Human Resources Manager: Schwerpunkt "Gender"

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GENDER


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EDITORIAL

Rollenverständnis

Sven Lechtleitner, Leitender Redakteur Human Resources Manager

Coverillustration: non-exclusive / Getty Images; diese Seite: privat

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ährend meiner Kindheit und Jugend sowie als junger Erwachsener bin ich häufig mit dem Stereotyp des männ­lichen Geschlechts konfrontiert worden. Als Jugendlicher hörte ich, dieses oder jenes machen Jungs nicht – und sie tragen vor allem keine langen Haare. Nun gut, Letzteres hat sich im Laufe der Jahre von selbst erübrigt. Dem klas­ sischen Männerbild entspreche ich aber auch heute noch nicht. Viele wundert vor allem mein mangelndes Interesse für Fußball oder Autos. Damit fallen in einer Herren­runde reichlich Gesprächsthemen weg. Mich überrascht in sol­ chen Momenten, wie stark Geschlechter­klischees in den Köpfen mancher verankert sind: Der technik­affine und fuß­ ballschauende Mann auf der einen Seite, die Frau, die sich für Mode interessiert und nicht einparken kann, auf der anderen? Solches Denken findet sich auch im Beruf: Wäh­ rend Männer oftmals locker zwölf Stunden am Tag ihrem Job nachgehen können, müssen Frauen Familie und Kar­ riere irgendwie unter einen Hut bringen. Die rechtliche Gleichstellung von Männern und Frauen ist hierzulande zwar gewährleistet, dennoch sind Frauen in vielerlei Hinsicht benachteiligt. So hinkt der Frauen­ anteil in Führungspositionen hinterher. Auch klafft zwi­ schen den Geschlechtern immer noch eine Lücke, wenn es um die Bezahlung geht. Dabei ließe sich der Gender Pay Gap im Handumdrehen schließen. Männer in Eltern- oder s e p tem ber 20 21

Pflegezeit, die mehr als zwei oder drei Monate dauert, sind zudem immer noch eine Ausnahme. Das hat auch mone­ täre Gründe. Wer sich dennoch dafür entscheidet, kommt im Job oft in Erklärungsnot. Vorgesetzte und einige aus dem Kollegium zeigen teils wenig Verständnis, wenn Eltern sich für eine untypische Aufteilung entscheiden. Mütter in Voll­ zeitbeschäftigung gelten rasch als herzlos, Männer, die bei ihrem Kind sein wollen, als Softies. Ein Rollenverständnis, das weder in unsere Zeit passt noch mit der Realität vieler Menschen einhergeht. Trotz oder gerade wegen der Diskrepanzen geht es in Sachen Geschlechterrollen voran. Das tradierte Rollen­ verständnis von Mann und Frau erlebt einen gesellschaft­ lichen Wandel, der sich auch auf die Arbeitswelt auswirkt. Wir befinden uns mitten im Gender Shift und die Stereo­ type, die vom sozial definierten Geschlecht ausgehen, wer­ den zunehmend hinterfragt. Das biologische Geschlecht wird dabei vom sozialen Geschlecht Gender unterschieden. Denn in einer Gesellschaft definiert sich das Geschlecht über die kulturelle Prägung – also das, was uns vom Umfeld anerzogen und vorgelebt wird. In den Unternehmen ist es die Aufgabe von HR, ein Bewusstsein für den Gender Shift zu schaffen – und so zu einer vielfältigen Arbeitswelt bei­ zutragen, in der sich alle Menschen gleichberechtigt ver­ wirklichen können, ganz gleich ob Frau, Mann oder nicht­ binäre Person. 3


24 Auf der Suche nach Talenten ­s­ollten Stellen­angebote zielgruppen­gerecht ­getextet sein – und gleich­zeitig ­niemanden diskriminieren. Doch fühlen sich durch den Klammerzusatz (m/w/d) im Stellentitel wirklich alle ­angesprochen?

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Editorial

6 Meine Arbeitswelt Recruiting-Experte Robindro Ullah hat während der Pande­ mie sein Homeoffice aufgerüstet und sich ein smartes Springseil gekauft. 8

Debatte aktuell Arbeiten wir bis ins hohe Alter?

11 Schnappschuss

12 Guerilla Recruiting Wie Sie potenzielle Fachkräfte dort erreichen, wo sie es nicht erwarten

34 Papa macht das schon Männer nehmen seltener ­Elternzeit als Frauen. Wie kann HR für mehr Balance sorgen?

SCHWERPUNKT: GENDER

38 Female Leadership Ein Gespräch mit Linguistin und Beraterin Simone Burel über die Hoffnung auf ein Human Leadership

16 Gender Diversity Wie gelingt eine Karriere ohne Barriere? 20 Mehr Tempo, bitte! Was kann das HR-Marketing tun, um offene Stellen gleichermaßen attraktiv für alle zu machen? 24 Gendergerechte Stellen-­ anzeigen Die Debatte um gendergerechte Sprache tobt. Wie geht HR mit dem Thema um in Hinblick auf Karrierewebsites und Stellenan­ zeigen? 30 Die Mutmacherin Sandra Vollmer, Vorständin für Finanzen und HR, spricht über ihre Transition zur Frau und das Outing im Beruf.

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Robindro Ullah ist Geschäftsführer des Trendence Instituts. Er unterstützt Unternehmen im Bereich Talent Intelligence und hat HR-Trends im Blick – und zeigt uns seine Arbeitswelt.

44 Close the Gap Warum verdienen Frauen noch immer weniger als ihre Kollegen? Und wie lässt sich das Gender Pay Gap schließen? IM FOKUS: ­ GHOSTING 48 Rendezvous mit einem Geist Wie vorgehen, wenn die Ideal­ besetzung im Prozess abtaucht und Kontakt­versuche ins Leere laufen? ANALYSE 52 Eine Frage des Typs Wie unterschiedlich reagieren Beschäftigte auf den Wandel der Arbeitswelt?

Fotos: Prostock-Studio / Getty Images; privat; Say-Cheese / Getty Images; privat; René Fietzek

MEINUNG


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PRAXIS 56 Rückkehr ins Büro Wie können Organisationen ihre Angestellten motivieren, wieder vom Büro aus zu arbeiten? Und ist das überhaupt sinnvoll?

Noch immer verdienen Frauen ­überall auf der Welt weniger als Männer, auch für gleiche und gleichwertige Tätigkeiten, ­sogar in ein und demselben ­Unternehmen. Dabei

60 Sprachstile der Generationen Im Unternehmen kann Sprache Generationen verbinden, aber auch spalten. Wie kommt es dazu? 64 Ein „Grüß Gott“ aus Berlin Ende August fand der Personal­ managementkongress als hy­ brides Event in Berlin statt – mit einem bayerischen Auftakt. 66 Hingehört In dieser Rubrik zeigen wir wichtige Podcasts rund um HR, Arbeit und Menschen. In Folge zwei: Die Boss von Simone ­Menne 68 Geheimnisse der Bullshitologie Warum nennt das Management Dinge nicht beim Namen? Eine Rezension von Jens Bergmanns Buch Business Bullshit

ließe sich der G ­ ender Pay Gap­über Nacht schließen.

70 Rein­geschaut Diese Neuerscheinungen aus dem Büchersommer könnten für HR interessant sein. 72 Sieben Gedanken Gesine Schulz, Beraterin für HR-Interimsprojekte, über die Rolle von TikTok im Recruiting RECHT

82 Interview: Inga Dransfeld-­ Haase „Die Arbeitswelt der Zukunft zu gestalten: Das geht nicht ohne HR.“ 84 Die besten Diversity Hacks Neue Servicebroschüre der Fachgruppe D&I

74 Aktuelle Urteile

86 Fachgruppe New Work Der BPM hat eine neue Fach­ gruppe ins Leben gerufen.

76 Essay Künstliche Intelligenz dringt auch in die Arbeitswelt vor. Welche Grenzen setzt das Arbeitsrecht?

88 Transformation von HR Was bedeutet die Trans­ formation von Organisationen für HR?

77 Impressum

LETZTE SEITE

VERBAND

90 Fragebogen Rebecca Richter und Katja ­Dunkel führen eine Kanzlei für ­Frauen und queere Personen.

80 Editorial 81 Bundestagswahl 2021 Die Parteiprogramme aus Sicht des Verbands

30 Sandra Vollmer wurde als Junge groß­ gezogen. Heute ist die 46-Jährige eine Frau. Ihre Transition fand zwischen Management­posten und Familie mit Kind statt. Über den Schritt in ein neues Leben


M E I N U N G

IMPULS

Überraschung! Ein Gastbeitrag von Frank Thieme

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Guerilla Recruiting bricht bewusst mit traditionellen Ansätzen der Personalsuche. Die Taktik setzt auf das Prinzip der Unvorhersehbarkeit. Die kreative Recruiting-Methode erreicht potenzielle Fachkräfte dort, wo sie es nicht erwarten.

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MEINUNG

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er Begriff „Guerilla“ stammt aus dem Spani­ schen und bedeutet in etwa „Kleinkrieg“. Die Besonderheit daran ist: sich im Kampf im Hin­ terhalt zu verstecken und zuzuschlagen, wenn es der Feind oder die Gegnerin am wenigsten erwartet. Die größte Waffe dabei ist das Überraschungsmoment. Auch wenn die Guerilla-Taktik aus der Kriegsführung stammt, ist sie im unternehmerischen Kontext keineswegs martialisch gemeint. Dieses unkonventionelle Vorgehen ist längst Teil zahlreicher Marketing-Strategien. Je überraschender und unvorhersehbarer eine Guerilla-Kampagne ist, desto erfolg­ reicher ist sie. Manche HR-Abteilungen ziehen nach und nutzen die Idee dahinter für das Recruiting. HR kann Gue­ rilla Recruiting einsetzen, um begehrte Fachkräfte aufzu­ spüren und wichtige Stellen im Unternehmen zu besetzen. Das Herzstück einer erfolgreichen Guerilla-Kampagne im Recruiting ist die Idee, potenziellen Kandidatinnen und Bewerbern eine Stelle so kreativ und unkonventionell zu präsentieren, dass diese sich bewerben. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Es geht einzig und allein darum, das Jobangebot dort zu präsentieren, wo die Ziel­ gruppe am wenigsten damit rechnet: direkt am Arbeitsplatz, auf dem Arbeitsweg oder im privaten Umfeld. Immer mit dem größtmöglichen Überraschungseffekt.

Foto: Svyatoslav Balan / Getty Images

Innovative Recruiting-Ansätze Immer mehr Unternehmen können in Zeiten des Fachkräf­ temangels offene Stellen nicht besetzen. Vor allem in den Berufen der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik sowie im Gesundheits- und Pflegebereich ist der Bedarf an Personal groß. Stellenanzeigen allein reichen hier nicht aus. Hinzu kommt, dass Stellenanzeigen über Jobportale meistens nur diejenigen ansprechen, die aktiv auf Jobsuche sind. Der weitaus größere Teil der Personen auf dem Arbeitsmarkt ist aber gar nicht auf Stellenbörsen unter­ wegs – obwohl viele von ihnen durchaus offen für einen Wechsel des Arbeitsplatzes wären, sofern das Angebot inte­ ressant ist. Genau diese passiv suchenden Fachkräfte errei­ chen Unternehmen mit Guerilla Recruiting und können der Konkurrenz die Talente vor der Nase wegschnappen. Hartnäckig hält sich das Gerücht, Guerilla Recruiting sei nur für die Kreativ- und Werbebranche geeignet. Denn viele bekannte Guerilla-Recruiting-Kampagnen wurden von se p tem ber 20 21

Agenturen für die eigene Talentsuche umgesetzt. Hinter­ grund ist, dass das Entwickeln kreativer Ideen zum Kernge­ schäft jeder Agentur gehört. Doch Guerilla Recruiting eignet sich für alle Branchen, Stellen und Hierarchieebenen. Egal ob Fach- und Führungskräfte oder Blue-Collar-Beschäf­ tigte: Mit diesem innovativen Recruiting-Ansatz finden Unternehmen Talente vor allem dann, wenn konventionelle Wege nicht mehr funktionieren. So gestaltet sich selbst für bekannte Automobilkonzerne die Suche nach qualifizierten Kfz-Mechanikerinnen und -Mechatronikern schwierig. Warum deshalb nicht einmal völlig neue Wege im Recruiting gehen? Die Idee eines Kon­ zerns: Fachkräfte freier Autowerkstätten ins Visier nehmen. Das Unternehmen brachte präparierte Autos, bei denen das Jobangebot gut sichtbar am Unterboden befestigt war, in Werkstätten. Genau dort entdeckten es die gesuchten Fachkräfte.

Zielgruppenanalyse erforderlich Beim Guerilla Recruiting lauern Recruiterinnen und HRler ihrer Zielgruppe an den verschiedensten Orten und zu unter­ schiedlichsten Gelegenheiten auf. Schließlich wollen sie potenzielle Bewerberinnen und Kandidaten mit dem Joban­ gebot maximal unvorhersehbar überraschen. Dazu müssen sie ihre Zielgruppe genau kennen und wissen, wen sie suchen. Welche Personengruppen werden am erfolgreichsten die zu besetzenden Stellen ausfüllen? In welchen Branchen, Berufen und Unternehmen arbeiten mögliche Zielpersonen? Anschließend müssen sich Recruiting-Verantwortliche in diese Personen hineinversetzen, deren Vorlieben, Wünsche und Bedürfnisse herausfinden. Sie müssen wissen, wo und wie sie arbeiten und was sie in der Freizeit machen. Eine sorgfältige Zielgruppenbestimmung und -analyse ist des­ halb Voraussetzung für erfolgreiche Guerilla-Kampagnen im Recruiting. Bei der Definition unterschiedlicher Zielgruppen hilft die Beantwortung folgender Fragen: • Welche Berufserfahrung ist wichtig? • Kommen auch Jobanfänger und Berufseinsteigerinnen infrage? • Über welche Qualifikationen, Kenntnisse und Fähig­ keiten sollten Zielpersonen verfügen? 13


T I T E L

GENDER

Die Rakotzbrücke steht in einer der größten Parkanlagen Sachsens. Die Reflexion der Brücke im Wasser erzeugt einen Kreis – ebenso vollkommen könnten in einer idealen Welt alle Geschlechtsidentitäten gleichberechtigt leben.

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TITEL

Karriere ohne Barriere Ein Gastbeitrag von Felix Korten

Foto: DaLiu / Getty Images

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Das Geschlecht spielt in Deutschland noch immer eine erhebliche Rolle im Berufsleben. Insbesondere für Frauen gehören Lohnunterschiede, Rollenklischees und Sexismus zum beruflichen Alltag. Klare Richtlinien im Hinblick auf Gender Diversity und ihre konsequente Umsetzung sorgen in Unternehmen für mehr Fairness und Teilhabe.

iskriminiert, diffamiert und sexuell belästigt: Gleichberechtigung im Beruf scheint für viele Frauen noch immer ein weit entferntes Ziel. Obwohl viele Hürden bereits gefallen sind, gilt Gender Diversity in zahlreichen deutschen Betrieben weiterhin als Fremdwort. Rechtliche Vorgaben wie das Entgelttransparenzgesetz haben daran bislang nur bedingt etwas geändert. So verdienten Frauen im Jahr 2020 nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Schnitt immer noch 18 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Die Statistik besagt außerdem, dass sich in den Führungsetagen nach wie vor deutlich mehr Chefs als Chefinnen tummeln. Und selbst sexualisierte Kommentare, Geschlechtstypisie­ rung oder sogar Übergriffe gehören in der Post-MeToo-Ära für viele Mitarbeiterinnen bis heute zur Realität im Job. Wie die Stiftung des Weltwirtschaftsforums (WEF) berichtet, verschärft die Corona-Pandemie diese Situation noch zu­ sätzlich. Deutlich zeigt sich das insbesondere am internati­ onalen Gleichstellungsindex, in dem Deutschland auf Platz

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elf von 156 fiel. 2006 belegte die Bundesrepublik noch Rang fünf. Kein Wunder also, dass der Ruf nach echtem Wandel in der Arbeitswelt und rechtlichen Rahmenbedingung wie einer allgemein verbindlichen Frauenquote in Führungs­ etagen lauter wird. Gesetze können in Sachen berufliche Chancengleichheit jedoch nur als Leitplanken für eventu­ elle Grenzüberschreitungen gelten. Das Wesentliche muss die Unternehmenskultur vorgeben.

Vor dem Gesetz sind alle gleich Zwischen den Geschlechtern klafft in Deutschland eine der größten Lohnlücken Europas. Als Gründe werden dafür häufig die Unvereinbarkeit von Job und Familie sowie per­ sönliche Präferenzen bei der Berufswahl genannt. So sind beispielsweise soziale oder personennahe Dienstleistungen wie in der Kranken- und Altenpflege oder Drogerie häufig schlechter entlohnt als technische Berufe. Auch längere, familienbedingte Erwerbsunterbrechungen – sei es durch 17


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GENDER

Schluss mit dem Schneckentempo! Was kann das HR-Marketing tun, um offene Stellen gleichermaßen attraktiv für alle zu machen – unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität?

Ein Beitrag von Kathrin Justen

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Abbildung: WD Stuart / Getty Images

eit 2001 gibt es den Aktionstag Girls’ Day, seit 2011 das Pendant, den Boys’ Day. Ziel der Initiativen ist es, Schulkinder zwischen den fünften und zehnten Klassen für eine geschlechtergerechte Berufs- und Lebensplanung zu sensibilisieren. So sollen die weiblichen Jugendlichen eher auf Tätigkeiten im MINT-Bereich neugie­ rig gemacht werden, die männlichen mehr für erzieherische oder pflegerische. Gerade bei letzteren Berufen scheint die Initiative zu wirken: Nach aktuellen Zahlen waren Ende 2020 24 Prozent der Auszubildenden im generalistischen Pflegeberuf männlich, 2009 lag der Anteil bei 19 Prozent. Neben diesen inzwischen weit bekannten Initiativen gibt es auch auf kommunaler Ebene Bemühungen um eine geschlechtersensible Berufsorientierung. In diesem Feld ist Claudia Hilse tätig. Sie koordiniert bei der Regionalen Personalentwicklungsgesellschaft mbH (REGE) den Über­ gang Schule zu Beruf für die Stadt Bielefeld. In dieser Rolle hat sie federführend das Handlungskonzept „Geschlech­ tersensible Berufsorientierung in Bielefeld“ mit herausge­ geben. „Ich begleite das nun inzwischen seit fast 30 Jahren und hätte mir damals nicht träumen lassen, dass wir uns heute immer noch so damit befassen müssen“, sagt Claudia Hilse. Ihr Eindruck ist, dass die Lieblingsberufe der Jugend­ www. hu ma n reso u rce sma n age r. d e


TITEL

lichen in den Jahren häufig nahezu gleich geblieben sind. Einen Grund dafür sieht sie in dem Wunsch nach sozialer Anerkennung bei der Berufswahl. Diese sei stärker, wenn die Jugendlichen einen vermeintlich für ihr Geschlecht typischen Beruf wählten. Umso wichtiger ist ihr, dass die Erkenntnisse des neuen Handlungskonzepts den Weg in die ansässigen Unternehmen finden. Was können diese also unternehmen, um ihre Arbeitsplätze gleichermaßen attraktiv für Frauen und Männer zu gestalten?

Erfahrungsberichte erlebbar machen „Die Verantwortlichen müssen sich der unterschiedlichen Sozialisation und Kommunikationsmuster von Männern und Frauen bewusst sein“, rät Hilse. Und man sollte die Zielgruppe selbst, in ihrem Fall vor allem die Schülerin­ nen und Schüler, nach Tipps fragen und nach dem, was sie für Informationen brauchen, um sich für einen Beruf zu entscheiden. Auch betont Claudia Hilse die Bedeutung von Vorbildern. Testimonials, die davon berichten, wie es im Unternehmen zugeht und was es heißt, als Mann oder als Frau in einem bestimmten Beruf zu arbeiten, und wie man dorthin gekommen ist. se p tem ber 20 21

Die Testimonials sind auch ein wiederkehrendes Thema in den Gesprächen mit Natascha Hoffner und Anja Seng. Natascha Hoffner ist Gründerin und Geschäftsführerin von HerCareer, Anja Seng ist Professorin an der FOM Hoch­ schule und Rektoratsbeauftragte für Diversity Management. Nach Ansicht von Hoffner gehe es bei Testimonials darum, Erfolgsgeschichten sichtbar zu machen. Noch besser seien aber nicht nur Role Models, sondern Mentoren, Begleiterin­ nen oder sogar Sponsoren, die Türen ganz konkret öffnen können. Anja Seng weist darauf hin, dass es bei dem Thema interessanterweise wenig Empirie gibt und sich zudem viel im Unbewussten abspiele. Sie sieht den entscheidenden Vorteil der Testimonials in deren Glaubwürdigkeit und zieht den Vergleich mit Influencerinnen und Multiplika­ toren: „Diese moderne Form des Erfahrungsberichtes ist einfach sehr en vogue. Das zeigt das Produktmarketing.“ Dabei plädiert sie für ein authentisches Vorgehen: „Es sollte nicht vorne draufstehen, dass diese Person nun für einen bestimmten Diversitätsaspekt stehen soll. Es geht vielmehr darum, die Themen, die der Organisation ein Anliegen sind, durch diese Person erlebbar zu machen.“ Als weiteres hilfreiches Format sieht sie spezifische Veranstaltungen. „Nach einem Event speziell für Profes­ 21


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Ein Beitrag von Jeanne Wellnitz

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Die Debatte um gendergerechte Sprache tobt. In den Unternehmen beschäftigen sich vorrangig Kommunikations­ abteilungen mit Chancen und Tücken gendersensibler Sprache. HR tippt derweil meist (m/w/d) in die Stellentitel. Aber fühlen sich damit wirklich alle angesprochen?

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Foto: David De Lossy / Getty Images

Textkompetenz gesucht (m/w/d)


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as Budget für das neue Projekt ist freigegeben. Der Auftrag für HR: zehn Personen einstellen, um die Umsatzzielvorgaben zu erreichen. Und das möglichst schnell. Irgendjemand brütet über dem ersten Entwurf für die Jobbeschreibungen. Wo sind denn die alten Stellenangebote? Copy-and-paste. Dann fix die zehn Anforderungspunkte hinzufügen und sie vom Business freigegeben lassen. Die Jobangebote wandern auf die Karrierewebsite und in diverse Stellenbörsen. Warten, bangen. Doch es passiert nichts. Hoffentlich geht die Head­ hunterin gleich ans Telefon. Dieses Szenario ist ein fiktiver Prototyp für einen Pro­ zess, wie er laut der Erzählung von Robin Sudermann in deutschen Unternehmen immer wieder vorkommt. Er ist Mitgründer und CEO von Talentsconnect und hat in den vergangenen 15 Monaten in Workshops mit mehr als 1.500 Personalerinnen und HR-Verantwortlichen über ihre Karriere­websites gesprochen. „Im Rekrutierungsprozess stehen die Verantwortlichen von Anfang an unter enormem Zeitdruck und achten kaum auf die Qualität der Stellenbe­ schreibungen“, sagt Sudermann. Doch eigentlich müsse eine offene Stelle wie ein Produkt behandelt werden, das verkauft werden soll: also mit Liebe zum Detail, Wissen über Daten und nah an den Bedürfnissen der Kundschaft. Doch das ist im Recruiting genauso ein Idealszenario wie die Ideal­person, die in den meisten Jobbeschreibungen verbal heraufbeschworen wird. Und so fristen die Stellenangebote in vielen Unternehmen ein leidliches Dasein. Kann man da noch verlangen, dass sie gendersensibel getextet werden?

Im Sturm der Gender-Debatte Die Debatte um gendersensible Sprache beschäftigt aktu­ ell zahlreiche Menschen in Verwaltungen, Universitäten, Unternehmen, Redaktionen, Nachrichtenagenturen und den sozialen Medien. Der Ton ist mitunter rau, die Stim­ s e p tem ber 20 21

mung angespannt. „Ist das noch Deutsch?“ titelt das Nach­ richtenmagazin Der Spiegel und verdichtet damit eine komplexe Gemengelage zu einer simplen Frage, auf die es keine pauschale Antwort gibt. Die Sprachgemeinschaft befindet sich mitten im Aushandlungsprozess über die Gen­ dergerechtigkeit ihrer Sprache. Dieser ist aufgeladen mit verschiedenen Anliegen: Sprachästhetik, Verständlichkeit, Sichtbarkeit aller Geschlechtsidentitäten, Leichte Sprache, Spracherwerb, Barrierefreiheit. All das soll unsere Sprache berücksichtigen. Sie macht unsere Identität aus, ist etwas Persönliches und gleichzeitig auch etwas Politisches, sobald sie im öffentlichen Raum stattfindet. Durch das Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes im Jahr 2006 wurde das Thema Gleichbe­ rechtigung für HR dringlicher. Die Novellierung des Personenstandsgesetzes Ende 2018 hat dann für zusätzliche Nervosität in den Abteilungen gesorgt. Haben Ergänzungen wie (m/w) als Klammerzusatz oder die Doppelnennung irgendwie ausgereicht, empfahl die Antidiskriminierungs­ stelle des Bundes nun den Genderstern oder ein „d“, das die sogenannte Dritte Option berücksichtigen sollte. Dann wurde in den Medien, auf Blogs und auf Twitter gerätselt, ob das „d“ wohl „deutsch“ heiße – und das (m/w/d) gar als „männlich, weiß, deutsch“ übersetzt werden müsse. Die Stiftung Prout at Work weist in einem Leitfaden darauf­hin, dass es international für „disabled“ verwendet werde. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass es eine Abkürzung für „divers“ ist. Die meisten wissen jedoch nicht, was für Menschen und Biografien in Realität hinter diesem kleinen Buchstaben stehen. Der Gesetzgeber ver­ steht unter „divers“ nur intergeschlechtliche Menschen. Gabriel_Nox Koenig, Referent_in für Presse- und Öffent­ lichkeitsarbeit beim Bundesverband Trans* konkretisiert hingegen: „Eigentlich stecken hinter der dritten Option vielschichtige queere Communitys aus Frauen, Männern und nichtbinären Personen, die auch trans oder inter sein 25


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Die Mutmacherin Ein Porträt von Sven Lechtleitner

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Sandra Vollmer wurde als Junge großgezogen. Heute ist die 46-Jährige eine Frau. Ihre Transition fand zwischen Management­ posten und Familie mit Kind statt. Über den Schritt in ein neues Leben, Vorbilder in der Arbeitswelt und die Liebe zum Recruiting

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Foto: privat

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andra Vollmer steht an ihrem Schreibtisch im Homeoffice. Den Hintergrund hält die Vorständin für Finanzen und HR mit einem Fotofilter privat, wenngleich bei manchen Bewegungen der offene Wohnraum hinter ihrem heimischen Büro in Bruchstü­ cken zu erahnen ist. Ihr Blazer erinnert an jenen, den sie auf ihrem offiziellen Pressefoto trägt. Trotz des formellen Auftretens ist der Gesprächseinstieg offen und locker. Sie erweckt den Eindruck einer Persönlichkeit, die mit sich im Einklang ist und mit beiden Beinen im Leben steht – in dem einer Frau. Der Gedanke, dass sie ihren Karriere- und Lebensweg bis vor Kurzem als Mann beschritten hat, liegt mit jeder Minute des Kennenlernens ferner. Die 46-Jährige ergriff den Ausbildungsberuf für Industrie­ kaufleute, arbeitete anschließend im elterlichen Betrieb und absolvierte Zivildienst. Ende der 1990er-Jahre folgte ein Stu­ dium der Wirtschaftswissenschaften mit Bachelorabschluss, der zu der Zeit hierzulande als innovativ galt. Nach vier Semestern in Freiburg und weiteren zwei an der staatlichen Universität in Cambridge startete sie ihre Karriere bei einer internationalen Unternehmensberatung in der Schweiz. Als die Internetblase Anfang der 2000er-Jahre platzte und die Beratungsbranche litt, wechselte sie zur Telekom. Sie startete im Einkauf, vergrößerte rasch ihren Verantwortungsbereich. Später kam die erste Führungsaufgabe im Einkaufscont­ rolling hinzu. Ein Headhunter warb sie zu dem damaligen Kabelnetzbetreiber Unitymedia für die Leitung des Einkaufs ab. Zwei Jahre später erhielt sie intern die Möglichkeit, das Controlling zu leiten. „Von einer leitenden Funktion im Unternehmen in eine ganz andere zu wechseln, ist eine Chance, die es nur selten gibt“, sagt Sandra Vollmer. Die ersten Monate beschreibt sie als holprig. Nicht alle hätten ihr die Stelle zugetraut. Aber das sei für sie ein Antrieb gewesen. Schließlich erfolgte die Berufung in den Aufsichtsrat, um dort die Arbeitgeberseite zu vertreten. Fünf Jahre verbrachte sie als Teil der kaufmännischen Geschäftsführung bei dem Konzern. Dann der nächste Headhunter-Anruf: „Möchten

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Sie Chief Financial Officer bei 1&1 Mail & Media Applications werden?“ Sie wollte und trat Anfang 2018 die Stelle bei dem Teilkonzern von United Internet an. Das Unternehmen führt die E-Mail-Marken Web.de und GMX. Dort verantwortet sie bis heute die Bereiche Finanzen und HR und ist für rund 1.000 Beschäftigte zuständig.

Erfolge als Trostpflaster Der berufliche Aufstieg hat ihr in zweierlei Hinsicht gedient. Einerseits für die Karriere, andererseits dazu, sich dahinter zu verstecken, um die eigentliche Persönlichkeit nicht zu spüren. „Die Erfolge waren meine Trostpflaster“, sagt Voll­ mer. Sie habe bereits früh begonnen, sich in ihren Erfolgen zu sonnen. In jungen Jahren war es die Bühne – sie hat Musik gemacht und Piano gespielt, ist vielfach aufgetre­ ten. Später sorgten neue Herausforderungen im Job für Ablenkung. Dass irgendetwas anders ist, hatte sie jedoch schon während der Pubertät gemerkt. Über Transidentität las sie das erste Mal im Alter von 18 Jahren. Die Vermutung, eine Frau zu sein, hatte sie im Laufe der Zeit häufiger, aber verdrängt. „Es war wie ein Feuer, das zwischendurch auf­ flammt, aber ich habe es immer wieder gelöscht“, sagt sie. Mit ihrem letzten Jobwechsel ging eine räumliche Verän­ derung einher. Der Umzug in die Nähe von Karlsruhe hat bei Vollmer einen „Klick“ ausgelöst. Beruflich hatte sie zu dem Zeitpunkt alles erreicht, was sie sich vorstellen konnte. Doch sie verspürte wieder diesen Drang, das Feuer in ihr loderte auf. Im Sommer 2018 gesteht sie sich ein, dass die­ ses Gefühl immer wieder kommt und sie es nicht loswird. Kurze Zeit später fasste sie den Entschluss, herauszufinden, ob sie transident ist oder nicht. Zu dem Zeitpunkt ist sie 43 Jahre alt. Der Schritt fällt ihr schwer. Am größten ist die Angst, Familie und Job zu verlieren. Ihre Ehefrau einzuwei­ hen, beschreibt sie als schwierigsten Moment innerhalb der Transition. Sie zeigt auf eine Stelle im Raum hinter sich, an der sich die Couch befindet, wohlwissend, dass der virtu­ 31


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Papa macht das schon Ein Beitrag von Anne Hünninghaus

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Männer nehmen seltener Elternzeit als Frauen, bei Pflege- und Teilzeit liegen sie ebenfalls deutlich zurück. Das hat monetäre Gründe, zumindest teilweise. Die mangelnde Balance ist aber auch ein Resultat starrer Rollenbilder, die vor allem vielen jungen Vätern zu schaffen machen. HR sollte hier aktiv werden – und kann es auch.

arum werden Windeln immer von Müttern erklärt?“, fragte das Unternehmen Pampers 2016 selbstreferenziell in einer Fernseh­ werbung, um dann, untermalt von einer Opernarie, einen Aufmarsch moderner Väter einzublenden. Vom Anzugträger bis zum Volltätowierten schälen die liebe­ vollen Papas ihre Säuglinge aus den Tragetüchern und erklä­ ren, worauf es ankommt, damit der Po der Kleinen trocken bleibt. Der Spot ist nicht der einzige dieser Art. Zumindest in der externen Kommunikation hat offenbar manches Unter­ nehmen in den vergangenen Jahren eine bahnbrechende Entdeckung gemacht: Es gibt neben Müttern auch einen anderen Elternteil. Und dem ist Windelwechseln, in den Schlaf wiegen und Brei zubereiten ebenso zuzutrauen. Im Inneren der Unternehmen gestaltet sich das Bild oft weniger progressiv, wenn es um Eltern- oder andere Pfle­ gezeiten geht. Das offenbart zum Beispiel der Gender Care Gap. Laut Bundesfamilienministerium verwenden Frauen im Durchschnitt nämlich stolze 52 Prozent mehr Zeit auf das Betreuen und Pflegen von Kindern oder Angehörigen als ihre Partner. Bei den Mitte-30-Jährigen driften die Zahlen zum Care-Engagement sogar noch deutlich weiter ausein­ ander. So befand sich 2019 ein knappes Viertel aller Mütter mit mindestens einem Kind, das jünger als sechs Jahre ist, in Elternzeit. Unter den Vätern traf das nur auf 1,6 Prozent zu. Auch 15 Jahre nach Einführung des Elterngelds lassen Väter regelmäßig sogenannte Partnermonate verfallen, 34

die der Familie nur dann zustehen, wenn beide Elternteile die Monate in Anspruch nehmen. Zu groß ist die Sorge vor finanziellen Einbußen oder dem von jungen Papas befürch­ tete Karriereknick.

Alte Rollenbilder als Bremsklotz Björn Süfke, dessen drei Kinder zwischen 2007 und 2011 zur Welt kamen, wollte nicht darauf verzichten, sich Zeit für sie zu nehmen. Doch seinen Exotenstatus bekam er immer wieder zu spüren. „Ich bin oft wahnsinnig dafür gelobt worden, dass ich mich um meine Kinder kümmere“, sagt der Therapeut, der sich auf die männliche Psyche spezialisiert hat. Vor allem sei ihm diese Art der positiven Diskriminierung von weiblicher Seite entgegengeschlagen. „Wenn ich quasi ein Kompliment dafür bekomme, dass ich mein Baby richtig herum in den Kinderwagen stecke, impliziert das: Eigentlich ist das weib­ liches Hoheitsgebiet“, sagt er. Doch auch seine Frau musste einstecken. Ihre Chefin hakte nach: Ob sie ihr Kind wirklich schon nach sieben Monaten allein lassen wolle – mit „allein“ gemeint war: beim Vater. „Führungskräfte müssen sich ihre Modellwirkung bewusst machen“, sagt Süfke. In der Entscheidung von Paaren, wer von beiden sich mehr Care-Zeit einräumt, spielt die Ungleichbezahlung der Geschlechter nach wie vor eine Rolle. Werdende Eltern stehen vor einer simplen Rechenaufgabe: Wenn der meist besser verdienende Mann auf eine ausgedehnte Elternzeit www. hu ma n reso u rce sma n age r. d e


TITEL

Der moderne Mann kämpft mit althergebrachten Rollenklischees wie sie uns die Komödie Pappa ante portas vorführt: Erst als Rentner übernimmt der zwanghaft ordentliche Abteilungsleiter (Loriot) Haushalts­ aufgaben; sehr zum Leidwesen seiner Frau (Evelyn Hamann).

verzichtet, bleibt mehr Geld in der Familienkasse. Das ist ein Problem, aber nicht die ganze Wahrheit, ist „Männer­ therapeut“ Süfke überzeugt. „Einen ebenso großen Effekt haben psychologische Faktoren“, sagt er. Denn in uns allen schlummern fest verankerte Rollenvorstellungen, selbst wenn wir diese – bei rationaler Betrachtung – als überkom­ men erachten. Das ist auch, aber nicht nur ein Generatio­ nenkonflikt. „Was wird mein Vater sagen, was der ältere Chef, wenn ich meine Arbeitszeit zugunsten der Familie reduzie­ ren möchte?“, fragen sich viele. „Werde ich als Weich­ei oder Versager angesehen, wenn ich in meiner Karriere zurück­ stecke?“ Häufig bewege ein solches Gedankenspiel dazu, lieber weiter dem ausgetrampelten Pfad zu folgen.

Foto: picture alliance / dpa / Wolfgang Jahnke

Das überfrachtete Männerbild Gleichzeitig tritt in Medien und Werbung ein neues Män­ nerbild in den Vordergrund. Fürsorgliche und präsente Familienväter, die erfolgreich im Job sind und bei alledem bestenfalls sportlich aktiv und handwerklich geschickt. Spricht diese Neuauflage des Maskulinen nicht für einen Wandel? „Ja und nein“, sagt der Psychotherapeut. „Die bisherige Vorstellung bleibt – und wird mit einem Zusatz versehen.“ Das progressive Bild, das sich bislang vor allem in der akademischen Mittelschicht ausbreite, schüre die Ambivalenz: maskulin, stark, karriereorientiert? Ja, bitte – aber obendrein auch empathisch und familienbewusst. se p tem ber 20 21

Frauen ist diese Doppelanforderung eines optimalen Pa­rallel-­Managements von Kind und Beruf schon lange ver­ traut. Nun hat sie, sagt Süfke, zeitverzögert das männliche Geschlecht eingeholt und eine tiefe Krise produziert. Das sei anstrengend, aber chancenreich: „Denn in den bishe­ rigen Stereotypen zu verweilen wäre schädlicher, als sich der modernen Überforderung auszusetzen.“ Im Augenblick befinden wir uns also in einer gesellschaftlichen Situation, in der alte Bilder noch nicht überwunden, moderne Rol­ lenverteilungen aber immer stärker gefragt sind. Und die verlangt nach Reflexionsräumen und neuen Angeboten. Wie diese aussehen können, damit beschäftigt sich Robert Frischbier. Seine Vorstellung vom Vatersein hat ihn 2015 aus seinem Job als Qualitätsmanager eines Automobilzulieferers vertrieben, erzählt er. „Ich wollte Elternzeit nehmen. Doch die gläserne Decke wurde schnell spürbar, die Idee war bei meinen Vorgesetzten alles andere als willkommen.“ Heute ist er selbstständiger Berater und zudem als Prüfer für das Quali­ tätssiegel Familienfreundlicher Arbeitgeber unterwegs. Eltern und Pflegenden am meisten entgegen kommen Frischbier zufolge die Branchen und Unternehmen, die vom Fachkräfte­ mangel besonders getroffen sind. Oft würden aber vor allem Frauen angesprochen, wenn es um Unterstützungsangebote wie Kinderbetreuung oder Haushaltshilfen gehe. Doch das geht nicht mehr lange gut, ist er überzeugt. „Gerade die Generationen Y und Z haben ein anderes Werteempfinden“, sagt Frischbier. „Unternehmen müs­ 35


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GENDER

Je höher und je machtvoller eine Position ist, desto seltener wird sie von einer Frau vertreten. Das Konzept Female Leadership Management soll das ändern, indem es Mindset, Sprache und Verhalten in Unternehmen in den Blick nimmt. Ein Gespräch mit der Linguistin und Beraterin Simone Burel über einen sprachlichen Zwischenschritt und die Hoffnung auf ein Human Leadership Ein Interview von Jeanne Wellnitz 38

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Foto: Peter Jülich Agentur Focus

I’m a female founder


TITEL

Frau Burel, wir befinden uns mitten im Megatrend Gender Shift und dennoch setzen zahlreiche Unternehmen auf tradierte männliche Führungsriegen. Es kursieren viele Aussagen, die diesen Status quo verteidigen. Die Allbright-Stiftung hat diese in einem Führungsfrauen-FloskelBingo zusammengeführt. Ich würde Sie gern in unserem Gespräch damit konfrontieren, und hören, was Sie diesen Argumenten entgegnen würden. Sind Sie bereit? Ja, unbedingt. „Gleichstellung hat keine betriebswirtschaftlichen Vorteile.“ Diese Behauptung ist längst wider­ legt worden. Gleichstellung ist mittler­ weile zu einem strategischen Thema in der Wirtschaft avanciert und vie­ len Stake­holdern und Stakeholderin­ nen ist es wichtig, wie die Belegschaft von Unternehmen zusammengesetzt ist. International ist zudem zu beob­ achten, dass Fondsgesellschaften teil­ weise weniger oder gar nicht investie­ ren, wenn Diversität in dem Unterneh­ men keine Rolle spielt. Ein zweiter Punkt ist die Zufriedenheit der Mit­ arbeitenden. In diversen Teams geht es den Menschen besser, weil sie das Gefühl haben, sie können sich dort in ihrer Individualität eher zeigen, die Redezeiten sind fairer verteilt, die Perspektiven sind vielfältig, Probleme werden eher identifiziert und kreati­ vere Lösungen gefunden. Eine aktuelle Studie des Leibniz-Zentrums für Euro­ päische Wirtschaftsforschung ergab, dass automatisch ineffiziente Struk­ turen abgebaut werden, wenn Unter­ nehmen sich mit Diversität beschäf­ tigen. Eine weitere Behauptung aus dem Führungsfrauen-Floskel-Bingo lautet: „Es gibt doch gar kein Problem.“ Wie sehen Sie das? se p tem ber 20 21

Das ist eine verzerrte Sicht einer pri­ vilegierten Gruppe. Für alle anderen gibt es nämlich ein Problem, denn sie haben keinen chancengerechten Zugang zu Machtverhältnissen. Es gibt einen enormen Gender Pay Gap, wenn Frauen in die Arbeitswelt einstei­ gen, sie haben einen großen Pension Gap, wenn sie aufhören zu arbeiten. Sie haben einen Citation Gap, denn vor allem in der Wissenschaft wer­ den Frauen weniger als Expertinnen zitiert. Die Benachteiligung ist statis­ tisch messbar. Wie könnte HR Diversity-Vorteile durch Zahlen beweisen? Als Erstes müssen sich Unterneh­ men fragen, welche Personalkenn­ zahlen sie überhaupt haben und wel­ che davon sie bislang messen. Werden die Anteile von Elternzeiten zwischen Männern und Frauen beispielsweise miteinander ins Verhältnis gesetzt? Welche Quote an Frauen habe ich pro Führungsebene? Wie ist die Zufrieden­ heit in den Teams? Wie gestaltet sich das Ideenmanagement? Welche Teams sind besonders performant? Wo sind wenige Krankentage? Wie viele Bewer­

bungen bekomme ich für welche Stelle und wer wird dann eingestellt? Über welche Recruiting-Kanäle sind eher Frauen zu erreichen? Ich würde außer­ dem unbedingt die Frauen, die schon Führungskräfte sind, fragen: „Was sind denn typische Hemmnisse, um nach oben zu kommen?“ Sind all diese Kenn­ zahlen erhoben, müssen sie in Bezie­ hung miteinander gesetzt werden. Das ist die Aufgabe von HR! So ließe sich nachweisen, an welchen Stellen Gen­ der als mögliche Variable ein Team erfolgreich gemacht hat. Von wem kommt eigentlich der Einwand, Vielfalt bringe Unternehmen wirtschaftlich nichts? Das kommt oft aus der Ecke Finanzen und Strategie – dort wird eher mit klas­ sischen Kennzahlen gearbeitet. Sozio­ demografische Faktoren werden tra­ ditionellerweise wenig angeschaut. Grundsätzlich gibt es jedoch in jeder Organisation progressive Strömungen und reaktionäre Stimmen. Die Furcht vor Veränderung und Machtverlust ist immens. Oft ist innerer Widerstand auch unbewusst und entsteht durch Vorurteile gegenüber Frauen, gegen­

Female Leadership Management Female Leadership ist ein Konzept, das im englischsprachigen Raum entstand und seit 2004 auch in Deutschland auftaucht. Seit ungefähr drei Jahren wird es hierzulande zunehmend diskutiert. Wichtige Ziele des Female Leadership Managements sind, auf die zahlreich unbewusst wirkenden Vorurteile aufmerksam zu machen, die unser gesellschaftliches Miteinander prägen, und mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Dem zugrunde liegt die Annahme, dass die meisten Menschen Führung prototypisch mit Männlichkeit assoziieren. Das gilt für die Geschäftswelt (Manager), die Wissenschaft (Professor), politische Ämter (Bürgermeister) oder hochrangige Positionen im öffentlichen Sektor (Richter). Kritisiert wird das Konzept in den Medien durch die Fragestellung, ob Führung überhaupt ein Geschlecht brauche. Wichtig ist zudem, zwischen Frauen, die Führungspositionen einnehmen, zu unterscheiden und den Annahmen, die einen sogenannten weiblichen Führungsstil prägen.

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GENDER

Close the Gap Noch immer verdienen Frauen überall auf der Welt weniger als Männer, auch für gleiche und gleichwertige Tätigkeiten, sogar in ein und demselben Unternehmen. Dabei ließe sich der Gender Pay Gap in jedem Unternehmen über Nacht schließen.

Foto: Say-Cheese / Getty Images

Ein Gastbeitrag von Henrike von Platen

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enn es in diesem Tempo weitergeht, dauert es – je nach Berechnung – noch ungefähr hundert Jahre, bis die Lohnlücke beseitigt ist. Im Einzelfall bleibt die Ungleichbe­ handlung von Mann und Frau jedoch häufig unsichtbar. Das ist umso erstaunlicher, als das Geschlecht der Be­ schäftigten zu den demografischen Merkmalen gehört, die Personalabteilungen zu ausnahmslos allen Beschäf­ tigungsverhältnissen erfassen. Der Gender Pay Gap ließe sich innerhalb eines Unternehmens also leicht berech­ nen. Wie kann es da sein, dass – in Deutschland, im Jahr 2021 – Frauen im gleichen Unternehmen für gleiche und gleichwertige Tätigkeiten noch immer weniger verdienen als ihre Kollegen? Ist es wirklich so schwer, diesen Missstand endlich aus der Welt zu schaffen? In aller Kürze: Nein, es ist ein Leichtes, die Lohnlücke – Unternehmen für Unterneh­ men – zu schließen. Dazu braucht es im ersten Schritt eine Analyse. Denn die meisten Unternehmen gehen davon aus, alle Beschäftig­ ten gerecht zu bezahlen, ohne ihre Entgeltstrukturen jemals systematisch auf Ungleichbehandlungen überprüft zu haben. Liegen die Ergebnisse Schwarz auf Weiß vor, ist die Überra­ schung oft groß. Zum Glück aber auch der Wille, zu handeln und die Einkommensunter­ schiede zu beseitigen.

Klischees und ­Regelungen von gestern Und langsam tut sich etwas. Das Bewusstsein für die Unge­ rechtigkeit wächst, die Lücke schrumpft. Die Ursachen für die Diskriminierung bei der Bezahlung sind inzwischen gut erforscht. Eine der größten Hürden sind die überaus wirkmächti­ gen Stereotypen und Klischees in unser aller Köpfen und der Mangel an Unterstützung in Pflege und Erziehung. Hinzu kommen überholte Gesetze, die die Situation verschärfen. Das unzeitgemäße, in den 1950ern eingeführte Ehegatten­ splitting fördert bis heute die Alleinverdienen­denehe und bewirkt, dass die Person mit dem geringeren Einkommen die Erwerbstätigkeit einschränkt oder aufgibt – bis heute meist die Frau. Ein Teufelskreis: Wer weniger verdient, bleibt zu Hause, und wer zu Hause bleibt, verdient weniger. Laut einer Auswertung des Statistischen Bundesamts verdiente nur bei 14 Prozent aller Paare 2017 sie mehr als er. 45 Pro­ zent beträgt der Einkommensunterschied zwischen Män­ se p tem ber 20 21

nern und Frauen über den gesamten Berufslebensverlauf vom Berufseinstieg bis zur Rente, errechnete die Bertels­ mann Stiftung 2020. Am Ende bekommen, so das Ergeb­ nis des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung 2017, Frauen nicht einmal halb so viel Rente wie Männer. Auch ein Vergleich der Nettoeinkünfte von Frauen und Männern seitens des Familienministeriums zeigt das Ausmaß der Schieflage: Weniger als jede vierte Deutsche verfügt über ein eigenes Einkommen von mehr als 1.500 Euro. Wirtschaft­ liche Unabhängigkeit sieht anders aus.

Geld als Schlüssel zur Chancengleichheit Noch immer enthalten Arbeitsverträge Verschwiegenheits­ klauseln, die es Beschäftigten untersagen, über ihr Gehalt zu sprechen. Dass diese Klauseln in den meisten Fällen gar nicht rechtskräftig sind, wissen die wenigsten. Und Transparenz ist eines der wichtigsten Instrumente auf dem Weg zur Entgelt­ gleichheit. Das Recht auf gleiche Bezahlung wurde schon 1919 von Frauenrecht­ lerinnen in New York gefordert und ist seit 1951 als Kernarbeitsnorm inter­ national verankert. Seit 2015 stehen die Gleichstellung von Männern und Frauen sowie die Forderung nach gleichem Entgelt für gleiche und gleichwertige Tätigkeiten auf der glo­ balen Agenda der Vereinten Nationen. Und seit 2017 sichert das Entgelttransparenzgesetz Beschäftigten in Deutschland einen Auskunftsanspruch zu und fordert Unternehmen auf, ihre Entgeltstrukturen zu überprüfen. Doch bis heute sind die Pflicht zur Entgeltgleichheit und das Recht auf gleiche Bezahlung kein Garant für faire Behandlung am Arbeitsplatz. Die gute Nachricht: Die meisten Unternehmen wollen ihre Beschäftigten fair bezahlen, ob mit oder ohne Ent­ geltgleichheitsgesetze. Wer will, kann den Gender Pay Gap über Nacht schließen. Und verfügt damit zugleich über ein ganz hervorragendes Instrument für das Monitoring der Fortschritte in Sachen Gleichstellung. Denn während die Erfolge vieler Maßnahmen in den Bereichen Gleichstellung, Diversität und Inklusion kaum oder nur schlecht mess­ bar sind, lässt sich ungerechte Bezahlung sehr leicht am Gehaltszettel ablesen. An dieser eindeutigen Größe lässt sich immer wieder neu messen, wie gut das Unternehmen dasteht, um gegebenenfalls nachzusteuern. 45


GHOSTING

Foto: Image Source / Getty Images

IM FOKUS

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IM FOKUS

Rendezvous mit einem Geist Ein Gastbeitrag von Marlind Klopfer

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Erfolgskritische Positionen zu besetzen, ist oft aufwendig und teuer. Umso erfreulicher ist es, wenn die Idealbesetzung gefunden ist. Aber wie vorgehen, wenn sie mitten im Prozess abtaucht und Kontaktversuche ins Leere laufen?

er Begriff „Ghosting“ kommt häufig in der Da­ ting-Sprache vor. Eine Person verschwindet trotz anfänglicher Annäherung einfach, ohne sich zu melden oder ihrem Gegenüber mitzu­ teilen, was zum Kontaktabbruch geführt hat. Dieses Phäno­ men kommt nicht nur in der Welt des Datings vor. Laut einer Umfrage von Norecu Executive Search aus dem Jahr 2021 erlebten über 65 Prozent der befragten Personalentscheider und HRlerinnen in Deutschland in unterschiedlichster Wei­ se Ghosting durch Kandidatinnen und Bewerber. In einer internationalen Befragung des Jobportals Indeed aus dem Jahr 2019 ergaben sich noch deutlich höhere Werte. Jobin­ teressierte brechen nach Gesprächen, Einstellungszusagen oder Vertragsangeboten den Kontakt zum Unternehmen ab und sind nicht mehr zu erreichen. Andere erscheinen am ersten Arbeitstag nicht. Und wer glaubt, Ghosting käme nur bei Ausbildungsstellen oder dem Berufseinstieg vor, liegt falsch: Es betrifft alle Altersgruppen und Karrierestufen. Ghostet eine potenzielle Geschäftsbereichsleiterin oder

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ein zukünftiger Chief Financial Officer, lässt sich das nicht mit fehlender Erfahrung oder jugendlicher Unbedarftheit erklären. Eigentlich ist in einem Bewerbungsprozess davon aus­ zugehen, dass beide Seiten Interesse daran haben sollten, miteinander zu kommunizieren und auf ein gemeinsames Ziel (die Einstellung) hinzuarbeiten. Gleichzeitig sollte es für beide Parteien wichtig sein, fair und transparent aus dem Prozess auszusteigen, wenn sich die Interessenlage ändert. Die Personen, die man heute versetzt, können mor­ gen über den Traumjob entscheiden.

Gründe fürs Verschwinden In der Vergangenheit war Ghosting ein Phänomen, das eher vonseiten des Arbeitgebers ausging. Es ist immer wieder vorgekommen, dass HR-Verantwortliche die Bewerberin­ nen und Kandidaten über den Stand ihrer Bewerbung nicht informierten oder ihnen keine Absage mit weiterer Begrün­ 49


A N A LY S E

HYBRIDE ZUSAMMENARBEIT

Eine Frage des Typs Hybride Zusammenarbeit ist kein Selbstläufer. Das liegt auch daran, dass Beschäftigte aufgrund ihrer Persönlichkeits- und Charakterausprägungen unterschiedlich auf den Wandel der Arbeits­welt reagieren. Führungskräfte sollten auf die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten eingehen. Ein Gastbeitrag von Saskia Backhaus und Laura Jacob

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ünftig sollen Führungskräfte hybride Teams füh­ ren, ihre Teams auf die Digitalisierung einschwö­ ren und zu Innovationen anspornen – und dabei stets die Employee Experience im Blick haben. Das bringt zahlreiche Herausforderungen mit sich. So sind in der Belegschaft Kompetenzen wie Selbstorganisation, Innovationsfreude und Ambidextrie – das Ausbalancieren von ständiger Erneuerung und Effizienz – zu fördern, die bislang in der Praxis kaum im Vordergrund stehen. Ein weiterer zentraler Punkt: Beschäftigte sprechen sich zwar nahezu uneingeschränkt für eine hybride Arbeitswelt aus, haben aber ganz unterschiedliche Erwartungen an diese neue Arbeitsform. So genießt ein Teammitglied vor allem das ungestörte Arbeiten im Homeoffice, ein anderes will sich verstärkt um die Familie kümmern und ein drittes legt großen Wert auf regen virtuellen Austausch. Gleichzeitig lassen sich die Empfindungen, Haltungen und Bedürfnisse der Beschäftigten über die zum Teil verbleibende räumliche Distanz deutlich schwieriger einschätzen, als es bei ständi­ www. hu ma n reso u rce sma n age r. d e


A N A LY S E

Auch das Geschlecht spielt kaum eine Rolle. Die fünf Typen im Überblick:

Foto: AlexRaths / Getty Images

Umweltorientierte Kümmerer und Umsorgerinnen: Wie der Name bereits verrät, zählt der verantwortungsvolle Umgang mit der Umwelt zu den obersten Kriterien dieses Typus. Auch grundsätzlich übernehmen Personen mit der Kümmereigenschaft gern Verantwortung und bringen sich in Innovationsprojekte ein. Zudem setzen sie passioniert auf Teamarbeit. Was zunächst ausschließlich positiv klingt, birgt jedoch auch Gefahren. So belastet diese Leistungsträ­ gerinnen und Performer, denen persönliche Beziehungen und Austausch besonders wichtig sind, von allen Typen die Arbeit im Homeoffice am meisten. Oft stellt sich heraus, dass sie rund um die Uhr arbeiten und tendenziell Burnout gefährdet sind. Als Führungskraft ist es daher wichtig zu schauen: Wo lasse ich diesen engagierten Menschen ihre Freiheiten und unterstütze ihr Engagement? Wie bewahre ich sie gleichzeitig davor, zu viel zu arbeiten?

ger Präsenz möglich ist. Außerdem können sich Meinungen während der Pandemiezeit auch gewandelt haben. Um Führungskräfte für die unterschiedlichen Bedürf­ nisse ihrer Teammitglieder zu sensibilisieren, hat EY eine Studie unter 1.000 Büroangestellten zwischen 20 und 50 Jahren durchgeführt. Die Prüfungs- und Beratungsgesell­ schaft hat fünf Arbeiternehmertypen ausgemacht, die unterschiedlich auf die neue Arbeitswelt reagieren – sich zum Beispiel im Homeoffice besonders wohl oder unwohl fühlen, bei der Arbeit auf Distanz eher motiviert oder vor Selbstausbeutung zu bewahren sind. Diese Typologie ist keineswegs als starre Anleitung zu verstehen, um Perso­ nen in Schubladen zu stecken oder ihre Leistungen zu bewerten. Vielmehr soll sie dabei unterstützen, hybride Teams so zu führen, dass alle ihre Fähigkeiten und Stär­ ken bestmöglich einbringen können und sich dabei wohl fühlen. Die Typologie fungiert zudem unabhängig vom Alter der Befragten, das oftmals zu Unrecht als Gradmes­ ser für ein zukunftsweisendes Mindset betrachtet wird. se p tem ber 20 21

Sicherheitsbewusste Familienmenschen: Familie ist diesem Typus wichtiger als Karriere. Personen dieser Aus­ prägung bevorzugen klare Aufgabenstellungen. Große Ver­ änderungen im Job empfinden sie als belastend. Im Unter­ nehmen würden sie sich gern engagieren, zum Beispiel in Arbeitskreisen. Das Konfliktpotenzial liegt auf der Hand: So wollen oder können sie die oftmals von ihnen erwar­ tete zeitliche Verfügbarkeit nicht leisten. Auf der anderen Seite rücken sie berufliche Herausforderungen, auf die sich andere Teammitglieder zuweilen auch zu stark fokussieren, immer wieder ins Verhältnis und bringen damit Ruhe und Gelassenheit ins Team. Zudem erledigen Familienmen­ schen wiederkehrende Aufgaben hochwertig und effizient. Die Arbeit im Homeoffice kann ihnen helfen, Familie und Beruf besser zu vereinen. Sie kann aber durch die stärkere Präsenz der Familie auch zu einer inneren Zerrissenheit führen. Auch dieser Typus braucht Unterstützung dabei, eine gute Balance zu finden beziehungsweise nach der Aus­ nahmesituation während der Pandemie wiederzuerlangen. Diese kann durch offene Vier-Augen-Gespräche ebenso wie feste Vereinbarungen zum Beispiel für die Erreichbarkeit erfolgen. Ehrgeizige Individualistinnen und Einzelgänger: Dieser Beschäftigten-Typ würde am liebsten ohne Boss oder Chefin selbstbestimmt an innovativen Projekten arbeiten. Persön­ licher Erfolg und Geld treiben Personen mit dieser Eigen­ schaft an. Sie suchen sich selbst immer wieder spannende 53


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Künstliche ­Intelligenz im Arbeits­verhältnis Die künstliche Intelligenz dringt in alle Bereiche des Lebens vor – auch in die Arbeitswelt. Doch das Arbeitsrecht setzt enge Grenzen. Ein Essay von Christoph Seidler

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nter den Schlagworten Big Data und Digitale Revolution gewinnt die Erhebung und Verar­ beitung von umfassenden Datensätzen in der Wirtschaft zunehmend an Bedeutung. Diese Entwicklung macht vor der Arbeitswelt keinen Halt. Nach­ richten über das permanente GPS-Tracking von Lieferfahr­ zeugen oder gläserne Callcenter-Beschäftigte machen die Runde. Für besondere Aufmerksamkeit sorgten kürzlich Gerüchte, Paketbotinnen und Auslieferfahrer eines nam­ haften Versandhandelsunternehmens hätten bei ungenü­ genden Ergebnissen auf Grundlage eines Algorithmus eine automatisiert erstellte Kündigung erhalten. Ob das zutrifft, ist nicht sicher, und es wäre wohl bislang jedenfalls ein Ein­ zelfall. Doch derartige Nachrichten werfen die Frage auf, welche Rolle Datenerhebung und künstliche Intelligenz im Arbeitsverhältnis in Zukunft spielen werden – und spielen dürfen.

Die Frage der Wirksamkeit einer automatisierten Kündi­ gung ist schnell beantwortet: Im Arbeitsrecht scheitert eine per Algorithmus generierte Kündigung an der in § 623 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorgesehenen Schriftform. Diese erfordert bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen ein unterzeichnetes Original; die elektronische Form ist ausge­ schlossen. Bei Freelancer-Verträgen und anderen Formen der freien Mitarbeit gilt keine gesetzliche Schriftform. Um eine wirksame Kündigung herbeizuführen, ist gleichwohl eine Willenserklärung erforderlich, die nach der jedenfalls bisher noch allgemeingültigen Definition eine menschliche Erklärung voraussetzt. Ein voll automatisierter Kündigungs­ 76

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Grafik: Prostock-Studio / Getty Images

Kündigung als automatisierter Prozess?


IMPRESSUM

prozess unter Einsatz von künstlicher Intelligenz wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Die vorstehenden Anforderungen machen eine auf künstlicher Intelligenz basierende Entscheidung allerdings nicht grundsätzlich unmöglich. Die erfor­ derliche Erklärung einer natürlichen Person darf sich auf automatisch gene­ rierte oder erfasste Informationen stützen, sofern deren rechtliche Zulässigkeit gegeben ist. Im Arbeitsverhältnis liegt die Problematik ohnehin woanders. Eine unzureichende Leistung kann auf die Bewertung von Vorgesetzten, Tra­ cking von Bewegungsdaten, automatisierte Auswertung oder auf noch andere Erkenntnisse gestützt werden. Eine Kündigung lässt sich damit in aller Regel nicht begründen. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erkennt zwar die Zulässigkeit einer konstanten Minderleistung dem Grunde nach als Kündi­ gungsgrund an. In der Praxis scheitern derartige Fälle aber fast immer an den hohen Anforderungen, die die Rechtsprechung aufstellt. So lässt sich zwar die erforderliche dauerhafte, erhebliche Unterschreitung des durchschnittlichen Leistungsniveaus häufig belegen. Dieser Nachweis wird zudem mit auf künstlicher Intelligenz gestützten Auswertungen – zum Beispiel zur Schnelligkeit oder Fehlerhaftigkeit der Arbeit – künftig eventuell noch leich­ ter zu erbringen sein, weil die Datensätze umfangreicher und damit belastbarer sind. Die darüber hinaus erforderliche Begründung, was Arbeitgeber zur Behe­ bung des Problems unternommen haben, wie beispielsweise Schulungen oder Versetzungen, lässt sich mit Big Data kaum liefern. Denn die Maßnahmen des Arbeitgebers müssen individuell auf die erkannten Defizite zugeschnitten sein. Auch die abschließend vorzunehmende Interessenabwägung lässt sich wohl – jedenfalls bislang – nicht über einen Algorithmus vornehmen beziehungsweise unterläge ohnehin einer gerichtlichen Überprüfung im Einzelfall.

Erfassung von Leistungsdaten in der Praxis Doch die Bedeutung von künstlicher Intelligenz im Arbeitsverhältnis erschöpft sich nicht auf Kündigungssachverhalte. Die Verhaltenskontrolle und -bewer­ tung wird an verschiedenen Stellen relevant. Insbesondere die Entscheidung über variable Vergütung, Gehaltserhöhung oder Beförderungen basiert zu einem wesentlichen Teil auf der Leistung der begünstigten Person. Bislang erfolgt dabei unter anderem die Feststellung der Erreichung von Leistungszie­ len häufig durch Ankreuzen der Vorgesetzten. Künftig wird die automatisierte Erfassung und Bewertung von Klicks, Bestellvorgängen, Verkäufen oder Zustel­ lerfolgen bei der Leistungsbeurteilung gewiss an Bedeutung gewinnen. Nicht auszuschließen, dass Vergütungssysteme in digitalisierten Branchen in naher Zukunft vollständig auf künstlicher Intelligenz basieren und ein individueller Bonus voll automatisiert errechnet wird. Doch wie so häufig will dabei der Datenschutz beachtet werden. Um Daten zur Grundlage von Entscheidungen machen zu können, müssen sie zuvor in zulässiger Weise erhoben werden. Die Zulässigkeit der Datenerhebung bemisst sich im Arbeitsverhältnis nach der Generalklausel des § 26 des Bundesdatenschutzgesetzes. Die Norm, die die europarechtlichen Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung abbildet, lässt die Datenerhebung zu, soweit s e p tem ber 20 21

Herausgeber Rudolf Hetzel Torben Werner (V. i. S. d. P.) Redaktion Sven Lechtleitner (sl) Leitender Redakteur sven.lechtleitner@quadriga.eu Jeanne Wellnitz (jew) Redakteurin jeanne.wellnitz@quadriga.eu Senta Gekeler (sg) Online-Redakteurin senta.gekeler@quadriga.eu Autoren und Autorinnen der Ausgabe Saskia Backhaus, Anne Hünninghaus, Laura Jacob, Kathrin Justen, Marlind Klopfer, Felix Korten, Maren Pauli, Henrike von Platen, Gesine Schulz, Christoph Seidler, Frank Thieme, Volker Thoms, Robindro Ullah, Pascal Verma Lektorat Christa Melli www.literatur-und-film.de Gestaltung Marcel Franke, Damian Strohmaier Anzeigen Norman Wittig norman.wittig@quadriga.eu Abonnement Stefanie Weimann aboservice@quadriga.eu Druck PIEREG Druckcenter Berlin GmbH Benzstraße 12 12277 Berlin Im Internet www.humanresourcesmanager.de/ magazin Verlags- / Redaktionsanschrift Quadriga Media Berlin GmbH Werderscher Markt 13 10117 Berlin Telefon: 030 / 84 85 90 ­ Fax: 030 / 84 85 92 00 redaktion@humanresourcesmanager.de

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LETZTE SEITE

Ritterinnen des Rechts Rebecca Richter und Katja ­Dunkel wollen Frauen und ­queeren ­Personen einen Safe Space im männerdominierten Rechtswesen ­schaffen. Sie gründeten deshalb am ­Weltfrauentag eine Kanzlei für ­Frauen und queere Personen.

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Queer-Community liegt uns hierbei besonders am Herzen. Die meisten Anfragen erhalten wir … zu den Themen Film- und Autoren­ recht, Äußerungsrecht bei den The­ men sexualisierte Gewalt, Diskrimi­ nierung und Hassrede. Wir nutzen Instagram, um … unsere Vision und unsere Werte zu vermitteln. Gleichzeitig wollen wir über rechtliche Themen informieren und in direkten Austausch mit unserer Fokusgruppe kommen. Als ein Juror eines Businessplan­ Wettbewerbs über unsere Gründung sagte, das sei wie eine Zahnarztpraxis für Übergewichtige zu gründen, dachten wir … einen unqualifizierteren Kommen­ tar kann es nicht geben. Andererseits wurden wir in unserem Vorhaben da­ durch bestätigt: Solche Kommentare untermauerten die Notwendigkeit unserer Gründung. Mittlerweile haben wir bewiesen, dass … junge Anwältinnen gründen können, dass Arbeit im Rechtswesen nicht starr, sondern flexibel sein kann.

Unser Lieblingsmagazin ist … Der Podcast Verbrechen von der Zeit. Mitten im Corona-Lockdown zu gründen bedeutet, dass … wir den persönlichen Kontakt zu un­ serer Mandantschaft missen, aber wir genießen durch die digitalen Möglich­ keiten auch viele neue Freiheiten. Unser erstes Geld verdient haben wir als … Kellnerinnen in Studentenkneipen. Wären wir nicht Anwältinnen ­geworden, wäre … auch eine Karriere als Tischlerin oder Psychotherapeutin denkbar gewesen. Ein Buch, das uns nachhaltig ­beeindruckt hat, war … Giovannis Zimmer von James Baldwin. Die Fragen stellte Jeanne Wellnitz Die Rechtsanwältinnen Rebecca Richter und Katja Dunkel haben eine Medienrechtskanzlei mit Sitz in Berlin-Neukölln gegründet und vertreten Frauen und queere Menschen. Rebecca Richter ist Anwältin für gewerblichen Rechtsschutz und das Urheberrecht. Die Rechtsanwältin Katja Dunkel ist auf das Presse- und Äußerungsrecht spezialisiert.

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Foto: René Fietzek

Es bedarf einer feministischen Kanzlei, weil … die Anwaltschaft weiblicher werden muss. Wir wollen patriarchale Struktu­ ren aufbrechen und ein Gegenmodell in einer Männerbranche bieten. Die Idee zum gemeinsamen Gründen kam uns, als wir … uns bei Wein und Oliven in einer Ber­ liner Queer-Bar über unflexible Ar­ beitsmodelle, veraltete Strukturen und Ideen zur Verbesserung austauschten. Warum nicht wir zwei? Warum nicht unsere eigenen Vorstellungen um­ setzen? Warum keinen Safe Space im Rechtswesen? Wir sind anders als andere ­Anwaltskanzleien, weil … wir unseren Fokus auf Frauen und der Queer-Community deutlich nach au­ ßen tragen und Haltung zeigen. Unsere Vision ist es, … eine Kanzlei zu führen, die auf Soli­ darität, Gleichberechtigung und mo­ ralischer Verantwortung basiert. Wir sind stolz darauf, ausschließlich die Interessen von Menschen zu vertre­ ten, die mit uns in einer offenen und gerechten Gesellschaft leben wollen. Die Unterstützung von Frauen und der


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