Helios Media GmbH | ISSN 1610-5060 | Ausgabe 03/11 | April 2011 | 7,20 Euro
www.politik-kommunikation.de
Konsequenz Die Bundeswehr wird zur Freiwilligenarmee – künftig muss sie um Soldaten werben. KAMPAGNE 18
Transparenz Das Internetportal Greenleaks soll helfen, MEDIEN 52 Umweltskandale aufzudecken.
Obama schlagen Geht das?
Die US-Kampagnentrends
Redaktionstagebuch sekretär Anders Fogh Rasmussen die Teilnehmer der Konferenz. Zu Gast war unter anderem US-Außenministerin Hillary Clinton. Dabei hatte sie ihren Multimedia-Berater Ben Scott, mit dem wir für diese Ausgabe ein Interview geführt haben. Wir haben uns übrigens auch mit dem indisch-amerikanischen Politikwissenschaftler Parag Khanna über moderne Diplomatie unterhalten – seine wie auch Scotts These: Staaten verlieren in der weltweiten Diplomatie immer stärker an Bedeutung. Bei der Außenministerkonferenz gab es dafür allerdings kaum Anzeichen – sonst hätte es wohl nicht solch einen Rummel um die Minister gegeben.
FEEDBACK ZUM RELAUNCH FORUM POLITISCHE KOMMUNIKATION
7. April Immerhin drei Hände gingen hoch, als p&k-Chefredakteur Sebastian Lange (auf dem Foto rechts) ins Publikum fragte, ob „Wutbürger“ anwesend seien. Diese drei zum Outing Bereiten waren Gäste einer Podiumsrunde zum Auftakt des Düsseldorfer Forums Politische Kommunikation, die Lange moderierte. p&k war Medienpartner der Veranstaltung, die ganz im Zeichen des Protests stand: „Bürger auf die Barrikaden!“ lautete der Titel. Diskutant war unter anderem Sebastian Frankenberger, der das erfolgreiche Volksbegehren für Nichtraucherschutz in Bayern durchgefochten hat. Frankenberger meint, die Bürger, die protestierten und sich engagierten, seien keine Wutbürger, sie seien vielmehr „Mutbürger“. Frankenberger jedenfalls hat den Mut, noch immer in Kneipen zu gehen – denn in vielen Fällen werfen ihn die Wirte leider gleich wieder raus, weil sie sauer auf den Rauch-Gegner sind. Mut muss man aber auch Thomas Strobl (Mitte) attestieren, dem baden-württembergischen CDU-Generalsekretär und möglicherweise kommenden CDU-Landeschef: Er stand Rede und Antwort zu dem, was bei Stuttgart 21 schief gelaufen ist.
Im April p&k hatte die Leser um Feedback zum Relaunch des Magazins gebeten – und bekam es, und zwar in Form von Lob und Kritik: Wir hätten „einen weiteren Qualitätssprung gemacht“, schrieb ein Leser, eine „gelungene Modernisierung“ attestierte ein anderer – um hinzuzufügen, dass ihm das Heft inzwischen aber teils zu bunt und „szenig“ sei. Die Redaktion arbeitet jedenfalls daran, es fortlaufernd zu verbessern. Mit Ihrer Unterstützung und ihrem Feeback gelingt das hoffentlich!
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Sie suchen den Ansprechpartner für Fragen rund um die Krankenversicherung. Wir sind eine der größten Krankenkassen Deutschlands. Wir bieten Ihnen Antworten und Fakten, Themen und Meinungen. TK-Pressestelle Pressesprecherin Dorothee Meusch Bramfelder Straße 140 22305 Hamburg Tel. 040 - 69 09-17 83 Fax 040 - 69 09-13 53
Fotos: Stefan Finger, www.stefan-finger.de; Thomas Koehler/photothek.net
POLIZEISCHUTZ
14. und 15. April Die p&k-Redaktion hat die aktuelle Ausgabe unter erhöhten Sicherheitsbedingungen produziert: Bereits am Gendarmenmarkt nahmen uns freundliche Polizisten in Empfang, um uns unter Geleitschutz an den 400 Meter entfernten Arbeitsplatz am Werderschen Markt zu führen. Kein Witz, das war ein wirklich toller Empfang – und dennoch durften wir das Verlagsgebäude nur durch einen Hintereingang betreten, und das auch nur nach ausführlicher Ausweiskontrolle. Grund für diesen großen Bahnhof: die Nato-Außenministerkonferenz, die Mitte April direkt neben dem Verlag im Auswärtigen Amt stattfand. Auf dem Foto empfangen Außenminister Guido Westerwelle (rechts) und Nato-General-
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Der direkte D ra h t 3
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Inhalt
politik&kommunikation 3/11 – April 2011
20 Konsequenz
26 Konkurrenz
52 Transparenz
Die Bundeswehr steht vor ihrer bislang größten Reform: Am 1. Juli wird sie zur Freiwilligenarmee – und muss künftig um Soldaten werben. Dabei gerät sie in die Kritik.
Während US-Präsident Obama seine Wiederwahl vorbereitet, suchen die Republikaner noch nach einem Kandidaten – doch die Partei hat aus der Niederlage 2008 gelernt.
Der australische Filmemacher und Anwalt Scott Millwood hat das Internetportal Greenleaks gegründet. Die Enthüllungsplattform soll helfen, Umweltskandale aufzudecken.
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Meldungen Protest im Bundestag kostet 1000 Euro, Regierung gegen Lobbyregister
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������� 12 Seltener wählen? Pro und Kontra von Silvana Koch-Mehrin und Uwe Jun ������ ������� 14 Das Gesetz des Monats Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagerechts von Alexander Glos �������� 16 Kompakt 18 Kampf um die Köpfe Erstmals muss die Bundeswehr um Soldaten werben – und gerät in Kritik 20 Unterschwellige Botschaften Eine Neuromarketing-Studie untersucht Wahlplakate
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Der amerikanische Online-Wahlkampf ist noch immer Vorbild von Julius van de Laar „Bürger-Diplomatie“ Hillary Clintons Technologie-Berater Ben Scott im p&k-Interview Atomkraft: Yes, please! Wie die Debatte zur Kernenergie in Großbritannien verläuft von Florian Wastl Die Florettfechter mit der Axt Was Radikalreformer von der britischen Regierung lernen können von Stefan Marx „China will ein großes Deutschland sein“ p&k sprach mit dem USPolitikwissenschaftler Parag Khanna
������ 42 Wege aus der „Dagegen-Falle“ Wie Planer bei Großprojekten Proteste verhindern können von Tarik Shah und Inga Karten 44 Rhetorik
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22 Kompakt 24 Die Jagd hat begonnen Kampagnentrends 2012: Wie die Republikaner Obama besiegen wollen 26 „Ich bin manchmal etwas neidisch“ CDU-Bundesgeschäftsführer Klaus Schüler über den US-Wahlkampf 27 Sie wollen Obama schlagen p&k stellt die aussichtsreichsten republikanischen Herausforderer vor 28 Im Mikrokosmos der Kampagne
46 Kompakt 48 „Die Politik war gut zu uns“ „Heute-Show“-Moderator Oliver Welke über Politiker und Lobbyisten 50 Folge dem Kabel! p&k Historie – Teil 2 der Serie: Das „Viktorianische Internet“ von Marco Althaus 52 Wikileaks in Grün Scott Millwood will die „Weisheit der Vielen“ für den Umweltschutz nutzen
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54 Bücher und TV ����� 56 Die Karrierekurve Gerda Hasselfeldt 58 Mein Lieblings… p&k befragt Bundestagsabgeordnete nach dem, was ihnen lieb ist 59 Zahlen und Fakten 60 Hart, aber herzlich Klaus Vater geht in den Ruhestand – aber nur offiziell 61 „Das wahre Parlament“ p&k sprach mit dem Besitzer des Café Einstein, Gerald Uhlig-Romero 62 Personen und Karriere Neue Sprecher in Bundesministerien, Kirschsieper lobbyiert für Facebook 66 Ossis Welt Das Politikbilderbuch 68 Gala Die wichtigsten Events 72 Wo die Hauptstadt feiert Die politischen Sommerfeste 75 Politikkalender Die Top-Termine im Mai und Juni 77 Porträt in Zahlen Winfried Kretschmann �������� Redaktionstagebuch Liebling des Monats Auch mal das Scheitern riskieren Essay von p&k-Chefredakteur Sebastian Lange 78 Letzte Seite 3 5 6
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Fotos: Sebastian Wilke; www.flickr.com/the white house; Emma Crimmings; Frank Ossenbrink
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Liebling des Monats: Gabriele Pauli Die fraktionslose Abgeordnete im Bayerischen Landtag, ehemalige Fürther Landrätin, Ex-Europa-Spitzenkandidatin der Freien Wähler, Ex-Vorsitzende der Freien Union und Ex-Latexhandschuhträgerin hat sich mit einem Beitrag zur Haushaltsdebatte des Parlaments eindrucksvoll zurückgemeldet. Sie machte ziemlich deutlich, dass sie
von dem ganzen Zahlenquatsch nichts hält und erklärte, worauf es wirklich ankommt. Wir zitieren die zentrale Passage der Rede unseres Lieblings des Monats, Gabriele Pauli: „Und das ist etwas, was wir alle entbehren. Es ist etwas, was wir alle nicht mehr in uns fühlen und in uns nicht mehr verspüren, es ist
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etwas, was wir in unserem Leben nicht mehr kennen, es ist etwas, was wir zwar suchen, aber nicht in einem Haushalt wiederfinden können. Es ist etwas, was in unserem Leben abhanden gekommen ist, es ist etwas, was wir in uns nicht mehr erreichen können, es ist etwas, so wie die Sprache in uns. Es ist etwas wie das Fühlen über
das, was wirklich gewollt ist in der Bevölkerung, und was wir als das, was in unserem Leben wichtig ist, nicht mehr kennen. Es ist etwas, was in uns zwar da ist, und irgendwann mal vielleicht auch in größerem Maße vorhanden war, aber was wir nicht mehr erreichen in uns. Es ist etwas, was wir in uns entbehren.“
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Essay
Auch mal das Scheitern riskieren Wer nur um Beliebtheit kämpft, kann nicht führen, denn ein wesentliches Merkmal von LEADERSHIP ist es, anhand von Werten Ziele zu definieren und andere für diese zu gewinnen. Kohl hat das getan, Schröder auch. Immer im Trend: Auf dem Bundestag weht ein Fähnchen im Wind
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tellen Sie sich vor, unsere Politiker dürften keine Umfrageergebnisse mehr lesen, oder es gäbe gar ein Verbot der politischen Demoskopie. Wäre das nicht wunderbar? Plötzlich wäre ihnen die bisherige Richtschnur ihrer Politik genommen und sie wären gezwungen, sich Gedanken zuallererst darüber zu machen, was dem Gemeinwohl dient. Den vermeintlichen Volkswillen könnten sie nicht mehr zur Grundlage ihrer Entscheidungen machen, und sie müssten sich fortan an eigenen Überzeugungen und Werten orientieren. Schwierig würde es dann allerdings für diejenigen, die über solche nicht verfügen – ihnen könnte vielleicht eine Kommission aushelfen und Handlungsempfehlungen geben. Natürlich ist es überaus gemein, das so pauschal zu behaupten, und die Meinungs- und Informationsfreiheit beschneiden will hoffentlich auch keiner; doch wird man den Politiker, dem Umfragen und Wiederwahl nicht so wichtig sind, wohl leider zunächst einmal unter den älteren Vertretern seiner Klasse suchen müssen. Besonders die einmal in ein Amt gewählten schielen doch allzu sehr nach den Momentaufnahmen der Volksmeinung. Etwas zu verlieren, was man hat, ist denn wohl schlimmer, als nicht zu bekommen, was man nicht hat. Die Stimmungspolitiker von Schwarz-Gelb zeigen überdeutlich, wie groß die Angst vor dem Verlust ist: Erst die Verlängerung der Atom-Laufzeiten, dann der Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg – ohne dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Kernenergie vorlägen, war deren mangelnde Kontrollierbarkeit doch längst bekannt. Mit Blick auf die Landtagswahlen vollzieht Schwarz-Gelb stattdessen eine Kurswende, die eine Ethik-Kommission im Nachhinein begründen soll. Zudem ein „Nein“ zur Beteiligung am LibyenEinsatz, wohl zumindest auch aus dem Glauben heraus, dass das Wahlvolk Friedensfürsten stets belohnt – dann internationaler Druck, schlechte Presse, und schon denkt man darüber nach, wenigstens bei einem humanitären Einsatz dabei zu sein. 6
Foto: www.dreamstime.com
VO N S E B A ST I A N L A N G E
Dies sind nur zwei Beispiele dafür, dass Politik sich heute vorrangig an der Annahme ausrichtet, was ankommt beim Volk. Dabei war die Entscheidung der Mütter und Väter des Grundgesetzes für die repräsentative Demokratie doch eine bewusste Entscheidung für Politiker, die zwar durch das Volk legitimiert sind, die aber nach bestem Wissen und Gewissen tun, was sie selbst für richtig halten. Deutschland ist keine Basisdemokratie, doch könnte man glauben, es sei eine: eine demoskopisch-mediale Basisdemokratie, ausgerichtet an ständigen Befragungen des Volkes, ausgerichtet am mithilfe von Media-Analysen ermittelten Meinungsbild. Allerdings ist es so, dass Erfolge im Kampf um die öffentliche Meinung politisches Handeln nicht legitimieren – nur dann, wenn sie sich in Wahlergebnissen widerspiegeln. Wer nur um Beliebtheit kämpft, kann nicht führen, denn ein wesentliches Merkmal der modernen Definition von „Leadership“ ist es, anhand von Werten Ziele zu definieren und dann andere für diese Ziele zu gewinnen. Dabei kann man auch scheitern. Für Helmut Kohl beispielsweise war die europäische Integration ein Fixpunkt, an dem er seine Außenpolitik ausgerichtet hat. Kohl hat unpopuläre Entscheidungen wie die Einführung des Euro getroffen, weil er an den Sinn einer solchen fortschreitenden Integration glaubte. Gerhard Schröder hat die AgendaReformen durchgesetzt, weil er glaubte, dass sie dem Land nutzen – und letztlich auch den Sozialstaat erhalten helfen. Menschen, die von allen gemocht werden wollen, sind meist keine angenehmen Menschen. Zu oft schauen sie ängstlich in den Spiegel, um sich ihrer Attraktivität zu vergewissern. Angela Merkel und Guido Westerwelle jedenfalls haben bei ihrer nun schon anderthalb Jahre währenden Cabriofahrt ständig in ihren Umfragen- und Presse-Schminkspiegel geschaut – anstatt mal auf die Straße zu gucken. Das hätte geholfen, denn alle paar Meter gibt es Abbiegungen. Manch eine führt in die Zukunft.
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Eine Marke der Daimler AG
Eine Klasse voraus. Die neue Generation C-Klasse. ��������������������������������������� ������������������������������������������������������������������������� ���������������������������������������������������������������������� ������������������������������������������������������������������ ��������������������������������������������������������������������� ������������www.mercedes-benz.de/c-klasse
Kompakt Kompakt
Linken-Abgeordnete protestierten 2010 gegen den Afghanistan-Einsatz. Bald könnten solche Aktionen Strafgeld kosten. B U N D E STAG
Protest kostet 1000 Euro Abgeordnete, die Sitzungen des Bundestags stören, müssen künftig Strafe zahlen. Der Geschäftsordnungsausschuss des Parlaments hat dafür den Weg frei gemacht, „nach intensiven Beratungen“, wie der Vorsitzende Thomas Strobl (CDU) abschließend erklärte. Die Fraktionen müssen nun noch einer Änderung des Abgeordnetengesetzes zustimmen, nach der künftig bei einer „nicht nur geringfügigen Verletzung
der Ordnung oder der Würde des Bundestags“ Strafen in Höhe von 1000 Euro fällig werden, im Wiederholungsfall doppelt so viel. Auch nonverbale Aktionen kann der Bundestagspräsident in Zukunft mit einer Strafzahlung sanktionieren. Die Linke stimmte gegen den Vorstoß, es gebe keinen Anlass, die Geschäftsordnung zu verschärfen. Die Partei machte im Februar 2010 mit einer größeren Protestaktion Schlagzeilen:
I M T E R N E T KO M P E T E N Z
FINANZWIRTSCHAFT
Wenig Vertrauen
Lobby-Initiative löst sich auf
www.bitkom.de
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IFD-Chef Heinrich Haasis
Die Initiative Finanzstandort Deutschland (IFD) hat sich mehreren Medienberichten zufolge am 1. April aufgelöst. Hintergrund ist die starke thematische Überschneidung der IFD mit anderen Institutionen der Kreditwirtschaft. Aufgrund dieser hatten die meisten Versicherungs-
unternehmen die IFD bereits Ende 2010 verlassen. Zudem hatte der Dachverband der Kreditwirtschaft, der Zentrale Kreditausschuss, sich mit den verbliebenen Themen ebenfalls befasst. Die IFD nahm seit 2003 Einfluss auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen in der Finanz- und Versicherungsbranche, zu den 18 Gründungsmitgliedern gehörten unter anderem Morgan Stanley, die Allianz und die Deutsche Börse. Anders als andere Lobby-Vereinigungen war die IFD in lose Arbeitsgruppen ohne Geschäftsführung gegliedert. Ungewöhnlich auch: die Mitgliedschaft der Bundesbank und des Finanzministeriums. Zuletzt führte Heinrich Haasis, Präsident des Sparkassen- und Giroverbands, die IFD. Die Initiative selbst wollte zur Auflösung keine Stellung beziehen. pol it ik & kommunikation | April 2011
Fotos: www.flickr.de/DIE LINKE; www.marco-urban.de
Kennen deutsche Politiker sich gut genug mit dem Internet aus? 42 Prozent der Bundesbürger meinen: nein. Nach einer Umfrage des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) bewerten unter allen Deutschen ab 18 Jahren nur 31 Prozent die Internetkenntnisse der Politiker als ausreichend. Vor allem die jungen Männer zeigen sich skeptisch. Bei den männlichen Befragten bis 29 Jahre zweifeln 57 Prozent an der Internetkompetenz der Volksvertreter. Jede zweite Frau in dieser Altersklasse glaubt hingegen, die Politiker hätten ausreichende Internetkompetenzen.
Linken-Abgeordnete hielten Schilder mit den Namen von Opfern des Luftangriffs der Bundeswehr in Kunduz vom September 2009 in Richtung der Regierungsbank. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) schloss die Abgeordneten von der Sitzung aus. Diese schärfste Sanktionsmaßnahme ist auch nach Einführung des neuen Ordnungsgelds möglich, genau wie der Ordnungsruf.
Kompakt
ST E UE R Z A H L E R B U N D
UMFRAGE
Ranking der unnützen Ausgaben
Durchregieren!
Es sind oft die unauffälligen Posten, vor allem Subventionen, die den Bundeshaushalt belasten: Das meint der Bund der Steuerzahler (BdSt), der mit der „Aktion Frühjahrsputz“ im März auf aus seiner Sicht bedenkenswerte Ausgaben hingewiesen hat. „Skurrile, überteuerte und unsinnige Fördermaßnahmen“ wie Subventionen etwa für Lippenstift führte der Verein auf. Bei der Aktion wiesen sie an jedem Tag des Monats auf eine vermeintlich sinnlose Ausgabe im Bundeshaushalt hin. „Wer wie der Bund über 1000 Milliarden Euro Schulden hat, muss endlich da-
mit au�ören, praktisch alles und jeden mit Förderprogrämmchen zu subventionieren“, begründete BdSt-Präsident Karl Heinz Däke den Frühjahrsputz. „Die üblichen Behauptungen der Regierungen, nur begrenzt sparen zu können, sind ein Mythos.“ Der BdSt führt beim Frühjahrsputz unter anderem ein Programm des Bundestags auf, der 31 Millionen Euro jährlich dafür ausgibt, Gäste in Berlin zu empfangen. Auch auf der Liste: ein Programm des Bundeslandwirtschaftsministeriums, das die Entwicklung einer Erntemaschine für Kamillenblätter fördert.
Verschwendung? – Die Liste des Steuerzahlerbunds Maßnahme
Fotos: www.wikimedia.org; Universität Dresden; www.marco-urban.de; Privat; Universität Trier; www.marco-urban.de
Quelle: Bund der Steuerzahler Kosten in Euro
31 Millionen 10 Millionen 2,3 Millionen 2,2 Millionen 1,44 Millionen 1,4 Millionen 1,2 Millionen 702.000 355.000 260.000
Bundestag lädt Besucher nach Berlin Geplante Stiftung Datenschutz der Bundesregierung Förderung zur Erforschung effizienter Generatoren Feldversuch „Future Fleet“ zum Test von Elektroautos Projekt zur „spielerischen Förderung von IT-Kompetenzen“ Förderung für die Erforschung ungesättigter Fettsäuren („Allipids“) „InduKOCH“, Entwicklungsförderung für Induktionsherde Entwicklung eines „Innovationsdialogs“ Förderung zur Entwicklung einer Erntemaschine für Kamillenblätter Förderung zur Entwicklung eines Lippenstifts auf Torfbasis
Der Wunsch nach einem „starken Mann“ an der Spitze des Staates ist in vielen europäischen Ländern groß. Laut einer von der FriedrichEbert-Stiftung in AufGefragt: Politiker trag gegebenen Umfrawie de Gaulle ge wünschte sich jeder dritte Deutsche einen Regierungschef, der sich „weder um das Parlament noch um Wahlen schert“. In Großbritannien und Frankreich hatten mehr als 40, in Portugal und Polen sogar mehr als 60 Prozent der Befragten diesen Wunsch. WAHLKAMPF IN BERLIN
Vor-Abstimmung Die Berliner CDU will im Wahlkampf mit Bürgerbeteiligung punkten: Spitzenkandidat Frank Henkel fordert die Berliner auf, online darüber abzustimmen, welche Probleme die drängendsten in der Stadt sind. Derzeit ganz oben: zu viel Unterrichtsausfall in den Schulen. www.richtig-fuer-berlin.de
TENEXPER P T IP
Rösler FDP-Chef: Kann er den Abwärtstrend der Liberalen stoppen?
Wolfgang Ismayr (Uni Dresden)
Karl-Rudolf Korte (Uni DuisburgEssen)
Wichard Woyke (Uni Münster)
Uwe Jun (Uni Trier)
Peter Lösche (Uni Göttingen)
Nach Aufgabe des Parteivorsitzes: Hat Westerwelle noch die nötige Autorität, um Außenminister zu bleiben? Wende in der Atompolitik: Verliert die Union ihre Unterscheidbarkeit?
Steinmeier im Forsa-Ranking vertrauenswürdigster Politiker: Wäre es klug von der SPD, ihn noch einmal zum Kanzlerkandidaten zu machen? Grüne stellen erstmals Regierungschef: Muss die SPD nun künftig öfter die Rolle des Juniorpartners übernehmen?
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Kompakt
POLITIK IM NETZ
TRANSPARENZDEBATTE
Regierung gegen Lobbyregister
Bürgerrechtspartei
Ulrich Müller (links) von Lobbycontrol fordert ein Lobbyregister, Armin Schuster (CDU) ist das zu teuer
Die Einführung eines Lobbyregisters ist im Bundestag vorerst gescheitert. Der Vorstoß der SPD, neben der Pflichtregistrierung auch einen Verhaltenskodex für Interessenvertreter und Regeln für die Mitarbeit von Wirtschaftsvertretern an Gesetzentwürfen einzuführen, fand keine Zustimmung der Regierungsfraktionen. Der CDU-Abgeordnete Armin Schuster, Mitglied der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung von CDU/CSU, argumentierte, ein Register helfe wenig: „Unlautere Einflussnahme läuft subtil ab und ist nicht zu verorten.“ Außerdem sei ein Register mit hohen Personal- und Verwaltungskosten verbunden. Ulrich
UMWELTSCHUTZ
Kinder-Initiative nun ein Verein Die im Jahr 2007 gestartete Schülerinitiative Plant-for-the-Planet ist jetzt ein Verein. Die Gründungsmitglieder wählten den Schüler und Initiator Felix Finkbeiner zu ihrem Weltpräsidenten. Insgesamt besteht der Weltvorstand aus 14 Kindern. Über 100.000 Kinder in 98 Ländern wollen durch Baumpflanzaktionen das Umweltbewusstsein der Menschheit stärken. Der Präsident der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände, Philipp zu Guttenberg, sitzt dem neu gegründeten Freundeskreis von Erwachsenen vor. Diese unterstützen die Kinder bei der Kommunikation und dem Sammeln von Spenden für das Projekt.
Alexander Görlach ist Herausgeber und Chefredakteur des OnlineMagazins „The European“. www.theeuropean.de Für politik&kommunikation befasst Görlach sich in jeder Ausgabe mit Netzpolitik und dem Einsatz des Internets durch die Politik.
Der neue Vorstand von „Plant for the Planet“
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Müller, Vorsitzender der lobbykritischen Initiative Lobbycontrol, kritisierte diese Haltung in der Polit-Talkshow Maybrit Illner: „Schwarz-Gelb weigert sich beharrlich, das Thema Lobbyismus überhaupt ernst zu nehmen.“ Dominik Meier von der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung sprach sich ebenfalls für mehr Kontrolle aus. „Jeder muss wissen, wer für wen und mit welchen finanziellen Mitteln Interessenvertretung betreibt.“ Unterdessen beschloss der Brandenburger Landtag Ende März die Einführung eines Lobbyregisters, in dem nicht nur Vereine und Verbände, sondern auch Anwaltskanzleien und Unternehmer erfasst werden.
www.plant-for-the-planet.org pol it ik & kommunikation | April 2011
Fotos: Privat; www.wikipedia.de; www.marco-urban.de; www.plant-for-the-planet.org
Der neue Innenminister zeigt Kante: Hans-Peter Friedrich will die Vorratsdatenspeicherung und die Visa-Warndatei. Ob seiner strikten Haltung wurde er in den Medien auch schon als „Schäuble zwo“ geschmäht. Dem Koalitionspartner der Union, den Liberalen, kann dieser Furor alles andere als recht sein. Die Gelben stellen sich derzeit neu auf und entdecken dabei ihre Wurzel als Bürgerrechtspartei neu. Um den Skandal nicht ganz perfekt zu machen und den neuen Parteichef Philipp Rösler nicht zu düpieren, bevor er auf dem Parteitag im Mai überhaupt gewählt sein wird, hat Friedrich zugestimmt, Seiten mit kinderpornographischem Inhalt nun doch zu löschen und nicht mehr nur, wie es das CDU-Konzept war, sperren zu lassen. Der CSU-Mann ist den Deal nur eingegangen, weil er von den Liberalen Entgegenkommen bei seinen Online-Projekten erwartet. Jetzt, wo die Deutschen wieder einen Hardliner aus Bayern als Innenminister haben, ist die Chance für die FDP gekommen, sich als Partei der Bürgerrechte zu etablieren. Bedarf dafür ist allemal.
Kompakt
Foto: www.wikimedia.org
Aufgedeckt: Reiner, „The Off“ teren Damen bewohnten Erinnern Sie sich an dieses Video bei YouSachsen-Anhalt kommt tube, in dem der sachsowas Haseloff zugute, sen-anhaltische Mibei Hasselhoff ist eh alles nisterpräsident Reiner irgendwie egal. Die ganze Namensverwirrung ist Haseloff betrunken eigentlich auch überflüsauf seinem Küchenboden kriechend zu sig. Schließlich firmiert sehen ist, wobei er Hasselhoff ja inzwischen lallend versucht, eials „The Hoff“, das klingt nen Cheeseburger zu schon anders als Havertilgen? Moment, seloff. Der übrigens wohl halt, Verwechslung! kaum auf die Idee käme, Das war gar nicht sich einen Spitznamen der CDU-Politiker nach ähnlichem Muster Nicht Reiner Haseloff Haseloff, sondern zuzulegen, klänge „The Off“ schließlich eher David Hasselhoff. Sorry, kann ja mal passieren. Haseloff nach Politikaussteiger, wo Haseloff und Hasselhoff wissen das beide sehr doch gerade erst mal richtig loslegen gut, deshalb trafen sie sich vor kurzem will. Ins schöne Magdeburg kam Hasselhoff anschließend nicht mehr. Vielin Berlin. Haseloff erzählte dann Hasselhoff, dass viele denken, er sei er, und leicht besser für die dortige Hauptstraße nicht Haseloff. Oder so ähnlich, ist auch im Stalin-Stil. Man erinnert sich ja nur egal, denn im Grunde ging es nur darzu gut, was mit dem letzten kommuum, dass der Wahlkämpfer Haseloff mit nistischen Bauwerk geschah, nachdem Baywatch-Star Hasselhoff abgelichtet Hasselhoff darauf gesungen hat. Es werden wollte. Gerade im von vielen äl- stürzte in sich zusammen.
BÜRGERFORUM
Ideen für Wulff Bundespräsident Christian Wulff hat im März das Bürgerforum 2011 eröffnet. In dem Online-Forum sollen die Bürger Ideen einbringen, wie der gesellschaftliche Zusammenhalt verbessert werden kann. 10.000 zufällig ausgewählte Teilnehmer erarbeiten zunächst in 25 Regionalgruppen Lösungsvorschläge für sechs vorgegebene Politikfelder, von Bürgerbeteiligung über Integration bis hin zu Bildung. Diese Vorschläge werden in einem regionalen Bürgerprogramm zusammengefasst. Am Ende des Prozesses steht das bundesweite Bürgerprogramm, dass Ende Mai der Öffentlichkeit und dem Bundespräsidenten überreicht werden soll. Das Bürgerforum ist eine Initiative des Bundespräsidenten, der Bertelsmann-Stiftung und der HeinzNixdorf-Stiftung. www.buergerforum2011.de
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Politik
Seltener wählen? In sieben Bundesländern sind die Bürger in diesem Jahr aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. Kritiker befürchten, dass der ständige Wahlkampf die Bundespolitik lähmt. Ihr Vorschlag: Die Landtagswahlen in Deutschland nach Art der HALBZEITWAHLEN in den USA auf wenige Termine zu bündeln – doch ist eine solche Reform sinnvoll?
Pro
Kontra
VON S I LVA N A KO C H - M E H R I N
VON UWE JUN
enn, wie in diesem Jahr, sieben Landtagswahlen in Folge anstehen, leidet die Qualität der politischen Arbeit. Natürlich haben Regierungen bei ihren Entscheidungen immer auch die nächste Wahl im Blick. Unpopuläre Entscheidungen will vor einer Wahl niemand treffen. Wenn dauernd Wahlkampf ist, sind Entscheidungen oft nicht so konsequent, wie sie sein sollten. Vor allem aber ist die Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt: In der Demokratie geht es immer darum, Mehrheiten für Politik zu gewinnen – und da braucht es Zeit für Argumente. Kommt es durch häufige Wahlen ständig zu veränderten Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat, ist eine mitteloder gar langfristige Planung nicht mehr möglich. Das lähmt die Politik und verärgert die Bürger. Wir haben einfach zu viele Wahltermine in Deutschland. Das ist nicht nur schlecht für die Politik insgesamt, sondern auch schlecht für den einzelnen Politiker. Ein permanenter Einsatz in Wahlkämpfen kann nicht Sinn und Zweck von politischem Handeln sein. Es wäre daher ausgesprochen sinnvoll, Wahltermine künftig stärker zu bündeln. Um dies zu erreichen, wäre es zunächst einmal sinnvoll, die Dauer der Legislaturperioden in Bund und Ländern zu vereinheitlichen – gewählt werden sollten die Parlamente dann für einheitlich vier oder fünf Jahre. In einem zweiten Schritt sollten die Wahltermine so festgelegt werden, dass in der Mitte einer Bundestags-Legislaturperiode in allen Bundesländern gleichzeitig die Landtagswahlen stattfinden. So machen es die Amerikaner, und das ist kein schlechtes System: Man hätte wenigstens zweieinhalb Jahre Gelegenheit, ohne Rücksichtnahme auf kurzfristige politische Stimmungen und ohne ständige Unterbrechungen durch Wahlkämpfe vernünftige Politik zu planen und auch durchzusetzen.
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estgelegte Landtagswahlen in der Mitte der Legislaturperiode des Bundestags würden eine partielle Aushöhlung des deutschen Föderalismus nach sich ziehen. Die Länder könnten nicht über den Wahltermin entscheiden und die Wahlen würden voraussichtlich zunehmend unter Bundeseinfluss geraten. Schon jetzt bestimmt die Bundespolitik die Ergebnisse von Landtagswahlen oftmals mit. Die Gefahr oder die Versuchung wären groß, Wahlen inmitten der Legislaturperiode zur Abstimmung über die Politik der Bundesregierung zu instrumentalisieren. Landtagswahlen hätten dann primär die Funktion einer bundespolitischen Stimmungswahl. Da sie zudem die Zusammensetzung des Bundesrats beeinflussen, läge ihre bundespolitische Bedeutung auf der Hand. Dies hätte zwei mögliche negative Konsequenzen: Zum einen – demokratisch bedenklich – würde die Zurechenbarkeit politischer Verantwortung vollends verwischt. Nicht die Leistungen von Landesparteien und -regierungen wären entscheidend, sondern die Bundespolitik würde die Wahlen weitgehend überlagern. Zum anderen würde sich vermutlich das Gegenteil dessen einstellen, was eine Veränderung der Wahltermine bewirken soll: „Permanent Campaigning“ würde zunehmen und die effektive Legislatur einer Regierung möglicherweise auf zwei Jahre verkürzt. Obwohl die Bundesregierung nicht zur Wahl stünde, könnte der Ausgang solcher Wahlen zu einem Legitimitätsentzug führen und durch veränderte Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat den Handlungsspielraum einer Regierung beträchtlich schmälern. Jede Bundesregierung müsste solchen Zwischenwahlen schon zur Sicherung der eigenen Existenz höchstes Augenmerk schenken und den Wahlkampf dafür frühzeitig beginnen. Dass die parlamentarische Opposition eine solche Zwischenwahl taktisch und strategisch für sich nutzen möchte, steht außer Frage. Noch mehr als zurzeit dürfte dann gelten: „Nach der Wahl ist vor der Wahl.“
Silvana Koch-Mehrin (FDP)
Uwe Jun
ist Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Sie gehört dem FDPBundesvorstand an und ist Vorsitzende der Deutschen Landesgruppe der liberalen ALDE-Fraktion im Europäischen Parlament.
ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier. Er ist außerdem Sprecher des Arbeitskreises „Parteienforschung“ der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft.
pol it ik & kommunikation | April 2011
Fotos: www.marco-urban.de; FDP; Universität Trier
W
UNSER PROGRAMM FÜR DIE ZUKUNFT:
Individuelle Vorhaben fördern, die der Gesellschaft und Wirtschaft nachhaltig nutzen.
Die KfW Bankengruppe ist eine der führenden und erfahrensten Förderbanken der Welt. Unser Wissen und unsere Kraft setzen wir für die nachhaltige Verbesserung wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Lebensbedingungen ein. Mehr Informationen über die KfW erhalten Sie unter www.kfw.de
Die Zukunftsförderer
Kampagne
Das Musikkorps der Bundeswehr beim feierlichen Gelöbnis vor dem Reichstag am 20. Juli
Kampf um die Köpfe Am 1. Juli wird die Bundeswehr zur FREIWILLIGENARMEE. Erstmals seit über 50 Jahren muss sie um Soldaten werben – und stößt mit ihrer Kampagne auf Kritik. VON FLORIAN R E N N E B E R G
G
erade einmal drei Wochen ist Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière im Amt, als er Ende März vor den Deutschen Bundestag tritt. In seiner Rede skizziert der Minister die Zukunft der Bundeswehr als Freiwilligenarmee. Es ist eine riesige Baustelle, die er von seinem Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg geerbt hat, und de Maizière macht deutlich: „Ich finde das keinen Freudenakt heute, dass wir die Wehrpflicht aussetzen.“ Dennoch zeigt er sich entschlossen, die Bundeswehrreform voranzutreiben – und die Wehrpflicht durch den sogenannten Freiwilligen Wehrdienst zu ersetzen. „Wir müssen sichergehen, dass wir die Fähigsten und die Besten für diesen neuen Freiwilligen Wehrdienst gewinnen“, sagt er. Eine groß angelegte Werbe-Kampagne soll helfen, junge Menschen für den Dienst 14
bei der Bundeswehr zu gewinnen. Dafür hat das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) seinen Etat für Personalwerbung im Vergleich zum Vorjahr um fünf Prozent aufgestockt: Insgesamt stehen dem Ministerium 5,7 Millionen Euro zur Verfügung. Doch wie überzeugt man junge Menschen vom Arbeitgeber Bundeswehr? Militärische Disziplin, straffe Hierarchien und die Gefahr, in kriegerische Auseinandersetzungen zu geraten, sind nicht für jeden potenziellen Bewerber attraktiv. Im März traten gerade einmal 380 Rekruten ihren Dienst an, im April waren es immerhin etwa 900. Um die geplante Truppenstärke zu erreichen, sollen jährlich rund 15.000 junge Männer und Frauen mindestens ein Jahr lang freiwillig ihren Wehrdienst leisten. In TV- und Radiospots, in Zeitungen und auf Internetseiten wirbt die Bundeswehr um neue Rekruten. Das Rezept scheint einfach: Die Armee, so die Botschaft der Kampagne, bietet jun-
gen Menschen eine Karriere mit Zukunft. Sie lockt vor allem mit Weiterbildung und schnellen Beförderungen. Der Umgang mit Waffen, die körperlichen Belastungen der Grundausbildung oder Auslandseinsätze in Kriegsgebieten kommen in der Werbung so gut wie nicht vor. Auch ein Sprecher des Verteidigungsministeriums hebt die zivilen Vorzüge des Arbeitgebers Bundeswehr hervor: „Wir sind ein sicherer Arbeitgeber, der überall in Deutschland präsent ist und in die Aus-, Fort- und Weiterbildung seiner Angestellten investiert.“ Dieser Fokus stößt bei Militärexperten auf Kritik. „Die Bundeswehr ist kein Betrieb wie jeder andere, in dem die Angestellten bloß statt eines Blaumanns eine Tarnuniformen tragen – ein Engagement bei der Bundeswehr birgt immer das Risiko, in gewaltsame Auseinandersetzungen verwickelt zu werden“, sagt etwa Thomas Wiegold. Wiegold ist Journalist und berichtet seit den frühen 90er Jahren über pol it ik & kommunikation | April 2011
Kampagne
können. Es gibt Jobs, die Bundeswehr. Seit Anzeige die riskanter sind als vergangenem Jahr andere. Trotzdem ist schreibt er in seinem es richtig, auch diese Blog „Augen Geradeaus!“ über die Armee. zu bewerben.“ Die Wehrpflicht Auch in der im hatte den Kampf um April angelaufenen Advertorial-Kampadie Köpfe extrem erleichtert. Nun muss gne in „Bild“, „Bild die Bundeswehr jeden am Sonntag“ und auf Einzelnen von einem „Bild.de“ dominieren Aktenordner und Engagement bei der Computer die PlaArmee überzeugen. kate: „Mein AufgaWiegold: „Die Menschen schätzen die benfeld lässt sich als Bundeswehr zwar als ‚Kaufmann light‘ umschreiben und ist eiInstitution, bewusst gentlich ein normanehmen sie sie aber ler Bürojob.“ So benur wahr, wenn etwas schreibt eine junschief geht – beispielsDie private Krankenversicherung macht es vor: Sie trifft Vorsorge für die im Alter steigenden Gesundheitskosten ihrer Versicherten. Ein verlässliches Polster, das alle weise in Afghanistan.“ ge Frau ihren Alltag Finanzkrisen unbeschadet überstanden hat und auch in Zukunft eine optimale Gerade hochqualifials Stabsdienstsoldamedizinische Versorgung sichert. Ganz ohne staatliche Zuschüsse. So schont die zierte junge Menschen tin in einer Luftwafprivate Krankenversicherung auch alle Steuerzahler. www.gesunde-versicherung.de fenkaserne. Ein junstehen der Bundeswehr oftmals gleichger Mann, der als NaPKV – Die gesunde Versicherung. gültig oder ablehnend vigator auf einem gegenüber. Eine Arbeit Versorgungsschiff arbeitet, wirbt: „Wenn in der freien Wirtschaft bietet mehr Prestige und ist in der Regel luich morgens den Sonnenaufgang auf See dizinern: „Da werben Sie auch nicht damit, dass Sie eventuell jemanden erschiekrativer. Der Historiker Michael Wolffsohn erlebe, weiß ich, dass ich den richtigen Job ßen müssen oder ihre Patienten sterben gewählt habe.“ Es ist vor allem „diese Fallwarnte unlängst gar, die Bundeswehr werde höhe zwischen Werbung und Einsatzrezur Prekariatsarmee, in der die Armen und alität“, die Sascha Stoltenow bemängelt. Perspektivlosen dienen. Dass die Bundeswehr es schwer hat, Er kennt die Truppe von innen, war Fallschirmjägeroffizier und für die Armee im hochqualifizierte junge Menschen für sich „BILD“-KAMPAGNE Jugoslawien-Einsatz. Heute ist er Berater zu gewinnen, bezweifelt kaum jemand. bei der Kommunikationsagentur Script Auch im BMVg sind sich die Verantwortlichen dieses Problems bewusst: „Es gibt Nicht nur die Inhalte der Werbekampaund schreibt im „Bendler-Blog“ über die ein Gefälle zwischen strukturstarken und gne haben Kritiker auf den Plan geruKommunikation sicherheitspolitischer fen. Etwa 600.000 Euro – 12,5 Prozent Themen. „Die Spannung-, Spiel- und -schwachen Regionen“, so ein Sprecher. Die Warnung Wolffsohns vom Prekarier des Gesamtbudgets – investiert das Spaß-Ideologie“, mit der die Bundeswehr in Uniform hält er jedoch für unbegrünBMVg in eine Advertorial-Kampagne um Rekruten werbe, versage den aktiven det. Dennoch steht die Bundeswehr vor in „Bild“, „Bild am Sonntag“ und auf Soldaten die Anerkennung, kritisiert er: einer großen Herausforderung, will sie für „Bild.de“. Die linke Tageszeitung „taz“ „Wir brauchen keinen Hurra-Patriotismus wie in den USA, aber ein aufgeklärtes alle Gesellschafts- und Bildungsschichund Oppositionspolitiker unterstellten attraktiv sein. „Das kann das Verteiten einen Zusammenhang zwischen Bewusstsein dafür, dass sich der Soldatender positiven Berichterstattung der digungsministerium nicht anordnen“, so beruf von anderen abgrenzt.“ „Bild“-Zeitung über den früheren Blogger Stoltenow, „sondern es muss sich Nicole Karepin, Kommunikationschefin der Mediaagentur Zenithmedia, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu die Anerkennung der Bevölkerung in eistellt klar, dass das Risiko für die Rekruten nem stetigen Diskurs erarbeiten.“ Guttenberg und den Werbe-Investitionen des BMVg. Nicole Karepin von durchaus thematisiert werde. Die AgenBis zu 185.000 Soldaten sollen in der reformierten Bundeswehr ihren Dienst tun. tur hat die Mediastrategie für das Verteider zuständigen Werbeagentur weist Als Thomas de Maizière Ende März zu den digungsministerium ausgearbeitet. Erst diese Vorwürfe zurück: „Dass wir die ‚Bild‘-Titel für die Advertorial-KampaAbgeordneten des Deutschen Bundestags einmal gehe es jedoch darum, das Interesse der potenziellen Bewerber zu wegne ausgewählt haben, ist auf deren spricht, relativiert er dieses Ziel: „Ich werde keine Zahlen nennen, von denen ich cken, so Karepin. Im zweiten oder dritten unübertroffene Reichweite zurückzuführen. Was ‚Bild‘ berichtet, wird zum glaube, dass sie am 1. Juli den neuen FreiSchritt würden die negativen Aspekte anGespräch.“ willigen Wehrdienst antreten werden. Ich gesprochen. Sie vergleicht die Soldatenfreue mich über jeden, der kommt.“ Werbung mit der von Polizisten oder Me-
Foto: Sebastian Wilke
Vorbildlich: eine Krankenversicherung mit eingebauter Altersvorsorge.
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Die Jagd hat begonnen Im April hat Barack Obama den Startschuss für seine zweite PRÄSIDENTSCHAFTSKAMPAGNE gegeben. Die Republikaner suchen ihren Kandidaten noch, doch schon jetzt zeigt sich: Die Konservativen haben aus der Niederlage 2008 gelernt. Sie wollen Obama mit seinen eigenen Mitteln schlagen.
VON JOHANNES A LT M E Y E R
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er US-Wahlkampf ist eröffnet. Obwohl die Präsidentschaftswahlen erst in 19 Monaten stattfinden, grassiert schon jetzt das Wahlkampffieber. Das liegt an dem Mann, der vor drei Jahren mit seiner Botschaft von „Wandel“ und „Hoffnung“ einen historischen Wahlsieg feiern konnte: Barack Obama. Anfang April nun verkündete er – gewohnt internetaffin – via E-Mail, Facebook, Youtube und Twitter, dass er sich 2012 zur Wiederwahl stelle und fragte seine Anhänger: „Are you in?“ Die Ankündigung alleine war nicht überraschend, schließlich hatten sich der Präsident und seine Wahlkampfstrategen seit Monaten darauf vorbereitet. Und doch 16
schaffte es Obama wieder einmal, die Politikwelt zu überraschen. Der Grund dafür ist die rund zweiminütige Videobotschaft, die Obamas erneuten Präsidentschaftswahlkampf ankündigt. Unterlegt mit sanfter Gitarrenmusik erklären fünf Anhänger, warum das Land Obama am 6. November 2012 für vier weitere Jahre ins Weiße Haus wählen sollte. Der 49-Jährige selbst tritt in dem Video überhaupt nicht auf – was die Medien kritisch kommentierten: „Keine Präsidentschaftskampagne beginnt im Kollektiv“, war wenige Stunden, nachdem das Video an die Anhänger des Präsidenten verschickt wurde, auf der Webseite des „Time Magazine“ zu lesen. Im Zentrum stehe normalerweise der Kandidat.
Die Erklärung für Obamas Wahlkampfstart liegt auf der Hand: Der Präsident will seine Kampagne erneut als Basisbewegung starten. „Das ist nicht meine Kampagne, sondern Eure“, sagte er Mitte April vor Anhängern in Chicago. Leicht wird es nicht, die Magie aus dem Jahr 2008 wieder aufleben zu lassen. Vor allem ein polarisierender Gegner fehlt. George W. Bush, Obamas Amtsvorgänger, war das Symbol einer gescheiterten Politik. Er schweißte die Demokraten zusammen und mobilisierte sie. „Es war die richtige Entscheidung, mit diesem Video zu starten“, sagt Jonathan Kopp. Er war einer von Obamas Medienberatern während dessen erster Präsidentschaftskampagne; seit Anfang 2009 ist er pol it ik & kommunikation | April 2011
Foto: Pete Souza
Im August 2009 hielt Barack Obama eine finanzpolitische Rede in Wakarusa, Indiana – danach ging es mit der Air Force One zurück nach Washington
für die digitale Kommunikation bei der PR-Agentur Ketchum in New York zuständig. Kopp findet es gut, dass der Präsident in dem Video selbst nicht auftritt. „Er will damit sagen, dass er dafür keine Zeit hat: Er muss das Land regieren.“ Wichtig sei aber auch ein anderes Merkmal des Kampagnenstarts, das viel über den bevorstehenden Wahlkampf aussage: die Verbindung zu den sozialen Medien. „Sie werden 2012 das zentrale Element des Wahlkampfs sein“, sagt Kopp. Die Art, wie Obama den Kampagnenstart mit seiner Facebook-Seite verbunden hat, zeigt, wie stark US-Politiker auf das Netzwerk setzen. Denn auch dort stellte Obama die Frage: „Are you in?“ Klickt ein Nutzer nun „Ja“ an, zeigt er damit auch auf der eigenen Facebook-Seite seine Unterstützung für den Demokraten an. Kopp nennt das eine „geschickte Peer-to-Peer-Maßnahme“. Gemeint ist damit eine Kommunikation innerhalb einer homogenen Bevölkerungsgruppe, Jugendlichen beispielsweise. Für den Ketchum-Berater hat diese Art der Werbung einen weiteren Vorteil: „Das ist eine fast spielerische Art, sich für einen Kandidaten einzusetzen.“ Gerade in den sozialen Netzwerken könnten Politiker so leicht auf sich aufmerksam machen.
Bereits Anfang des Jahres machte der 50-Jährige mit einem aufwendig produzierten Web-Video auf sich aufmerksam. Dieses war Teil einer Werbekampagne für Pawlentys neues Buch, mit seinen schnellen Schnitten und seiner heroischen Musik hätte es aber auch Werbung für einen Actionfilm aus Hollywood sein können. Die Aufmerksamkeit der Medien war Pawlenty sicher – und so war es logisch, dass der Republikaner einen solchen Spot auch ein-
Konservativen tun sich schwer, geeignete Gegenkandidaten für Obama zu finden. Zum Vergleich: Vor vier Jahren hatten um diese Zeit bereits acht Republikaner ihre Kandidatur angekündigt. „Die hohe politische Polarisierung im Land führt zu einem intensiveren Wahlkampf. Überzeugte Anhänger beider Parteien gibt es genug: Sie beobachten jedes neue Video und jede neue Microsite ganz genau“, sagt Bohne. Er erwartet, dass sich vor allem die Webseiten
Unnötige Parallelstrukturen Es war also ein kluger Schachzug, dass Obama Mitte April in der Facebook-Firmenzentrale im kalifornischen Silicon Valley ein „Townhall-Meeting“ veranstaltete, bei dem er sich den Fragen der Facebook-Nutzer stellte. Das Besondere: Die Fragestunde wurde live auf Facebook und der Webseite des Weißen Hauses ausgestrahlt sowie von Mark Zuckerberg moderiert, dem 26-jährigen Erfinder des Netzwerks. Ein Angebot, das kein US-Politiker hätte ausschlagen können. Natürlich ist ein solches Medienereignis dem Präsidenten vorbehalten. Doch haben längst auch dessen Gegner erkannt, wie mächtig die digitalen Kommunikationsmittel sind. Ein gutes Beispiel dafür ist Tim Pawlenty. Der ehemalige Gouverneur von Minnesota hat Mitte März als erster Republikaner offiziell erklärt, dass er mit einem „Erkundungskomitee“ seine Chancen auf eine Kandidatur ausloten wolle. Wo erfuhren seine Anhänger zuerst davon? Auf Twitter und Facebook. Doch Pawlenty hat es auch verstanden, eine andere Plattform beinahe perfekt für sich einzusetzen: Youtube. pol it ik & kommunikation | April 2011
Newt Gingrich (oben links) und Rick Santorum (unten rechts) kündigten auf ihren Webseiten an, gegen Obama anzutreten. Tim Pawlenty (oben rechts) und Mitt Romney (unten links) setzten auf Youtube-Videos.
setzte, um sein Erkundungskomitee anzukündigen. Hinter den Videos steckt der 23jährige Filmemacher Lucas Baiano, der im Youtube-Blog erklärt, warum seine Videos eine so große Resonanz auslösen: „Es geht um den EQ, den emotionalen Quotienten eines Kandidaten.“ Erfolgreich könne eine Kampagne nur sein, wenn sie die Botschaft des Kandidaten glaubwürdig und emotional vermittle. Sei das der Fall, könnten die Youtube-Videos ein besonders wirkungsvolles Wahlkampf-Instrument sein. „Der Vorwahlkampf der Republikaner gewinnt bereits jetzt an Fahrt“, sagt der Politikberater Maik Bohne, Co-Autor des 2008 erschienenen Buchs „Von der Botschaft zur Bewegung – die 10 Erfolgsstrategien des Barack Obama“. Der Grund: Die
der Kandidaten in einem Punkt angleichen werden: „Kampagnenplattformen werden als schlanke ,Action Center‘ aufgesetzt, die Aktivisten schnell zeigen, was sie tun können.“ Ein eigenes Netzwerk, wie es die Obama-Kampagne 2008 mit „MyBarackObama.com“ aufgebaut hat, wird in Zeiten von Facebook und Twitter überflüssig. „Das sind unnötige Parallelstrukturen, die sich die Politiker sparen können“, sagt Bohne. Auch Jonathan Kopp geht davon aus, dass sich diese „Action Center“ – er nennt sie jedoch „hubs“ oder „home rooms“ – als zentrales Wahlkampfinstrument durchsetzen werden. Fürdie Kampagnenmacher komme es darauf an, Inhalte zu liefern, die die Nutzer in ihren sozialen Netzwerken verbreiten. „Kandidaten, die lediglich ver17
suchen, viele Nutzer auf ihre Webseite zu ziehen, haben die Möglichkeiten der sozialen Medien nicht begriffen.“ Der Duisburger Politikwissenschaftler Christoph Bieber, dessen Forschungsschwerpunkte die politische Kommunikation und die Neuen Medien sind, behandelt das Thema Online-Wahlkampf in den USA seit langer Zeit auf seinem Blog „Internet und Politik“. Er glaubt, dass die Republikaner – trotz der noch unsicheren Kandidatenauswahl – die mächtige Wahlkampfmaschine Obamas in Bedrängnis bringen könnten. „Die Republikaner haben in den vergangenen Jahren genau analysiert, was Obama mit seiner Kampagne erreicht hat.“ Rechne man nun die Mobilisierungskraft der erzkonservativen Tea Party und mögliche potenzielle Wahlkampffehler der Demokraten dazu, könne
Dem politisch unerfahrenen Republikaner gelang es im Januar 2010, bei einer Nachwahl den Senatssitz des verstorbenen Edward Kennedy zu erobern – und das im liberalen Ostküstenstaat Massachusetts. Browns Vorteil war nicht nur, dass die Tea-Party-Bewegung ihn unterstützte und seine demokratische Gegnerin Martha Coakley mit umstrittenen Aussagen für Aufsehen sorgte. Er setzte im Wahlkampf auf eine ausgeklügelte Online-Strategie aus Youtube-Filmen, Facebook-Nachrichten und Google-Werbean-
zeigen. Browns wichtigstes Wahlkampfinstrument war jedoch eine Applikation für „Smartphones“ wie das iPhone. Mit „Walking Edge“ – der Name geht auf eine GPS-Navigationstechnik zurück – konnten Browns Unterstützer auf Google-Karten live nachverfolgen, wo gerade Wahlkampf gemacht wurde – und welche Wähler noch unentschlossen waren. Die neue digitale Schlagfertigkeit der Republikaner musste auch Obama Anfang April schmerzlich erfahren. Ein parodistisches Video der Republikaner über die Halbzeitbilanz des Präsidenten sahen auf Youtube rund dreimal mehr Nutzer als das erste Kampagnen-Video des Demokraten. Die US-Webseite „Politico“ fasste es so zusammen: „Die Zahlen machen klar: Wir sind nicht mehr im Jahr 2008.“ Die Republikaner haben die Jagd eröffnet.
Twitter eine große Rolle spielen. Natürlich kann sich das ändern, denn noch ist die Wahl über anderthalb Jahre entfernt. Lassen wir uns überraschen. Sind die USA immer noch Vorbild, was Kampagnentrends angeht? Was moderne Wahlkämpfe im Medienzeitalter angeht, waren die USA in der Tat stets das Maß aller Dinge. Doch die digitale Revolution in den vergangenen 10, 15 Jahren hat die Distanz zwischen den USA und dem Rest der Welt verringert, was moderne Kampagnenführung betrifft. Die Kampagnenwelt ist enger zusammengerückt. Und einfach kopieren lassen sich Wahlkämpfe sowieso nicht. Superwahljahr 2011: Binden die Parteien das Internet glaubwürdig in ihren Wahlkampf ein? Eindeutig ja. Wir als CDU sind auch 2011 auf allen Plattformen präsent, die wir
während des Bundestagswahlkampfs angeboten und genutzt haben. Natürlich ist ein solcher Wahlkampf eine Zeit besonderer Anstrengungen, aber längst haben wir auch in Deutschland so etwas wie „permanent campaigning“. Dazu kommt die Veränderung der Kommunikationsgewohnheiten in der Gesellschaft. Darauf müssen wir reagieren. Das Internet ist also ein wichtiges, unverzichtbares Instrument, wenn auch nicht das einzige. Auf was kommt es noch an? Auf die richtige Mischung. Politik ist keine Frage der Technik. Am Ende zählt das überzeugende politische Angebot, die richtige Botschaft. Stimmt die nicht, hilft auch die modernste Technik nicht. Verhindern die strengen datenschutzrechtlichen Bestimmungen in Deutschland eine Amerikanisierung des Wahlkampfs? Ich gebe zu, dass ich manchmal etwas neidisch bin, wenn ich sehe, wie zielgruppengenau die US-Kampagnenmacher die Wähler ansprechen können. Das sind Möglichkeiten, über die wir in Deutschland so nicht verfügen. Trotzdem: Auch bei uns, mit den hier gegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen, ist effektive politische Kommunikation möglich. Wir haben einen Rahmen, der dem Bürger Schutz bietet und den Parteien dennoch genügend Möglichkeiten für den Wahlkampf gibt. Aus meiner Sicht besteht hier kein Bedarf für Veränderungen.
es durchaus eng für den Präsidenten werden. Der Wahlsieg Scott Browns hat bewiesen, wie schnell die Demokraten eine sicher geglaubte Wahl verlieren können.
Mobile Wahlkamp�ilfe
„Ich bin manchmal etwas neidisch“ Klaus Schüler, 54, ist Bundesgeschäftsführer der CDU. p&k sprach mit ihm über den US-Wahlkampf 2012, Online-Kampagnen und die hohen datenschutzrechtlichen Hürden in Deutschland.
INTERVIEW: JOHAN N E S A LT M E Y E R
p&k: Herr Schüler, was halten Sie von Barack Obamas Entscheidung, seine erneute Präsidentschaftskandidatur zunächst auf Youtube anzukündigen? Klaus Schüler: Das ist ja längst nichts Neues mehr, sondern fast schon Standard. Barack Obama ist aktuell auch nicht der einzige Politiker, der dieses Mittel einsetzt. Auch die Republikaner – siehe jüngst Mitt Romney – agieren ähnlich. Was erwarten Sie vom US-Wahlkampf 2012? Hinsichtlich der Techniken sehe ich zurzeit keine revolutionären Neuerungen. Ich gehe davon aus, dass die Elemente, die den Präsidentschaftswahlkampf 2008 geprägt haben, auch im kommenden Jahr dominieren. Da werden weiterhin die sozialen Netzwerke wie Facebook und
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Sie wollen Obama schlagen DIE SENKRECHTSTARTERIN Bis vor kurzem war Michele Bachmann, die im Repräsentantenhaus die Fraktion der TeaParty-Abgeordneten anführt, in den USA politisch unbekannt. Das hat sich geändert: Mit ihrem Widerstand gegen Obamas Gesundheitsreform konnte die 55-Jährige landesweit auf sich aufmerksam machen. US-Medien gehen davon aus, dass Bachmann ihre Kandidatur spätestens im Juni ankündigt.
Fotos: www.flickr.com; www.wikimedia.org; www.flickr.com
DER LOBBYIST Haley Barbour ist seit 2004 Gouverneur von Mississippi und ehemaliger Parteichef der Republikaner. Der 63-Jährige war Anfang der 90er Jahre Mitbegründer einer LobbyFirma und hat in Washington den Ruf eines versierten Strippenziehers.
DIE IKONE Tritt Sarah Palin an oder nicht? Das ist die Frage, die sich viele US-Amerikaner seit Monaten stellen. Palin ist ehemalige Gouverneurin von Alaska und war 2008 John McCains Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten. Die 47-Jährige arbeitet seit Anfang 2010 als Kommentatorin bei Fox News und konnte damit ihre Rolle als Ikone der Tea-Party-Bewegung medienwirksam festigen.
Wer tritt für die Republikaner gegen den US-Präsidenten an? p&k stellt Ihnen die Herausforderer mit den GRÖSSTEN CHANCEN vor.
DAS FAMILIENGESPANN Das politische Vater-Sohn-Gespann Rand und Ron Paul hat noch nicht entschieden, ob einer von ihnen seinen Hut in den Ring werfen will. Rand, 48, ist im November 2010 mit Unterstützung der Tea Party zum Senator von Kentucky gewählt worden. Sein Vater Ron, 75, ist texanischer Abgeordneter im Repräsentantenhaus und hatte sich bereits 2008 um die Präsidentschaftskandidatur seiner Partei beworben.
DER RELIGIÖSE Der 55-jährige Mike Huckabee hat Erfahrung mit Präsidentschaftskandidaturen: Bereits 2008 bewarb sich der ehemalige Gouverneur aus Arkansas um die republikanische Nominierung, scheiterte jedoch an John McCain. Huckabee, ausgebildeter Pastor, hat gute Chancen, 2012 gegen Obama anzutreten. In Umfragen unter Republikanern landet er derzeit stets auf einem Spitzenplatz.
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DER GEHEIMTIPP Jon Huntsman gilt als republikanischer Geheimtipp. Der 51-Jährige war von 2005 bis 2009 Gouverneur von Utah und konnte sich dort als Macher profilieren. Das fiel auch Obama auf, der ihn im März 2009 zum chinesischen Botschafter machte. Im Februar dieses Jahres kündigte der Mormone an, von seinem Amt zurückzutreten.
DAS URGESTEIN Newt Gingrich ist ein politisches Schwergewicht. Der 67-Jährige führte die Republikaner bei den Kongresswahlen 1994 zu einem triumphalen Sieg. Von 1995 bis 1999 war er Sprecher des Repräsentantenhauses und galt als wichtigster Gegner des damaligen Präsidenten Bill Clinton. Anfang März kündigte Gingrich an, seine Chancen auf eine Präsidentschaftskandidatur auszuloten. Politikexperten in den USA gehen davon aus, dass er antreten wird.
DER HOLLYWOOD-KANDIDAT Ende März kündigte Tim Pawlenty auf Facebook als erster Republikaner offiziell an, mit einem „Erkundungskomitee“ seine Chancen auf eine Präsidentschaftskandidatur auszuloten. Der 50-Jährige setzte dabei auf ein Web-Video in cineastischer Hollywood-Optik.
DER FAVORIT Mitt Romney, ehemaliger Gouverneur von Massachusetts, ist einer der großen Favoriten auf die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner. Romney, 62, der bei den Vorwahlen 2008 auf dem dritten Platz landete, hat Mitte April ein „Erkundungskomitee“ angekündigt – allgemein die Vorstufe zur offiziellen Bekanntgabe einer Kandidatur. In den vergangen drei Jahren hat es Romney verstanden, ein dichtes Netz aus Spendern aufzubauen.
DIE NUMMER ZWEI Rick Santorum gilt als Liebling der Tea Party. Der 53-Jährige hat Pennsylvania als Abgeordneter im Repräsentantenhaus und als Senator vertreten. Mitte April kündigte Santorum die Gründung eines „Spendenkomitees“ an, um sich finanziell auf eine Präsidentschaftskandidatur vorzubereiten. Santorums Name fällt vor allem dann, wenn es um mögliche Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten geht.
DER EXZENTRIKER Der Wirtschaftsmagnat Donald Trump liebäugelt öffentlich mit einer Kandidatur. Es gilt als nahezu ausgeschlossen, dass die Republikaner den 64-Jährigen nominieren. Dass Trump in jüngsten Umfragen trotzdem auf den vorderen Plätzen landet, zeigt vor allem, wie unentschlossen die Republikaner rund zehn Monate vor der ersten Vorwahl in Iowa noch sind. 19
Praxis
�������� Rhetorik spielt in der Politik eine große Rolle. Menschen zu überzeugen und für eine gemeinsame Sache zu gewinnen, ist Grundlage erfolgreicher Politik. In p&k finden Sie jeden Monat gelungene BEISPIELE, praktische TIPPS und hilfreiche ANALYSEN rund um das Thema.
Es war Peer Steinbrücks erste Rede als Abgeordneter des Deutschen Bundestags. Über 20 Minuten lang setzte er sich mit der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum Euro-Rettungspaket auseinander. Dass die SPD-Fraktion ihm ihre gesamte Redezeit in der Debatte zugestand, ließ anschließend Spekulationen au�ommen, Steinbrück könne bei der kommenden Bundestagswahl als Kanzlerkandidat für Sozialdemokraten ins Rennen gehen. Unsere Wortwolke zeigt, dass Steinbrück die Bundeskanzlerin direkt anspricht 20
(„Frau“, „Bundeskanzlerin“). Das erklärt auch die „Volten“, die in Steinbrücks Rede eine große Rolle spielen. Die wirft er der Bundeskanzlerin in ihrer Europa- und Finanzmarktpolitik vor. Damit habe sie – so Steinbrück – ihren Teil dazu beigetragen, die Lage an den Finanzmärkten zu verschlechtern. Darüber hinaus hält der ehemalige Finanzminister eine eher grundsätzliche Rede. „Europa“, „Deutschland“, „Wettbewerbsfähigkeit“ und „Märkte“ sind Begriffe, die Steinbrück immer
wieder nutzt, um Merkels Politik in der Euro-Krise zu kritisieren und eigene Vorschläge zu machen, wie Deutschland auf die wirtschaftliche Schwäche europäischer Partnerländer reagieren kann. Dass Steinbrück die europäische Solidarität zur Rettung der gemeinsamen Finanz- und Währungsunion für alternativlos hält, zeigt das Wort „müssen“. So stellt Steinbrück das Maßnahmenpaket zur Stabilisierung der Finanzmärkte nicht in Frage, wohl aber das Vorgehen der Bundesregierung. pol it ik & kommunikation | April 2011
Foto:www.marco-urban.de
REDE DES MONATS: PEER STEINBRÜCK
Praxis
RHETORIKCHECK DER TIPP Nachhaltig, innovativ und besonders – es ist schön, wenn eine Rede all das ist. Vermeiden Sie aber – wenn möglich – diese Vokabeln. Sie sind nämlich nichts von dem, sondern Phrasen, die den Zuhörer langweilen. Erzählen Sie Ihren Zuhörern nicht, dass Ihre Vorschläge nachhaltig, innovativ und besonders sind, sondern zeigen Sie es Ihnen stattdessen anhand von Beispielen und Inhalten. So wecken Sie die gewünschten Assoziationen bei Ihrem Gegenüber von ganz allein – frei nach dem chinesischen Sprichwort „Sagst du es mir, so vergesse ich es. Zeigst du es mir, so merke ich es mir. Lässt du mich teilhaben, so verstehe ich es“.
DAS ZITAT
„Eine gute Rede ist wie ein Bikini – knapp genug, um spannend zu sein, aber alle wesentlichen Stellen abdeckend.“
Fotos: Privat; Foto:www.marco-urban.de; www.wikimedia.org
JOHN F. KENNEDY
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DAS BUCH Peter Sprong: Das befreite Wort – Über die Bedeutung der öffentlichen Rede. Nicolai-Verlag, Berlin 2011. 144 Seiten, 19,95 Euro.
In „Das befreite Wort“ setzt sich der Journalist und Redenschreiber Peter Sprong mit den Erfolgsgeheimnissen einer gelungenen öffentlichen Rede auseinander. Anhand berühmter Reden aus Geschichte, Gegenwart und Literatur zeigt er, was eine gute Rede ausmacht und stellt Tricks und Kniffe vor, mit denen Redner ihren Auftritt entscheidend verbessern können. Dabei geht Sprong auf ganz alltägliche Probleme wie Lampenfieber und Redehemmungen ein, bietet aber gleichzeitig allgemeine Einblicke in die Technik der Rede. Um die Leser nicht nur zu belehren, sondern mit ihnen in Dialog zu treten, wird es im Internet bald einen Blog zum Buch geben. Dort können die Leser weitergehende Fragen stellen, über das Gelesene diskutieren und zusätzliches Anschauungsmaterial zu den im Buch vorgestellten Reden finden. Zudem bietet der Blog die Möglichkeit, auch aktuelle Beispiele zu behandeln.
Guido Westerwelle
Mit dem FDP-Parteichef Westerwelle geht, und das konnte er wirklich, ein mitreißender Parteitagsredner. Noch auf dem Dreikönigstreffen hielt er eine kämpferische Rede, als Antwort auf seine Kritiker. Zu Beginn nutzte er einen Vergleich: „Mir ist ein schwieriges Dreikönigstreffen, bei dem es Deutschland gut geht, lieber als ein einfaches Dreikönigstreffen, und Deutschland geht es schlecht!“ Langer Applaus. Schon Aristoteles wusste: Das Publikum liebt antithetische Formulierungen. Dann Rückblick auf die historische Sternstunde des Mauerfalls, die überwundene Teilung als Ausdruck des Freiheitswillens. 20 Jahre später ist Deutschland Mitglied im UN-Sicherheitsrat: Bravorufe! Westerwelle wusste, was seine Zuhörer bewegt, doch was bewegte Westerwelle? – Langfristig ersetzt Rhetorik eben keine Argumente. M I M IK , GE ST IK , KÖ RP E R SPRACHE
L E B E N D IG E R A U S D RUCK
RE D E A U FB A U
Frank Hartmann Frank Hartmann ist Rhetorikcoach- und Medientrainer in Berlin und analysiert für p&k die rhetorischen Fähigkeiten unserer Politiker. Sie erreichen ihn unter: info@hartmann-rhetorik.de
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Medien
Folge dem Kabel!
Zurück in Berlin, steigt Wolff bei der „National-Zeitung“ ein. Als Preußen am 1. Oktober 1849 den Telegrafen für Private freigibt, hängt Wolff sofort am Draht und überrascht seine Leser: „Wir sind durch ausgedehnte Verträge in den Stand gesetzt, täglich telegrafische Depeschen aus Paris, London, Amsterdam und Frankfurt geben zu können. Dieselben werden nicht nur das kaufmännische Interesse nach allen Richtungen hin berücksichtigen, son-
Die Telegrafie war das „Viktorianische Internet“: Sie steigerte ab 1850 rasant das Tempo der politischen Kommunikation – im Guten wie im Schlechten. Und machte die Welt zum globalen Dorf. P&K HISTORIE – TEIL 2 DER SERIE. VO N M A R C O A LT H A U S
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rankfurt im Jahr 1849, Paulskirche. Aus den Kupferdosen der Flüssigbatterie strömt Schwefelgeruch. Auf einer umgebauten Zigarrenkiste zittert das Galvanometer: Die Kiste hat Saft. Im Plenarsaal nebenan brandet Applaus auf. Präsident Eduard von Simson schließt die 196. Sitzung der Nationalversammlung. Die Reichsverfassung ist verabschiedet, der Preußenkönig mit 290 gegen 248 Stimmen zum Kaiser gewählt. Es ist 15.30 Uhr. Tasten klicken, ein Zeiger surrt über eine Buchstabenscheibe. Der Strom reicht nur für 40 Kilometer bis zur nächsten Kiste. 14-mal tippt man die Meldung ab, dann tackert die letzte Box in Berlin. Es ist halb fünf, seit dem Votum ist nur eine Stunde vergangen. Friedrich Wilhelm IV. erhält seine erste politische E-Mail. Was Majestät gefällt, ist nicht der Inhalt. Die „Schweinekrone“ lehnt er ab. Sechs Tage später wird er Eduard von Simson und seine Kaiserdeputation, die mit Bahn und Kutsche nach Berlin eilt, auflaufen lassen. Die einzige Revolution, der sich der Monarch anschließt, ist die der Kommunikation. In der Schublade hat er einen lukrativen Staatsauftrag für den 32-jährigen Oberleutnant Werner Siemens, der in nur vier Monaten 633 Kilometer Drähte von der Spree bis an den Main gezogen hat. Jetzt soll er ganz Preußen verkabeln.
Ein geschmeidiger Lobbyist namens Siemens Siemens ist ein erstklassiger Strippenzieher, auch politisch. Später wird er selbst Abgeordneter der Fortschrittspartei. Er verlässt die Armee, seine „Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske“ wächst rasant. Er ist ein geschmeidiger Vertriebslobbyist. Aber als Ingenieur ist er stur: Im Streit über Störfälle im System sperrt ihm die preußische Verwaltung die Aufträge. Fast pleite, expandiert er zwangsweise ins Ausland. Für den Zaren zieht er Kabel bis zur Krim, für Österreich durch den Balkan, für die Franzosen nach Algerien, für England bis nach Kalkutta. Siemens’ Startup wird zum Weltkonzern – stets gut verdrahtet mit den Regierungen. Der Telegraf setzt auch Charles Havas in Paris unter Strom. Havas’ Agentur liefert seit 1835 Nachrichten, später wird aus ihr die Agence France-Presse (AFP). Seine Brieftauben haben ausgedient, Havas setzt nun auf Kabel. Bei ihm schlüpfen zwei junge Deutsche unter, denen während der Revolution der Boden in Berlin zu heiß wird: Bernhard Wolff und Julius Paul Reuter. Bei Havas lernen sie, wie man aus Börsenkursen, Weizenpreisen, Wetter und Regierungsverlautbarungen Nachrichten macht und weiterverkauft. 22
dern auch die wichtigsten politischen Tatsachen auf das Schnellste zur Kenntnis des Publikums bringen.“ Als Ausgründung geht Wolffs Telegraphisches Bureau (WTB) an den Markt, Deutschlands erste Nachrichtenagentur. Ex-Kollege Reuter geht nach Aachen, wo die deutschen Telegrafenlinien enden. Brieftauben liefern ihm Börsen-News aus Paris und Brüssel, die er ins deutsche Netz speist. Doch Siemens schließt die Lücke und ruiniert Reuter. Väterlich gibt er ihm den Rat, es wie Wolff zu machen – und zwar dort, wo die meisten Kabel und das meiste Geld sind: London. Reuter zieht um, mietet sich 1851 bei der Börse ein, wird zum internationalen Medienmogul. Sein Motto: „Folge dem Kabel.“ Die Killer-AppderTele-Nachricht sind die Finanzmärkte. Aber auch Politiker merken, dass der Draht das Geschäft verändert. Er pol it ik & kommunikation | April 2011
verlangt sofortige Reaktion. Im Krimkrieg gerät die britische Regierung 1854 unter Druck, als Zeitungsleser täglich über Militärpannen und katastrophale Zustände in den Lazaretten erfahren. Das löst die humanitäre Hilfsaktion aus, die Florence Nightingale organisiert. Der Telegraf gibt den „Engeln des Schlachtfelds“ auf der Krim Publicity. Der Telegraf wird bald zum Geburtshelfer der ersten großen internationalen NGO, dem Roten Kreuz.
Rücken kann das WTB Reuter, Havas und später die Associated Press zu Kartellabsprachen bringen: Sie teilen die Welt in exklusive Gebiete auf, die noch heute sichtbar sind. Aber das WTB muss Regierungsdepeschen vorrangig senden, alle Politikberichte passieren zuerst Bismarcks Beamte, und der Staat greift bei Personal und Redaktion ein. Bismarck kann sich 1874 sogar ein Pressefreiheitsgesetz leisten: Längst hat er sich an der Quelle eingenistet. Die Presse hat zum WTB keine Alternative. Der Deal fliegt erst später auf. Verleger beschweren sich bitterlich, verlangen die Öffnung, im Reichstag fliegen die Fetzen. Doch bei der Netzpolitik bleibt der Kanzler eisern.
Telegrafenamt wird zum Machtmittel
Fotos: Siemens; Privat
Zwischen 1832 und 1849 setzte Preußen auf den optischen Telegrafen zwischen Berlin, Köln und Koblenz. 60 Türme mit Signalmasten übermittelten Botschaften optisch. Das System wurde mit dem elektrischen Telegrafen überflüssig. Viele Linien verliefen parallel zur Eisenbahn.
Diplomatische Konferenzen, Gesetzesbeschlüsse, Ministerworte, Parlamentsdebatten, Parteitage, Wahlen, Interviews mit Politikern – all das wird nun von Presse und Agenturen aktuell produziert. Aktuell, das definiert sich nicht mehr in Tagen, sondern in Stunden und Minuten. 1859, als Kriegswolken zwischen Frankreich, Österreich und Italien hängen, überredet Reuter Napoleon III., eine wichtige Rede europaweit verbreiten zu dürfen, noch während der Kaiser sie hält. Eine Sensation. Im beinharten Konkurrenzkampf suchen Havas, Reuter und Wolff die Nähe ihrer Regierungen. Sie werden „offiziös“. 1869 schließt Wolffs Agentur mit Bismarck einen Geheimpakt. Es erhält Vorrang am Staatskabel, hohe Subventionen aus schwarzen Kassen und Schutz für ein Monopol auf In- und Auslandsnachrichten, von der die Zeitungen abhängig sind. Mit dem Staat im pol it ik & kommunikation | April 2011
Desinformation per Telegraf ist sein Metier. Schon 1870 hat er mit der frisierten Emser Depesche Krieg mit Frankreich ausgelöst. Dreist manipuliert Bismarck die WTB-Meldungen über die Kaiser-Attentate 1878, um eine Empörungswelle und eine Mehrheit für das Sozialistengesetz zu erzeugen. Neben dem WTB wird das Kaiserliche Haupttelegrafenamt – hier sitzt heute die Hauptstadt-Repräsentanz der Deutschen Telekom – zum Machtmittel. Die 180 Leitungen ins ganze Reich nutzt Bismarck wie Rundfunk: Örtliche Behörden haben seine Telegramme auszuhängen und als Plakate drucken zu lassen. Total wird die Kontrolle nie. Das scheitert an der Informationsflut, an der Verschlüsselung der Telegramme und dem dezentralen Charakter des Mediums. Die Telegrafie beschleunigt die Gründungswelle nationaler Verbände. Die Sozialdemokratie wird die erste Massenpartei, geführt auch per Telegramm. Denn ihre Parteizentrale zieht ständig in Deutschland um, unter dem Sozialistengesetz gar nach Zürich und London. Das Kabel verbindet Gremien, Parteipresse und Basis. „Jeder Telegrafendraht, der gelegt wird, verschafft uns neue Anhänger“, sagt August Bebel. Parolen werden in die Wahlkreise gekabelt, Kundgebungen telegrafisch vorbereitet. Ortsvereine bestellen Flugblätter bei weit entfernten Parteidruckereien. Parlamentarier in Reichstag und Landtagen stimmen sich auf kurzem Draht ab. In London lässt Karl Marx 1864 die Erste Internationale per Telegraf einberufen. Arbeiterfunktionäre tauschen sich transnational über Aussperrungen und Polizeiaktionen aus, koordinieren Streiks, Boykotts und Demonstrationen. Auch in der Provinz gilt: Wo der Telegraf ist, diskutieren Bürger aktuell nationale und internationale Politik. In wenigen Jahrzehnten wird der Telegraf die Welt verbinden, über Land und durch die Ozeane. Die Mutter aller Netze übermittelt 1858 rund 9 Millionen Telegramme in Europa, 1900 über 400 Millionen. Als Erfindung ist der Telegraf revolutionärer als das Internet. Durch ihn trennt sich die Kommunikation erstmals vom Transport. Die Staaten legen grenzüberschreitende Post- und Medienstandards fest. Der binäre Code der Amerikaner Morse und Vail definiert das neue Netz: „dit-dah-dit“, so singt der Draht Tag und Nacht. Aus seiner Melodie entsteht die globale Informationsgesellschaft.
Marco Althaus ist Professor für Sozialwissenschaften an der TH Wildau.
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Medien
Wikileaks in Grün Ein Australier, der in Berlin lebt, tut es seinem Landsmann Julian Assange gleich: Der Filmemacher SCOTT MILLWOOD will die „Weisheit der Vielen“ für den Umweltschutz nutzbar machen.
VON SEBASTIA N L A N G E
M
it seiner Wollmütze auf dem Kopf sieht Scott Millwood ein bisschen aus wie ein Hafenarbeiter, und wie er so mit seinem Kaffee dasitzt im „Fuchsbau“, einer Kneipe in Kreuzberg, passt er ganz gut nach Berlin; ins alternative Berlin, das es hier noch gibt. Der Australier sieht auch nicht nach dem gelernten Anwalt aus, der er ist – eher nach dem Filmemacher oder nach dem Umweltaktivisten, der er vor allem ist. Der 37-Jährige lebt seit 2004 in der deutschen Hauptstadt, und er mag die Anregungen, die er hier findet, den „philosophischen Austausch“, wie er sagt. Der aus Australien stammende Millwood ist das Gesicht der neuen Enthüllungs-Plattform Greenleaks, die sich ganz der Umwelt verschrieben hat. Ein Australier, der eine Enthüllungsplattform startet? Das klingt bekannt: Julian Assange, die egozentrische Galionsfigur von Wikileaks, der Mutter aller Enthüllungs-Plattformen, kommt ja ebenfalls von „down under“. Zufall, Millwood hat mit Assange nichts zu tun, will die eigene Person bei der Sache am liebsten auch außen vor lassen. Und trotzdem 24
hat der eine den anderen stark beeinflusst: „Für mich gibt es eine Zeitrechnung vor Wikileaks und nach Wikileaks“, sagt Millwood, der sich nach angelsächsischer Gepflogenheit einfach „Scott“ nennen lässt. Er repräsentiert die Plattform in der Öffentlichkeit und ist der Einzige, der das künftig tun wird. Wer sonst noch genau dazugehört, darüber schweigt er: „Greenleaks ist ein internationales Netzwerk von Leuten, die sich umweltpolitisch betätigen“, sagt Millwood. „Ich kann nicht einmal genau sagen, wie viele wir sind.“ Ein bisschen Geheimniskrämerei gehört zum „Leaking“-Handwerk dazu, und das hat gute Gründe, soll die Plattform doch auch brisante Informationen zutage fördern: Wo verschmutzen Unternehmen die Umwelt? Wie positionieren sich Regierungen in Umweltfragen, und wer beeinflusst sie?
Urgrüne Heimat Scott Millwood hat schon einiges gemacht in seinem Leben. Er wuchs auf der australischen Insel Tasmanien auf, entwickelte früh Umweltbewusstsein und Liebe zur Natur. Tasmanien ist stark bewaldet, hier sind seltene Tierarten erhalten, die
auf dem australischen Kontinent schon ausgestorben sind. Doch ist die Vielfalt bedroht, denn die Wälder verheißen der Holzindustrie Profite. Es ist kein Zufall, dass sich in Tasmanien 1972 die weltweit erste grüne Partei gründete. Millwood ging zum Jurastudium nach Melbourne und später nach New York, anschließend arbeitete er eine Weile als Rechtsanwalt in Melbourne. Das aber reichte ihm nicht, er war neugierig und reiste durch die Welt: Der junge Australier lebte aus dem Koffer, war im Nahen Osten unterwegs, was ihm viele arabische Stempel im Pass und nach dem 11. September daher schon einmal längere Kontrollen an Flughäfen einbrachte. Irgendwann entdeckte er den Dokumentarfilm für sich; er sah ihn als Möglichkeit, kreativ zu sein und sich zugleich umweltpolitisch zu engagieren. Und so drehte er Filme, bei denen die Natur seiner Heimat im Mittelpunkt steht: „Wildness“ etwa, einen Streifen über zwei tasmanische Naturfotografen, oder „Whatever happened to Brenda Hean“. Dieser investigative Film dreht sich um eine prominente Umweltaktivistin, die in den 70ern gegen die Flutung einer riesigen pol it ik & kommunikation | April 2011
Screenshot: www.greenleaks.org
Das Portal Greenleaks hat sich dem Umweltaktivismus verschrieben – darin grenzt es sich von reinen Informationsaktivisten wie Julian Assange und Wikileaks ab.
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Landfläche für ein Wasserkraftwerk in Tasmanien kämpft und eines Tages spurlos verschwindet; womöglich wurde sie ermordet. Den Brenda-Hean-Film macht eine erste „Leaking“-Erfahrung Millwoods erst möglich: Jemand spielte ihm die Polizeiakte über das Verschwinden der Aktivistin zu.
„Nur in Berlin möglich“ Der Filmemacher gewann auf internationalen Festivals Preise, seine Werke schafften es in die Kinos. Als er auf die 30 zuging und noch immer ständig unterwegs war, meinte er, es sei an der Zeit, sich dauerhaft irgendwo niederzulassen. „An einem eiskalten Januartag 2004 kam ich nach Berlin“, erinnert er sich, „ich hatte gerade sechs Wochen Zeit zwischen zwei Festivals und wollte die Stadt kennenlernen.“ In Berlin schlug Millwood Wurzeln, und er ist sich sicher, dass die Stadt Greenleaks überhaupt erst möglich gemacht hat, weil sich hier Gleichgesinnte fanden, mit denen er das Projekt eingehend diskutieren konnte. „In New York würde das nicht funktionieren, da müssen die Leute die
Foto: Emma Crimmings
Das Gesicht von Greenleaks: der australische Filmemacher Scott Millwood
meiste Zeit darum kämpfen, überhaupt ihre Miete zahlen zu können.“ Wie und wo er genau in Berlin wohnt, das will Millwood nicht verraten. Seine Vorsicht ist groß, denn wie Greenleaks sich künftig entwickeln wird, weiß er schließlich nicht. Sollten die Aktivisten eines Tages großen Unternehmen auf die Füße treten, könnte es ratsam sein, nicht allzu leicht auffindbar zu sein. Auch steht der Greenleaks-Server „nicht hier um die Ecke“, sagt er. Und dennoch betont er, dass er innerhalb enger ethischer Grenzen handeln will: „Unsere persönliche Verantpol it ik & kommunikation | April 2011
wortung ist umso größer, je schwieriger es ist, uns rechtlich zu belangen.“ Überhaupt ist das Selbstverständnis von Greenleaks ein anderes als das von Wikileaks: „Ich bin kein Informationsaktivist“, sagt Millwood. Er versteht sich als Umweltaktivist, der sich die grenzenlosen Möglichkeiten des Internets zunutze machen will. Veröffentlichen allein um der Transparenz willen, das ist nicht das Ziel von Greenleaks.
Weisheit der Vielen nutzen Seit Januar ist die Webseite nun online, und als die Aktivisten Mitte März den ersten größeren Beitrag hochluden, erhielt dieser durch die Ereignisse in Japan plötzlich besondere Aktualität: Es handelt sich um das juristische Gutachten einer bekannten, auf Energierecht spezialisierten Anwaltskanzlei, das die im vorigen Jahr von der Bundesregierung beschlossene Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke als wettbewerbswidrig einstuft. Ein neuer Aspekt in der juristischen Debatte um den Atomdeal der Regierung. Das Gutachten wäre Munition für Produzenten erneuerbarer Energien gewesen, die gegen die Laufzeitverlängerung hätten klagen wollen. Eine wirkliche Enthüllung ist das Dokument jedoch noch nicht, auch wenn es bei Greenleaks heißt, das Gutachten sei der Plattform „zugespielt“ worden. Millwood ficht das nicht an, ihm geht es denn auch nicht um spektakuläre Scoops, also um exklusive Nachrichten, die Furore machen: „Unsere Beiträge kann jeder kommentieren, und wir hoffen, dass die Plattform sich durch die Zusammenarbeit der Nutzer weiterentwickelt.“ Das Prinzip der „Weisheit der Vielen“ soll Greenleaks zu einem Erfolg machen. Das „Guttenplag-Wiki“, bei dem Plagiatsjäger die Doktorarbeit von Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg untersuchten, ist für den Australier ein Vorbild für solch eine kollaborative Plattform. Die Idee der Kooperation ist ihm wichtig, er will keine Millwood-Show aus Greenleaks machen. Nach dem Treffen im „Fuchsbau“ ruft er noch einmal an, um sicherzugehen, dass eines rüber kam: Es ginge nicht um ihn bei der Sache. Diese Lektion haben Millwood und die Kinder der Wikileaks-Revolution gelernt: Julian Assange ist heute ein Popstar der Internet-Gemeinde – und wartet mit einer elektronischen Fußfessel auf die Auslieferung nach Schweden.
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Hart, aber herzlich KLAUS VATER gehört zu den Originalen der deutschen Politszene. Jetzt geht der frühere Sprecher von Ulla Schmidt in den Ruhestand – aber nur offiziell. VON SEBASTIA N L A N G E
A
ls Klaus Vater sich über einen Pressebericht mal so richtig ärgerte, soll er dessen Autor bei einer Veranstaltung aufgefordert haben, doch mit ihm vor die Tür zu gehen: Man könne die Sache auch regeln wie unter Männern. Er komme aus einem Bergarbeiter-Ort in der Eifel, und da habe man das früher so gemacht. Der Journalist sei aber nicht auf das Angebot eingegangen. Vater erzählt diese Anekdote selbst, und er bleibt beim Erzählen völlig ernst – doch liegt der Verdacht nahe, dass er in Wahrheit nur mit dem Image spielt, das er sich in den zehn Jahren als Sprecher zweier Minister und den zwei Monaten als stellvertretender Regierungssprecher erworben hat. Den Mann, der acht Jahre lang für Ulla Schmidt sprach, beschreiben Journalisten meist als Raubein. Als „Presse-Rambo“ oder „Kampfross“ betitelten sie ihn. Doch das Etikett des Raubeins wird ihm nur zum Teil gerecht, wie immer ist die Wirklichkeit komplexer: Fast jeder in der Politszene attestiert dem Sozialdemokraten, dass er ein sehr freundlicher Mensch ist – auch wenn manch einer einschränkt: „zumindest privat“. Und das, was Dieter Wonka, der erfahrene Korrespondent der „Leipziger Volkszeitung“, sagt, bestätigen ohnehin die meisten: „Vater ist ein ausgewiesener Fachmann mit einer Überfülle an Expertenwissen.“ Doch wenn der Fachmann seine Ministerin unfair behandelt sah, gerieten seine Auftritte in der Regierungspressekonferenz auch schon einmal zur Blattkritik; Journalisten mussten mit Anrufen rechnen, in denen Vater sie zur Rede stellt. Zu Recht, findet er: „Wer sich als Redakteur öffentlich zu Wort meldet, muss sich 26
auch gefallen lassen, dass man ihn dafür kritisiert.“ Besonders häufig ärgerte er sich über die „Bild“-Zeitung, etwa, als diese 2004 den „ersten Toten der Gesundheitsreform“ verkündete. Gegenüber dem Springer-Blatt beging er 2008 den Fehler, ihm als Retourkutsche für Negativ-Berichte einen Anzeigenboykott anzudrohen. Der Deutsche Journalistenverband protestierte, Vater entschuldigte sich schließlich: Er habe nie im Sinn gehabt, die Pressefreiheit anzugreifen. „Bild“ feierte den Triumph standesgemäß im Blatt und jubelte: „Am Ende siegte doch die Vernunft!“ Kampfeslustig war Vater immer, schließlich ist er ein Sozialdemokrat von altem Schrot und Korn. Er arbeitete als Redakteur bei der Parteizeitung „Vorwärts“, in den 90ern war er Büroleiter des Sozi-
Herzliches Raubein: Klaus Vater alpolitikers und damals stellvertretenden SPD-Fraktionschefs Rudolf Dreßler. Als Walter Riester Bundesarbeitsminister wurde, holte er Vater als Sprecher ins Ministerium. Eine Zeit, an die dieser sich gerne erinnert: „Nach dem Regierungswechsel 1998 herrschte Au�ruchstimmung.“ Von Riester spricht er noch heute in den höchsten Tönen, ein „aufrechter Mensch“ sei der, und überdies „blitzgescheit“. Es habe ihn berührt, dass Riester darauf bestanden habe, Vaters Familie – Frau und fünf Kinder – kennen zu lernen. Und Ulla Schmidt? „Die war grandios, ein richtiges Alphatier“, sagt Vater. „Sie hat
gewusst, wie sie sich in Schröders männerdominiertem Kabinett durchsetzt.“ Während Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Otto Schily „im Sandkasten gesessen und Weltpolitik gemacht“ hätten, habe „die Schmidt“ sie daran erinnert, dass es noch Themen gab, die die Deutschen direkt betreffen, Kassenbeiträge und Arzneimittelkosten zum Beispiel. Ende März ist Vater mit 65 Jahren endgültig aus dem Dienst im Gesundheitsministerium ausgeschieden, wo er seit dem Regierungswechsel für Kampagnen und das Corporate Design zuständig war. Als die Liberalen das Haus 2009 übernahmen, setzte Bundeskanzlerin Angela Merkel sich persönlich für den Sozialdemokraten ein, der ihr in den zwei Monaten vor der Wahl loyal gedient hatte: Den solle man bitte schön nicht bis zu seiner Pensionierung ins Archiv schicken. Dennoch hatte Vater fortan mehr Zeit, vor allem fürs Schreiben, seine Leidenschaft: Mehrere Bücher hat er verfasst, sozialpolitische Sachbücher, aber auch ein preisgekröntes Jugendbuch. Nun ist der Krimi „Am Abgrund“ erschienen, eine Folge eines Kettenromans, der im Berlin des Jahres 1934 spielt. Kommissar Hermann Kappe muss einen Baustellenunfall mit Todesfolge au�lären, der eigentlich eine politische Tat ist, weil er auf Rivalitäten zwischen SA und SS zurückgeht. Frank-Walter Steinmeier hat den Roman im März vorgestellt. Schon während seiner Zeit als Ministeriumssprecher reservierte Vater sich stets den Donnerstagabend fürs Schreiben. Er saß dann einige Stunden rauchend in seiner Wohnung am Schreibtisch, für ihn „eine Art der Selbstvergegenwärtigung“. Das Raubein konnte in Wahrheit recht empfindsam sein: „Mit dem Schreiben habe ich mir Entlastung verschafft“, sagt er. Der Druck als Sprecher des schwierigen Gesundheitsressorts ist groß, denn „wenn die eine Attacke der Medien noch nicht vorüber ist, kommt schon die nächste“. Auch seien zuweilen im eigenen Haus Konflikte auszutragen gewesen, „und dann wird man schon mal grantig und hochfahrend“, gesteht er ein. Noch hat Vater ein Häuschen in Bad Godesberg, doch will er nun mit seiner Frau ganz nach Berlin ziehen. Tauben füttern wird er im Ruhestand ganz bestimmt nicht: Die Politik lässt ihn nicht los, er wird sich als Berater betätigen – und, natürlich: schreiben. pol it ik & kommunikation | April 2011
Foto:Frank Ossenbrink
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„Das wahre Parlament“ Im März wurde das Café Einstein 15 Jahre alt. Im p&k-Interview lässt Besitzer GERALD UHLIG-ROMERO diese Zeit Revue passieren.
Foto: www.baumannstephan.de
INTERVIEW: FLORI A N R E N N E B E R G
p&k: Herr Uhlig-Romero, warum haben Sie als Schauspieler, Autor und Maler ein Café eröffnet? Gerald Uhlig-Romero: Ich habe mich bereits während meines Studiums in Wien gerne in Kaffeehäusern aufgehalten. Als ich erkannt habe, dass ich mit meinen Aufführungen und Ausstellungen zwar Theater und Museen fülle, aber dort nur ein spezielles Publikum erreiche, kam mir die Idee, das Kaffeehaus als soziale Skulptur zu kreieren. Das Café Einstein ist ein Kunstwerk? Die Verbindung mehrerer Sinneswahrnehmungen kommen in meinem Kaffeehaus gut zur Geltung. Hier werden das Sehen, Hören, Schmecken, der kreative Geist und die Kommunikation gefordert. Es ist ein Ort, wo die Gäste Müßiggänger sein, Pläne schmieden oder sich verlieben können. Das Kaffeehaus ist ein Ort jeder menschlichen Ansiedlung und daher ist es für mich als Künstler eine in sich stimmende Skulptur. Passt die Atmosphäre zu dem gehetzten Terminkalender eines Politikers? Als Philosoph und Buddhist kann ich nur sagen: Mein Kaffeehaus ist eine Einladung zu Meditation und Müßiggang. Ich beobachte häufig, dass Politiker sich hier auch entspannen. Sie sind allerdings nur ein Teil unseres Gästekreises. Wir hatten beinahe alle lebenden Nobelpreisträger im Haus. In der Galerie zeigen wir hochwertige Kunst – dadurch ist das Einstein weit mehr als ein Kaffeehaus und über die Grenzen Berlins hinaus bekannt geworden. Sollte in der Politik mehr KaffehausKultur und weniger Parlamentskultur herrschen? Ich fände es wunderbar, wenn Politiker sich mehr für Philosophen, Literaten und Wissenschaftler öffnen würden. Mir ist pol it ik & kommunikation | April 2011
wichtig, dass sich hier alle gesellschaftlichen Gruppen wiederfinden. Deshalb ist dieses Kaffeehaus für mich eine Polis der Demokratie – das wahre Parlament der Sinne und des Geistes, ohne Wählerstimmenhysterie. In der Festschrift zum 15. Geburtstag des Einstein zitieren Sie den Schriftsteller Walter Serner: „Berlin, dieses Paradies für Hochstapler und Händler der heißen Luft“. Beschreibt das auch das Geschehen im Einstein? Heiße Luft insofern, als dass nur dadurch Kaffee hergestellt werden kann. In der Po-
„Ich empfehle zu Guttenberg, jetzt erstmal zum Theater zu gehen“ litik scheint sie jedoch auch eine besondere Rolle zu spielen. Was meinen Sie? Unter dem Aspekt des Theaters war KarlTheodor zu Guttenberg ein begabter Unterhaltungskünstler. Nur sein shakespearesches Betrügen hat ihn gezwungen, zu gehen. Das bedauere ich: Guttenberg hatte immer einen guten Auftritt. Zu einer Lesung im Einstein kam er mit dem Fahrrad. Ich empfehle ihm, jetzt erstmal zum Theater zu gehen. Welche Politiker unterhalten Sie denn besonders gut? Komischerweise sind es eher Leute, die nicht mehr im Amt sind. Unser ehemaliger Innenminister Gerhart Baum sprüht vor Ideen und Enthusiasmus. Die frühere Familienministerin Renate Schmidt ist auch so eine – lebendig, strahlend, interessiert. Gerhard Schröder wirkte oft ein wenig eindimensional, hatte aber auch Unterhaltungswert. Wer hat die Einstein-Begeisterung im
politischen Berlin losgetreten? Das ging relativ schnell. Am Anfang waren Rita Süssmuth und Helmut Kohl oft hier – aber auch viele Künstler und Schriftsteller. Der Mensch möchte einen Ort haben, der ihm vertraut ist und an dem er sich wohlfühlt. Ich glaube, das Einstein ist für viele ein solches Wohnzimmer geworden. Kritiker benutzen das Einstein als Synonym für Lobbyismus. Stört Sie das? Manchmal gibt es unangenehme Artikel: Ein Journalist hat das Einstein irgendwann einmal als Hinterzimmer der Macht bezeichnet. Seitdem schreibt es einer vom anderen ab. Dabei ist das Einstein weder ein normales, noch ein politisches Hinterzimmer. Hier ensteht keine Macht, sondern hochqualitative Dinge für unsere Sinne. Gibt es einen Gast, der ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist? Da gibt es so viele – am meisten die Nobelpreisträger. Sonst gab es in den letzten 15 Jahren viele bereichernde Ereignisse und Begegnungen mit Menschen, die ich normalerweise nie getroffen hätte. Und welchen Gast vermissen Sie? Keinen. Das Einstein ist so ein herrlicher Zirkus. Ich sitze hier als Kaffeehaus-Buddha und genieße, was kommt. Was kommt in den nächsten Jahren auf das Einstein zu? Solange wir alle einigermaßen gesund bleiben, bleibt es ein verlässlicher Ort. Ich wünsche mir, dass meine Tochter das Kaffeehaus übernimmt. Aber die ist jetzt zehn Jahre alt – wer weiß, was da noch kommt: Momentan will sie Schauspielerin oder Genforscherin werden.
Gerald Uhlig-Romero ist Schauspieler, Regisseur, Autor, Produzent, Maler und Fotograf. Seit 1996 ist der gebürtige Heidelberger Besitzer des Café Einstein. 27