p&k #107 "Frauen und Macht"

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Helios Media GmbH | ISSN 1610-5060 | Ausgabe 04/14 | August/September 2014 | 7,20 Euro

Und nun zu etwas vÜllig anderem ‌

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Referenten 4040 Referenten

2014 2014

Béla Nikolai Anda Dorothee Bär Thomas Mickeleit Dr. Dr. Karl-Rudolf Korte BélaBILD Nikolai Anda Dorothee Bär Thomas Mickeleit Dr. Dr. Karl-Rudolf Korte GmbH & Co. KG MdB, Parlamentarische Microsoft Deutschland Universität Duisburg-Essen BILD GmbH & Co. KG

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PFLICHTLEKTÜRE

... Frauen und Macht

Foto: Julia Nimke

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arkozy hoch zu Ross, Schröder genüsslich Zigarre rauchend, Putin, der mit einer Armbrust auf einen Grauwal schießt: Es sind Bilder, die sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben, Bilder, die viel verraten über die Inszenierung von Macht. Männliche Inszenierung von Macht wohlgemerkt. Weibliche Politprominenz in solchen Posen? Schwer vorstellbar. „Es ist kein zutiefst weibliches Bedürfnis, sich so zu inszenieren“, erklärt Regina Schmeken im Gespräch mit p&k (ab Seite 66). Sich in Siegerpose zu zeigen, entspreche nicht der Rolle der Frauen – auch heute noch nicht. Schmeken muss es wissen. Seit fast dreißig Jahren fotografiert sie für die „Süddeutsche Zeitung“ die Mächtigen der Welt. Als „Einzelkämpferinnen“ nimmt Schmeken Frauen in der Politik bis heute wahr. Ein auf den ersten Blick verblüffendes Verdikt. Immerhin steht mit Merkel die laut „Forbes“ mächtigste Frau der Welt an der Spitze der Bundesregierung. Immerhin werden mit von der Leyen und Kramp-Karrenbauer zwei Frauen derzeit die besten Chancen eingeräumt, die Kanzlerin zu beerben. Immerhin sind sechs der 16 Kabinettsmitglieder weiblich. Und doch, das zeigt auch die heftige Diskussion über eine gesetzliche Frauenquote sowohl für Unternehmen als auch für Bundesbehörden, sind Frauen immer noch massiv unterrepräsentiert in den Spitzenpositionen in Politik, Wirtschaft und Medien. Ein merkwürdiges Missverhältnis. Wie lässt es sich erklären? Was können Politikerinnen, Managerinnen und Journalistinnen, die nach Macht und Einfluss streben, von Merkel, von der Leyen und Co. lernen? Und wie sieht die Zukunft aus? Wie tickt die junge Frauen- (und Männer-)Generation in den Parlamenten, Verbänden und Medienhäusern, die sich anschickt, in ein paar Jahren das Zepter zu übernehmen? Im zehnten Jahr der Kanzlerinnen-Herrschaft haben wir nach Antworten auf diese Fragen gesucht. Und dabei zweierlei festgestellt: Das Thema Frauen und Macht ist so komplex, dass es sich lohnt, ihm eine ganze Ausgabe zu widmen. Und: Eindeutige Antworten auf die oben gestellten Fragen gibt es nicht. Aber jede Menge interessanter Einsichten und Erkenntnisse unserer Gesprächspartner und Autoren, die sich seit Jahren mit ganz unterschiedlichen Aspekten dieses Themas beschäftigen. So erläutert die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach in ihrem Essay, warum viele Männer ein erotisches, Frauen dagegen oft ein neurotisches Verhältnis zur Macht haben (Seite 16). Wirtschaftscoach Christine Bauer-Jelinek wiederum gibt im Interview ganz praktische Tipps, welche Fallen Frauen, die in pol it ik & kommunikation   |   August / September 2014

einer Führungsposition sind oder danach streben, vermeiden sollten, und erklärt, warum es eine Illusion ist, dass die Welt besser wäre, wenn es mehr Frauen an der Macht gäbe (ab Seite 36). Und unsere Autorinnen Nicole Tepasse und Sandra Schmid haben vier Frauen getroffen, die 2013 erstmals in den Bundestag eingezogen sind und sich ganz gezielt Politikbereiche ausgesucht haben, die bislang als Männerdomäne galten (ab Seite 18). Da sich diese Ausgabe komplett dem Thema Frauen und Macht verschrieben hat, ist auch unsere Rubrik „Personen & Karriere“ ausschließlich Frauen gewidmet. Auf unserer Internet­ seite www.politik-kommunikation.de finden Sie wie gewohnt alle relevanten Wechsel der Politik- und Public-Affairs-Szene. Herzlichst Ihre Nicole Alexander, Chefredakteurin

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05.08.14 14:06


Inhalt

4/14

In dieser Ausgabe politik&kommunikation 4/14 – August / September 2014

32 „Jüngere Abgeordnete sind immer Hoffnungsträger.“

22

Susanna Karawanskij

Pragmatisch: Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht teilt mit der Bundeskanzlerin weit mehr als nur das Parteibuch Zielstrebig: Parlamentsneuling Susanna Karawanskij (Linke) sitzt im Finanzausschuss

3 Pflichtlektüre 6 Berliner Blasen: Zahlen und Zitate 7 Unser Liebling: Sarah Palin 8 Ausgekuppelt: der etwas andere p&k- Nachrichtenrückblick 9 Politikfoto und Expertentipp 10 Warum ich gegen die Quote bin Essay von Katrin Albsteiger 12 Manchmal ist man selbst sein größtes Handicap CDU-Politikerin Alexandra Dinges-Dierig spielt Golf – Teil 4 der Fotoserie über Hobbys von MdBs von Laurin Schmid & Viktoria Bittmann Politik 14 16

4

Elternzeit für Bundestagsabgeordnete Pro und Kontra von Sabine Bätzing- Lichtenthäler & Dorothee Bär Frauen und Macht Über das Verhältnis der Geschlechter zur Macht und warum Angela Merkel in eine Sonderkategorie fällt Essay von Jutta Limbach

18 Vier aus 230 Immer mehr weibliche MdBs suchen sich Politikbereiche aus, die bislang als Männerdomäne galten. p&k porträtiert vier von ihnen von Nicole Tepasse und Sandra Schmid 26 Wie weiblich sind die Landtage? Karte: Wo sitzen die meisten Frauen im Parlament, wo die wenigsten? 27 Frauen im Bundestag Ein Datenstück 28 Ein Pakt fürs Leben Angela Merkels engster Beraterkreis besteht fast ausschließlich aus Frauen. Regiert uns in Wahrheit das „Girls’ Camp“? von Hans Peter Schütz 32 Die Merkel aus der Provinz Was die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht mit der Kanzlerin gemeinsam hat von Martin Debes 36 Vorsicht, Mutti-Falle! Wirtschaftscoach Christine Bauer-Jelinek über Stolpersteine für Frauen auf dem

40

Weg zur Macht und neue Männerrollen von Anne Hünninghaus Folgen Sie diesen Frauen! Zehn Politikerinnen, deren Fan und Follower Sie werden sollten von Martin Fuchs

Public Affairs 44 „Warum gibt es so wenige Frauen an der Spitze von Verbänden, Frau Müller?“ Interview mit der BDEW-Hauptgeschäftsführerin Hildegard Müller über Frauen im Verbandswesen von Nicole Alexander 48 Wo frau sich trifft ... Netzwerke und Gesprächskreise für Frauen in Politik, Wirtschaft und Medien von Nicole Alexander

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Cover: picture alliance / dpa (2); Marco Urban; picture alliance /dpa; Fotos: Marco Urban; Laurin Schmid

Kompakt


„In meiner Karriere hatte ich nie das eine große Vorbild.“

44

Hildegard Müller

28

66

Vertraut: Merkel und ihre Beraterinnen

Organisiert: BDEW-Hauptgeschäftsführerin Hildegard Müller

Fotos: Laurin Schmid; Julia Nimke; Laurin Schmid

Aufmerksam: Fotografin Regina Schmeken sieht genau hin

International

Medien

Szene

52 „Ich wollte schon als Mädchen lieber Erste sein“ Die frühere Arbeitgeberpräsidentin Frankreichs, Laurence Parisot, über putzende Familienväter und die deutsche Elternzeit von Viktoria Bittmann 56 Die Durchstarterinnen Im Vereinigtes Königreich drängen Frauen an die Spitze der Conservative Party von Aljoscha Kertesz 60 Herrengesellschaft Politologin Jennifer Lawless erklärt, warum es so wenige Frauen in der US-amerikanischen Politik gibt von Martin Koch

64 Bücher 65 Die Konsens-Kanzlerin Rezension des Buches „Alternativlos. Merkel, die Deutschen und das Ende der Politik“ von Dirk Kurbjuweit von Kerstin Plehwe Sehsüchtig 66 Gegen die Inszenierung der Politik hat Fotokünstlerin Regina Schmeken ein wirksames Mittel: Sie schaltet die Farben aus. Eine Begegnung in Berlin von Viktoria Bittmann 72 „Einfach mal den Spiegel putzen“ Melanie Ahlemeier, Vorstandsmitglied bei ProQuote, über Punktgewinne und homogene Podien von Luisa Pischtschan und Martin Koch

74 Gala Die wichtigsten Events 82 Personen und Karriere Schmidt leitet PR & Gesellschaft bei der E-Plus-Gruppe, Grundmann wird Vorstandsbevollmächtigte bei der Allianz 86 Karrierekurve Andrea Nahles 88 Mein Lieblings... p&k fragt Bundestagsabgeordnete nach dem, was ihnen lieb und teuer ist 90 Ossis Welt Das Politikbilderbuch 92 Porträt in Zahlen Rüstungsstaatssekretärin Katrin Suder 94 Letzte Seite / Impressum

Kampagne 62

Die Eheleute von Campaigns, Inc. Clem Whitaker und Leone Baxter gründeten 1933 die erste Firma für politisches Kampagnenmanagement von Marco Althaus

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Politik

Vier aus 230 230 Frauen sitzen derzeit im Bundestag – so viele wie nie zuvor. Und immer mehr suchen sich gezielt Politikbereiche aus, die bislang als Männerdomäne galten. p&k stellt vier von ihnen vor.

V ON NICOLE TEPASSE

S

ie mag diese Perspektive: Alle Kollegen vor sich, das Geschehen im Blick. „Ein ehrfürchtiges Gefühl“ habe sie „da oben“, als Schriftführerin im Plenarsaal des Deutschen Bundestages, rechts oder links vom Platz des Präsidenten, erzählt Nina Warken. Dann kann die CDU-Abgeordnete es manchmal gar nicht glauben, dass sie 2013 ins Parlament gewählt wurde. Das mag auch daran liegen, dass die letzten zwölf Monate wie im Flug vergangen sind. „Wie durchgetaktet man hier ist, dass man lernt, in Viertel- und halben Stunden zu denken, und wie viel in so eine Woche reinpasst – davon hatte ich keine Vorstellung.“ Manchmal kommt sie ins Büro, das Telefon klingelt und „ich renne schon wieder los zum nächsten Termin. Da ist man auch ein bisschen fremdbestimmt“, sagt die Anwältin aus Tauberbischofsheim mit einem Lächeln. Alles andere als fremdbestimmt war ihr Weg in den Innenausschuss. Viele hätten die junge Mutter gerne im Familienausschuss gesehen, erinnert sich Nina Warken. Aber das wollte sie nicht. „Natürlich ist Familie für mich ein wichtiges Thema, zu dem ich viel zu sagen habe. Aber als Mutter von zwei kleinen Söhnen und Rechtsanwältin wollte ich bewusst etwas anderes machen, um breiter aufgestellt zu sein.“ Dass es tatsächlich der Innenausschuss wird, damit hat die 35-Jährige nicht gerechnet. Aber sie hat darum gekämpft und hatte auch die Unterstützung von Thomas Strobl. Der Landesvorsitzende der CDU in Baden-Württemberg sei zwar zunächst auch überrascht gewesen, dass sie nicht im Familienausschuss mitarbeiten 18

wollte. Aber er habe sie auch ermutigt: „Er hat gesagt: ‘Du, ich finde das glaubwürdig, so eine junge Frau im Innenausschuss. Das ist das, was wir auch brauchen.‘“ Heute ist Warken im Innenausschuss Berichterstatterin ihrer Fraktion für Asylrecht, das Technische Hilfswerk und den Katastrophenschutz sowie stellvertretende Berichterstatterin für IT-Sicherheit und IT-Strategie. Und wenn man Strobl fragt, welchen Eindruck er von der jungen Kollegin hat, lobt er nicht nur ihre Arbeit im Ausschuss, sondern auch ihre Fähigkeit, „als junge Mutter Familie, Mandat und kommunales Engagement unter einen Hut zu bekommen.“ Und auch im Wahlkreis kann Nina Warken punkten. „Im Alltag vor Ort merkt man keinen Unterschied zwischen dem etablierten Direktkandidaten und der Newcomerin“, sagt etwa Oliver Bauer, Redaktionsleiter der Tauber Zeitung. „Dass sie den Spagat zwischen junger Familie und den Anforderungen des Abgeordnetenalltags meistert, da hatte ich ohnehin keinen Zweifel.“

Nicht alles easy Was Strobl und Bauer bewundern, können andere – auch aus der Frauen Union Baden-Württemberg – nicht verstehen, berichtet Warken: „Viele haben gefragt: Warum kandidiert nicht der Sebastian und du bleibst bei den Kindern?“ Sebastian – das ist ihr Mann. Kennengelernt haben sich die beiden Juristen in der Jungen Union, als es um die Wahl eines stellvertretenden Bundesvorsitzenden ging. Er wollte für das Saarland kandidieren, sie für Baden-Württemberg. Beide sollten sie nicht antreten und mussten sich einigen,

wer ins Rennen geht. Er hat ihr den Vortritt gelassen, „obwohl er auch schon sehr mit Herzblut dabei ist“, sagt Warken. Die Junge Union nennt sie eine „gute Schule. Da erlebt man schon nahezu alles, was es so gibt in der Partei: Freundschaften und Nicht-Freundschaften“, sagt sie diplomatisch. „Man muss Mehrheiten finden. Kompromisse schließen.“ Genau deshalb empfehle sie auch Jugendlichen, sich politisch zu engagieren. „Das ist gut für die Persönlichkeit. Ich muss meine Meinung artikulieren, Argumente haben, ich muss überzeugen können.“ Dass das gerade für junge Menschen in der Politik nicht immer einfach ist, hat sie zum Beispiel in ihrem Ortsverband erfahren. „Als dort über das Elterngeld diskutiert wurde, habe ich zu hören bekomme: ,Mädle, das brauchen wir alles nicht.‘“ Aber im Großen und Ganzen könne man auch als junge Frau auf die Partei einwirken – und das ist es, was sie auch in der Bundestagsfraktion erreichen will: Die Perspektive der jungen Generation einbringen. Wenn sie in den Sitzungswochen in Berlin ist, kümmern sich ihr Mann, ihre Mutter und Schwiegermutter und eine Tante um die beiden kleinen Kinder. „Es wäre gelogen, zu sagen: Das ist alles easy, ich mache das ganz locker, es macht mir nix aus“, sagt Warken. „Natürlich hat man auch schon Heimweh. Aber die Kinder machen das gut mit. Und sie freuen sich, wenn ich komme und ihnen dann einen ganz bestimmten Lutscher aus Berlin mitbringe.“ Davon sollte sie sich einen großen Vorrat anlegen, wenn Thomas Strobl Recht behält. Er ist sich sicher: „Sie zählt ohne Zweifel zu den jungen politischen Talente in der CDU Baden-Württemberg, denen die Zukunft gehört.“ 

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Foto: Julia Nimke

Die Selbstbestimmte: Nina Warken


Bringt Familie, Bundestagsmandat und kommunales Engagement unter einen Hut: Nina Warken. pol it ik & kommunikation   |   August / September 2014

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Politik

Die Eigenwillige: Nina Scheer

P

olitisch interessiert war sie schon als Schülerin. Und lange bevor sie im vergangenen Jahr in den Deutschen Bundestag eingezogen ist, hat sie sich auch politisch engagiert. Mit 15 Jahren ist Nina Scheer in die SPD eingetreten, die Partei, der auch ihr Vater angehörte. Hermann Scheer war bis zu seinem Tod 2010 die Instanz der Sozialdemokraten beim Thema Energiewende. Heute ist die Energiewende ihr zentrales Thema. Dabei hat sie nach dem Abitur erst einmal einen ganz anderen Weg eingeschlagen und in Essen Violine studiert. Im Jahr 2009 sei sie vor der Bundestagswahl von der SPD gefragt worden, ob sie nicht die Initiative gegen Atomenergie unterstützen wolle, erzählt die 42-Jährige. Sie wurde zu Vorträgen eingeladen, auf Podien, um über das Thema Energie zu diskutieren, mit dem sie sich nicht erst seit 2007 als Bundesgeschäftsführerin des Unternehmerverbandes „Unternehmensgrün“ beschäftigt hatte. Das Gleiche geschah vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2012. „Und dann entwickelte sich das“, sagt Nina Scheer.

Gleich mit einer wichtigen Aufgabe betraut Es entwickelte sich schließlich so, dass die ausgebildete Violinistin, Juristin und promovierte Politologin im vergangenen Herbst in dem an Hamburg angrenzenden Wahlkreis Herzogtum Lauenburg – Stormarn-Süd für die SPD antrat und über die Landesliste Schleswig-Holstein für ihre Partei in den Bundestag gewählt wurde. Dort betraute man sie gleich mit einer 20

wichtigen Aufgabe. Als einziges Mitglied der Bundestagsfraktion hat sie die SPD in den Koalitionsverhandlungen zum Thema Energie vertreten. Gerechnet habe sie damit nicht, aber sie ist selbstbewusst genug, um zu ergänzen: „Aber ich hatte auch nicht das Gefühl, dass es abwegig ist. Ich wusste, dass ich durchaus was einbringen kann.“ Schließlich waren ihr die Haltungen und Aussagen ihrer Partei und der vorherigen Bundestagsfraktion zum Klimaschutz und zur Energiewende nicht neu. Teil der Verhandlungen war auch die Zukunft des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Und wie im Koalitionsvertrag angekündigt, wurde die Reform des EEG auch vor der Sommerpause verabschiedet. Allerdings nicht so, wie es der Koalitionsvertrag vorgesehen habe, kritisiert Scheer, die dem Gesetzentwurf deshalb nicht zugestimmt, sondern sich enthalten hat. Die Gründe dafür hat sie in einer Erklärung nach Paragraph 31 der Geschäftsordnung des Bundestages erläutert. Denn ihr war es wichtig, deutlich zu machen, dass sich der parlamentarische Prozess nicht in einem „Ja“, „Nein“ oder einer „Enthaltung“ erschöpft, sondern dass sie ihre Kritik, die sie auch in der Fraktion vorgetragen hat, begründen kann und will. Im direkten Gespräch die Positionen austauschen und nicht über Twitter oder Facebook querschießen gegen ihren Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, der als Minister für Wirtschaft und Energie federführend war bei der Novelle des EEG –­ das ist ihre Art der politischen Auseinandersetzung. Und dass Nina Scheer zu überzeugen weiß, bestätigte Gabriel, als er danach gefragt wurde, warum er bei der diesjährigen Sommertour durch ihren Wahlkreis mit

von der Partie war: „Es gibt wenige Abgeordnete, denen man sich so wenig entziehen kann wie Frau Scheer.“ Überlegt Nina Scheer manchmal, wie ihr 2010 verstorbener Vater entschieden hätte, Hermann Scheer, der als einer der Väter des Erneuerbare-Energien-Gesetzes aus dem Jahr 2000 gilt und der für sein Engagement für die Energiewende den Alternativen Nobelpreis erhalten hat? „Wenn die Frage in mir aufsteigt, stoppe ich das meistens“, sagt die alleinerziehende Mutter einer Tochter. „Zu spekulieren: Er hätte wahrscheinlich ... – das wird ihm nicht gerecht. Das habe ich auch kein einziges Mal über die Lippen gebracht.“ Sie will weiterhin dafür sorgen, dass die erneuerbaren Energien nicht deskreditiert werden und dass das EEG nicht demontiert wird.

Ihr Ziel: ein Parlaments­ orchester gründen Und für ihre erste Legislaturperiode hat Nina Scheer auch noch ein ganz anderes Ziel: Gleich nach ihrem Einzug in den Bundestag hatte sie die Idee, ein Parlamentsorchester zu gründen. Bislang war noch keine Zeit, sich darum zu kümmern, und noch hat Nina Scheer nicht in Erfahrung gebracht, wie viele Instrumentalisten in den Fraktionen sitzen. Aber selbst wenn es nicht für ein ganzes Orchester reicht – ein kammermusikalisches Ensemble, da ist sie sich sicher, wird sich finden. 

Nicole Tepasse arbeitet als Referentin im Deutschen Bundestag sowie als Autorin für verschiedene Print- und Onlinemedien.

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Fotos: Privat; Laurin Schmid

V ON NICOLE TEPASSE


Nina Scheer beim Gespräch im „Café Einstein“. Frisch in den Bundestag eingezogen, hat sie die SPD-Fraktion in den Koalitionsverhandlungen zum Thema Energie vertreten.

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Politik

V ON S ANDRA SCH M ID

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h Gott! Wie verrückt!“ Susanna Karawanskij – schwarzes Haar, schwarzes Kleid, schwarze Pumps – sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen in ihrem Bundestagsbüro, zieht die Augenbrauen hoch und lacht. Dass manche Zeitungen sie zum „neuen, schönen Gesicht des Sozialismus“ und zur Konkurrenz für die Vizevorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Sahra Wagenknecht, hochstilisieren, amüsiert die Linken-Abgeordnete aus Nordsachsen sichtlich. Zwar ist Karawanskij hübsch – so hübsch, dass die „Bild-Zeitung“ sie sogleich für die „Miss Bundestagswahl“ nominierte. Mit der früheren Wortführerin der „Kommunistischen Plattform“ jedoch hat die 34-Jährige, die dem Reformer-Flügel um Parteivize Dietmar Bartsch nahesteht, eher wenig gemeinsam. Als einer der wenigen Parlamentsneulinge sitzt die Nachwuchspolitikerin im Finanzausschuss, ist Sprecherin ihrer Fraktion für Kommunalfinanzen. Der Medienwirbel, den Kandidatur und Einzug in den Bundestag vor einem Jahr ausgelöst haben, ist Karawanskij gleichwohl nicht entgangen: Die „Deutsche Welle“ begleitete die Leipzigerin im Wahlkampf, „taz“, „Handelsblatt“ und „Süddeutsche Zeitung“ porträtierten sie als „junge Ostdeutsche“, „Quereinsteigerin“ oder wegen Karawanskijs ukrainischer Wurzeln als „Abgeordnete mit Migrationshintergrund“. „Eine Menge Schubladen“, kommentiert sie amüsiert. Doch sie weiß, dass die Entscheidung des Landesverbandes Sachsen, sie noch vor solch prominenten Mitgliedern wie Caren Lay und Sabine Zimmermann auf den sicheren dritten Platz der Landesliste zu wählen, viele verwundert hat. So wie sie selbst: „Das kam super überraschend“, beteuert Karawanskij. 22

Auf den ersten Blick hat die Politikund Kulturwissenschaftlerin mit dem Einzug in den Bundestag 2013 eine Blitzkarriere hingelegt: Erst 2008 trat sie in die Linke ein, übernahm 2009 die Geschäftsführung der Kreistagsfraktion Nordsachsen, wurde 2012 zur Vorsitzenden des Kreisverbands Nordwestsachsen gewählt. Bis zu ihrem Wechsel in die Politik arbeitete Karawanskij an der Universität Leipzig in verschiedenen Forschungsprojekten unter anderem zu rechtem Gedankengut bei Jugendlichen, schrieb mit „Push-up und Chutor“ ein Essay über die ukrainische Frau und liebäugelte mit einer wissenschaftlichen Laufbahn.

Keine Schonfrist Dennoch kommt Karawanskijs steiler Aufstieg nicht von ungefähr: Beobachter attes­tieren ihr, „fleißig und sehr zielstrebig“ an ihrer Karriere gebastelt zu haben. „Der Bundestag war ihr Traum.“ Sie gilt als klug, fachlich versiert und rhetorisch begabt. „Was sie sagt, hat Hand und Fuß – und man hört ihr einfach zu“, heißt es im Wahlkreis. Zudem ist die Tochter einer Lehrerin und eines Geologen im sächsischen Landesverband gut vernetzt: Seit 2009 gehört sie dem Landesvorstand an, mit dem Vize-Vorsitzenden Stefan Hartmann ist Karawanskij verheiratet. Vor allem aber traut man ihr zu, dass es ihr mit ihrem Charme gelingt, mehr junge Menschen für die Linke zu begeis­ tern. Das ist dringend nötig, denn die Mitgliederschaft der PDS-Nachfolgepartei schrumpft und altert. Auf das Prädikat „Nachwuchshoffnung“ gibt Karawanskij dennoch nicht viel: „Jüngere Abgeordnete sind immer Hoffnungsträger“, bemerkt sie nüchtern. Sie selbst ist vor allem froh, sich nach einem Jahr Bundestag in ihre Themen eingearbei-

tet und wieder „Boden unter den Füßen“ zu haben. Doch Karawanskij weiß auch, dass sie als Vertreterin der sogenannten dritten Generation Ost – also all jener, die zwischen 1975 und 1985 in der DDR geboren wurden – für einen Wandel in der Partei steht: „Pragmatisch und ergebnisoffen diskutierend“ statt ideologisch und dogmatisch. „Wir geben nicht vor, wir hätten für alles ein Patentrezept“, sagt Karawanskij. Sie wolle vermitteln, das Politik auch „Spaß machen kann“. Und auch wenn die Mitgliedschaft im Finanzausschuss nicht gerade in dem Ruf steht, vergnügungssteuerpflichtig zu sein – Karawanskij hat ihn sich bewusst ausgesucht: „Das passte gut. Mit dem Thema Kommunalfinanzen hatte ich einen Anknüpfungspunkt zu meiner bisherigen Arbeit.“ Auch dass das Gremium trotz weiblicher Vorsitzenden, der SPD-Abgeordneten Ingrid Arndt-Brauer, als klassische Männerdomäne gilt, schreckt sie nicht. Die Jungpolitikerin ist zudem eine der ganz wenigen Neuen im Ausschuss. Eine Schonfrist gab es nicht: „Sie musste sehr schnell ihre Frau stehen und sich in viele Themen einarbeiten“, sagt der erfahrene Finanzexperte der Linken, Axel Troost. Wie Karawanskij ist er über die sächsische Landesliste eingezogen und hat die Genossin als Mentor unter seine Fittiche genommen. „Sie macht das souverän, trotz der Arroganz, die ihr von manchen älteren Männern im Ausschuss entgegenschlägt.“ Wie souverän, zeigt ihre letzte Ple­ narrede: Trotz etlicher Zwischenrufe ließ sich Karawanskij nicht aus dem Konzept bringen, warf der Koalition vor, mit ihrer Reform der Lebensversicherung „vor der Versicherungslobby eingeknickt“ zu sein. „Mir klopfte das Herz bis zum Hals“, sagt sie entwaffnend ehrlich. Angemerkt hat man es ihr nicht. 

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Foto: Laurin Schmid

Die Souveräne: Susanna Karawanskij


Zielstrebig nach oben: Als einer der wenigen Parlamentsneulinge sitzt Susanna Karawanskij im Finanzausschuss. pol it ik & kommunikation   |   August / September 2014

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Politik

Die Ausgleichende: Irene Mihalic

D

ie Dame in grüner Uniform ist ein Hingucker. Ein wenig steif um die Hüften zwar, aber mit Abzeichen dekoriert, lehnt die Schaufensterpuppe in der Ecke von Irene Mihalics Büro. „Sie trägt meine alte Dienstuniform“, erklärt die Grünen-Abgeordnete. In weißem T-Shirt und leicht verknitterter Leinenhose rückt sie auf Wunsch des Fotografen die Puppe näher an ihren Schreibtisch. „Als ich in den Bundestag kam, habe ich aber beschlossen, dass sie hier einen Platz bekommen soll – als Erinnerung daran, woher ich komme“, erzählt die 37-Jährige. Seit Dezember 2013 ist die Frau mit den ungarisch-kroatischen Wurzeln Sprecherin für Innere Sicherheit der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Davor war sie Polizistin – und damit eine Ausnahmeerscheinung innerhalb der grünen Partei, der ein eher angespanntes Verhältnis zu Polizei und Militär nachgesagt wird. In der Fraktion ist die im oberbergischen Waldbröl geborene Mihalic sogar die erste und einzige, die in ihrem früheren Arbeitsleben eine Polizeiuniform getragen hat. Grün und grünuniformiert – das schien sich in der Vergangenheit auszuschließen. Für viele Alt-68er aus der Gründergeneration war die Polizei vor allem eins: ein Feind. Und auch heute gebe es noch „Abwehrreflexe auf beiden Seiten“, so Mihalic. „Für viele Polizisten sind die Grünen noch immer die Steinewerfer von damals. Und nicht wenige in meiner Partei erinnern sich an ihre Zusammenstöße mit der Polizei bei Demos gegen Atomkraftwerke und Castortransporte.“ Solche Vorurteile abzubauen und das Verhältnis zwischen Polizei und Grünen zu verbessern, mit diesem Ziel ist die Nachwuchspolitikerin im Bundestag an24

getreten. Rasch hat sie damit ihr Thema gefunden und besetzt: „In meiner Doppelrolle kann ich einerseits Verständnis für grüne Positionen bei der Polizei wecken, andererseits meinen Kollegen die Sicht der Sicherheitsbehörden vermitteln“, sagt Mihalic. Beide Seiten bräuchten diesen Dialog. Nach der öffentlichen Kritik an Ermittlungspannen im Fall der NSUMorde oder am Vorgehen gegen Stuttgart21-Gegner habe sich die Polizei zuletzt ins „Schneckenhaus“ zurückgezogen, findet die Grünen-Abgeordnete. „Dabei gab es Anfang der 1990er-Jahre eine sehr positive Entwicklung hin zu einer Bürgerpolizei.“ Diese sei jedoch ins Stocken geraten.

„Türöffner in beide Richtungen“ Und auch die Grünen könnten von einem Austausch mit der Polizei profitieren, ist sich Mihalic sicher: „Wir sind in unseren Positionen glaubhafter, wenn wir nachweisen können, dass wir uns ernsthaft mit den Argumenten aller Beteiligten befassen – nicht nur mit denen der Bürgerrechtler.“ Bei der Polizei kommt das gut an: „Sachkundig, offen und erfrischend pragmatisch“ habe Mihalic einen „absolut überzeugenden Eindruck hinterlassen“, lobt etwa der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt. „Ich hoffe, dass sich der Meinungsaustausch mit ihr künftig intensiviert und wir auch dort zu gemeinsamen Lösungen finden, wo wir bislang jeweils in verhärteten Fronten verharrt haben.“ Für diesen neuen Kurs hat Mihalic die volle Rückendeckung der Parteiführung. So äußerte etwa Cem Özdemir schon vor Monaten im „Spiegel“ die Hoffnung, grüne Polizisten wie Mihalic könnten „als Türöffner in beide Richtungen agieren“. Trotz dieser Unterstützung von ganz oben: Manch Grüner pflegt seine Ressentiments.

Mihalic hat das erlebt: „Es passiert nicht oft, aber wenn heiß diskutiert wird, gibt es schon Anwürfe.“ Die kämen aber eher von Jüngeren, zum Beispiel von Mitgliedern der Grünen Jugend, als von den Älteren in der Partei, sagt sie. Hohe Erwartungen scheinen den Parlamentsneuling nicht zu belasten, sondern anzuspornen. Im Innenausschuss hat sich Mihalic jedenfalls auch beim politischen Gegner schnell den Ruf erarbeitet, „fachlich versiert und stets gründlich vorbereitet“ zu sein. „Sie investiert viel in die Ausschussarbeit und bestimmt dort auch wesentlich die Argumentation der Grünen“, sagt etwa die SPD-Abgeordnete Susanne Mittag. Eine neue, grüne Hoffnungsträgerin also? Zu Hause in Gelsenkirchen, wo Mihalic seit rund zehn Jahren mit ihrem Mann – wie sie Polizist – lebt, überrascht das politische Beobachter nicht. Schon im Stadtrat, in dem Mihalic vier Jahre bis zu ihrem Einzug in den Bundestag saß, fiel die junge Frau bald auf: „Sie ist fleißig, gradlinig, manchmal vielleicht nicht locker genug“, sagt einer, der sie gut kennt. In der Ruhrgebietsmetropole seien sich viele schon früh sicher gewesen: „Die wird mal was.“ Solche Stimmen könnten Recht behalten. Nach einem Jahr Vermittlungsarbeit in Berlin verzeichnet Mihalic erste Fortschritte – auch in der eigenen Partei: „Das Interesse am Thema Polizei und Innere Sicherheit wächst“, konstatiert sie stolz. „In letzter Zeit werde ich sogar auffallend häufig von der Grünen Jugend als Referentin angefragt.“  Sandra Schmid ist freie Journalistin. Seit 2005 schreibt sie über politische und gesellschaftliche Themen, regelmäßig auch über das parlamentarische Geschehen in Berlin.

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Fotos: Privat; Laurin Schmid

V ON S ANDRA SCH M ID


Nicht ohne meine Uniform: Irene Mihalic ist Polizistin und Grünen-Abgeordnete – eine ungewöhnliche Kombination.

Ne omnis ant et voluptatium ut ventibus doluptur mil ipis qui dus.

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31,9%

BREMEN Mitglieder insgesamt: 83 weibliche Abgeordnete: 34

41%

Wie weiblich sind die deutschen Landtage? Hamburg hat die Nase vorn: In der Bürgerschaft der Hansestadt sitzen im bundesweiten Vergleich die meisten weiblichen Abgeordneten. Schlusslicht ist Baden-Württemberg.

HAMBURG Mitglieder insgesamt: 121 weibliche Abgeordnete: 50

41,3%

MECKLENBURG-­ VORPOMMERN Mitglieder insgesamt: 71 weibliche Abgeordnete: 20

28,2%

NIEDERSACHSEN Mitglieder insgesamt: 137 weibliche Abgeordnete: 40

BRANDENBURG Mitglieder insgesamt: 88 weibliche Abgeordnete: 33

NORDRHEIN-WESTFALEN Mitglieder insgesamt: 237 weibliche Abgeordnete: 69

BERLIN Mitglieder insgesamt: 148 weibliche Abgeordnete: 50

RHEINLAND-PFALZ Mitglieder insgesamt: 101 weibliche Abgeordnete: 40

SACHSEN-ANHALT Mitglieder insgesamt: 105 weibliche Abgeordnete: 34

SAARLAND Mitglieder insgesamt: 51 weibliche Abgeordnete: 18

SACHSEN Mitglieder insgesamt: 132 weibliche Abgeordnete: 41

29,2%

37,5%

29,1%

33,8%

39,6%

32,4%

35,3%

BADEN-WÜRTTEMBERG Mitglieder insgesamt: 138 weibliche Abgeordnete: 27

19,6%

31,1% BAYERN Mitglieder insgesamt: 180 weibliche Abgeordnete: 53

29,4%

HESSEN Mitglieder insgesamt: 110 weibliche Abgeordnete: 36

32,7%

THÜRINGEN Mitglieder insgesamt: 88 weibliche Abgeordnete: 35

39,8%

Stand: 27. August 2014

26

pol it ik & kommunikation   |  August / September 2014

Foto: picture alliance / Martin Athenstädt

SCHLESWIG-HOLSTEIN Mitglieder insgesamt: 69 weibliche Abgeordnete: 22


Titel

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der 631 Abgeordneten der 18. Wahlperiode sind weiblich. Das entspricht einem Anteil von etwa 36,5 Prozent – so viel wie noch nie in der Geschichte des Bundestages. Den größten Anteil an weiblichen MdBs hat die Fraktion Die Linke: 36 der 64 Sitze werden von Frauen besetzt. Von den 311 Abgeordneten der CDU-/CSU-Fraktion sind dagegen nur 78 weiblich. Das sind etwa 25,1 Prozent.

Jahre ist es her, dass die erste Frau im deutschen Parlament eine Rede hielt. Am 19. Februar 1919 eröffnete Marie Juchacz (SPD) ihre Ansprache mit den Worten „Meine Herren und Damen!“. Das Protokoll vermerkt an dieser Stelle „Heiterkeit“ bei den Abgeordneten. Das aktive und passive Wahlrecht für Frauen war 1918 eingeführt worden: Bei der Wahl zur Nationalversammlung 1919 gaben 82 Prozent der wahlberechtigten Frauen ihre Stimme ab.

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von 402 Abgeordneten waren 1949 weiblich. Seither ist der Frauenanteil im Parlament deutlich gestiegen – von sieben auf 36,5 Prozent. 1990 waren 20,5 Prozent der Parlamentarier Frauen.

Bundestagspräsidentinnen repräsentierten seit 1949 das deutsche Parlament. Von 1972 bis 1976 leitete Annemarie Renger (SPD, im Bild) die Sitzungen des Bundestages, 1988 wurde Rita Süssmuth von den Abgeordneten zur Präsidentin gewählt. Sie war bis 1998 als erste CDU-Politikerin Bundestagspräsidentin.

1957 eröffnete Marie Elisabeth Lüders (FDP) zum zweiten Mal die konstituierende Sitzung des Bundestages als Alterspräsidentin. Sie ist bis heute die einzige Frau, die dieses Amt bekleidete. Ursprünglich hätte Kanzler Konrad Adenauer (CDU) die Sitzung eröffnen sollen, als Regierungschef verzichtete er allerdings auf die Alterspräsidentschaft.

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weibliche Bundestagsabgeordnete besetzen in der aktuellen Legislaturperiode Führungspositionen – etwa als Ministerin, Staatssekretärin oder Mitglied in Fraktionsvorständen. Die meisten von ihnen kommen aus der SPD (21), von der CDU sind 17 weibliche MdBs in Führungspositionen, zwei davon sind jeweils Teil der Regierung.

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Frauen im Bundestag Noch nie waren in der Geschichte des deutschen Parlaments so viele Abgeordnete weiblich wie heute – 230 der 631 Volksvertreter sind Frauen.

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Jahre alt war die Frau, die als erste weibliche Abgeordnete im Bundestag einen Hosenanzug trug. Die Sozialdemokratin Lenelotte von Bothmer stellte sich gegen die damals geltenden, strengen Konventionen und betrat das Parlament am 15. April 1970 in einem beigefarbenen Kostüm.

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Jahre alt ist die jüngste Abgeordnete im Parlament. Emmi Zeulner sitzt seit der Wahl 2013 für die CSU im Bundestag. Sie übernahm den Wahlkreis von Karl-Theodor zu Guttenberg.

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Jahre lang war Elisabeth Schwarzhaupt erste Bundesministerin Deutschlands. Am 14. November 1961 wurde Schwarzhaupt als Ministerin für das Gesundheitswesen vereidigt, das anfangs noch als „Verlegenheitsbehörde“ verspottet wurde. Einige Tage nach Ernennung Schwarzhaupts erschütterte der Contergan-Skandal Deutschland.

„Mütter des Grundgesetzes“ wirkten an der Ausarbeitung der deutschen Verfassung mit: Elisabeth Selbert, Friederike Nadig (beide SPD), Helene Weber (CDU) und Helene Wessel (Zentrum). 1948 wurde der aus 65 Abgeordneten bestehende Parlamentarische Rat einberufen, um der Bundesrepublik eine neue Verfassung zu geben. Am 23. Mai 1949 verkündete der Rat das Grundgesetz.

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Politik

Vorsicht, Mutti-Falle! CHRISTINE BAUER-JELINEK, Wirtschaftscoach und Machtanalytikerin, über Stolpersteine für Frauen auf dem Weg zur Macht und neue Männerrollen.

p&k: Frau Bauer-Jelinek, viele den-

ken beim Wort „Macht“ an Gier und Herrschsucht. Warum ist das Thema so negativ besetzt? Christine Bauer-Jelinek: Macht hat vor allem in Deutschland und Österreich, den Verliererstaaten des Zweiten Weltkriegs, einen extrem negativen Beigeschmack, beinahe etwas Anrüchiges. Das Verständnis von Macht hängt sehr stark von der Nationalität ab – und vom Geschlecht. Inwiefern? Männer haben ein positiveres Verständnis von Macht, Frauen sind hier noch reservierter. Das liegt an tradierten Rollenbildern, aber auch an einem biologischen Faktor: Östrogene sorgen für ein anderes Verhältnis zur Macht als Testosteron. Solche Argumente gelten meist als politisch nicht korrekt, aber es gibt gute Untersuchungen, die belegen, dass unter stärkerem Einfluss dieses Hormons das positive Konkurrenzverhalten zunimmt. Ich möchte aber betonen: Die Biologie bietet Chancen, doch sie zwingt zu nichts. Man kann nahezu alles ausgleichen. Dennoch sollten wir uns mit biologischen Ausgangssituationen auseinandersetzen. Kann man Macht ohne Kommunikation denken? Macht ist immer ein Thema der verbalen und nonverbalen Kommunikation. Sie ist der tabuisierte Teil der Sozialkompetenz. 36

Diese hat sich seit den 1980ern allerdings als Kuschelkurs etabliert. Immer geht es um Softskills, besseres Zuhören, Konsens und Kooperation. Aber natürlich gehört es auch dazu, sich durchzusetzen, zu kämpfen. Frauen wird oft eine hohe Sozialkompetenz zugeschrieben. Kommunizieren sie anders als Männer? Schon. Ich sehe da aber einen starken Unterschied zwischen den Generationen: Bei Männern und Frauen unter 35 Jahren gibt es die Rollenunterschiede kaum noch, während die Altersgruppen darüber zum

„Das Machtspiel ist relativ simpel. Bissig formuliert, könnte man sagen: Die Männer haben es schließlich erfunden.“ Großteil den Klischees entsprechen. Die Frauen sind hier stark auf Familie und Haushaltsführung sozialisiert, die Männer auf Karriere. Und sie haben einen unterschiedlichen Zugang zur Durchsetzung. Frauen kommunizieren eher auf der Beziehungsebene, agieren also mit moralischem Druck, Ersuchen oder auch Manipulation. Männer hingegen setzen stärker auf Verbündete, Netzwerke und Hierarchie. Führen Frauen sanfter? Wenn man es negativ formuliert, könnte man sagen, sie führen indirekter und intriganter. Sie kommunizieren häufiger über Emotionen. Das wird oft positiv ver-

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I NTE RV IE W: ANNE H Ü N N IN G H AU S

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Ehrgeiz und Machtbewusstsein wurden Ursula von der Leyen in die Wiege gelegt.

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kauft. Ich warne allerdings davor, weil dieses Denken zugleich auch die Sackgasse ist – damit wird man nämlich zur Mutter der Abteilung. Möchte man diese Rolle überwinden, braucht es andere Machttechniken und die sind traditionell eher männlich konnotiert, was schlichtweg in der His­torie begründet liegt. Frauen können sich diese aber hervorragend aneignen. Frauen sollen sich für ihren Führungsstil etwas von Männern abschauen? Meine Grundbotschaft lautet: Man sollte alles, was man können will, von denjenigen lernen, die bewiesen haben, dass sie es beherrschen. Das können natürlich erfolgreiche weibliche Vorbilder sein. Aber Frauen sollten sich auch nicht scheuen, sich etwas von Männern abzugucken. Was für Aspekte wären das? Das kommt auf das Umfeld an, in dem Sie sich bewegen. Ich unterscheide grundsätzlich vier Schauplätze der Macht: Das politische Milieu hat ganz andere Spielregeln als die freie Wirtschaft oder Non-Profit-Organisationen und wieder andere als das Privatleben. Mein Rat besteht darin, gut zu beobachten: Wie ist der Umgangston? Werden die „Insignien der Macht“, also Autos oder andere Statussymbole, offen oder verdeckt gespielt? Wer ist mächtig und warum? Ein Tipp besonders für Frauen: Beobachten Sie die Menschen, die Sie nicht mögen. Man beobachtet immer so gerne die, die einem gefallen, aber die handeln meistens ähnlich wie man selbst. Ein Beispiel? Frauen fragen sich oft: Wie schafft der Kollege es, dass ihm in der Sitzung zugehört wird und warum gelingt mir das nicht? Spricht er vielleicht lauter und kürzer? Entschuldigt er sich nicht ständig? Begründet er nicht zuerst zehn Mal, warum er eine Idee hatte? Heißt das, Frauen reden zu oft um den heißen Brei herum? Sehr oft beginnen sie mit drei Erklärungen, bevor sie sagen, was eigentlich Sache ist. Ich unterscheide die Konzepte von Ergebnis- und Beziehungssprache. Die traditionelle Frauensprache ist die zweite: „Mir ist das und das aufgefallen, dann habe ich darüber nachgedacht, anschließend habe ich mit einem Experten gesprochen …“ Wenn es endlich um die eigentliche Idee geht, hört einem schon lange keiner mehr zu. Aus solchen Schemata auszubrechen, fällt nicht leicht. Müssen sich Frauen 37


Beherrschen Machtspielchen: IWF-Direktorin Christine Lagarde (l.) und Bundeskanzlerin Angela Merkel.

sexistischen Witz lieber um und machen Sie sich nicht zum Opfer! Oft heißt es, Frauen strebten mehr nach persönlicher Erfüllung und Sinnhaftigkeit im Job als nach Macht. Glauben Sie das auch? Auch das ist ein Generationenthema. Für die Damen 35 Plus trifft das sicher vermehrt zu. In den Jahrgängen darunter be­ obachte ich auch bei den Männern, dass sie zunehmend nach Sinn, Familienorientierung und Freizeit streben. Auf der anderen Seite gibt es aber auch sehr stark karriereorientierte Frauen, die alles dafür geben, nach oben zu kommen. Hier mischen sich die Geschlechterklischees. Den Frauen über 35 fällt es oft schwerer zu akzeptieren, dass sie als Führungspersönlichkeiten nicht geliebt, sondern respektiert werden müssen und dass nicht immer ein Familienklima herrschen kann. Apropos Familienklima: Viele mächtige Frauen geraten schnell in die Mutti-Rolle und fallen durch Fürsorglichkeit auf. Angela Merkel trägt diesen Beinamen, Christine Lagarde verteilt in Meetings Schokolade … Das gibt es auch bei Männern, die oft als „väterlicher Patriarch“ gesehen werden. Ich würde das ignorieren. Gerade die Rolle von Frau Merkel ist ja durchaus ambivalent, auf der anderen Seite gilt sie schließlich als eiskalt. Die „Mutti“-Bezeichnung wird sie gar nicht stören. Aber andere Frauen, die sich wirklich so verhalten, sollten sich ein wenig zurücknehmen. Viele starten zum

„Einer Chefin kann es egal sein, ob die Kollegen einen Schmerbauch bekommen oder nicht.“

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Beispiel mit selbstgebackenem Kuchen in ihren Spitzenjob. Kürzlich hatte ich eine Vorstandsfrau im Coaching, die sich rühmte, durchgesetzt zu haben, dass es in Meetings statt Brezeln nur noch Äpfel gibt. Was glauben Sie, wie sich die hauptsächlich männlichen Kollegen gefreut haben! Wie haben Sie diese Anekdote ihr gegenüber kommentiert? (lacht) Ich habe sie gefragt, ob sie verrückt geworden ist! Das ist genau das, was eine Mutti macht: Sie kümmert sich um die gesunde Ernährung ihrer Schar. Einer Chefin kann es aber egal sein, ob die Kollegen einen Schmerbauch bekommen oder nicht. Bei Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen gilt es trotzdem als selbstverständlich, dass sie sich bei der Bundeswehr um eine bessere Vereinbarkeit von Dienst und Familie bemüht. Von der Leyen wurde übrigens schon als Kind von ihrem Vater in die Politik eingeführt. Wie groß ist der Einfluss der Erziehung auf unser Verhältnis zur Macht? Das Elternhaus spielt eine ganz große Rolle, es ist unsere erste Prägung. Bekommen die Kinder hier schon etwas über die Spielregeln mit? Wer von klein auf dabei sein durfte, hat einen großen Vorteil. Ebenfalls positiv wirkt es sich aus, wenn Mädchen einen Mannschaftssport betreiben. Dadurch lernen sie viel über Strategie und taktische Fouls. Und auch, nicht gleich zu jaulen, wenn ein Schiedsrichter ungerecht pfeift. Wer das als Kind nicht erlernt hat, kann das aber auch später nachholen. Die gute Nachricht: Das dauert gar nicht so lange. Machtmechanismen verinnerlichen wir schnell. Um zu beschleunigen, dass mehr Frauen in die Situation kommen, ihre

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mehr anstrengen, Karriere zu machen, als ihre männlichen Mitbewerber? Ich glaube, Frauen strengen sich oft mehr an, weil sie die falschen Dinge tun. Das Machtspiel ist relativ simpel. Etwas bissig formuliert, könnte man sagen: Die Männer haben es schließlich erfunden. Viele Frauen vermuten dahinter ein kompliziertes Konstrukt, dabei muss man sich lediglich bemerkbar machen. Frauen wollen nicht so einfach sein, deshalb strengen sie sich doppelt an. Sie machen noch eine weitere Ausbildung und hängen sich rein, während der junge Kollege leichtfüßig mit fünf Kontakten und einem abgebrochenen Studium an ihnen vorbeizieht. Dass sich Frauen mehr anstrengen müssen ist aber ein Mythos, das habe ich im Coaching oft beobachtet. Vielleicht haben manche Frauen ja einfach keine Lust, sich in ein männlich dominiertes System einzupassen. Auf viele trifft das sicher zu. Warum Sie nur wenige EU-Kommissarinnen finden und in der Wirtschaft auch nur vereinzelt Frauen in Spitzenpositionen, hat nichts damit zu tun, dass Männer das verhindern wollen. Viele Frauen sagen schlichtweg: „Das lohnt sich für mich nicht.“ Ich kenne einige Vorstandsfrauen, die wieder zurückgetreten sind, weil sie der Job nicht glücklich gemacht hat. Männer befinden sich immer noch in dem starken gesellschaftlichen Zwang, Chancen wahrnehmen zu müssen. Aber die jüngeren Männer werden ebenfalls eine größere Freiheit haben, Karriereschritte zurückzugehen. Mit welchen Hindernissen wird eine Frau typischerweise konfrontiert, wenn sie nach mehr Macht strebt? Frauen übersehen oft informelle Machtspielchen. Zum Beispiel, wenn vor einem Meeting halbaggressive Scherze hin- und herfliegen. Das sind Übungskämpfe, aus denen die Kolleginnen sich oft ausklinken. Wenn sie einbezogen werden – was eigentlich als Kompliment gemeint ist –, reagieren sie oft eingeschnappt. Frauen sollten da schlagfertiger werden und sich nicht so schnell angegriffen fühlen. In diesen Geplänkeln wird schon vieles an informellen Hierarchien abgesteckt. Drehen Sie einen


Politik

Chefinnenqualitäten unter Beweis zu stellen, setzen viele auf eine Quote … Ich bin eine strikte Gegnerin der Frauenquote. Einerseits finde ich, dass das politisches Kleingeld ist, ein Luxusproblem. Wie viele weibliche Vorstände es gibt, ist für den Großteil der Frauen völlig irrelevant. Hinzu kommt der für mich als Coach besonders relevante wirtschaftliche Aspekt: Wenn eine Frau nicht auf jeder Ebene durch die Kraftkammer mit all ihren Unannehmlichkeiten und Intrigen gegangen ist, wird sie sich an der Spitze nicht halten. Das wäre, als würden Sie eine Sla­ lomläuferin ohne Training die Piste hinunter schicken. Auch wenn die Ausbildung stimmt – das Wissen ist nur ein kleiner Teil. Es geht darum, die Machtspiele zu

ses Modell wird irgendwann aber statistisch nicht mehr aufgehen. Hier müssen also auch die Frauen umlernen und einen Mann akzeptieren, dem sie, was den Job betrifft, überlegen sind. Oder sie bleiben allein – es gibt ja schon jetzt viele partnerund kinderlose Frauen in Spitzenpositionen. Die Männer müssen ebenfalls umdenken. Ich kenne aus dem Coaching einige Fälle, in denen der Mann arbeitslos wurde und gerne zu Hause geblieben wäre und sich um Kinder und Haushalt gekümmert hätte, die Partnerin das aber nicht hinnehmen konnte. So mancher wird sich mit der Rolle als „der Mann an der Seite von“ zufrieden geben müssen. Das wird gerade in der Politik und der Di-

„Ich bin eine strikte Gegnerin der Frauenquote. Das ist politisches Kleingeld, ein Luxusproblem.“ können, zu wissen, wie man sich durchsetzt. Der Anteil der Frauen nimmt zudem im mittleren Management und in den Politkadern auch ohne Quote extrem zu. Das wird oft ignoriert und nur die erste Reihe angeschaut. Dabei erreichen die gut ausgebildeten Frauen gerade jetzt das Alter und die Ebene, in der man erst einmal sein muss, um Vorstand zu werden. Daher wird es in fünf bis zehn Jahren zwangsläufig mehr Frauen ganz oben geben. Wird sich der männlich geprägte Machtstil dann auch verändern? Wozu sollte er sich ändern? Das System funktioniert doch. Nur weil Frauen Fußball spielen, hat sich dieser Sport doch auch nicht gewandelt. Eure Weltmeisterinnen müssen genau wie die Männer auf das Tor spielen und laufen dabei ebenfalls nicht in Stilettos. Es ist ein großer Irrtum in den Köpfen der Frauen, dass sie meinen, wenn sie aufsteigen, gäbe es neue Spielregeln. Konkurrenz ist Konkurrenz – egal welches Geschlecht man hat. Auch können Sie als Frau ein Drittel des Personals nicht „netter“ abbauen als ein Mann. Wie gehen Männer damit um, dass mehr Frauen beruflich durchstarten? Das ist eine wichtige Frage, die in diesem Zusammenhang viel zu selten gestellt wird. Die Rollenverhältnisse in den Partnerschaften verändern sich dadurch massiv. Bisher haben sich Karrierefrauen oft einen noch erfolgreicheren Mann gesucht. Die-

plomatie noch interessant, wenn es künftig um die Gestaltung des Rahmenprogramms bei Feierlichkeiten geht. Bisher war das ganz auf die First Ladies abgestimmt. Aber was macht nun der „First Husband“, für den sich noch nicht einmal ein Wort etabliert hat? Da wird langsam umgedacht. Wer wie von der Leyen eine große Familie hat, attraktiv ist und eine beeindruckende Karriere vorweist, weckt bei vielen ob der Perfektion auch Missgunst. Aus ihrem Umfeld hieß es einmal, dass viele sie schätzten, ihr aber gleichzeitig genüsslich beim Sturz zusehen würden. Ein Phänomen, das besonders Frauen betrifft? Alle Stürze – auch die von Männern – werden medial ausgeschlachtet. Im Fall von Christian Wulff haben wir das noch einmal vor Augen geführt bekommen. So ein Niedergang ist ein voyeuristischer Leckerbissen, geschont wird niemand. Das Geschlecht spielt dabei keine Rolle. Spielt das Geschlecht denn eine Rolle, wenn es um die Bewertung von Äußerlichkeiten geht? Angela Merkels tief dekolletiertes Kleid auf den Bayreuther Festspielen 2008 hat immerhin ein gewaltiges Medienecho ausgelöst. Das war grandios von ihr gespielt! Die Männer inszenieren sich auch in ihrer Maskulinität, wir kennen doch die Fotos von Wladimir Putin hoch zu Ross oder Ni-

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colas Sarkozy mit retuschierten Speckröllchen beim Rudern. In den Berichten zu Frau Merkels Dresscode wurde vor diesem Ereignis immer geschimpft, wie unerotisch sie sei. Dass sie dann ein einziges Mal zeigt, was sie für weibliche Reize zu bieten hat, damit Ruhe ist, ist super. Mit Männern gehen die Medien – auch was Äußerlichkeiten angeht – übrigens genauso hart ins Gericht. Ich erinnere da nur an die Diskussionen, ob Gerhard Schröder seine Haare färbt. Es wird von feministischer Seite oft so dargestellt, als wären nur Frauen von solcher Berichterstattung betroffen. Männern wird allerdings auch kein roter Teppich die Karriereleiter hinaufgelegt. Ist der Eindruck zutreffend, dass mächtige Frauen seltener mit Skandalen auffallen als Männer? Das wird sich ändern, wenn es genügend Frauen an der Spitze gibt. Ich glaube, das ist eher ein statistisches Problem (lacht). Es werden auch unfähige und korrupte Frauen an der Macht sein – vereinzelt gibt es die ja schon. Frauen sind nicht grundsätzlich das bessere oder moralischere Geschlecht. Darin besteht aber die Sehnsucht vieler: Würden nur Frauen Entscheidungen treffen, gäbe es keine Kriege mehr … Das ist so schrecklich und naiv! Ein solches Denken baut enorm viel Druck auf. Genau das sind die Hindernisse, die Frauenkarrieren ausbremsen: Sie sollen ganz nach oben aufsteigen, dieselben Ziele erreichen und dabei noch moralischer sein. Und weiblich. Und attraktiv. Diese Auflagen kommen allerdings interessanterweise in erster Linie von Geschlechtsgenossinnen.

Christine Bauer-Jelinek Die Psychotherapeutin begleitet als Coach Menschen bei Karrieren, Krisen und Neuanfängen. Zu ihren Klienten zählen Entscheidungsträger aus Wirtschaft, Verwaltung und Politik. Die Autorin von Sachbüchern zum Thema Machtkompetenz ist zudem Gastdozentin an der Donau-Universität Krems. 39


International

Die Durchstarterinnen

V ON ALJOS CHA KERTESZ

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achend verlässt Elizabeth Truss am 23. Juli 2014 Number 10 Downing Street und winkt in Richtung der Journalisten. Sie hat allen Grund zur Freude – gerade hat Premierminister David Cameron sie zur Umwelt- und Landwirtschaftsministerin ernannt. Truss ist damit die jüngste Frau, die jemals einem Kabinett der britischen Konservativen angehörte – und das nach gerade einmal vier Jahren im Parlament. Nicht wenige im Londoner Politikbetrieb sehen in ihr eine neue Margaret Thatcher. Dabei war ihr eine Karriere bei den Tories keineswegs in den Schoß gelegt wor56

den. In frühester Jugend sammelte sie ihre ersten politischen Erfahrungen auf den Demonstrationen der Anti-Atomkraft-Bewegung, bei der sich ihre Eltern engagierten. Mit 17 Jahren trat sie den Liberalen bei und leitete während ihres Studiums der Volkswirtschaft, Philosophie und Politik die Liberale Hochschulgruppe an der renommierten Universität in Oxford. In dieser Zeit stellte sie fest, dass sie mit ihren marktliberalen ÜberzeugunAuf den Stufen von Number 10 Downing Street: Esther McVey nach ihrer Ernennung zur Arbeitsministerin im Juli 2014

gen besser bei den Konservativen aufgehoben sei als bei den traditionell linksliberalen Liberal Democrats. So schloss sie sich 1996 den Konservativen des damaligen Premierministers John Major an. Nur fünf Jahre später unternahm sie im Alter von 26 Jahren ihren ersten Anlauf, einen Sitz im Unterhaus zu ergattern, dem Ausgangspunkt jeder politischen Karriere auf der Insel. Doch sowohl 2001 als auch 2005 kandidierte sie aussichtslos in Hochburgen der Labour Party. Nach zwei erfolglosen Kandidaturen kam es ihr zugute, dass der neue Parteivorsitzende David Cameron seine Partei modernisieren wollte. Bereits in sei-

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Fotos: picture alliance / dpa; Suzanne Plunkett /Reuters

Mit ELISABETH TRUSS und ESTHER MCVEY hat Premierminister David Cameron bei der Kabinettsbildung im Juli zwei Ministerinnen ernannt, die das Zeug dazu haben, Maggie Thatcher zu beerben. Ein Doppelporträt.

ner Antrittsrede sagte er dem „skandalös niedrigen“ Anteil von Frauen in der Fraktion den Kampf an. Damals gab es nur 17 Frauen unter den 194 konservativen Unterhausabgeordneten. Von einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung konnte keine Rede sein. Es war daher auch wenig verwunderlich, dass bei den Unterhauswahlen 2005 nur 25 Prozent der Frauen unter 50 Jahren ihre Stimme den Konservativen gegeben hatten. Da im Mehrheitswahlrecht die Möglichkeit der Liste als Quotenkorrektiv nicht zur Verfügung steht, schränkte Cameron die Autonomie der starken Regionalverbände ein, die in den einzelnen

Wahlkreisen die Parlamentskandidaten eigenständig aufstellen. In einigen konservativen Hochburgen mussten Kandidatinnen der so genannten „A-List“ bevorzugt ausgewählt werden. Mehr als 50 Prozent der 160 Kandidaten, die auf dieser Liste standen, waren Frauen. Elizabeth Truss war eine von ihnen. Mit großem Vorsprung wählten sie die Parteimitglieder im Wahlkreis South West Norfolk, im konservativen ländlichen

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Zwischenziel erreicht: Elizabeth Truss nach ihrer Beförderung zur Umweltministerin im Juli 2014

Osten Englands gelegen, zu ihrer Kandidatin für die Parlamentswahlen 2010, bei denen sie mit 48 Prozent der Stimmen ein Top-Ergebnis holte. Als eine von 48 weiblichen Abgeordneten der Tories zog Truss ins Unterhaus ein. Die Rechnung von Cameron war aufgegangen. In den Jahren vor ihrer Parlamentskarriere hatte Truss zunächst eine Karriere beim britischen Mineralölkonzern Shell und anschließend als stellvertretende Direktorin beim Thinktank „Reform“ gemacht. Seit der Arbeit in der überparteilichen, wirtschaftsfreundlichen Denkfabrik ist sie in Westminster über die Parteigrenzen hinweg bestens vernetzt. 57


International

wunderlich, dass die Opposition und weite Teile der Medienlandschaft hinter den Beförderungen in erster Linie einen PR-Coup wittern. Helen Goodman, Labour-Schattenministerin für Kultur und Medien, wirft Cameron vor, sein Kabinett mit Frauen zu dekorieren, ohne ihnen wirkliche Macht zu geben. Kritik kommt auch aus den eigenen Reihen – vor allem von Männern, die gerne selbst Minister geworden wären. Der Tory-Abgeordnete Richard Drax etwa bezeichnete die Beförderungen als „Alibipolitik“. In seinem Blog polterte er, dass Frauen wie Männer durch Leistung in ihre Ämter kommen sollten – und nicht deshalb, weil es eine Quote zu erfüllen gelte. Durch Leistung überzeugt hat zweifelsohne Esther McVey in den vergangenen Jahren. Sie ist die zweite Frau, die aus der Riege der neu berufenen Ministerinnen heraussticht. Ihre ersten vier Jahre im Parlament verliefen weniger geräuschvoll, ihr Aufstieg war jedoch noch rasanter als der von Truss.

„Esther McVeys Aufstieg verlief zwar weniger geräuschvoll, doch noch rasanter als der von Elizabeth Truss.“ beth sehr. Sie ist eine Politikerin, die aus Überzeugung handelt und sich entschieden für die freie Marktwirtschaft einsetzt. Sie geht keinem Konflikt aus dem Weg“, lobt etwa der konservative Abgeordnete Jacob Rees-Mogg. 2012 machte Cameron die engagierte Abgeordnete zur Parlamentarischen Staatssekretärin im Bildungsministerium. Dass er die Mutter zweier Töchte bei der Kabinettsumbildung Mitte Juli zur Umweltministerin beförderte, half ihm, ein Versprechen von 2009 zu erfüllen. Damals hatte Cameron angekündigt, dass im Fall seiner Wahl bis 2015 ein Drittel der Kabinettsmitglieder weiblich sein würde. Wenige Monate vor Ablauf dieses Ultimatums hat er bei der Kabinettsumbildung vier Frauen bedacht und somit den Anteil weiblicher Tory-Mitglieder im Kabinett auf acht von 27 erhöht. Dabei beförderte Cameron mit Amber Rudd, Priti Patel, Esther McVey, Nicky Morgan und Elizabeth Truss gleich fünf Frauen, die erst seit 2010 dem britischen Unterhaus angehören. So schnell haben britische Abgeordnete noch nie Karriere gemacht; Frauen schon gar nicht. Es ist daher wenig ver58

Nur fünf Monate nach der Unterhauswahl 2010 machte der damalige Arbeitsminister Chris Grayling sie zu seiner Parlamentarischen Privatsekretärin, einer Art Mittelsfrau, die Meinungen zwischen dem Minister und den Hinterbänklern kanalisiert. In dieser wichtigen Schnittstellenfunktion konnte sie erste Erfahrungen im Umfeld der Regierungsarbeit sammeln. Zwei Jahre später ernannte Cameron sie zur Staatssekretärin für Arbeitsund Rentenpolitik, bevor McVey 2013 zur Staatsministerin für Arbeit befördert wurde. Im Juli dieses Jahres erhielt sie schließlich den Kabinettsrang und gehört damit zur engsten Regierungsmannschaft. Die studierte Juristin und Journalistin macht aus ihrer nordwest-englischen Herkunft keinen Hehl. Sie gilt als bodenständige Anwältin der kleinen Leute, die unaufgeregt ihrer Arbeit nachgeht. Als Ex-Fernsehmoderatorin tritt sie sicher in den Medien auf. „Esther steht für konservative Werte. Sie ist eloquent und bringt ihre Botschaften auf sehr charmante Weise rüber“, findet der Abgeordnete Rees-Mogg, ein langjähriger Freund McVeys. Innerhalb der Tories ist McVey der Gegenentwurf zu Elizabeth Truss. Sie wuchs

als Tochter eines Kleinunternehmers in Liverpool auf und besuchte als Erste in ihrer Familie eine Hochschule. Anders als viele ihrer Kabinettskollegen studierte sie jedoch nicht in Oxford oder Cambridge, sondern in London. Die Katholikin vertritt den „compassionate conservatism“, einen mitfühlenden Konservatismus, der auch von Cameron bei seinem Amtsantritt propagiert wurde. So fordert sie, mehr Coachs einzustellen, die Arbeitslose dabei unterstützen, wieder einen Job zu finden. Erfahrungen auf diesem Gebiet hat sie nach dem Ende ihrer Fernsehkarriere gesammelt. Sie gründete in Liverpool ein Unternehmen, das sich auf die Beratung kleiner und mittelständischer Unternehmen spezialisierte und zudem Büroräume an Start-up-Unternehmen vermietete. In das Aufgabengebiet der 46-Jährigen fällt die Veröffentlichung der Arbeitslosenzahlen. Und die sind mit aktuell 6,5 Prozent so gering wie seit 2008 nicht mehr. Damit verantwortet sie ein wahlentscheidendes Thema, dem in den kommenden zehn Monaten vor der Parlamentswahl viel Aufmerksamkeit geschenkt werden wird. Auch ihre Fähigkeit, Brücken zu den Facharbeitern und Kleinunternehmern zu bauen, sind für ein gutes Abschneiden der Konservativen bei der Wahl wichtig. Ob PR-Coup oder Beförderung nach Leistung: Cameron hat mit der Kabinetts­ umbildung zwei Dinge erreicht. Zum einen hat er der Opposition ein wichtiges Thema genommen. Zukünftig wird ihn die stellvertretende Schattenpremierministerin, Harriet Harman, nicht mehr vor laufenden Kameras im Parlament dazu ermahnen können, sein Versprechen nach einer stärkeren Förderung von Frauen umzusetzen. Zum anderen hat er eine Regierungsmannschaft aufgestellt, die sowohl repräsentativer als auch telegener ist. Das wird sich im Wahlkampf Anfang des kommenden Jahres auszahlen. Und wenn es in den kommenden zwei Jahrzehnten eine Frau schaffen sollte, das Erbe von Thatcher anzutreten, dann kommen nur Truss oder McVey in Frage. Die bessere Ausgangslage hat dabei Liz Truss.

Aljoscha Kertesz ist Berater für Public Relations und Public Affairs.

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Foto: Robert Martin

Politisch bekennt sie sich zu einem konservativen, wirtschaftsliberalen Weg für Großbritannien, wie er einst von Margaret Thatcher propagiert wurde. Und genau wie die Eiserne Lady provoziert Truss mit ihren Aussagen. So bezeichnete sie die Briten wegen der vielen Urlaubstage, der geringen Wochenarbeitszeit und dem frühen Renteneintrittsalter als die „größten Faulenzer der Welt“. Es sind Aussagen wie diese, die ihr den Spitznamen „die menschliche Handgranate“ eingetragen haben, wie Helen Lewis, die stellvertretende Chefredakteurin des linksliberalen Wochenmagazins „New Statesman“, anmerkt. Truss bewegt – und eckt an. Mit ihrem Engagement für den Bau einer dritten Start- und Landebahn am Flughafen Hea­throw stellt sie sich gegen die offizielle Linie der Parteil, die sich in der aktuellen Wahlperiode dezidiert gegen den Bau ausgesprochen hatte. Doch Truss ist das egal – und das kommt auch bei manch Fraktionskollegen an. „Ich schätze Eliza-


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International

Her­ren­ge­sell­schaft Kaum ein Fünftel der Mitglieder des US-Kongresses ist weiblich. Doch mit Vorurteilen gegenüber Politikerinnen hat das wenig zu tun, sagt die Politologin JENNIFER LAWLESS. Die Amerikaner haben einfach keine andere Wahl.

INTE RV IE W: MARTIN KO CH

p&k: Frau Lawless, der Vorwahlkampf

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Es gibt sie durchaus: Nancy Pelosi (m.) und Hillary Clinton (r.) zählen zu den mächtigsten Frauen in der amerikanischen Politik. Dennoch ist und bleibt Washington D.C. eine Männerdomäne.

blem ist, dass Frauen grundsätzlich weniger dazu neigen, überhaupt zu kandidieren, auch wenn sie das gleiche Potenzial, die gleiche Qualifikation und den gleichen Hintergrund haben wie Männer. Es ist also nicht so, dass die Wähler ihre Stimme nicht einer Frau geben wollen. Sie haben oft gar nicht die Chance, es zu tun, weil auf den Stimmzetteln nur selten die Namen weiblicher Kandidaten auftauchen. Woran liegt das?

Es gibt zwei Gründe. Zum einen liegt es an der männlichen Vorherrschaft im politischen Umfeld. Frauen werden seltener als Männer gefragt, ob sie für ein Amt kandidieren wollen. Parteiführer, Amtsträger und politische Aktivisten tendieren dazu, Männer zu rekrutieren. Zudem werden Frauen seltener von ihrer Familie, ihren Kollegen und ihren Freunden dazu ermutigt, sich um ein politisches Mandat zu bewerben. Wenn Frauen und Männer,

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Fotos: Getty Images; Privat

für die US-Präsidentschaftswahlen 2016 hat bereits begonnen. Aller Voraussicht nach wird Ex-Außenministerin Hillary Clinton wieder ihren Hut in den Ring werfen, um für die Demokraten ins Rennen um das Weiße Haus zu gehen. Ist Amerika bereit für eine Präsidentin? Jennifer Lawless: Ich denke ja. Egal ob Hillary Clinton die Wahl gewinnen sollte oder nicht – es gibt keinen Grund anzunehmen, dass das Ergebnis irgendetwas damit zu tun haben sollte, dass sie eine Frau ist. Insgesamt sind weibliche Kandidaten seit den 1980er Jahren genauso erfolgreich wie männliche. Es gibt keine Vorurteile gegenüber Frauen, die ein politisches Mandat anstreben. Und weibliche Bewerberinnen sind genauso erfolgreich darin, Spenden zu sammeln, wie männliche. Auch wenn wir bisher keine ernstzunehmende Kandidatin um das Präsidentenamt hatten – abgesehen von Hillary Clinton 2008 –, deutet nichts darauf hin, dass Amerika nicht bereit wäre, eine Frau zu wählen. Hillary Clinton ist ein Beispiel für eine sehr einflussreiche und mächtige Frau in der US-amerikanischen Politik, Nancy Pelosi, die ehemalige Vorsitzende des Repräsentantenhauses, ein weiteres. Dennoch: Nur 18 Prozent der Mitglieder des Abgeordnetenhauses und 20 Prozent der Senatoren sind weiblich. Gibt es da ein sys­ temisches Problem? Ja, aber es hat eher mit dem Angebot zu tun als mit der Nachfrage. Wie meinen Sie das? Nun, wenn Wähler den Namen einer Frau auf ihrem Stimmzettel sehen, dann sind sie durchaus bereit, für sie zu stimmen. Ebenso sind Geldgeber gewillt, weibliche Kandidaten zu unterstützen, und die Medien berichten über weibliche Bewerber nicht anders als über männliche. Das Pro-


ebenbürtig sind, schätzen männliche und weibliche Kandidaten ihre Qualifikation dennoch unterschiedlich ein. 60 Prozent aller Männer glauben, dass sie qualifiziert genug sind, um für ein öffentliches Amt zu kandidieren. Aber nur 40 Prozent der Frauen denken das von sich. Das heißt, Frauen werden von ihren Selbstzweifeln stärker gebremst als Männer. Es ist also eher ein kulturelles als ein systemisches Problem? Es ist ein tiefgreifendes Problem, das in der traditionellen Geschlechter-Sozialisierung und in unseren kulturellen Normen verwurzelt ist. Aber es könnte durchaus behoben werden, wenn Parteien und politische Akteure bewusst mehr weibliche Kandidaten identifizieren und rekrutieren würden. Gibt es dabei einen Unterschied zwischen Demokraten und Republikanern? 70 Prozent der Frauen, die ein politisches Amt innehaben – sei es im Kongress oder in den Parlamenten der Bundesstaaten –

„Frauen werden stärker von ihren Selbstzweifeln gebremst als Männer.“

die mit einer Kandidatur um ein öffentliches Amt liebäugeln, entsprechende Unterstützung aus ihrem persönlichen Umfeld erfahren, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch tatsächlich kandidieren. Nur bekommen Frauen eine solche Unterstützung deutlich seltener als Männer. Was ist der andere Grund? Der Geschlechterunterschied in der Selbstwahrnehmung. Selbst wenn sie ihrem Lebenslauf nach einander völlig

sind Demokraten. Die Demokratische Partei hat also bisher einen besseren Job gemacht, wenn es darum ging, weibliche Kandidaten ins Rennen zu schicken. Aber was das Interesse und den Ehrgeiz von Frauen betrifft, in die Politik zu gehen, habe ich in meiner Forschung keine Unterschiede zwischen Demokraten und Republikanern gefunden. Der Frauenanteil in den US-amerikanischen, britischen und kanadischen Parlamenten ist, verglichen mit Ländern, die ein Verhältniswahlrecht haben – wie etwa Deutschland –, etwas niedriger. Haben es Frauen, die in Ländern mit Mehrheitswahlrecht für ein politisches Amt kandidieren, besonders schwer? Es gibt Studien, die nahelegen, dass Frauen in Ländern mit Verhältniswahlrecht besser in der Politik vertreten sind. Ich glaube aber, dass das größte Hindernis ein anderes ist. Die USA haben ein sehr unternehmerisches Verfahren zur Kandidatenfindung. Die Parteien mischen sich normalerweise nicht in den Wahlkampf ein, schon gar nicht bei den Vorwahlen. Also

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müssen die Kandidaten ihre eigene Kampagnen-Infrastruktur entwickeln. Männer verfügen oft über Netzwerke und Verbindungen, um diese Infrastruktur aufbauen zu können. Es ist also nicht das Wahlsystem an sich, sondern vor allem das schwach ausgeprägte Parteiensystem, das den Frauen zum Nachteil gereicht. Haben denn die Frauen in den vergangenen Jahrzehnten aufgeholt? Nein, in den zurückliegenden sieben oder acht Wahlperioden hat sich der Anteil weiblicher Kandidaten nicht gesteigert. 2010 war die Zahl der weiblichen Kongressabgeordneten sogar rückläufig. Wenn kein Ruck durch die Politik geht und die Parteien sich nicht deutlich stärker bemühen, mehr Frauen in die Politik zu holen, wird sich daran wohl auch nichts ändern. Glauben Sie, die Wahl einer Frau zur US-Präsidentin würde bei den Wählern und Parteien ein Umdenken bewirken? Nein, im Gegenteil. Ich glaube, die Leute würden dann denken, dass die Unterrepräsentation von Frauen in der Politik kein Problem mehr sei. Eine weibliche Präsidentin wäre durchaus ein Fortschritt und ihre Wahl würde zeigen, dass Frauen in den USA die – wie Hillary Clinton sagen würde – höchste und härteste „glass ceiling“ durchbrechen können. Aber sie würde nicht bedeuten, dass Frauen zwangsläufig mehr als 20 Prozent der Kongressabgeordneten stellen werden. Im Moment gibt es in den 50 Bundesstaaten nur fünf weibliche Gouverneure. Dieses Unterrepräsentation ist weitaus problematischer als die Tatsache, dass es bisher noch keine weibliche Präsidentin gab. Auf allen Ebenen sind Frauen unterrepräsentiert und ich glaube nicht, dass eine Frau im Weißen Haus das ändern wird.

Jennifer Lawless ist Professorin in Washington D.C. und lehrt am Department of Government der American University. Sie ist Autorin des Buches „Becoming A Candidate: Political Ambition and the Decision to Run for Office“ und forscht über Frauen in der Politik. 61


Szene

Die Unermüdliche KARRIEREKURVE: ANDREA NAHLES hatte bereits 1989 klare Vorstellungen von ihrer Zukunft: entweder Hausfrau oder Bundeskanzlerin. Manche halten sie für eine Nervensäge. Dabei hat die 44-Jährige es auch dank ihres Durchhaltevermögens zur Arbeitsund Sozialministerin gebracht.

2004 1999

1970

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wird Andrea Maria Nahles im rheinlandpfälzischen Mendig geboren. Bis heute gehört ihr der 250 Jahre alte Bauernhof in der Eifel, auf dem schon ihre Urgroßeltern lebten. Nahles wird katholisch erzogen und arbeitet bis zu ihrem 14. Lebensjahr als Messdienerin.

gründet die 18-Jährige den SPD-Ortsverein in ihrem Heimatort Weiler. Nahles rebelliert damit gegen ältere Dorfbewohner. Ihre christliche Erziehung prägt bis heute ihre Politik: So stimmt sie 2007 für einen Gottesbezug in der Verfassung der Europäischen Union.

beginnt sie in Bonn mit ihrem Magisterstudium der Germanistik und Politikwissenschaft. In der damaligen Bundeshauptstadt knüpft sie Kontakte zur SPD, die sie bis heute hält. Oskar Lafontaine bezeichnete Nahles einmal als „Gottesgeschenk“ an die Sozialdemokraten.

wird sie Vorsitzende der Jusos in Rheinland-Pfalz, zwei Jahre später setzt sie sich auf einem außerordentlichen Kongress der Jusos als Bundesvorsitzende durch. Zu dieser Zeit wird Rudolf Scharping als Parteivorsitzender abgewählt – Nahles und die Jungsozialisten beteiligen sich daran.

wird die 28-Jährige Abgeordnete im Bundestag. Über die Landesliste von Rheinland-Pfalz zieht Nahles ins Parlament. Ein Jahr zuvor ist sie Mitglied im Parteivorstand der Sozialdemokraten geworden. Sie könne wie ein Vulkan in der Eifel sein, sagt Nahles über sich selbst.

ist Nahles an der Gründung des Vereins „Forum Demokratische Linke 21“ (DL21) beteiligt. Acht Jahre lang ist sie dessen Vorsitzende. Im Juli 2014 tritt Nahles aus dem Verein, der lange Zeit als Zusammenschluss der Parteilinken galt, aus.

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Fotos: picture-alliance / dpa; Marco Urban

1997


2011

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SUPER WICHTIG

SEHR WICHTIG

ZIEMLICH WICHTIG

WICHTIG

EIN BISSCHEN WICHTIG

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2002

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2007

2009

2013

wird Nahles nicht wieder in den Bundestag gewählt. Stattdessen heuert sie bei der IG Metall an. Zwei Jahre später beginnt sie die Arbeit an ihrer Promotion über die „Funktionsweise identifikatorischer Lektüre am Beispiel des historischen Romans“ an der Universität Bonn.

wird Nahles Mitglied des SPD-Präsidiums, in dem sie bis heute sitzt. Neben ihrem Job bei der IG Metall in Berlin leitet die 33-Jährige 2004 und 2005 eine Projektgruppe des SPD-Vorstandes zu Bürgerversicherungen.

gibt Franz Müntefering sein Amt als SPD-Parteivorsitzender auf. Grund dafür ist die Wahl von Andrea Nahles zur Generalsekretärin. Müntefering hatte seinen Vertrauten Kajo Wasserhövel für das Amt vorgeschlagen. Die damals 35-jährige Nahles wird zudem wieder MdB.

wird Nahles zur stellvertretenden SPD-Parteivorsitzenden gewählt und ist Sprecherin für Arbeitsmaktpolitik der SPD-Bundestagsfraktion. Von 2008 bis 2013 ist sie zugleich auch im Vorstand der Fraktion.

gelangt Nahles im Amt der Generalsekretärin an die Parteispitze der SPD. Im Juni 2009 heiratet die 40-Jährige den Kunsthistoriker Marcus Frings. Anfang 2011 bekommt das Ehepaar eine Tochter. Nahles kehrt acht Wochen nach der Geburt ins Willy-Brandt-Haus zurück.

schafft Nahles den Sprung in die Regierung. Und seither hat die heute 44-Jährige schon einige ihrer Lieblingsprojekte realisiert: 2015 kommt der Mindestlohn, zudem brachte sie das neue Rentenpaket auf den Weg. Dem Bundeskanzleramt ist Nahles damit einen Schritt näher.

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Abseits der Tagesordnung

„Wenn die Männer wüssten, wie wenig uns das beeindruckt, würden sie solche ­Inszenierungen lassen.“ Fotos: www.thinkstock.com (2); Marco Urban; www.thinkstock.com

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in der Sendung „Günther Jauch“ am 6. Juli 2014

Impressum Chefredakteurin (V.i.S.d.P.) Nicole Alexander nicole.alexander­@ politik-kommunikation.de

Politikkalender Stefanie Weimann termine@ politik-kommunikation.de

Redaktion viktoria.bittmann@ politik-kommunikation.de martin.koch@ politik-kommunikation.de anne.huenninghaus@heliosmedia.com luisa.pischtschan@ politik-kommunikation.de anne.strandt@ politik-kommunikation.de

Layout/Illustration Marcel Franke, Mona Karimi, Kim Pham, Antje von Daniels

Mitarbeiter dieser Ausgabe: Katrin Albsteiger, Marco Althaus, Martin Debes, Martin Fuchs, Aljoscha Kertesz, Jutta Limbach, Kerstin Plehwe, Sandra Schmid, Hans Peter Schütz, Nicole Tepasse

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Fotografen/Fotoredaktion Laurin Schmid, Julia Nimke, Marco Urban, Frank Ossenbrink Redaktionsbeirat Prof. Dr. Marco Althaus ­ (Technische Hochschule Wildau) Prof. Dr. Günter Bentele (Uni Leipzig) Prof. Dr. Christoph Bieber (Uni Duisburg-Essen) Dr. Frank Esser (Universität Zürich)

Eva Haacke (Deutscher Bundestag) Dr. Peter Köppl, M.A. (Mastermind Public Affairs Consulting) Prof. Dr. Dr. Karl-Rudolf Korte (Uni Duisburg-Essen) Sebastian Lange (Welt Online) Prof. Coordt von Mannstein (von Mannstein) Silvana Koch-Mehrin (Women in Parliaments Global Forum) Peter Radunski (MSL Group) Prof. Volker Riegger (logos Holding) Klaus-Peter Schmidt-Deguelle (Medienberater) Maximilian Schöberl (BMW) Hajo Schumacher (Freier Journalist) Kajo Wasserhövel (Elephantlogic) Cornelius Winter (365 Sherpas)

Herausgeber Rudolf Hetzel, Daniel Steuber Anzeigen Norman Wittig norman.wittig@helios-media.com

Im Internet www.politik-kommunikation.de Twitter: @pundk Facebook: facebook.com/ politikundkommunikation

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Frauen und Macht

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