KOM 1/2022 #Leadership

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Quadriga Media Berlin GmbH № 5 — Ausgabe 1/22 www.kom.de

Suche nach Widersprüchen

Klarheit und Empathie

Gefragte Journalisten

Warum der „Welt“-Reporter Tim Röhn intensiv zu Coronathemen recherchiert.

Wie Führungskräfte Leadership interpretieren und sich weiterentwickeln.

Bei den Sprechern der Bundesregierung geht wenig ohne Medienerfahrung.

#Leadership



EDITORIAL

Leadership

Coverbild: Julio Bonfante / Getty Images

A

us Sicht von Kommunikationsverantwortlichen hat „Leadership“ mindestens zwei Facetten: Zum einen sind Pressesprecher*innen häufig selbst Führungskräfte. Sie haben die Aufgabe, ihre Abteilung zu organisieren, die Angestellten zu motivieren und ihnen berufliche Perspektiven zu eröffnen. Fordern und fördern, wie es so schön heißt. Zum anderen sind Kommunikator*innen Advisor. Sie beraten Minister*innen, Vorstände und CEOs. Wie treffen sie nach innen den richtigen Ton? Wie präsentiert man sich nach außen als souveräne Führungspersönlichkeit? Auf Seite 20 haben wir eine Übersicht von Personen aus verschiedenen Bereichen zusammengestellt, die häufig mit Führung assoziiert werden – positive Beispiele, aber auch negative. Für eine Organisation ist es ein großes Plus, wenn die Personen an der Spitze durch herausragendes Leadership dazu beitragen, die Reputation zu stärken. Nur ist das keine Einbahnstraße. Wer heute noch als integer, empathisch oder visionär wahrgenommen wird, gilt schnell als zu weich, farblos und führungsschwach, wenn es nicht läuft. Leadership muss sich am Erfolg messen lassen. Der von der ehemaligen Siemens-Kommunikationschefin Clarissa Haller auf dem Kommunikationskongress sinngemäß getätigte Satz, dass man nicht für Arschlöcher arbeiten sollte, ist keine schlechte Grundregel im Berufsleben. Worum geht es in dieser Ausgabe? Zum einen um Körpersprache. Welche Gesten unterstützen dabei, führungsstark zu wirken? Mirjam Stegherr beschreibt, wie Führungskräfte ihr Verhalten geändert haben, nachdem sie von ihren Mitarbeitern negativ beurteilt wurden. Wir haben mit Florian Amberg WWW.KOM.DE

von Munich Re und Marlena Schönfeld von der Agentur Butter zwei Führungskräfte befragt, die in jungem Alter in verantwortungsvolle Positionen aufgestiegen sind. Zusätzlich gibt es ein Interview mit Britta Zur, seit 2020 Polizeipräsidentin in Gelsenkirchen. Vorher arbeitete sie als Sprecherin einer Staatsanwaltschaft. Wie definiert sie ihre Rolle? Wir haben mit Tim Röhn gesprochen, der als Chefreporter bei der „Welt“ aktuell intensiv zum Coronakomplex recherchiert. Sein Fazit über die Kommunikationsabteilungen von Behörden: „Ich glaube, dass sich in dieser Coronapandemie viele Pressesprecher oder Behörden gegenüber der Öffentlichkeit nicht rechenschaftspflichtig fühlen.“ In einer Phase, in der Transparenz und Vertrauen in die Coronapolitik entscheidend wären, ist das ein desaströses Urteil. Kritik an der Information von politischer Seite zum Thema Impfen äußert auch Cornelia Betsch, die als Professorin für Gesundheitskommunikation Mitglied im 19-köpfigen Expertenrat der Bundesregierung ist. Dieser hat in seinen Statements schon mehrfach die schlechte Kommunikation in der Pandemie angeprangert. Viel Spaß beim Lesen!

Volker Thoms, Chefredakteur 3


IN DIESER AUSGABE

3 Editorial  7 Sprecherspitze  10 Meldungen  78 Kolumne   80 Wechselbörse  81 Impressum  98 Feedback

6 Kommentar Warum Wissenschaftsorganisationen sich auf die Medienspielregeln einlassen müssen und Prominenz keine Einbahnstraße ist. SZENE

8 Zugang/Abgang Ines Schurin übernimmt bei Rewe / Christoph Hardts kurze Episode beim Erzbistum Köln.

24 Was kann ich verbessern? Wie Führungskräfte ihre Rolle sehen und sich selbst ­hinterfragen. 28 Jung und Chef Marlena Schönberg von der Agentur Butter und Florian Amberg von Munich Re über ihr Verständnis von Leadership.

IM WORTLAUT

32 Körpersprache und Gesten Mimik und Gestik sind typ­ abhängig. Trotzdem gibt es eine Körpersprache, die Führungsstärke unterstreicht.

14 Hart nachfragen Welche Erfahrungen „Welt“Journalist Tim Röhn bei seinen Corona-Recherchen mit Presse­stellen macht. ­

36 Stärken herausarbeiten Medientrainer Tom ­Buschardt über seine Arbeit mit Führungs­ kräften und die Wirkung in verschiedenen Settings.

MENSCHEN

40 Die Polizei sichtbar machen Britta Zur ist Polizei­präsidentin in Gelsenkirchen. Welche Strategien verwendet sie, um ihre Außenwirkung zu s­ teuern?

18 Kunde im Fokus Jeanne Kindermann arbeitet für Lancôme. Hier beschreibt die Digital-Expertin, wie die Marke die Online-Performance optimieren will. TITEL: LEADERSHIP

20 Gute Leader, schlechte Leader 22 Führung durch ­Kommunikation Christof Ehrhart über die Heraus­forderung, Ziele des Unternehmens mit denen von Stakeholdern in Einklang zu bringen. 4

44 Theorie wird Praxis Die Wissenschaft kennt verschiedene Ansätze zum Leadership. In der Praxis ­vermischen sie sich. 48 Emotionale Kraftwerke Executive Coach Heidi Stopper über verunsicherte Vorstände und Machtfragen in agilen Organisationen.

52 Führungsfragen Aufgelöste H ­ ierarchien, Teamorganisation, Linkedin: Fragen an drei Kommunikations­ verantwortliche. 55 Skurriles Foto Männerrunde auf der Münchner Sicherheitskonferenz. PRAXIS

56 Sprecher der Regierung In den M ­ inisterien haben zahlreiche Sprecherinnen und Sprecher gewechselt. Wer ist neu? Wer ist geblieben? 60 Frauen an der Spitze Wie sich Martina Merz von Thyssenkrupp und Belén Garijo von Merck ­gegenüber der ­Öffentlichkeit präsentieren. 64 Impfen und Kommunikation Cornelia Betsch, M ­ itglied im Expertenrat der ­Bundesregierung, über Defizite in der p ­ olitischen ­Kommunikation.

KARRIERE

72 Kompetenzbooster Die Fähigkeit, intern transparent zu kommunizieren und Wertschätzung zu zeigen, ist für Führungskräfte unabdingbar geworden. 73 Fachkräfte gesucht Auf dem Jobmarkt haben Arbeitnehmer gute Chancen. Wonach suchen Bewerber? Wen wollen Arbeitgeber? AGENTUREN

74 Kurz vorgestellt: Francis Frietsch von der ­Agentur ­Ketchum. BÜCHER

76 Harald Welzers neues Buch Der Soziologe hat seinen eigenen Nachruf verfasst und plädiert für eine Kultur des Aufhörens. / Buchtipps 78 Kolumne René Seidenglanz über Hass und Hetze im Jahr 2022.

70 Blick ins Ausland Eine GIZ-Kommunikatorin aus dem Libanon berichtet über ihren Job.

90 Verband Junge Talente, Kolumne „Fair formuliert“, Hautnah-Interview. KOM № 5

Fotos: privat; picture alliance / EPA; Thomas Nowaczyk; picture alliance/dpa

MEINUNG


14 Tim Röhn ist Reporter bei der „Welt“. Aktuell macht er mit kritischen Recherchen zu Coronathemen auf sich aufmerksam.

32 Mimik und Gestik unterstreichen das Gesagte. Womit erzielen Führungskräfte eine Wirkung?

40 Britta Zur war Sprecherin einer Staatsanwaltschaft. Jetzt ist sie Polizeipräsidentin in Gelsenkirchen. Wie führt man eine solche Behörde?

56 Der Job als Sprecher in einem Bundesministerium ist einer auf Zeit. Weiterhin sind Ex-Journalisten wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit erste Wahl. WWW.KOM.DE

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KO M M E N TA R

Anpassen an die ­Medienwelt Wenn Wissenschaftsorganisationen Themen der breiten Öffentlichkeit zugänglich ­machen, müssen sie sich an die Spielregeln der Medien halten. Der Promi-Status kann für Wissenschaftler unangenehm werden.

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edienanwälte raten ihren prominenten Klienten in der Regel davon ab, Privates öffentlich zu machen. Hat man die Tür zum Wohnzimmer einmal geöffnet, bekommt man sie nicht mehr zu. Das gilt für alle Personen, an denen ein öffentliches Interesse besteht – unabhängig davon, ob sie nun Politiker*innen, Sportler*innen oder CEOs sind. Das Zitat von Axel-Springer-Boss Mathias Döpfner, dass wer mit „Bild“ im Aufzug nach oben fährt, auch mit „Bild“ im Aufzug nach unten fährt, lässt sich auf die gesamte Medienwelt übertragen. Seit Beginn der Coronapandemie sind Expert*innen aus Virologie, Epidemiologie und Medizin omnipräsent. Vor allem in Talkshows. Die Ethikrat-Vorsitzende Alena Buyx war 2021 allein neunmal bei Markus Lanz zu Gast. Hendrik Streeck talkte siebenmal. 2020 war es noch intensiver: Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit hatte neun Auftritte bei ARD und ZDF. Seine Kolleg*innen Melanie Brinkmann und Streeck jeweils acht. Berücksichtigt man zusätzlich die zahlreichen Print-, Radio- und Onlineinterviews, sind Wissenschaftler*innen Prominente; Celebrities. Christian Drosten Superstar. Für Wissenschaftsorganisationen wie die Helmholtz-Gemeinschaft, die 6

Der Virologe Hendrik Streeck präsentiert sein Buch „Unser Immunsystem“. Andere ­Wissenschaftler*innen tauchten zuletzt in Unterhaltungsformaten auf.

Max-Planck-Gesellschaft und die Universitäten, die häufig abstrakte Grundlagenforschung betreiben, ergibt sich hier eine Chance: Mit Hilfe prominenter Botschafter gelingt es, auch sperrige Themen über Leitmedien einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wer wusste vor Corona etwas über Aerosole oder das Spike-Protein? Natürlich ist es aktuell eine Extremsituation. Doch Kommunikationsverantwortliche aus der Wissenschaft wären ungeschickt, wenn sie nicht versuchen würden, das Interesse in Zukunft hochzuhalten. Den bei Boulevardmedien immer schon ausgeprägten Drang, Themen zu personalisieren, findet man längst auch bei Qualitätsmedien. Social Media funktionieren sowieso über Menschen. Wollen Wissenschaftsorganisationen die breite Bevölkerung erreichen, müssen sie sich auf eine emotionale

„Den bei Boulevard­ medien immer schon ausgeprägten Drang, Themen zu personalisie­ ren, findet man längst auch bei Qualitäts­ medien.“

Ansprache einlassen: auf Storytelling. Fast alle Medien mit „Bild“ und RTL an der Spitze, aber auch „Stern“, „Spiegel“, Tageszeitungen sowie Magazine des öffentlich-rechtlichen Rundfunks suchen nach Menschen als Aufhänger. People Storys. Emotionen. Mal sind es depressive Jugendliche. Mal eine Mutter, die eine Krebserkrankung überlebte. Auf solche boulevardesken Ansätze müssen sich Wissenschaftsorganisationen wohl oder übel einlassen, wenn sie in Publikumsmedien vorkommen wollen. Mit abstrakten wissenschaftlichen Erklärungen kommt man nicht in die Breite. Die Aufgabe von Kommunikator*innen ist es, dann auf die Einhaltung ethischer Standards zu achten.

Worst Case bedenken Empörung gab es in der Wissenschaftscommunity über den „Bild“-Artikel „Die Lockdown-Macher“. Das Boulevardmedium hatte Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung und Dirk Brockmann von der Humboldt-Universität maßgeblich für Verschärfungen von Coronamaßnahmen verantwortlich KOM № 5

Foto: picture alliance/dpa/Fabian Sommer

Von VOLKER THOMS


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IM WORTLAUT

Bevor Röhn anfing, zu Corona zu recherchieren, war er viel als Auslandsreporter unterwegs – beispielsweise in Afghanistan.

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KOM № 5


IM WORTLAUT

Pressesprechern das Leben schwerer machen Früher zählten Fußball und Migration zu seinen Themen. Zurzeit ­beschäftigt sich der „Welt“-Journalist Tim Röhn vor allem mit der ­Coronapolitik. Im Interview berichtet er, welche Erfahrungen er mit ­Behörden und Verbänden macht und wie er versucht, den Druck auf ­Pressestellen zu erhöhen.

Foto: privat

Interview KATHI PREPPNER

Herr Röhn, auf Ihrer Website schreiben Sie, Und dann habe ich einfach mal nachgefragt bei der Pressestelle Recherche vor Ort sei nicht nur wichtig, sondern des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit alternativlos. Jetzt sind Sie in die Welt der Zahlen in Bayern. Dabei kam raus, dass in einer Woche 70 Prozent abgetaucht. Warum haben Sie Corona zu Ihrem der Fälle nicht bekannt waren – und eben den Ungeimpften Thema gemacht? zugerechnet wurden. Das habe ich bei Twitter geteilt, weil ich Röhn: Da bin ich so reingerutscht. Vor der Pandemie habe ich abklopfen wollte, ob das die Leute interessiert. Dann erst habe mich um das Thema Flüchtlingskrise gekümmert. Über den ich darüber geschrieben. Auch in Hamburg stimmten Zahlen nicht. Wie sind ersten Lockdown in Spanien habe ich dann berichtet, weil ich Sie dort an die korrekten Zahlen gekommen? hier der einzige „Welt“-Reporter war. Im ersten Pandemiejahr war ich trotzdem relativ viel auf Reisen. Die intensive BeschäfRöhn: Es gab erst die Berichterstattung in der „Welt“, dass Hamburg Zahlen verheimlicht. Und ich habe auch immer tigung mit der Lage in Deutschland hat damit begonnen, dass ich letzten Winter fünf Monate an der Uniklinik Köln recherwieder bewusst über Twitter Druck ausgeübt und gesagt: Ja, chiert und das Pflegepersonal und die Mediziner bei ihrem Bayern, schlimm – aber wollen wir mal Hamburg nicht verKampf gegen die zweite Welle begleitet habe. Ich finde, so eine gessen. Die korrekten Zahlen hat am Ende die FDP-AbgeordPandemie mit ihren Auswirkungen ist nicht nur ein Thema für nete Anna von Treuenfels-Frowein in der Antwort auf ihre Wissenschaftsjournalisten, sondern ein Jahrhundertthema Kleine Anfrage bekommen. Ich habe das dann aufgeschriefür Reporter. ben. Mir wurde gesagt, die Zahlen könne man mir Im Dezember haben Sie in der „Welt“ über nicht nennen. Tim Röhn verzerrte Inzidenzwerte bei Geimpften und Dabei sind Behörden ja auskunftspflichtig. (34) Ungeimpften in Bayern geschrieben, die Röhn: Ich glaube, dass sich in dieser Coronapandeist seit Februar dadurch entstehen, dass Menschen mit mie viele Pressesprecher oder Behörden gegenüber Chefreporter der „Welt“. Vorher hat unbekanntem Impfstatus den Ungeimpften der Öffentlichkeit nicht rechenschaftspflichtig füher als freier Reporzugerechnet werden. Das war zwar len. Aus Hamburg fehlen weiter Daten, die wir angeter und Filmemakein Geheimnis – wie viele Menschen fragt haben, und deswegen gehen wir jetzt mit allen cher gearbeitet, unter anderem für das mitunter betrifft, war aber nicht juristischen Mitteln gegen den Senat vor. Mittler„Welt“ und „Welt bekannt. Wie sind Sie bei der Recherche weile gibt es ein Verwaltungsgerichtsverfahren. Ich am Sonntag“ sowie vorgegangen? nehme das nicht persönlich, aber wenn man fragt: für das ZDF-Magazin „Frontal 21“. ZwiRöhn: Das ist eigentlich durch Zufall entstanden. „Wie kommt ihr zu der Berechnung?“ Und wenn schenzeitlich war Dass Ungeimpfte in den Inzidenzen ausgewiesen eine Behörde oder ein Ministerium dann antwortet: er Redakteur beim werden, habe ich in Spanien nie gesehen. Irgend„Das sagen wir nicht.“ – Das lässt man als Journalist, „Spiegel“ und bei wann habe ich mich gefragt: Kann das wirklich sein? der seinen Job ernst nimmt, nicht mit sich machen. „Spiegel Online“. WWW.KOM.DE

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TITEL: LEADERSHIP

Ein „Rambo“ zu sein ist für Führungskräfte sicher kein Kompliment. In den Filmen ist er eher ein Einzelkämpfer. 24

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TITEL: LEADERSHIP

„Niemand ist zur Leaderin ­geboren“ Viele Kommunikationsverantwortliche beschäftigen sich ­intensiv mit ihrer Rolle. Doch damit sie gute Führungskräfte sein können, müssen sie Kontrolle abgeben und vor allem herausfinden, welche Erwartungen die Mitarbeiter haben. Von MIRJAM STEGHERR

Foto: picture alliance / Glasshouse Images | JT Vintage

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ie nannten ihn Rambo“ (SZ), einen „wilden Choleriker“, der sich „der Macht zu sicher“ sei. Die Karriere des Kommunikationschefs Michael Ramstetter endete 2014 mit einem medialen Verriss. 15 Jahre lang hat Ramstetter die Außendarstellung des ADAC verantwortet und die Zeitschrift „Motorwelt“ geführt. Bis er den Automobil-Club in eine Krise stürzte, weil er die Auszeichnung „Gelber Engel“ manipuliert hatte. Mit dem Skandal trat zu Tage, was für ein Chef Ramstetter war. „Die Zeit“ berichtete vom „Gutsherrenstil“. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb über einen Menschen, der seine Macht auskostet und missbraucht, der so viele Feinde im Haus hatte, dass seine Verfehlungen nach außen traten und zu seinem Karriereaus führten. Schlechte Führung kann zu schlechter Presse führen. Ramstetter ist der Beleg dafür. Kommunikationsverantwortliche beschäftigen sich heute sehr intensiv damit, was es bedeutet, eine gute Führungskraft zu sein. „Ich glaube, dass man nur dann authentisch kommunizieren kann, wenn man sich mit Leadership auseinandersetzt“, sagt Kerstin Maria WWW.KOM.DE

Rippel, Bereichsleiterin Kommunikation und Politik beim Netzwerkbetreiber 50Hertz. „Kommunizieren bedeutet nicht nur, die richtigen Worte zu finden, sondern auch vorzuleben, was man erzählt.“ Führungskräfte sollen Vorbilder sein. So steht es in diversen Richtlinien, ob bei BASF oder der Bayerischen Staatskanzlei. In Zeiten, in denen Organisationen „Purpose“ in den Mittelpunkt stellen, gehören Werte für das Miteinander dazu. Das betreffe jede Führungskraft, sagt Rippel, aber die Kommunikationsleitung ist sichtbar und prägt das Bild eines Unternehmens. „Es geht darum, nach außen darzustellen, was man nach innen bewirkt, und umgekehrt. Die Führungsrolle ist ein Vehikel, um Werte zu setzen, für die ein Unternehmen steht. Eine Kommunikationsleitung ohne Rückgrat und Werte kann heute nicht mehr funktionieren“, sagt sie.

Narzissten vergiften das Klima Glaubt man den Zahlen einer Studie des Personalunternehmens Zor-

tify unter knapp 10.000 Personen aus Deutschland, wird das schwer: Trotz zahlreicher Debatten um mehr Werte und „New Work“ nehme der Narzissmus in Führungsetagen zu. Narzissten seien rücksichtlos und manipulativ, sie könnten Unternehmen vergiften, heißt es. Um ein toxisches Verhalten zu verhindern, sollten Unternehmen bereits im Recruiting auf diese Aspekte achten und mit regelmäßigem Feedback und Coaching helfen, eine positive Kultur zu verankern, so die Studie. „Niemand ist zur Leaderin geboren“, sagt Rippel. Sie selbst habe das Gefühl gehabt, ein gut funktionierendes Team zu haben, im Feedback aber festgestellt, dass es das anders sah. Als Juristin und Journalistin habe sie zwar gelernt, Leistung und klare Kommunikation in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen, aber einen wichtigen Aspekt vernachlässigt: „Man kann nur dann sachlich gut zusammenarbeiten, wenn es auch auf der Beziehungsebene stimmt.“ Deadlines und KPIs sind nur ein Teil des Erfolgs. „Wenn ich nur in die Sach- und nicht auch die Beziehungsarbeit investiere, habe ich bald kein Team mehr, um 25


TITEL: LEADERSHIP

Belehrungs­finger: EZB-Präsidentin Christine Lagarde nutzt ihn genauso wie den Handkantenschlag sehr oft.

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Foto: picture alliance/dpa; picture alliance / EPA

Mehr Präzisions­ geste geht kaum. Daumen und Zeigefinger bilden bei Telekom-Chef Tim Höttges gerne ein „O“.


TITEL: LEADERSHIP

Präzisionsgeste und ­Belehrungsfinger Körpersprache und Mimik müssen zum Typ passen. ­ Allerdings greifen Führungskräfte häufig auf dieselben Gesten zurück. Was strahlen sie aus? Von HEIKE THIENHAUS

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er Körper ist niemals stumm. Und verrät mehr als tausend Worte. Was wie ein Poesiealbumspruch klingt, ist für viele Führungskräfte eine Herausforderung. Von „alltäglichen Dramen“ bei Vorträgen für Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen spricht Monika Matschnig, Psychologin und Expertin für Körpersprache. Redner verlieren sich in Folienschlachten oder Schachtelsätzen oder klammern sich wie gelähmt an ihren Notizen fest. Führungskräfte sehen sich verschiedenen Erwartungshaltungen gegenüber. „Leader heute sollten auf Augenhöhe agieren, ihre Mitarbeiter motivieren, empathisch sein, dabei ihre Ziele durchsetzen und Stärke zeigen“, sagt Matschnig. Seit 23 Jahren trainiert sie Führungskräfte. Fachlich überzeugende Inhalte seien so gut wie nichts wert, wenn sie nicht überzeugend kommuniziert werden, sagt sie. Dem Allensbach-Institut zufolge machen Gestik und Mimik 55 Prozent der Kommunikation aus. 26 Prozent entfallen auf die Stimme und 19 WWW.KOM.DE

Prozent auf den fachlichen Inhalt. Das ist eine Faustformel. Fest steht: Gestik und Mimik müssen zusammenpassen. Warum tun sich viele Leader so schwer damit? „Führungskräfte stoßen bei Mitarbeitern und Geschäftspartnern auf andere Erwartungen als beispielsweise bei Freunden, wo sie intuitiv agieren. Deswegen schlüpfen sie meist in eine andere Rolle, in der sich die Körpersprache verändert. Oftmals nicht zum Guten. Sie werden stocksteif oder fahrig. Das kann sie stressen“, erklärt Matschnig. Sie sagt: Typische „Leader“-­Gesten gebe es nicht. Gesten müssten zum jeweiligen Typus passen und das Gesagte unterstreichen. Dabei sollten ­Gesten immer vor dem Wort gesetzt werden. Gesten-Klassiker sind der Körpersprache-Expertin zufolge beispielsweise: ⊲ Die Willkommensgeste: Sie signalisiert mit ihrer offenen Armhaltung sowie einladenden Handgelenken, dass das Gegenüber willkommen

ist. Die Hand bewegt sich von unten nach oben und wirkt positiv. ⊲ Der Handkantenschlag: Er ist der Klassiker der Gesten und steht für Durchsetzungskraft. Eine Hand „hackt“ virtuell etwas durch. ⊲ Die Präzisionsgeste: Daumen und Zeigefinger werden zu einem O geformt. Das signalisiert Genauigkeit. ⊲ Der Belehrungsfinger: Der nach oben ausgestreckte Zeigefinger signalisiert: „Achtung, hören Sie mir zu, ich habe etwas Wichtiges zu sagen.“ ⊲ Die Angela-Merkel-Raute: Sie ist eine beliebte Variante. Kurz eingesetzt, ist sie okay. Auf Dauer aber wirkt sie statisch, passiv und unvorteilhaft. Die Körpersprache von Leadern habe sich verändert, so Matschnig. Weg von einem protzigen, machtvollen, hin zu einem emphatischen Verhalten. Gesten wie „Hände in den Nacken“ oder „Hände in die Hüfte stemmen und das Kinn anheben“ wirkten überheblich und seien in Mitarbeitergesprächen unangebracht. Ein leicht geneigter Kopf oder hochgezogene Augenbrauen hingegen signalisierten: „Ich höre Ihnen zu.“ Eine entspannte Körperhaltung mit einsinkendem Oberkörper des Vorgesetzten sorgten für eine lockere Atmosphäre. Bei öffentlichen Auftritten, beispielsweise vor Aktionären oder Journalisten, gelte es für CEOs, durchsetzungsstark und überzeugend zu sein. Um Stärke zu betonen, würden CEOs meist im Stand aus den Schultergelenken heraus mit festen Handgelenken arbeiten. Sie agierten nicht aus dem Ellbogen oder Handgelenken heraus. Das wirke lieb und schwach.

Was zeichnet Führungs­ kräfte aus? Kasper Rorsted, CEO des Sportartikelherstellers Adidas, verkörpert Stärke und Durchsetzungskraft. Dabei wirkt er 33


PRAXIS

Die neuen Sprecher*innen der Bundesregierung kommen ­überwiegend aus dem Journalismus. Auch für die Regierungs­ parteien gearbeitet zu haben erweist sich als Sprungbrett. Von VOLKER THOMS

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enn Journalist*innen in die Öffentlichkeitsarbeit wechseln, werden gerne bekannte Floskeln rausgeholt. „Wow, welcome on the other side“, schrieb eine ehemalige Journalistin und heutige Pressesprecherin unter einen Tweet von Ulrich Schulte. Der „taz“-Redakteur gab bekannt, dass er ab Januar Leiter der Pressestelle des Bundesumwelt- und Verbraucherschutzministeriums und damit Sprecher von Ministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/ Die Grünen) werden würde. Neben Schulte, der rund zehn Jahre lang das Parlamentsbüro der „taz“ geleitet und ein Buch über „Die grüne Macht. Wie die Ökopartei das Land verändern will“ veröffentlicht hat, fanden vor allem

der Wechsel von Christiane Hoffmann vom „Spiegel“ auf die Position der Stellvertretenden Regierungssprecherin und der von Wolfgang Büchner viel Beachtung. Letzter arbeitete zuletzt als freier Berater unter anderem für die Agentur MSL und die FDP, auf deren Ticket er jetzt Stellvertretender Regierungssprecher wurde. Büchner hat sich vor allem als „Spiegel“- und „dpa“-Chefredakteur einen Namen gemacht. Neuer Regierungssprecher und Nachfolger von Steffen Seibert ist Steffen Hebestreit, den Kanzler Olaf Scholz aus dem Finanzministerium mitbringt. Hebestreit arbeitete zuvor unter anderem für die DuMont Redaktionsgemeinschaft als Hauptstadtkorrespondent.

Steffen Hebestreit bei der ersten Bundespresse­konferenz der neuen Regierung. 56

Schaut man sich die Lebensläufe der neuen Pressesprecherinnen und Pressesprecher der Ministerien an, fällt auf, dass der Anteil ehemaliger Journalisten hoch ist. Redaktionelle Erfahrung ist offenbar eine Einstellungsvoraussetzung. Expertise in digitaler Kommunikation, Transformation und Management, die in Unternehmen immer wichtiger wird, scheint in Bundesministerien von sekundärer Bedeutung zu sein. Muss man im Berliner Politikbetrieb gut vernetzt sein? „In der Geschichte der Bundesregierungen hat es immer wieder Beispiele gegeben, wo sich auch Sprecherinnen und Sprecher ‚von außen‘ sehr professionell in den Kommunikationsalltag der Regierung eingebracht haben. Und dabei übrigens auch die Kolleginnen und Kollegen, die für das jeweilige Ressort bei den Berliner Medien zuständig sind, kennengelernt haben. Die ‚Vernetzung‘ ist also in dem Falle das Resultat einer erfolgreichen Kommunikationsarbeit“, sagt Mathis Feldhoff, Vorsitzender der Bundespressekonferenz und ZDF-Korrespondent in Berlin.

Social Media gehören zum Job Ministerien müssen heute wie Unternehmen die gesamte Bandbreite an Kanälen und Spielarten digitaler Kommunikation bespielen. Auch Kampagnen wie „Ärmel hoch“ und „Impfen hilft“ im Bundesgesundheitsministerium mit einem teilweise dreistelligen Millionenbudget liegen meist in der Verantwortung von Pressestellen. Erfahrung mit Werbung und Digital-Kommunikation schadet deshalb sicher nicht, wird von Ministerinnen und Ministern aber offenbar als weniger entscheidend eingeschätzt als journalistische Expertise. Diese hilft wiederum bei der Leitung eines Newsrooms, wie ihn beispielsweise das Bundesverkehrsministerium hat. Nicht zu unterschätzen ist die Teamführung. Leute wie Hoffmann, Schulte und Büchner zu verpflichten, die alle während ihrer journalistischen Zeit Teams KOM № 5

Foto: picture alliance/dpa

Auf die Presse


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA) Regierungssprecher

Steffen ­Hebestreit

Fotos: picture alliance / SZ Photo; picture alliance/dpa; picture alliance/dpa; Bundeswehr / Jana Neumann; picture alliance / photothek; BMU/Sascha Hilgers

Alter: 49 Vorher: Sprecher Bundesfinanzministerium Vorgänger: Steffen Seibert

Alter: 50 Vorher: Communications Director Münchner Sicherheitskonferenz

Bundesministerium für Gesundheit (BMG) Minister: Karl Lauterbach (SPD)

Christiane Hoffmann

Hanno Kautz

Alter: 54 Vorher: Autorin Hauptstadtbüro der „Spiegel“ Vorgängerin: Ulrike Demmer

Alter: 53 Vorher: Parlamentskorrespondent „Bild“ Vorgänger: Kautz hat Amt behalten

Wolfgang Büchner Alter: 55 Vorher: Freier Kommunikationsberater, unter anderem für die FDP und die Agentur MSL Germany Vorgängerin: Martina Fietz

WWW.KOM.DE

Christian Thiels

Stellvertretende Regierungssprecherin

Stellvertretender ­Regierungssprecher

leiteten, macht unter diesem Gesichtspunkt absolut Sinn. Ein Alleinstellungsmerkmal der Regierungssprecher ist, dass sie ständig selbst vor die Presse treten müssen – in der Bundespressekonferenz, aber auch bei zahlreichen Interviews und O-Tönen. Eloquenz, Schlagfertigkeit und Selbstvertrauen sind unabdingbar. „Die Herausforderung, in der Regierungspressekonferenz sendefähig Fragen zu beantworten, ist nicht zu unterschätzen. Dafür scheint es uns sinnvoll, wenn die Sprecherin oder

Bundesministerium der Verteidigung (BMVG) Ministerin: Christiane Lambrecht (SPD)

der Sprecher die Rückendeckung des Dienstherrn hat und dabei einen tiefen Einblick in die politischen Abläufe des Ministeriums genießt. Es ist gut, wenn ein Sprecher weiß, wie sein Minister tickt. Nur auf dieser Grundlage sind verwertbare Antworten oft überhaupt erst möglich“, sagt Feldhoff. Als hilfreich für die Übernahme einer Sprecherposition erweist sich zudem eine Vergangenheit in der Partei, die das jeweilige Ministerium besetzt. Josephine Steffen, neue Sprecherin für

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Ministerin: Svenja Schulze (SPD)

Regine Zylka Alter: 62 Vorher: Sprecherin Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Vorgänger: Olaf Deutschbein

das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen und von Ministerin Klara Geywitz, war vorher beispielsweise für die Berliner SPD tätig. Ihr Tweet zum neuen Job hatte Fan-Tendenzen: „‚In eigener Sache‘ mag ich nicht so, aber um ansprechbar zu sein: Ich darf für das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauen sprechen und für die ziemlich geniale @klara_geywitz, die sich um das #Zuhause in unserem Land kümmert“, twitterte Steffen. 57


31. MÄRZ & 1. APRIL 2022 BERLIN UND DIGITAL

KLARHEIT SCHAFFEN 2 Tage

8 Best Cases

7 Formate

20 Speaker: innen

Schwerpunkt­ themen: Veränderung, Klare Erfolge und Kultur

Jetzt anmelden: depak.de/ ik­tagung


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