Magazin Human Resources Manager: Emotionen

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EMOTIONEN


Für die besten Mitarbeitenden nur das Beste: Millionengewinne. Mitarbeitenden Chancen auf Millionengewinne schenken und gleichzeitig soziale Projekte fördern. So stärken Sie außerdem das soziale Image Ihres Unternehmens.

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EDITORIAL

Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Coverbild: Marcel Franke | www.typophob.de via DALL·E; diese Seite: Sebastian Höhn

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aben Sie auch schon mal im Team Schwingungen wahrgenommen, die Ihnen signalisierten: Hier stimmt etwas nicht? Inwieweit wir uns auf unser Bauchgefühl verlassen sollten und warum Emotionen auch eine rationale Kraft haben, sind nur zwei Aspekte in unserem Themenschwerpunkt Emotionen. Immer wieder kommt die Frage auf, wie viel Platz Emotionen im Arbeitsalltag haben sollten. Unsere Autorin Anne Hünninghaus ist dieser Frage in ihrem Essay nachgegangen und meint, wir sollten „mehr Emo wagen“ (Seite 24). Denn Emotionen lassen sich auf Dauer sowieso nicht verstecken. Körpersprache-Expertin Monika Matschnig erklärt, was Mimik und Körpersprache über unsere Emotionen verraten. Es gibt Berufe, in deren Ausübung man sich eigentlich keine Emotionen erlauben kann, beispielsweise im Richteramt. Richterin Ursula Mertens verhandelte den Prozess zum Halle-Attentat und machte etwas für ihre Profession Ungewöhnliches: Sie zeigte Gefühl. Unsere Autorin Jeanne Wellnitz hat ein einfühlsames Porträt gezeichnet (Seite 46). „Das Mitgefühl mit allen Geschöpfen ist es, was Menschen erst wirklich zum Menschen macht“, soll der Arzt und Philosoph Albert Schweitzer (1875 –1965) gesagt haben. Der ahnte von künstlicher Intelligenz noch nichts, was uns aber heute zu der Frage bringt, inwieweit KI auch in die menschliche Domäne der Emotionen und der Schlüsselkompetenz

Empathie eindringt. Darüber, was machbar und wünschenswert ist, habe ich mit Professor Martin Giese vom Hertie-­ Institut gesprochen (Seite 30). Charleen Rethmeyer hat sich in einer großen Recherche einem ebenfalls emotionalen Thema zugewandt: dem Ehrenamt. Wie Unternehmen ehrenamtliches Engagement fördern und damit einen wichtigen Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten, lesen Sie in unserem Fokus (Seite 10). Nach ihrem erfolgreichen Volontariat verstärkt Charleen seit Oktober das Team als Redakteurin. Salome Häbe ist seit Oktober als Volontärin an Bord der Redaktion. Ich danke allen, die an dieser Ausgabe mitgewirkt haben, und wünsche Ihnen eine spannende Lektüre und ein zuverlässiges Bauchgefühl. Bleiben Sie belesen!

Herzlichst, Sabine Schritt Leitende Redakteurin Human Resources Manager

Diskutieren Sie mit uns Themen aus unserem Magazin, oder was die HR-Community gerade bewegt, auf unserem ­Linkedin-Kanal Magazin Human Resources Manager, auf Instagram unter @hrm_magazin oder schreiben Sie uns an info@humanresourcesmanager.de. o k tober / novem b er 2023

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Gefühle helfen uns, in komplexen ­Situationen schlaue ­Entscheidungen zu treffen. Bewusst gesteuert, können E ­ mo­tionen eine große Kraft für V­erände­rungen und Problem­lösungen entfalten.

Editorial

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Kolumne HR ist tot – es lebe HR? Von Elise Müller

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Meine Arbeitswelt Linh Grethe, People & Culture Lead bei Zapliance. Von Charleen Rethmeyer

DEBATTE 6

„Hier kann ich sein, wie ich bin“ Psychologin Ina Goller über die Bedeutung von psycholo­gischer Sicherheit in der Transformation. Von Sabine Schritt

IMPULS IM FOKUS: ­ Mitarbeiterengagement 10 Corporate Volunteering Wie Unternehmen ehrenamtliches Engagement fördern. Von Charleen Rethmeyer

20 Gemeinsam stark Warum Resilienz keine Einzelleistung ist und Widerstandskraft mehr Teamwork braucht. Von Nele Groeger

SCHWERPUNKT: EMOTIONEN 24 Mehr Emo wagen Unser Auftaktessay. Von Anne Hünninghaus 30 Emotionale KI Ein Gespräch mit Professor ­Martin Giese über Machbares und Wünschenswertes. Von Sabine Schritt 34 Rationale Kraft der Emotionen Wie Gefühle unser Denken und Handeln bestimmen. Von Sebastian Harrer und ­Kristina Schinz

AUFGEFALLEN 15

Schnappschuss

INSIDE HR 16 Ein neuer Job für … Olivier Mey als Human Relations ­General Manager DACH bei L’Oréal.

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Viele Menschen engagieren sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich und leisten einen wichtigen Beitrag für unser Zusammenleben. Mit Corporate Volunteering bilden Unternehmen eine wichtige Schnittstelle.

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Abbildungen: wowwa/ Getty Images; PCH-Vector / Getty Images; picture alliance / dpa; KlinikClowns Bayern e. V.

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38 Ich sehe, was du fühlst Was Mimik und Körpersprache über unsere Emotionen verraten. Von Anna Friedrich

74 Rezension Nie gut genug von Thomas ­Curran. Von Jeanne Wellnitz

42 Glück im Job Warum Glücklichsein im Job viel mehr ist als nur Zufriedenheit. Von Petra Walther

76 Reingeschaut Ausgewählte Neuerscheinungen.

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46 Die Unverstellte Richterin Ursula Mertens im Porträt. Von Jeanne Wellnitz

78 Sieben Gedanken Heinke Wendler und Stefan Hund über Verlust und Trauer im Unternehmen. RECHT

Für HR und für Führungskräfte findet der

50 Stärke statt Defizit Menschen mit Autismus oder ADHS haben oft eine ganz ­besondere Gefühlswelt. Von Senta Gekeler

Aspekt der Neurodiversität immer mehr Beachtung. In einem inklusiven Umfeld in Unternehmen liegen viele Chancen.

PRAXIS 54 Moments that matter Kleine Erlebnisse mit großer ­Wirkung. Von Marcel Eberhardt

60 Die Königsdisziplin Potenziale einer purposeorientierten Unternehmensführung. Von Philipp Rebel

ANALYSE

HR-Kompetenzen sind eine ­zunehmende Anforderung in Aufsichtsräten. Denn diese sind maßgebliche Mitgestalter der Transformation.

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Impressum

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62 Dos and Don’ts Empatische Führung als Schlüssel für zufriedene Mitarbeitende. Von Sina Zeißler-Hofmann

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Editorial Das BPM-Netzwerk Eine Frage an ...

64 People Analytics Warum Data Literacy auf die HR-Agenda gehört. Von Nicole Reich 70 Europäische Betriebsräte Ein Kommentar zu den Reformplänen der EU. Von Gernot N. Brenscheidt

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82 Essay ESG-Reporting und was auf HR jetzt zukommt. Von Christoph Seidler und Johanna Reiland

VERBAND

56 HR im Aufsichtsrat Aktuelle Studie zeigt, wie es um HR-Kompetenzen im Aufsichtsrat bestellt ist. Von Katrin Winkler, Edda Feisel, Sandra Niedermeier, Stephan Weinert und Svenja König

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80 Aktuelle Urteile Von Pascal Verma

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72 Filmrezension Barbie und das stereotype ­Geschlechterbild. Von Anna Friedrich

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Hingehört HR Tec Talk von Michael Witt und Robindro Ullah.

LETZTE SEITE 90 Heiterkeit in dunklen Stunden Elisabeth Makepeace ­organisiert Clownsvisiten bei schwer ­kranken Menschen. Von Charleen Rethmeyer 5


D E B AT T E A K T U E L L

PSYCHOLOGISCHE SICHERHEIT

„Hier kann ich sein, wie ich bin“ Wer sich im Job psychologisch sicher fühlt, erfährt Wertschätzung und Vertrauen von anderen und muss keine Angst haben, sich lächerlich zu machen oder Fehler zuzugeben. Sondern hat eher das Gefühl, mit den Kolleginnen und Kollegen „Pferde stehlen zu können“. Ina Goller erklärt, woran man ein solches Umfeld erkennt und warum psychologische Sicherheit gerade in Zeiten des Wandels so bedeutsam ist. Ein Interview von Sabine Schritt

Frau Professorin Goller, seit vielen Jahren bildet das Thema psychologische Sicherheit einen Schwerpunkt Ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Wie kam es dazu? Ina Goller: Ich habe schon in ganz vielen Teams gearbeitet, auch als Jugendliche. Da fiel mir auf, dass Teams sehr unterschiedlich sind und manche gut, andere schlecht funktionierten. In meinem Psychologiestudium habe ich mich dann mit zwei Themen auseinandergesetzt, die mich schon immer fasziniert haben: Sozialpsychologie und Kognitionspsychologie. Das hat mich dann zu meiner Forschungsfrage gebracht, die ich im Rahmen eines Maschinenbau-Doktorrats an der ETH Zürich beantwortet habe: Gibt es soziale Faktoren, die harte Auswirkungen haben? Das hat mich über verschiedene andere Formen der Zusammenarbeitsmodelle zur psychologischen Sicherheit geführt. Was verstehen Sie genau unter dem Begriff „psychologische Sicherheit“? 6

Ich beziehe mich auf die Wissenschaftlerin Amy Edmondson, die 1999 ihren ersten Artikel dazu geschrieben hat. Psychologische Sicherheit ist die gemeinsame Überzeugung in einem Team, dass man nicht bestraft oder beschämt wird dafür, eigene Ideen zu haben, Vorschläge zu bringen, Fragen zu stellen, Zweifel anzumelden, Fehler zuzugeben. Es geht darum, dass ich mich sicher fühle, dass die anderen mich nicht fertig oder lächerlich machen oder mich beschämen für Dinge, die ich sage oder tue. Sondern hier kann ich sein, wie ich bin. Woran erkenne ich ein solches Team? Aufgrund verschiedener Forschungsarbeiten können wir von drei Basiskennzeichen ausgehen, die trainierbar sind. Erstens: Spricht jeder in Team-Meetings ungefähr gleich häufig? Wie sind die Redeanteile verteilt? Gibt es Teammitglieder, die permanent reden und andere überhaupt nicht? Reden alle ungefähr gleich viel? Oft erkennt man den Chef oder die

­ hefin an den längsten Redezeiten. C Wenn man dies misst, dann bekommt man ein Gefühl dafür, wo das Team steht. Zweitens: Werden Meinungen und Standpunkte wirklich geäußert im gemeinsamen Team-Meeting? Also nicht die Meinung übers Wetter, sondern auch die kontroversen Standpunkte zu Arbeitsthemen. Wie viel persönlichen Mut kostet es, mit einer anderen Meinung zu widersprechen? Diskutieren die Teams die unterschiedlichen Perspektiven? Das dritte Merkmal ist: Wie wird über eigene Fehler oder die Fehler anderer und über Verletzlichkeit gesprochen? Bei Edmondson gibt es noch eine weitere Kategorie: Um Hilfe bitten. Wir wissen aus sozialpsychologischer Forschung, dass bei Menschen, die sich gegenseitig helfen, auch die gegenseitige Wertschätzung zunimmt. Der andere Mensch wird für mich wertvoller, wenn er mir Hilfestellung gibt. Andere Effekte können eintreten, wenn jemand mir unaufgefordert Hilfe gibt. Dann kann der Eindruck entstehen, die Person überhöht sich. Der Wandel der Arbeitswelt wird in vielerlei Hinsicht schneller, komplexer und unübersichtlicher. Die Unternehmen müssen sich unter enormem Druck darauf einstellen. Bleibt die psychologische Sicherheit da nicht auf der Strecke? Psychologische Sicherheit ist genau die Antwort auf die VUCA- und BANIWelt. Komplexität heißt ja, ich kann nicht genau vorhersagen, was rauskommt. Ich muss in solchen Situationen viel lernen, ausprobieren, und auch viele Fehler machen. Die einzige Sicherheit, die ich in einer solch unsicheren Umgebung habe, ist, dass die anderen im Team mich nicht fertig machen, sondern mit mir in einem Boot sitzen. Diese Form des Arbeitens ermöglicht es uns, unbeschadet durch diese Zeiten zu kommen. www. hu ma n reso u rce sma n age r. d e


Foto: skillgarden

D E B AT T E A K T U E L L

Wie wirkt sich psychologische ­Sicherheit konkret aus, gerade jetzt in Zeiten der großen Umbrüche? Das Interessante ist, dass man wirklich bisher nur positive Effekte der psychologischen Sicherheit ­gefunden hat. Zum Beispiel steigen ­Mitarbeiterengagement und ­effektives Problemlösen, es entstehen mehr divergente Ideen. In der Konsequenz steigen Leistungs- und Innovationsfähigkeit, Schnelligkeit und Qualität von Entscheidungen nehmen zu. Es gibt weniger Friktion bei Change und bei Transformationen, weil viel ­transparenter gearbeitet wird. Es geht nicht darum, dass alles immer schön und toll ist. Es geht darum, dass ich mir sicher sein kann, mit den anderen im Team „Pferde stehlen“ zu können. Gerade in unsicheren Zeiten. Schützen uns gute Beziehungen am Arbeitsplatz vor psychologischen Gefährdungen? Grundsätzlich ja. Wenn zwischenmenschliche Beziehungen okay sind o k tober / novem b er 2023

Ina Goller ist diplomierte Psychologin mit den Schwerpunkten Arbeits- und Organisations- sowie Kognitionspsychologie. Sie promovierte an der ETH Zürich in Maschinenbau und Verfahrenstechnik und ist Professorin für Innovationsmanagement an der Berner Fachhochschule. Mit Begeisterung vereint sie ihre Interessen für Psychologie und Innovation. Mit dieser Verbindung ist Goller eine gefragte Expertin zu Themen wie psychologische Sicherheit, Change und Teamarbeit. Neben ihrer Forschungs- und Lehrtätigkeit berät sie Unternehmen und leitet Praxisprojekte zur psychologischen Sicherheit.

und psychologische Sicherheit im Team besteht, dann führt dies auch dazu, dass Machtspiele ausgehebelt werden und Beziehungen auf Augenhöhe entstehen. Dies bedeutet auch, dass wir wohlwollendes, kritisches Feedback zu uns selbst bekommen. Wir bekommen damit Hilfe, etwas über

uns selbst zu lernen und uns weiterzuentwickeln. All das, was wir uns von New Work erhoffen und verwirklichen wollen, wird damit wahrscheinlicher. Ist ein gemeinsames Verständnis, wie wir zusammenarbeiten wollen, wichtiger als die Qualifikation der einzelnen Teammitglieder? Qualifikation ist immer wichtig. Natürlich gibt es eine gewisse Schwelle an Qualifikation, die man für den Job mitbringen muss. Wer würde schon wollen, dass beispielsweise Kernkraftwerke nur aus der Perspektive „Da ist noch so viel Lernpotenzial“ betrieben werden. In der psychologischen Forschung, zum Beispiel zu destruktiven Rollen im Team, hat man aber festgestellt: Man kann die bestqualifizierten Leute im Team haben. Dies nützt nur etwas, wenn Wissen geteilt wird. Dies wiederum passiert nur, wenn im Team zusammengearbeitet wird. Ansonsten reden wir über ungenutztes und ungeteiltes Wissen. Die Expertise und das Können sind zwar im Einzelnen vorhanden, aber für das Team und die Organisation nicht. Aus der Beinahe-Unfallforschung, zum Beispiel in der Flugzeugindustrie, Kernkraftindustrie oder Krankenhäusern, weiß man: Wenn Wissen nicht geteilt wird, passieren Fehler. Einzelwissen nutzt nichts, wenn es nicht geteilt wird. Daher ist die Kombination von Fach- und Sozialkompetenz so wichtig. Was sollte HR daraus schlussfolgern, zum Beispiel in Bezug auf die Nachfolgeplanung von Schlüsselpositionen? Wenn man die Forschungsergebnisse ernst nimmt, dann müssten HR-Fachleute die Sozialkompetenzen als wichtige Einstellungskomponente berücksichtigen. Für eine Einstellung oder auch eine Beförderung kämen also alle Bewerber und Bewerberinnen infrage, die das passende Niveau an Fachkompetenz mitbringen. Über die 7


IM FOKUS

C O R P O R AT E VO LU N T E E R I N G

Nicht nur eine Frage der Ehre 10

Bürgerliches Engagement bildet die Stütze unserer Gesellschaft. Ehrenamt ist nicht selbstverständlich und braucht Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, dass Menschen anderen Menschen helfen. Unternehmen können mit CorporateVolunteering-Programmen eine wichtige Schnittstelle bilden.

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IM FOKUS

Ein Beitrag von Charleen Rethmeyer

Abbildung: PCH-Vector / Getty Images

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m Wochenende über ein Nachbarschaftsfest schlendern, in der Stadt demonstrieren gehen oder im Urlaub an der Ostseeküste ein erfrischendes Bad im Meer genießen. Alles Freizeitaktivitäten, bei denen freiwillige Helferinnen und Helfer nicht fehlen dürfen. Meist agieren sie eher still im Hintergrund, greifen im Notfall aber schnell ein und sorgen für unser Wohlergehen und unsere Sicherheit. „Die offene, engagierte Bürgergesellschaft ist ein wesentlicher Teil unseres demokratischen Gemeinwesens“, konstatierte Bundespräsident Frank Walter Steinmeier als Schirmherr der Bundesgemeinschaft der Freiwilligenagenturen. Als sich vor rund zwei Jahren die Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ereignete, machten sich unzählige Freiwillige sofort auf den Weg, um den in Not geratenen Menschen unter die Arme zu greifen. Wer konnte, nahm sich dafür im Job frei, andere halfen nach der Arbeit in ihrer Freizeit. Und die ist knapp bemessen: Drei Stunden und 55 Minuten stehen uns in Deutschland durchschnittlich an einem Werktag zur Verfügung. Dies ermittelte die Stiftung Zukunftsfragen des Tabakkonzerns British American Tobacco im Rahmen ihres Freizeit-Monitor 2023. Etwas weniger als vier Stunden bleiben uns also für Erholung, Sport, Hobbys, Treffen im Freundes- oder Familienkreis oder unsere Selbstverwirklichung übrig. Ein Zeitbudget, das also clever genutzt werden will und das sich seit dem ersten Coronajahr 2020 um eine halbe Stunde verkürzt hat. Das liegt vor allem an der Rückkehr in die Büros und dem damit verbundenen Arbeitsweg, der wertvolle freie Zeit verschlingt. Und trotz der knapp bemessenen Freizeit nutzten laut Statista im vergangenen Jahr 15,7 Millionen Personen diese Zeit nicht nur für sich selbst, sondern vor allem für andere Menschen, sie engagierten sich privat im Rahmen von ehrenamtlichen Aktivitäten. Etwa 59 Prozent von ihnen sind zwischen 20 und 59 Jahre alt – und stehen damit häufig mitten im Berufsleben. Zwangsläufig kommen Unternehmen mit dem ehrenamtlichen Engagement ihrer Mitarbeitenden in Berührung – oder möchten selbst gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Manchmal fallen diese beiden Bereiche aus einem unternehmerischen Selbstverständnis oder als Teil einer komplexen Nachhaltigkeitsstrategie zusammen. Immer mehr Unternehmen fördern gezielt Mitarbeiterengagements, die sich laut der Praxis-Studie Corporate Volunteering in Deutschland aus dem Jahr 2018 in den letzten Jahren weitgehend ausdifferenzieren. Oft o k tober / novem b er 2023

stünden Unternehmensverantwortliche allerdings vor dem Problem, „dass es kaum Informationen über Art, Umfang, Rahmenbedingungen, Strategien und das Management von Corporate Volunteering in Deutschland gibt“. Dabei seien Unternehmen mehr denn je als gesellschaftsgestaltende Akteure gefragt. Eine Rolle, derer sie sich zunehmend bewusst werden, wie der Monitor Unternehmensengagement 2022 festhält.

Unternehmen übernehmen gesellschaftliche Verantwortung Im sogenannten Corporate Volunteering fördern Unternehmen die Tätigkeiten ihrer Mitarbeitenden, die innerhalb ihres Arbeitsverhältnisses mit ihrer Zeit oder ihrem Wissen gemeinnützige Zwecke unterstützen – völlig unabhängig vom Kerngeschäft des Unternehmens. Doch warum tun sie das? „Grundsätzlich ist für uns eindeutig, dass es heutzutage nicht mehr darum geht, ob sich ein Unternehmen engagiert, sondern nur wie. Die Herausforderungen sind so groß, dass sie ein gesamtgesellschaftliches Vorgehen erfordern, und das schließt alle ein.“ Nina Warnecke verantwortet mit ihrem dreiköpfigen Team als Director Global Health and Social Impact unter anderem den Bereich Corporate Volunteering beim Pharmaunternehmen Pfizer Deutschland. „Wir glauben an Partizipation und binden unsere Mitarbeitenden aktiv in unser gesellschaftliches Engagement ein. So schaffen wir ein gemeinsames Werteverständnis und ermöglichen jedem, diese im Arbeitsalltag einzubringen und weiterzutragen.“ Oft ist der Wunsch zu helfen schon tief in uns Menschen verwurzelt. Auch die 1998 gegründete Ehrenamtsinitiative Miteinander im Team (MIT) vom Konsumgüter- und Industriekonzern Henkel geht auf einen Impuls der Mitarbeitenden zurück. Die 1990er Jahre waren geprägt von Unruhen und

„Grundsätzlich ist es für uns eindeutig, dass es heutzutage nicht mehr darum geht, ob sich ein Unternehmen engagiert, sondern nur wie.“ Nina Warnecke, Director Global Health and Social Impact, Pfizer Deutschland

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TITEL

EMOTIONEN

Glück als ­Unternehmens­vision Der Job kann nicht nur zufrieden, sondern sogar glücklich machen. Dafür können Unternehmen Rahmenbedingungen schaffen, auch eine entsprechende Vision wirkt unterstützend. Tatsächlich gibt es drei Glücksfaktoren zur Orientierung. Letztlich liegt das Glück im Job aber auch in der eigenen Verantwortung der Mitarbeitenden. Ein Beitrag von Petra Walther

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rbeitszeit ist Lebenszeit. Wer strebt daher nicht nach einem Job, in dem er glücklich ist?! Aber auch Arbeitgeber sollten ein Interesse daran haben, dass ihre Mitarbeitenden glücklich sind. Denn Menschen, die Liebe, Kraft, Freude und Begeisterung finden, in dem was sie tun, sind weit häufiger produktiv als andere. Und – in Zeiten des Fachkräftemangels entscheidend – sie bleiben auch länger im Unternehmen. Das schreibt Marcus Buckingham, Head of Performance Research am ADP Research Institute des US-Personaldienstleisters ADP, in seinem 2022 erschienenen Buch Love and Work. How to Find What You Love, Love What You Do, and Do It for the Rest of Your Life. Stellt sich die Frage, was dazu beiträgt, dass die Mitarbeitenden diesen Zustand des Glücks erleben. Da Glück ein weicher Faktor und noch dazu unscharf definiert ist, fällt es schwer, greifbar zu machen, was Glück im Job konkret ausmacht. Das bestätigen selbst diejenigen, die sich mit dem Thema in der Praxis näher befassen. Etwa Marie Thümler, Leiterin der Unternehmenskommunikation bei Otto Richter in Berlin. In dem mittelständischen Unternehmen, das auf die Gebäudesanierung und -trocknung spezialisiert ist, legt man seit der Gründung im Jahr 1990 ein starkes Augenmerk auf die Menschen im Betrieb. Wie Thümler berichtet, hat sich dieser Fokus seit rund fünf Jahren nochmals verschärft: „Wir wollen unseren Mitarbeitenden ermöglichen, im Unternehmen glücklich zu sein. Das ist der Auftrag für alle Führungskräfte in unserer Organisation“, 42

sagt sie. Eine Glücksdefinition gibt es im Unternehmen dabei nicht. Fest steht für Thümler jedoch, dass sie dafür sorgen muss, dass die Beschäftigten mehr als nur zufrieden sind. Den Unterschied von Glück und Zufriedenheit bei der Arbeit beschreibt sie so: „Mitarbeitende sind dann im Job zufrieden, wenn sie dort eine gute, solide Basis haben. Das heißt, Arbeitsbedingungen und Gehalt stimmen, die Aufgaben sind klar definiert.“ Wer glücklich im Job sein wolle, habe jedoch andere Ansprüche. „Es geht darum, Erfüllung im Job zu finden. Dazu gehört unter anderem, sich selbst zu verwirklichen und Dinge im Unternehmen mitentwickeln zu können“, erläutert Thümler.

Glück macht innovativer Für die Unternehmen haben Glück und Zufriedenheit der Mitarbeitenden Ricarda Rehwaldt zufolge unterschiedliche Effekte. Die Professorin für Psychologie an der IU Internationale Hochschule forscht seit mehreren Jahren zu „Glück im Job“. „Empfinden Mitarbeitende Glück in ihrer beruflichen Tätigkeit, trägt dies zu einer gesteigerten Innovationsfähigkeit bei. Dies ist bei Menschen, die mit ihrer Arbeit einfach nur zufrieden sind, nicht der Fall“, benennt Rehwaldt einen wesentlichen Unterschied. Ihre Forschung zeige zudem: „Zufriedene Mitarbeitende sind weder vor einem Sinnverlust noch vor Antriebslosigkeit gefeit. Denn Arbeitszufriedenheit basiert vorwiegend auf www. hu ma n re so u rcesma n age r. d e


Abbildung: alexei_tm / Getty Images

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TITEL

EMOTIONEN

Die Unverstellte Von Richterinnen und Richtern wird erwartet, möglichst neutral zu agieren. Ursula Mertens hatte im Staatsschutzprozess zum rechtsextremistischen Attentat in Halle den Vorsitz inne – und machte einiges anders: Sie zeigte Gefühl.

Ein Porträt von Jeanne Wellnitz

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Ursula Mertens

TITEL

ist Vorsitzende Richterin der Staatsschutzkammer am OLG Naumburg und ­erlangte mit dem Prozess zum Attentat vom 9. Oktober 2019 in Halle große ­mediale Aufmerksamkeit: Sie zeigte sich als empathische Richterin, die mit viel Fingerspitzengefühl durch diesen ­emotionalen Prozess führte.

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rsula Mertens blickt in Richtung des Angeklagten: „Ich habe als Richterin schon vieles Unerträgliches erlebt.“ Seit mehr als 25 Jahren führt die 60-Jährige Prozesse. „Aber dieses Verfahren stellt alles in den Schatten“, sagt die Juristin, während sie in schwarzer Robe neben den vier Richterinnen und Richtern des Staatschutzsenats steht. Sie verurteilt den rechtsextremen Attentäter zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Es ist der 21. Dezember 2020 und 36 Journalistinnen und Journalisten sitzen mit im Gerichtssaal und zitieren ihre prägnanten Sätze. An diesem Tag endet ein monatelanger, kräftezehrender Gerichtsprozess. An insgesamt 27 Prozesstagen wurden 82 Zeuginnen und Zeugen und elf Sachverständige befragt, darunter 46 Nebenkläger. Es wurde geweint, gelitten, stundenlang ohne Pause verhandelt.

Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild/ POOL

Die Tat Ein Jahr zuvor hatte der Attentäter seine selbst gebauten Waffen, Sprengsätze und Brandflaschen aus dem Bettkasten seines Jugendzimmers genommen und war in schwarzer Kampfmontur zur vollbesetzten Synagoge im Paulusviertel in Halle gefahren, der größten Stadt Sachsen-Anhalts. Zu dem Zeitpunkt beteten 51 Jüdinnen und Juden in dem Gotteshaus; sie begingen Jom Kippur (hebräisch: „Tag der Versöhnung“), den heiligsten Feiertag im jüdischen Kalender. Der Rechtsterrorist versuchte, in das Gotteshaus einzudringen, scheiterte jedoch an der Eichenholztür, die den Sprengsätzen und Schüssen standhielt – und so einen Massenmord verhinderte. Der aufgebrachte Täter erschoss daraufhin die Passantin Jana Lange und wenig später den 20-jährigen Kevin Schwarze, einen Malergesellen, der im o k tober / novem b er 2023

Imbiss „Kiez Döner“ gerade auf sein Mittagessen gewartet hatte. Der Täter, dessen perfider Hass allen Nicht-Weißen gilt, hielt ihn für einen Muslim. Immer wieder schoss der Attentäter auf Menschen, die nur überlebten, weil seine Waffen Ladehemmungen hatten. Seine grausamen Aktionen übertrug er über eine Helmkamera live im Internet. Als das Video im Gerichtssaal gezeigt wurde, habe er gegrinst, schreiben Prozessbeobachter.

Die Geschichte der Opfer Die emotionale Kälte des Angeklagten treffe sie zutiefst, sagt die Vorsitzende Richterin schließlich in der Urteilsbegründung und richtet das Wort an den schmalen, kahlgeschorenen damals 27-Jährigen: „Sie sind antisemitisch, Sie sind ausländerfeindlich, Sie sind menschenfeindlich.“ Das Urteil hat sich Mertens stichpunktartig aufgeschrieben, auf rund 25 Seiten. Sonst macht sie das nicht, aber diesmal war ihr das wichtig, um die Fassung zu behalten. Dennoch hat sie in den zwei Stunden freigesprochen. In kurzen Momenten wird sie mit den Tränen ringen. Als sie den Vater des getöteten Kevin Schwarze anspricht, versagt ihr laut Medienberichten die Stimme. Ursula Mertens bewertet nicht in juristisch-trockener Manier Motiv und Tat, sie erzählt die Geschichte der Opfer. „Kevin Schwarze hat erreicht, was Sie in 27 Jahren nicht geschafft haben“, sagt sie zum Beispiel zum Angeklagten. Anders als der Getötete hatte dieser nämlich keine Arbeit, keine Freunde, keine Partnerschaft – nichts außer die gruseligen Schluchten des Internets, in denen er sich in rechtsterroristischen Netzwerken in Verschwörungsideologien verhedderte. Die Richterin führt sein Versagen vor und zeigt gleichzeitig größte Empathie mit den traumatisierten Opfern seines Verbrechens. 47


LETZTE SEITE

Die Heiterkeits-­ Türöffnerin Elisabeth Makepeace verbindet in ihrer Arbeit ihr soziales Engagement mit ihrem künstlerischen Werdegang. Seit über 25 Jahren organisiert und finanziert sie mit dem Verein KlinikClowns Bayern e. V. heitere Clownsvisiten bei schwer erkrankten Kindern und Erwachsenen, Menschen mit Behinderungen und Älteren. Sie ermöglicht dadurch diesen Menschen Momente der Entspannung und des Aufatmens.

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ater komme, habe ich die Idee gleich wunderbar gefunden, Künstlerisches mit Sozialem zu verbinden. Und in Bayern gab es noch keine Klinik­ clowns, also habe ich 1998 den Verein gegründet. Vor Klinikclowns muss sich ­niemand fürchten, da … sie ganz sensibel auf jeden kleinen und großen Menschen eingehen und allen Erleichterung, Ablenkung und Glücksmomente schenken. So richtig emotional werde ich … wenn ich ein krankes Kind erlebe, das gerade noch kraftlos im Bett gelegen, durch unseren Einsatz plötzlich wieder Kind ist. Das mitspielt und Blödsinn machen kann. Und wenn ich die Eltern sehe, die darüber vor Freude auch mal in Tränen ausbrechen. Und das bringt mich richtig zum Lachen … Situationskomik, etwas Unverhofftes, Unerwartetes. Weil … man das nicht vorhersehen, sich nicht darauf einstellen kann und man Menschen plötzlich in einem anderen Kontext sieht.

Keinen Spaß verstehe ich bei … der Bezeichnung „Clown“ als abwertenden Begriff für Menschen, die gar nichts damit zu tun haben. Wenn der Begriff zum Beispiel für gewisse Politiker missbraucht wird. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass … mehr und mehr begriffen, anerkannt und gewürdigt wird, was Klinikclowns leisten, dass es ein anerkannter Beruf wird, den man nur professionell ausüben kann und darf. Und dass der Geist des Humors, die Kraft des Lachens, die Leichtigkeit, die Ver-rückt-heit noch lange weiterleben und die KlinikClowns gemäß ihrem Motto noch oft EIN LACHEN SCHENKEN können. Die Fragen stellte Charleen Rethmeyer. Elisabeth Makepeace ist Geschäftsführerin und Vorstandsvorsitzende der KlinikClowns. Sie gründete 1998 den gemeinnützigen Verein in Bayern und 2022 die Stiftung „Lachen Schenken-KlinikClowns“. Seit 2008 ist Makepeace zudem 1. Vorsitzende im Dachverband Clowns in Medizin und Pflege Deutschland.

www. hu ma n reso u rce sma n age r. d e

Foto: KlinikClowns Bayern e. V.

In meiner Zeit als Geschäfts­ führerin und Vorsitzende der KlinikClowns … ist es mir noch nie langweilig geworden. Im Gegenteil, fast täglich kommen neue Anfragen für Einsätze hinzu, führe ich gute Gespräche mit Spen­ derinnen und Spendern sowie Interessierten. In den letzten 25 Jahren habe ich … keinen Stillstand erlebt. Wir sind von Anfang an stetig gewachsen. Begonnen hat es mit zwei Clowns in einer Kinderklinik. Jetzt sind es 70 KlinikClowns, die regelmäßig in aktuell 115 Einrichtungen gehen. Und wir wachsen weiter! Auch die Aufgabengebiete. Besonders liebe ich an meiner Tätigkeit … dass sie so facettenreich ist. Vor allem aber ist sie sinnvoll und bewirkt mit künstlerischen Mitteln eine Unterstützung in schwierigen Situationen für Kinder und Menschen jeden Alters. Zur Idee der KlinikClowns bin ich gekommen … über meine Schwester. Sie war eine der ersten Clowns in Krankenhäusern in Österreich. Da ich selbst vom The-


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