Magazin Human Resources Manager: Treue

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TREUE


Die Konferenz für Employer Branding und Arbeitgeberattraktivität

11. & 12. April 2024 Quadriga Forum | Berlin

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TAGE

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KEYNOTES

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TEILNEHMENDE

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EDITORIAL

Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Coverbild: picture-alliance / dpa; diese Seite: Sebastian Höhn

S

tanden Sie auch schon mal vor der Entscheidung: Gehen oder bleiben? Auch Beschäftigte in Ihrem Unternehmen stehen mitunter vor der Frage, ob sich ihr Engagement weiterhin lohnt. Treue – so lautet der Themenschwerpunkt dieser Ausgabe – ist keine Einbahnstraße. Loyale Mitarbeitende erwarten, dass auch das Unternehmen zu ihnen hält, gerade in schweren Zei­ ten. Loyalität lässt sich nicht verordnen, sie ist eine Haltung von beiden Seiten und zudem Grundlage für eine funktio­ nierende und vertrauensvolle Arbeitsbeziehung. Und wie schon Friedrich Schiller im Jahr 1799 in Das Lied von der Glocke schrieb, ist Bindung auch immer eine Herzensan­ gelegenheit: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet. Der Wahn ist kurz, die Reu’ ist lang.“ Wenn es gut läuft, sind manche der Beschäftig­ ten selbst überrascht über ihre langjährige Treue, wie Anne Hünninghaus (Seite 24) herausgefunden hat. Und sie zeigt Unternehmensbeispiele, die es ernst meinen mit der Treue. No one fits all. Dass Benefits mit der „Gießkanne“ keine guten Treuegarantien sind, zeigt eine Umfrage (Seite 42), denn auch unsere Arbeitsbeziehungen durchlaufen, je nach persönlicher Lebenssituation, verschiedene Zyklen mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Drei Angestellte erläutern, was ihnen in ihrer Arbeitsbeziehung wichtig ist. Wie stellen Unternehmen ihre Beschäftigten auf die Probe: Sind sie noch loyal oder sind sie im Kopf schon weg? Das wollte Mirjam Stegherr wissen. Sie hat ­Treuetests

­ inter­fragt und den Gründen für innere Kündigung nach­ h gespürt (Seite 38). Jeanne Wellnitz erzählt in einem aufrüttelnden Por­ trät, wie es Whistleblower Martin Porwoll ergangen ist, der mit seinem Engagement wahrscheinlich Menschen­ leben ­gerettet hat – und der für seinen „Treuebruch“ einen hohen Preis gezahlt hat (Seite 46). Lohnt es sich überhaupt, dem Arbeitgeber lange die Treue zu halten? Charleen Rethmeyer hat recherchiert, was Job­ hopper zu häufigen Wechseln bewegt (Seite 50). Viel beschworen wird die Treue zu uns selbst. Warum Authentizität kein Allheilmittel ist und sogar mitunter den Job kosten kann, erklärt Coach Rainer Niermeyer im Inter­ view (Seite 30). Ich danke allen, die an dieser Ausgabe mitgewirkt haben, und wünsche Ihnen eine spannende Lektüre und Treue ohne Reue. Bleiben Sie belesen!

Herzlichst, Sabine Schritt Leitende Redakteurin Human Resources Manager

Diskutieren Sie mit uns Themen aus unserem Magazin, oder was die HR-Community gerade bewegt, auf unserem ­Linkedin-Kanal Magazin Human Resources Manager, auf Instagram unter @hrm_magazin oder schreiben Sie uns an info@humanresourcesmanager.de. d ezem ber 20 23

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Im Jahr 2016 wurde bekannt, dass ein Apotheker die Chemotherapie-Medikamente Tausender krebskranker Menschen gestreckt hatte. Martin Porwoll hat dieses Verbrechen aufgedeckt.

Editorial

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Kolumne HR ist tot – es lebe HR? Von Frank Kohl-Boas

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Meine Arbeitswelt Büsra Bakar, Head of Human ­Resources Österreich und Deutschland bei Arcotel. Von Charleen Rethmeyer

DEBATTE 6

Einsatzfelder von KI-Systemen Professor Sascha Stowasser hat an HR klare Erwartungen – und eine beruhigende Botschaft. Von Sabine Schritt

IM FOKUS: ­ Von und mit Tieren lernen 10 Ungeahnte Möglichkeiten Wie Tiere helfen können, Teams zu führen und die Zusammen­ arbeit zu trainieren. Von Mirjam Stegherr

IMPULS 20 Selbstwirksamkeit stärken Warum neue Gewohnheiten der Schlüssel zu mehr Selbst­ wirksamkeit sind. Von Thomas Suwelack

SCHWERPUNKT: TREUE 24 Treu? Doof! Unser Auftaktessay. Von Anne Hünninghaus 30 Sich selbst treu bleiben Wirtschaftspsychologe ­Rainer Niermeyer im Gespräch über ­Authenzität und Rollen­ konformität. Von Sabine Schritt 34 Mitarbeiterloyalität schaffen Wie nachhaltig Verbundenheit erzeugt werden kann. Von Miriam Engel

AUFGEFALLEN 14

Schnappschuss

INSIDE HR 16 Ein neuer Job für … Christiane Benner als Erste ­Vorsitzende der IG Metall.

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Schafe hüten, Pferde leiten, Hunde streicheln: Tiere können heilsam sein und helfen, Teams zu führen. Der Effekt ist klar, die Möglichkeiten jedoch oft unbekannt.

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Fotos: privat; Germscheid Concept; [M] Anna Kim/ Getty Images; privat; Foto Thanner

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38 Der große Treuetest Mit Lockangeboten testen, wie loyal Angestellte wirklich sind. Von Mirjam Stegherr 42 Loyalität und Lebensphasen Beschäftigte aus drei Generatio­ nen über ihre jeweiligen Treue­ garantien. Von Anna Friedrich und Mia Pankoke 46 Der Einzelkämpfer Whistleblower Martin Porwoll im Porträt. Von Jeanne Wellnitz 50 Auf dem Sprung Warum Jobwechsel in Zukunft weiter zunehmen und sich für Beschäftigte auszahlen. Von Charleen Rethmeyer

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Es gibt eine Pflicht zur Treue. Doch die gilt

74 Rezension Das neue Führen von Bodo ­Janssen. Von Anne Hünninghaus.

auch für Arbeitgeber. Und um echte Treue aufzubauen, bedarf es einer ganz anderen Strategie.

ANALYSE 56 Mächtige Employee Experience Aktuelle Studie zeigt, welche Chance in einem ganzheitlichen EX-Konzept liegt. Von Peter Geißler und Vera H ­ agemann PRAXIS

54 Kontakt halten Wie Unternehmen Win-BackPools einrichten. Von Beate Schulte

73 Hingehört Die Macht Zentrale von Vera Steinhäuser.

60 HR und die neue Weltordnung Warum HR seinen Einfluss ­geltend machen muss. Von Thymian Bussemer und K ­ atharina Herrmann

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62 Dos and Don’ts Über das Recruiting von ­Ärztinnen und Ärzten. Von Konstantin Degner

mitunter den Job kosten, meint Rainer

64 Weniger ist mehr Worauf es bei Teilzeitführung ankommt. Von Anja Karlshaus und Yasmin Mayer

76 Reingeschaut Ausgewählte Neuerscheinungen. 78 Sieben Gedanken Benediktinerin Emmanuela Kohlhaas über Erwartungen. RECHT 80 Aktuelle Urteile Von Pascal Verma 82 Essay Das Bürokratieentlastungsgesetz und ein Hoffnungsschimmer. Von Christoph Seidler 84

Impressum

VERBAND 86 87 88

Editorial Erfolgreich Netzwerken Eine Frage an ...

Sich selbst immer treu bleiben – das kann Niermeyer. Im Interview erklärt er, warum er den Authentizitätstrend kritisch sieht.

68 Mental Health im Leadership Oft übersehen Führungskräfte eigene Bedürfnisse. Von Katharina Koch 72 Filmrezension Der britische Spielfilm Blue Jean von Georgia Oakleys. Von Salome Häbe

LETZTE SEITE 90 Die Treue-Retterin Mediatorin Stephanie Huber über Kritik, Provokation und ungelöste Konflikte. Von Salome Häbe 5


D E B AT T E A K T U E L L

HR UND KI

Prozesse optimieren, nicht verwerfen Künstliche Intelligenz markiert einen der größten Umbrüche in unserer Arbeitswelt. Wir haben mit Sascha Stowasser über seine Einschätzung gesprochen. KI wird Einzug halten in viele Jobs, auch im HR-Bereich, keine Frage. Stowasser plädiert jedoch für einen behutsamen Umgang mit dem Thema und hat auch eine beruhigende Botschaft sowie eine klare Erwartung an HR. Ein Interview von Sabine Schritt

Herr Professor Stowasser, Sie sind Direktor des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft, das in verschiedene Fachbereiche unterteilt ist: Arbeitszeit und Vergütung, Arbeits- und Leistungs­ fähigkeit, Unternehmensexzellenz und digitale Transformation. Wo verorten Sie das Thema künstliche Intelligenz? Sascha Stowasser: Wesentlich ist für uns, das Thema KI interdisziplinär anzuschauen. Wir haben deshalb ein KI-Team gegründet, bestehend aus Expertinnen und Experten aus allen Fachbereichen. Zudem verfolgen wir mehrere KI-Projekte, die unterschied­ lichen Disziplinen und Fachbereichen zugeordnet sind. Beispielsweise ist in dem Fachbereich Digitale Transfor­ mation ein Kompetenzzentrum ange­ gliedert, das sich sehr intensiv um die innovative Arbeitsgestaltung mit KI kümmert. Andere Projekte sind in den Fachbereichen Arbeits- und Leistungs­ fähigkeit sowie Unternehmensexzel­ lenz angehängt. Worauf liegt derzeit das Hauptaugenmerk? Geht es eher um 6

Prozesse oder doch viel mehr um Arbeitskultur? Grundsätzlich hängt beides ­zusammen. KI-Projekte sind nur dann erfolgreich, wenn wir die Kultur betrachten und einen vernünftigen Change-Prozess berücksichtigen. Ohne einen systema­ tischen Einführungsprozess kriegt man die KI-Prozesse nicht ­zielorientiert umgesetzt. Andererseits lassen sich KI-Systeme nicht ohne Analyse der Arbeits- und Betriebsprozesse p ­ lanen und einführen. Wie ist der Forschungsstand zu KI in Unternehmen? KI als Universaltechnologie ist nicht nur ein Trend, sondern – darin sind wir uns in der Arbeits- und Betriebsorga­ nisation einig – diese Technologie wird überall Einzug halten. Diese qualitative Aussage kann ich momentan quanti­ tativ nicht belegen. Hierzu bedarf es umfassender, aber auch gänzlich neu aufgelegter Arbeitsforschung. Inwiefern? Die geförderten Projekte der Arbeits­ forschung dauern zu lange und sind nur punktuell wirksam. Die gegen­ wärtige Forschungsarchitektur sieht

so aus, dass es zwei Jahre dauert, bis ein vom Staat gefördertes Projekt star­ tet. In der Regel kommen dann noch zwei bis drei Jahre Projektlaufzeit hinzu – bis zum Ende des Projektes verge­ hen dann bis zu fünf Jahre. Über den langen Zeitraum schmunzelt unsere internationale Konkurrenz. Bei welchen Arbeitsprozessen eignet sich KI grundsätzlich? Im Prinzip kann in allen Bereichen, in denen viele Daten auftreten oder immer wieder gleiche Muster abge­ arbeitet werden, eine KI zum Einsatz kommen. Bestes Beispiel sind „Wenndann-Regeln“, so etwa in der Qualitäts­ sicherung bei der Prüfung, ob ein Pro­ dukt richtig oder falsch ist. Oder wenn große Datenmengen analysiert wer­ den, zum Beispiel im Gesundheitswe­ sen bei der Auswertung von Röntgen­ bildern oder in der Justiz bei der Sich­ tung massenhafter Gerichtsurteile. KI kann mittlerweile auch programmie­ ren, teilweise besser als der Mensch. Was lässt sich daraus für den HR-Bereich ableiten? KI kann Texte und Zeugnisse besser analytisch auswerten als der Mensch. www. hu ma n reso u rce sma n age r. d e


Foto: Institut für Arbeitswissenschaft

D E B AT T E A K T U E L L

KI kann beispielsweise Lebensläufe viel schneller durchforsten als der Mensch und ist (sofern richtig trainiert) objekti­ ver. Chatbots werden in großen Unter­ nehmen zukünftig durchweg durch KI unterstützt werden. So haben Unter­ nehmen im HR-Bereich KI-Chatbots aufgebaut, die immer wieder aufkom­ mende Fragen der Belegschaft beant­ worten können. Die kleinen Unterneh­ men werden folgen. Gerade der KI-Einsatz im sensiblen HR-Bereich wird oft skeptisch debattiert, weil dieser doch eher in Menschenhand gehöre. Ich persönlich bin der Meinung, einfa­ che Dinge kann man gut der KI über­ lassen. Dann hat HR mehr Zeit für die schwierigen Sachverhalte oder persön­ liche Beratungen – gerade das persön­ liche Gespräch zeichnet einen exzel­ lenten HR-Bereich aus. Sie sprachen eben den Einführungsprozess an. Was sollte unbedingt beachtet werden? Zunächst muss der Nutzen der KI klar formuliert werden. Was will das Unternehmen mit dem Einsatz errei­ chen? Sollen die Bewerbungspro­ d ezem ber 20 23

Sascha Stowasser ist seit 2008 Direktor des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa) in Düsseldorf und seit 2009 außerplanmäßiger Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Der diplomierte Wirtschaftsingenieur studierte zusätzlich Verhaltenswissenschaften und promovierte in Ingenieurwissenschaften. 2002 erwarb er die Habilitation mit Lehrbefugnis für das Fach Arbeitswissenschaft. Stowasser ist zudem Mitglied in verschiedenen Gremien wie dem Rat der Arbeitswelt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und dem Kuratorium des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo).

zesse vereinfacht werden? Dann stellt sich die Frage, ob die vorhandene IT-­ Infrastruktur das hergibt. Zudem muss klar sein, was die Konsequenzen für alle Beteiligten sind, wenn es zur Ein­ führung von KI kommt. Welche HR-Prozesse sollten hinsichtlich des Einsatzes von KI auf den Prüfstand?

In den operativen Bereichen gibt es viele Einsatzmöglichkeiten für KI-Sys­ teme von Einstellung über Austritt bis zur Personaleinsatzplanung. Dennoch empfehle ich, im ersten Schritt nicht die vollständige HR-Prozesskette mit KI zu automatisieren. Die KI ist aktu­ ell nicht so mächtig, dass sie Prozesse vollkommen selbstständig abwickelt. Die Frage ist im Moment eher, in wel­ chen Teilprozessen kann punktuell die KI als Werkzeug eingesetzt werden, und weniger, wie die Prozesse völlig umge­ stellt werden. Auch beim strategischen HR-Manage­ ment kann KI derzeit kaum helfen. Hier sind die Führungskräfte und Beschäf­ tigten weiterhin gefragt. Was raten Sie Personalverantwortlichen im Umgang mit dem Thema HR und KI? HR sollte bestehende Prozesse nicht aufgrund einer Technologie gänzlich über den Haufen werfen. Vielmehr müssen vorhandene Prozesse opti­ miert und mit KI-Unterstützung in die Zukunft gebracht werden. Wenn die Prozesse eher willkürlich ablau­ fen, sind diese und deren Datenarchi­ tektur erst einmal zu analysieren, zu beschreiben und zu stabilisieren. Eine KI hilft im unstrukturierten Raum mit unklarer Datenlage wenig. Ich sehe großes Potenzial für den Ein­ satz im Screening von Lebensläufen oder von Social-Media-Profilen und in der Personaleinsatzplanung, vor allem in der Schichtplanung für den Blue-Collar-Bereich. Ich empfehle, KI in Ansätzen zu erpro­ ben, aber nicht die ganze Prozessar­ chitektur in den nächsten Jahren zu verwerfen. Auch aus einem anderen Grund: Die EU arbeitet derzeit an dem mächtigsten KI-Gesetz der Welt, dem EU AI Act, der vielleicht nächstes Jahr verabschiedet wird. Verfahren aus dem HR-Bereich stehen auf der Hochrisi­ ko-Liste. Wir wissen nicht, was in der 7


IM FOKUS

TIER UND MENSCH

Der Rat der Tiere Schafe hüten, Pferde leiten, Hunde streicheln: Tiere können heilsam sein und helfen, Teams zu führen und die Zusammenarbeit zu trainieren. Der Effekt ist klar. Doch die Möglichkeiten sind oft unbekannt.

„Im Kontakt mit dem Pferd erleben wir, wie unser Köper auf andere wirkt und ob das, was wir fühlen und machen, in Einklang miteinander steht“, sagt Vennemeier. Mimik, Haltung und Stimme beeinflussen die Interaktion. Und das Pferd spiegelt sehr deutlich, wie.

Pferde trainieren emotionale Intelligenz

Bevor das Team den Hengst dirigiert, soll es Alexandre allein versuchen. Alle warten hinter den Holzplanken und schauen zu. Die Trainerin erklärt das Ziel, dann übernimmt er. „Hopp, hopp, los“, sagt er und geht zum Pferd, das locker seine Runde dreht. Als er direkt vor ihm steht, stoppt es und weigert sich weiterzugehen. „Du stehst zu dicht in seinem Bereich“, sagt Vennemeier. Jeder habe einen persönlichen Ein Beitrag von Mirjam Stegherr Raum, auch im Büro. „Viele Teilnehmer haben eine klare Erwartung, sie verges­ sen aber, zuerst eine Beziehung zum Pferd aufzubauen“, sagt sie. Weder mit Tieren noch mit Menschen lasse sich dieser Schritt überspringen. Andere mitnehmen, ihre Bedürfnisse wahrnehmen: Die emotionale Intelligenz komme zu kurz. „Je ehrlicher ich bin und je empathischer, weil ich spüre, wie es mir und dem Pferd geht, desto sicherer fühlt es sich und desto besser lässt es sich führen.“ n Bergstiefeln, einer Camouflage-Hose und mit ei­ Caroline ist die Zweite, die ins Gatter steigt. „Ich glaube ner Gerte in der Hand läuft Gregory im Kreis. Er läuft nicht, dass ich das kann“, sagt sie. Sie tritt hinter das Tier, über den Sand eines Longierzirkels in Saint-Cergues, einem kleinen Ort vor Genf. Hinter ihm liegen die Al­ daneben, steht am Rand und in der Mitte. Das Pferd startet, pen, neben ihm trabt ein Pferd. Gemeinsam ziehen sie ihre bricht ab, stellt sich an die Seite und grast. „Es will nicht“, sagt Caroline frustriert. Die Trainerin hilft ihr, sich zu posi­ Runden, erst langsam, dann schnell. Sie laufen um Nathan tionieren und mit dem Pferd kla­ und Alexandre, die im Zentrum des Kreises stehen, sich drehen rer zu reden. Zwei Minuten später und zusehen, wie das Duo Tempo galoppiert es im Kreis. Am Willen lag es nicht. Es war nur verwirrt. aufnimmt. Eigentlich wollten sie zu dritt aus der Mitte heraus das „Es passiert immer wieder, dass Pferd dirigieren, doch Gregory ist Menschen etwas auf das Pferd pro­ durchgebrannt. Das Pferd rennt, jizieren, anstatt sich mit ihrem Gregory lacht und das Team brö­ eigenen Verhalten auseinander­ ckelt, weil es nicht miteinander zusetzen und Verantwortung zu kommuniziert. übernehmen“, sagt Vennemeier. Die Übung ist Teil eines Equi­ Carolin habe sich mental blockiert coachings, eines Coachings mit und ihrer Kraft nicht vertraut. Equicoaching soll das ändern. Pferden. Der Hof bietet sonst Besser führen: Training mit der Kraft der Pferde Therapien an, vor allem für krebs­ „Magisch“ sei der Moment, sagt kranke Frauen. Heute ist Johanna Vennemeier zu Gast. Sie Gregory später. 500 Kilogramm Pferd haben einen Effekt. ist Equicoachin und will Führungskräften helfen, besser Das Bild im Gedächtnis werde ihn daran erinnern: „Wir zusammenzuarbeiten, zu leiten und zu kommunizieren. müssen mehr miteinander kommunizieren.“ Die Frage ist, „Ich mag Tiere, von mir aus könnten es Krokodile sein“, ob es stark genug ist, um Verhalten langfristig zu korrigieren. sagt Alexandre im Vorgespräch. 10

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Foto: Rise up Equicoaching

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IM FOKUS

Teamwork inklusive: Coaching mit 600 Schafen, einer Ziege und einem Hund als Joker

Schafe zeigen, woran ein Team krankt

Foto: Germscheid Concept

Ein Meer aus weißer und beiger Wolle schiebt sich über den schmalen Weg zwischen Wiese und Zaun. 600 Schafe, drei bis vier nebeneinander, laufen in Richtung Gartentor. Hinter ihnen liegt der Wald, vor ihnen ein Einfamilienhaus. Eigent­ lich sollten sie jetzt auf einem Feld stehen, doch sie haben die Abzweigung verpasst. Der Weg muss reichen, um sie zu drehen: Alle Leitschafe müssen nach vorne, alle Tiere zurück zum Feld. Die 14 Personen, die sie hierhergebracht haben, treten zurück. Es ist Zeit für „Aktionsjoker“ Till. Der Hund ist zur Sicherheit da, wenn etwas schiefläuft, so wie jetzt. Denn eigentlich soll die Gruppe die Herde führen, um Teamarbeit zu trainieren. Die Schafe zeigen, dass es noch Baustellen gibt. Erwin Germscheid ist Coach und arbeitet seit fast 20 Jahren mit Schafen. Schon die Natur habe einen positiven Effekt, sagt er. „Sie öffnet Menschen und löst etwas aus. Als Coach muss ich nicht lange bohren.“ Anders als in einem

Seminarraum. Und im Gegensatz zum Coaching mit Pferd ist bei Schafen der Teamaspekt schon einprogrammiert: 600 Tiere führt niemand allein. Die Übungen fangen einfach an: Es gibt noch keine Hin­ dernisse wie Kühe, Kreuzungen oder Autoverkehr, die kom­ men später. Zuerst sollen die Schafe von einer zur anderen Wiese ziehen. Die Gruppe muss zwei Personen benennen, die die Etappe leiten. Schäfer und Coach briefen sie über Ziel, Weg und Details. Nach dem Gespräch informieren die Führungskräfte ihr Team. Es sei spannend, wie viele Infor­ mationen in kurzer Zeit verloren gehen, sagt Germscheid. Die Situation ist neu, vielleicht fehlt Aufmerksamkeit. Aber statt nachzufragen, wollen viele loslegen. Auch im Team seien einige abgelenkt, tippen am Handy, machen Fotos und quatschen. Eine Führungskraft verzweifelt: „Das ist ganz genau wie bei uns im Büro.“ Der Tag mit den Schafen zeigt, was im Arbeitsalltag nicht rundläuft. Wer schlecht führt oder wenig kooperiert, kriegt es

„Im Kontakt mit dem Pferd erleben wir, wie unser Körper auf andere wirkt und ob das, was wir fühlen und machen, in Einklang miteinander steht.“ Johanna Vennemeier, Equicoach d ezem ber 20 23

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TITEL

TREUE

Treuegarantien Wie loyal Mitarbeitende sind, hängt von ihrer Berufs- und Lebensphase ab – und davon, wie gut Arbeitgeber sie in der jeweiligen Situation unterstützen. Drei Beschäftigte aus drei Generationen geben Einblicke in ihre Treuegarantien. Ein Beitrag von Anna Friedrich und Mia Pankoke

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orurteile, Schubladendenken, Unwissenheit: Konfliktpotenzial gibt es in den Büros hierzu­ lande genügend. Während für die Babyboomer (Jahrgänge 1946 –1964) oft Arbeit und Karriere an oberster Stelle stehen und Leistung in Arbeitszeit gemes­ sen wird, will die nachfolgende Generation X (1965 –1979) arbeiten, um zu leben. Sie legt zwar Wert auf eine gesunde Work-Life-Balance, doch berufliches Vorankommen und ein hoher Lebensstandard sind genauso hoch angesehen – wenn nötig auch mit Ellenbogenmentalität durchgesetzt. Die Millennials oder Generation Y (1980 bis cicra 1994) sind mit unendlichen Möglichkeiten aufgewachsen, schätzen Flexibilität und flache Hierarchien. Die Gen Z (ab circa 1995) sieht ihren Sinn nicht in der Karriere, sondern will die Welt zu einem besseren Ort machen – preußische Arbeitstugend gehört nicht zu ihren Charakteristika. Je nach Durchmischung treffen also vier Generationen am Arbeitsplatz aufeinander – die Altersspanne in einem Team kann so durchaus mehr als 40 Jahre betragen. Das ist nicht nur eine Herausforderung für Führungskräfte, sondern auch für HR. Es muss dafür sorgen, dass die Stim­ mung in altersgemischten Teams nicht kippt und muss die Mitarbeitenden bei der Stange halten. Bei der Generation X ist das vergleichsweise leicht: Die Forsa-Studie Die vergessenen Leistungsträger im Auftrag des Personalspezialisten Onlyfy bestätigt, dass 69 Prozent der 43- bis 58-Jährigen langfristig bei ihrem Arbeitgeber bleiben wollen. 55 Prozent können sich sogar vorstellen, bis zur Rente dort zu arbeiten. Das macht die Generation X noch vor den Babyboomern zu den loyalsten Arbeitnehmenden. Im Vergleich ist die

Wechselbereitschaft der Gen Z deutlich höher: 51 Prozent können sich vorstellen, den Arbeitgeber zu wechseln. Bei der Generation Y sind es 47 Prozent. Die Millennials sind mitunter als Jobhopper verschrien. Sie messen Loyalität nicht daran, wie lange sie bei einem Unternehmen bleiben, sondern wie stark sie sich in dieser Zeit für ihren Arbeitgeber ins Zeug legen. Eine Lösung, um möglichst allen entgegenzukommen und Beschäftigte bei Laune zu halten, kann lebenspha­ senorientierte Personalpolitik sein. Sie besteht aus vielen Puzzleteilen, so dass sich jeder genau das für sich passende Teilchen raussuchen kann. Standard ist hier die Eltern- und Familienzeit, immerhin spielt Familienfreundlichkeit seit langem eine große Rolle, wenn es um die Attraktivität des Arbeitgebers geht. Auch für Nachwuchskräfte legen sich Fir­ men ordentlich ins Zeug, bieten in hauseigenen Akademien und externen Workshops das Rüstzeug für eine gelungene Karriere. Schwieriger wird es bei weichen Faktoren wie Teamzusammenhalt und Unternehmenskultur, die vor allem für die Generationen X und Y ein entscheidendes Treue-Kri­ terium sind. Deshalb gilt für HR: genau zuhören – und allen gerecht werden, zumindest so gut es irgendwie geht. So komplex die einzelnen Bestandteile lebensphasenori­ entierter Personalpolitik auch sind: Berufs- und Lebenspha­ sen lassen sich clustern – und daraus kann HR übergreifende Strategien ableiten. Zum Beispiel für die Lebensphasen Single, Krankheit, Familie und Kinderbetreuung, Familie und Pflege. Wir haben drei Vertreterinnen aus verschiede­ nen Lebensphasen gefragt, warum sie ihrem Arbeitgeber treu sind.

Je nach Durchmischung treffen also vier Generationen am Arbeitsplatz aufeinander – die Altersspanne in einem Team kann so durchaus mehr als 40 Jahre betragen. 42

www. hu ma n re so u rcesma n age r. d e


TITEL

Emma Ostendorf, 25 Jahre alt, seit sechs Monaten Volontärin im Bereich B2B-Kommunikation und Datenanalyse bei Otto:

Foto: Otto

Treue bis zur Rente? Das ist nichts für mich. „Vor einem Jahr habe ich noch Kommunikationsmanage­ ment in Lingen studiert, jetzt wohne ich in Hamburg und arbeite bei Otto. Dass es die Hansestadt werden soll, war mir schon lange klar. Beim Arbeitgeber dagegen war ich offen: Ich habe mich bei einigen Unterneh­ men beworben, die meine Wert­ vorstellungen und Erwartungen erfüllen. Damit meine ich sowohl die Ansprüche, die ich an einen Arbeitgeber beziehungsweise an ein Unternehmen habe, als auch die an mich selbst. Und die sind eigentlich relativ simpel: Ich will nicht, dass mein Arbeitgeber der größte Weltver­ pester ist. Oder dass er sich für Dinge stark macht, die ich nicht vertrete. Klar, Otto ist ein E-Com­ merce-Unternehmen und verkauft auch Kleidung. Beides kann man negativ sehen, also die Textilpro­ duktion und den Energiebedarf von Digital­­unternehmen. Otto aber versucht, auf die Themen einzugehen und Stück für Stück ­besser zu werden, und darauf kommt es für mich an. Ich finde es wichtig, dass sich mein Arbeit­ geber dafür einsetzt, dass die Welt besser wird, etwa für Nachhaltig­ keit und Diversity, gegen Diskriminierung oder Rassismus. Die Otto-HR hat einen Leitfaden entwickelt, der trans Menschen im Umwandlungsprozess unterstützt. Es gibt Coding-Konferenzen nur für Frauen. Viele Beratungsleis­ tungen sind speziell für ältere Menschen zugeschnitten. Ich finde das sehr gut, obwohl ich nicht alle Angebote nutzen kann. Wenn mein Arbeitgeber andere Gruppen im Unternehmen stärker unterstützt, ist das total okay und sollte auch so sein. Das ist ja kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander. Und darauf kommt es doch am Ende an, zumindest für mich. d ezem ber 20 23

Deshalb habe ich in der Bewerbungsphase darauf geach­ tet, wie mit den Menschen im Unternehmen umgegangen wird. Werden sie unterstützt? Wird ihre Stimme gehört? Wie sind die Leute in meiner künftigen Abteilung drauf? Ich hatte schon viel Gutes über Otto aus meinem Bekann­ tenkreis gehört, habe Artikel über das Unternehmen gele­ sen und Bewertungen gesucht. Und ich muss sagen: Wenn ich gewusst hätte, wie es hier ist, hätte ich mich noch viel eher beworben. Besonders gut gefällt mir, dass Otto das ÖPNV-Ticket bezuschusst, ich fahre nämlich nur Bahn. Auch der Campus ist wunderschön mit Meditationsräumen und Billardtischen. In der Kantine gibt es für mich als Veganerin eine große Auswahl. Das hätte ich nie erwartet, aber bin total froh, diese Benefits zu haben. Würde es das alles nicht geben, wäre das aber auch in Ordnung. Für mich ist das Zwischenmenschliche ent­ scheidender. Ich bin ein großer Fan von Diskurs. Jeder darf seine Mei­ nung haben und äußern. Ich kann mir vorstellen, dass all diese Maßnahmen und die Arbeits­ kultur dazu führen, dass viele Beschäftigte hier über lange Zeit arbeiten möchten, dem Unterneh­ men also gewissermaßen treu blei­ ben. Trotzdem gibt es aber je nach Lebensphase, in der die Menschen stecken, unterschiedliche Ansich­ ten zur Arbeit und auch zum Thema dauerhafte Loyalität. Mein Team besteht aus rund 25 Leuten, vom Volontär bis zur altgedienten Fach­ kraft. Ich merke schon, dass ältere Generationen daran gewöhnt sind, jeden Tag ins Büro zu gehen und ihre Arbeitszeit dort zu verbringen. Ich bin gerne vor Ort, aber keine fünf Tage am Stück. Und ich möchte maximal die Zeit arbeiten, die in meinem Arbeitsver­ trag steht. Mal Überstunden zu machen, ist okay, aber nicht täglich. Mir ist wichtig, dass Überstunden vergütet werden in Freizeit oder Geld. Nach meinem Volontariat würde ich gerne in Vollzeit übernommen werden. Aber Treue bis zur Rente? Das ist nichts für mich. Nach spätestens fünf bis zehn Jahren will ich den Absprung schaffen und nach Süddeutschland ziehen. Das sehen meine privaten Pläne vor – und die sind mir nun mal noch wichtiger als mein Job. Mal schauen, welche Arbeitgeber dort meine Erwartungen erfüllen.“ 43


TITEL

TREUE

Der Einzelkämpfer Im Jahr 2016 wurde bekannt, dass ein Apotheker in Bottrop die ChemotherapieMedikamente Tausender krebskranker Menschen gestreckt hatte – so waren die Präparate nutzlos. Aufgedeckt hatte das Verbrechen der kaufmännische Leiter der Apotheke: Martin Porwoll. Er ist einer der bekanntesten Whistleblower Deutschlands. Der Preis für seinen Mut war hoch. Ein Porträt von Jeanne Wellnitz

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Martin Porwoll

TITEL

ist studierter Volkswirt und hat 2016 den Bottroper Apothekerskandal aufgedeckt. Sein damaliger Chef hat im großen Stil Krebstherapien gepanscht. Inzwischen hat Porwoll sein eigenes Unternehmen gegründet und setzt sich gegen Übertherapie und Fehlversorgung im Gesundheitssystem und damit weiterhin für das Wohl der Menschen ein.

Foto: privat

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ines nachts sitzt Martin Porwoll allein in den Räumen der Alten Apotheke in Bottrop und ver­ gleicht heimlich Zahlen in einer Excel-Tabelle. Er zählt zusammen, wie viel Milligramm eines Krebsmedikaments die Apotheke eingekauft hat. Dann geht er alle Rezepte durch und summiert die von den Ärzten verschriebene Menge auf. Und sein Verdacht bestätigt sich: Die eingekaufte Wirkstoffmenge ist viel geringer als das, was laut Rezeptlage in den Chemotherapien gelandet ist. Die Infusionen, die der Chef der Alten Apotheke, Peter Stadtmann höchstpersönlich – meist morgens allein im Labor – für seine Krebspatienten zusammengemischt hat, waren gepanscht oder gar vollkommen ohne Wirkstoff. Tausende Krebskranke in sechs Bundesländern – sie werden betrogen. Doch Martin Porwoll kann zu diesem Zeitpunkt nichts ver­ raten, er muss schweigen und weitere Beweise sammeln. Das war im Januar 2016. Die Rezepte sind eigentlich das Heiligtum einer Apotheke, die Währung der Pharmazie. Dass Porwoll damals überhaupt auf die sensiblen Daten zugrei­ fen kann, hat er sich als kaufmännischer Leiter, Personaler und EDV-Beauftragter hart erarbeitet. Sein Chef scheint sich sicher zu fühlen. Dabei verbirgt sich hinter den Zah­ len buchstäblich kalkulierte Grausamkeit. Eigentlich hätte der Bottroper Apotheker Peter Stadtmann, ein gefeierter Gönner der Stadt, bangen müssen, dass ihm jemand auf die Schliche kommt. Heute sitzt er im Gefängnis, noch immer hat er sich nicht zu seinen Taten geäußert. Das Urteil: Zwölf Jahre Haft, 17 Millionen Euro Geldstrafe und lebenslanges Berufsverbot wegen eines schweren Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz in 14.500 Fällen. Die Schadenssumme der Kranken­ kassen durch die gefälschten Abrechnungen laut Staatsan­ waltschaft: 56 Millionen Euro. Es wurde einer der größten d ezem ber 20 23

Medizinskandale der vergangenen Jahrzehnte. Die Familien der in diesem Zusammenhang an Krebs Verstorbenen quält die Frage: Könnten ihre Angehörigen noch leben?

Das Medienecho Als der Betrug ans Licht kam, erfuhren Peter Stadtmanns Opfer davon aus den Medien. Medikamentenlisten wurden teilweise veröffentlicht, doch die Gesundheitsbehörden informierten die Betroffenen nicht von sich aus, es herrschte Unsicherheit. Also organisierten die Menschen Protestzüge. Die Hauptforderung: mehr und bessere Kontrollen in den sogenannten Zytostatika-Apotheken. Von denen gibt es nur 200 in Deutschland. Heike Benedetti, eine Brustkrebspa­ tientin, wird zum Gesicht der Betroffenen in den Medien. Sie gehört einer Gruppe von Frauen an, die sich durch die Chemotherapie kennengelernt haben. Sie nennen sich die Onko-Mädels, wollten alles gemeinsam durchstehen – und wunderten sich, warum bei einigen durch die Infusionen die Haare nicht ausfielen, sie keinerlei Nebenwirkungen zeigten. So erzählen sie es in den zahlreichen Dokumenta­ tionen über den Fall. Als der Skandal öffentlich wurde, war ihnen plötzlich klar: Diejenigen, die ihre Haare behielten, hatten wohl das gepanschte Mittel erhalten – wo keine Wir­ kung, da auch keine Nebenwirkung. Fünf der zehn Frauen sind mittlerweile gestorben. Eine Studie aus dem Jahr 2021 ergab schließlich, dass die Patientinnen und Patienten der Bottroper Apotheke ein Drittel mehr Chemo bekamen als die Kontrollgruppe einer anderen Apotheke. Die Ärzte hat­ ten also immer mehr verschrieben, weil die Chemo nicht richtig anzuschlagen schien. Das Geld für die gefälschten Dosen floss in die Taschen von Peter Stadtmann. Er residierte damals in einer Luxusvilla für elf Millionen Euro. Vom Bad 47


LETZTE SEITE

Die Treue-Retterin Damit Konflikte die Treue nicht erschüttern und berufliche Beziehungen weiter Bestand haben, braucht es manchmal mehr als nur gute Worte, damit beide Parteien einander verstehen. In diesem Wissen fand Stephanie Huber ihre Berufung darin, Menschen aus Konflikten und Krisen zu führen.

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die Bereitschaft und den Mut, sich dem Unbequemen zu stellen. Provokation entgegnet man am besten mit … Souveränität. Wenn Sie mit mir Tennis spielen möchten, ich mich aber auf die Grundlinie setze, können Sie hin­ spielen, wohin Sie wollen. Wahrschein­ lich werde ich erst aufspringen und zurückschmettern, wenn ich getrof­ fen werde. Und genauso ist es bei Kon­ flikten und Provokation. Wir antwor­ ten, wenn wir uns getroffen oder auch betroffen fühlen. Konfliktmanagement ist wichtig, weil … es Frieden schafft. Es hilft dabei, die Person hinter dem Streit zu erken­ nen. Denn sie ist immer ein Mensch. Ein Mensch mit Emotionen und ein Mensch, der wahrscheinlich genauso wie wir in Konflikten Verletzungen spürt. Das Spannendste an meiner Arbeit ist … dass die Menschen sich streiten, wenn ich komme. Und friedlich miteinander vereint sind, wenn ich gehe. Ich könnte eine Seifenoper über die zuvor vorge­ fallenen Dinge schreiben. Und die wäre wahrscheinlich sogar erfolgreich, weil wir uns alle in den Geschichten wie­ derfinden.

Echtes Interesse am Menschen zeigt man durch … aktives Zuhören! Zuhören, was der Mensch sagt, was ihn bewegt oder ihn wütend macht. Das bedeutet für mich auch, Fragen zu stellen, ohne Interpre­ tation oder gar Bewertung. Treue üben ist Tugend, Treue ­erfahren ist … ein Wert, vor dem ich große Achtung habe und den ich sehr pflege. Er hat für mich viel mit Vertrauen zu tun. Loyalität bedeutet für mich … eine innere Haltung und eine wichtige Grundlage für das menschliche Mit­ einander in allen Beziehungen. Auf­ richtigkeit, Ehrlichkeit und Zuverläs­ sigkeit und dass man sich aufeinan­ der verlassen kann. Ein Ratschlag, der fast immer zutrifft: Ein Konflikt kann mit einem einzi­ gen Tool geklärt werden: Zuhören. Die treuesten Gesprächspartner sind gute Zuhörer. Die Fragen stellte Salome Häbe.

Stephanie Huber arbeitet seit 2013 als selbstständige Mediatorin mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsmediation und Konfliktmanagement.

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Foto: Foto Thanner

Die meisten Konflikte entstehen durch … Unausgesprochenes. Und dadurch, dass Menschen an etwas wie Schuld glauben. Dabei sind die eigenen Gefühle dafür verantwortlich, dass Konflikte entstehen. Streit ist manchmal nötig, weil … Streit wie ein Gewitter die Luft reinigen kann. Blitzt und donnert es, dann ent­ lädt sich Energie. Bei Konflikten ent­ laden sich die Emotionen der Betrof­ fenen. Wenn sich zwei streiten, klärt das (besser) … eine neutrale, außenstehende Person. Man verliert den neutralen Blick für das große Ganze, wenn man selbst betrof­ fen ist. Konstruktive Kritik besteht aus … Feedback von anderen, Anregungen und auch subjektiven Meinungen. Leider ist sie oftmals negativ behaf­ tet. Dabei dient sie dem Fortschritt, der Veränderung und Zukunft, wenn man sie als Chance und nicht als des­ truktives Werkzeug betrachtet. Ungelöste Konflikte sind wie … offene Schuhbändel: irgendwann stol­ pert man darüber. Deshalb ist es bes­ ser, die Themen konstruktiv zu klären, als sie unter den Teppich zu kehren. Dafür braucht es …


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