Ressourcen im Kreislauf
Warum die BMW Group Zirkularität in das Zentrum einer Kampagne stellt.
Greenwashing auf der Spur
Weshalb das Medien-Start-up Flip falsche Versprechen aufdecken will.
Warum die BMW Group Zirkularität in das Zentrum einer Kampagne stellt.
Weshalb das Medien-Start-up Flip falsche Versprechen aufdecken will.
Die Fußball-WM offenbarte das Dilemma von Haltungskommunikation.
Bude smart – wie fantastisch ist das denn?
Ob Haushaltsgeräte, Heim- und Gartenwerkzeuge, Smart Home Lösungen oder Heizungs- und Klimageräte – unsere Produkte machen wirklich jede Bude smart. Wir bei Bosch entwickeln ständig neue Technologien, damit du wie DIE FANTASTISCHEN VIER noch einfacher, smarter, gesünder und nachhaltiger leben kannst. Mehr unter likeabosch.com
Ich werde häufig gefragt, welche Trends ich in der Kommunikation sehe. Gerne mag ich diese Frage nicht, weil sie sich nicht pauschal beantworten lässt. Die Ressourcen und Prioritäten der Kommunikationsabteilung eines Konzerns unterscheiden sich fundamental von denen einer Behörde mit einer einzigen festangestellten Person für die Öffentlichkeitsarbeit. Während die einen planen, wie sie ihren Newsroom vollständig remotefähig machen und Marketing und PR zusammenlegen können, kämpfen die anderen damit, Kapazitäten zu finden, um eine Facebook-Seite professionell aufzusetzen.
Ein Thema, bei dem ich mir sicher bin, dass es für lange Zeit eine dominante Rolle spielen wird, ist Nachhaltigkeit. Deshalb machen wir hierzu zum zweiten Mal eine Ausgabe. Das ist natürlich längst kein reines Kommunikationsthema mehr. Es gibt eine Vielzahl von Facetten. Zusätzlich soll die Wirkung von Kommunikation nachhaltig sein. Wir haben uns entschieden, in dieser Ausgabe vor allem die ökologische Nachhaltigkeit zu adressieren.
Es gibt ein Interview mit dem Kommunikationschef von Aida Cruises über die Fortschritte bei der Nachhaltigkeit von Kreuzfahrten. Die BMW Group hat eine Nachhaltigkeitskampagne gestartet, die anders als man vielleicht erwartet, nicht die Elektromobilität, sondern die Kreislaufwirtschaft ins Zentrum rückt. Branchen wie die Stahl- und Zementindustrie und die Finanzwirtschaft müssen ihre Emissionen senken beziehungsweise sie können über ihre Investitionen Einfluss darauf nehmen, wie schnell sich Unternehmen transformieren.
Die Fußball-WM hat gezeigt, wie wichtig es ist, gesellschaftliche Fragen in der Kommunikation im Blick zu haben. Noch mehr hat das Turnier allerdings gezeigt, wie wenig es Unternehmen, Verbänden und Spielern gelingt, Klartext zu reden und Probleme beim Namen zu nennen.
Mein Eindruck ist, dass die symbolhafte Kommunikation, die sich in der „One Love“-Binde optisch manifestiert, wenig mehr bringt als ein gutes Gefühl. Zeichen setzen funktioniert wunderbar in den sozialen Netzwerken, weil es Likes, Herzchen und positive Kommentare gibt – viel billigen Applaus. Unternehmen, die nicht müde werden, ihre gesellschaftliche Verantwortung zu betonen, sind weiterhin selten mutig. Sie überschätzen auch die negativen Konsequenzen einer klaren Positionierung und flüchten in Marketingslang. Kund*innen und Zuschauer*innen verstehen durchaus, dass globale Sportartikelhersteller mit einer Weltmeisterschaft Geld verdienen wollen. Was sie aber nicht verstehen ist, dass Weltkonzerne so tun, als ob die FIFA ein integrer Verband oder Katar ein Land ist, in dem Menschenrechte viel zählen.
Wir werden die kommenden Wochen nutzen, um uns neue Formate und Rubriken zu überlegen, die den Service-Charakter des Magazins stärker betonen. Bis dahin wünsche ich Ihnen schöne Weihnachten und einen guten Jahreswechsel!
Volker Thoms, Chefredakteur
3 Editorial 7 Sprecherspitze 10 Meldungen 12 PR-Foto 78 Kolumne
6 Kommentar
Die Fußball-WM zeigt, wie schwer sich Unternehmen, Verbände und Sportler mit Haltung tun. Mehr Klartext wäre nötig.
SZENE 8 Zugang/Abgang
Verena Köttker wird Kommunikationschefin bei der KfW. Michael Manske wechselt zur VW-Tochter Cariad.
14 Keine Lust auf Verarsche
Das Medien-Start-up Flip geht Greenwashing nach. Mitgründer Felix Rohrbeck über falsche Nachhaltigkeitsversprechen.
TITEL: NACHHALTIGKEIT
20 Der WM-Ball
Wie viel recyceltes Material steckt im Adidas-Spielball?
22 Transformationsdruck
Energieintensive Unternehmen positionieren sich mehr und mehr als Wegbereiter für grüne Technologien.
26
Langfristige Wirkung Ausstellungen und Museen sind Kommunikationsplattformen für Marken. Besucher sollte man weder über- noch unterfordern.
30
Zukunft der Kreuzfahrten Aida-Kommunikationschef Hansjörg Kunze über Nachhaltigkeitsfortschritte im Tourismus und seine Medienarbeit.
34
Komplizierte Terminologie Zentrale Begriffe rund um Nachhaltigkeit einfach erklärt.
36
Ziele und Fortschritte Nachhaltigkeitsberichte sind oft zahlenlastige Dokumente. Was macht einen guten Report aus?
40
Regulatorik und Symbolik
Die Finanzindustrie hat selbst nur geringe Emissionen. Wie sehen die Unternehmen ihre Rolle bei ESG-Themen?
44
KOM fragt
Drei Kommunikationsexperten beantworten Fragen zur Nachhaltigkeit.
46
Die Kreislauf-Agenda
Die BMW Group stellt die Zirkularität von Rohstoffen ins Zentrum einer Kampagne. Warum?
52
Zusammenarbeit optimieren
Was Journalisten aus Sicht von Kommunikationsverantwortlichen besser machen könnten.
54
Veraltetes Bild
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe will über Risikokommunikation informieren – und schürrt die Angst vor Social Media.
58
Burger am Pranger
Der Journalist Günter Wallraff recherchierte bei Burger King und stieß auf reichlich Unangenehmes. Wie geht die Fast-Food-Kette damit um?
62
Was passiert mit Messen?
Giuseppe Rondinella über die Zukunft von Messen und Live-Events.
64
Fotos des Jahres
In der Politik gab es dieses Jahr zahlreiche bemerkenswerte Momente. Zwölf Highlights in Bildern.
66
Rückkehr der Bauakademie
In Berlin soll die Bauakademie wieder entstehen. Welches Statement zur Architektur sie abgeben soll, ist unklar.
AGENTUR
70 Kurz vorgestellt Feline Straßburger von 365 Sherpas beantwortet den Agenturfragebogen.
KARRIERE
72 Moral und Werte
Wie sollen Kommunikationsverantwortliche reagieren, wenn sie gegen ihre eigenen Überzeugungen handeln müssen?
74
Die Einarbeitung von Mitarbeitenden scheitert oft. Wie kann es besser laufen?
82 Verband Gruppe Nachhaltigkeitskommunikation gegründet, Forschungssprecher*innen des Jahres, Gremien-Treff, Interview mit Klaus Gorny
Das Medien-Start-up Flip deckt Greenwashing auf. Mitgründer Felix Rohrbeck über falsche Versprechen von Unternehmen und die Arbeit von Pressestellen.
Das Lindt Home of Chocolate und das MercedesBenz Museum fungieren als Kommunikationsplattformen. Wie werden Ausstellungen zum Erlebnis?
Realistische Fristen, bessere Vorbereitung – was Kommunikationsverantwortliche von Journalisten erwarten.
Branchen wie Stahl und Zement erzeugen gewaltige CO2-Emissonen. Unternehmen positionieren sich als Vorreiter der Transformation.
Als Wirtschaftsjournalist arbeitete Felix Rohrbeck für die „Zeit“. Heute ist er Mitgründer des Medien-Start-ups Flip, das einen Greenwashing-Newsletter herausgibt. Wie deckt er falsche Nachhaltigkeitsversprechen auf? Wie reagieren Pressestellen auf kritische Nachfragen?
Interview SVEN LECHTLEITNERIhr Medienunternehmen Flip fokussiert sich auf das Thema Nachhaltigkeit. Im Newsletter decken Sie Greenwashing auf. Warum machen Sie das?
Rohrbeck: Wir wollen in dem ganzen Feld von Nachhaltigkeit und einer besseren Wirtschaft für Transparenz sorgen. Auf der einen Seiten gibt es viele Menschen, die sich für nachhaltiges Wirtschaften interessieren und mit ihrem eigenen Konsumverhalten dazu beitragen wollen. Auf der anderen Seite gibt es viele Unternehmen, die ebenso behaupten, einen Nachhaltigkeitsansatz zu verfolgen. Für Konsumenten ist es jedoch schwer zu durchschauen, was wirklich nachhaltig ist und wer nur so tut – also Greenwashing betreibt. Es braucht mehr Transparenz. Auch in der Hoffnung, dass der Konsum ein großer Hebel ist, um zu einer besseren Wirtschaft beizutragen.
Sie schauen sich konkrete Nachhaltigkeitsversprechen an und prüfen deren Wahrheitsgehalt: Wie werden Sie auf Unternehmen und Kampagnen aufmerksam?
Rohrbeck: Es kommen wahnsinnig viele Vorschläge aus unserer Community. Wir haben rund 14.000 Newsletter-Abonnenten. Allein deren Vorschläge sind zu viele, als dass wir sie alle mit unse-
rem kleinen Team angehen könnten. Wir halten zudem auch selbst Ausschau und werden über Social Media auf bestimmte Themen aufmerksam. Gerade die Unternehmen, die stark mit Nachhaltigkeit werben, sind viel auf Instagram unterwegs. Fallen uns dort immer wieder bestimmte Aussagen auf, ist das ein Impuls, genauer hinzuschauen. Als Journalisten beobachten wir insgesamt Märkte und Branchen. Wir arbeiten auch mit Kooperationspartnern – also anderen Medien und Redaktionen – zusammen, so dass auch von dieser Seite Themen an uns herangetragen werden.
Fast jedes Unternehmen hat inzwischen eine Nachhaltigkeitsstrategie. Wie entscheiden Sie, welche Sie sich genauer anschauen?
ist Wirtschaftsjournalist und arbeitete unter anderem als Redakteur im Wirtschaftsressort der „Zeit“. Dort war er an der Aufdeckung des Cum-Ex-Skandals beteiligt. Gemeinsam mit Christian Salewski, Dominik Sothmann und Christian Sothmann gründete er 2020 das Medienunternehmen Flip. Ihr Greenwashing-Newsletter gewann an Bekanntheit durch die „Sneakerjagd“, bei der alte Sneaker von Prominenten mit GPS-Sendern verwanzt und um die halbe Welt verfolgt wurden. Erst kürzlich hat Flip gemeinsam mit der „Zeit“ das WM-Trikot der deutschen Fußballnationalmannschaft unter die Lupe genommen. Den Recherchen zufolge ist das Trikot wohl weniger nachhaltig, als der Sportartikelhersteller Adidas vermittelt.
Rohrbeck: Es gibt verschiedene Arten, wie wir uns einem Thema nähern. Wenn wir auf eine Kampagne aufmerksam werden, die Nachhaltigkeit laut nach außen schreit, schauen wir schon allein deswegen genauer hin. Manchmal beschäftigen wir uns auch zunächst mit einem Themenfeld. Beispielsweise ist der Bausektor riesig und trägt zu 40 Prozent zu CO2-Emmissionen bei. Ein Bereich, der weniger als Flugverkehr diskutiert wird. Dann schauen wir, welche Ansätze und Initiativen es im Bausektor gibt. Wir
Am Mercedes-Benz Museum finden Konzerte statt. Im Sommer 2022 beispielsweise eines von Alvaro Soler.
und Besucher können sich über die Geschichte der Schokolade in der Schweiz informieren.
Im September 2020 eröffnete das Lindt Home of Chocolate. Mit dabei: der Schweizer Tennisstar Roger Federer (l.), der als Markenbotschafter für Lindt tätig ist.
Ausstellungen in außergewöhnlichen Räumlichkeiten sind für Unternehmen, Marken und Stiftungen Kommunikationsplattformen. Inhalte müssen sich von selbst erschließen und sollten weder unter- noch überfordern.
Von VOLKER THOMSWer nach Sehenswürdigkeiten in Wolfsburg sucht, landet zwangsläufig bei der Autostadt. Der Volkswagen-Konzern bezeichnet die am Mittellandkanal gelegene freizeitparkähnliche Anlage mit den verschiedenen Marken-Pavillons als „Kommunikationsplattform“. Die Konzernmarken „inszenieren ihre Philosophie und Werte auf individuelle Weise – mal sachlich, mal spielerisch oder künstlerisch“, heißt es auf der Website.
Kunden können hier ihre Fahrzeuge abholen. In den Pavillons können Gäste Autos bestaunen – alte und neue. Es findet eine Käfer-Ausstellung statt. Es gibt einen Dufttunnel mit 2.160 Blumentöpfen und die Möglichkeit, Fahrtrainings zu absolvieren. In der Weihnachtszeit bietet die Autostadt Workshops an. So können Kinder in der „kleinen Weihnachtsbäckerei“ Kekse backen. Wer es sich leisten kann, lässt es sich abends im Drei-Sterne-Restaurant oder FünfSterne-Hotel mit Spa gutgehen. Etwa zwei Millionen Menschen besuchten die Autostadt vor der Coronapandemie. Mehr als 40 Millionen waren es seit der Eröffnung im Jahr 2000.
Eine Marke an einem Ort abseits von Metropolen zu inszenieren, wirkt bei global agierenden Konzernen erst einmal ungewöhnlich. Doch wer Emotionen erzeugen und Informationen nachhaltig
im Gedächtnis von Zielgruppen verankern will, muss etwas Greifbares schaffen – und ein Erlebnis. Das prominenteste Beispiel für diese Strategie ist der Disney-Konzern, der in den Themenparks an seine Filme anknüpft. Im kleineren Maßstab haben sich auch BMW mit der BMW Welt in München sowie MercedesBenz mit seinem Museum Kommunikationsplattformen geschaffen.
Zwölf Räume, etwa 160 ausgestellte Fahrzeuge, 16.500 Quadratmeter Fläche und rund 850.000 Besucher im Jahr 2019 sind die wichtigsten Kennzahlen des Mercedes-Benz Museums in Stuttgart. „Für das Unternehmen ist das MercedesBenz Museum die größte Markenplattform. An keinem anderen Ort kann man der Marke dauerhaft und so umfassend in ihrer ganzen Vielfalt begegnen“, erklärt Pressesprecherin Friederike Valet. Etwa 60 Prozent der Gäste kommen aus dem Ausland – vor allem aus China, den USA und Frankreich. Sie werden somit zu internationalen Botschaftern, die ihre Eindrücke persönlich oder über die sozialen Netzwerke teilen. Mercedes-Benz hat reichlich Geschichten zu erzählen – vom ersten Auto 1886 über die „Silberpfeile“, den Bus der deutschen Mannschaft bei der Fußball-WM 1974 bis zu den jüngs-
In der vergangenen Ausgabe haben wir Journalisten gefragt, was sie an Pressestellen nervt. Dieses Mal haben wir Kommunikationsverantwortliche gefragt, wie Journalisten dazu beitragen könnten, dass die Zusammenarbeit mit Kommunikationsabteilungen besser läuft.
Recherche: VOLKER THOMS„Mich ärgert, wenn Journalist*innen sagen, dass Pressesprecher*innen nie erreichbar sind. Auch wenn ich selbst noch kein negatives Feedback erhalten habe, fühle ich mich dennoch angesprochen. Bei Anfragen sollten sich Medienvertreter*innen Zeit nehmen, ihr Thema sondieren, sich Fragen notieren und diese dann einfach kurz per Telefon vorab besprechen. Danach am besten noch einmal direkt per E-Mail schicken. Ja, ich weiß, es nervt, aber so können Fehler – auf beiden Seiten – vermieden werden. Manchmal würde ich mir auch etwas mehr Vorbereitung auf Seiten der Medien wünschen. Somit könnte man direkt im Gespräch auf die relevanten Inhalte eingehen, ohne noch einmal mit Grundsätzlichem beginnen zu müssen. Das Wichtigste ist aber, fair und auf Augenhöhe miteinander zu kommunizieren. Dann klappt es auch zwischen den jeweiligen Medienverantwortlichen auf beiden Seiten.“
„Für mich sind drei Faktoren wichtig: Verständnis für Detailtiefe, Fairness bei Auskünften ‚Unter drei‘ und ausreichend Zeit für eine Antwort. Viele Aspekte – insbesondere bei uns im Gesundheitswesen – sind komplex. Da freue ich mich, wenn Journalisten versuchen, die Sachverhalte vollständig zu erfassen, und in allen Facetten korrekt berichten. Manchmal ist es nötig, Hintergrundfakten mitzuteilen, die aber nicht zur Veröffentlichung bestimmt sind. Ich hatte mal einen Fall, bei dem ‚Unter drei‘-Inhalte dann doch mit Namensnennung in der Zeitung gelandet sind. Dafür hält sich mein Verständnis in Grenzen. Und ansonsten der Klassiker: freitags um 14 Uhr Fragen schicken und bis 16 Uhr eine Antwort haben wollen. Das geht für mich nicht. Ausreichend Zeit für eine qualifizierte Reaktion sollte eine Selbstverständlichkeit sein.“
Jens A. Krömer ist Sprecher der Apothekerkammer Nordrhein.
„Kleiner werdende Redaktionen, knappe Budgets, Zeit- und Leistungsdruck, zunehmende Themenkomplexität: Ich verstehe die Herausforderungen, vor denen Journalist*innen heute stehen. Daher habe ich auch kein Problem mit knappen Fristen oder kurzfristigen telefonischen Anfragen. Was ich mir jedoch wünschen würde: mehr Offenheit in der Recherche und weniger Voreingenommenheit bei einer Story. Ich habe teilweise den Eindruck, dass Artikel im Kopf entworfen und Belege gesucht werden, bis die Geschichte stimmt. Tendenzjournalismus wirkt verzerrend und ist für alle Seiten –letztlich auch die Leser – nicht gut. Wenn neue oder andere Aspekte einbezogen werden, wird die Geschichte nicht schlechter, sondern anders als erwartet.“
„Wir müssen reden! Vor zwei Monaten las ich an dieser Stelle, dass Journalistinnen und Journalisten die Wiederentdeckung eines bewährten Arbeitsgeräts wünschen – des Telefons. Deal! Denn so nervtötend für sie ‚Können Sie mir Ihre Frage als E-Mail schicken?‘ ist, so unerquicklich sind aus Sicht der Pressestelle ellenlange Fragelisten, die unangekündigt, vorzugsweise am Freitagnachmittag, per E-Mail eintrudeln. Gerne –wenn überhaupt – mit Antwortfrist bis Dienstagmorgen. Nicht selten basiert ein Gutteil der Fragen auf fehlendem Hintergrund, der Rechtslage von vorgestern oder schlichten Missverständnissen. Im Gespräch ist das oft schnell geklärt und erläutert, direkte Nachfragen eingeschlossen; per E-Mail wird es umständlich oder klingt abblockend.“
Martin May ist Geschäftsführer und Leiter Kommunikation beim Industrieverband Agrar.
„Die Zusammenarbeit zwischen Journalisten und Kommunikationsabteilungen läuft am besten, wenn beide Seiten Verständnis füreinander aufbringen. Als ehemaliger Journalist kenne ich den Zeitdruck und die Abläufe, die in Redaktionen herrschen. Manchmal ist ein Thema aktuell, und es muss sehr schnell gehen. Dann ist aber unternehmensseitig die Analyse vielleicht noch nicht abgeschlossen und eine Antwort nicht in dem gewünschten Zeitrahmen möglich. Das muss die Kommunikationsabteilung dann auch so begründen können. Als Maschinenbauer sind wir aber eigentlich immer gut ansprechbar auf Themen wie Digitalisierung und Automatisierung. Außerdem kennen wir uns mit Elektromobilität sehr gut aus.“
Claas arbeitet als
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat einen 137 Seiten umfassenden Kommunikationsleitfaden herausgegeben. Die Behörde empfiehlt Broschüren und Plakate und warnt vor Social Media – im Jahr 2022.
Von CHRISTIANE GERMANNEin Handbuch für die Praxis
Anfang Oktober 2022 erschien das BBK-Handbuch. Insbesondere das Social-Media-Kapitel wirkt aus der Zeit gefallen, wofür auch Quellen aus den Jahren 2013 und 2014 sprechen.
Viele Menschen in Deutschland haben in diesem Jahr ein neues Wort gelernt: „Blackout“. Kontinuierlich weisen Medien und Behörden unter anderem über Social Media auf das Risiko eines längeren Stromausfalls hin. Sie erklären, welche Vorräte wir für den Fall des Falles benötigen: unter anderem haltbare Lebensmittel,
Taschenlampen mit ausreichend Batterien und geladene Powerbanks.
Der offizielle Ausdruck für diese Art von Empfehlungen lautet „Risikokommunikation“. Der Krisenfall ist noch nicht eingetreten, aber er könnte eintreten. Die Bevölkerung soll dafür sensibilisiert werden. Sie soll wissen, wie sie sich im Zweifel selbst helfen kann.
Insbesondere jüngere Menschen in Deutschland kennen echte Notlagen nur aus dem Fernsehen. Wie man sie am besten erreichen kann? Klar, über Social Media! Denn die Generation der 14- bis 29-Jährigen hat in der Regel kein Zeitungsabo mehr, ist dafür aber der ARD/ ZDF-Onlinestudie zufolge 234 Minuten am Tag online.
Am Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Deutschlands wichtigster Fachbehörde für den Katastrophenschutz, scheint das Mediennutzungsverhalten der vergangenen 20 Jahre leider weitgehend vorbeigegangen zu sein. Ihr kürzlich veröffentlichtes 137 Seiten starkes Handbuch „Risikokommunikation – Ein Handbuch für die Praxis“ richtet sich an Behörden und Hilfsorganisationen. Es sollte diese eigentlich ermutigen und befähigen, soziale Medien richtig zu nutzen. Das BBK rät aber von Social Media als Kommunikationskanal eher ab. Die Behörde warnt regelrecht – und stützt ihre Argumentation dabei auf Vorurteile und Ängste aus der Mottenkiste.
Unter anderem heißt es auf Seite 90: „Der Einsatz von Social Media passt nicht immer zu dem Bild, das man von seiner Organisation in der Öffentlichkeit kreieren will.“ Richtig wäre: Social Media sind absoluter Standard. Welches Bild man dort abgibt, liegt an der Organisation selbst. Außerdem steht im Handbuch (S. 18): „Wenn eine Behörde einen Auftritt in einem sozialen Netzwerk hat, aktuell aber nicht über ausreichend Personal verfügt, um bei einem erhöhten Nutzeraufkommen die entsprechende Pflege zu gewährleisten, und dieser Zustand auch nicht zeitnah zu beheben ist, sollte dieser Kanal eher nicht für die geplante Risikokommunikation genutzt werden, auch wenn er für die Zielgruppe ein relevantes Medium ist.“ Eigentlich müsste dort stehen: Falls es bislang versäumt wurde, Social Media personell gut genug auszustatten, sollte dies entweder schleunigst nachgeholt oder vorübergehend eine Agentur beauftragt werden.
Fakt ist: Social Media gehören zu den wichtigsten Mitteln der Krisenund Risikokommunikation öffentlicher Stellen. Die eigentlich eher konservative BBK-Mutterbehörde Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) schrieb zum Thema Krisenkommunikation bereits 2014, dass soziale Netzwerke „unverzichtbare“ Instrumente seien.
Das BBK scheint im Fax- und Broschüren-Zeitalter festzustecken. Als Instrumente der Risikokommunikation werden im erwähnten Handbuch zunächst auf vielen Seiten Publikationen (Broschüren, Flyer und Plakate) und „Tage der offenen Tür“ als Mittel der Wahl angepriesen. Wer weiterliest, findet irgendwann den Abschnitt „Internet, Social Media, Apps“ – und fühlt sich spätestens hier in die Zeit Anfang der 2000er Jahre zurückversetzt. Man liest Sätze wie: „Eine Möglichkeit, um die Informationen der eigenen Organisation im Internet verfügbar zu machen, ist das Anlegen einer eigenen Website.“ Das soll fortschrittlich sein? Zeitgemäßer wird es leider nicht. Der Unterabschnitt zu Social Media ist über-
Das Handbuch sollte Behörden eigentlich ermutigen und befähigen, soziale Medien richtig zu nutzen.
schrieben mit: „Social Media – ja oder nein?“ Richtig wäre: Social-Media-Kommunikation von Behörden ist im Jahr 2022 keine Frage des Obs, sondern ausschließlich des Wies! Hier wäre viel Platz gewesen für die Vorteile und Chancen von Risikokommunikation auf sozialen Plattformen: kostengünstig, schnell und effektiv. Das BBK aber hebt warnend den Zeigefinger. „Insbesondere das Potenzial für so genannte Shitstorms sollte berücksichtigt werden“, heißt es unter Verweis auf Literatur aus dem Jahr 2013. Richtig wäre: Sogenannte „Shitstorms“ kommen selten vor – und schaden auch nur dann, wenn man wirklich Mist gebaut hat.
Wer das BBK-Handbuch liest –beispielsweise als Bürgermeister*in oder Feuerwehr –, muss zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass Social Media ein Risiko sind. Das Buch soll wohlgemerkt Hilfestellung für echte Risiken wie Hochwasser, Stromausfall
und Corona geben. Dieser Eindruck ist nicht nur komplett falsch, sondern auch fatal für Deutschland. Auf kommunaler Ebene werden die (personellen) Ressourcen für Behördenkommunikation oft knappgehalten. Wenn lokale Stellen nun von einer Bundesbehörde wie dem BBK gesagt bekommen, dass Social Media maximal eine Option und eigentlich Mist sind, werden sie verführt, das zu glauben. Die Folge: Der Staat kommuniziert an den Menschen vorbei. Das tut er leider bereits viel zu oft wie bei den langweiligen, dafür aber teuren CoronaPlakatkampagnen.
Was mich überrascht: Das BBK ist eigentlich eine Social-Media-Vorzeigebehörde. Auf Twitter, Instagram und Youtube betreibt sie exakt die Risikokommunikation, die sie anderen madig machen möchte. Warum also ausgerechnet das BBK Kommunikationsempfehlungen aus der Steinzeit veröffentlicht, während wir dringend gute und moderne staatliche Kommunikation brauchen, weiß wohl nur die Behörde selbst. Meine Anfrage beim Medienteam hierzu wurde leider nur ausweichend beantwortet.
Ich wünsche mir, dass der Leitfaden als Fehler erkannt und aus dem Netz genommen oder zeitnah aktualisiert wird. Das BBK sieht das leider anders: „Derzeit ist nicht vorgesehen, das Handbuch zu überarbeiten“, so die Antwort. Offenbar braucht es noch viele gedruckte Broschüren, bis deutsche Behörden in der kommunikativen Gegenwart ankommen. •
Christiane Germann kommunizierte über Social Media für das Bundesministerium des Innern und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, bevor sie sich als Kommunikationsberaterin für Behörden selbstständig machte. Ihre Agentur sitzt in Berlin. www.amtzweinull.de
Wir sind Gestalter einer grünen Energiewelt. Wir investieren mehr als 50 Milliarden Euro brutto bis 2030. Und wir haben ein klares Ziel: klimaneutral bis 2040. Willkommen bei RWE.