Pressesprecher_ausgabe312

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Ausgabe 03/12 | Mai 2012 | Helios Media Gmbh | ISSN 1612-7668 | www.pressesprecher.com

Magazin f端r Kommunikation

pressesprecher

Wie soll f u a r a d n n e d n ma reagieren?

itik Thema Kr


03 202 INHALT

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6 Agenda

Nach der „Costa Concordia“: Obwohl das Image der Kreuzfahrtbranche nicht in Schieflage geriet, soll die Krisenkommunikation besser und schneller werden.

06 Agenda 06 Meldungen PR-Report Awards, Image der PR-Branche, Gema-Kampagne 0 Viral Der Clip „Kony 202“ von Invisible Children hat neue Maßstäbe in der SocialMedia-PR gesetzt. 2 Wütend Bürgerinitiativen formieren sich zum Protest. PR-Verantwortliche scheuen sich vor den Konfliktgegnern. 6 Versenkt Das Unglück der Costa Concordia hat auch die Kommunikation deutscher gefordert.

20 Kritisiert Verbraucher rüffeln Unternehmen und Organisationen schnell. Und diese reagieren über – oder gar nicht. 22 Verschwiegen Das Web 2.0 lädt Nutzer dazu ein, Kritik zu äußern. Viele Unternehmen schauen tatenlos zu. 26 Emotional Die Last des Einsteckenmüssens und die Lust, auszuteilen. Kritiker und Kritisierte geben Auskunft. 6

8 Titel

Unternehmen und Organisationen müssen sich immer öfter den Fragen kritischer Bürger stellen. Wie man mit dem wachsendem Mißtrauen umgehen sollte.

Cover: dreamstime.com / Fotos: Aida Cruise; Rkolbabek/ dreamstime.com

18 Titel


INHALT

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38 Praxis

Ehrenamtliche Mitarbeiter, Krisen und Katastrophen: Was es bedeutet in der Kommunikationsabteilung der Hilfsorganisation „Die Johanniter“ zu arbeiten.

32 Praxis 32 Die Meinungsführer Die meinungsstärksten Blogs über Versicherungs-Themen. 36 Medien 38 Komplex Die PR-Verantwortlichen der Johanniter haben einen herausfordenden Job. Ein Einblick. 40 Multimedial Videofilme können Pressemitteilungen aufwerten. Ein Plädoyer für bewegte Bilder in der Kommunikation. 44 Überzeugt Das Unternehmen Haniel hat ein Unternehmensmagazin gegründet. Trotz anfänglicher Kritik haben sich die Macher durchgesetzt.

48 Karriere 48 Meldungen 50 Ausgebeutet Wer in der PR Karriere machen möchte, muss Praktika absolvieren. Das nutzen Firmen häufig aus. 54 Wechsel

60 Termine 62 Verband

Fotos:Frank Schemmann; Gemenacom/ dreamstime.com

62 Neues aus dem Verband: Profession Pressesprecher, BdP-Forum 65 Porträts Jasmin Top und Christian Schnibbe stellen sich dem Fragebogen.

50 Karriere

Praxiserfahrung oder Nepp? Ohne Praktika kamen Hochschulabsolventen bislang nicht weit. Immer mehr Hochschulen und Unternehmen setzen nun auf eine praxisnahe Ausbildung.

66 Herzlich Willkommen Der Bundesverband begrüßt seine Neumitglieder. 67 Was war, was kommt Vergangene und künftige BdP-Veranstaltungen

70 Kein Kommentar 7


AGENDA

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Die Havarie der Costa Concordia hat auch die Kommunikation der deutschen Kreuzfahrtunternehmen gefordert. Medien versuchten das Thema aufzubauschen. Die Begeisterung für Kreuzfahrten aber bleibt ungebrochen.

Eine Seefahrt bleibt lustig. TEXT JUDITH SCHULDREICH

Wenn ein Kreuzfahrtschiff havariert, veröffentlichen Medien imposante Bilder. Für die Pressestellen der Kreuzfahrtunternehmen bedeuten sie viel Arbeit. Auch wenn man selbst nicht betroffen ist. Ohne Input der Veranstalter kann in kürzester Zeit das Image der gesamten Kreuzfahrtbranche gefährdet sein. Als am 3. Januar das Kreuzfahrtschiff Costa Concordia vor der Küste der italienischen Insel Giglio auf Grund lief, war daher nicht nur die Kommunikation der Reederei Costa Cruises gefordert. Auch die Pressestellen anderer Veranstalter wurden zu Anlaufstellen für Journalisten. Doch zum Unglück selbst äußerte sich diese zunächst nicht. Die Havarie betreffe lediglich die Reederei Costa Cruises und man wolle zunächst die Ergebnisse der offiziellen Untersuchung abwarten, bevor man sich eventuell äußere. Die Krisenkommunika16

tion überließ man der betroffenen Reederei. Das Vorgehen ist verständlich und nachvollziehbar, aber für die Außenwahrnehmung der Branche problematisch. Wenige Informationen zum Unfallhergang und gegenseitige Schuldzuweisungen zwischen der betroffenen Reederei und dem Schiffskapitän ließen viel Raum für Spekulationen. Das Kreuzfahrtenimage drohte ins Wanken zu geraten. Doch die Branche zieht Konsequenzen. Denn in die Organisation der Krisenkommunikation ist nun Bewegung gekommen.

Überrascht

Dass Kreuzfahrtschiffe havarieren, ist selten. „Da solch ein Unglück in diesem Ausmaß in Europa bislang noch nicht vorgekommen ist, hat es die Bran-

che zwar nicht unvorbereitet, aber doch überraschend getroffen“, sagt Torsten Schäfer, Leiter Kommunikation des Deutschen Reiseverbands (DRV). Die Costa Concordia ist nur ein Einzelfall. Doch kurz nach dem Vorfall waren auch die Pressestellen der deutschen Kreuzfahrtunternehmen gefragt. „Eine so intensive Medienberichterstattung habe ich in unserer Branche noch nicht erlebt. Innerhalb weniger Stunden haben sich bei uns alle deutschen Leitmedien gemeldet und um eine Stellungnahme gebeten“, sagt Hansjörg Kunze, Vice President Marketing & Communication der Aida Cruises. Dabei sei zu diesem Punkt noch nicht einmal die Sachlage am Unglücksort geklärt gewesen. „Medien haben

sehr schnell neben den offiziellen Aussagen der Costa Reederei und des Schiffskapitäns nach einer dritten Meinung gesucht“, sagt Negar Etminan, Leiterin Unternehmenskommunikation und Pressesprecherin bei Hapag-Lloyd Kreuzfahrten. Die Fragen seien dabei oft identisch gewesen: Woran kann das Unglück gelegen haben? Gibt es nun einen Einbruch bei den Reisebuchungen? Was tut Ihr Unternehmen, um die Sicherheit der Passagiere zu garantieren? „Wir haben gemerkt, wie wenig die meisten Journalisten über die Sicherheitsbestimmungen bei Kreuzfahrtschiffen wissen. Viele wussten nicht, dass es international verbindliche Regeln und Standards gibt“, sagt Etminan. Dabei sind Sicherheit, Piraterie und Umwelt eigentlich branchenübergreifend Dauerthe-


AGENDA

Foto: AIDA Cruises

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men in der Kommunikationsarbeit von Reiseveranstaltern. Bei Ereignissen, die mehrere Veranstalter betreffen, wie Streiks, Naturkatastrophen oder politische Unruhen, übernimmt dann üblicherweise der DRV die Koordination des Krisen- und Sicherheitsmanagements für die Reiseveranstalter. Speziell für die Kreuzfahrtbranche gibt es eine vergleichbare Organisation bislang nicht. „Das soll sich aber ändern. Die Krisenkommunikation der Kreuzfahrtbranche muss weiter verbessert werden, damit demnächst noch professioneller und schneller reagiert werden kann“, sagt Schäfer. Aus diesem Grund wollen Unternehmen und Verband die Themen aktiver angehen und nicht mehr anderen die Meinungshoheit überlassen. „Beim Unglück der Costa Concordia kamen vie-

le vermeintliche Spezialisten in den Medien zu Wort. Doch ein verlässlicher und namhafter Experte zur Sicherheit an Bord von Kreuzfahrtschiffen fehlte“, sagt Schäfer. Die Branche will nun gemeinsame Experten als Ansprechpartner für Journalisten benennen und die Krisenkommunikation der Kreuzfahrtbranche unter dem Dach des DRV organisieren. Der DRV-Ausschuss Schiff, in dem die meisten deutschen Kreuzfahrtveranstalter vertreten sind, befinde sich bereits in der Abstimmung.

Signal gesetzt

Ein erstes Signal hat die Branche international in Sachen Sicherheit bereits gesetzt. Anfang Februar verpflichtete sie sich freiwillig, die international vorgeschriebenen Sicherheitsübungen an Bord noch vor Abfahrt aus dem ersten Hafen durchzuführen. Bislang hatte

man der jeweiligen Schiffsbesatzung im Internationalen Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See ein Zeitfenster von 24 Stunden nach Reisebeginn gesetzt. Die einzelnen Unternehmen überprüfen jetzt die eigene, kommunikative Aufstellung für den Krisenfall. „In den Tagen nach dem Unglück haben wir erkannt, was wir im Notfall selber leisten müssten. Die Abläufe werden jetzt ausgewertet“, sagt Kunze. Für den Fall der Fälle will man vorbereitet sein. Denn das Unglück kam zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Die deutsche Kreuzfahrtbranche boomt. Sowohl der Umsatz als auch die Passagierzahl stiegen im letzten Jahr um jeweils mehr als zehn Prozentpunkte. Laut Studie des DRV sind 20 ,4 Millionen Urlauber an Bord eines Hoch-

seekreuzfahrtschiffes gegangen. Tendenz steigend. Von einer Verunsicherung der Gäste und potenzieller Kunden will man bei den Kreuzfahrtveranstaltern nichts wissen. Das ließe sich noch nicht abschätzen, so der Tenor aus den Presseabteilungen. Auch beim DRV glaubt man nicht, dass das Unglück der Costa Concordia langfristig gesehen zu einem Einbruch der Buchungszahlen führen wird. Die Branche schaut nach vorn. Auch in der Kommunikation: „Kurz nach der Havarie haben wir versucht, über Sicherheitsbestimmungen und Vorgänge an Bord aufzuklären und Medien und Reisebüros entsprechende FAQ mit Experten zur Verfügung gestellt. Jetzt müssen wir gegenüber potenziellen Schiffreisenden das Thema Sicherheit in allen seinen Facetten weiter besetzen. Es muss deutlich werden, wie sicher diese Art des Reisens ist“, sagt Etminan. 17


TITEL

e b a r g n i e , n e l l o m Sch c i l g รถ M e l e i v t b i g Es i n e W . n e t r o w t n a zu 18


Typologie des Getroffenen [Schne|cke, die]

1

Wird es der Schnecke zu stressig – und das wird es oft – zieht sie sich in ihr Schneckenhaus zurück. Und dort kann sie es sehr lange aushalten. Bei Frost verschließt zum Beispiel die Weinbergschnecke ihr Gehäuse mit einem Kalkdeckel, der erst im Frühjahr wieder aufgestoßen wird. Ist es der Schnecke dagegen im Sommer zu trocken, zieht sie sich ebenfalls wieder zurück. Doch nicht alle Schnecken nehmen Ärger lautlos hin. Wird die Grunzschnecke gereizt, presst sie beim Rückzug in ihr Gehäuse Luft mit einem grunzenden Geräusch aus der Mantelhöhle.

: n r e t l o p n, zurück k i t i r K f u a , n e t i e k h . n e s s a l e g n e r e i g a ge re 19


TITEL

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Das Misstrauen gegen Unternehmen und Organisationen nimmt weltweit zu – ob berechtigt oder nicht, gerät dabei zur Nebensache. Wichtiger ist die Frage, wie Unternehmen und Organisationen mit der Kritik umgehen. Plädoyer für eine ernsthafte Gelassenheit.

Locker bleiben TEXT SEBASTIAN GÜLDE

Was Uli Hoeneß, Naomi Campbell und Klaus Kinski gemeinsam haben? Nicht gerade viel. Und dennoch haben sich alle drei durch ihren unverwechselbaren Umgang mit Kritik unsterblich gemacht. Und immer wieder reagieren auch andere, unter ihnen bevorzugt Fußballer, Politiker, Schauspieler, aber auch Manager, besonders empfindlich auf Kritik, beschimpfen Journalisten, brechen Interviews bei allzu unangenehmen Fragen einfach ab. Für Boulevard und Unterhaltungsindustrie haben solch cholerische Ausfälle einen hohen, wenn auch zweifelhaften Wert. Kommentiert von sogenannten Prominenten, die mit

Typologie des Getroffenen Wie gehen Sie mit Kritik um?

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einem Bein bereits im Dschungel stehen, schaffen es die Wutanfälle gerne in billig produzierte Sendungen privater TV-Kanäle mit gehaltvollen Titeln wie „Die Top 0 der schönsten TV-Ausraster“.

Allgemeines Unbehagen

In der freien Wirtschaft sind derartige Ausfälle selten. Der Umgang mit kritischer Berichterstattung aber dennoch gelegentlich alles andere als souverän. Statt verbaler Fehltritte setzt man dort stärker auf Verweigerung. Unangenehme Journalistenanfragen werden gerne ignoriert, Kritik sitzt man auch mal aus oder kontert sie mit beschwichtigenden Floskeln.

Auch wenn sich die PR immer stärker professionalisiert, Unternehmen Krisenpläne ausarbeiten und potenziell kritische Themen im Rahmen des Issues-Managements frühzeitig identifizieren, trifft Kritik sie oftmals unvorbereitet. Und nicht immer liegt der Fehler bei den Unternehmen. Unberechtigte Anschuldigungen können sie meist schnell entkräften. Wie sieht es aber mit diffuser Kritik, einem latenten Unbehagen, beispielsweise gegenüber einem gesamten Wirtschaftszweig, aus? Einige Branchen stehen von Natur aus stärker unter öffentlicher Beobachtung und werden häufiger mit Kritik von Verbrauchern und

Interessengruppen konfrontiert. Lebensmittelhersteller, Finanzund Versicherungsunternehmen, Energiekonzerne, die chemische Industrie und Arzneimittelproduzenten haben ihre Krisenkommunikation professionalisiert und treten verstärkt in einen Dialog mit ihren Kritikern. Immer stärker, so scheint es, weicht aber anlassbezogene Kritik einer eher verschwommenen Skepsis gegenüber Institutionen. Es bedarf keines Unfalls, keiner Bestechungsskandale oder Produktmängel mehr, um das Vertrauen der Zielgruppen zu verlieren. Das Misstrauen gegenüber Politik und Wirtschaft wächst auch ohne große Skandale kontinuier-

[Bie|ne, die] Wer seinen Gegner umarmt, macht ihn bewegungsunfähig. Japanische Honigbienen kuscheln ihre Gegner regelrecht zu Tode. Nähert sich eine Hornisse dem Nest, wird sie von mehreren hundert Bienen umhüllt. Im Innern des Bie2 nenschwarms wird es so heiß, dass der Angreifer überhitzt und erstickt. Der westlichen Honigbiene bleibt nur ihr vergleichsweise profaner Stachel.


TITEL

Fotos: dreamstime.com/ Rkolbabek; Lostbear; Skbakker; Petersjokvist

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lich, wie beispielsweise der aktuelle Edelman Trust Barometer belegt. Das Vertrauen in Institutionen befindet sich demnach auf einem neuen Tiefststand. Gerade einmal 34 Prozent der Bevölkerung hätten noch Vertrauen in die Wirtschaft. Ein Einsturz um 8 Prozentpunkte gegenüber 20. Gerade einmal ein Fünftel der Befragten schätzte hingegen Vorstandschefs, Finanzanalysten und Regierungsvertreter als glaubwürdig ein. In Deutschland zweifelten demnach zwei Drittel der Bevölkerung am Wahrheitsgehalt der Regierungsaussagen. Selbst die moralische Integrität von Nichtregierungsorganisationen – bislang immer noch als vertrauenswürdigste Institutionen gehandelt – wird zunehmend infrage gestellt. „Kapitalismuskritik ist en vogue“, schrieb Markus Spillmann, Chefredakteur der „Neuen Zürcher Zeitung“. Der Protest sei nicht Mittel, sondern Ziel. Die zunehmende Kritik allerdings nur als abstraktes Unbehagen, als Modeerscheinung oder gar Stammtischgerede gegen „die da oben“ abzuwiegeln, greift zu kurz, wie die Edelman-Studie ebenfalls zeigt. Im Gegenteil. Die Bevölkerung hat oft klare Vorstellungen davon, wie sich Firmen verhalten sollten. So sollten Unternehmen sozial mit den eigenen Mitarbeitern umgehen und Verbraucherinteressen berücksichtigen.

Schnell kommentiert

Parallel zur Skepsis gegenüber Wirtschaft und Politik wachsen auch die Möglichkeiten, die Kritik zu verbreiten. In sozialen Medien verschafft sich Kritik immer leichter und vor allem schneller Gehör. Nahm man sich vor wenigen Jahren etwas mehr Zeit, beispielsweise um einen Leserbrief aufzusetzen, kommentieren viele Internetnutzer Nachrichten oder Unternehmensauftritte impulsiv. Dass Kritik dabei nicht nur weniger prononciert ausfällt, sondern gerne auch mal in einen beleidigenden Ton abdriftet, mag PR-Verantwortliche verärgern – ändern lässt sich daran aber vermutlich nur wenig. Dass Facebook, Twitter oder Xing ihren Nutzern es leicht machen, sich bereits über Banalitäten auszulassen, bringt Agenturen und PR-Experten auf neue Geschäftsmodelle. Der sogenannte Shitstorm geistert seit Monaten durch die Medienbranche – und mit ihm eine latente Furcht vor dem Zorn der Internetgemeinde. Vor der „Rückkehr des Pöbels in die gesellschaftliche Diskussion“ warnte Mitte April Handelsblatt-Online-Chefredakteur Oliver Stock. Wer jedoch die Diskussion lediglich auf „Trolle“ oder den „virtuellen Mob“ lenkt, verkennt nicht nur, dass viele Nutzer berechtigte Anliegen haben, sondern blendet auch die Chancen des Zielgruppendialogs aus. Sozia-

le Medien geben ihren Nutzern die Möglichkeit, mit Organisationen leichter in Kontakt zu treten sowie veröffentlichte Fakten noch einmal zu überprüfen und gegebenenfalls zu hinterfragen. Soziale Netzwerke, schrieb Michele Weldon in der Huffington Post, seien nicht nur Kanäle, über die immer mehr Menschen ihre Nachrichten beziehen. „Sie sind auch der Weg, über den wir der Welt über die Verfehlungen anderer berichten.“ Ob Facebook und Twitter damit das „ausgelagerte gesellschaftliche Gewissen“ sind, wie die amerikanische Medienwissenschaftlerin sagt, sei dahingestellt. Viel entscheidender sei die Frage, wie wir künftig mit der Kritik im Web umgehen werden. „Erziehen uns soziale Medien also zu mehr Ehrlichkeit oder machen sie lediglich bessere Lügner aus uns?“, fragte Weldon.

„Wir sagen nichts.“

Selbst wer über ausgefeilte Krisenpläne verfügt, kritische Themen mittels Issues-Managements rechtzeitig identifiziert hat, ist nicht vor der falschen Reaktion im Ernstfall sicher. Anders als mancher Sportler oder Politiker kontern Unternehmen Kritik kaum mit Gegenangriffen – die Standardfloskeln „Kein Kommentar“ oder „Dazu möchten wir im Augenblick nichts sagen“ hören Journalisten dagegen von Wirtschaftsvertretern umso

häufiger. Sicher, Unternehmen oder Personen des öffentlichen Lebens müssen sich nicht alles gefallen lassen. Der beleidigte Rückzug aus einer Debatte, sobald man Kritik fürchten muss, das vereinzelte Löschen von Posts oder das schlichte Nichtreagieren auf kritische Äußerungen im Web sprechen aber für keine gesunde Streitkultur. PR-Verantwortliche sollten kritische Äußerungen daher nicht nur ernst nehmen, sondern auch den Mut haben, auf sie zu antworten. Dazu benötigen sie vor allem mehr Gelassenheit im Umgang mit Kritikern und gerne auch eine Prise Humor. Wie sich Kritik mit einem Augenzwinkern für die eigene PR einsetzen lässt, bewies Microsoft vor einigen Wochen. Den von vielen geschmähten, aber inzwischen überarbeiteten neuen Internet Explorer bewarb das Unternehmen mit einem eigenen Film und einer Webseite. Titel: „The browser you loved to hate“. Dass sich allerdings die Angst vor überhandnehmender Kritik in sozialen Medien ebenfalls gut vermarkten lässt, bewies jüngst eine PR-Agentur aus Bayern. Für Shitstorm-geplagte Unternehmenssprecher hat sie eine KrisenHotline geschaltet. Erreichbar von 8 bis 20 Uhr. Schade nur, dass sich Facebook und Co. um solch betriebsratsgerechte Öffnungszeiten nicht scheren.

[Rin|gel|nat|ter, die] In Gefahrensituationen zeigt die Ringelnatter ihr ganzes schauspielerisches Talent. Ist eine Flucht nicht mehr möglich, bäumt sie sich auf und deutet Bisse an. Hilft das nicht weiter, stößt sie eine übelriechende Flüssigkeit aus. Hat der Angreifer immer noch nicht genug, stellt sie sich einfach tot, öffnet das Maul und lässt die Zunge theatralisch raushängen.

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[Cha|mä|le|on, das] Bloß nicht auffallen? Seine Farben wechselt das Chamäleon selten, um sich zu tarnen, sondern eher um Rivalen zu drohen. 21


PRAXIS

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PR-Manager in Hilfsorganisationen müssen in der internen Kommunikation nicht nur die eigenen Mitarbeiter informieren, sondern auch zahlreiche ehrenamtliche Helfer. Für eine starke Bindung an die Organisation sorgt ein Mix aus neuen und traditionellen Kommunikationsinstrumenten.

Das Navi für den Helfer TEXT TOBIAS EILERS

Wie informiert und bindet man 4.000 hauptamtliche und 30.000 ehrenamtliche Mitarbeiter? Wie kommuniziert man mit ,4 Millionen Fördermitgliedern und – vor dem Hintergrund einer ungestützten Bekanntheit von 24 Prozent – mit der Öffentlichkeit? Können ehrenamtliche Helfer Aufgaben in der Medienarbeit leisten und wie professionalisiert man behutsam Interne und Externe Kommunikation? Die Pressesprecher der Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) stehen vor einer komplexen kommunikativen Ausgangssituation. Die spannende Herausforderung für die Kommunikationsreferenten einer der größten deutschen Hilfsorganisationen wird komplettiert durch vier vertikale Verbands- und Unternehmensebenen (Bundes-, Landes-, Regional- und Ortsverbände) und horizontale, parallele Strukturen in nahegelegenen sozialen Aufgabenfeldern unter dem Dach des 900 Jahre alten Johanniterordens sowie ein großes Maß an Krisenpotenzialen in mediensensiblen Bereichen wie Rettungsdienst, Katastrophenschutz, Pflege, Kindertageseinrichtungen, Fahrdienste oder Spenden.

Hohe Medienvielfalt

Bei wohl kaum einem Unternehmen muss die interne Kommunikation eine solche Bedeutung erfahren wie in einer Hilfsorganisation, die zu zwei Dritteln durch Ehrenamtliche von sechs bis über 38

80 Jahren geprägt ist, die unentgeltlich für die gute Sache arbeiten. Was können die Johanniter diesen Menschen bieten, mal abgesehen von Dank und Auszeichnungen? „Schnelle Information, gute Kommunikation, direkte Partizipation“, sagt Claudia Hauptmann, die den Bereich Marketing/Kommunikation in der JUH-Bundesgeschäftsstelle in Berlin leitet. Ein einzelnes Medium wie ein klassischer interner Newsletter reicht nicht aus. Die Johanniter pflegen eine Vielzahl an Medien, vom Magazin „die johanniter“ für Fördermitglieder, mit einer Auflage von ,4 Millionen Exemplaren, über den „aktiv“ und den „express“, einen zweiwöchentlichen internen pdf-Newsletter, bis hin zu Social-Media-Aktivitäten. Zudem kommunizieren einzelne Bereiche wie Johanniter-Fundraising, -Auslandshilfe und -Jugend über eigene Medien mit ihren Zielgruppen. Die jeweiligen Medien zeichnen sich durch klare redaktionelle Konzepte aus: Während das Fördermitglieder-Magazin in die Sparte Gesundheit/Ratgeber/Infotainment gehört und dabei über die vielen JUH-Spendenprojekte informiert, ist die eher boulevardeske Mitarbeiter-Zeitschrift „aktiv“ ein journalistisches Kaleidoskop, das ebenso bunt schillert wie der dargestellte Alltag der Johanniter zwischen Kita, Rettungsdienst und Hospiz. Viele Mitmachaktionen erhöhen die Leser-Blatt-Bindung. Hingegen verbreitet der pdf-

Newsletter Verbandsnachrichten mit Informations- und Nutzwert. An vielen Dienststellen und Rettungswachen wird er – ganz ‚old school‘ – ausgedruckt und ans Schwarze Brett gehängt. Diese ‚interne Öffentlichkeit‘ in vielen hundert Dienststellen in ganz Deutschland darf von den Kommunikatoren keinesfalls unterschätzt und später oder weniger umfassend informiert werden als die externen Zielgruppen – sonst könnten Glaubwürdigkeit, Motivation und Vertrauen verspielt werden. „Die Johanniter-Medienvielfalt hat ihren Preis, ist aber grundsätzlich notwendig“, sagt Marco Schauff, Leiter Marketing/Kommunikation in NRW. „Wenn unsere ehrenamtlichen Katastrophenschützer am Wochenende eine Übung veranstalten, wollen sie auch, dass darüber berichtet wird – nicht nur in Lokalzeitung und -radio, sondern auch im jeweiligen ‚Johanniter-Leitmedium‘ der Gruppe.“ Entsprechend häufig kommen die Beiträge von den Ehrenamtlichen selbst. Da die lokale Übung aber nicht zwangsläufig für Johanniter aus anderen Verbänden interessant ist, existieren in der Regel auch regionale Medien, die von den jeweiligen Kommunikationsreferenten erstellt werden.

Allrounder gefordert

Die Kommunikation der Johanniter mit Interessenten, Kunden, Spendern, Fördermitgliedern, Ehrenamtlichen, Mitarbeitern, Jour-

nalisten, Verwaltung und Politik hat sich in den vergangenen Jahren stark professionalisiert. War es Anfang der 990er Jahre durchaus üblich, die Funktion des Pressesprechers ehrenamtlich mit Laien aus dem Verband zu besetzen, legen heutige Ausschreibungen explizit Wert auf eine professionelle Ausbildung wie Volontariat und Hochschulabschluss. Entsprechend hat sich auch die Pressearbeit gewandelt: Konnte es durchaus vorkommen, dass in den 980ern ein Journalist bei einer eiligen Anfrage lange auf den Rückruf warten musste, sind die Kommunikationsreferenten mittels Blackberry und Co. mindestens so gut erreichbar wie ihre Kollegen in der freien Wirtschaft – was angesichts der erheblichen Krisenpotenziale in den vielfältigen sozialen Arbeitsbereichen des gemeinnützigen Vereins auch zwingend notwendig ist. Die Kommunikationsreferenten steuern die gesamte integrierte Kommunikation in den über 300 JUH-Verbänden. Sie verantworten sie eigenständig im Rahmen ei-


PRAXIS

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Fotos: Frank Schemmann; Privat

ner festen Corporate Identity mit dem klaren Ziel der Markenprofilierung mit dem bekannten Claim: ‚Aus Liebe zum Leben‘. Zugleich sind sie vielfach als Allrounder in leitender Funktion für die Bereiche Fundraising und Spenderbetreuung sowie Vertrieb von sozialen Dienstleistungen wie Hausnotruf, Menüservice und ambulante Pflege mitverantwortlich. Und sie stimmen bei Großereignissen die Medienarbeit zum einen innerhalb der JUH ab, um eine klare Botschaft zu kommunizieren. Zum anderen arbeiten sie eng mit den Pressesprechern der befreundeten Hilfsorganisationen und der Veranstalter zusammen, so zum Beispiel bei Sanitätsdiensten mit hunderten Helfern bei Karneval, Loveparade, Bundesliga-Spielen oder Public Viewings.

Orientierung geben

Damit in diesem komplexen Kommunikationsgefüge kein Wildwuchs entsteht, haben die Johanniter 2006 das ‚Navigationssystem‘ geschaffen, ein umfassendes Kom-

munikations-Konzept zu den Bereichen Externe Kommunikation, Interne Kommunikation, Werbung und Fundraising. Erst kürzlich wurde der dicke rot-weiße Ordner um den einheitlichen Einleger ‚Krisen-Kommunikation‘ erweitert, die zuvor in den einzelnen Verbänden unterschiedlich geregelt war. Mit Vorgaben und Checklisten beispielsweise zu Vorbereitung, Monitoring, Aufbau von Krisenstäben und Kommunikationslinien sowie der Nachbearbeitung soll der Leitfaden für die Krise sensibilisieren und fortbilden. Übungen, Kameratrainings und ‚mystery calls’ ergänzen und trainieren die Abläufe im Alltag. Im Fall der Fälle greifen die verschiedenen Kommunikationsebenen aus Region, Land und Bund eng ineinander, damit der Verband mit einer Stimme sprechen kann. Die Inhalte des ‚Navigationssystems‘ kommen im Wesentlichen von den Kommunikationsreferenten vor Ort und werden im Fachbereich Marketing/Kommunikation auf Landes- und Bundesebe-

ne aufbereitet. Hier werden auch Kampagnen- und Jahresplanung geleistet sowie die Zusammenarbeit mit Agenturen koordiniert.

Vorteil: Föderalismus

Hier erweist sich die föderale Struktur als klarer Vorteil: Von der durchschnittlichen Gesamtreichweite von 373 Millionen pro Quartal alleine durch redaktionelle Beiträge – also ohne zigtausende Terminhinweise für Erste-HilfeKurse oder Anzeigen –, entfallen rund die Hälfte auf Bundes- und Landesthemen, während die andere Hälfte der Kontakte aus den Regionen kommt, beispielsweise durch eigene Medien-Aktivitäten oder den Versand von Muster-Medieninformationen an die Lokalmedien. Besonders in strukturschwachen Gebieten bleibt eine enge Zusammenarbeit zwischen fachlich hoch qualifizierten, ehrenamtlichen Führungskräften und Kommunikationsreferenten unabdingbar: Wenn bei einer Großschadenslage wie einem nächtlichen

Massenunfall auf einer Autobahn mindestens ein Helfer vor Ort über grundlegende Kenntnisse der Medienarbeit verfügt, erleichtert dies dem Pressesprecher seine Arbeit ungemein – nicht zuletzt durch die Übersetzung des medizinischtechnischen Fachvokabulars. Die Landespressesprecher bieten hierfür regelmäßig Schulungen und Fortbildungen wie die ‚Basiskurse Presse- und Öffentlichkeitsarbeit‘ an. Die eingangs erwähnte ungestützte Bekanntheit von 24 Prozent – die drittbeste aller deutschen Hilfsorganisationen – ist daher ein steter Ansporn für alle JohanniterPressesprecher, in Zukunft noch besser zu kommunizieren. Tobias Eilers ist seit Januar Pressesprecher der Johanniter-Unfall-Hilfe in NordrheinWestfalen. In der Position verantwortet er die externe Kommunikation der Hilfsorganisation. Davor war er unter anderem als Pressesprecher der Aktion Deutschland Hilft tätig. Eilers studierte Germanistik, Skandinavistik, Geschichte und Politikwissenschaften. 39


KARRIERE

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KARRIERE

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Während Kritiker schon nach einer Reform der Bachelor- und Masterausbildung rufen, drängeln sich Studenten um attraktive Praktikumsplätze. In der PR-Branche denken deshalb viele um.

Ausbildung statt Ausbeutung

Foto: Gemenacom/ Dreamstime.com

TEXT ACHIM BAUM

Als die europäischen Bildungsminister im Juni 999 in Bologna eine ‚gemeinsame Erklärung‘ für einen ‚europäischen Hochschulraum‘ formulierten, wollten sie mit einem „System leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse“ zuallererst die „arbeitsmarktrelevanten Qualifikationen der europäischen Bürger ... fördern“. Doch die Geburtsstunde eines zweigliedrigen Studiums mit Bachelor- (BA) und Masterabschluss in ganz Europa trieb alle Beteiligten, vor allem die Studierenden und deren Hochschullehrer, in die Enge. Eine paradoxe Entwicklung: Denn die seitdem zum Dogma erhobene ‚Employability’, die Berufsfähigkeit der Absolventen, ist nun oft schwerer zu erreichen denn je. Verkürzte Studienzeiten gerade im Bachelorstudium lassen meistens nur in der vorlesungsfreien Zeit genügend Raum für Praxiserfahrungen. Der Einblick in später mögliche, berufliche Tätigkeiten wird für die Studenten zum enormen Stressfaktor: Sie wollen Praxisluft schnuppern, sich orientieren und vernetzen. Dafür sind sie durchaus leistungsbereit, wollen sich jedoch keinesfalls unter Wert verkaufen. Viele Wirtschaftsunternehmen aber akzeptieren erst zögerlich, dass sie mit der von ihnen selbst

forcierten Reform Teil eines Ausbildungsmodells geworden sind, in dem Studenten Praktikumsplätze benötigen, in denen gelernt und nicht billig oder umsonst gearbeitet wird. Manche Personaler sogar, denen die BA-Absolventen zu unreif erscheinen, vertrösten Bewerber gleich ganz auf ein Praktikum nach dem Bachelorabschluss; oder, wie die „Süddeutsche Zeitung“ im Mai 20 süffisant feststellte: „Jahrzehntelang hat die Wirtschaft den 23-jährigen Akademiker gefordert. Nun hat sie ihn“ – mit der Konsequenz: „Bachelor bestellt und nicht abgeholt.“ Das bringt Probleme gerade für die so genannten weichen Fächer mit sich, deren Studenten ihre spätere Tätigkeit aus einem breiten, teils diffusen Berufsspektrum wählen können. Bestes Beispiel

»Der Einblick in berufliche Tätigkeiten wird für Studenten, dank verkürzter Studienzeiten, zum Stressfaktor.« 51


KARRIERE

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dafür sind die Kommunikationsberufe, deren Professionalisierung schon aufgrund ihrer Bedeutung für die Öffentlichkeit einer pluralistischen Gesellschaft nie abgeschlossen sein wird. Wer heute ein Fach studiert, das mit öffentlicher Kommunikation zu tun hat, weiß eben nur sehr bedingt, wie sich Medien, Themen und Instrumente entwickeln, die schon in naher Zukunft unsere gesellschaftlichen Debatten bestimmen. Jahr für Jahr produzieren Internet und Social Media neue Berufsperspektiven, Trends wie Globalisierung, Nachhaltigkeit und Energiewende machen alte Kommunikationsberufe überflüssig und schaffen im Nu neue Berufsbilder. Und war beispielsweise das Gesundheitswesen – historisch gesehen – bis vor kurzem noch eine riesige Wirtschaft ohne freien Markt, so haben sich hier binnen weniger Jahre zahlreiche neue Möglichkeiten für alle Formen der strategischen Kommunikation entwickelt. Wie sollen sich in diesem dynamischen Umfeld die künftigen Kommunikationsexperten orientieren, wie den Einstieg in ein sich rasant wandelndes Berufsfeld

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finden, wenn nicht über Praktika? Sicher gilt im Groben auch für die Kommunikationsbranche, was die Hans-Böckler-Stiftung in der Studie ‚Generation Praktikum 20‘ herausfand, dass nämlich während des Studiums jeder Student durchschnittlich vier Praktika absolviert. Trotzdem müssen nach ihrem Abschluss 28 Prozent der Befragten noch einer weiteren praktikumsähnlichen Beschäftigung nachgehen oder ein weiteres Praktikum absolvieren. 27 Prozent gehen direkt nach dem Studium in eine befristete Beschäftigung und nur 9 Prozent gelingt es, eine unbefristete Arbeitsstelle anzutreten. Auf Seiten der Jobanbieter herrschte, wie Branchenkenner hinter vorgehaltener Hand munkeln, dazu lange betretenes Schweigen. Und nicht alle können wie Christian Blömer, Leiter der Unternehmenskommunikation bei EWE Energie in Oldenburg, guten Gewissens sagen: „EWE ist sich der Verantwortung gegenüber Praktikanten bewusst. Studentische Praktika werden bei uns angemessen vergütet. Gehalt, Arbeitszeit und der

Gute Praxiserfahrungen für Studierende müssen • Theorie und Praxis sinnvoll und systematisch verknüpfen, • die Aneignung fachlichen Wissens ermöglichen, • soziale Fähigkeiten vermitteln und • durch den Einblick in die Berufspraxis direkt oder indirekt zu einem Berufseinstieg beitragen.

Umgang mit Überstunden werden in einem Arbeitsvertrag festgehalten. Zudem ist uns der wertschätzende Umgang mit Praktikanten sehr wichtig. Jedem Praktikanten wird im Kommunikationsbereich ein Jobpate zur Seite gestellt und regelmäßige Feedback-Gespräche sichern den Entwicklungspfad des Praktikanten ab.“ Und sein Resümée: „Von diesem wertschätzenden Umgang profitiert das Unternehmen letztlich am meisten. Denn durch einen solchen Umgang mit studentischen Praktikanten können wir uns im Buhlen um engagierte, gut ausgebildete und loyale Arbeitskräfte von anderen Unternehmen abheben.“ Mittlerweile ist auch in Sachen Praktika viel in Bewegung geraten. Das gilt für die Hochschulinstitute, deren Studenten und die Praktikumsanbieter in Unternehmen und Agenturen gleichermaßen.

So fand gerade im Kommunikationssektor mit der Gründung neuer Bachelor- und Masterstudiengänge eine Ausdifferenzierung statt, die den Markt inzwischen sehr unübersichtlich hat werden lassen. Wer im Hochschulkompass der Hochschulrektorenkonferenz allein nach grundständigen Studiengängen für die Kommunikationsbranche sucht, kommt auf erstaunliche 73 Treffer, grob geschätzt lassen sich dort weit über 20.000 junge Menschen für die Kommunikationsgesellschaft ausbilden. Und alle drängeln sich um die begehrten Praktikumsplätze in Wirtschaftsunternehmen, Agenturen und öffentlichen Einrichtungen. Wen wundert es da, dass mittlerweile zahlreiche Studiengänge – trotz der ohnehin knappen Bachelorstudienzeit von meist nur drei Jahren – zu den Praxissemestern zurückkehren, die es ihren Studierenden erlauben, mehr als nur zwölf Wochen während der Semesterferien zu hospitieren. Neben breit aufgestellten Initiativen wie dem, von „Handelsblatt“ und „Wirtschaftswoche“ ins Leben gerufenen Label ‚fair company‘, deren Regeln sich immerhin mehr als .800 Unternehmen verpflichtet fühlen, gibt es für die Kommunikationsbranche „keine Blaupause“, wie Philip Müller, Mitbegründer und Geschäftsführer des PR Career Centers feststellt. Die in Düsseldorf etablierte Initiative kümmert sich – in Partnerschaft unter anderem mit der DPRG, der GPRA und dem BdP – speziell um die Zukunftschancen von Nachwuchskräften in PR und Kommunikationsmanagement. Müller betont, dass der Quereinstieg in die Branche bisher zwar immer noch möglich sei, der Queraufstieg sei aber ohne entsprechendes Studium heute nur noch schwer zu erreichen. „Kluges Erwartungsmanagement“ von allen Beteiligten sei also nötig. Auch viele Studiengänge wälzen darum inzwischen die Praxisausbildung ihrer Studierenden nicht mehr blind in die PR-Praxis ab, sondern schneiden sie auf die

Fotos: Studio/ dreamstime.com

CHECKLISTE FÜR GUTE PRAXISAUSBILDUNG


KARRIERE

Fotos: Lightpoet/ dreamstime.com; Privat

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Bedürfnisse der Studenten zu. So hat etwa das Institut für Kommunikationsmanagement der Hochschule Osnabrück für seine rund 200 Studenten im BA-Studiengang Kommunikationsmanagement, die während ihrer drei Pflichtpraktika gleich von zwei Professoren betreut werden, vor einigen Jahren die Deklaration Praktikum als eigenes Instrument der Qualitätssicherung entwickelt. Ziel war es, sich in Zeiten eines verschärften Wettbewerbs vom larmoyanten Mediengetöse über die Generation Praktikum abzuheben und exzellente Praktikumsgeber durch den Dialog über eine für alle Seiten gelingende Ausbildung an den Studiengang zu binden. Alle drei Parteien – Studenten, Lehrende und Praktikumsgeber – verpflichten sich mit ihrer Unterschrift unter der Deklaration zur freiwilligen Beachtung von Kriterien, die allen Seiten zur Wertschöpfung durch Praktika in Kommunikationsberufen dienen: Die Praxis verpflichtet sich zu einem fairen Umgang mit den Studierenden und bietet ihnen einen vielseitigen und betreuten Einblick in die Berufspraxis. Die Studierenden verpflichten sich zum engagierten Einsatz ihrer Arbeitsleistung und passen sich den Regeln der Praxis an. Die Hochschule schließlich verpflichtet sich zu einem auf die Berufspraxis abgestimmten Lehrprogramm. Seit 2007 werden alljährlich ausgewählte und von den

Studenten selbst als vorbildlich vorgeschlagene Unternehmen, Agenturen und öffentliche Einrichtungen zum gemeinsamen Praktikums-Workshop an den Hochschulstandort Lingen eingeladen. Zu diesem Anlass werden herausragende Praktika von den Praktikanten und ihren Betreuern vorgestellt und aktuelle Fragen der

»Ausbildung ist Bringschuld der Praktikumsgeber und Hochschulen und eine Holschuld der Praktikanten.« Ausbildung und Professionalisierung von Kommunikationsmanagern diskutiert. 60 Unternehmen und Agenturen wurden so bereits gewonnen, die Deklaration Praktikum zu unterzeichnen. Für sie sind die Praktika vor allem im Bereich Personalbeschaffung interessant. Eine gezielte Zusammenarbeit mit Hochschulinstituten bietet ihnen die Möglichkeit, ihren ‚Talent Pool‘ zu erweitern und so den Einstellungsbedarf an jungen PR-Kräften zu decken. Christian Schwägerl, Praktikumsbeauftragter an der Hochschule Osnabrück, beob-

achtet darüber hinaus sogar, „dass zunehmend schon Personalberater, die sich auf die PR-Branche und aufs Marketing spezialisiert haben, ihre Kunden bei der Suche nach Berufseinsteigern unterstützen.“ Für die Studierenden sind Praktika damit nicht mehr nur erste Orientierung im diffusen Berufsfeld Kommunikation, sondern immer mehr auch Teil der aktiven Berufsplanung. „Studierende profitieren davon“, sagt Schwägerl, „sich erste Referenzen zu erarbeiten und die Grundlage für die Bildung eines Netzwerks mit Akteuren aus der Praxis zu schaffen.“ Bei allem Netzwerken bleibt der erste Anspruch jedoch die Qualifizierung für den künftigen Beruf. Und Praktika würden ein falsches Bild von der Tätigkeit in Kommunikationsberufen vermitteln, wenn die Studierenden während dieser Zeit vom operativen Handeln völlig befreit wären. Dazu gehört dann eben auch einmal das viel geschmähte Erstellen von Clippings oder simple Tätigkeiten am Kopierer. Ausbildung ist eine Bringschuld der Praktikumsgeber und der Hochschulen und eine Holschuld der Praktikanten. Mehr und mehr erkennen auch die Studierenden ihre Pflicht, sich in einer Zeit, in der zunehmend von der Eigenverantwortung des Einzelnen die Rede ist, sich als eigenverantwortlich für die Qualität ihrer Ausbildung zu sehen. Um ihnen dieses Lernen zu ermöglichen, müssen Unternehmen Praktika als Ausbildung anerkennen und dürfen Praktikanten nicht als Werkstudenten ausbeuten – und die Hochschulen müssen erkennen, dass diese Effekte nur entstehen können, wenn auch ihre Praktikumsbetreuung sich um hohe qualitative Standards bemüht. Daraus erwachsen Verpflichtungen für alle beteiligten Seiten, um die Qualität guter Praxiserfahrungen zu gewährleisten: • Aus der Perspektive der Praktikanten heißt das: Sie müssen ihre Praxisphasen als Ausbildung auf praktischem Niveau

begreifen, in die sie alle Fähigkeiten und ihr ganzes Wissen aktiv einbringen. Das verlangt Offenheit gegenüber den Anforderungen des Unternehmens und die Bereitschaft, sich den Erfordernissen und Konditionen ihres zeitweiligen Arbeitgebers professionell anzupassen. • Aus der Perspektive der Praktikumsgeber bedeutet das, Praktika vorrangig als Ausbildungssituation zu erkennen und zu organisieren. Dazu sollten sie die Praktika planen und sorgfältig betreuen, unter anderem durch regelmäßige FeedbackGespräche. Faire Zeugnisse und eine angemessene Entlohnung für die Praktikanten sind unverzichtbar. • Aus der Perspektive der Hochschulen, die Praktika als integrativen Teil ihrer Ausbildung betrachten, heißt das: Sie vermitteln zwischen den Studierenden und ihren Praktikumsgebern, indem sie auch durch die Lehre einen dauerhaften Wissenstransfer in die Praxis initiieren, die Studierenden auf ihre Praxiserfahrungen vorbereiten und die Praktika gemeinsam mit ihnen und den Praktikumsgebern reflektieren. Dazu muss eine dauerhafte Betreuung – auch während der Praxisphasen – gewährleistet sein. Den Dialog über die Qualität der Praktika inhaltlich zu organisieren, ist die Pflicht der Hochschulen. Achim Baum lehrt seit zehn Jahren als Professor Kommunikationsmanagement an der Hochschule Osnabrück. Nach seinem Studium an der Universität Münster war er als Redakteur bei Rias-TV und der Deutschen Welle tätig, arbeitete als Medienjournalist für „taz“, „Berliner Zeitung“ und den Branchendienst Funkkorrespondenz. Von 1995 bis 1996 war er Leiter des Referats für Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit am Adolf-Grimme-Institut. Seit 1997 berät er unter anderem den Deutschen Presserat, IBM, den WDR und die WGZ-Bank in PR-Fragen. Von 2001 bis 2002 vertrat er die Professur für Kommunikationswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. 53


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