pressesprecher 06/2020: Das Corona-Jahr

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Quadriga Media Berlin GmbH

Ausgabe 6/20

www.pressesprecher.com

Kommunikation war in diesem Jahr außergewöhnlich, einsam, inspirierend, stressig, lehrreich und verdammt wichtig. Was kommt 2021? Weltsensation Der Flughafen BER ist eröffnet. Wie funktioniert Öffentlichkeitsarbeit für ein solches Krisenprojekt?

Daimler Kommunikationschef Jörg Howe über digitale Produktlaunches, Krawalljournalismus und Steingart.

Corona überall Warum das Jahr 2020 Behörden, Newsrooms und die Mitarbeiterkommunikation voranbrachte.



Ausblick Die Nachrichten rund um das Coronavirus ähneln sich seit fast zehn Monaten. Jeden Morgen gibt es die neuen Infektionszahlen. In den Corona-Tickern liest man, wer in der Politik Maßnahmen lockern oder – wie aktuell – verschärfen will. Zuletzt ging es viel um Weihnachten und Glühweinstände. Von Fahrradfahren statt U-Bahn war die Rede. Von Pullovern. Laschet, Söder, Lauterbach – es wiederholt sich. Die Lage ist ernst. 2020 war das Corona-Jahr. Ich hoffe, dass wir Sie als „pressesprecher“ in den vergangenen zwölf Monaten mit relevanten Themen und Meinungsbeiträgen durch Ihren beruflichen Alltag begleitet haben. Es war mein erstes komplettes Jahr als Chefredakteur. Wie wohl die meisten von Ihnen hätte auch ich gerne mehr Veranstaltungen vor Ort besucht, Menschen getroffen und Interviews lieber nicht per Teams oder Telefon, sondern im persönlichen Gespräch geführt. Die Wahlniederlage von Donald Trump war das wichtigste Einzelereignis des Jahres. Seine Lügen, die von ihm verbreiteten Fake News und seine Tweets voller Verachtung für kritischen Journalismus sind eine unschöne Seite der PR. Bei allem Verständnis für Spin, Marketing, Lobbying und für den Drang nach positiven Nachrichten tut die Kommunikationsbranche gut daran, aufrichtig und transparent zu agieren, wenn sie in der Gesellschaft dauerhaft Wertschätzung genießen will. In dieser Ausgabe gibt es einen Corona-Rückblick light. Daimler-Kommunikationschef Jörg Howe beklagt im Interview, dass Krawalljournalismus auf

dem Vormarsch ist. Christiane Germann stellt fest, dass es im Bereich Social Media bei Behörden Fortschritte gegeben hat. Vier Kommunikationsverantwortliche berichten, wie Newsrooms sich als die optimale Struktur in Krisensituationen bewährt haben. Nimmt man die von uns befragten Kommunikator*innen beim Wort, dann werden im kommenden Jahr Nachhaltigkeit und Klimaschutz wieder stärker in den Fokus rücken. In Berlin hat der Pannenflughafen BER eröffnet. Hannes Hönemann, Kommunikationschef der Flughafengesellschaft, erklärt im Interview, wie die Eröffnung in Corona-Zeiten ablief und warum es sein wichtigstes Ziel war, weitere Pannen zu vermeiden. Erfreulicherweise versucht Hönemann nicht, das Projekt schönzureden. Es kann nur besser werden. Im Laufe des kommenden Jahres wird der „pressesprecher“ den bereits für 2020 angekündigten und aufgrund der Coronakrise verschobenen Namenswechsel vollziehen. Der neue Name wird nicht „pressesprecher*in“ sein, wie Leserinnen und Leser zuletzt häufiger vermuteten. Ich wünsche Ihnen eine schöne Weihnachtszeit, einen guten Start ins neue Jahr und viel Spaß beim Lesen dieser Ausgabe!

Volker Thoms, Chefredakteur


I N H A LT

3 Editorial 6 Sprecherspitze 70 Sprecherkarte 71 Impressum 78 Auf Twitter MEINUNG

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Die Frage des Jahres Warum sind Sie so häufig in Talkshows, Herr Lauterbach?

8 Ambivalente Zeit Weshalb Vodafone-Kommunikationschef Alexander Leinhos auf das Jahr 2020 mit gemischten Gefühlen zurückblickt.

10 Politmagazine

10

Ilka Brecht leitet die Redaktion des ZDF-Magazins „Frontal21“. Sie wünscht sich von Unternehmen einen souveränen Umgang mit Kritik und investigativen Recherchen.

Ilka Brecht, Redaktionsleiterin von „Frontal21“, über ihr Verständnis von investigativem Journalismus und PR von Unternehmen. DAS CORANA-JAHR

14 Keine Revolution 2020 haben sich längerfristige Trends verstetigt. Der Druck, guten Content zu produzieren, bleibt.

16 Behörden Christiane Germann über Fortschritte in der SocialMedia-Kommunikation von Behörden.

18 Newsrooms remote Newsrooms haben bewiesen, dass sie die optimale Struktur für Kommunikation in Krisenzeiten sind.

22 Intern first Birgit Hiller von der BMW Group über die Herausforderung, über räumliche Distanz hinweg den Teamspirit aufrechtzuerhalten.

24 Der Chef als Vorbild Jörg Howe von Daimler über negative Entwicklungen im Journalismus, Produktlaunches in Corona-Zeiten und Gabor Steingart.

30 Adidas/Heinsberg Rückblick auf zwei PR-Aufreger des Jahres.

32 Maskenfails 34 Was kommt 2021? Kommunikationsverantwortliche von Unternehmen, Verbänden und NGOs erklären, was für sie im nächsten Jahr wichtig wird. MENSCHEN

38 PR in einer Stiftung Julia Kovar-Mühlhausen von der Baden-Württemberg Stiftung beschreibt, was ihren Job ausmacht. I M W ORT L AUT

40 Plötzlich eröffnet Interview mit BER-Kommunikationschef Hannes Hönemann über die leise Eröffnung des Pannenflughafens in Corona-Zeiten. Fotos: Lufthansa; ZDF/Svea Pietschmann

Inhalt 6/ 2020

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Kommunikationsverantwortliche berichten, wie ihnen Newsrooms durch die Krise helfen.

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Dezember 2020


I N H A LT

AGENTUREN

44 Raphael Brinkert Der Werber berät mit seiner Agentur die SPD im Bundestagswahlkampf. Er soll helfen, ihr Image aufzufrischen.

47 Kurz vorgestellt Zehn Fragen an Jessica Rusch zu ihrer Arbeit für die Agentur MSL. PRAXIS

48 Was geht auf TikTok? Videomarketingexperte Marcel Wehn gibt Beispiele für gelungene Kommunikation auf TikTok.

52 Webtalk Wie der WWF während der Coronakrise ein neues Online-Talkformat etabliert.

54 Hyperlokales Lobbying Cornelia Lindberg beschreibt, wie sie mit einer Hamburger Bar für mehr Außenplätze kämpfte.

60 Frauen in der PR Professorin Ana Adi über die „Feminisierung“ der PR und was ein weibliches Image für die Branche bedeutet. RECHT

64 Lobbyregister David Issmer von der Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer über Lobbying von Anwälten.

66 Testurteil „mangelhaft“ Rechtsanwalt Oliver Stegmann skizziert Möglichkeiten für Unternehmen, gegen negative Testurteile vorzugehen.

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Der Flughafen BER hat mit rund neun Jahren Verspätung eröffnet. Kommunikationschef Hannes Hönemann hatte vor allem einen Wunsch: keine weiteren Pannen.

KO LU M N E

68 Großraumbüros René Seidenglanz, Präsident der Quadriga Hochschule, glaubt nicht an die Zukunft von Großraumbüros. Soziale Kontakte hält er für unerlässlich.

WISSENSCHAFT

Fotos: Thomas Trutschel/Phototek; picture alliance/dpa/Axel Heimken

56 Eine Marke verblasst Jan Lies über die Kommunikation von Donald Trump aus Markensicht.

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Raphael Brinkert ist einer der Top-Werber des Landes. Jetzt berät er die SPD und zieht mit ihr in den Bundestagswahlkampf.

72 Verband Kompendium „Gendersensible Sprache“, Interview mit Jacqueline Casini und Stefan Tschök. www.pressesprecher.com

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Ambivalente Zeit Vodafone-Kommunikationschef Alexander Leinhos kann 2020 nicht viel Positives abgewinnen. Beruflich bietet ihm das Jahr die Möglichkeit, mutiger zu sein als jemals zuvor. Gleichzeitig heißt es, auf vieles verzichten zu müssen und sich zu isolieren. In einem Gastbeitrag beschreibt der 45-Jährige, was es mit einem macht, wenn man gleichzeitig Kommunikator, Kindergärtner, Krankenpfleger, Lehrer, Koch und Putzmann sein muss und die nächste Videokonferenz schon wartet. Von ALEXANDER LEINHOS

Der „pressesprecher“ hat mich gebeten, etwas aufzuschreiben. 5.000 Zeichen oder so. Zu Corona – und was es aus uns macht. Schlimmer noch: was es aus mir macht. Als Kommunikator. Nah dran. Mit Beispielen. Am besten persönlich. Das wird nicht einfach. Nah dran ist in diesen Zeiten Luxus. Manchmal kommt es mir vor, als wären wir alle zu austausch8

baren Kacheln geworden; in einer nie enden wollenden Teams-Session. Wir zappen uns digital von Termin zu Termin – genau wie abends zu Hause von ARD zu ZDF und zurück. Wir sind Eremiten der Digitalisierung. Unsere Höhle nennen wir Wohnzimmer. Unsere Sandalen nennen wir Laufschuhe. Und unsere Kutte ist das, was wir heimlich unterm Tisch während der Videokonferenz tragen. Und all das nennen wir „New Normal“. Vielleicht werden in 50 Jahren, wenn Psychologen und Historiker mit dem Brennglas der Geschichte auf uns heute runterschauen, vielleicht werden dann genau diese Psychologen und Historiker von der Zeit der großen Vereinsamung sprechen, der Entfremdung und der Entmenschlichung. Von der Seuche, die zu den Menschen kam, die als Virus in den Köpfen endete und als Spaltpilz tiefe Gräben in die Gesellschaft zog. „Ihr werdet schlecht schlafen. Ihr werdet zunehmen. Ihr werdet Angst haben.“ Es war Ende März dieses Jahres, als die italienische Schriftstellerin Francesca Melandri diese Zeilen schrieb. Ein langer Brief an uns im noch recht sorglosen Deutschland direkt aus dem von Covid-19 bereits stark betroffenen Italien. In dem Brief steht, was sich alles für uns ändern wird. Es ist ein Blick aus ihrer Gegenwart in unsere Zukunft. Die Zeilen haben mich damals tief bewegt. Und ich denke heute noch oft an Melandris Worte. Dezember 2020

Foto: teksomolika/Getty Images

In den eigenen vier Wänden verwischen die Grenzen zwischen privat und beruflich.


TITEL DAS CORONA-JAHR

Sichtbar im Homeoffice Seit fast einem Jahr sind viele Angestellte kaum im Büro. Es gilt Social Distancing. Birgit Hiller mit einem Überblick, mit welchen Tools und über welche Kanäle die BMW Group den Teamspirit versucht aufrechtzuerhalten.

Unsichtbar im Homeoffice – zahlreiche Beschäftigte hat die Coronakrise vor unerwartete Probleme gestellt. Werde ich überhaupt noch wahrgenommen? Wie kann ich auf meine Leistung aufmerksam machen? Aber auch die Unternehmen spüren die Veränderung massiv. Denn Unternehmen wie Mitarbeiter brauchen Begegnungen, benötigen Austausch und Kommunikation, denn nur so kann Gemeinsamkeit entstehen. Genau das aber war und ist während der Corona-Pandemie vielen Beschäftigten verwehrt. Kollegen physisch nicht mehr treffen zu können, bedeutet überquellende E-Mail-Postfächer, unzählige Telefonkonferenzen und Videocalls. Die gute 22

Nachricht ist: Während der Coronakrise haben unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit derselben Intensität gearbeitet und Ergebnisse geliefert wie sonst auch. Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass der internen Kommunikation in einer solchen Krise eine Schlüsselrolle zukommt. Es geht darum, den Informationsfluss sicherzustellen und ihn gerade jetzt zu intensivieren. Denn nur so können wir das Wir-Gefühl fördern, das bei der BMW Group besonders stark ausgeprägt ist. Mit hoher Frequenz haben wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die internen Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie informiert – aktuell und transparent. Als Basis dienen unter

anderem ein Leitfaden und eine umfangreiche Intranet-Seite zu allen Aspekten rund um das Arbeiten unter CoronaRahmenbedingungen. Mindestens ebenso wichtig war jedoch der Dialog mit unseren Beschäftigten, den wir erheblich gestärkt haben. Die entsprechenden Kanäle und Formate waren bereits vorhanden. Unsere Mitarbeiter-App und das Intranet spielten dabei eine wesentliche Rolle. Videos des Vorstandes, digitale FührungskräfteForen und Mitarbeiter-Dialogformate – all das haben wir deutlich ausgebaut. Die Herausforderung: jede Kommunikation von vornherein unter dem Aspekt der digitalen Verbreitung zu denken. Sämtliche Veranstaltungen haben wir Dezember 2020

Foto: bild@me.com

Persönliche Gespräche finden in fast allen Unternehmen sehr reduziert statt. Auch bei Birgit Hiller dominieren digitale Kanäle.


Sinnbildlich für 2020: Die Hauptversammlung (oben) von Daimler fand digital statt. Die Jahrespressekonferenz im Februar mit Gästen.

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Dezember 2020

Fotos: © Daimler AG; Guenter Hofer/picture alliance/SchwabenPress

TITEL DAS CORONA-JAHR


TITEL DAS CORONA-JAHR

Führen durch Vorbild

im Juli komplett digital gemacht. Unsere Jahrespressekonferenz im Februar war noch analog.

Interview mit Daimler-Kommunikationschef Jörg Howe über Lehren aus der Coronakrise, digitale Formate und negative Entwicklungen in den Medien Interview: VOLKER THOMS

Herr Howe, wir führen dieses Interview per Videocall. Wie fanden Sie Videocalls vor der Coronakrise? Wie gefallen sie Ihnen jetzt? Sie waren schon vorher ein Mittel, um miteinander zu kommunizieren, aber sie waren natürlich nicht so gängig wie jetzt. Sie sind häufig die einzige Möglichkeit, um mit anderen zu sprechen. Bei Daimler haben wir verschärfte Regeln, was Social Distancing angeht. Wir sitzen hier mit einem Kernteam im Büro. Den Rest machen wir über Videocalls. Sie machen etwa 50 bis 70 Prozent meiner täglichen Kommunikation aus. Allerdings: Es nervt, dass jeder ein anderes Techniksystem verwendet. Das macht es schwieriger. Die Zunahme von Videocalls ist natürlich nicht die wichtigste Veränderung für die Unternehmenskommunikation im Jahr 2020. Welche Entwicklungen haben Sie überrascht? Uns alle hat natürlich Covid-19 überrascht und die Dynamik, mit der diese Pandemie über uns hereingebrochen ist. Auch wie schwierig es für einige ist, die Social-Distancing-Regeln einzuhalten und auch Kommunikatoren zu überzeugen, dass sie mal eine Maske aufsetzen sollten. Überrascht hat mich auch, wie schnell wir bei Daimler ins Digitale umgeschwenkt sind. Wir haben unsere Hauptversammlung www.pressesprecher.com

Über Daimler hinaus: Welche Entwicklungen sind Ihnen aufgefallen? Ich bedauere weiterhin sehr, dass Journalisten das Thema Recherche für vernachlässigbar halten. Ich habe zunehmend das Gefühl, dass computergenerierte Texte auf uns zukommen. Es entstehen zudem Krawallportale, die journalistisch auftreten, aber eigentlich nur Werbung sind. Ein Beispiel ist „Wallstreet Online“. Da kommen die Pressemitteilungen von Klagekanzleien als journalistisches Produkt daher. Bei „Focus Online“, das vom Namen her seriös erscheint, ist es das Gleiche. Die Ippen-Gruppe betreibt Portale wie „tz.de“, auf denen echter Krawalljournalismus betrieben wird mit Schlagzeilen, die sich nicht mehr mit den Inhalten im Text decken. Die Kommunikationsbranche ist gut darin, temporäre Trends zu einer Wahrheit zu erklären. Wie viel Wahrheit steckt in dem Satz „Nie war Kommunikation wichtiger als jetzt“? Der hält sich seit Jahren, aber er ist immer noch wahr, vor allem intern. Es wird immer mehr kommuniziert – intern wie extern. Wir haben bei Daimler das Social Intranet aufgebaut. Die ganzen antiken Kommunikationsmittel wie die „Daimler Insight“, die wir sechsmal im Jahr gedruckt haben und die ich noch toll fand, will hier keiner mehr. Wir erreichen unsere Mitarbeiter durch das Social Intranet fast umfassend.

„Wir sitzen mit einem Kernteam im Büro.“

Wenn mehr kommuniziert wird: Inwieweit wurde die Rolle der Kommunikation bei Daimler aufgewertet? Ich habe das Gefühl, dass wir bei Daimler gut in den Konzern integriert und angesehen sind. Ich nehme als Gast an Vorstandssitzungen teil. Wir stehen Tag und Nacht zur Verfügung. Alle geben in dieser Krisensituation ihr Bestes, damit wir vernünftig kommunizieren, Videos machen, Threema-Nachrichten verschicken, auf Youtube gehen, Instagram und Linkedin für Vorstände betreuen. Der Einsatz hat zugenommen. Die Belastung auch – auch dadurch, dass nicht alle hier zusammen sein können. Die Leute stehen praktisch rund um die Uhr zur Verfügung. Wie viele Personen sind bei Ihnen im Büro? Wir sind aktuell etwa 20. Wir machen immer um 8.45 Uhr eine Audiokonferenz mit allen 25


IM WORTLAUT

Bloß nicht wieder enttäuschen

Foto: Günter Wicker / Flughafen Berlin Brandenburg GmbH

Mit dem Flughafen BER hat Berlin den Spott der Welt auf sich gezogen. Ausgerechnet während der Coronakrise musste der Flughafen eröffnen – etwa neun Jahre verspätet, ohne große Feierlichkeiten. Ein Interview mit Hannes Hönemann, seit September 2017 Leiter der Unternehmenskommunikation der Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg, über die Öffentlichkeitsarbeit für ein Krisenprojekt, das seinesgleichen sucht. Interview: CAROLIN SACHSE-HENNINGER

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Dezember 2020


IM WORTLAUT

die Bedingungen, unter denen die Eröffnung stattfand, ständig veränderten. Kein großes Feuerwerk, kein großes Trara im Vorfeld – zur Eröffnung gab es nur einen schlichten Festakt. Wenn Corona nicht gewesen wäre, wie wären die Eröffnung und die Kommunikation dann abgelaufen? Idealerweise ähnlich. Ein großes Fest war nie geplant. Das lag aber nicht daran, dass wir Corona haben kommen sehen, sondern daran, dass wir die 2012er-Nichteröffnung immer mitgedacht haben. Uns war bewusst, dass wir damals Erwartungen geweckt hatten, die wir nicht erfüllt haben. Von welchen Erwartungen sprechen Sie ­konkret? Die Eröffnungskommunikation 2012 war geprägt von Superlativen: Der BER sollte „Europas modernster Flughafen“, gar eine „Seidenstraße der Moderne“ werden. Ganz Berlin und Brandenburg haben sich auf die Eröffnung des Flughafens gefreut. Hätten wir gesagt: „Jetzt machen wir wirklich auf, ohne Scheiß!“, dann hätte uns das niemand geglaubt. Die Leute gingen eher davon aus, dass das Gegenteil von dem, was wir sagten, richtig sei. Mit der Eröffnung nicht anzugeben und einfach aufzumachen, war für uns der beste Weg.

Herr Hönemann, Sie haben mir gesagt, dass Sie gerade von Mitarbeitergesprächen kommen. Im Dezember geht der Flughafen Berlin Brandenburg wegen ausbleibender Fluggäste in Kurzarbeit. Dabei ist er gerade erst eröffnet worden – nach turbulenten acht Jahren und sechs Terminverschiebungen. Hatten Sie überhaupt Lust auf die Eröffnungsfeier? Lust auf die Eröffnungsfeier hatten wir alle. Es gab eine große Sehnsucht, endlich fertig zu werden. In den vergangenen Monaten hatte sich im Unternehmen ein ziemlicher Drive aufgebaut. Eben weil viele meiner Kolleginnen und Kollegen die nicht geschafften Eröffnungen, allen voran 2012, im Kopf hatten. Aber natürlich war Corona immer präsent, weil sich www.pressesprecher.com

Ein Flugzeug von Lufthansa und eines von Easyjet landeten am Eröffnungstag als erste am BER.

Sie legten den Schwerpunkt deshalb auf Servicekommunikation. Genau. Weil wir wussten, dass wir nicht gut darin sind, Versprechungen zu halten, haben wir uns darauf konzentriert, sofort nachprüfbare Informationen zu senden. Wir wollten sagen, was ist. Wir wollten sagen, am 31. Oktober eröffnet der Flughafen, und haben das übersetzt mit: Achtung, ab dem 31. Oktober musst du, Passagier, zu einem anderen Ort. Auf Botschaften dieser Art haben wir uns fokussiert. Das klingt sehr sachlich, wenn man bedenkt, wie emotional geprägt die Berichterstattung über den BER gewesen ist. Ich glaube, für die Reputation des Flughafens war es wichtig, dass wir nicht vorher erzählt haben, wie toll es auf unserer Besucherterrasse ist, sondern die Leute einfach hingegangen sind und sich selbst einen Eindruck verschafft haben – einen, der echt ist und nicht vorgegeben. Es geht ja darum, erst einmal die Grundlagen zu schaffen, also dafür zu sorgen, dass alle wissen: Der Flughafen ist offen und funktioniert. Wenn dann 41


AGENTUREN

Schnell, ­flexibel und die SPD Raphael Brinkert ist ein vielfach ausgezeichneter Werber. Der Spezialist fßr Sportmarketing entwickelt mit seiner Agentur die Kampagne der SPD zur Bundestagswahl 2021.

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PRAXIS

Die Community für sich gewinnen Unternehmen, die auf TikTok präsent sein wollen, müssen verstehen, was bei ihrer Zielgruppe angesagt ist. Selbstironie ist hilfreich. Von MARCEL WEHN

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In TikTok-Videos geht es oft um Tanzen und Spaß. Hier der Dreh eines Videos in der litauischen Hauptstadt Vilnius.

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Fotos: picture alliance/Xinhua News Agency; Klinikum Dortmund

Das Klinikum Dortmund ließ die Angestellten ihren Job tanzen.

Öffnet man die Video-App TikTok und scrollt durch den Feed, dann entsteht schnell der Eindruck, man befände sich in einer Dauershow zwischen Tanzeinlagen, Blödelei und seichter Teenager-Erotik. Tatsächlich gibt es auf TikTok unzählige Kurzvideos, die in diese Richtung gehen. Doch findet man als User inzwischen auch reichlich Inhalte zu Themen mit politischem und gesellschaftskritischem Bezug. Unternehmen können das Potenzial von TikTok nur ausschöpfen, wenn sie ein Verständnis für eine überwiegend jüngere Zielgruppe mitbringen. Mit dem Slogan „Real People. Real Videos“ tritt TikTok an, um vor allem die Generation Z Smartphone-gerecht anzusprechen. Was aber ist der Unterschied von TikTok zu Facebook und Instagram? Was macht die „Real People“ der TikTok-Community aus? Entscheidend ist die demokratische Verbreitung der Inhalte. Auf anderen Social-Media-Plattformen baut ein Creator – so nennt TikTok die ContentProduzenten – Bekanntheit und Reichweite durch hartnäckiges Dauerposten und eine mühselige Pflege der Community auf. Der Algorithmus von TikTok dagegen bewertet jeden Beitrag neu, unabhängig von der bisherigen Perforwww.pressesprecher.com

mance des Kanals. So ist es möglich, dass bereits mit dem ersten TikTok-Beitrag eine gewaltige Zahl an Zuschauern erreicht werden kann. Dieser Zugang macht TikTok besonders: Ich muss kein Star sein, um ein Star zu werden. Es ist also praktisch aus dem Stand möglich, auf TikTok in den Zenit der Community aufzusteigen.

Die Zielgruppe gibt die Inhalte vor „Macht euch frei von allem, was ihr auf anderen Plattformen in Sachen SocialMedia-Marketing gelernt habt“, sagt Sahra Al-Dujaili. Sie ist inzwischen für den Bereich Client Solutions bei TikTok zuständig. Den erwähnten Satz sagte sie über TikTok, als sie noch Social-MediaTeamleiterin bei Otto war und dort die Kampagne #MachDichZumOTTO ins Leben gerufen hat. Die Spots haben mehr als 147 Millionen Views erreicht. Ottos Auftrag an die Community lautete: Macht euch in verschiedenen Situationen zum Otto und stellt die daraus resultierenden Peinlichkeiten online. So eine Challenge lieben die TikTok-User. Parallel fand eine Auseinandersetzung mit der Marke statt und am Ende wurden über 59.000 Videos zum Hashtag

#MachDichZumOTTO kreiert. Das ist indirektes Marketing, zeigt aber perfekt, wie Unternehmenskommunikation auf TikTok erfolgreich sein kann. Wer klassische Unternehmensbotschaften samt Logopräsenz und Callto-Action produzieren möchte, der ist auf TikTok falsch. Die Community entwickelt fortlaufend humorvolle „Challenges“, die ein Unternehmen aufgreifen und mit größtmöglicher Originalität interpretieren sollte. Die Kunst liegt darin, sich als Marke oder die eigene Produkteigenschaft möglichst humorvoll bis selbstironisch in der Interpretation der Challenge unterzubringen. Umso weniger werblich das gelingt, desto größer ist die Chance auf einen Posting-Erfolg. Ein Beispiel: Am 11. März 2020, als Corona weltweit an Fahrt aufnimmt, entwirft die 19-jährige Keara Wilson aus einem Vorort in Ohio eine 15 Sekunden lange Tanzabfolge zur Musik des Titels „Savage“ der Starrapperin Megan Thee Stallion. Die „Savagechallenge“ war damit geboren: Kearas Tanz geht viral. Tausende haben Kearas Challenge bereits nachgetanzt, als am 6. April 2020 die große Überraschung passiert: Megan Thee Stallion höchstpersönlich nimmt die #savegechallenge an. Sie interpretiert in einem Posting ihren eigenen Hit mit den Tanzschritten der 19-jährigen Amerikanerin. Der amerikanische Fernsehsender „Fox 46“ aus Charlotte hat sich ebenfalls der Savagechallenge gewidmet. „Fox-46“-Meterologe Nick Kosir stimmte seine eigenen „Wetter-Lyrics“ auf die Musik ab und tanzte die Savechallenge vor der Wetterkarte des TV-Senders. Das Ergebnis zeigt, was möglich ist, wenn man Mut zur Selbstironie mitbringt. 5,3 Millionen Views gab es für diesen Post. Nick Kosir und sein Team wurden damit zu sympathischen Testimonials für ihren Arbeitgeber.

Eine Bühne für das Recruiting TikTok eignet sich hervorragend für Personalthemen. Durch das Aufgreifen von 49


VERBAND

I N H A LT

72 Gendersensible Sprache: BdKom veröffentlicht Kompendium zum geschlechterneutralen Formulieren 74 „Gender Trouble“: Interview mit Jacqueline Casini und Stefan Tschök

B ­ dKom ­veröffentlicht ­Kompendium zur gendersensiblen Sprache Mit dem Kompendium „Gendersensible Sprache“ hat der Verband Mitte November ein Handbuch herausgebracht, das Kommunikationsverantwortliche bei der Entwicklung passender Strategien zum fairen Formulieren unterstützt.

76 Im Hautnah-Interview: Andreas Deffner 77 Neumitglieder

Für eine informierte Gender-Debatte: Das Handbuch kann auf der Website des Verbands kostenfrei heruntergeladen werden.

Viele Kommunikations­verantwortliche stehen aktuell vor der Frage, wie sie in Unternehmen und Organisationen einen Prozess hin zu gendersensibler Sprache anstoßen oder moderieren sollen. Wie kann das Bedürfnis erfüllt werden, Gleichberechtigung 72

und Fairness auch in der Sprache zum Ausdruck zu bringen, ohne in puncto Lesbarkeit neue Hürden aufzubauen? Der BdKom will bei der Auseinandersetzung mit dieser Frage unterstützen und mit dem Kompendium eine Grundlage für die informierte DiskusDezember 2020


VERBAND

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sion zum Thema schaffen, ohne Vorschriften zu machen. Für eine eigene, faire Sprachpraxis hat sich der Verband entschieden, künftig Doppelnennungen, genderneutrale Begriffe und den Genderstern zu nutzen, wenn es sich empfiehlt. „Gerade weil eine einheitliche Form der gendergerechten Ausdrucksweise im Deutschen noch nicht gefunden ist, sollten Kommunikationsverantwortliche, die so viel mit Sprache umgehen, sich mit der Debatte vertraut machen. Denn in Unternehmen und Organisationen kommt ihnen oft eine Vermittlerrolle zu zwischen progressiven Positionen und solchen, die Gendern grundsätzlich für eine Zumutung halten. Obwohl das keine leichte Aufgabe ist, liegt in der informierten Auseinandersetzung mit unseren Sprachkonventionen ja eine große Chance. Das haben wir in der gremieninternen Diskussion jedenfalls so erlebt“, sagt BdKom-Präsidentin Regine Kreitz. Das Kompendium stellt die gängigsten Gendervarianten detailliert vor, gibt einen Überblick über Genderwörterbücher und Formulierungs­ hilfen sowie Einblicke in die Gender-­Praxis von Unternehmen und Agenturen. Zudem kommen im Handbuch zahlreiche Expertinnen und Akteure zu Wort. Der BdKom wird sich zudem weiterhin mit dem Thema beschäftigen und ist für Anregungen aus der Leserschaft offen. Ein Webinar für Mitglieder ist in Vorbereitung. Das Kompendium „Gendersensible Sprache. Strategien zum fairen Formulieren“ können Sie ab sofort auf der Website des BdKom kostenfrei als PDF herunterladen. Einen ersten Einblick in das Kompendium erhalten Sie auf der nächsten Seite mit einem Interview mit Jacqueline Casini und Stefan Tschök, die das Projekt als Arbeitsgruppenleitungen im Verband vorangetrieben haben. www.bdkom.de

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INHALT

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Vorwort

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Gender Trouble Mitglieder des BdKom haben eine Arbeitsgruppe zur gendersensiblen Sprache gegründet. Sie wollen eine Debatte anstoßen. Ein Doppelinterview mit Jacqueline Casini und Stefan Tschök

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Barrierefreiheit und Gendern Wie zugänglich sind die Gender-Kurzformen für blinde und sehbehinderte Menschen?

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Gendern in der gesprochenen Sprache Wie ein bestimmter Laut dabei helfen kann, gendersensibel zu sprechen

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Statement vom Rat für deutsche Rechtschreibung Welche Kurzformen werden am häufigsten benutzt? Eine Bilanz aus der Sprachbeobachtung

10

Das Reizwort „Gender“ Ein Begriff erhitzt die Gemüter. Warum ist das so? Ein Erklärungsversuch der DiversityExpertin Tinka Beller

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Mitten im Sprachwandel Mithilfe fairer Sprache werden Normen hinterfragt, für die es noch keine etablierten Alternativen gibt. Ein Interview mit der Linguistin und Duden-Autorin Gabriele Diewald über die Wirren einer komplexen Debatte

13 Kommt Gendern einer Sprachzensur gleich? Unterscheiden sprachsensible Menschen nicht zwischen dem biologischem und grammatischem Geschlecht? Die Duden-Autorin und Linguistin Gabriele Diewald reagiert im Interview auf die gängigsten Vorwürfe genderkritischer Menschen.

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AUS DER PRAXIS

Wer entscheidet in Deutschland über die Rechtschreibung?

GENDERN OHNE SATZ- UND SONDERZEICHEN 18

Doppelnennung, Kurzformen mit Schrägstrich und neutrale Alternativen

23

Gender-Wörterbücher und Formulierungshilfen Welche digitalen Wörterbücher und Glossare gibt es? Ein Überblick

Der Genderdoppelpunkt

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Gendern in deutschen Unternehmen Brauchen Unternehmen für die gendersensible Kommunikation einen Krisenplan? Ein Interview mit Michael Martens, Mitbegründer des Start-ups Fairlanguage

50

Gendersensible Kommunikation bei Otto Das Handelsunternehmen verwendet seit einem Jahr den Genderstern. Ein Gespräch mit Linda Gondorf und Christian Grünert über Hürden, Shitstorms und eine Mission. Gondorf und Grünert sind Mitglieder des Diversity-Teams von Otto.

44 Vor zwei Jahren entschied sich der Rechtschreibrat gegen die Aufnahme des Gendersterns in das Amtliche Regelwerk. Sabine Krome, Geschäftsführerin des Rats, über den Status quo der Sprach- und Schreibbeobachtung.

Das Binnen-I

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Trans*, inter*, nichtbinär und queer Über die Bedeutung spezifischer Begrifflichkeiten aus den queeren Communities

30

Der Gendergap

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Der Genderstern

Ist Menschen die Macht von Genderstereotypen erst einmal bewusst geworden, fragen sie sich weniger, ob sie gendern sollen, sondern eher wie das gelingen kann. Michael Martens unterstützt Unternehmen bei den ersten Schritten zu sprachlicher Gendersensibilität.

50 Als das Diversity-Team von Otto einen Podcast über faire Unternehmenssprache veröffentlichte, hagelte es auf Twitter Kritik. Wie das Kollegium und die Unternehmensführung dem Team den Rücken stärkten.

GENDERN MIT VERSALIEN, SATZ- UND SONDERZEICHEN 26

46

18

STRATEGIEN ZUM FAIREN FORMULIEREN

Feminine und maskuline Formen gleichermaßen zu benennen, ist eine etablierte Form der sprachlichen Gleichstellung, die eindeutig ist und gemeinhin als höflich gilt – jedoch nur solange man sich im binären Geschlechtermodell bewegt. Trans- und intergeschlechtliche Menschen werden durch sie ausgeschlossen. Bislang wird die Doppelnennung am häufigsten in der Anrede verwendet, aber auch in fortlaufenden Texten. Für diese Variante gibt es einiges zu beachten. Beispielsweise sollte die Reihenfolge der männlichen und weiblichen Form im Text immer wieder gewechselt werden, damit keine Hierarchie entsteht: Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Journalistinnen und Journalisten statt immer wiederkehrend: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Journalistinnen und Journalisten. Gut ist, dabei stereotype Darstellungen zu durchbrechen: Statt Ärzte und Krankenschwestern könnte es beispielsweise Ärztinnen und Krankenpfleger heißen. In Zusammensetzungen mit -mann oder -frau bietet sich häufig die Möglichkeit, die jeweilige Entsprechung zu bilden wie Fachmann und Fachfrau oder Feuerwehrmann und Feuerwehrfrau.

FAIR FORMULIERT

BESSER NICHT

Formulieren Sie den Plural möglichst neutral.

Fachleute Feuerwehrleute

Fachmänner Feuerwehrmänner

Schreiben Sie die Femininform in allen Satzteilen aus.

Sie ist Journalistin.

Sie ist Journalist.

Formulieren Sie zu häufige Paarformen um.

Unsere Kommunikatorinnen und Kommunikatoren sind professionell im Netzwerken.

Unsere Kommunikatorinnen und Kommunikatoren sind professionelle Netzwerker und Netzwerkerinnen.

Es gibt drei Wege, Sprache gendersensibel zu gestalten: Erstens kann das männliche und das weibliche Geschlecht sichtbar gemacht werden durch die Verwendung von Doppelformen wie Kommunikatorinnen und Kommunikatoren. Ist das konkrete Geschlecht sprachlich irrelevant, kann es durch neutrale Formen wie Kommunikationsverantwortliche ersetzt werden. Durch diese geschlechtslose Form werden alle Menschen einbezogen, also männliche, weibliche und nichtbinäre Personen, die auch trans- oder intergeschlechtlich sein könnten. Eine dritte Möglichkeit ist, diese Vielfalt durch Satz- und Sonderzeichen sichtbar zu machen. Auf diese Weise werden alle Geschlechtsidentitäten in einem Wort repräsentiert wie in Kommunikator_innen, Journalist*innen oder Pressesprecher:innen.

WIE GENDERN TRANS* PERSONEN?

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Es gibt nicht die eine Community von trans* Personen, sondern eher viele Gruppen, die unabhängig voneinander agieren und teilweise auch unterschiedliche politische Forderungen haben. Daher gibt es in der Schriftsprache auch mehrere Varianten des Genderns, die allerdings alle gleich gesprochen werden: mit einer Pause an der Stelle des Satzoder Sonderzeichens. Momentan ist im deutschsprachigen Raum der Stern vorherrschend. Viele gendern zudem mit dem Unterstrich. In den Sozialen Medien setzt sich der Doppelpunkt zunehmend durch, unter der Annahme, er sei barriereärmer. Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband widerspricht dem jedoch. Wir als Bundesverband Trans* sind der Meinung, dass Antidiskriminierungsmaßnahmen zugunsten einer Gruppe nicht zu Lasten anderer Gruppen gehen sollten. Jedoch

Geschlechtersensible Sprache kann ihre Gestalt wandeln je nach Kontext und Situation. Sie kann elegant oder ungeschickt auftreten – abhängig von den G E N D E R N M I T S O N D E R Z E I C H E N – D E R G E N D E R ST E R N 33 Menschen, die sie verwenden. Sie ist das individuelle Produkt der Schreibenden befinden wir uns in einem Dilemma: Das Gendern mit Satz- und Sonderzeichenund Sprechenden. wird von verschiedenen Gruppen als Belastung oder Diskriminierung wahrgenommen. Sie fordern daher, gar nicht zu gendern. Dies ist aber diskriminierend gegenüber Der Stern (Asterisk) ist ein typologisches Sonderzeichen, dem durch gesellschaftliche Konventionen trans*, inter* und nichtbinären verschiedene Bedeutungen innewohnen. Er wird unter anderem in der Informatik, Mathematik und Personen. Zudem muss dem dritten Datenverarbeitung verwendet. Auf Sprache und Text bezogen wird er häufig wie folgt eingesetzt: Geschlechtseintrag „divers“ und der Möglichkeit, seinen Personenstand • Er verweist als Anmerkungszeichen auf Fußnoten. streichen zu lassen, sprachlich • Im Web dient er als Markierung für Pflichtfelder in Formularen. Rechnung getragen werden. Im Moment • In Chats korrigieren wir mit ihm Tippfehler (*gut statt guz) oder fügen Inflektive wie *lach* und ist daher leider keine optimale Lösung *zwinker* ein. absehbar. Es ist komplex, verschiedene • In der Genealogie steht der Stern für „geboren am“ (Goethe *1749). Gruppen mitzudenken und neue • Gelegentlich werden Sterne auch als Auslassungszeichen verwendet („F**k!“). Schreibweisen zu etablieren, wobei • In sprachwissenschaftlichen Texten markiert er Formen oder Fügungen, die ungrammatisch sind letztlich gar nicht von einem entweder (*gelachen). oder gesprochen werden kann: Es gibt viele Personen, die zu mehr als einer Über die Geburtsstunde des Gendersterns ist wenig bekannt, die Entstehungsmythen sind der genannten Gruppen gehören. umstritten. Eine Annahme lautet, dass er das erste Mal 2004 in einer offenen Diskussionsgruppe In unserer Verbandskommunikation aufkam, die sich regelmäßig in Wien traf, um über sprachliche Varianten des Genderns zu verwenden wir bislang den Gendergap, debattieren. Im Verlauf der Zeit entwickelte sich das fünf- oder sechsstrahlige Symbol als weil er deutlich darauf hinweist, dass Platzhalter für die Vielfalt von Identitäten und Lebensweisen. Seine in verschiedene Richtungen eine Pause beim Sprechen gemacht zeigenden Arme versinnbildlichen dabei die Vielfalt innerhalb der Communities. Der Stern füllt den werden soll. Unserer Erfahrung nach Raum des Gendergap aus, so wie er in der Informatik als Platzhalter für jedes und für beliebig viele überlesen nämlich viele Personen den Zeichen genutzt wird. Stern einfach: aus „Mitarbeiter*innen“ wird dadurch das Femininum „Mitarbeiterinnen“. Die Pause beim Sprechen ist aber der zentrale Punkt, Bei Microsoft kam das Thema gendersensible Sprache auf, weil einige im Team unabhängig davon, ob mit Unterstrich bereits privat den Stern nutzen und ihn auch in der Unternehmenskommunikation oder Stern geschrieben wird. einbringen wollten. Es wurde eine emotional geführte Debatte. Also haben wir eine Ich empfehle Organisationen, sich Projektgruppe gegründet, die das Thema recherchiert und in Verbindung mit unserer Unterdifferenziert zu informieren, eine nehmenskultur und Mission gebracht hat. Anschließend haben wir vor der Geschäftsführung Entscheidung für ihre Vorzugsvariante einen Vortrag über Sprachwirkung gehalten: Wir bekamen das Go für eine unternehmensweite zu treffen und diese dann konsistent Kampagne, mit der wir Verständnis schaffen und Umsetzungsmöglichkeiten erklären sollen. nach außen zu vertreten. Parallel habe ich mich in meiner Masterarbeit ebenfalls mit gendersensibler Sprache befasst: Ich interviewte 20 Kommunikationsprofis und habe eine Typologie erstellt, die zeigt, welche Bedeutung das Thema für die PR-Verantwortlichen im Arbeitsalltag einnimmt: Es gibt aktuell Vorreiter*innen, aktive Gestalter*innen, Einzelkämpfer*innen und Kritiker*innen (des generischen Maskulinums). Die Typologie illustriert den Grad an Beschäftigung mit gendersensibler Sprache und zeigt, dass das Thema in der Unternehmenskommunikation angekommen ist.

GABRIEL_NOX KOENIG ist Referent_in für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Bundesverband Trans*. Nach dem Studium der Kommunikationswirtschaft hat er_sie bei einer Tageszeitung volontiert und zehn Jahre lang in einer Zeitungsredaktion in Süddeutschland gearbeitet. Im Anschluss studierte Gabriel_Nox Koenig Soziale Arbeit und Gender Studies in Berlin.

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G E N D E R N O H N E S ATZ- U N D S O N D E R Z E I C H E N

ERSTE STRATEGIE ZWEI GESCHLECHTER BENENNEN

DER GENDERSTERN

PAULA AUKSUTAT ist seit März 2019 im Kommunikationsteam von Microsoft Deutschland und Teil der fünfköpfigen Projektgruppe für gendersensible Sprache.

Das Kompendium stellt die gängigsten Genderstrategien vor und lässt Expertinnen und Akteure der Debatte zu Wort kommen.

Was ist Gender? In den Siebzigerjahren haben Feministinnen in Deutschland damit begonnen, den englischen Begriff „Gender“ (Soziales Geschlecht) zu verwenden. Sie wollten damit darauf aufmerksam machen, dass es verschiedene Faktoren gibt, die unsere Geschlechtsidentität ausmachen. Das soziale Geschlecht meint die Gesamtheit von Erwartungen, Konventionen und Rollenzuschreibungen, mit denen das biologische Geschlecht in unserer Gesellschaft verbunden wird. Es ist zugleich auch das durch unsere Erziehung erworbene Selbstverständnis über unsere Geschlechtsidentität. Der Begriff wurde entlehnt, weil es im Deutschen kein entsprechendes Wort dafür gibt. Das englische Substantiv „gender“ steht für das gefühlte und gelebte Geschlecht. Das Wort „sex“ wird hingegen für das biologische Geschlecht verwendet. Gendersensible Sprache impliziert den Versuch, die Facetten des sozialen Geschlechts zu repräsentieren, ohne dabei diskriminierend zu sein. Denn Sprache hat einen großen Einfluss auf unsere Vorstellung von der Welt. 73



*Finanzierungspartner sind Geschäftsbanken, Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Direktbanken.

Corona-Hilfe der KfW Kredite für Unternehmen Die Bundesregierung hat ein Maßnahmenpaket beschlossen, mit dem Unternehmen bei der Bewältigung der Corona-Krise unterstützt werden. Die KfW versorgt Unternehmen kurzfristig mit Liquidität. Die Kredite können über die Hausbank bzw. über Finanzierungspartner* beantragt werden. Weitere Informationen dazu unter:

kfw.de/coronahilfe


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