Magazin Human Resources Manager: Skills

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Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Haben Sie sich auch schon mal dabei ertappt, an alten Gewohnheiten unbedingt festhalten zu wollen, obwohl es vielleicht auch andere Wege gäbe? Und sie waren vielleicht überrascht zu merken, wie positiv es sein kann, sich auf Neues einzulassen?

In dieser Ausgabe widmen wir uns dem Themenschwerpunkt Skills. Zu den wichtigsten Zukunftskompetenzen zählen wohl die Veränderungsfähigkeit und der Wille, Altes zu verlernen, um Raum für neue Sicht- und Handlungsweisen zu schaffen. Die neue Arbeitswelt zwingt – vor allem in Bezug auf künstliche Intelligenz – zu neuer Vorstellungskraft, wie die Zukunft aussehen könnte. „Malen nach Zahlen“ wird hier nicht funktionieren. Wohl aber kann Malen an sich die Kreativität fördern. „Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt“, soll Albert Einstein mal gesagt haben. Vielleicht war Fantasie nie so wertvoll wie heute –und die Frage „Was kannst du?“ bekommt ganz neue Dimensionen, wie Kathi Preppner herausgefunden hat (Seite 26).

Künstliche Intelligenz ist das Schlagwort der Stunde, doch wie steht es um die Lernfähigkeit des menschlichen Gehirns? Dieser Frage ist Salome Häbe nachge gangen (Seite 40).

In einem bewegenden Porträt erzählt Jeanne Wellnitz

vom Umdenken eines ehemaligen Marketingmanagers, der seine Fähigkeit heute im Kampf für Moore einsetzt (Seite 48). Wie wichtig Team-Skills sind und was wir von der Luftfahrt lernen können, um Teams stark und erfolgreich zu machen, erklärt uns eine Ausbildungskapitänin im Interview (Seite 32).

Petra Walther hat nachgefragt, wie Unternehmen die Veränderungsbereitschaft und den Lernwillen mit einer einladenden Lernkutur unterstützen können (Seite 36).

Charleen Rethmeyer beleuchtet ein Thema, das schon früh die Weichen für Bildung stellt und möglicherweise auch die Karriereentwicklung von Erwachsenen beeinflusst: Wie wirken sich fehlende Betreuungsplätze für Kinder auf Unternehmen aus? (Seite 10)

Ich danke allen, die an dieser Ausgabe mitgewirkt haben, und wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, Fantasie und Mut, neue Fähigkeiten an sich selbst zu entdecken.

Bleiben Sie belesen!

Herzlichst, Sabine Schritt Leitende Redakteurin des Human Resources Manager

Diskutieren Sie mit uns Themen aus unserem Magazin, oder was die HR-Community gerade bewegt, auf unserem Linkedin-Kanal Magazin Human Resources Manager, auf Instagram unter @hrm_magazin oder schreiben Sie uns an info@humanresourcesmanager.de.

Inhalt

Alexander Kornelsen gab seinen Marketingjob auf und gründete die Initiative Mission to Marsh. Seitdem setzt er sich für die Rettung der Moore ein.

3 Editorial

6 Fachkräftenachwuchs fördern

BIBB-Präsident Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser über den Status Quo der beruflichen Bildung und Auswege aus dem Fachkräftemangel.

Von Sabine Schritt

TRENDS

9 Zahlen und Meldungen

10 Fehlende Kinderbetreuung Mangelnde Kitaplätze kommen auch Unternehmen teuer zu stehen.

Von Charleen Rethmeyer

15 Ein neuer Job für … Katrin Janeczka als neue Geschäftsführerin bei Netzwerk Chancen.

16 Kolumne

HR ist tot – es lebe HR?

Von Frank Kohl-Boas

18 Meine Arbeitswelt Emmelie König, Gründerin von MINTD.

Von Salome Häbe

IMPULS

20 Motor für Veränderungen Wie HR Kompetenzen für die Zukunft entwickeln kann.

Von Anne M. Schüller

SCHWERPUNKT: Skills

26 Was kannst du? Auf der Spur der Future Skills.

Von Kathi Preppner

32 Team-Kompetenzen Lufthansa-Pilotin und -Ausbilderin Cordula Pflaum verrät im Interview, was Teams stark macht.

Von Sabine Schritt

36 Lebenslanges Lernen Wie eine einladende Lernkultur in Organisationen aussehen kann.

Von Petra Walther

In Deutschland fehlen über 400.000 Betreuungsplätze. Das bekommen Eltern und Unternehmen zu spüren. Beide Seiten brauchen Lösungen.

40 Menschliche Intelligenz

Über unser lernfähiges Gehirn und künstliche Intelligenz.

Von Salome Häbe

44 Mails, Chats, Emojis

Warum digitale Kommunikation eine stärkere menschliche Note braucht.

Von Sandra Niedermeier, Claudia Müller-Kreiner und Svenja König

48 Der Moorfluencer

Der Gründer von Mission to Marsh, Alexander Kornelsen, im Porträt.

Von Jeanne Wellnitz

52 CSRD in der Personalarbeit

HR wird zur Schlüsselfunktion in der Umsetzung der Nachhaltigkeitsberichterstattung.

Von Julia Irina Rosenkranz und Ulrich Helzer

56 KI im Skillmanagement

Wie sich KI im Department Learning und Development einbinden lässt.

Von René Janssen

Niels Herwegh hat in seiner Master-Thesis untersucht, welchen Einfluss KI auf das Recruiting nimmt. Dafür bekam er den BPMNachwuchsförderpreis.

PRAXIS

ANALYSE

58 Vor dem KI-Sturm Wie zeitgemäße Talent- und Workforce-Modelle aussehen könnten.

Von Nicole Peichl und Sebastian Unterreitmeier-Lessig

PERSONALARBEIT

62 KI im Recruiting

Neue Chancen in einer von menschlichem Kontakt geprägten Domäne.

Von Niels Herwegh

Im KI-Hype scheint das große Potenzial der menschlichen Intelligenz manchmal in Vergessenheit zu geraten. Zeit für einen kleinen Exkurs in unser lernfähiges Gehirn.

66 Dos and Don’ts

Einsatz von Persönlichkeitstests.

Von Anna-Magdalena Kölzer

68 Mentoring

Unterschätzter Booster für die Personalentwicklung.

Von Thomas Hartenfels

72 Über den Tellerrand Einblick in andere Arbeitswelten. Diesmal: Polen.

Von Carolin Christin Schmidt

74 Reingeschaut

Ausgewählte Neuerscheinungen.

76 Rezension

Franziska Saxler: „Er hat dich noch nicht mal angefasst.“

Von Salome Häbe

78 Sieben Gedanken

Dana Hoffmann und Hendric Mostert über Konfliktkultur.

RECHT

80 Aktuelle Urteile

Von Pascal Verma

82 Essay

Wie Skill-Datenbanken rechtssicher aufgebaut werden können.

Von Christoph Seidler und Sophie-Luise Ninnemann

84 Impressum

VERBAND

86 Editorial

87 KI für HR 88 Fachgruppentag Gesundheitsmanagement

LETZTE SEITE

90 Die Weiterbildungsfinderin

Lara Körber ist Mitgründerin des Portals Bildungsurlauber.

Von Salome Häbe

„Wir müssen uns auf das Potenzial fokussieren“

Nicht der Mensch muss ins Bildungssystem passen, sondern das System zum Menschen, meint Friedrich Hubert Esser. Warum das Ausbildungsangebot individueller werden muss und wie man das Image der dualen Ausbildung aufpolieren könnte, erklärt der BIBB-Präsident im Interview.

Herr Professor Esser, die Auszubildenden sind die Fachkräfte von morgen, die die Wirtschaft händeringend braucht. Laut aktuellem BIBB-Datenreport konnten im Ausbildungsjahr 2022/2023 allerdings von 562.600 Ausbildungsplätzen nur 489.200 besetzt werden. Welche Faktoren spielen hier eine Rolle?

Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser: Zwei wesentliche Faktoren spielen hier die entscheidende Rolle: die demografische Entwicklung und der Bildungstrend. Es kommen weniger junge Menschen nach bei gleichzeitigem Ausscheiden der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt. Daraus ergibt sich schon rein quantitativ ein Problem. Das ist aber nicht alles. Wir stellen auch eine qualitative Veränderung fest. Zwischen den Jahren 2000 bis 2020 hat sich die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge erheblich reduziert. Wir hatten 1,7 Millionen Auszubildende im Jahr 2000, im Jahr 2020 waren es 400.000 weniger. Dieser Rückgang ist allerdings nicht nur demografisch begründet, sondern hat auch etwas mit dem Bildungstrend zu tun. Denn im gleichen Zeitraum ist die Zahl

der gemeldeten Erstsemester an den Hochschulen erheblich gestiegen. Im Ausbildungsjahr 2015/2016 hatten wir den Höchststand bei der Studienanfängerquote von über 50 Prozent, die sich jetzt auf um die 46 Prozent eines Schulabgangsjahrs einpendelt. Das ist eine Entwicklung, die für bestimmte Branchen und Berufe erhebliche Konsequenzen hat und viel mit ihrem Image als Ausbildungs- und Arbeitsbereich zu tun hat. Die Lebensmittelbranche, Hotellerie, Handwerksbetriebe und Baugewerbe beispielsweise brauchen dringend Nachwuchs und haben große Probleme, ihre Stellen zu besetzen. In den Berufen der Kommunikations- und IT-Branche sieht es nicht so problematisch aus. Auch die kaufmännischen Berufe sind bei jungen Leuten nachgefragt. Von einer mangelnden gesellschaftlichen Anerkennung kann hier nicht gesprochen werden, wenn es auch hier Besetzungsprobleme gibt. Beispielsweise deshalb, weil Unternehmen in ihrem regionalen Umfeld die für sie passenden Auszubildenden nicht finden. Wir gehen davon aus, dass wir in den kommenden zehn Jahren nicht in der Lage sein wer-

den, den Fachkräftebedarf nur über das inländische Potenzial zu sichern. Deshalb müssen wir auf jeden Fall auch auf qualifizierte Zuwanderung setzen. Gibt es eine Tendenz, dass zunehmend geflüchtete Jugendliche in der Ausbildung ankommen? Wichtig ist, dass die Wirtschaft die Signale sendet, dass dies gewollt ist. Das sehen wir auch. Aber die Zahlen sprechen in diesem Bereich immer noch eine andere Sprache. Das heißt, viele Menschen mit Migrations- oder Fluchthintergrund haben keinen oder einen schlechten Schulabschluss und damit nur eine geringe Chance auf einen Ausbildungsplatz. Hinzu kommen sprachliche Barrieren, auch für zugewanderte Menschen, die ausbildungswillig und -fähig sind. In vielen Berufen spielt Sprache eine große Rolle – aber eben nicht in allen. Wir sollten deshalb überlegen, ob man nicht zum Beispiel bei Berufen mit hohen praktischen, jedoch eher weniger Sprachanteilen das geforderte sprachliche Niveau senken sollte. Sie haben gerade die gesellschaftliche Anerkennung angesprochen. Die duale Berufsausbildung ist ein

Ein Interview von SABINE SCHRITT

Vorzeigemodell Deutschlands, in vielen anderen Ländern gibt es das nicht. Warum fehlt es gerade im eigenen Land an Anerkennung für diesen Qualifizierungsweg? Das Anerkennungsproblem, das wir in der Berufungsausbildung haben, ist tief in der Gesellschaft verwurzelt. Insbesondere in den 1960er Jahren entwickelte sich eine Bewegung in Deutschland mit dem Schlagwort: Aufstieg durch Bildung. Dieses Versprechen hat seinerzeit eine Bildungsexpansion ausgelöst. Da hat etwa der Opa noch unter Tage im Bergbau gearbeitet, sein Sohn hat eine kaufmännische Ausbildung gemacht, war also aus dem Bergbau raus, und seine Enkel studieren heute. Dies skizziert eine

Erfolgsgeschichte über Generationen hinweg, wie sie für Nordrhein-Westfalen typisch ist. Abitur zu machen und ein Studium zu beginnen, gilt immer noch als Königsweg. Viele akademische Berufe sind in der Folge bis heute hochanerkannt, nicht wenige Ausbildungsberufe im Vergleich weniger –obwohl ja auch der Akademiker nicht auf seinen Installateur und Bäcker verzichten möchte.

Wir machen leider in der Berufsorientierung die Erfahrung, dass nicht wenige junge Leute, die Interesse an einem Handwerksberuf haben, damit in ihrem sozialen Umfeld nicht auf Anerkennung stoßen – vor allem auch bei den Eltern nicht, die hier einen großen Einfluss auf ihre Kinder

Esser

ist seit 2011 Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und seit 2005 Honorarprofessor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. 2004 übernahm er die Leitung der Abteilung „Berufliche Bildung“ beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) in Berlin, wo er bis zur Übernahme des Amtes als BIBBPräsident tätig war. Esser absolvierte eine Ausbildung im Bäckerhandwerk und erlangte sein Abitur über den „zweiten Bildungsweg“. Er studierte zunächst Wirtschaftswissenschaften, später Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik und promovierte an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln.

haben. Um dieses über Jahrzehnte sich entwickelnde Selbstverständnis ein Stück weit umzukehren, müssen wir wieder deutlicher machen, dass zum Beispiel auch in den Handwerksberufen sehr viel Bildung steckt. In diesem Sinne setzt sich das BIBB dafür ein, dass der deutsche Qualifikationsrahmen verrechtlicht wird, um deutlich zu machen, dass die Ergebnisse der beruflichen und der akademischen Bildung gleichwertig sind. Dies gesetzlich zu manifestieren, wäre ein wichtiges Signal in die Gesellschaft hinein. Manche Branchen sind auch nicht sehr attraktiv, was Gehalt oder Arbeitszeiten angeht. Da gehen viele Azubis schnell wieder. Welchen Einfluss hat das BIBB auf die

Am Limit

Über 400.000 fehlende Kitaplätze, Personalmangel, hoher Krankenstand. Die Betreuungskrise bringt Eltern an ihre Grenzen – und belastet auch immer mehr Unternehmen. Welche Lösungen sie finden (müssen).

Kita-Streik. Unbegrenzt. Ende September stockte sicherlich einigen Berliner Eltern der Atem. Gestreikt werden sollte nicht etwa für mehr Geld – Verdi und die GEW Berlin wollten mit einem Erzwingungsstreik für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Denn die Rahmenbedingungen und die Arbeitssituation in der Kinderbetreuung sind auch für die Erzieherinnen und Erzieher nicht mehr tragbar. Zwar untersagte das Arbeitsgericht den angekündigten unbefristeten Streik. Dennoch ist der Branche damit ein Aufschrei gelungen, mehr Aufmerksamkeit für die Missstände zu generieren, die für Kita-Personal, Unternehmen und Eltern eine zunehmende Belastung darstellen.

Durchschnittlich waren Beschäftigte in der Kinderbetreuung und -erziehung laut Bertelsmann Stiftung im Jahr 2023 an knapp 30 Tagen arbeitsunfähig, gegenüber rund 20 Tagen bei allen Berufsgruppen. Der Gesamtwirtschaft kosten nach einer Stepstone Befragung die fehlenden Betreuungsplätze 23 Milliarden Euro. Und nicht zuletzt ist der Mangel an Betreuungsplätzen für Eltern eine tägliche Herausforderung.

„Im letzten Winter waren meine Kinder zu 50 % zu Hause statt in der Kita oder im Kindergarten – sei es wegen Krankheit, Personalmangel, Kita-Ferien, Notbetreuung oder weil ich ihnen den chaotischen Zustand im Kindergarten nicht zumuten wollte“, machte Tugba Sahingöz ihrem Ärger auf Linkedin Luft. Für die IT-Beraterin seien die Unsicherheiten längst zum Alltag geworden, wie sie im Gespräch erzählt. Das schlechte Gewissen war ihr permanenter Alltagsbegleiter. Ihren Kindern gegenüber, dem Unternehmen und sich selbst. „Ich konnte meinen Beruf nicht mehr so ausleben, wie ich es gern wollte. Jahrelang studierte ich, um in meinem Traumjob zu arbeiten – und dann ging es einfach nicht mehr.“ Zeitweise war die

Lage besonders angespannt: Ihre Mutter zog vorübergehend bei der Familie ein, um sie zusätzlich zu unterstützen. Der Mann von Tugba Sahingöz sei beruflich viel unterwegs und die Betreuung im Kindergarten nicht mehr gewährleistet gewesen.

Die Betreuungskrise

„Wir bieten einen gestaffelten Kinderbetreuungszuschuss an, den vor allem Mitarbeitende in niedrigen Tarifgruppen beantragen können.“

Anna Kaufmann, Personalleiterin, Ritter Sport

Zwischen den benötigten Betreuungsplätzen in der Kita und dem tatsächlichen Bedarf herrscht eine gewaltige Kluft. Auf 430.000 fehlende Plätze beziffert die Bertelsmann Stiftung die Differenz im Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme. Dabei hat jedes Kind in Deutschland einen Rechtsanspruch auf Betreuung. Seit August 2013 gilt das für alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr. Zu den fehlenden Kitaplätzen kommt der hohe Krankenstand unter Erzieherinnen und Erziehern. „Beschäftigte in der Kinderbetreuung und -erziehung waren im Jahr 2023 durchschnittlich an knapp 30 Tagen arbeitsunfähig, gegenüber rund 20 Tagen bei allen anderen Berufsgruppen“, hält die Bertelsmann Stiftung fest. Nach Atemwegserkrankungen lagen psychische Erkrankungen auf dem zweiten Platz der Ausfallgründe. Doppelt so hoch wie bei allen anderen Berufsgruppen. Ein Teufelskreis, so steht es in der BertelsmannStudie. Denn die Krankenstände sorgen für noch mehr Belastung des Erziehungspersonals. Hinzu kommt, dass ein Großteil der Erzieherinnen und Erzieher selbst in Teilzeit arbeitet. Laut der Studie Nur Teilzeit in der Kita? der Hans-BöcklerStiftung sind nur 39 Prozent der Gruppenleitungen und 23 Prozent der Ergänzungskräfte in Vollzeit tätig. Mit einer Aufstockung der Teilzeitstellen ließen sich theoretisch mehr Betreuungsplätze gewinnen, allerdings würden nur sieben Prozent der Befragten ihre Arbeitsstunden erhöhen. Hinge-

Ein Beitrag von CHARLEEN RETHMEYER

Die Gewerkschaften Verdi und GEW fordern einen Tarifvertrag, der eine Entlastung der Beschäftigten und mehr Personal in den öffentlichen Kindertagesstätten vorsieht.

gen möchten 45 Prozent ihre Arbeitszeit sogar reduzieren. Das würde den bereits bestehenden Fachkräftemangel in der frühkindlichen Bildung weiter verschärfen. In dieser Studie zeigt sich ebenfalls, dass die eigene familiäre Sorgearbeit die Beschäftigten bindet. Während jüngere Fachkräfte (19 bis 30 Jahre) häufiger in Vollzeit arbeiten, leisten Beschäftigte im Alter von 31 bis 50 Jahren weniger Stunden ab. Ab 51 Jahren steigt die Vollzeitquote wieder an. Die Studie macht die hohe Arbeitsbelastung, familiäre Betreuungspflichten sowie eine gewünschte WorkLife-Balance als wesentliche Faktoren dafür aus, warum so wenig Beschäftigte ihre Arbeitszeit aufstocken wollen. Vielmehr gelte es, das bisherige Personal zu halten.

Fachkräftemangel, krankes Personal oder Notbetreuung durch Streiks: Wenn der Betreuungsschlüssel nicht eingehalten werden kann, müssen Gruppen geschlossen oder zusammengelegt werden. Für die Kinder bedeutet diese

Situation viel Stress. Auch Tugba Sahingöz kennt diese Situation nur zu gut. „Es hat mir wirklich das Herz gebrochen, mein Kind in eine Betreuungssituation zu zwingen, in der es den Stress um sich herum deutlich spürt. Nachmittags habe ich ein komplettes Nervenbündel abgeholt.“ Das schlechte Gefühl, ob das Kind gut betreut wird, begleitete sie den ganzen Tag. Die Betreuung im Homeoffice sei nur eine Notlösung. Die fehlenden Betreuungsplätze sind nicht länger mehr nur ein Problem für Eltern. Die Stepstone-Studie Working Parents and Beyond beziffert den gesamtwirtschaftlichen Schaden des Kita-Notstands auf rund 23 Milliarden Euro. Rund 1,2 Milliarden Arbeitsstunden pro Jahr könnten nicht geleistet werden – weil die Betreuungsangebote nicht ausreichen.

„Das Lebensarbeitszeitkonto gibt Mitarbeitenden die Freiheit, längere Auszeiten zu nehmen, sei es für die Familienphase oder die Pflege von Angehörigen.“

Stefanie Hansen-Heidelk, Personalleiterin, Berliner Stadtreinigung

Unternehmen springen ein

In knapp einem Drittel aller Unternehmen führt die schlechte Betreuungssi-

Beginn der Streikwoche der Berliner Kitas im Juli:

Das Potenzial der menschlichen Intelligenz

Jeden Tag hören wir von neuen Anwendungen im Bereich der künstlichen Intelligenz. Dabei wären sie ohne die menschliche Intelligenz gar nicht möglich. Im KI-Hype scheint das große Potenzial der menschlichen Intelligenz manchmal in Vergessenheit zu geraten. Zeit für einen kleinen Exkurs in unser lernfähiges Gehirn.

Ein

Wir leben in einer Welt, die zunehmend von künstlicher Intelligenz geprägt ist. Täglich hören wir von neuen Tools und Fortschritten, die uns zeigen, wie Maschinen lernen, denken und sich Wissen aneignen. Dabei sollten wir nicht den Ursprung vergessen: die menschliche Intelligenz. Im alltäglichen Sprachgebrauch wird Intelligenz oft im weitesten Sinne verwendet: als Synonym für die allgemeine Fähigkeit zu denken. Dabei beschränkt sich die kognitive Intelligenz laut dem Neurowissenschaftler Henning Beck auf „die Fähigkeit, Probleme effizient zu lösen“. Beck ist studierter Biochemiker und Neurowissenschaftler. Kognitive Intelligenz definiert er weiter als „ein Optimierungsverfahren im Gehirn“. Sie ermöglicht es uns, unsere Denkressourcen so effizient wie möglich einzusetzen. Je intelligenter ein Mensch ist, desto weniger Aufwand muss er in der Regel betreiben, um ein bestimmtes Problem zu lösen. Laut Beck sei Intelligenz nicht in einem bestimmten Hirnareal zu verorten, sondern „eine Fähigkeit, die entsteht, wenn verschiedene Hirnareale miteinander interagieren“. Ähnlich wie in einem Orchester, für das viele verschiedene Instrumente nötig sind, damit eine harmonische Melodie entstehen kann. Intelligenz brauche etwa 20 bis 22 Jahre, um organisch ihr Maximum zu erreichen. Danach bleibe die Intelligenz eines Menschen über die Jahre aber relativ konstant, erklärt Beck. Das liege vor allem daran, dass die Nervenfasern lange Zeit brauchen, um sich entsprechend zu strukturieren.

Der Schlüssel zur Intelligenz

„Intelligenz ist eine kognitive Eigenschaft, die sehr stark von den Genen beeinflusst wird“, sagt Beck. Die Gene geben das Maximum dessen vor, was Menschen an Intelligenz erreichen können. Aber nur weil jemand gute Gene hat, sei er noch lange nicht intelligent. Ob dieses Maximum erreicht werde, hänge von Umweltfaktoren ab.

Das bestätigt auch Elsbeth Stern, Psychologin und Professorin für Lehr- und Lern-Forschung an der ETH Zürich: „Wer die besten genetischen Voraussetzungen hat, aber nicht lesen, schreiben, lernen oder rechnen kann, wird nicht die

Beitrag von SALOME HÄBE

Der Moorfluencer

Alexander Kornelsen gab seinen Marketingjob auf und setzt seine Marketing-Skills fortan für die Rettung der Moore ein.

Ein Porträt von JEANNE WELLNITZ

Alexander Kornelsen hat lange Zeit DAX-Unternehmen und Mittelständler im Bereich Innovation beraten. Er war Head of Marketing bei der Grow Digital Group und Partner bei der Unternehmensberatung Venture Idea. Gemeinsam mit Lisa Nölting hostete er fast 200 Folgen des Xing-Podcasts New Work Stories. Im einsamen Lockdown 2021 nahm Alexander Kornelsen sich vor, 100 Bücher zu lesen und bekam dadurch neue Energie. 2022 gründete er mit seiner Frau Ann Christin die Non-Profit-Organisation Mission to Marsh. Kornelsen studierte Volkswirtschaftslehre in Göttingen und wohnt mit seiner Familie in Osnabrück.

In der Schule war er ein Außenseiter, schaffte gerade so das Abitur und studierte schließlich etwas lustlos VWL in Göttingen. „Meine Loser-Zeit“, nennt Alexander Kornelsen diese Phase seines Lebens. „Ich konnte alles irgendwie ein bisschen“, sagt der heute 37-Jährige. Ein herausragendes Talent, das habe er nicht, war er von sich überzeugt. „Du darfst keine Schwäche zeigen!“, hatte ihn seine kasachische Familie stets mit auf dem Weg gegeben: Ein Leitsatz, der ihn als Heranwachsender nicht unbedingt guttat. Als Student begann er schließlich bei einem Spielepublisher und hatte als Marketer plötzlich Erfolg. „Ich merkte, wie gern ich arbeitete“, erinnert er sich. Aufgeblüht sei er. Später stieg Kornelsen als Berater bei einer Innovationsagentur ein. Mit dem Erfolg kam der Konsum: „Ich stellte mir meine riesige Wohnung mit Möbeln voll, um dann irgendwann in einer Ecke zu sitzen und zu weinen.“ Das war nicht das Leben, das ihn glücklich machte. Er fragte sich: Ist Arbeit wirklich alles?

Lebenswandel

Er änderte sein Leben radikal, lebte und arbeitete in einem Van, ging pilgern, surfen, skydiven. Er trampte und couchsurfte durch die Türkei, setzte zwei erfolgreiche Podcast-Projekte um, organisierte Events, schrieb an einem Buch mit –und wurde zum Experten für New Work. Rastlos, nannten ihn seine Freunde. Die Komfortzone verlassen, war es für ihn. Angst? Treibt ihn an. Er hatte eine Sehnsucht nach etwas, das ihn immer wieder Extremes ausprobieren ließ. Er hatte dabei aber irgendwie immer auch das Gefühl, eine Rolle zu spielen.

Schließlich verließ er die Innovationsagentur und heuerte als Business Developer beim Medienhaus NOZ Digital an. Umzug nach Osnabrück. Dann brach plötzlich Corona aus. Stillstand. „Ich merkte durch die Pandemie, dass ich vielleicht doch nicht so extravertiert bin, wie ich immer dachte“, sagt Alexander Kornelsen. Er begann das Alleinsein zu mögen, sich für Minimalismus zu begeistern. Dennoch fühlte er sich einsam in der fremden Stadt. Also forderte er sich selbst erneut heraus und postete auf Linkedin ein Foto, auf dem er neben einem Stapel Bücher stand. 100 Stück. Die will er alle bis zum Jahresende 2021 gelesen haben. „Ich holte mir morgens einen Kaffee, verkroch mich ins Bett und las vor der Arbeit, in den Pausen, zum Feierabend“, erzählt er. Damit ging es ihm besser. Diese Erfahrung, sich etwas vollständig selbst zu erschließen, erfüllte ihn. Denn ein solches Erlebnis kann man nicht kaufen. Er las vor allem Bücher über die Klimakrise und wurde wütend über all das Unheil, dass die Menschheit in der Natur anrichtet. Diese Energie, sie musste irgendwohin. Nur wo? „Ich war damals echt booksmart, aber hatte kein Ziel“, sagt er. Dann kam Anni.

Die Begegnung

„Ich merkte durch die Pandemie, dass ich vielleicht

doch nicht so extravertiert bin, wie ich immer dachte.“

Sie saßen bei ihrem ersten Date: Er, der Marketingprofi auf der Suche nach Sinn. Sie, die Geologin, die seit Jahren zum Klimaschutzpotenzial von Mooren forscht. Moore, really? „Wenn du in einem Satz sagen könntest, warum du dich ausgerechnet mit Mooren beschäftigst, wie würde der Pitch lauten?“, wollte er von Anni wissen. „Es gibt keinen effizienteren Weg, Kohlenstoff zu speichern, als mit Moorschutz“,

Die Weiterbildungsfinderin

Lara Körber kannte ihr Recht auf Bildungsurlaub lange Zeit nicht. So ergeht es auch vielen anderen Arbeitnehmern in Deutschland. Das frustrierte sie so sehr, dass sie Bildungsurlauber.de gründete. Warum Bildungsurlaub für Unternehmen und Mitarbeitende eine Bereicherung ist.

Ich habe Bildungsurlaub schon mal für … eine Weiterbildung zur ehrenamtlichen Sterbebegleiterin genommen. Unternehmen müssten bessere Voraussetzungen für Bildungsfreistellungen schaffen, indem … sie ihre Mitarbeitenden transparent über ihr Recht auf Bildungsurlaub aufklären: im Intranet, in Stellenanzeigen und in Mitarbeitendengesprächen. Vielen Beschäftigten ist die Möglichkeit für einen Bildungsurlaub nicht bewusst, weil … es keine gesetzliche Kommunikationspflicht auf Unternehmensseite gibt. Ich selbst wurde in meinen Festanstellungen nie über mein Recht auf Bildungsurlaub informiert – vielen Leuten in meinem Freundeskreis ging es ähnlich. Das hat mich sehr enttäuscht. Deshalb war mir damals schnell klar: kündigen und gründen.

Anspruchsberechtigt sind … alle Beschäftigten in Deutschland, außer in Sachsen und Bayern. Das Recht auf Bildungsurlaub nutzen allerdings nur knapp 3,5 Prozent. Das gilt es zu ändern.

Viele Beschäftigte nehmen den Bildungsurlaub nicht in Anspruch, weil … sie entweder ihr Recht nicht kennen

oder sie sich häufig nicht trauen, in ihrem Unternehmen nach Bildungsurlaub zu fragen. Denn: „Was könnte meine Chefin oder mein Chef denken, wenn ich ein Yoga-Seminar oder ein Resilienztraining beantrage?“ Jedoch angesichts jährlich steigender Krankentage sind gerade Seminare rund um mentale und körperliche Gesundheit eine Investition in die langfristige Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer. Beim Bildungsurlaub können Fähigkeiten gestärkt werden, die sonst … wenig Raum im Arbeitsleben finden, dieses aber enorm beeinflussen. Zum Beispiel Rückengesundheit, Burn-outPrävention, Soft Skills oder Kommunikationstrainings. Viele besuchen aber auch fachliche Weiterbildungen oder Sprachkurse – das ist den Beschäftigten selbst überlassen.

Die beliebtesten Bildungsurlaubsangebote … sind bei uns Sprachkurse und gesundheitsfördernde Seminare. Aber auch Bildungsurlaube zu gesellschaftlich relevanten Themen wie Klimawandel, Feminismus oder Antirassismus sind immer gefragter.

Bildungsurlaub ist gut fürs Employer Branding, weil … Unternehmen, die die ganzheitliche

Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden unterstützen, ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem sich Menschen gesehen und gefördert fühlen.

Mitarbeitende können durch Bildungsurlaub wachsen, denn ... sie haben die Chance, sich einmal fünf Tage am Stück intensiv einem Thema zu widmen.

Beim Bildungsurlaub kommt es vor allem darauf an, … sich mit Neugier auf ein Thema einzulassen und auch eigene Fähigkeiten jenseits des Arbeitsalltags zu erkennen.

Der perfekte Bildungsurlaub … darf auch Spaß machen. 

Die Fragen stellte Salome Häbe.

Lara Körber ist Mitgründerin von Bildungsurlauber.de, einem Aufklärungsund Kursfinderportal für Bildungsurlaub in Deutschland. Ihr Ziel ist es, den Zugang zu Bildungsurlaub zu vereinfachen, um ein besseres Arbeitsleben durch individuelle Mitarbeiterweiterbildung zu fördern. Foto:

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