Piktogramme / Orientierungssysteme

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#11.2 Kommunikation im Raum : Piktogramme/Orientierungssysteme

Stefan Zahm

Piktogramme/Orientierungssysteme Im Jahre 1920 entwickelte Otto Neurath mit der sog. „Wiener Methode“ ein Bildsystem zur anschaulichen Darstellungen von Statistiken. Viele Jahre später erst entdeckte man, dass Piktogramme auch ein wichtiges Mittel zur Orientierung sind und sich aufgrund ihrer Sprachunabhängigkeit auch bei den Olympischen Spielen bestens eignen. Aber auch sonst sind Piktogramme heutzutage allgegenwärtig.

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in Piktogramm (von lateinisch pictum Bild, griechisch gráphein - schreiben) ist ein einzelnes Bildsymbol, das eine Information durch vereinfachte, grafische Darstellung vermittelt. Es bezieht sich meist auf einen realen Gegenstand, der stilisiert oder typisiert gezeigt wird. „Piktogramme sind Reduktion auf den kleinsten gemeinsamen Nenner aller möglichen kulturellen, visuellen und ästhetischen Wahrnehmungsmöglichkeiten. Sie sind die visuelle Essenz eines Objektes und Schlüsselbilder mit universeller Verständlichkeit auf globaler Ebene.“ [1] Piktogramme heute/Anwendungsgebiete Piktogramme finden sich heutzutage überall. In vielen Bereichen sind sie nicht mehr wegzudenken bzw. ist eine Orientierung ohne sie nicht mehr vorstellbar. Das sind zum einen Orte an denen man sich

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zurecht finden muss, wie z. B. Bahnhöfe, Flughafen, Ausstellungen/Messen, Sportstätte, Hotels, Kauf häuser, Straßenverkehr sowie andere öffentliche Einrichtungen und Bauten. Zum anderen findet man Bildsymbole bei Gebrauchs- und Verbrauchsgütern, wie Waschmaschinen (und Waschanleitung in der Kleidung), Bedienungsanleitungen, Automaten, Icons im Computer, Zubereitungsbeschreibung auf Lebensmittelverpackungen, Spielanleitungen u.v.a.m.. Hauptanwendungsgebiete von Piktogrammen sind jedoch Leitsysteme. Diese koordinierten Zeichenkomplexe bauen auf einem einheitlichen Gestaltungsraster auf, welche aus dem Bedürfnis des Menschen heraus entstehen, sich an neuen unbekannten Orten schnell zurecht zu finden. Dafür bedienen sich Leitsysteme der Piktogramme, die sowohl den optischen Bedürfnissen (dekorativ) der Umgebung angepasst werden als auch der visuellen Kom-

munikation gerecht werden, um systematisch zu informieren und orientieren. [2] Vorteile Der grundsätzliche Vorteil bei Piktogrammen ist, dass sie im Gegensatz zur geschriebenen Sprache, auf einen Blick erfasst werden. Eine Wegskizze beispielsweise führt schneller zum Ziel, als eine Wegbeschreibung, wohingegen die Wegbeschreibung zielsicherer sein kann, wenn es z. B. darum geht einen Rechtsanwalt aufzusuchen. Ein sehr großer Vorteil an Piktogrammen ist, dass sie in inhaltlicher und formaler Hinsicht, sprach- und kulturneutral und daher weltweit einsetzbar sind. Das gilt sogar innerhalb eines Landes mit seinen verschiedenen Völkergruppen, wie z. B. Indien. Hier herrschen starke kulturelle, traditionelle, sprachliche (14 Hauptsprachen, 1600 Dialekte) und soziale Unterschiede (60 Prozent Analphabeten). [3]


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Bedienrad einer Spiegelreflexkamera

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Verpackungshinweise

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Funktionsaufzählung einer Digitalkamera

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Waschanleitung

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Bildstatistik. Bildquelle: siehe [4]

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Entstehungsgeschichte Im Jahr 1920 ersuchte Dr. Otto Neurath in Wien zu einer Ausstellung über Wohnungsbau ein erstes Bildzeichen-System zu schaffen. Damit wollte er erreichen, dass die Öffentlichkeit sachlich über sozialhygienische Maßnahmen (Säuglingssterblichkeit, Tuberkuloseerkrankungen usw.) aufgeklärt wird, aber auch die Mechanismen der Weltwirtschaft transparent gemacht werden. Die sonst fehlende Systematik der optischen Darstellungsweisen (Kurven, Diagramme,

Bänder usw.) erweisen sich seiner Meinung nach als zu abstrakt und schwierig zu erkennen. Seine Bildsprache sollte die Relationen und Zusammenhänge ins Bewusstsein bringen, mit dem Ziel die konkrete Lebenslage der Menschen zu verbessern. [4] Aus der Motivation heraus, eine weltweit einheitliche Bildsprache zu kreieren entwickelte er sein System ISOTYPE (International System of Typographic Picture Education). Er forderte damit auch auf, den Ehrgeiz des Gestalters (und damit seinen persönlichen

Ausdruck) zurückzunehmen. Die Priorität der Gestaltung sollte auf international genormten Sachbildern liegen, ohne unnötige Details. [5] Rudof Modley (ehem. Mitarbeiter Neuraths) setzte seine Bestrebungen in den USA fort und gründete die Firma Pictograph Corporation (Piktogramme für Statistiken). 1937 veröffentlichte er ein Buch „How to use pictorial statistics“ [6] über Piktogramme und deren Verwendung. [5]

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Piktogramme für Olympia Aufgrund der Sprachunabhängigkeit von Piktogrammen entdeckte man den Nutzen auch für die Olympischen Spiele. Im Laufe der Jahre stellte sich heraus, dass diese stilisierten Bilder nicht nur zur Orientierung dienen, sondern auch wichtige Bilder sind, mit denen die mediale Landschaft einer Olympiade konstituiert wird. Sie werden bei TV-Übertragungen, in der Werbung und Öffentlichkeitsarbeit benutzt und prägen den Eindruck der Menschen von den olympischen Wettkämpfen. Sie visualisieren nicht nur die olympische Idee sondern auch die Kultur des Gastgeberlandes (Abb. 1 und 2). Erstmals im Piktogrammstil (auf Schildern und Zuschauertickets) eingesetzt wurden Umrisszeichnungen von Sportlern bei der Olympiade in London 1948. (Abb. 4) [5]

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Die ersten geplanten Piktogramme entstanden 1964 für die Olympiade in Tokio vom japanischen Grafiker Katsumi Masaru, der eine charakteristische, typische Form der jeweiligen Sportart stark vereinfacht darstellte. Individuell aufgefasste Stilisierungen unterstreichen die Bewegung, wobei unwichtige Einzelheiten weggelassen wurden, um die grafische Wirkung zu verstärken. (Abb. 5) [7] Die für Tokio entstandenen Piktogramme wurden später für die Weltausstellung in Osaka 1970 und die im selben Jahr stattfindende Winterolympiade in Sapporo weiterentwickelt. (Abb. 6) Ab 1967 waren Piktogramme dann fester Bestandteil in umfassenden Leitsystemen, z. B. bei der Expo 1967 in Montreal und der Olympiade 1968 in Mexico City. Jetzt zeigen die Piktogramme eine bezeichnende Einzelheit,

die für die jeweilige Sportart charakteristisch ist, als ein Teil für das Ganze. Durch die starke Vereinfachung und ausschnitthafte Konzentration erhöhte sich die Lesbarkeit. (Abb. 7) [5] Im Winter 1968 wurden bei der Olympiade in Grenoble neue grafische Mittel eingesetzt, die eine lebendige, filmartige Wirkung erzielen sollten und auf Distanz die Illusion der Bewegung ergeben aber gleichzeitig signethaft bleiben sollten. (Abb. 8) [7] Bei der Olympiade München 1972 perfektionierte Otl Aicher das Bildzeichensystem, das Masaru Katsumi für Tokio entworfen hatte. Er entwickelte ein strenges (genormtes) Bildraster, in dessen quadratische Einheit alle Darstellungen auf eine formal durchgängige Linie eingeordnet waren. [7] Nur wenige Balken und Striche der selben Stärke, die wiederum nur


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die Piktogramme der Olympiade in Sydney 2000

sollten Vitalität und Spontaneität aufgreifen und auf charakteristische Weise das Gastland repräsentieren. Als zentrales Element hatte man den Bumerang vielseitig 5

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eingesetzt. Bildquelle: siehe [9] 02

die Piktogramme für die Olympischen Sommerspiele

2008 in Beijing haben die chinesische Siegelschrift als Grundlage. Sie vereinen piktografische Elemente der alten Inschriften auf Schildkrötenpanzern und Knochen sowie der Inschriften auf Bronzen mit simplen Merkmalen modernen Designs. Bildquelle: blog.koormann.de/files/ piktogramme-peking-olympia-2008.php 03

Olympische Sommerspiele 1988 in Seoul. Bildquelle:

Ota Yukio: Pictogram Design, Japan 1987. 04 6

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Eintrittskarten für die Olympischen Spiele 1948 in

London. Bildquelle: london2012.com/blog/2009/12/ getting-my-hands-on-a-piece-of-1948-games-history.php 05

Olympische Sommerspiele 1964 in Tokio. Bildquelle:

siehe [7] 06

Olympische Winterspiele 1970 in Sapporo. Bildquelle:

Ota Yukio: Pictogram Design, Japan 1987. 07

Olympische Sommerspiele 1968 in Mexico City.

Bildquelle: siehe [7] 08

Olympische Winterspiele 1968 in Grenoble. Bildquel-

le: siehe [7] 09 7

horizontal, vertikal und im 45° Grad Winkel eingesetzt werden sollten, zeigten die Sportler in Aktion. (Abb. 9) Für Aicher war es essentiell wichtig, bei der Gestaltung seiner Piktogramme Standards festzulegen und eine klare, visuell eindeutige Sprache jenseits gestalterischer Moden und Trends zu erarbeiten. Ob Piktogramme bei Massenveranstaltungen jedoch tatsächlich wirksam sind, war in den 1970er Jahren noch nicht klar bzw. noch nicht wissenschaftlich abgesichert. [5] Entwicklung von Piktogrammen Bei der Entwicklung gilt es bestimmte Faktoren zu beachten. Hierbei müssen Fragen

Olympische Sommerspiele 1972 in München. Bildquel-

le: Ota Yukio: Pictogram Design, Japan 1987.

behandelt werden, die den Zusammenhang zwischen der visuellen Darstellung der Zeichen und ihrer Bedeutung klären (Semantik). Des weiteren muss die Beziehung der Zeichen untereinander betrachtet werden (Syntaktik), sowie die Beziehung der Zeichen zum Betrachter (Pragmatik). [8] Semantischer Faktor Wie gut repräsentiert das Piktogramm seine Botschaft? Ist es national und international verständlich? Ist es für alle Altersgruppen moderat? Ist das Piktogramm leicht zu erlernen? Wird es schnell akzeptiert? Enthält das Piktogramm Elemente, die sich nicht auf den Inhalt beziehen?

Syntaktischer Faktor Verhält sich das Piktogramm als Ganzes einheitlich zu anderen Piktogrammen? Stimmen sie in Stil, Linienstärke, Flächenaufteilung, Größenverhältnissen, Farbverteilung, Abständen zwischen den Zeichen, Überlappung, Rahmung und Platzierung überein? Widerspricht es einem anderen Piktogramm? Pragmatischer Faktor Wo nimmt man das Zeichen war? Stimmen die Lichtbedingungen, wird es von anderen Zeichen überblendet? Bleibt das Piktogramm auf geringe und große Distanz weiterhin identifizierbar? Ist es dort besonders gefährdet verunstaltet zu werden? [8]

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Vergleich und Bewertung von international angewand-

ten Kofferpiktogrammen (siehe auch Abb. 2). Bildquelle: siehe [3] 02

Bewertungstabelle für Abb. 1. Bildquelle: siehe [3]

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Entstandene Symbole für das amerikanische Verkehrs-

ministerium. Bildquelle: siehe [3] 04 + 05

Entfernungstest für das Aufhängen von Schildern

mit Piktogrammen. Bildquelle: siehe [3]

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Weitere Herangehensweisen Das „American Insitute of Graphic Arts (A.I.G.A.) hatte bei der Entwicklung eines Leitsystems für die das amerikanische Verkehrsministerium in den 1970er Jahren einen weiteren Punkt mit einfließen lassen. Aus den 24 besten Leitsystemen der Welt pickten sich die Grafiker aus jedem das Beste heraus, um schließlich zum einzigartigen Design zu kommen. (Abb. 1 – 3) Dabei wurden jeweils die Fragen gestellt: 1. Ist die Bedeutung klar? 2. Fügt es sich in das System ein? 3. Ist die Zeichnung lesbar? Die entstandenen Symbole wurden auf Syntax und Pragmatik mit ständiger Kontrolle des „Publikums“ aufgebaut – ganz im Gegensatz zu Otl Aichers „starren“ Systems. So wurden im Entstehungsprozess Kreativsitzungen mit dem Personal der Krankenhäuser abgehalten,

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sowie Interviews und Skizzen des Publikums mit einbezogen. Zur endgültigen Auswahl wurde noch ein mal ein abschließender Publikumstest durchgeführt, sowie Entfernungstests, und weitere Tests zur Linienstärke, Größe usw. (Abb. 4 – 5) [9] Als das Design fertig war kam man zu folgendem Schluss: 1. Die Effektivität der Symbole hängt von der Einfachheit der Aussage ab. 2. Undersign ist besser als Oversign 3. Symbole sind nur brauchbar, wenn sie Teil des Systems sind. Fazit Piktogramme sind auch heute noch fester Bestandteil in fast allen Bereichen des täglichen Lebens und werden sicher weiterhin (sogar noch verstärkt) Einsatz finden. Wie auch bei Logos lösen einmal gelernte Piktogramme beim Betrachter Schemabilder aus, die im weiteren Verarbeitungsprozess des Ge-

hirns unbewusst mit bekannten Informationen abgeglichen, verknüpft und somit in Zukunft schneller abgerufen werden können. In der schnelllebigen und hochtechnisierten Zeit, braucht der Mensch klare und schnell verständliche Wegweiser, um sich in der mit Informationen überladenen Umwelt zurechtzufinden. Die Motivation und Geduld sich lange mit der Navigation, sei es im Straßenverkehr, im Handy oder in den Teils riesigen Gebäudekomplexen zu beschäftigen, ist nicht sonderlich groß. Auch liest heute niemand mit Begeisterung eine Bedienungsanleitung. Stattdessen fliegt man nur schnell über Quick-Start-Anleitungen und erwartet eine übersichtliche Bedienstruktur am Gerät selbst. Und nicht nur aus Platzgründen arbeitet man auch hier mit kleinen Abbildungen – den Piktogrammen.


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ENDNOTEN [1] Zitat: Stefan Dziallas, Iconwerk. Quelle: Selbstverständlich schön. Interview mit Stefan Dziallas. In: Novum Gebrauchsgrafik (München), Ausgabe 10/2009, S. 32-34. [2] Urban Dieter: Visual Images. 79 Symbole. In: Novum Gebrauchsgrapfik (München), Ausgabe 2/1982, S. 44-47. [3] Poovaiah, Ravi: Piktogramme für Krankenhäuser (IND). In: Novum Gebrauchsgrafik (München) , Ausgabe 10 /1985, S. 12-15. [4] Hartmann, Frank und Erwin K. Bauer: Bildersprache. Otto Neurath Visualisierungen, Wien 2006. [5] Aicher, Otl und Martin Krampen: Zeichensysteme der visuellen Kommunikation, Stuttgart 1977. [6] Modley, Rudolf: How to use pictorial statistics, Harper and

Brothers Verlag (New York, London) 1937. [7] Diethelm Walter und Marion Diethelm: Signet Signal Symbol, Zürich 1976. [8] Lacher, Simone und Johannes Hoffmann: Piktogramm. Seminararbeit Verkehrsministerium. In: Novum Gebrauchsgrafik (München), 6, 1977, S. 22-31. [9] Moosmann , Christine : Eventdesign . Dabei sein ist alles (Olympiade 2000) . In: Novum Gebrauchsgrafik (München) , 11 , 2004 , S. 44 .

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