politik & kommunikation
Helios Media GmbH ISSN 1610-5060 Ausgabe IV/2015 www.politik-kommunikation.de
№ 113 Zukunft_
Plus Umfrage: Die Rising Stars im Bundestag
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Georg Milde: Editorial
Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende. Oscar Wilde
Der Glaube an eine größere und bessere Zukunft ist einer der mächtigsten Feinde gegenwärtiger Freiheit. Aldous Huxley
Zukunft
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as Ende eines Jahres ist die passende Zeit für einen Blick nach vorn. So lautet das Schwerpunktthema dieser Ausgabe Zukunft: der Blick in die Glaskugel – oder das Lesen im Kaffeesatz der Projektionen. Zukunftsszenarien gibt es viele, von fortschrittsbegeistert bis skeptisch. Wie unterschiedlich die Perspektiven dabei sein können, zeigte sich nicht zuletzt bei der Auswahl der Titelseite dieser Ausgabe. „Alles wird gut“ mit Blick auf den technisch-digitalen Fortschritt? Auch bei den Machern von politik&kommunikation löste dieser Satz unterschiedliche Assoziationen aus: Stehen unserer Gesellschaft blühende Landschaften positiver Errungenschaften und Erleichterungen des täglichen Lebens und Regierens bevor, oder werden diese begleitet von einem Sedativum, mit dem ein Kontrollverlust über eigene Daten bis hin zur eigenen Entscheidungsfähigkeit einhergeht? So ist einer der zentralen Artikel dieser Ausgabe die Reflexion von Roland Benedikter über Transhumanismus – ein sperriger Begriff und kein leichter Lesestoff, dessen Inhalt jedoch umso wichtiger ist (ab Seite 32). Dies gilt auch für die Aussagen des Be-
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schleunigungstheoretikers Armen Avanessian (ab Seite 74). Ebenso befasst sich diese Ausgabe mit der konkreten politischen Praxis: Wie und von wem wird die Zukunft in den Morgenlagen der Lenker unseres Landes geplant (ab Seite 26)? Wie steht es um das Thema E-Government (ab Seite 62) und wie könnten Kabinette in einigen Jahrzehnten zugeschnitten sein (Seite 66)? Zudem wird die Gegenperspektive beleuchtet: Wie wird ein veränderter Lobbyismus zukünftig mittels disruptiver Elemente auf die Politik einwirken (ab Seite 60)? Ein besonders lebendiges Element ist definitiv der Round Table zum Thema Zukunft der Interessenvertretung, bei dem Akteure der Lobbyszene an einen Tisch geholt wurden, um die ins Stocken geratene Transparenzdebatte zu diskutieren – inhaltliche Kontroversen gewährleis tet (ab Seite 16). Das Jahr 2015 stand auch im Zeichen der Neuausrichtung von politik&kommunikation. Unser Ziel war, die Rolle als Strategiemagazin weiter zu stärken und inhaltlich zu untermauern. Dieser monatelange Prozess war sehr ereignisreich und zugleich enorm spannend. Wir bedanken uns bei Ihnen für die Begleitung und das Feedback. Viel Freude beim Lesen!
Georg Milde Herausgeber
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Inhalt: Zukunft
Geheimnisumwoben: Politik wird in Berlin in den Morgenlagen gemacht. Robin Alexander schreibt über eine Institution, über die alle anderen schweigen.
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Das Morgen von Gestern
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Hat der Newsletter eine Zukunft?
Können Streaming-Dienste oder Whatsapp Newsletter ersetzen?
Fotoreportage von Laurin Schmid
von Martin Fuchs
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Expertentipp 16
„Geld ist nicht alles“
Wie sieht Lobbying im Jahr 2050 aus? Round-Table-Diskussion über Transparenz und Regulierung von Viktoria Bittmann
Eine ideologische Strömung setzt auf die Cyborgisierung des Menschen. Was folgt daraus? von Roland Benedikter
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Zutrauen gegen Zukunft
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Welches Zukunftsthema spielt in der Politik zu Unrecht keine Rolle? 26
Wer drin ist, schweigt
Warum die Morgenlagen der Berliner Republik die Aura des Geheimnisvollen umgibt von Robin Alexander
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Transhumanismus: der neue Politiktrend?
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Malu Dreyer und Julia Klöckner setzen im Wettstreit um die Wählergunst auf Zukunftsthemen
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Smarte Wahlkämpfe
Kampagnentools der Zukunft: Mit Hilfe von Big Data wird Wählerverhalten berechenbar von Johannes Hillje
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Polit-Patchwork statt Ochsentour?
Die junge Generation engagiert sich lieber punktuell als partei politisch – Kanäle in die Politik von Georg Milde
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Die Automatisierung von Politik Wie lässt sich die Macht künstlicher Intelligenz beherrschen?
von Gisela Kirschstein
von Kai Schlieter
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Comeback 2017?
Die FDP balanciert auf der Grenze von Erfolg und Scheitern. Eine Bestandsaufnahme von Joachim Riecker
Wie wird sich die PublicAffairs-Branche in den nächsten 20 Jahren entwickeln?
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Diskussionswürdig: Timo Lange (Lobbycontrol), Dominik Meier (Degepol), Kathrin Zabel (DPRG) und Axel Wallrabenstein (DRPR) debattieren über Transparenz, Lobbyregister und die Zukunft der Public-Affairs-Branche.
54 Zukunftsträchtig: Künstliche Intelligenz in Form von Smart Cities und digitaler Bürgerkontrolle ist auf dem Vormarsch. Wie kann die Politik mit der enormen Macht der Daten umgehen und sie in rechtsstaatliche Bahnen lenken?
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Lobbyiert disruptiv!
Warum Interessenvertreter mehr Kreativität investieren und Innovationen wagen sollten von Gunnar Bender
Das System hat einen Schnupfen
Laut Simon Tormey ist die repräsentative Politik am Ende. Wirklich? Eine Rezension von Katja Suding
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Digitales Entwicklungsland
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Während sich in Deutschland noch Papier türmt, wird in Estland bereits digital regiert von Daniel Dettling
Bücher 70
Utopie Demokratie: Lust auf Zukunft 1832
Das Hambacher Fest war mehr als ein kurzes Erwachen aus dem Biedermeierschlaf
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Bittmann, bitte.
Wie könnte das Kabinett der Zukunft aussehen?
von Marco Althaus
von Viktoria Bittmann
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„Wir sind alle Sleeper“
I nterview mit dem Beschleunigungsphilosophen Armen Arvanessian von Anne Hünninghaus
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Was geben Sie der jüngeren Generation mit auf den Weg? 80
Umfrage: Die Rising Stars im Bundestag 88
Wo steckt eigentlich … Marina Weisband? 86 Letzte Seite / Impressum
Umfrage: Die Rising Stars im Bundestag
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Laurin Schmid hat sich zurück in die Zukunft begeben
Ob es um milliardenschwere Prestigeprojekte, ideologiegetränkte Staatsziele oder neue Kommunikationstools geht: Manche Dinge, denen heute eine große Zukunft beschieden wird, gehören morgen schon der Vergangenheit an. Werfen wir einen Blick zurück nach vorn.
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Das Morgen von Gestern
Die Zukunft des BER steht in den Sternen. Ob der Hauptstadtflughafen tatsächlich 2017 eröffnet wird, vermag derzeit niemand zu sagen. Die einzig verlässliche Größe in Sachen Pannen-Airport bleibt der „BER count up“ – das Zählen der Tage seit Nichteröffnung (Stand 1.12.2015: 1277).
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Laurin Schmid hat sich zurück in die Zukunft begeben
Die Stadtrohrpost Berlin ging 1876 für die Öffentlichkeit in Betrieb und entwickelte sich rasch zur größten Anlage der Welt. Im Ersten Weltkrieg hatten fast alle Regierungsstellen und der Admiralstab der Kaiserlichen Marine einen Anschluss. Im Bild: Installation im Kommunikationsmuseum Berlin.
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Nachdem es 1988 auf der Cebit vorgestellt worden war, gab es das Mobiltelefon „Pocky C450-31“ von 1989 an für das C-Netz der Deutschen Bundespost (im Bild: Exponat im Kommunikationsmuseum Berlin). Es wog 600 Gramm und war 20,5 Zentimeter hoch. Die maximale Gesprächsdauer lag bei 30 Minuten.
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Round Table: Die Zukunft der Interessenvertretung
In der Public-Affairs-Branche wird über das Thema Transparenz kontrovers diskutiert. Wie viel Regulierung ist nötig? Braucht es ein Lobbyregister oder einen unabhängigen Interessenbeauftragten? Und wie sieht Lobbying im Jahr 2050 aus? Darüber diskutierten wir am Round Table mit zentralen Akteuren der Community: Dominik Meier (Degepol), Axel Wallrabenstein (DRPR), Kathrin Zabel (DPRG) und Timo Lange (Lobbycontrol).
Der „Postillon“ veröffentlichte kürzlich die Meldung: „Reichstagsgebäude soll erweitert werden, um allen 2.000 registrierten Lobbyisten Platz zu bieten.“ Wie viel Wahrheit steckt in die-
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ser Satiremeldung, leben wir in einer „Lobby-Republik“? Kathrin Zabel: Ich halte diese Zahlenspiele für sehr gewagt. Bei allen Zahlen, die in Umlauf sind, sollte man sich fragen, von wem diese stammen und was damit ausgedrückt werden soll. Ich bin der Meinung, dass die Lobbyismus-Debatte entdramatisiert werden muss. Es nützt nichts, immer
nur möglichst hohe Zahlen in die Welt zu setzen. Timo Lange: Die genannte Zahl bezieht sich auf die etwa 2.000 Hausausweise für den Deutschen Bundestag, die laut Bundestagsverwaltung an Interessenvertreter herausgegeben wurden. Es gibt jedoch keine gesicherten Erkenntnisse darüber, wie viele Lobbyisten tatsächlich in Ber-
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„Geld ist nicht alles“
lin arbeiten. Das muss sich ändern. Wenn man als professioneller Interessenvertreter an politischen Entscheidungsprozessen mitwirken möchte, sollte man sich offiziell registrieren und Informationen über seine Arbeit offenlegen müssen. Es ist ein Problem, dass zum Großteil nicht bekannt ist, wer einen Hausausweis besitzt.
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Hier am Tisch, wer von Ihnen hat einen Hausausweis? Alle heben die Hand – und lachen. Axel Wallrabenstein: Diese Zahlenspielerei ist nicht das entscheidende Thema, auch wenn Medien es gern so darstellen. Worum es eigentlich geht: Lobbying ist fester und legitimer Bestandteil des demokratischen Prozesses. Wir brauchen aber eine
gewisse Kontrolle, damit nicht jeder machen kann, was er will. Ob es 2.000, 5.000 oder 10.000 Interessenvertreter in Berlin gibt, ist dabei nicht die entscheidende Frage. Dominik Meier: Das sehe ich genauso: fünf oder 5.000 – das ist egal. Die Degepol begrüßt übrigens die Offenlegung der Hausausweise durch die Bundestagsfraktionen ausdrücklich.
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Round Table: Die Zukunft der Interessenvertretung
Wallrabenstein: Ich habe auch überhaupt kein Problem damit, wenn veröffentlicht wird, wer über wen einen Hausausweis bekommt. Das ist im Grunde auch uninteressant. Als die SPD-Fraktion kürzlich veröffentlicht hat, wer von ihr einen Hausausweis erhalten hat, waren auch Caterer und Kleinstfirmen dabei, die kein Mensch kennt. Da stellt sich doch die Frage, ob man – wie Lobbycontrol es tut – diese Frage überhaupt diskutieren muss. Lange: Dienstleister der Fraktionen hätten tatsächlich nicht veröffentlicht werden müssen. Wallrabenstein: Das sehe ich anders: Wenn, dann sollte man alle nennen. Zabel: Richtig, man muss schon sorgfältig mit Zahlen umgehen, damit nicht aus 2.000 Inhabern von Hausausweisen automatisch „2.000 Lobbyisten“ werden. Wallrabenstein: Der „Postillon“ hätte genauso gut schreiben können: „Bundestag muss erweitert werden, weil jeder Netzaktivist einen Hausausweis haben will.“ In den Medien kursieren nicht nur Zahlen. Lobbyisten werden oft als im Verborgenen tätige Einflüsterer dargestellt. Die Community weist diesen Vorwurf zurück, räumt aber ein, dass es schwarze Schafe gibt. Die Deutsche Gesellschaft für Politikberatung (Degepol), Herr Meier, setzt sich für „ethisches Lobbying“ ein – was heißt das? Meier: Wir setzen uns als Politikberater seit zehn Jahren für professionelles Lobbying nach klaren Ethikund Qualitätsstandards ein. Diese Standards können wir aber nur durchsetzen, wenn wir in diesem Ziel von der Politik unterstützt werden. Wir haben einen Kodex verabschiedet, der für alle verbindlich ist. Außerdem haben wir im Deutschen Rat für Public Relations (DRPR) einen Lobby-Ausschuss geschaffen, den Axel Wallrabenstein derzeit führt. Wer gegen die Kodizes von Degepol und DRPR ver-
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stößt, wird untersucht und gegebenenfalls sanktioniert. Mit Transparency International haben wir außerdem schon 2007 ein verpflichtendes Lobbyregister gefordert, das Auskunft über Namen, Auftraggeber, Ziele und Finanzen gibt. Frau Zabel, im Gegensatz zur Degepol hat der von Ihnen geleitete Arbeitskreis Public Affairs der Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG) damals für ein freiwilliges Register plädiert. Welche Aussagekraft soll eine Liste haben, die nur einen Teil der Akteure abbildet? Zabel: In der Vergangenheit haben wir uns in der Tat etwas zurückgehalten. Aus folgendem Grund: Ein Register ergibt nur Sinn, wenn es für alle gilt und auch für alle erfüllbar ist. Aus unserer Sicht war der Vorschlag eines Pflichtregisters insbesondere für Rechtsanwälte – Stichwort Mandantenschutz – nicht erfüllbar. Inzwischen haben wir aber eine Idee entwickelt, die Anwälte mit einbezieht, ohne dass diese ihre berufsständischen Interessen verletzen. Wie soll das funktionieren? Zabel: Wir wollen Transparenz schaffen, indem Interessenvertreter ihren Namen, die Organisation, für die sie tätig werden, Kontaktdaten sowie thematische Schwerpunkte offenlegen. Der entscheidende Punkt ist aber die Angabe über eine prozentuale Zusammensetzung der Finanzierungsquellen. Das ist viel aussagekräftiger, als wenn es heißt, dass einem Unternehmen X für Lobbyarbeit 30.000 Euro oder einem Verband Y 300.000 Euro zur Verfügung stehen. Allein bei Mietkosten macht es einen gewaltigen Unterschied, ob man sich eine gute Adresse wie Unter den Linden leistet oder im zweiten Hinterhof jenseits der Oranienburger Straße logiert. Eine Agentur kann durchaus offenlegen, dass soundso viel Prozent ihrer Einnahmen von Wirtschaftsverbänden, Unternehmen, NGOs oder aus
der öffentlichen Hand stammen, ohne absolute Zahlen preisgeben zu müssen. Und Anwälte können das auch. Stimmen Sie zu, Herr Wallrabenstein? Wallrabenstein: Man kann das so machen, das ist völlig okay. Aber am Ende ist das ebenso nutzlos wie ein Lobbyregister. Ich bin zwar für ein Lobbyregister, vor allem, wenn es auch für Kanzleien und Anwälte gilt, aber es wird uns bei dem entscheidenden Problem nicht weiterbringen: Wie trennen wir die Spreu vom Weizen? Wir müssen beim Selbstverständnis der Branche ansetzen und dürfen diese Fragen nicht delegieren. Wir müssen selbstbewusst vorangehen. Hat es in den vergangenen zehn Jahren einen Lobbyskandal gegeben, den ein Register verhindert hätte? Nein. Beim Lobbyregister geht es auch um Information der Öffentlichkeit. Wallrabenstein: Damit tue ich mich etwas schwer. Ich will keine Medienschelte betreiben, aber wir sollten davon wegkommen, aus dem Lobbyregister ein billiges Recherchetool für investigative Journalisten zu machen. Wäre das so schlimm? Wallrabenstein: Nein, aber es ist nicht Aufgabe unserer Branche. Das beste Beispiel ist das Lobbyradar des ZDF. Das ist das nutzloseste Produkt, das ich jemals gesehen habe. Wenn ich meinen Namen dort eingebe, werde ich mit zwei Personen verlinkt. Das ist eine Beleidigung jedes professionellen Lobbyisten. (alle lachen) Ich möchte nicht wissen, wie viele Gebührengelder dort hineingeflossen sind. Lange: Deshalb wäre es ja auch gut, ein aussagekräftiges Lobbyregister zu haben. Es geht um mehr, als nur Zahlen und Listen für die Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Es geht um ein wirkungsvolles Instrument zur Lobbyregulierung. So könnte man etwa nachvollziehen, welche ehemaligen politischen Entscheidungsträger nun in wessen Auftrag unterwegs sind. Das wäre auch nützlich für Parlamentarier. Außerdem würde ein sol-
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„Solange die Politik nicht reagiert, bleibt uns nur die Selbstregulierung.“ Dominik Meier, Deutsche Gesellschaft für Politikberatung (Degepol)
ches Register die Frage klären, wer eigentlich als Lobbyist einzustufen ist. Viele Menschen wissen nichts über Lobbyismus und stellen sich vor, wie hunderte Lobbyisten vor der Bundestagskantine auf Abgeordnete warten. Lobbycontrol stellt das ja zum Teil auch so da. Lange: Nein, aber es gab in den vergangenen Jahren durchaus Fälle, wo die Akteure hinter einzelnen Kampagnen nicht sichtbar waren. Und in vielen anderen Fällen ist unklar, wer in die Lobbyarbeit für bestimmte Firmen und Interessen alles eingebunden ist. Darum geht es doch auch beim Lobbyregister. Herr Meier, Kritikern zufolge fordert die Degepol ein Pflichtregister auch deshalb, weil sich der Politikberatermarkt so bereinigen ließe – zutreffend? Meier: Diese Mythen gibt es immer. Ein Lobbyregister muss universell, sanktionierbar, legitim und durchsetzbar sein. Dass wir nach acht Jahren immer noch kein Register haben,
liegt nicht an der Branche, sondern an der Politik, die das nicht möchte. Das gehört zu einer ehrlichen Diskussion dazu. Es kann nicht sein, dass wir als „die Bösen der Republik“ dargestellt werden. Die entscheidende Frage ist: Wer ist mit welchen Interessen wo und wann unterwegs? Und solange die Politik nicht reagiert, bleibt uns nur die Selbstregulierung. Wallrabenstein: In dieser Frage möchte ich die Politik verteidigen. Natürlich machen sich die eher wirtschaftsfernen Parteien einen schlanken Fuß, denn sie betrifft die Debatte im Zweifel nicht. Für wirtschaftsnahe Parteien ist die Diskussion dagegen problematisch, denn Organisationen wie Lobbycontrol sind auch nicht objektiv. Es ist immer die Rede von guten Lobbyisten und bösen Lobbyisten – und natürlich sind NGOs immer die Guten und Wirtschaftsverbände und Unternehmen immer die Bösen. Wenn jemand vom Verbraucherverband ins Verbraucherschutzministerium wechselt, höre ich von Lobbycontrol nichts dazu. Wenn jemand gleichzeitig einen
Dominik Meier ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung (Degepol) sowie Inhaber und Geschäftsführer von Miller & Meier Consulting.
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Verband der Musikindustrie führt und das Wirtschaftsministerium berät, wird dazu auch nichts gesagt. Wäre aber jemand vom Bankenverband ins Wirtschaftsministerium gewechselt, hätte es sofort eine Stellungnahme gegeben. Insofern ist das eine wechselseitige Geschichte: Wenn die Politik kein Vertrauen in die Aufsichtsgremien hat und nicht davon ausgehen kann, fair behandelt zu werden, ist die Motivation relativ gering, etwas zu tun. Ich gehe aber davon aus, dass das Thema Lobbyregister bei den Koalitionsverhandlungen nach der nächs ten Bundestagswahl auf der Agenda stehen wird. Herr Lange, die Wechsel von Gerd Billen und Helga Springeneer ins BMJV und die Berateraufgabe von Dieter Gorny im BMWi wurden angesprochen. Wie steht Lobbycontrol zu diesen Fällen? Lange: Diese Seitenwechsel sind nicht unproblematisch, wir haben uns auch entsprechend geäußert. Allerdings fordern wir keine Verbote für Wechsel aus der Praxis in die Politik. In den USA gibt es das zum Teil, in Deutschland diskutieren wir dagegen vor allem Wechsel aus der Politik in Unternehmen und Verbände. Bei den genannten Fällen trägt die Politik die Verantwortung, dass es nicht zu einer einseitigen Bevorteilung kommt. Anders als bei Wechseln aus der Politik heraus ist das schwieriger durch eine Karenzzeit zu regeln. Der Großteil der Wechsel findet allerdings zwischen großen Unternehmen und Wirtschaftsverbänden und der Politik statt, Wechsel von und zu NGOs sind eher selten. Für Wechsel von Ministern und Parlamentarischen Staatssekretären in die Wirtschaft wurde 2015 eine je nach Einzelfall zwölf- bis 18-monatige Karenzzeit beschlossen. Ist es nicht Augenwischerei, für eine so kleine Gruppe Regeln zu treffen? Lange: Nein, diese Gruppe ist durch ihre besondere Verantwortung auch besonders wichtig.
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Robin Alexander über geschützte Räume im geschwätzigen Regierungsviertel
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In den Morgenlagen der Mächtigen wird Zukunft gestaltet.
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in Bericht über die „Morgenlagen“ der Berliner Republik ist eigentlich ein absurdes Unterfangen. „Aus der Morgenlage berichte ich prinzipiell nicht“, sagt der Regierungssprecher, „geht niemanden was an“, wird ein Minister unwirsch, „die Morgenlage ist tabu“, sagte Angela Merkel schon in ihren gesprächigeren Jahren zu ihrer Biografin Evelyn Roll. Bei der Morgenlage handelt es sich um nichts anderes als die erste Besprechung des Tages von Spitzenpolitikern mit ihren Vertrauten. Trotzdem wird sie behandelt wie ein privater, ja fast intimer Bereich. Ein geschützter Raum. Es gilt als unschicklich, überhaupt danach zu fragen. Warum hat ausgerechnet die Morgenlage ihre Aura bewahrt im geschwätzigen Regierungsviertel, wo aus Präsidiumssitzungen unter dem Tisch Wortlautprotokolle per SMS verschickt werden und aus Fraktionssitzungen getwittert wird? Vielleicht weil die Spitzenpolitiker sich dort für den ganzen Tag orientieren. Das Wort ist aus dem Militär in die Politik eingewandert: Lange Jahre nur im Manöver, mittlerweile aber auch auf dem Balkan und in Afghanistan, verständigen sich Bundeswehroffiziere in Morgenlagen, wo potenzielle Gefahren drohen. Und wo der Feind steht. Die wichtigste Morgenlage im politischen Berlin findet selbstverständlich im Kanzleramt statt. Genauer: im siebten Stock. Ganz genau: im Raum LE.7.101. „LE“ ist die Abkürzung für Leitungsebene. Es ist die Etage, in der Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Büroleiterin Beate Baumann ihre Büros haben. Der besondere Einfluss Baumanns – das ist wahrlich kein Geheimnis – kann gar nicht überschätzt werden und dokumentiert sich sogar räumlich. Gerhard Schröders Büroleiterin Sigrid Krampitz hatte ihr Büro noch eine Etage tiefer.
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Roland Benedikter erklärt den Transhumanismus
Das humanistische Menschenbild prägte die Entwicklung westlicher Gesellschaften. Doch inzwischen ist der Transhumanismus auf dem Vormarsch. Vertreter dieser neuen ideologischen Strömung beraten westliche Regierungen, Firmen und Entscheidungsträger. Sie streben eine Cyborgisierung des Menschen an. Doch was sind die politischen Folgen?
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as ist Transhumanismus? Was sind die politischen Folgen dieser neuen ideologischen Strömung? Wie wäre mit ihr ein Dialog über die Zukunft des Menschseins zu führen? Und: Wie werden und wollen wir künftig leben – als Individuum und Gesellschaft? Wie kann der freie (politische) Wille vor zu viel Technologie geschützt werden – und wie viel Technologie ist wünschenswert, um unser Leben zu verlängern und zu verbessern? Diese Fragen werden für Politik und Kommunikation immer wichtiger werden – und im Dialog zwischen Humanismus und Transhumanismus ins Zentrum aller Lebensbereiche rücken.
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Die Technik wird heute auf zweierlei Weise zur politischen Kraft. Erstens, indem sie zur „Transformationstechnologie“ wird: zu einer in allen Gesellschaftsbereichen präsenten Logik, ohne die nichts mehr geht und die die Gesamtveränderung der Verhältnisse prägt. Ihrer mikropolitischen Durchdringungskraft entspricht eine wachsende globalpolitische Rolle. War Technologie bis vor einigen Jahren der Wirtschaftslogik untergeordnet, so beginnt sie heute ihrerseits, die globalisierte Wirtschaft zu dominieren – beispielsweise in Gestalt der Innovationen aus dem Silicon Valley. Manche glauben sogar, dass die Technik von einer „Soft power“ zu einer „Befreiungstechnologie“ werden könnte, so etwa das Program on Liberation Technology der Stanford Universität. Zweitens wird Technologie durch die Gründung weltweit vernetzter „Transhumanistischer“ Parteien auch direkt politisch. 2014 gründete der Bestseller-Autor Zoltan Istvan die Transhumanist Party of the USA. Mit anderen Technophilen gründete er auch die Transhumanist Party Global, die zu einem Netzwerk nationaler Transhumanistischer Parteien werden soll. Parteigründungen erfolgten 2014 und 2015 unter anderem in Großbritannien (UK Transhumanist Party) und Deutschland (Transhumane Partei Deutschland). Ge plant sind Parteien auch nach geopolitischen Regionen, so etwa eine Transhumanistische Partei Südamerika und eine Transhumanistische Partei Afrika. Die neuen Parteien streben an, was Transhumanismus dem Wortsinn
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Joachim Riecker analysiert die Lage der FDP
Zwei Jahre vor der Bundestagswahl 2017 stehen die Liberalen in Umfragen an der Grenze zwischen Erfolg und Scheitern.
Comeback 2017?
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ie schnell sich die Stimmung in der Bundespolitik wandeln kann, haben die vergangenen Wochen und Monate besonders deutlich gemacht. Noch im Hochsommer schien Bundeskanzlerin Angela Merkel politisch unangreifbar zu sein. Schleswig-Holsteins SPD-Ministerpräsident Tors ten Albig räsonierte gar darüber, ob die SPD darauf verzichten könne, einen eigenen Kanzlerkandidaten aufzustellen, weil Angela Merkel ihre Sache so gut mache und kaum zu schlagen sei. Doch durch die Flüchtlingskrise hat sich viel verändert. Der schon sicher geglaubte Wahlsieg 2017 ist plötzlich infrage gestellt und sogar ein Sturz Merkels nicht mehr völlig ausgeschlossen. Derzeit kann auch niemand voraussagen, ob die FDP bei der Bundestagswahl 2017 wieder in den Bundestag zurückkehren wird. In Umfragen steht die Partei seit einem halben Jahr recht stabil bei fünf Prozent und damit genau an der Grenze zwischen Erfolg und Scheitern. Aber es gibt zumindest Anzeichen dafür, dass in knapp zwei Jahren das Comeback gelingen könnte. Da sind zunächst einmal die Wahlerfolge in der ersten Hälfte dieses Jahres. Sowohl in Hamburg (7,4 Prozent) als auch in Bremen (6,6 Prozent) überwand die Partei locker die Fünf-Prozent-Hürde, obwohl beide Hansestädte nicht zu den Hochburgen der FDP zählen. Die guten Ergebnisse enthielten für die Liberalen eine zentrale Botschaft: Anders als in den Monaten nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag im September 2013 hat die FDP als Marke nicht mehr „generell verschissen“, wie es Parteivize Wolfgang Kubicki einmal auf besonders drastische Weise ausgedrückt hat. Wenn sie überzeugendes Personal anbietet, sind Wahlerfolge wieder möglich. In den beiden norddeutschen Metropolen trat die FDP mit dynamisch und sympathisch wirkenden Spitzenkandidatinnen an. Das hat dem Image der Partei gut getan. Bei nächsten Landtagswahlen am 13. März 2016 in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt werden aber überall Männer auf dem ersten Listenplatz stehen: In Rheinland-Pfalz der Finanzexperte und ehemalige Bundestagsabgeordnete Volker
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Kai Schlieter über die Macht von Algorithmen
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An selbstlernenden Maschinen hängt die Zukunft von Politik und Gesellschaft.
Die Auto matisierung von Politik
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or etwa 15 Jahren, Google war gerade gegründet, fragte ein Journalist Sergey Brin und Larry Page, ob es nicht vermessen wäre, mit ihrer Suchmaschine das Wissen der Welt organisieren zu wollen. Sie antworteten, dass es ihnen nicht nur darum ginge – ihr Traum sei vielmehr die Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI) und die Suchmaschine der Weg dahin. Heute ist Google/Alphabet der größte KI-Konzern der Welt. In den vergangenen fünf Jahren bauten weltweit IT-Konzerne Abteilungen für künstliche Intelligenz auf. Zunehmend auch Start-ups. Im November verkündete Toyota, eine Milliarde Dollar in ein KI-Forschungslabor zu investieren. Die gleiche Summe steckte IBM in sein Expertensystem „IBM Watson“, das der Konzern mittlerweile zu einer Sparte ausbaute. Mit IBM Watson können sich Menschen unterhalten, das System kann zehntausende medizinischer Studien „lesen“. Es „versteht“ nicht Medizin, sondern errechnet statistische Modelle für semantische Zusammenhänge von Worten in Texten. Dieses System ist in der Lage, aus den gewonnenen Informationen signifikante Schlussfolgerungen zu ziehen. US-Unikliniken nutzen es zur Krebsdiagnose. Die Amerikaner erkannten, dass an selbstlernenden Maschinen die Zukunft hängt. Es geht um die Automatisierung von Wissenserzeugung. Wem es gelingt, Systeme zu entwickeln, die Wissen automatisiert generieren, der kann diesen Prozess optimieren. Es entsteht eine sich selbst beschleunigende Wissensmaschinerie. Intelligente Informationsverarbeitung markiert die Überlegenheit des Menschen gegenüber anderen Spezies. Die industrielle Revolution wurde durch Energie möglich, die digitale Revolution durch Information. Künstliche Intelligenz ist hierfür die Schlüsseltechnologie und steckt hinter Big Data. Bis in US-amerikanische Militärlabore des Zweiten Weltkriegs reichen die Wurzeln. Für komplexe Berechnungen zum Bau der Atombombe entwickelten die Amerikaner den modernen Digitalcomputer. Die Schöpfer der ersten Institute für Informatik in den USA begründeten zugleich das Forschungsfeld der künstlichen Intelligenz. All dies
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Umfrage: Die Rising Stars im Bundestag
Wer sind die Rising Stars im Bundestag?
Umfrage: 250 Teilnehm er 33 Kandidaten 3 Gewinner
Nach den Umfragen der vergangenen Ausgaben zu Hauptstadtrepräsentanten von Unternehmen, den Staatssekretären der Bundesregierung sowie den Bevollmächtigten der Bundesländer beim Bund richtet politik&kommunikation in der letzten Ausgabe dieses Jahres den Blick auf die Rising Stars im Bundestag. Im Oktober haben wir Entscheider gefragt, welche Bundestags abgeordneten unter 35 Jahren ihrer Ansicht nach das größte Entwicklungspotenzial haben. 250 Kenner des politischen Betriebs nahmen an der Umfrage teil. Aus der Liste der 33 Abgeordneten dieser Altersgruppe wählten die Teilnehmer jeweils fünf Personen aus. Das Ergebnis: Es gibt eine klare Gewinnerin. 57,6 Prozent aller Befragten kreuzten Nadine Schön (CDU) an, 38 Prozent votierten für Katrin Albsteiger (CSU) und für Sven-Christian Kindler (Grüne) stimmten 19,6 Prozent der Teilnehmer. Außerdem fragten wir, auf welche Kernkompetenzen es bei Nachwuchspolitikern künftig mehr denn je ankommen wird (ab Seite 84).
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Umfrage: Die Rising Stars im Bundestag
Mit Konsens an die Spitze
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Offen für Kompromisse, unterwegs in Schützenvereinen und auf Twitter: Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Nadine Schön, pflegt einen modernen Politikstil.
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Lust auf mehr? politik & kommunikation
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Plus Umfrage: Die tion.de
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Plus Umfrage: Die einflussreichsten Bevollmächtigten der Länder
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