am Rhein zwischen Bingen und Mainz. Mit Blick auf die Weinberge des Rheingaus und Rheinhessens liegt die Zentrale für über 9.000 Angestellte, in der auch die vierte Generation der Unternehmerfamilie sitzt: Christian Boehringer, Vorsitzender des Gesellschafterausschusses, und Hubertus von Baumbach, seit 2016 Vorstandsvorsitzender des Konzerns. „Die Familie holt sich die Macht über die Milliarden zurück“, titelte das Manager Magazin zur Personalia. Inzwischen ist das zweitrangig, von Baumbach gilt als der Manager, der Boehringer Ingelheim an die Spitze geführt hat.

Durch Forschung und Zukäufe gehört es zu den 20 führenden Pharmakonzernen der Welt. Standbeine im Ausland seien wichtig, gerade in den USA, um in der Branche zu bestehen,

sagt Sven Sommerlatte, Chief Human Resources Officer von Boehringer Ingelheim. Nach wie vor investiere das Unternehmen stark in Deutschland, bis heute ist Biberach das größte Forschungszentrum und Ingelheim der größte Standort weltweit. „Langfristig und für Generationen“ steht im Leitbild des Unternehmens. „Das begründet, warum wir anders als ein börsennotiertes Unternehmen einen stärkeren Schwerpunkt auf die Werte und das Wohl der Mitarbeitenden legen“, sagt er.

53.500 Familienmitglieder weltweit

„Es ist wichtig, dass wir in die Pflege der Unternehmenskultur investieren, da sie genau darauf einzahlt, was uns auszeichnet: die Langfristigkeit und Nachhaltigkeit, für die wir als Familienunternehmen stehen.“
Sven Sommerlatte, Chief Human Resources Officer, Boehringer Ingelheim

Josef Baader sitzt auf der Fitnessmaschine im Sportcenter. Vor seinen Schultern liegen zwei Polster, Gewichte leisten Widerstand. Er muss Druck ausüben, um sich nach links und rechts zu drehen. Langsam bewegt er seinen Oberkörper. Eine Trainerin leitet ihn an. „Making more health“ steht auf seinem T-Shirt. So zeigt der SWR, wie sich Boehringer Ingelheim für die Gesundheit seiner Mitarbeitenden engagiert. Schon Albert Boehringer habe Angestellten eine Krankenversicherung, Urlaub und Rente geboten, schreibt das Unternehmen auf seiner Website. „Eine globale Familie mit zukunftsträchtigen Idealen“, nennt es sich. Heute gibt es ein „Wellbeing Programm“ für körperliches, mentales, soziales und finanzielles Wohlbefinden, sagt Sommerlatte. Gesundes Essen gehöre dazu: Die Kantine in Ingelheim hält den Preis als beste im Land. „Attraktive Bürolandschaften“ sollen das soziale Gefüge stärken, eine Leadership Academy Stress verhindern und „gute Führung sicherstellen“. Es gibt eine Universität mit virtuellem Campus, eine Karriereberatung und die Möglichkeit, den Standort zu wechseln, sei es dauerhaft oder auf Zeit.

Die Familie hält in vielen traditionellen Unternehmen oft schon über Generationen zusammen. Familienunternehmen prägen nicht nur die deutsche Wirtschaft, sondern sind auch international erfolgreich. (Symbolbilder)

7.000 Personalbewegungen managt Boehringer Ingelheim pro Jahr, sagt Sommerlatte, darunter 3.000 Beförderungen und 4.500 Neueinstellungen. 90 Millionen Euro investiere es in die Entwicklung seiner Mitarbeitenden. „Weil wir nicht von Launen der Finanzmärkte abhängig sind, können wir Programme nachhaltig umsetzen, ohne Angst zu haben, dass sie plötzlich wieder eingestampft werden, weil wir Zahlen kurzfristig aufbessern sollen“, sagt er.

Im US-amerikanischen Ridgefield: Weiße Tonscherben bilden den Rahmen für ein quadratisches Mosaik, das an der Wand aufgebaut ist. Schwarze Rechtecke zeigen Ränder für fünf Blätter. Sie sind jeweils zur Hälfte mit bunten Steinen beklebt: gelb, lila, orange, blau und grün. In jeder Mitte steht ein Wert. Ein Mann greift vor dem Mosaik eine Scherbe und steckt sie in das lilafarbene Feld: „Innovate and drive change“.

Das Mosaik in Connecticut ist eine Aktion im Rahmen des „VTI Day“, den Boehringer Ingelheim einmal im Jahr an allen Standorten begeht. VTI steht für „Value Through Innovation“. Das Motto wechselt, im Zentrum steht immer die Unternehmenskultur. 2024 war es ein neues Kompetenzmodell: fünf Felder mit einer Stärke und einem Ausbaupotenzial, in Ridgefield dargestellt als Mosaik mit fünf Blättern. Man sei zwar innovativ, müsse Märkte aber stärker gestalten. Die Zusammenarbeit im Unternehmen sei

gut, zum Teil seien in Projektteams jedoch zu viele Personen eingebunden, was Entscheidungen bisweilen verzögere. Das sind zwei der fünf Punkte.

Jeder Ort konnte selbst entscheiden, wie er das Modell zeigt und diskutiert. Argentinien nutzte Lichtinstallationen, Italien pflanzte Kräuter und Deutschland legte einen Pfad über den Campus in Ingelheim. „Es ist wichtig, dass wir in die Pflege der Unternehmenskultur investieren, da sie genau darauf einzahlt, was uns auszeichnet: die Langfristigkeit und Nachhaltigkeit, für die wir als Familienunternehmen stehen“, sagt Sommerlatte.

Hidden Champion in Mexiko

230 Kilometer nördlich von Mexiko-Stadt liegt der Industriepark Querétaro. In einer der großen Hallen lagern Plastikcontainer mit Lösungsmitteln und Farben. Wer davor steht, sieht links an der Wand das Bild der Heiligen Mutter Maria, direkt über dem Notausgang. Kurz davor hängt an fünf Stahlringen von der Decke eine vier mal vier Meter große Plane. „Führungsmission und Zusammenarbeit“ steht darauf. Sieben Punkte folgen: Vorbild zu sein, nach Lösungen zu suchen oder Dankbarkeit zu zeigen etwa. Alle Punkte haben ein Symbol: eine Sonne, einen Stern oder ein Herz, das über einer Handfläche schwebt.

Zwischen globalen Standards und lokaler Anpassung

Wirtschaft, Unternehmen und Gesellschaft sind einer exponentiellen Entwicklung ausgesetzt, beschleunigt durch Globalisierung und Digitalisierung. Was vor allem HR weltweit in die Verantwortung bringt, in der Personalarbeit lokale Gegebenheiten mit globalen Standards in Einklang zu bringen. Dabei geht es um nichts weniger als um einen strategischen Masterplan.

Ein Beitrag von EMMANUEL SIREGAR

Die Globalisierung ist eine der großen Herausforderungen und HR steht an der Spitze der organisationalen Veränderungen. Die Auswirkungen der Globalisierung prägen Unternehmensstrategie, Marktauftritt, internationale Umsatz- und Ergebnissteuerung, Unternehmenskultur und die jeweilige Architektur der Organisation. Das betrifft die Personalarbeit nicht nur in Großkonzernen, sondern auch in kleineren und mittleren Unternehmen. Auch für sie stellt sich die Frage nach der generellen Unternehmenssteuerung, der prozessualen Gestaltung internationaler Wertschöpfungs- und Lieferketten, der integrierten Führung von im Ausland agierenden Mitarbeitenden oder ganzer Auslandsniederlassungen. Mit Blick auf die Zukunft ist zu erwarten, dass sich die Globalisierung in unverändertem, vielleicht sogar noch höherem Tempo fortsetzen wird.

Die zeitliche Abfolge der Impulse allein aus den Bereichen der Informations- und Kommunikationstechnologie machen deutlich, dass wir alle nicht einer linearen, sondern einer exponentiellen Entwicklung ausgesetzt sind,

die die gesamte Gesellschaft durchdringt und politische, wirtschaftliche, soziologische und kulturelle Implikationen nach sich zieht. Immer mehr Unternehmen aus Schwellenländern und Entwicklungsländern drängen aktiv in den deutschen Markt, Produkte und Dienstleistungen müssen sich zunehmend dem internationalen Wettbewerb stellen. Für den deutschen Mittelstand könnte sich dies insbesondere im Dienstleistungssektor auch als Chance erweisen, da hier die Größe des Unternehmens nicht so entscheidend ist wie im produzierenden Gewerbe. Die Globalisierung bietet enorme Chancen für den Arbeitsmarkt. Schon heute sichern Exporte mehr als 40 Millionen Arbeitsplätze in der Europäischen Union.

Länderübergreifende Synergien statt Produkt-Gleichmacherei

Das theoretische Fundament der Globalisierung ist die von Dirk Sauerland beschriebene Konvergenztheorie, die ursprünglich aus den Sozialwissenschaften stammt. Die

zugrundeliegende Hypothese war, dass sich zunächst unterschiedliche soziale Systeme in Richtung des je besseren Modells entwickeln und verwirklichen. Die sich vollziehende Konvergenz macht nur noch Abweichungen von diesem Zielmodell erklärungs- und korrekturbedürftig (J. W. Meyer, J. Boli-Bennett, C. Chase-Dunn, 1975). Aufgrund technischer und wirtschaftlicher Entwicklungen werden länderspezifische oder kulturelle Differenzen mehr und mehr obsolet. Es war dann der deutsch-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Theodore Levitt, der den Begriff „global“ in seiner Ausgabe der Harvard Business Review im Jahr 1983 entscheidend prägte. In seinem Aufsatz The Globalization of Markets prophezeite Levitt das „Ende der multinationalen Konzerne“, die nur eine differenzierte, länderspezifische Marktbearbeitung betreiben. In seiner Beobachtung löste gerade eine Phase der Globalisierung der Märkte die vordem herrschende multinationale Handelswelt ab. Ein multinationaler Konzern ist in vielen Ländern tätig, passt aber Produkte, Prozesse und Strukturen der jeweiligen Landesgesellschaft an, dies zu relativ hohen Kosten, ohne jemals synergetische Effekte zu erzielen. Ein globales Unternehmen operiert mit sehr viel niedrigeren Kosten, so, als wäre die ganze Welt ein Land. Es entwickelt, produziert und vertreibt überall auf der Welt möglichst die gleichen Dinge auf die gleiche Art und Weise. Diese Grundentscheidung in der Sichtweise ist fundamental. Denn es entlarvt den multinational agierenden Manager als denjenigen, der zu entgegenkommend agiert. Er gibt den Kunden das, was sie sagen, dass sie es wollen, anstatt zu versuchen, genau zu verstehen, was sie wollen würden. Maßgeschneiderte, multinationale Produkte, Prozesse und landesübliche Praktiken stehen immer gegen eine globale Standardisierung. Dabei geht es laut Levitt nicht um eine Missachtung lokaler Differenzierung, sondern darum, Dinge vielleicht standardisiert anders und besser zu gestalten und nach länderübergreifenden Synergien zu suchen.

Bei Einführung eines globalen HR­Systems muss deutlich werden, dass ein Mehrwert entsteht, für den Einzelnen wie für das Ganze.

der richtigen Antwort nur Covid als Pointe zu, etwas makaber und fatalistisch, aber vielfach vermutlich wahr. Unabhängig davon befinden wir uns immer noch in diesem Prozess, der mit dem explosiven Auftreten von ChatGPT einen weiteren Schub erzielen durfte. Digitale Transformation –und zumal in Verbindung mit künstlicher Intelligenz – ist eins der brennendsten Themen der Welt und stellt auch für uns die Weichen zukünftiger Entwicklung von HR. Natürlich ist es wahr, dass mit fortschreitender Digitalisierung unsere Arbeitswelt entscheidend revolutioniert wird. Dennoch ist es so, dass bisher jeglicher technische Fortschritt in Deutschland nicht zu weniger Arbeit geführt hat, sondern zu einer Umschichtung von Arbeitsplätzen. Moderne Technologien bewirken Veränderungen in der Automobilindustrie (Robotik), im Einzelhandel (Selbstbedienungskassen), im Bankensektor (Onlinebanking) und in der Medienlandschaft (Journalismus und KI-gestützte Artikel), aber nicht nur dort: auch in der Verwaltung (Verwaltungsmitarbeitende und Automatisierung), in der Logistik (Lagerarbeiter durch automatisierte Systeme) und in der Gastronomie (Bedienungskräfte und BestellApps) werden Veränderungen sichtbar werden. Die Tendenz zeigt einen deutlich höheren Anstieg bei höher qualifizierten Berufen, aber selbst bei weniger qualifizierten Berufen wurden immer noch mehr neue Stellen geschaffen als abgebaut.

HR-Business-Partnerschaft mit hohem Wirkungsgrad

Digitale Transformation in global agierenden Personalbereichen

Zum Ende der Covid-Zeit gab es die intelligente Zwischenfrage zum Sachstand der digitalen Transformation in Unternehmungen: Ob es nun der CEO der eigenen Firma, der CTO oder Covid gewesen sei, der die digitale Transformation entscheidend vorangebracht habe. Natürlich ließ die Suche nach

Aber auch bestehende Berufsbilder entwickeln sich weiter und lassen ihre berufsspezifischen Ergebnisse digital transformieren und damit verbessern. Einfache Tätigkeiten können automatisiert werden, indes wächst der Bedarf an höherer Qualifikation mit spezialisiertem Knowhow, denn komplexe administrative Prozessketten gilt es zu überwachen. Infolgedessen wird es einen massiven Weiterentwicklungsschub geben mit flächendeckenden Umschulungsprogrammen. Strategische Arbeitskraft- und Arbeitsplatzplanung mit vorausschauenden Planungsanalysen sind das Gebot der Stunde. Die Digitalisierung bietet der HR-Business-Partnerschaft ungeahnte Möglichkeiten und hohen Wirkungsgrad. Denn noch nie hat sich HR so intensiv mit der Leistungsfähigkeit von Daten beschäftigen müssen, um Einblicke in Personal- und Organisationsentwicklung zu gewinnen. Das betrifft Fluktuationsraten,

Standhaft im Sturm

Tanja Cohrt fuhr acht Jahre zur See, nun steuert die ehemalige Kapitänin die Personalpolitik des Hamburger Fährdiensts HADAG.

Ein Porträt von CHARLEEN RETHMEYER

Tanja Cohrt ist Vorständin für Personal und Betrieb des Hamburger Fährdienstes HADAG und Geschäftsführerin der Alster-Touristik. Sie arbeitete bislang seit 2019 als Prokuristin und Betriebsleiterin für den Seetouristik- und Fährdienstleister. Die Kapitänin fuhr vor ihrer Tätigkeit bei der HADAG für den Burger Bereederungs Contor weltweit Containerschiffe.

Mitte Juni. 14 Grad. Regen. Wind. Hamburg. Das Verwaltungsgebäude des Hamburger Fährdienstes HADAG liegt im Hamburger Hafen und bewegt sich stetig in den Wellen. Eine Bewegung, die auch in den Räumlichkeiten spürbar ist. Das ständige Schaukeln macht der ehemaligen Kapitänin Tanja Cohrt nichts aus. „Man gewöhnt sich dran.“

Von Karlsruhe ans Meer

Vom vertrauten Gefühl des Wellengangs war die gebürtige Karlsruherin in ihrer Kindheit in Mittelhessen noch weit entfernt. „Außer mit gelegentlichen Besuchen am NordOstsee-Kanal hatte ich keine Berührungspunkte mit der Seefahrt.“ Maschinenbauerin wollte sie werden. Vorbild sei ihr Vater gewesen: Ein studierter Maschinenbauer, der technisch interessiert war, viel von seiner Arbeit erzählte und seine Tochter mit dieser Begeisterung ansteckte. Diesen beruflichen Weg ist Cohrt allerdings nicht zu Ende gegangen, trotz eines bereits absolvierten Praktikums als Industriemechanikerin, das sie auf den Beruf vorbereiten sollte. Das Interesse an Technik habe sie aber nie verloren. „Solche Fußstapfen setzen jedoch Erwartungen. Nicht unbedingt von außen, sondern vor allem von mir an mich selbst. Zu diesem Zeitpunkt war es für mich besser, einen anderen Weg einzuschlagen.“ Viel ausschlaggebender sei aber noch etwas anderes gewesen.

„Kurz vor dem Abitur packte mich die Abenteuerlust“, erinnert sich Cohrt. Sie schaute sich nach Alternativen um und landete schließlich in Bremen. Die dortige Hochschule bot ein Nautikstudium an – technisches Wissen kombiniert mit Abenteuer. Und: Der Diplomstudiengang startete gleich mit einem Praxissemester. Zuerst war es ein Studium auf Probe. Mal schauen, wie es gefällt. Tanja Cohrt ist geblieben und schwärmt: „Es war einfach cool. Ich hatte eine tolle Reederei, eine tolle Besatzung, ein tolles Fahrtgebiet mit Süd- und Nordamerika. Und das Studium war noch viel besser.“

Rückendeckung

Nach ihrem Studium heuerte die Hochschulabsolventin 2010 als zweiter Nautischer Offizier beim Burger Bereederungs Contor an. Bei der familiengeführten Reederei absolvierte sie bereits ihr erstes Praxissemester und sammelte neben Meilen auf See viele positive Erfahrungen. Ausschlaggebend für ihre Wahl war nicht die größte Flotte, sondern der gute Zustand der Schiffe und die hohe Identifikation mit ihrem Arbeitgeber. „Vor allem haben sie immer hinter mir gestanden, egal was passiert ist.“ Cohrt spricht direkt an, was vermutlich vielen durch den Kopf geht: Eine junge Frau als Offizierin auf einem Containerschiff. „Frauen in der Seefahrt oder generell in männerdominierten Branchen haben es teilweise immer noch sehr schwer. So traurig es ist, wir haben noch sehr viel Arbeit vor uns.“ Sie spricht offen von Mobbing und sexueller Belästigung in der Branche. Auch sie habe diese Erfahrungen machen müssen. „Trotzdem stand meine Reederei zum richtigen Zeitpunkt immer hinter mir und zog die erforderlichen Konsequenzen. Ich konnte immer mit einem guten Gefühl weiterarbeiten.“ Ein wichtiger Grundpfeiler ihrer Arbeit, wie Tanja Cohrt verdeutlicht. „Ohne diesen Rückhalt hätte es meine Karriere so nie gegeben.“

Je weiter sie in der Hierarchie an Bord aufstieg – und sie stieg schnell auf –, desto mehr verbesserte sich ihre Situation. Jeder Dienstgrad brachte mehr personaldisziplinarische Funktionen mit sich. Spätestens als sie im Jahr 2016 zur Kapitänin befördert wurde, war ihr klar: Wer Probleme mit einer Frau an Bord hatte, fuhr erst gar nicht mehr mit. Schlussendlich habe ihr auch ein dickes Fell geholfen und die Genugtuung zu zeigen: Ich bin immer noch da und ich werde bleiben.

Monatelang unterwegs

Acht Jahre fuhr Cohrt beruflich zur See. Weltweit steuerte sie Häfen an: Im Nord- und Ostseeraum genauso wie im Mittelmeer. Knapp zwei Jahre war sie als Kapitänin auf einem Containerfeeder hauptsächlich in Nordeuropa unterwegs, fuhr aber auch über den Atlantik nach Kuba. Je nach Schiffsgröße immer mit 900 bis 2.500 Containern an Bord. Und das Schiff dabei als ein eigener Mikrokosmos. Monatelang auf engsten Raum. Wie organisiert sich das Zusammenleben an Bord?

„Ohne diesen Rückhalt hätte es meine Karriere so nie gegeben.“

Gemeinsame Essenszeiten sind die Taktgeber und die Messen sind die Orte der Gemeinschaftlichkeit. In den Schiffsräumen werden die Mahlzeiten eingenommen und die Freizeit verbracht, oft aufgeteilt zwischen Offiziers- und Mannschaftsdienstgraden. Manchmal mit regional unterschiedlicher Küche, je nach Zusammensetzung der Crew. Das Zusammenleben ist jedoch nicht automatisch harmonisch und erfordert Anstrengungen von allen Beteiligten. Eine

Die Grenzenüberwinderin

Parnian Parvanta ist Vorstandsvorsitzende bei Ärzte ohne Grenzen. Bei ihren Einsätzen als Ärztin und Gynäkologin erfuhr sie, was Gesundheitsversorgung weltweit bedeutet. Das hat ihre Einstellung zu Grenzen geprägt.

Ärzte ohne Grenzen zeichnet sich aus durch … den klaren medizinisch-humanitären Ansatz der Organisation, ihren Wert der Unparteilichkeit und den hohen Anspruch an die Aufrechthaltung der medizinischen Ethik. Meinen ersten Einsatz hatte ich … im Jahr 2011 für neun Monate in der Zentralafrikanischen Republik, eines der Länder, das durch jahrelange Konflikte belastet ist. Die Gesundheitsversorgung der Menschen ist stark eingeschränkt und die Sterblichkeitsraten entsprechend hoch. Vor allem während der Malariasaison war es erschreckend, wie viele Kinder gestorben sind. Bei diesem Einsatz kam ich sehr an meine persönlichen Grenzen, da … ich gemeinsam mit meinen zentralafrikanischen Kolleginnen und Kollegen in einer kleinen Klinik vor allem Kinder mit Mangelernährung und schwerer Malaria behandelte. An einem Ort, an dem die nächste Gesundheitseinrichtung im Tschad mit dem Motorrad zwei Stunden entfernt war und man auch über den Fluss musste. Wir begleiteten auch Frauen in der Schwangerschaft und unter Geburt, hatten jedoch keine Möglichkeit für einen Kaiserschnitt, auch hierfür mussten die Patientinnen in den Tschad.

Als Vorstandsvorsitzende von Ärzte ohne Grenzen verantworte ich …

die strategische Ausrichtung der Organisation mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Vorstand. Zeitgleich sehe ich es als meine Aufgabe die Organisation in der deutschen Gesellschaft und unserem internationalen Netzwerk zu repräsentieren. Im Vorstand arbeiten wir eng zusammen mit … der Geschäftsführung und treffen gemeinsame, für die Organisation richtungsweisende Entscheidungen. Meine Tätigkeit als Gynäkologin weltweit war … vor allem die Geburtshilfe. Meistens war es die Begleitung von schwierigen Geburten. Zuletzt war ich zweimal als Trainerin im Irak, wo ich Ärztinnen und Hebammen im Ultraschall unterrichtete. Das war eine großartige Erfahrung, mit so wissbegierigen engagierten Kollegen und Kolleginnen zusammen zu arbeiten.

Internationale Zusammenarbeit ist für mich … eine Selbstverständlichkeit in einer globalen Welt, in der wir aufeinander angewiesen sind. All unser Handeln hat auf andere Menschen weltweit einen Einfluss und umgekehrt. Mein Job erfüllt mich, weil … er mir die Möglichkeit gibt, mich als Ärztin über nationale Grenzen hinaus für eine bessere medizinische Versorgung einzusetzen. Ich kann Menschen

unterstützen, denen es aufgrund von Naturkatastrophen, Epidemien oder Konflikten schon am Nötigsten zum Leben fehlt.

Herausfordernd finde ich … den Irrglauben, die Probleme unserer Zeit könnten durch nationales Denken gelöst werden. Zeitgleich wird das Minimum der Werte, auf die wir uns als Weltgemeinschaft geeinigt haben, wie das Völkerrecht, das Recht auf Asyl und das Recht auf eine medizinische Versorgung in Frage gestellt.

„Ohne Grenzen“ bedeutet für mich … nicht nur nationale Grenzen zu überwinden, sondern auch die Grenzen in unseren Köpfen. Das bedeutet: Nicht nur empathisch sein mit denen, die mir nahe oder ähnlich sind.

Die Welt braucht in meinen Augen mehr… Menschlichkeit und Solidarität. 

Die Fragen stellte Salome Häbe.

Parnian Parvanta ist seit Mai 2019 im Vorstand der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen und seit Juni 2023 Vorstandsvorsitzende. Zuvor war sie bereits stellvertretend in dieser Rolle tätig. Als Gynäkologin ist sie bei der Hilfsorganisation seit 2011 weltweit im Einsatz, arbeitete unter anderem in der zentralafrikanischen Republik, Indien, der Elfenbeinküste, Irak und Nigeria.

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