heuler # 108

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Nous sommes heuler Im Angesicht von ROGIDA/MVGIDA und WAS-WEIß-ICH-GIDA hat die Diskussion um Islam, Islamismus und Co. auch Rostock erreicht. Wir haben versucht, Empathie zu üben, ein kleines Experiment zu wagen, das empirischen Kriterien vielleicht nicht standhält: Wie fühlt man sich in einer Burka, wie reagiert das studentische Umfeld darauf? Auch sonst widmen wir uns in dieser Ausgabe besonderen studentischen Gruppen, beispielsweise jungen Eltern oder Mitgliedern von Damenverbindungen. Um den Dialog auch in Zukunft anzukurbeln, laden wir hiermit besonders Studierende mit Herkunft aus sogenannten Krisengebieten ein, uns und den Lesenden von ihren Erfahrungen zu berichten. Dabei soll es nicht um die spektakulärste Fluchtgeschichte gehen. Jede Geschichte verdient es, erzählt zu werden. Friederike und Fritz

heulermagazin.de Marcus Sümnick

Vivian K. Bissel

Michèle Fischer

Alexandra Wendt

Anne Halbauer

Luise Wagner

Stephan Pohling

Christopher Groß Friederike Wollgast

Isabell Kilian

Martin Fietze

Nadine Krämer

Nicole Korte

Hauke Ruge

Philipp Rose

Jennifer Quast

Sophie Auer

Patrick Ode

Theresia Ziegs

Nadine Fruck

Tom Seiler

Stephan Holtz

Daniel Möck

Lisa Nowotny

Yasmin Wilke

Lydia Pokwa

Ich bin heuler – und du? Meld dich per E-Mail: redaktion@heulermagazin.de

Fritz Beise

Myriam T. Aschmutat

Steffen Dürre

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Se ite n.


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heuler – Das Studentenmagazin Parkstraße 6, 18057 Rostock Tel/Fax: 0381-498-5608 / -5603 www.heulermagazin.de

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Nr. 108 | Januar 2015 Herausgeber Studierendenschaft der Uni Rostock Redaktionsleitung Fritz Beise (V.i.S.d.P.) Friederike Wollgast redaktion@heulermagazin.de Geschäftsführung Nadine Krämer gf@heulermagazin.de Ressortleitung Friederike Wollgast, Theresia Ziegs (Uni) Isabell Kilian, Nicole Korte (Leben) Michèle Fischer, Tom Seiler (Politik) Anne Halbauer, Philipp Rose (Kultur) Layout, Grafik, Illustration Steffen Dürre, Fritz Beise

Inhalt // Ausgabe 108 LEBEN

Bildredaktion & Fotografie Hauke Ruge

Politik

6 Pfandring

28 Wer steuert das Semesterticket?

8 Psychiatrie

30 Uni Schwerin

Ausflug auf die andere Seite der Warnow

32 Drei Ungeheuer im Unizirkus

10 Balu und Du

34 Sexismus 2.0

11 Wann bin ich nasenspraysüchtig?

35 Mindestlohn

12 Studieren mit Kind

36 Der erste linke Ministerpräsident

Ein Marathon zwischen Babybett und Hörsaal

37 Alle gegen Ebola – oder wie?

14 Fahrradjäger

38 Medinetz

15 Straßensport

39 Jahresrückblick 2014

UNI 16 Burka Ein Selbstversuch

Kultur 40 Vitrine 42 Hinter den Kulissen

20 Woher kommst du?

43 Edvard Munch

21 Bachelor – und dann?

44 Die Band der ungewöhnlichen Orte

22 Gute Geister // Neue Pressesprecherin

Interview mit Rabby'n'Bosmus

23 Pro-Contra Numerus Clausus

46 Rezension: The Incredible Herrengedeck

24 Sozialberatung

47 Buchrezension: Der Akademisierungswahn

Wer hilft mir weiter?

25 Appell für mehr Fachschaf(fenskraf)t 26 Guten Tag, Frau Burschenschafterin! Zu Gast bei Rostocks einziger Damenverbindung

48 Kultour #2 Termine // Empfehlungen

50 Rostock in 100 Worten // Postskriptum 51 Malwieda Pegida – satirischer Abgesang

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Korrektorat/Lektorat Anja Heidepriem, Lea Kroos Redaktionelle Mitarbeit Myriam Tamar Aschmutat, Sophie Auer, Vivian Katharina Bissel, Martin Fietze, Nadine Fruck, Christopher Groß, Stephan Holtz, Daniel Möck, Lisa Nowotny, Patrick Ode, Stephan Pohling, Lydia Pokwa, Jennifer Quast, Marcus Sümnick, Luise Wagner, Alexandra Wendt, Yasmin Wilke Redaktionssitzung gerade Woche, Montag, 19:00 Uhr Die Meinung der AutorInnen muss nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln. Den AutorInnen wird freigestellt zu gendern. Lizenz Creative-Commons by-nd 3.0 DE. Inhalte können unter Angabe von UrheberIn und Magazinname – ohne Veränderungen – verwendet werden. Ausnahmen sind durch © gekennzeichnet. Druck: ODR Ostseedruck Rostock Auflage: 3.250 Exemplare Erscheinungsweise: viermal im Jahr Cover: F. Beise // Basis: cc by-nc-sa 2.0 – Rev. Xanatos Satanicos Bombasticos (ClintJCL)


#aufschrei 5


leben Neues Jahr, neues Glück, neue Ziele. Die Top Ten der guten Vorsätze wiederholen sich jedes Jahr: gesündere Ernährung, weniger Stress, mehr Sport. Doch vor allem Letzteres gestaltet sich oft schwer. Das Gedränge im Fitnessstudio ist groß und der zu besiegende innere Schweinehund noch viel größer. Wir stellen euch in dieser Ausgabe eine alternative, spannende Möglichkeit vor, den vollen Fitnessstudios zu entgehen und mal was Neues auszuprobieren. Für wen allerdings auch das nichts ist, sollte wenigstens öfter das Fahrrad benutzen, doch Vorsicht: Gut anschließen! Desweiteren wartet auf euch ein toller Artikel zur Psychiatrie in Gehlsdorf und eine kurze Aufklärung zur Nasenspraysucht.

Isabell Kilian

Nicole Korte

Kauf dir ein Brötchen und wirf es in den Müll!

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Eine absurde Vorstellung, oder? Viele Menschen machen etwas Ähnliches. Sie werfen Pfandflaschen weg. Dass andere Menschen davon ihr Abendessen oder sogar die ganze Monatsmiete zahlen, scheint ihnen nicht bewusst zu sein. Nadine Fruck ist oft zu faul, für acht Cent zum nächsten Pfandautomaten zu gehen. // Foto: Hauke Ruge

„Acht, fünfzehn, fünfundzwanzig Cent. Ein jeder diese Zahlen kennt. Die Kinder rufen im ganzen Land: Fli-Fli-Fla-Fla-Flaschenpfand!“ Andreas Dorau hat mit diesen Zeilen vielleicht den Trashhit des Jahres 2014 geschrieben. Doch das Thema ist ernster als es der Song vermittelt. Für viele Menschen ist das Sammeln von Pfand und damit auch das Wühlen im Müll im wahrsten Sinn ihr tägliches Brot. Der stadtbekannte Pfandsammler „Puma-Paule“ witzelt sogar mit den Kassiererinnen des Discounters, in dem er seine Beute abgibt, über seinen Verdienst. Dass er dafür teilweise im Müll wühlen musste, findet er vermutlich nicht so witzig - wohl eher demütigend und gefährlich. Viele Mitmenschen finden es nicht okay, doch mittlerweile gehört es zum völlig normalen Stadtbild, dass Menschen Abfälle durchforsten, um über die Runden zu kommen. Die Würde sei unantastbar, behauptet unser Grundgesetz. Um die Würde eines jeden zu schützen, gibt es die Initiative Pfand gehört daneben, die sich dafür einsetzt, dass Pfandkisten in die Nähe jedes Mülleimers kommen. Diese trennen Pfandflaschen vom Müll und machen sie für Sammler leichter zugänglich, sodass diese

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nicht Gefahr laufen, sich im Müll zu verletzen oder mit Keimen zu infizieren. Der Teufel lag dabei wie immer im Detail! Die Getränkekisten waren zu scharfkantig, wurden selbst als Müllbehälter missbraucht und waren deshalb in den meisten Orten, so auch in Rostock, nicht umsetzbar. Der Pfandring soll nun Abhilfe schaffen. Er entspricht den Gesetzen und Ordnungen zur Zulassung, ist aber wesentlich teurer als eine Kiste. Denn er wird aufwändig aus Metall hergestellt und extra an den Müllbehältern der Stadt angebracht. Außerdem sperren sich die Entsorgungsbetriebe: Die Mülleimer seien mit Pfandring schwerer zu leeren, schwerer sauber zu halten und es käme durch diese zu erhöhtem Müllaufkommen und Glasscherben um den Eimer herum. Gerade diese sind ein Sicherheitsrisiko für Kinder und ältere Menschen. Was bedeutet das für Befürworter des Pfandringes? Natürlich ist es wichtig, dass wir uns weiter für eine menschenwürdige Sammlung von Leergut, das ja auch eine Ressource ist, einsetzen und die dauerhafte Lösung von getrennten Behältern anstreben. Aber auch im täglichen Leben kann jeder etwas tun:

Stellt Flaschen gut sichtbar und sicher ab! Auf keinen Fall dürfen sie wackelig stehen und bei der nächsten Windböe zersplittern. Überlegt ab und an, ob ihr euren Pfandbon nicht spenden wollt. Das geht in vielen Supermärkten per Knopfdruck. Konsumiert und entsorgt bewusst, macht auch andere darauf aufmerksam. Kostenlose Materialien findet ihr im Vegangster in der Waldemarstraße oder im Netz unter www.pfand-gehoert-daneben.de

Und um bei der Metapher des Brötchens zu bleiben: Kauf drei Brötchen zum Preis von zweien, iss zwei auf und gib das andere gut verpackt und sicher an andere weiter.

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Auf der anderen Seite der Warnow

Psychiatrie allgemein und in Rostock Gehlsdorf Was ist das? Wo ist das? Wer braucht das? Wir versuchen ein breites Panorama. Stephan Pohling, Myriam Tamar Aschmutat, Vivian Katharina Bissel und Jennifer Quast legen sich hin und wieder auf die Couch.

Wer über die Psychiatrie berichtet, dunkelt das Licht ab; giftgrüner Nebel wabert durch den Raum und Penderecki lässt Geigen durcheinander spielen – in Bild und Klang sind wir vollkommen bei Galileo Mystery angelangt, bei Geisterbahnen und Thrillern: Die Kamera ganz nah hinter dem Protagonisten, enge Gänge, Zischen, Klopfen – und alle wissen, gleich passiert was. Der Ton fast jeder Dokumentation, fast aller Artikel ist so. Als spräche man über einen Satanistenkult oder irgendein Tabu, das man nun brechen müsste. Sie beginnen oft mit Wortspielen à la „ver-rückt“, „ganz normaler Wahnsinn“ oder pseudoepisch mit „Menschliche Abgründe“ (Nietzschebezug) oder: große schmale Lettern prangen vor dunklem, tristen Hintergrund; es fehlt das gusseiserne Tor. Wie unangemessen für dieses Thema! Wir wollen es anders probieren, wenn wir über den Psychiatrie-Komplex in Gehlsdorf schreiben. Zuerst: Warum wird denn so tendenziös berichtet? Zum einen verkauft sich das gut, zum anderen war die Psychiatrie früher wirklich gruselig. Überwiegend in den 50er Jahren in den USA wurden Menschen Stahlnägel in den Kopf getrieben: Auf gut Glück von beiden Seiten über den Ohren oder frontal zwischen Auge und Stirnbein in den Schädel, bis man emotionslos oder lebensunfähig geworden ist. Gründe: Wer Kommunist, depressiv oder homosexuell war, Wahnvorstellungen hatte (außer man hatte einen Engel gesehen) oder sich delinquent verhielt, zum Beispiel sich gegen die Prügel der Eltern wehrte. Lobotomie, so heißt der Eingriff, ist definitiv gruselig. Weltweit waren Zehntausende betroffen. Elektrokrampftherapien (heute unter Narkose) ebenso. Deswegen sind diese Praktiken in One flew over the Cuckoo's nest und Requiem for a Dream verarbeitet worden. Es gibt also Stoff für die Geisterbahnen. Jedoch ist die Psychiatrie heute ein normales Krankenhaus plus etwas Schule – äußerlich ähnelt sie beiden. Der Komplex in der Gehlsheimer Straße ist groß und für Besucher*innen, Patienten*innen und Mitarbeiter*innen gleichermaßen unübersichtlich. So gibt es die Neurologie: dazu gehört eine Intensivstation. Unter anderem werden Schlaganfälle, Epilepsie, Tics, Entzündungen, kurz: Schädigungen und Krankheiten des Hirns, diagnostiziert und behandelt. Die Psychiatrie ist etwas anders. Sie hat acht Stationen. Diese unterscheiden sich enorm, denn man kann Angst- und Zwangsstörungen, Depressionen, Süchte, Wahnvorstellungen usw. nicht gleich behandeln, erst recht

nicht auf der gleichen Station. Folglich sind manche Sta­t ionen „geschlossen“, andere „offen“, d.h. Ausgang und die Besuchszeiten, überhaupt Freiheiten, sind verschieden reglementiert; manche Fenster sind vergittert, die meisten nicht; manchmal gibt es nachts Kontrollgänge, meistens nicht. Konkret heißt das: Schwer suizidgefährdete Menschen werden genauer überwacht und können nicht unbeaufsichtigt Rasierklingen im Sky einkaufen gehen. Falls sie aber unerlaubt unterwegs waren, kann das Zimmer durchsucht werden. Und Klient*innen mit schweren Entzugserscheinungen trinken keinen Irish Coffee zum Frühstück. Die Reglementierungen lockern sich mit der Zeit des Aufenthaltes; oft wechseln Patient*innen später die Station. Zudem gibt es eine gemeinsame Station aus Neurologie und Psychiatrie für Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter; dort ist eine Schule integriert. Begegnungsorte sind die Cafeteria, eine Schwimmhalle und ein religiöser Andachtsraum. Nicht zu diesen Bauten gehört die Forensische Psychiatrie. Sie ist abseits. Die Forensik ist eine Justizanstalt, ein Gefängnis (oft mit Hofgang und Fußfesseln), in der es auch Therapien gibt. Sie ist leicht zu erkennen: Hohe Mauern und riesige Scheinwerfer umgeben sie. In ihr werden verurteilte Verbrecher untergebracht – schuldunfähig erklärt aus verschiedenen Gründen: Süchte, Wahn, Mangel an Empathie oder Intellekt. Insofern handelt es sich bei den Straftaten meist um Raub- und Mordfälle, aber auch Hochstapelei. Selbst manche Heiratsschwindler landen in der Forensik. Wichtig: Schuldunfähigkeit wird im Einzelfall festgestellt. Man kommt nicht für ein bestimmtes Verbrechen in die Forensik. Und ohne Verbrechen ebenso wenig für eine psychische Krankheit oder politische Meinung. Nur: wie das eben mit Behörden und Menschen so ist, gibt es Fehleinschätzungen, manchmal Denunziation – und selten sogar Machtmissbrauch. Wie werden Kranke behandelt? Therapien sind vielfältig und der Tagesablauf in der Klinik wie Stundenpläne in der Schule aufgebaut. Genauso sind die einzelnen Einheiten unterschiedlich beliebt: Die Mittagspause ist begehrt, das Mittagessen weniger. Klassiker im Stundenplan sind (Drogen-)Entgiftung und Gruppen- und Einzelgespräche, bei denen Denkschemata reflektiert werden. Es gibt Sportunterricht, denn der macht emotional widerstandsfähiger und hilft gegen Antriebslosigkeit. Dazu gibt es spezielle Entspannungsübungen, z. B. das Autogene Training und die Progressive Muskelentspannung. Weitere

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Und täglich grüSSt das Murmeltier Der Wecker klingelt, ich kämpfe mich aus den Laken. Unter der Dusche versuche ich, meine Muskeln ein wenig zu lockern. Schon jetzt habe ich keine Lust mehr. Während ich versuche, meine Hefter und Bücher in meinen Rucksack zu stopfen, gehe ich noch mal meinen Tagesplan durch: Zwei Seminare und eine Vorlesung, danach die Lerngruppe in der Bibliothek – und dann werde ich meine Mitschriften durchgehen und aufarbeiten. Allein bei diesen Gedanken würde ich am liebsten wieder in mein Bett kriechen und mich für immer von der Außenwelt abschotten. Das geht aber nicht. Meine Bahn fährt in fünf Minuten. Ich hetze zur Haltestelle. Außer Atem quetsche ich mich in eine Tram, überfüllt mit dutzenden anderer armer Idioten. Ich sitze in meinem Seminar; alles zieht an mir vorbei. Ich höre zwar die Worte meines Dozenten, verstehe sie aber nicht. Frustriert starre ich auf meinen Schreibblock. Wie kann es sein, dass ich nicht mitkomme? Ich bin doch vorbereitet! Die Notizen verschwimmen und ich habe keine Erinnerungen an den Text, den ich zuhause bearbeitet habe. So geht das seit Beginn des Semesters. In jedem Kurs. Ich kaue an meinen Fingernägeln. Meine Wohnung erdrückt mich. Ich grübele über meinen Büchern. Die Definitionen ergeben keinen Sinn und auch die dritte Tasse Kaffee hilft nicht. Ein kurzer Blick auf mein Handy: 23 ungelesene WhatsAppNachrichten und zwei verpasste Anrufe. Meine Freunde machen sich Sorgen? Dafür habe ich doch keine Zeit! Eigentlich habe ich für nichts mehr Zeit. Erst nach Mitternacht lasse ich mich in mein Bett fallen. Ich werde lange nicht einschlafen können. Wie soll ich nur weitermachen? Meine Leistung sind in Ordnung und doch weiß ich nicht, was in meinem Kopf vorgeht. Wann immer ich unter Stress stehe, habe ich einen Kurzschluss; in mir herrscht völlige Leere und ich habe das Gefühl zu ertrinken. Ich wälze mich hin und her, wache ein paarmal auf für einige Sekunden. Dann klingelt der Wecker erneut.

„Fächer“ sind Verhaltens-, Kommunikations-, Musik- und Arbeitstherapie. Oft werden Angehörige eingebunden und informiert. Natürlich gibt es auch spezifische medikamentöse Behandlungen. Viele Patient*innen verzichten freiwillig darauf. Nicht alle dürfen Behandlungen ablehnen. Zehn Prozent der Patient*innen in Deutschland werden zwangseingewiesen. Die Faustregel lautet: bei Selbstoder Fremdgefährdung. Die häufigsten Fälle sind also Suizidversuche und -drohungen oder starke Aggressionen bis Gewalt gegenüber den Mitmenschen. Erstere kommen zwar durch Zwang, wollen dann aber bleiben und an sich arbeiten; letztere meist nicht. In Extremfällen gibt es Zwangsbehandlungen gegen den Willen der Patient*innen, z.B. Beruhigungstabletten oder -spritzen, Zwangsjacken, Fixierung am Bett. Diese finden ausschließlich auf den geschlossenen Stationen statt, sind da aber äußerst umstritten. Es zeigt sich jedoch: Die Unterscheidung von Gesunden und Kranken ist nicht ganz einfach. Besucher*innen und Patient*innen sehen gleich aus; einziger Unterschied sind die Hausschlappen. Außerhalb der Psychiatrie funktioniert dieser Trick nicht. Denn gesund und krank ist keine Dichotomie wie tot und lebendig, sondern ein Spektrum. Woran liegt das? Viele psychische Krankheiten sind nur in unserem gesellschaftlichen Kontext krank und andere sind es nicht: völlige Überkompensation, wie sie Spitzensportler*innen, -politiker*innen, Professor*innen zeigen, gilt in einer Leistungsgesellschaft als erstrebenswert, dabei macht es unzufrieden und den Körper kaputt. Unkonzentriertheit, Trauer und Ängstlichkeit gelten uns leichter als krank: Denn wer sich selber leid tut, viel grübelt und weint oder leicht abzulenken ist oder lange braucht, sich zu überwinden, fährt weniger Erfolge ein. Krankheiten, die nicht neurologisch-biologisch bedingt sind, hängen also oft vom gesellschaftlichen Kontext ab. Dort aber empfinden sich die Betroffenen dann tatsächlich als defizitär. Und sie sind es – in diesem Rahmen. Ergo ist es sinnvoll, ihnen zu helfen, sich einzupassen, zu überleben und zufriedener zu werden. Man sollte trotzdem auch den Rahmen ändern – die meisten Behandelnden mahnen das an. Sie bestimmten aber weder die Gesellschaft, noch was krank ist, sondern behandeln diejenigen, die von einer Mehrheit als krank empfunden werden oder sich krank fühlen. Zuletzt: „Die andere Seite der Warnow“ ist das Codewort unter Patient*innen für die Psychiatrie.

Erste Hilfe - Psychologische Beratung über das Studentenwerk Das Studentenwerk bietet psychologische Beratungsgespräche an. In ihnen könnt ihr euch zu Suchtverhalten, Schlafstörungen, Ängsten, Identitätsproblemen und allem, was die Uni noch so schwer macht, beraten lassen. Gegebenenfalls wird euch geholfen, in Therapie zu kommen. Die Beratung kostet nichts; Therapiekosten werden von der Krankenkasse übernommen. Eure erste Ansprechpartnerin ist Frau Anke Wichmann: anke.wichmann@studentenwerk-rostock.de www.studentenwerk-rostock.de Selbsthilfegruppen, eine Liste niedergelassener Therapeut*Innen und mehr findet ihr hier: www.kpp.med.uni-rostock.de/?pg=local

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Balu und Du

Ehrenamtliches Engagement tut gut. Anderen Menschen, insbesondere Kindern zu helfen und ihnen Aufmerksamkeit zu schenken, bereitet auch selbst Freude. Mit dem Projekt Balu und Du kannst auch du ganz einfach solche Erfahrungen sammeln. Alexandra Wendt und Nicole Korte wollen Kinder durch den Alltagsdschungel begleiten.

Was ist Balu und Du?

Wie du selbst ein Balu werden kannst

Balu und Du ist ein Mentorenprogramm in Rostock, getragen vom Malteser Hilfsdienst e. V. Der Balu übernimmt eine Art Patenschaft für ein Grundschulkind, den Mogli, und gestaltet möglichst einmal pro Woche einen Nachmittag zusammen mit dem Kind. Vornehmlich geht es darum, Kindern mit Schwierigkeiten, sich in ihr soziales Umfeld einzupassen, einen eigenen Ansprechpartner an die Seite zu stellen. Jemanden, der nur für sie da ist. Über gemeinsame Aktivitäten soll eine Freundschaft aufgebaut werden, die den Kindern Selbstvertrauen gibt, um sich besser in Schule und Alltag zu integrieren. Es gehe nicht in erster Linie um die Integration von Kindern ausländischer Familien, wobei diese selbstverständlich auch nicht ausgeschlossen werden, „sondern um die Selbststärkung der Kinder“, erklärt Peter Wolf, Koordinator von Balu und Du in Rostock. Ursprünglich stammt die Idee von Professor Hildegard Müller-Kohlenberg, die ein ähnliches Patenschaftsprojekt in Israel kennenlernte und nach Deutschland an die Universität Osnabrück brachte. Inzwischen finden sich deutschlandweit über 60 Standorte, die bereits 6300 Moglis einen Balu an die Seite gegeben haben. Hier in Rostock ist das Projekt erst vor kurzem angelaufen. Die ersten Balus treffen sich schon regelmäßig mit ihren Moglis und bisher sind die Rückmeldungen der Lehrer an Peter Wolf allesamt sehr positiv. „Die Kinder berichten begeistert in der Schule von Unternehmungen mit ihrem Balu“, erzählt Wolf. Auch die Erfahrungen, die die Balus rückmelden, sprechen für sich. So hat beispielsweise ein Balu zuletzt mit seinem Mogli, der als recht unkonzentriert gilt und schnell die Motivation verliert, drei Stunden lang eine Laterne gebastelt, mit der sie danach gemeinsam an einem Lichterumzug teilnahmen. Und genau dafür gilt es, sich bei Balu und Du zu engagieren.

Balu kann jeder im Alter zwischen 18 und 30 Jahren werden, der bereit ist, Verantwortung für ein Kind im Grundschulalter zu übernehmen und einmal die Woche Zeit mit seinem Mogli zu verbringen. Dabei stehen vor allem außerschulische Aktivitäten im Vordergrund. Es geht also nicht um Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfeunterricht, sondern um Aktivitäten, die euch beiden gemeinsam Spaß bereiten. Dazu stehen jedem Balu und Mogli monatlich 10 Euro Taschengeld zur Verfügung, die aus Spenden finanziert werden. Hab ein offenes Ohr für die Sorgen deines Moglis und unterstütze ihn dabei, seine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Du wirst selbstverständlich zuvor geschult, was alles bei so engem Kontakt zu einem Kind zu beachten ist. Zudem treffen sich alle Balus regelmäßig, um sich auszutauschen und Erfahrungen zu teilen. Die ehrenamtliche Tätigkeit erstreckt sich dabei lediglich über ein Jahr, danach wird die Betreuung durch den Verein aufgehoben und ein Treffen von Mogli und Balu ist nicht mehr zwingend. „Schön wäre es, die Freundschaft trotzdem aufrechtzuerhalten“, meint Wolf. Sein Kollege Martin Lüders, der Balu und Du in Schwerin und Wismar betreut, hat heute noch Kontakt zu seinem Mogli, der inzwischen 18 Jahre alt ist.

Die Moglis Die Moglis sind Kinder im Alter zwischen 6 und 10 Jahren. Peter Wolf tritt als Koordinator an verschiedene Grundschulen Rostocks heran und fragt dort nach Kindern, denen es besonders schwer fällt, sich im Klassenverband zurechtzufinden und auch im Unterricht aus sich herauszukommen. Erteilen die Eltern ihr Einverständnis, gibt es ein erstes Treffen von Balu und Mogli an der Schule des Kindes, in gewohnter Umgebung, bestenfalls zusammen mit einem vertrauten Lehrer. Nach und nach sollen sich die beiden kennenlernen und Vertrauen aufgebaut werden. Die Vorschläge der Lehrer, welches Kind als Mogli geeignet wäre, sind meist zahlreich. Leider stehen nicht allzu viele Balus zur Verfügung.

Falls Du jetzt Lust hast, Balu zu werden, melde Dich einfach unter folgender Email-Adresse peter.wolf@malteser.org oder besuche für weitere Informationen die Seite www.balu-und-du-rostock.de.

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Die etwas andere Sucht

Checkliste

Daran merkst du, dass du nasenspraysüchtig bist.

Der Kopf tut weh, der Hals kratzt und die Nase läuft unaufhörlich. Bei einer Erkältung ist der Griff zum Nasenspray nicht weit. Doch was passiert, wenn man das kleine Fläschchen nicht mehr wegstellen kann und der Nasenspraysucht verfällt?

Friederike Wollgast hat sich in der Szene umgehört.

Yasmin Wilke hat den richtigen Riecher.

Viele Menschen in Deutschland sind abhängig von Nasenspray, doch die wenigsten von ihnen wissen es oder sie wollen es sich einfach nicht eingestehen. Doch was passiert, wenn man so oft zum Spray greift, wie andere zu einer Zigarette und wie wird man diese Sucht wieder los? Ein bis zwei Mal pro Loch gesprüht und schon ist die Nase wieder frei. Die meisten Nasentropfen oder -sprays haben eine abschwellende Wirkung, bedeutet, die Gefäße in der Nase verengen sich und die Nasenschleimhäute schwellen ab. Sofort hat man das Gefühl, wieder frei durchatmen zu können. So schön, so gut - aber nicht umsonst steht in der Packungsbeilage der meisten Sprays der Hinweis, das Medikament nur dreimal täglich und nicht länger als eine Woche anzuwenden. Denn durch die Verengung der Adern werden die Schleimhäute der Nase nicht mehr genug durchblutet und trocknen aus. Das führt dann wiederum dazu, dass Bakterien und Schmutz sich in der Nase festsetzen können und der Körper versucht, sich dagegen zu wehren. Die Schleimhäute schwellen noch mehr an als zuvor und der Griff zum Nasenspray wiederholt sich.. Ein Teufelskreis beginnt. Tauchen diese Symptome auf, spricht man von einem Arzneimittelschnupfen. Doch wie kommt man da wieder raus? Um wieder clean zu werden, gibt es verschiede Möglichkeiten. Zum einen kann man langsam auf Meerwasserspray umsteigen oder auch mit ätherischen Ölen (z. B. Kamille oder Pfefferminz) inhalieren. Zum anderen gibt es aber auch die Ein-LochTherapie. Da die meisten Süchtigen bei der Abgewöhnung das Gefühl haben, keine Luft mehr zu bekommen oder sogar von Erstickungsangst reden, kann zuerst nur ein Nasenloch mit Nasenspray behandelt werden, damit sich das andere regenerieren kann. Doch ganz muss man nicht auf Nasenspray verzichten. Besonders bei einer Erkältung ist viel Schlaf wichtig für eine schnelle Genesung. Wer Angst vor einem Rückfall hat, kann sich in der Apotheke oder bei einem HNO-Arzt beraten lassen und ein Spray auswählen, dass nicht süchtig macht und trotzdem zu einer freien Nase führt.

1) Du w ec hs el s t so rgf äl ti g d i e Ap ot h eken. 2) Di e „Nic h t-lä n ge r- al s-7Ta ge -Wa rn un g“ k a nns t d u i n n e rl ic h m it s p re chen. 3) Du k e nns t d e n Pr ei s b e re its vo rh e r, tus t a b e r t rot zd e m ga nz ü b e rras ch t, da m i t da s n i em an d m e rk t.

4) Be i d e i n e r erst e n Ve rs an d best e ll un g ärge rs t d u di c h, dass n u r m a x im a l f ün f Flasc h e n pro Mon a t ab ge ge b e n w e rden. 5) Oh n e Na s en s pra y n e b e n d e i n e m Be tt k a nns t d u ni ch t e insc h la fe n .

6) Vo r d e m Woc h e n en d e c he ck s t d u, o b d u no c h e i n e n au s re ic h en d e n Vo rra t has t, u m d e n So nn ta g zu ü b erst e h e n . 7) Du w e ißt, w el c h e Ma rk e n si c h au fsc hra u b e n la ss e n, u m au c h d e n le tzt e n Res t v e rb ra uc h e n zu k ö n n e n.

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Studieren mit Kind – Ein Marathon zwischen Babybett und Hörsaal

Die klassische Reihenfolge lautet: Studium, Festanstellung, später die Gründung einer Familie. Aber mittlerweile sind Familientische in der Mensa und Kinder in der Vorlesung keine Seltenheit mehr. Daher frage ich mich: Wie funktioniert das eigentlich – Studieren mit Kind? Michèle Fischer ist selbst noch ein Kind.

Als ich im vergangenen Jahr zu Beginn meines Studiums nach Rostock gezogen bin, habe ich schon vor dem Umzug einen Anruf meiner Cousine erhalten, die bereits im Master hier studiert. Es hatte sich rumgesprochen, dass es mich ebenfalls in die Hansestadt verschlagen würde. Sie bot mir sogar einen Nebenjob an. Ein guter Start. Zu unserem ersten Zusammentreffen nach einigen Monaten verabredeten wir uns vor der Südstadtmensa und plötzlich stand freudestrahlend mit einem kleinen Bauch meine Cousine vor mir und verkündete: „Wir sind schwanger!“ Was für manche Studierende während des Studiums wie ein schlechter Scherz klingt, sollte für sie die Erfüllung eines Traumes sein: Liebe, Geborgenheit und Schutz einem kleinen Wesen zu schenken und so mit dem eigenen Partner zu einer richtigen Familie zusammen zu wachsen. Doch gleichzeitig drängen sich als Student einige Fragen auf: Wie lange kann ich zur Uni gehen? Wie reagieren meine Kommilitonen und Dozenten auf meine Schwangerschaft? Und vor allem: Wie wird sich mein Studium verändern, wenn ich ein Kind habe?

Um euch einen kleinen Einblick in diese Thematik zu geben, die für viele Studenten immer wahrscheinlicher erscheint, habe ich mich mit meiner Cousine Franziska zusammengesetzt und die letzten anderthalb Jahre, also die Zeit unmittelbar vor und nach der Schwangerschaft, Revue passieren lassen. „Ist das dein Kind?“ Nachdem ich vor einigen Wochen während meiner Babysitter-Tätigkeit selbst in den Genuss gekommen bin, mit einem Kind durch die Stadt zu fahren und abwertende Blicke kassierte, interessierte es mich besonders, wie Kommilitonen und Dozenten auf die für sie überraschende Schwangerschaft reagierten. „Sehr positiv“, antwortete Franziska. „Von den

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meisten Leuten bekam ich direkt herzliche Glückwünsche und Unterstützung zugesprochen.“ Trotzdem hörte sie auch von einigen Mitstudenten, dass es für sie in der momentanen Situation gar nicht in Frage käme. Das Studium sei viel zu stressig und auch die finanzielle Lage nicht gut genug, um überhaupt an ein eigenes Kind zu denken. Aber ihre Dozenten konnten sich mit ihr freuen und versuchten, ihr bei vielen Aufgaben entgegen zu kommen. „Mir war es besonders wichtig, wegen der Schwangerschaft nicht gegenüber anderen Studenten bevorteilt zu werden, daher hatte ich wirklich Glück, dass ich nur über wenige Beschwerden während der Schwangerschaft klagen und noch bis zum achten Monat zur Uni gehen konnte.“ Denn genau das ist der Punkt: Eine Schwangerschaft kann in manchen Fällen ganz gut geplant werden, aber Stimmungsschwankungen und Übelkeit lassen sich bekanntlich nicht kalkulieren. Relativ schnell merkte sie, dass der Laborkittel über dem Bauch anfing zu spannen und die Kondition beim Radfahren nachließ. Dennoch kristallisierte sich heraus, dass sich ihr Alltag bis zur Geburt wenig verändern würde. Im Zuge ihres Studiums konnte sie ein Praktikum nicht absolvieren, welches sie jetzt nachholt. Aber im Großen und Ganzen war ihr Tag genauso vollgestopft, wie bei jedem Durchschnittsstudenten ohne Babybauch.

die kleine Maus immer größer werde. Ein Moment, in dem jeder Stress vergessen wird und nur das Glück zählt. Jeder, der glaubt, dass man als Student einem Kind nichts zu bieten hat, wird spätestens dann wissen, dass es nicht um materielle Dinge geht, sondern um die Liebe. Sie essen noch zusammen Abendbrot und danach geht es auch direkt ins Bett.

Meine Cousine setzt sich dann noch eine Runde an den Schreibtisch und versucht alles aufzuarbeiten, was vielleicht an anderen Abenden liegen geblieben ist. In solchen Augenblicken kann selbst ein scheinbar langweiliges Protokoll zur Entspannungsphase werden. Wenn sie dann noch wach ist, setzt sie sich mit ihrem Freund zusammen auf die Couch, spricht über den Tag oder schaut einfach nur eine Serie. Eine Routine, die sich dann doch nicht so sehr von der ihrer Mitstudenten unterscheidet. „Würdest du dich immer wieder für ein Kind während des Studiums entscheiden?“, frage ich sie. „Ja, immer wieder. Auch wenn heutzutage ein großer Druck auf uns Studierenden lastet, kann ich nur sagen, dass meine Kleine der perfekte Ausgleich dafür ist! Sie hält mir jeden Tag aufs Neue vor Augen, worauf es im Leben ankommt und hilft mir dabei, das Studium nicht zu verbissen anzugehen. Ich habe weniger Zeit für mich allein, aber insgesamt würde ich sagen, dass ich mich vollkommener fühle und glücklicher bin.“

„Und wie sieht dein Alltag mit Kind aus?“ – Eine Frage, die bei ihr eher ein Schmunzeln auslöst. „Wenn es klappt, sehr durchgeplant, aber dann muss die Kleine auch mitspielen.“ So klingelt ihr Wecker idealerweise gegen 6 Uhr am Morgen, vorausgesetzt dass ihre Tochter nicht schon früher beschlossen hat, wach zu werden. Dann machen sich die beiden für den Tag fertig, indem in Rekordzeit jeder das richtige Outfit findet. Denn direkt im Anschluss folgt das Frühstück. Das heißt, zunächst versucht meine Cousine sich selbst schnell etwas zu zubereiten, um dann wenig später auch der Kleinen ihr Frühstück zu geben. Bevor es losgeht, müssen in Windelseile noch die letzten Uni-Sachen und die Tasche für die Krippe zusammengepackt werden. Meistens ist an diesem Punkt schon die Planung komplett über Bord geworfen worden, weil die rechte Socke nicht zu finden war oder die Tochter meinte, den Brei quer über den Tisch zu verteilen. Haben die beiden es aber relativ pünktlich zur Kindertagesstätte geschafft, sprintet sie von dort direkt los zur ersten Vorlesung in der Uni. Bis zum Nachmittag unterscheidet sich ihr Tagesablauf nicht von dem ihrer Kommilitonen, außer dass sie fast täglich irgendwelche Flecken erst im Seminar auf ihrem Pullover entdeckt. Der größte Unterschied zeichnet sich erst am Nachmittag ab. Wenn ihre Mitstudenten sich noch mit Freunden auf einen Kaffee treffen oder entspannt die Füße hochlegen können, läuft sie auch schon wieder zum Kindergarten, um die Kleine pünktlich wieder abzuholen. Danach werden noch ein paar Kleinigkeiten auf dem Weg erledigt, bevor es wieder nach Hause geht. Zuhause folgt eine Phase vor der Schlafenszeit, die die beiden besonders genießen und gegen die angeblich jede Party „abstinkt“: die gemeinsame Zeit zu dritt. Dann liegt die kleine Familie zusammen auf der Kuscheldecke, spielt und ist immer wieder erstaunt, wie schnell doch die Zeit vergehe und

Bevor ich diese Schwangerschaft in meinem ganz persönlichen Umfeld mitbekommen habe, war ich der festen Überzeugung, dass die Zeit während des Studiums nicht für ein Kind gemacht ist. Doch alleine durch die Beobachtung der Drei habe ich gemerkt, dass man auch die Familienplanung nicht pauschalisieren sollte. Natürlich gibt es Tage, an denen alles schief läuft und sie fünf Freunde oder Verwandte anrufen muss, um einen Babysitter zu finden, weil man nach drei Monaten doch mal wieder abends spontan ins Kino gehen will. Aber dann schaut sie in das Gesicht der Kleinen und bekommt sofort ein Lächeln zurückgeschenkt. Wenn ich sie zusammen erlebe, zweifele ich nicht eine Sekunde an der Richtigkeit dieser Entscheidung. Aber gleichzeitig weiß ich auch, dass jeder seinen eigenen richtigen Moment für das erste Kind finden sollte. Das soll also keine Aufforderung sein, sofort mit dem Freund im Schlafzimmer zu verschwinden und die ersten Strampler zu kaufen, sondern Studenten mit Kind im Unialltag als nichts Ungewöhnliches zu betrachten.

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Fahrradjäger wollen Dieben an den Kragen Zwei Absolventen der Universität Rostock arbeiten seit 2012 an einem offenen Diebstahlregister für Fahrräder. Bald soll auch das neue Ortungssystem auf den Markt kommen. Lisa Nowotny will dem Fahrradklau in Rostock einen Riegel vorschieben.

Dem Rostocker Studenten Martin Jäger werden innerhalb von drei Jahren fünf Fahrräder gestohlen. Eine Anzeige bei der Polizei bleibt jedoch erfolglos. Um es nicht länger dem Zufall zu überlassen, ob der Student sein Fahrrad dort wiederfindet, wo er es zuvor angeschlossen hat, entwickelte er zusammen mit Biologiestudentin Steffi Wulf ein Diebstahlregister für Fahrräder. Bereits 2011 nahmen Steffi und Martin am Ideenwettbewerb der Universität Rostock teil. Nachdem sie jeweils erfolgreich ihren Master in Maschinenbau und Biologie erlangt hatten, machten sich die beiden im Jahr 2012 mit ihrem Projekt selbstständig. Für ihre Idee nahmen sie das Wagnis in Kauf, als zukünftiger Fahrradjäger bis zum möglichen Erfolg ihres Projekts keinen Cent zu verdienen, statt sich einen festen Job in ihrem Berufsfeld zu suchen. Auch das Risiko von Nachahmern, die die Idee stehlen und diese vor den beiden Rostockern umsetzen könnten, müsse man laut Steffi eingehen. Die 26-Jährige ist überzeugt von dem Projekt und blickt optimistisch in die Zukunft – eine wichtige Voraussetzung. Im Sommer 2012 legten Steffi und Martin den Grundstein für das Diebstahlregister. Mithilfe eines QR-Codes, der am Fahrrad angebracht wird, oder der Rahmennummer können Fahrräder auf der Internetseite der Fahrradjäger registriert werden. Durch Überprüfung der Nummer in einer Datenbank soll dem Gebrauchtkauf gestohlener Räder vorgebeugt werden. Sollte das Fahrrad gestohlen worden sein, kann der Besitzer es zur Jagd freigeben. Anschließend prüfen die Fahrradjäger beispielsweise, ob der Fahrraddieb das liebste Stück gerade auf Ebay verkaufen möchte. Der Maschinenbauingenieur und die Biologin arbeiten unbezahlt in Vollzeit an ihrem Projekt, unterstützt werden sie dabei von drei Teammitgliedern im Bereich Design und Programmierung. Ende dieses Jahres soll jeder Nutzer sein Fahrrad orten lassen und selbst zum Fahrradjäger werden können. Die Idee: Eine App in Verbindung mit einem Bluetooth-Chip als IntelligentSecurityTechnology (InsecT). Das Team setzt auf Crowdfunding, eine Facebook-Gruppe wird gegründet, um Funktionen, Anbringung und Design von InsecT auf die Wünsche der Fahrradfahrer abzustimmen. Der Bluetooth-Chip wird an das Fahrrad angebracht und hat eine Reichweite von etwa 100 Metern. Wurde die entsprechende App zuvor auf dem Handy installiert und der Fahrradbesitzer befindet sich gerade in einem Café, während sich draußen jemand am Rad zu schaffen macht, sendet der kleine Chip eine Nachricht an das Handy des Besitzers und an die aller umliegenden Fahrradjäger. Sollte der Dieb bereits mit dem Fahrrad verschwunden sein, wird jeder,

der die App auf seinem Handy installiert hat und sich in einer Entfernung von 100 Metern zum gestohlenen Rad befindet, benachrichtigt, um den Dieb stoppen zu können oder dem Besitzer mitzuteilen, wo sich sein gestohlenes Rad befindet. Laut Informationen der Fahrradjäger durch die Polizei werden in Deutschland täglich 869 Fahrräder gestohlen, das ergibt einen Schaden von etwa 200 Mio. Euro. Neun von zehn Fahrraddieben kommen ungeschoren davon, nur eins von zehn Rädern kehrt zu seinem ursprünglichen Besitzer zurück. Wer sein Fahrrad also in Zukunft mit dieser Technologie vor Dieben schützen möchte, kann InsecT voraussichtlich zum Ende des Jahres 2015 für etwa 50 Euro erwerben. Die kostenlose App soll im März veröffentlicht werden.

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Straßensport: Go hard or go home! Den inneren Schweinehund zu besiegen, ist nicht immer ganz einfach. Wozu den hundertsten Sit-Up machen, wenn sowieso niemand dabei ist, der anfeuert und motiviert? Doch es gibt eine Möglichkeit, wie man gemeinsam mit anderen sportlich an seine Grenzen kommt und Neues ausprobieren kann. Nicole Korte macht mehr als nur Hampelmänner. // Foto: Hauke Ruge

Straßensport ist ein Verein für Street Workout und Funktionelles Fitnesstraining in Mecklenburg Vorpommern, gegründet im April 2014. Grundlegend geht es darum, sich in der Gruppe zu treffen und eine gute körperliche Form zu erreichen. Eine gesunde und fitte Lebensweise und der Spaß am Sport sollen dabei im Vordergrund stehen. Das Training ist abwechslungsreich und setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen. Besonders interessant ist vor allem, dass es keine teuren Geräte benötigt oder ein Knebelvertrag im Fitnessstudio winkt. Vielmehr wird der eigene Körper als Ausgangspunkt für das Training genutzt. Dabei ist es übrigens ganz egal, wie fit man ist, egal ob Anfänger oder Fortgeschrittener, die Übungen gibt es immer in verschiedenen Variationen, so dass sie für jeden eine passende Herausforderung darstellen. Das Training wird jedes Mal an die Voraussetzungen der Mitglieder angepasst, mit dem Ziel, an seine persönlichen Grenzen zu gelangen. In den Frühlings- und Sommermonaten wird viermal die Woche auf dem Trainingsplatz in der Rostocker Südstadt trainiert. In der Wintersaison von November bis März findet das Training dann in Turnhallen der Stadt statt. Auch ich und unser Fotograf Hauke haben das Training mit der Straßensport-Truppe ausprobiert. Nach einem Lauf-ABC zur Erwärmung ging es auch schon mit unserem Workout los: drei Runden á zehn Übungen! Zu den Übungen zählten unter anderem Box Jumps, Mountain Climbers, Jumping Jacks oder Klimmzüge. Ob Hampelmänner oder nachgeahmtes Bergsteigen: Jede Übung wird für 30 Sekunden ausgeführt, bevor es (schon wieder etwas atemloser) weiter zur nächsten Station geht. Aber auch die Klassiker Liegestütz und Kniebeuge waren dabei. Ich würde sagen, wir haben uns gut geschlagen und danach sogar noch Energie für einige Bauchübungen gehabt. Am Ende durfte das ausgiebige Dehnen natürlich nicht fehlen. Straßensport ist ideal geeignet für sportbegeisterte Leute, die an ihre Grenzen gehen wollen, gerne an der frischen Luft sind oder einfach Teamgeist beim Training suchen. Wenn ihr also auf der Suche nach einer Herausforderung seid oder einfach mal wieder etwas Neues ausprobieren möchtet, dann ist dieses Training vielleicht genau das richtige für euch. Das Training in der Gruppe fordert heraus,

denn wer gibt schon gerne vor den Augen der anderen auf? Trotzdem sollte man nur so weit gehen, wie es körperlich auch geht. Eins ist aber sicher: das Gefühl nach so einem Ganzkörpertraining ist unbeschreiblich. Und nun ganz getreu dem Motto von Straßensport: Go hard or go home. Mitmachen: www.strazensport.de sowie www.facebook.com/strassensport

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uni Die Angst vor dem Unbekannten ist bekanntlich groß, wie zahlreiche Demonstrationen momentan zeigen. Auch im Uni-Ressort haben wir uns mit zwei sehr unterschiedlichen Randphänomenen beschäftigt: dem Tragen einer Burka und der Mitgliedschaft in einer Damenverbindung. Dabei stellte sich heraus: Ein Blick über den Tellerrand lohnt sich :) Natürlich haben wir auch einige klassische Themen für euch, wie einen Pro-ContraArtikel zum NC oder Infos über neue Beratungsangebote des AStA. Mit diesem Mix wünschen wir viel Spaß beim Lesen und einen guten Start in die vorlesungsfreie Zeit!

Theresia Ziegs

Friederike Wollgast

Burka?! Ja, nein, vielleicht

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Angesichts der nicht enden wollenden Debatte um das Tragen von Burkas in der Öffentlichkeit haben wir uns gefragt: Wie gehen Studierende und Angehörige der Universität mit dem Thema um? Ein Experiment. Friederike Wollgast, Patrick Ode und Christopher Groß ist die Angst vor Frauen in Burka schleierhaft. // Fotos: Hauke Ruge

Hintergrund Unter der Vollverschleierung ist im Zusammenhang mit dem Islam meist die Bekleidung mit einer Burka oder einem Niqab gemeint. Die Burka ist ein Gewand, das den gesamten Körper bedeckt und nur ein Blickgitter für die Augen bietet. Der Niqab hingegen bedeckt nur das Gesicht und den Oberkörper, wobei ein Sichtschlitz für die Augen gelassen wird. Da der Niqab in der Regel zusammen mit einem langen Gewand getragen wird, wird er häufig mit der Burka verwechselt oder gleichgesetzt. Während die Burka hauptsächlich in Afghanistan und Pakistan getragen wird , kommt der Niqab vor allem in Regionen auf und um die Arabische Halbinsel und in Teilen Nordafrikas vor. Wie viele Frauen in Deutschland eine Vollverschleierung tragen, lässt sich schwer sagen. In Frankreich leben etwa 2000 verschleierte Frauen bei circa 5-6 Millionen Muslimen. In Deutschland gibt es etwa 4 Millionen Muslime, weswegen man von einer geringeren Zahl ausgehen kann. Trotz der

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augenscheinlich geringen Relevanz häuften sich in letzter Zeit auch in Deutschland die Diskussionen um die Vollverschleierung. 2014 entschied sich die Direktorin einer Grundschule in Essen, einer Frau das Betreten des Schulgeländes in Vollverschleierung zu untersagen. Mehrere Eltern hatten sich beschwert, weil die Frau ihren Sohn mit Niqab bekleidet von der Schule abholte. Mitte vergangenen Jahres verbot die Universität Gießen einer Studentin in Ganzkörperverschleierung die Teilnahme an Hochschulveranstaltungen. Die Universität argumentierte, dass mit Verschleierung kein angemessener akademischer und wissenschaftlicher Diskurs stattfinden könne. Im Dezember 2014 forderte die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner, ein generelles Burkaverbot in Deutschland einzuführen. Beim CDU-Parteitag wurde das Thema erst einmal vertagt – vom Tisch ist es damit aber nicht. In Europa gilt ein Verschleierungsverbot bisher in Frankreich, Italien sowie in Belgien und wurde im Fall von Frankreich sogar vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt.


Erfahrungsbericht: Mein Burka-Tagebuch 03. Juli 2014 Mensagespräch: Ich unterhalte mich mit Freunden über das Burkaverbot in Frankreich, das der europäische Gerichtshof gerade bestätigt hat. Dabei überlegen wir, wie eigentlich an der Uni Rostock damit umgegangen wird. Daraufhin entsteht die Idee, an unserer eigenen Uni den Praxistest zu wagen.

03. Dezember 2014 Inzwischen habe ich schon etwas Übung. In der Mensa gibt es dennoch das erste Ärgernis: Das von mir präferierte Essen ist eines mit Salami. Aber Schweinefleisch darf ich natürlich nicht essen. Ich finde dann aber trotzdem noch etwas Akzeptables und stelle mich in der Schlange an. Ich fühle mich kaum beobachtet, auch wenn es ein komisches Gefühl ist, zwischen den ganzen Leuten zu stehen und zu wissen, dass man selbst ganz anders aussieht. Ein Problem tritt erst beim Essen auf, als mir klar wird, dass ich das vorher hätte üben sollen. Ständig habe ich das Tuch im Mund, sodass ich nach der Hälfte meinen restlichen Enchilada liegen lasse. Trinken würde nur mit Strohhalm funktionieren, ohne mein Gesicht zu verlieren. Da ich keinen habe, lasse ich das. Insgesamt ist das Essen mit Burka bisher das Unangenehmste an dem ganzen Test. Anschließend geht es noch kurz in die Bibliothek. Hier laufe ich ein bisschen zwischen den Gängen herum und schaue mir Bücher an. Die Leute reagieren gar nicht und lernen weiter. Ich leihe mir noch ein Buch aus, doch auch die Frau an der Ausleihtheke verhält sich wie immer. Nichtsdestotrotz: Am Ende ist es mir doch lieber, ich zu sein und keine verschleierte, nicht erkennbare Frau.

01. Dezember 2014 Lange haben wir dieses Experiment geplant, aber je näher der Termin nun rückt, desto mehr steigt die Aufregung. Eigentlich habe ich sogar Angst, ohne genau sagen zu können, wovor. Vielleicht davor, erkannt zu werden oder als Fake enttarnt. Oder angesprochen zu werden und dann keine passende Antwort parat zu haben. Oder generell vor unvorhergesehenen Ereignissen. Aber jetzt wird’s durchgezogen.

02. Dezember 2014 12:40 Uhr: Wir stehen im Flur im dritten Stock des Johann Heinrich von Thünen-Hauses, um die Montur anzulegen. Vorher habe ich noch fix ein Kleid im Fundus der hmt besorgt, damit alles bodenlang ist und realistisch wirkt. Los geht’s. Ich bin aufgeregt und mir ist warm. Sehr warm. Ich merke meinem Atem mit jedem Atemzug am Tuch. So richtig angenehm ist das nicht, aber ich bekomme genug Luft. Mein Sichtfeld ist auch kaum eingeschränkt. Die vorangegangenen Veranstaltungen sind gerade zu Ende, die Gänge und der Campus sind voll von Studierenden. Trotzdem guckt mich kaum einer auffällig an. Aber was hinter meinem Rücken passiert, merke ich natürlich nicht. Ich habe das Gefühl, dass ich unnatürlich gerade laufe, ungewöhnlich schnell. Und ich gucke – anders als sonst – niemanden direkt an. Endlich erreiche ich den noch fast leeren Hörsaal und setze mich mittig hin. Ich bin mir nicht sicher, wie ich sitzen soll. Beine übereinanderschlagen? Durch die Gegend gucken oder lieber etwas schreiben? Wie würde sich eine echte Burkaträgerin verhalten? Ich wähle den Mittelweg, von allem ein bisschen. Wie immer eben. Facebook auf dem Smartphone anzuschmeißen, traue ich mich nicht. Streng religiöse Frauen sind da wohl eher nicht unterwegs. Ich müsste mal schnauben. Gar nicht so einfach, aber leicht runtergebeugt geht’s auch einigermaßen unauffällig unter dem Gesichtstuch. Nach und nach betreten meine KommiltonInnen den Hörsaal. Keiner schaut auffällig in meine Richtung, es fühlt sich an wie immer. Einige kenne ich flüchtig, aber heute kennt keiner mich. Langsam sinkt der Aufregungspegel und ich finde das ganze eigentlich ganz angenehm. Ich sehe alle, aber so richtig sieht niemand mich. Ich muss nur auf meine Augen achten. Selbst die Körperhaltung verschwimmt zwischen den Stofflagen. Die Vorlesung verläuft wie immer. Wenn ich mich umgucke, schaut niemand betreten weg, ein paar Studierende quatschen und werden ermahnt. Es passiert original – gar nichts. Nach den anderthalb Stunden bin ich trotzdem froh, die ganzen Schichten ablegen zu können und wieder ich zu sein. Aber so schlimm, wie ich es mir vorgestellt hatte, war es nicht.

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Wir haben 75 Leute gefragt ... Beobachtungen In Rostock eine Frau mit Burka zu treffen, ist in etwa so wahrscheinlich, wie Hier ist das Ergebnis ziemlich eindeutig. Während sich 13 Studierende für einen 50-Euro-Schein auf der Straße zu finden. Es ist nicht unmöglich, aber ein Verbot aussprechen, ist eine überragende Mehrheit von 62 Studierenden die Chancen stehen ziemlich schlecht. Mit diesem Wissen im Hinterkopf sind dagegen. Dieses eindeutige Ergebnis hängt sicherlich auch mit der Tatsache wir mit einem leicht mulmigen Gefühl ins Burka-Experiment* gestartet. Ist zusammen, dass ein offizielles Verbot etwas sehr Absolutes und Bevormundie Verkleidung authentisch? Wie werden die Studierenden auf eine Frau dendes hat und den Frauen eben keine freie Wahl mehr lässt. mit Burka reagieren? Werden die Leute gucken oder tuscheln? Wird es gar Ob die Ergebnisse de facto valide sind, lässt sich schwer einschätzen. Anzum Worst-Case-Szenario kommen und Anfeindungen geben? Wir waren gesichts der mehr oder weniger öffentlichen Befragung haben sich einige hin- und hergerissen. Einerseits hofft man natürlich auf möglichst starke Studierende aufgrund der Anwesenheit weiterer Freunde vielleicht mit ihrer Reaktionen, andererseits waren wir unsicher, wie man sich bei eventuell weniger liberalen Meinung zurückgehalten. Drei weitere Studenten ließen negativen Reaktionen richtig verhält. Eine Frage, die besonders Rieke sich ihrem “Ich habe nichts gegen Vollverschleierung …” sinngemäß ein “… sogestellt hat. lange es nicht zu viel wird” folgen. Wie sich schnell herausstellte, waren die Bedenken unbegründet, die ReakGegner der Verschleierung an Universitäten führen gerne das Argument tionen der Studierenden bestenfalls verhalten: Hier ein kurzer, verstohlener an, dass wissenschaftlicher Austausch nur über alle Kanäle, verbal und nonBlick, dort ein neugieriges Schauen, in sehr seltenen Fällen ein kurzer Ausverbal, funktioniere und dass der Wegfall von Mimik und Gestik die wissentausch von Gedanken und Meinungen. Auch hinter Riekes Rücken wurde schaftliche Kommunikation behindere. Ein Argument, das auch von einer also nicht wirklich viel getuschelt. Studentin der Uni Rostock als Begründung für ein Burka-Verbot an der Uni Wir wollten das ganze von den Studierenden dann aber doch etwas genauherangezogen wurde. er wissen, haben uns zu erkennen gegeben und 75 von ihnen nach der VorleEs wäre interessant zu erfahren, ob andere Studierende ihre Meinung diessung, in der Mensa sowie in der Bibliothek gefragt, was sie beim Anblick der bezüglich ändern würden, wenn sie sich im Seminar Woche für Woche mit Frau mit Burka gefühlt bzw. gedacht haben und ob sie sich für oder gegen ein einer Burkaträgerin konfrontiert sähen. Verbot der Burka an Universitäten aussprechen würden. Wobei auch hier aus einem Maulwurfshügel wie so oft kein Berg gemacht Tatsächlich sind die Ergebnisse dieser kurzen Umfrage wider unseren werden sollte. Durch eine Frau mit Burka bricht die wissenschaftliche Erwartungen wenig spektakulär. Den meisDiskussion nicht ab. Und mittlerweile sollte ten (27) ist die Frau mit Burka entweder gar Die Spanne der Reaktionen und Eindrücke reicht von die Wissenschaft so emanzipiert sein, dass nicht erst aufgefallen, oder sie hat bei ihnen provoziert, unheimlich und unwohl über mitleidig sie vor der Religion keine Angst zu haben keine Reaktion hervorgerufen. 16 Studie- bis hin zu mutig. braucht. In jedem Fall sollte der wissenrende waren überrascht von der Tatsache, schaftliche Beitrag einer Person bewertet an der Rostocker Uni auf eine Frau mit Burka zu treffen, 12 konnten kein werden und nicht die äußeren Zeichen ihrer religiösen Zugehörigkeit. konkretes Gefühl artikulieren und 10 zeigten sich interessiert an der Frau in Auch im Hinblick auf die aktuelle Panikmache über die “Islamisierung des Schwarz und ihrem Hintergrund. Abendlandes” ist es beruhigend zu sehen, dass sich Rostocker Studierende Lediglich ein Student hat im Vorbeigehen zu seinem Kumpel gesagt: “Das davon distanzieren und sich tolerant auch gegenüber weniger verbreiteten ist 'ne Verarsche, hundertpro.” Bei wieder anderen reichte die Spanne der Praktiken anderer Religionen zeigen. Reaktionen und Eindrücke von provoziert, unheimlich und unwohl, über Eine Bibliotheksmitarbeitern hat diese Einstellung bei der Befragung mitleidig bis hin zu mutig. treffend auf den Punkt gebracht: “Universität bedeutet Vielfalt. Jeder kann Drei Studentinnen teilten uns nach eingängiger Diskussion mit, dass sie hier so sein, wie er ist. Und das ist auch richtig so.” Frauen in Burka bemitleiden, da diese sich wahrscheinlich nicht freiwillig verschleierten. Darüber hinaus seien sie durch die Medienpräsenz des Islamischen Staates in den letzten Monaten für derlei Themen zur Zeit sensibler, hätten aber mitunter auch ein wenig Angst vor verschleierten Personen. Das, was Rieke also als gar nicht so unangenehm empfand, nämlich dass keiner sie wirklich sehen konnte, wurde von ihrer Umwelt zum Teil gegenteilig bewertet und auch von zwei weiteren Studentinnen mit dem Gefühl der Angst beschrieben. “Ich finde es nicht so gut, dass man die Person hinter der Burka nicht erkennt. Das kann ja theoretisch jedes Mal jemand anderes sein. Und man weiß auch nicht, was sie drunter trägt. Das ist irgendwie unheimlich.” * Der Aspekt dieser fast vollständigen Anonymität spielt auch bei der zweiFür das Experiment hat Rieke ein Niqab getragen. Der Einfachheit halber wird im Artikel konsequent der Begriff Burka verwendet. ten Frage nach einem allgemeinen Verbot der Burka an der Uni eine Rolle.

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Woher kommst du?

Hast du dich auch schon mal gefragt, woher deine Kommilitonen kommen? Wer sich immatrikuliert, gibt neben dem Studienfach unter anderem Wohnort und Geburtsort preis. Anhand des Immatrikulationsverzeichnisses auf www.matrikel.uni-rostock.de kann jeder nachvollziehen, woher die Studenten kommen. Wir haben die Top 10 der Herkunftsorte herausgesucht. Theresia Ziegs versank in einem Zahlenhaufen.

Abb. 2 Aus keiner anderen Stadt kommen so viele Erstis an unsere Universität wie aus Rostock selbst. Gut 400 Erstsemester wurden hier geboren und insgesamt geben fast 2000 Studenten zu Beginn des Studiums Rostock als Wohnort an. Für Berliner und Hamburger ist Rostock weit weniger attraktiv. Nur knapp drei Prozent der Studenten geben Berlin als Wohnort an; etwa sechs Prozent der Studenten wurden dort geboren. In Hamburg wohnten nur ein Prozent der Studienanfänger. Der Zustrom aus den beiden Großstädten ist in den letzten 20 Jahren konstant geblieben.

Abb. 1

180

160

140

120

100 Berlin 80

60

40

Hamburg

20

Schwerin Lübeck Wismar Güstrow Neubrandenburg Bad Doberan Stralsund 1992

1997

2002

2007

20

2012

Auf der anderen Seite zeigt sich deutlich, dass immer weniger Leute aus Schwerin oder Wismar nach Rostock ziehen. Waren es 1992 insgesamt 13,5 Prozent der Studenten, so sind es nun weniger als zwei Prozent. Das könnte unter anderem an den schwindenden Einwohnerzahlen der kleinen Gemeinden in Mecklenburg Vorpommern liegen. Dass immer mehr junge Leute Rostock als Wohnort angeben, liegt auch daran, dass viele Studenten, die den Master beginnen, schon ihren Bachelor hier gemacht haben und deshalb bereits vor der Immatrikulation in Rostock lebten. Zusammenfassend kann man sagen: Norddeutsche bleiben am liebsten im Norden.

Abb. 1: Anzahl und Herkunft der eingetragenen Erstis in den jeweiligen Jahren. Abb. 2: Anteile und Herkunft der eingetragenen Erstis


Bachelor – und dann? Die Pflicht der Selbstüberwindung

Der Bachelor stellt in Deutschland den ersten berufsqualifizierenden Abschluss im Hochschulbereich dar und leitet damit für viele von uns die Eigenständigkeit ohne Mutti und Co. ein. Doch sind wir allein in der Pflicht, nach diesem Streckenabschnitt unsere Orientierung zu finden, oder muss die Uni uns dabei helfen? Michèle Fischer spielt hier auch mal die Mutti.

Zwar graut es den meisten Studierenden ab dem ersten Semester vor der Abschlussarbeit, doch schnell ist der Punkt erreicht, an dem wir erkennen: auch das ist nur ein Schriftstück. Die ersten Thesen werden formuliert, gefühlt hunderte Bücher in der Bibliothek entliehen und die Bar-Tage mit den geliebten Kommilitonen auf vier die Woche reduziert. Nachdem wir unser Zimmer blitzblank geputzt haben und mit einem verzweifelten Blick auf den Kalender feststellen, dass der Abgabetermin schon in sechs Wochen angesetzt ist, fangen wir langsam an, die ersten Sätze der Einleitung zu verfassen. Doch was passiert danach? Die Bachelorarbeit impliziert bekanntlich nicht nur, dass wir uns endlich mal auf den Hosenboden setzen müssen, sondern anfangen sollten, eine Art Lebensplan mit Ankreuzoptionen zu entwickeln. Viele Studierende möchten die Theoriephase beenden, endlich in die Berufswelt einsteigen und erste Erfahrung in der großen weiten Welt sammeln. Andere wollen ihre wissenschaftliche Laufbahn fortführen und direkt den Master anhängen, um später vielleicht sogar zu promovieren. Andere wiederum erkennen, dass sie die letzten sechs plus X Semester die falsche Abzweigung genommen haben. Ist die Universität an diesem Punkt in der Pflicht, ihren Schützlingen zu helfen? Oder müssen wir nun Eigeninitiative beweisen und uns komplett selber informieren?

Natürlich kann an dieser Stelle keine differenzierte Antwort gegeben werden, die auf jeden Charakter und jede Situation anwendbar ist. Dafür müssten ganze Seminare herhalten. Aber Fakt ist, dass die Uni in den vergangenen Jahren ihren Service immer weiter ausgebaut hat, um uns bei diesem wichtigen Entscheidungsprozess zu helfen. So gibt es einmal im Jahr, vor Ende des Sommersemesters, einen allgemeinen Vortrag zum Thema „Bachelor und dann?“. Außerdem bietet der Careers Service sowohl in Blockveranstaltungen als auch in Einzelterminen eine individuelle Beratung an. Natürlich ist die Universität allein aus finanziellen Gründen, bemüht, die Studenten auch für das vorhandene Masterangebot in Rostock zu begeistern. Trotzdem liegt das persönliche Wohl im Fokus der Beratung. An dieser Stelle kann wohl niemand verlangen, dass diese Anlaufstelle uns die eigene Recherche abnimmt. Nachdem die Bildungsmöglichkeiten in Deutschland und auch im Ausland immer weiter zunehmen, sind sie nicht in der Lage, einen lückenlosen Überblick im praktischen Tabellenformat zu liefern. Googelt man nur die Phrase „nach dem Bachelor“, erhält man von der Suchmaschine über 36 Millionen potentielle Ansätze. Ab diesem Punkt seid ihr selbst gefragt. Wer absolut keine Vorstellung besitzt, hat auf jeden Fall irgendetwas falsch gemacht, denn spätestens im Pflichtpraktikum für Geisteswissenschaftler beispielsweise sollte eine ge-

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wisse Tendenz bestehen oder über Bord geworfen werden. Da hilft nur noch, eine persönliche Liste mit Interessen zu erstellen, Freunde zu befragen und das Internet zu durchforsten. Wer weiß, dass der Master folgen soll, sich aber mehr Informationen wünscht, kann sich an die Mastermesse wenden und verschiedene Unistandorte miteinander vergleichen. Ob Rom, Paris oder doch Berlin: In dieser spannenden Phase ist es besonders empfehlenswert, auch einmal über den Tellerrand zu schauen. Gerade wenn ihr familiär nicht gebunden seid, denkt darüber nach, die eigene Komfortzone mal zu verlassen. Du wolltest schon immer mal ein Hilfsprojekt unterstützen oder den amerikanischen Lifestyle testen? Dann mach es! Wer sich für einen Bachelorstudiengang mit seinen vielfältigen Optionen entschieden hat, schlägt gleichzeitig keinen vorgefertigten Weg ein, sondern beginnt mit neuen Akzenten und unterschiedlichen Bausteinen eine personalisierte Straße zu pflastern. Die Uni Rostock bietet viele Hilfen an, um sich über Möglichkeiten nach dem Bachelor zu informieren. Letztendlich seid aber ihr in der Pflicht. Die Uni stellt dabei nur die Tagesmutter, die immer mal wieder an Termine erinnert, dabei nervig sein kann wie die eigene Mutter und im Notfall den Überblick besitzt, bis die Kleinen das Nest verlassen. Also: Fliege los, in welche Richtung kannst du selbst entscheiden.


Gute Geister der Uni Der Sicherheitsdienst der Universitätsbibliothek in der Südstadt beginnt dann seine Arbeit, wenn der Trubel des Tages bereits verflogen ist. Dennoch gibt es einiges zu tun. Frau Fiedler von GSE Protect erzählt.

war Faschingszeit und die hatten es sich mit Schnaps im dritten Stockwerk gemütlich gemacht.“ Während sie erzählt, kann sich Frau Fiedler ein verschmitztes Lächeln nicht verkneifen. Sie und fünf weitere Kollegen, die im Wechsel arbeiten, machen nicht nur ihre stündlichen Rundgänge durch das Gebäude. „Wir nehmen auch Bücher entgegen oder sammeln herumstehende Körbe ein. Was eben so anfällt.“ Kurz vor 24 Uhr erinnert Frau Fiedler mit Hilfe der Durchsage die letzten verbliebenen Lernwilligen daran, dass es nun Zeit ist, nach Hause zu gehen:

Sophie Auer gruselt sich nicht zur Geisterstunde in der Südstadtbibo.

Wenn es Abend wird in der Universitätsbibliothek Südstadt und die Bibliotheksmitarbeiter um 20 Uhr in ihren Feierabend gehen, beginnt für Gabriele Fiedler erst der Dienst. Sie gehört zu GSE Protect, einem Sicherheitsdienst, und sorgt bis 24 Uhr im Gebäude für Ruhe und Ordnung. Gerade im Winter, wenn es kalt draußen ist, kann es schon manchmal unruhiger werden, berichtet sie. „Einmal mussten mein Kollege und ich drei junge Männer nach Hause schicken. Es

Routiniert wünscht sie allen einen guten Heimweg mit einem freundlichen „Kommen Sie gut nach Hause.“ Ob ihr die Arbeit mit den jungen Leuten Spaß mache, frage ich sie, ob sie auch schon Lustiges im Umgang mit den Studierenden erlebt habe. „Die Studenten sind sehr höflich und zuvorkommend, aber was die alles hier vergessen. Wir haben schon die ungewöhnlichsten Sachen gefunden.“ Neben Ungewöhnlichem, wie Tablets und Medikamenten, neben Klassikern, wie Handschuhen, Mützen und Schals, habe ein junger Mann einmal seinen kompletten Supermarkteinkauf vergessen. „In dem Beutel war alles für ein gemütliches Abendbrot. Butter und Brot, einfach alles.“ Der vergessene Proviant wurde dann aber doch noch von seinem rechtmäßigen Besitzer abgeholt und so war das Abendessen gerettet. Wie sie mit den ungewöhnlichen Arbeitszeiten klarkommt, frage ich. „Ach, wir wechseln uns ja ab und gerade in der Sonntagsschicht, in der wir zwölf Stunden hier sind, gibt es natürlich auch mal eine Pause.“ Zum Abschluss verrät sie mir aber doch noch mit einem Zwinkern im Auge: „Nur mein Mann meckert manchmal, wenn ich dann abends losgehe.“

Respekt vor der Aufgabe

Zu Beginn des letzten Jahres legte Ulrich Vetter seine Arbeit als Pressesprecher der Universität Rostock nieder. Im Sommer hat Jana Powilleit seine Nachfolge angetreten. Sie sprach mit uns über ihre Aufgaben und Ziele. Fritz Beise hat auch Respekt vor der Aufgabe. // Foto: Universität Rostock, Presse- und Kommunikationsstelle

In einem großen Unternehmen wie der Universität dauern Personalentscheidungen bekannterweise immer etwas länger. Gut drei Monate vergingen von der Ausschreibung der Stelle bis zur Zusage für Jana Powilleit. Sie hatte noch einen Vertrag beim Landesamt für Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit und Fischerei (LALF). „Es gibt ja immer auch Kündigungsfristen und außerdem noch ein Projekt, das ich beenden wollte“, erklärt sie die Verzögerung des ersten Arbeitstages bis Mitte Juli. Für unser Gespräch hat sie sich den gesamten Vormittag frei gehalten: Eine Seltenheit bei der Vielschichtigkeit der Aufgaben und den vielen Antrittsterminen, die sie in den ersten drei Monaten hatte. „Ich bin nicht ängstlich, aber ich hatte schon Respekt vor der Aufgabe.“ Es ist nicht die erste Institution, für die Jana Powilleit als Pressesprecherin fungiert.

Nach anfänglichen Aufgaben im Vertrieb übernahm sie bald die Öffentlichkeitsarbeit im Hinstorff Verlag; wohl der bekannteste Verlag in MV. Dadurch konnte sie viele Kontakte im Land sammeln, die ihr jetzt das Arbeitsleben erleichtern. Das LALF sei insofern eine gute Übung für die universitäre Pressearbeit gewesen, so Powilleit, da dort verschiedene Themen hätten bearbeitet und nicht nur ein Produkt hätte verkauft werden müssen. Die Themen an der Universität seien sehr vielfältig „und ich bin ja nicht nur die Pressesprecherin für den Rektor oder die Universitätsleitung“, sondern für alle Angehörigen der Universität. Für die Verwirklichung ihres nächsten Ziels, die Vereinfachung der Pressearbeit mit den Fakultäten, hat sie sich mit Vertreter_innen aller Fakultäten getroffen. Ob sie dieses und weitere Ziele erreicht, wird die Zukunft zeigen.

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Ist der Numerus Clausus gerecht? Jedes Jahr schließen über 50 Prozent eines Jahrgangs die Schule mit dem Abitur ab. Jeder Dritte beginnt zu studieren, das sind so viele Studenten wie noch nie. Überfüllte Hörsäle, schlechte Betreuung und Studienabbrüche sind die Folgen. Kann ein verstärkter Numerus Clausus hier Abhilfe schaffen?

Pro

Kontra

Theresia Ziegs wünscht sich mehr Mut zur Ausbildung.

Tom Seiler möchte freie Selbstentfaltung und faire Chancen für alle.

Das Studium hat in der Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Über eine halbe Million junger Leute beginnen jedes Jahr zu studieren. Auch in den nächsten Jahren sollen die Studienanfängerzahlen auf einem hohen Niveau bleiben. Die Universitäten versuchen den Ansturm auf begehrte Studienfächer durch hohe Hürden zu bremsen. Eine mögliche Einschränkung ist die Abiturnote. Viele Studienanfänger ärgern sich über diese vermeintlich ungerechte Auswahlmethode. Wenn man jedoch genauer hinschaut, dann ist sie effizient, objektiv und gerecht. Erstens bleibt es den Universitäten erspart, jedes Jahr hunderttausende Bewerber zu testen. Das würde eine Menge Geld kosten, das in der Lehre gebraucht wird. Zweitens sind Bewerbungsgespräche ziemlich subjektiv und ungerecht: Man kann kaum zu Beginn eines Studiums durch Gespräche und Tests herausfinden, ob ein potenzieller Medizinstudent nach sechs Jahren Studium ein fähiger, sozial kompetenter Arzt sein wird. Außerdem zeigen Eignungstests nur die momentane Leistung, während die Abiturnote die Leistung von vielen Prüfungen zusammenfasst und somit einen besseren Überblick über die Fähigkeiten des Bewerbers gibt. Deshalb hält der Darmstädter Soziologe Michael Hartmann die Abiturnote für den verlässlichsten Indikator für ein erfolgreiches Studium. Außerdem sei diese das sozial gerechteste Auswahlkriterium, betont er. Die Abiturnote ist nur bedingt von der Herkunft des Bewerbers abhängig. Ohne Zulassungsbeschränkungen für bestimmte Studiengänge gäbe es aber mehr Studierende, was zu Studiengebühren und somit zu größerer sozialer Ungerechtigkeit führen könnte. Natürlich sollten in ausgewählten Studiengängen, wie beispielsweise Musik, Eignungstests bestehen bleiben. Ebenso sollten weitere Möglichkeiten existieren oder geschaffen werden, auf andere Weise einen Studienplatz zu erlangen – zum Beispiel durch Wartesemester, Praktika oder eine vorangegangene Ausbildung. Auffällig ist außerdem, dass in Studiengängen mit hohen Zugangshürden, wie Medizin und Psychologie, die Abbruchquoten mit ungefähr zehn Prozent weitaus geringer sind als in Bachelor- und Masterstudiengängen, in denen ein Viertel der Studenten ihr Studium nicht abschließen. Deshalb sind Zulassungsbeschränkungen, zu denen auch die Abiturnote gehört, gut und wichtig und sollten in einigen Fällen vielleicht sogar noch verschärft werden. Sie sind die Voraussetzung für bessere Studienbedingungen und erhöhen die Wahrscheinlichkeit eines Abschlusses innerhalb der Regelstudienzeit.

Der NC ist eine sehr starre Hürde für junge Menschen, die studieren wollen. Durch diese Beschränkungen wird selektiert, wer die Möglichkeit bekommt, die mit einem akademischen Abschluss zusammenhängenden Vorteile, wie bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und soziale Anerkennung, zu genießen. Ein Studium kann auch ein wichtiges Element von Selbstverwirklichung sein: die Gelegenheit, sich mit einem interessanten wissenschaftlichen Feld intensiv auseinander zu setzen. Der NC macht vielen jungen Menschen ein Studium unmöglich und schafft großen Leistungsdruck in der Schule. SchülerInnen müssen viel Zeit und Herzblut in ein gutes Abitur investieren – und scheitern vielleicht trotzdem. Das deutsche Bildungssystem sorgt so dafür, dass vielen eine große Breite an Zukunftsperspektiven verwehrt wird. Doch wenn schon Zulassungsbeschränkungen zum Studium aufrecht erhalten werden müssen, zum Beispiel um zumutbare TeilnehmerInnenzahlen zu gewährleisten, sollte man zumindest darüber nachdenken, wie diese gerechter gestaltet werden können. Der NC ist nicht nur ein bestimmter Notenschnitt des Abiturs, stattdessen bezieht sich der Begriff generell auf die Beschränkung der Anzahl der zugelassenen StudentInnen. Der bloße Abiturschnitt ist eine einseitige und daher unfaire Art zu entscheiden, wer das gewünschte Fach studieren darf und wer nicht. Eine Alternative sind Eignungstests, die spezifisch auf den jeweiligen Studiengang zugeschnitten sind und daher im Gegensatz zum Abiturschnitt nur relevante Fähigkeiten und Kenntnisse prüfen. Eignungstests sind ebenfalls nicht ideal, doch es gibt viele weitere Kriterien, die zur Anwendung kommen können - eine Kombination kann für mehr Gerechtigkeit sorgen. Neue Ideen werden benötigt, wie Aufnahmeverfahren an Hochschulen gerechter gestaltet werden können. Noch wichtiger ist es jedoch, für eine gute finanzielle, materielle und personelle Ausstattung zu kämpfen! Denn das große Ideal sollte sein, dass jedem Menschen mit den entsprechenden Fähigkeiten die Möglichkeit des Studiums offen steht.

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Arbeit, Studium, Leben – Sozialberatung auf Augenhöhe

Seit diesem Wintersemester bieten der AStA der Universität Rostock und die DGB-Jugend Hochschulgruppe eine neue Sozialberatung zu allen Fragen rund um die Kombination von Studium und Arbeit an. Die Beratung wird durch Friedrich Gottschewski und Andy Mamerow, zwei Studenten der Universität Rostock, umgesetzt. Lydia Pokwa hält das Campus-Office für eine gute Sache. // Foto: Andy Mamerow heuler: Bislang wurde die Sozialberatung durch den bzw. die AStAReferent*in für Soziales übernommen. Nun gibt es durch die Kooperation von AStA und der DGB-Jugend Hochschulgruppe eine neue Beratung in Form des Campus Office. Brauchen die Studierenden tatsächlich so viel Beratung? Oder baut man dadurch nicht nur noch mehr verwirrende Strukturen auf, bei denen die Studierenden am Ende gar nicht mehr wissen, wer für sie zuständig ist und bei wem sie welche Hilfe bekommen können? Friedrich: Die Beratung war bislang eine sehr allgemeine Erstberatung, das muss sie natürlich auch sein, denn schließlich sind die Probleme, mit denen die Studierenden in die Sprechzeiten kommen, sehr divers. Durch die Kooperation können wir nun aber eine Lücke schließen, da wir besonders für Arbeits- und Sozialversicherungsangelegenheiten geschult sind. Andy: Um Verwirrungen vorzubeugen, braucht es natürlich eine gute Kommunikation und Vernetzung mit anderen Beratungsstellen. Wir können selbstverständlich auch eine Erstberatung zum BAföG anbieten, aber wir sind eben keine Rechtsberatung und müssen dann gegebenenfalls zur Berechnung des Bedarfs etc. an das Studentenwerk verweisen.

stehe da natürlich gerne für eine Beratung, aber auch für einen allgemeinen Erfahrungsaustausch bereit. Friedrich: Viele kostet es ja durchaus Überwindung, eine Beratung in Anspruch zu nehmen, denn in vielen Bereichen unseres täglichen Lebens gilt ja das Credo, dass man es alleine schaffen muss. Da verringert eine studentische Beratung auf Augenhöhe vielleicht etwas die Hemmschwelle. Abschließende Frage: Ab dem 1. Januar 2015 gibt es in Deutschland einen Mindestlohn. Glaubt ihr, dass das ein Thema in eurer Beratung werden wird? Friedrich: Der Mindestlohn betrifft auch fast alle studentischen Arbeitsbereiche. Bereits jetzt (November 2014, Anm. d. Red.) stellen ja viele größere Arbeitgeber auf den Mindestlohn um. Aber wir gehen davon aus, dass gerade viele kleinere Unternehmen, etwa in der Gastronomie, versuchen werden, den Mindestlohn zu umgehen – falls ihr davon betroffen seid, solltet ihr auf jeden Fall mal bei uns vorbeischauen. Vielen Dank für das Gespräch.

Das klingt jetzt ziemlich abstrakt, wenn ihr sagt, dass ihr auf Arbeits- und Sozialversicherungsangelegenheiten spezialisiert seid. Was heißt das denn – schließlich gehen doch die wenigsten Studierenden einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nach, oder irre ich mich da? Friedrich: Prinzipiell stimmt das, wenn man nur an die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung etc. denkt, aber viele Studierende haben auch Probleme mit ihrer Krankenversicherung, etwa weil sie zu viel arbeiten, dann von ihrer Versicherung in eine deutlich teurere Versicherung eingestuft werden und oft nicht wissen, wie sie das bezahlen sollen. Andy: Dazu muss man bedenken, dass laut Sozialerhebung des Studentenwerks 63% aller Studierenden neben dem Studium einer Arbeit nachgehen – auf Rostock übertragen wären das immerhin fast 10 000 Studierende. Da kann ich mir selbst im optimistischsten Fall nicht vorstellen, dass es bei niemandem ein Problem mit dem Arbeitgeber gibt. Was dann die Probleme im Einzelfall sein werden, kann ich noch nicht sagen, aber ich rechne doch mit einigen, deren Gehalt wegen Krankheit nicht bezahlt wurde und ähnlichen Fällen. Habt ihr neben den Arbeits- und Sozialversicherungsangelegenheiten noch andere Schwerpunkte und warum sollten die Studierenden gerade zu euch kommen? Andy: Ich bin seit Anfang des Jahres Papa und weiß, dass es nicht immer einfach ist, Studium, Kind und Arbeit unter einen Hut zu bekommen. Ich

Beratung gefällig? sozialberatung@asta-rostock.de Sprechzeit: Mittwoch 14–16 Uhr und nach Vereinbarung, Parkstraße 6; EG linker Flügel; AStA-Sitzungssaal

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Appell für mehr Fachschaf(fenskraf)t ... Die VertreterInnen der Fachschaften sind der Meinung: „Fachschaft ist, was du draus machst!"

Im letzten heuler wurde mit der Achillesverse zum Thema Fachschaftsräte eine hitzige Debatte angeregt, die zeigt, dass anscheinend noch erheblicher Informationsbedarf zum Thema besteht. Daher möchten wir, die VertreterInnen aus Fachschaftsräten verschiedener Fakultäten, im folgenden Artikel die Rolle der Fachschaftsräte klarer umreißen und unsere Tätigkeiten transparenter machen. Dabei beleuchten wir Bereiche, in denen es bereits gut läuft, und solche, in denen es noch Verbesserungsbedarf gibt. Grundsätzlich bildet der Fachschaftsrat das Sprachrohr seiner Studiengänge. Sobald Probleme mit Studienordnungen oder Dozierenden bestehen, ist er der erste Ansprechpartner für positive und (oft auch) negative Kritik. Durch

dieses Feedback können Veränderungsprozesse angestoßen und aktiv an der Entwicklung, Ausgestaltung und Verbesserung der Studienbedingungen gearbeitet werden. Eine weitere Form dieses Feedbacks ist die Evaluation der Lehrveranstaltungen an den jeweiligen Instituten zur Qualitätssicherung guter Lehre, an der ihr sicher selbst schon das eine oder andere Mal mitgewirkt habt. Gegenüber der Organisation von kulturellen Veranstaltungen und Partys nehmen diese Aufgaben den zeitlich höchsten Aufwand ein, können dabei jedoch nicht immer von außen wahrgenommen werden. Vielleicht ist dies auch Auslöser für die geringe Resonanz, die sich sowohl in der Wahlbeteiligung widerspiegelt, als auch bei der Teilnahme an angebotenen Veranstaltungen bemerkbar macht. Wären dies die einzigen Probleme, denen sich Fachschaftsräte stellen müssten, bestünde keine Notwendigkeit, diesen Artikel zu schreiben: Jedoch sehen sie sich neben diesen Problematiken auch mit strukturellen Herausforderungen konfrontiert. Nicht jeder Fachschaftsrat kann auf Räumlichkeiten zurückgreifen – geschweige denn auf gut ausgestattete – die nötig sind, um zumindest eine feste Adresse für Sprechstunden oder Sitzungen sicherzustellen. Zusätzlich kann man als VertreterIn der Studierenden nicht immer im Interesse aller Mitglieder des jeweiligen Instituts oder der Fakultät agieren; weitreichende Konsequenzen nach hochschulpolitischen Kontroversen sind keine Seltenheit. Problematisch ist zudem die desolate finanzielle Situation von vor allem kleineren Fachschaftsräten. Gerade deswegen ist es wichtig, dass sich die Studierenden der Rolle der Fachschaftsräte stärker bewusst werden, um einerseits eine wirksamere Rückkoppelung und andererseits eine bessere Einheit zwischen Studierenden und ihren VertreterInnen zu gewährleisten. Als Fachschaftsräte sind wir daher jederzeit offen für Kritik, konstruktive Ideen und insbesondere dankbar für eure Unterstützung. Wir sind uns durchaus bewusst, dass ihr mit Regelstudienzeit, Nebenjob und Privatleben mehr als ausreichend ausgelastet seid – uns geht es allerdings nicht anders, trotzdem machen wir die Arbeit (meistens ;-) ) gerne. Um dieses Engagement perspektivisch fortführen zu können, brauchen wir EUCH. Also diejenigen, die auch bereit sind, das Unileben aktiv mitzugestalten. Anders, als von den meisten angenommen, sind die Hürden, einem Fachschaftsrat beizutreten, eigentlich recht niedrig, also nicht vergessen: Jede Fachschaft bekommt den Rat, den sie verdient.

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Guten Tag, Frau Burschenschafterin!

Allein die Überschrift hat wohl das Potenzial, die Gemüter zu erhitzen: Sind wir seit der Diskussion um ein Verbot von Studentenverbindungen an unserer Universität nicht durch mit dem Thema? Burschenschaften sind sexistisch! Warum sollte man da gendern? Nadine Fruck fragte vor Ort nach: Wie ist es denn nun mit den Frauen?

sich eigene Riten, Vokabeln, Lieder und Schmuckgegenstände in Anlehnung an die der männlichen Studentenverbindungen. Sie hatten aber weniger Zulauf als ihre männlichen Pendants. Im Zuge der Gleichschaltung im Dritten Reich wurden Studentenverbindungen aller Art aufgelöst und Frauen aus der akademischen Laufbahn gedrängt.

Frauen in einer Verbindung? Das kenne ich nur aus schlechten Hollywoodfilmen. Darin sieht man stilisierte, meistens blonde, außerordentlich simpel agierende Mädchen. Sie studieren, wenn überhaupt, um einen zahlungskräftigen Ehemann an Land zu ziehen, trinken viel, tragen Perlenohrringe und Twinsets. Kurz, in meinem Kopf entsteht kein Bild von einer Studentin, wie ich sie aus Seminaren an meiner Universität kenne. Ich frage mich, gibt es sowas überhaupt in Europa oder Deutschland? Die Antwort ist jein. Sororities, wie oben beschrieben, sind wie die Fraternities geschlechtergetrennte Studentenverbindungen in Nordamerika. Klassischerweise bezeichnen sie sich mit griechischen Buchstaben. Wieder denke ich nach: Wieso brüllt hier niemand „Kappa Alpha Theta“? Europäische und deutsche Damenverbindungen sind mit den amerikanischen nicht zu vergleichen. Sie entstanden noch bevor Frauen an europäischen Hochschulen zum Studium zugelassen waren, kämpften für ihr Recht auf Bildung und setzten es zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch. Sie schufen

Ach so. Es war also nur ein kurzes Phänomen im letzten Jahrhundert. Nicht ganz. Nach dem Krieg gründeten sich Studentenverbindungen in der BRD rasch neu. Allerdings nur die männlichen und gemischten. Die der Damen scheiterten oft nach kurzer Zeit. Lediglich in Österreich und Belgien konnten in den 1950er Jahren Frauenverbindungen reaktiviert werden. Das Weltbild der 68er festigte das Nichtbestehen weiter: Geschlechtertrennung und althergebrachte Bräuche waren einfach nicht mehr en vogue. Und ich frage mich wiederum: Vergangen und vergessen?

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Nein. Seit der Jahrtausendwende gibt es eine steigende Zahl von Neugründungen in Deutschland. Mehr als 45 aktive Damenverbindungen sind verzeichnet. Aber sowas gibt es ja nicht in Rostock. Davon hätte ich gehört! Dann hab ich in der Vergangenheit wohl nicht gut hingehört. Seit 2010 gibt es die Sapientia Rostochiensis. Eine akademische Damenverbindung mit Füchsen, Chargen, Damen und Hohen Damen. Auf ihrer Homepage steht, dass sie Gäste willkommen heißen. Es ist getan noch eh gedacht. Ich schreibe eine E-Mail, ob ich für diesen Artikel nicht vorbei kommen kann. Ich stelle mir vor, wie ich dann in einer Stadtvilla zwischen den Damen sitze. Ich in Jeans und Pulli, sie im Twinset mit Perlenohrringen.

Ich werde überrascht. Sonja, die Fuchsmajora, öffnet mir in Jeans und Karohemd und Band die Tür zu ihrer Privatwohnung. Die Sapientia hat keine Stadtvilla, keine Konstante in Rostock. Sie wurde erst vor 4 Jahren gegründet, die Mitglieder sind fast alle noch Studentinnen, niemand könnte also ein


Haus finanzieren. Wir gehen ins Wohnzimmer der klassischen Studentenbude, hier warten Isabella, die Seniora und Natalie, die Scriptora. Beide tragen bis auf das Band nichts Auffälliges. Es gibt Gebäck – gekauft, nicht selbstgebacken – und Tee. Wären die blau-silber-roten Bänder nicht, wäre es wie bei anderen Studentinnen. Da frage ich mich: Was macht die Sapientia aus, außer dass Sie die Stadtfarben tragen? Wie in allen anderen Verbindungen ist es das Prinzip des Lebensbundes. Als junge Studentin der Uni Rostock oder hmt tritt man bei, trifft höhere Semester, Studentinnen aus anderen Studiengängen und profitiert von deren Wissen, deren Vielfältigkeit. Darum geht es vor allem Isabella, die ohne große Kontakte nach Rostock kam. Sie empfand das Studieren an der hmt als sehr einseitig und wünschte sich mehr Kontakt zu den Studenten der Universität. Dieser wird ihr in der Sapientia geboten.

die einzigen Kriterien für eine Aufnahme bei der Sapientia. Ausdrücklich jedoch wird von allen drei Damen hervorgehoben, dass Extremisten jeder Art bei ihnen unerwünscht sind. Danach wäre ich aber kein volles Mitglied, ich bliebe vorerst Fuchs. Das heißt, dass Sonja, die Fuxmajora, mir in der Fuchsenstunde alles über Verbindungen im Allgemeinen und die Sapientia im Besonderen beibringen würde. Sie würde mich über Benehmen aufklären, so wie die Füchse in männlichen Verbindungen eben auch erzogen werden. Dieses Wissen würde in einer Prüfung abgefragt, nach deren Bestehen ich erst Dame werden könnte. Erst dann hätte ich auf dem Convent und bei Kneipen volle Rechte.

Ich verstehe. Eigentlich ist es wie bei den Männern, nur eben für Frauen. Nach dem freundlichen und offenen Gespräch verlasse ich die Wohnung, um mich mit einer Freundin auf einen Cocktail zu treffen. Sie studiert das gleiche Fach, im selben Semester, wie viele in unserem Freundeskreis. Feste Freundschaften zu fremden Studiengängen oder gar zur hmt sind selten bei uns. Feste Freundschaften, die ein Leben lang halten, sind noch seltener, vermute ich. Aber mich dem strengen Comment einer Verbindung unterwerfen, wo ich doch als Frau heute so frei wie noch nie in der Geschichte bin? Da bin ich vorerst lieber Couleurdame, alle Vorteile, keine Pflichten! Das ist das Problem von Damenverbindungen. Convents, Kneipen, Vortragsabende wirken für Studentinnen heute wie damals antiquiert. Darüber helfen auch Kontakte nach Greifswald und Leipzig nicht hinweg. Die Verbindung an sich spiegelt für Männer wie Frauen ein tradiertes Rollenverständnis wider, obwohl die intelligenten, interessanten Damen, die ich getroffen habe, dieses nicht mehr teilen.

Vokabular (Es schadet nicht, französisch zu sprechen ...) Dafür brauche ich doch kein Band! Denke ich mir … und frage es auch. Natürlich nicht, sagt mir Natalie, die die Sapientia mit gegründet hat und der man das ganze Gespräch über eine besondere Verbindung zu Rostock anmerkt. Aber die Verpflichtung aufeinander aufzupassen, einander zu unterstützen, einander zu erziehen, auch wenn man mal nicht einer Meinung ist, wird dadurch ernster. Das hat sie beim Rostocker Wingolf, einer christlichen Verbindung, in der sie oft zu Besuch ist, erfahren können. Sie fand dort auch Mitstreiterinnen für die Gründung einer neuen Damenverbindung. Die Korporierten dort halfen den Gründungsdamen beim Verfassen eines Comments, der basisdemokratisch ausgerichtet ist. Daher wird eine „Orientierung an der christlichen Ethik“ auch für eine Mitgliedschaft vorausgesetzt. Dies und das Weiblich-Sein sind

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Burschenschaft, Corps, Landsmannschaft, Sängerschaft, Turnerschaft: einige Verbindungsformen Verbindungsstudentin: Studentin, die in einer Verbindung aktiv ist, weibliche Korporierte Comment: Regelwerk Fuchs/Fux/Fähe: neues Mitglied, Mitglied auf Probe Charge: Führungsamt (Sprecher(in)/Fuchsmajor(a)) Conseniora: Stellvertreterin der Seniora Hohe Dame/Alter Herr: Ein Mitglied, das ausstudiert hat und nun nicht mehr zur Aktivitas zählt Konstante: fester Wohnsitz einer Verbindung, gemietete Veranstaltungsräume Convent: Zusammenkunft zur Entscheidungsfindung Kneipe: traditionelle Studentenfeier

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politik Neues Jahr, neues Glück, neues Heft und neue Artikel. Politisch ist in den letzten Monaten einiges passiert, die Anschläge in Frankreich zu Jahresbeginn sorgen im Moment für viele Diskussionen. Wir wollen uns jedoch die Zeit nehmen und auch noch einmal auf das vergangene Jahr zurückblicken. An der Uni hat das Semesterticket für viel Gesprächsstoff gesorgt, eine basisdemokratische, aber knappe Abstimmung hat letztendlich die Entscheidung gebracht. Wir möchten euch in dieser Ausgabe die beteiligten Studierendenvertretungen vorstellen: AStA und StuRa. Neben vielen anderen Themen haben wir uns außerdem mit dem Mindestlohn, dem Medinetz und dem ersten linken Ministerpräsidenten beschäftigt. Und zu guter Letzt sind auch wir frisch dabei – Tom und Mimi, die zwei Neuen vom Dienst. Und jetzt: Klappe, die erste!

Michèle Fischer

Tom Seiler

Wer steuert das Semesterticket?

Die Verhandlungen zwischen AStA, RSAG und VVW prägten das Wintersemester. Auch in anderen Regionen Deutschlands stritten sich ASten mit den örtlichen Verkehrsverbünden.

Fritz Beise versucht sich in Mediation. // Foto: Hauke Ruge

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Wir sind nicht allein. Mit diesem einleitenden Satz soll nicht auf das mögliche Vorhandensein von Außerirdischen angespielt werden. Er soll nur zeigen, dass die Rostocker Studierendenschaft nicht allein dasteht – in ihrem Kampf mit den Verkehrsverbänden dieser Welt. Eine ähnliche Preissteigerung wie die Rostocker Straßenbahn AG (RSAG) bzw. der Verkehrsverbund Warnow (VVW) fordert beispielsweise auch der Verkehrsverbund Rhein Ruhr (VRR) von den Studierendenschaften aus Essen, Darmstadt, Dortmund oder Bochum, um nur einige Städte zu nennen. Auch dort lag der Preis zur Einführung des Semestertickets 1991 noch bei gut 40 Euro im Semester. Schaut man sich die Stellungnahmen der verschiedenen ASten, sowie des Verkehrsverbundes an, sind die Argumentationen nahezu identisch zu denen in Rostock. Man könne ein solidarisches Ticket, dass von jedem_r Studierenden bezahlt werden müsse, in seiner Nutzung und seines Preises nicht mit den Tickets für alle anderen Bürger_innen vergleichen. Außerdem seien die Preiserhöhungen in keiner Weise gerechtfertigt. Wenn in Rostock die RSAG mit einem erhöhten Nutzungsverhalten argumentiere, hielt der AStA entgegen, dass die Kosten der AG wohl kaum mit einer höheren Anzahl an Passagieren derartig steigen würden. Schließlich würden daraus nicht die Konsequenzen gezogen, mehr Bahnen und Busse fahren zu lassen. Zusätzliche Linien oder Fahrzeiten einzurichten, würde eine solche Steigerung durchaus argumentativ unterfüttern. Die Preiserhöhung des VRR lassen beim Lesen auch einen kräftigen Schock zu. Heißt es in der Stellungnahme des AStA der Ruhr-Uni Bochum, dass der Preis des Tickets „vom WiSe 2010/11 bis zum SoSe 2019 von 95,04 Euro auf bis zu voraussichtlich 166 Euro pro Semester“ steigen würde. Dabei sei das NRW-Ticket noch nicht enthalten. Dort wird sogar von „japanischen Zuständen“ an einigen Haltestellen gesprochen. Mitarbeiter des VRR koordinierten das Ein- und Aussteigen an stark frequentierten Haltestellen der Campuslinien. In Rostock sind diese Vorgänge selbstverständlich nicht vorstellbar. Nicht nur, weil es sich hier nicht um einen bevölkerungsreichen Ballungsraum handelt, sondern auch aufgrund des Fehlens einer Campuslinie. Wobei für japanische Verhältnisse in Rostock schon ein Weihnachtsmarkt oder die Hanse Sail ihr Übriges tun. Was im Ruhrpott außerdem hinzu kommt, ist die Vielzahl von beteiligten Studierendenvertretungen. Also stehen sich nicht nur Meinungen von Verkehrsverbund, Landesregierung, Kommunalpolitik und einem AStA gegenüber, sondern die ASten müssen auch noch unter sich eine Einigung erzielen. Mit welchem Preis könnte man leben, ist dort für jede Universität anders zu beantworten, weil alle unterschiedliche Wege zu bestreiten hätten.

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Die Vielzahl der Pendel-Universitäten macht ein solches Ticket aber notwendig. Studierenden im VRR-Gebiet, bei Abhängigkeit von BAföG und zahlreichen Nebenjobs, sind wohl kaum Jahresausgaben von 1119,60 Euro für ein monatliches YOUNG-Ticket zuzumuten – eigentlich auch Azubis nicht. Der Vergleich zwischen Semester- und Monatstickets hinkt zwar, doch sehen wir uns die Preisspannen an. In Rostock zahlen wir mit den nun verhandelten Verträgen 198 Euro pro Jahr (mit einer weiteren jährlichen Steigerung von 8 Euro). Ein OttoNormal-Verbraucher müsste für denselben Zeitraum bei zwölf ermäßigten Monatskarten rund 480 Euro opfern, tut dies aber auch nur, wenn er es wirklich nötig hat. Studierende zahlen also rund 40 Prozent des Normalpreises. Im Gebiet des VRR, das 16 Städte und 17 Kreise umfasst, kostet das Ticket für Studierende der Uni Essen beispielsweise momentan noch 216,72 Euro pro Jahr. Bis zum Sommer 2017 soll der Preis auf 274,32 Euro steigen. Dort bezahlt man also nur knapp 20 Euro mehr für ein Gebiet, das ungefähr ein Fünftel des Landes NRW ausmacht – das NRW-Ticket muss ja zusätzlich bezahlt werden. Im Vergleich zum YOUNG-Ticket des VRR „opfern“ Studierende dort also knapp 20 Prozent des Normalpreises. Daraus lässt sich schlussfolgern: In NRW wird ein exorbitanter Anteil der Einnahmen unter jüngeren Kunden von den Azubis getragen, die nahezu gemolken werden. Die Studierenden kommen jedoch relativ günstig davon. Übernimmt man das Verhältnis von ermäßigter Monatskarte zu Semesterticket, hieße das für Rostock, dass Azubis hier ganz gut wegkommen – im Gegensatz zur Studierendenschaft, die für diesen Preis auch fast im gesamten VRR-Gebiet fahren könnte. Ergebnis dieser Ausführungen darf jetzt jedoch nicht sein, in Rostock die Preise für die Monatskarte zu erhöhen oder in NRW das Semesterticket auch auf die 40 Prozent des Normalpreises zu steigern. Das kann und darf nicht die Zukunft sein. Vielmehr müsste sich bundesweit Gedanken gemacht werden, in welchen Bereichen Steuern verschwendet bzw. nicht gezahlt werden, die im öffentlichen Personennahverkehr besser aufgehoben wären: Rüstungsausgaben, Steueroasen, Fehlbauten (Flughafen Berlin Brandenburg, Elbphilharmonie, …) etc. Das Problem ist also weitaus komplexer als eine einfache Streiterei zwischen RSAG und AStA um einige wenige Euro. Das bedeutet aber nicht, dass sich die RSAG aus der Verantwortung stehlen könnte, wenn die Schuldigen woanders sitzen. Es wäre Aufgabe der Verkehrsverbände, sich diese Steuergelder zu erkämpfen. Natürlich unter der Bedingung, dass dadurch nicht an Kindergärten oder Ähnlichem gespart würde. Darin würden die ASten die jeweiligen Verbünde sicherlich unterstützen.


Rostock ohne Uni ist wie Schwerin Oder doch nicht?

Bei den letzten Studentendemonstrationen konnten wir immer wieder das Banner „Rostock ohne Uni ist wie Schwerin“ erblicken und dabei ins Schmunzeln geraten. Eine Landeshauptstadt ohne Uni ist dann doch eher die Seltenheit. Doch dieses Phänomen soll nun ein Ende haben, denn auch dort sollen akademische Bildungsmöglichkeiten endlich ausgebaut werden. Michèle Fischer kommt aus Schwerin, würde aber trotzdem nie dort studieren. // Foto Bebeltower: Marcus Sümnick // Foto Schweriner Schloss: Michèle Fischer

Wer in den vergangenen Wochen aktiv auf Facebook unterwegs war, wird mitbekommen haben, dass sich knapp 90km von Rostock ein Skandal zusammenbraut. Die Landeshauptstadt hat es sich auf die Fahnen geschrieben, mit einer eigenen Universität der Wirtschaftsstagnation ein Ende zu bereiten. Über 2000 Menschen geben diesem Vorhaben ihr Ja und teilen die Idee weiter auf verschiedenen Plattformen. Aber ist dieses Vorhaben wirklich realistisch und umsetzbar? Welche Konsequenzen könnte eine weitere Universität in Mecklenburg Vorpommern für unsere Uni in Rostock haben, obwohl die finanziellen Mittel schon für zwei Standorte knapp werden? Und vor allem: Wer steckt hinter diesem Vorhaben? Wir haben die vier jungen Frauen hinter dem Projekt getroffen und sie um ein kurzes Interview gebeten.

planen den Bau und die Verwirklichung der Universität zwar realitätsnah und umsetzbar, aber es bleibt vorerst eine Initiative die sich entwickeln muss. Wie schätzt Ihr die Erfolgschancen für das Projekt ein? Natürlich stehen wir voll und ganz hinter unserer Initiative. Die zahlreichen Befürworter des Projekts sowie die vorherigen Versuche eines Aufbaus zeigen, dass eine Universität in Schwerin gewünscht wird. Wir sehen das hauptsächliche Problem auf keinen Fall darin, dass eine Universität in der Landeshauptstadt nicht angenommen werden würde. Ganz im Gegenteil, die Universität hätte für Schwerin drei markante, positive Auswirkungen „Bildung, Verjüngung, Wirtschaftskurbel“. Denkt Ihr, dass Schwerin in der Lage ist auch Berufsmöglichkeiten für Absolventen zu bieten? Wir planen, auch viele duale Studienmöglichkeiten, anzubieten und eng mit größeren Unternehmen im Umland zusammen zu arbeiten. Viele junge Leute suchen nach dualen Studienmöglichkeiten und Unternehmen würden diese auch gerne anbieten. Dies ist uns zum Beispiel auf der Berufsmesse in Schwerin aufgefallen. Duale Studiengänge werden in Schwerin nur selten angeboten, aber immer häufiger nachgefragt. Außerdem braucht Schwerin junge, aufstrebende Leute in der Arbeitswelt. Nicht zu unterschätzen ist z.B. auch der anstehende Generationenwechsel in den nächsten Jahren. Welche Konsequenzen hätte diese Entwicklung für die Universitätsstandorte Rostock und Greifswald? Für die Universitäten in Rostock und Greifswald hätte die Universität in Schwerin keine schwerwiegenden Folgen wie zum Beispiel Studentenabfluss oder Konkurrenz. Bei der Wahl der Studiengänge haben wir unser Hauptaugenmerk auf Studiengänge gelegt, die regional kaum oder gar nicht angeboten werden. Außerdem sollten die Universitäten in MV bestrebt sein, das Bundesland als Studienort beliebter und bekannter zu machen und dazu gehört auch ein breites und teilweise besonderes Angebot von diversen Studiengängen. Würdet ihr selbst auch in Schwerin studieren wollen? Wenn es in Zukunft zu dem Bau einer Universität in Schwerin kommen würde, wären wir natürlich an einem Studium interessiert. Für jeden der seine Heimatstadt nicht verlassen möchte, wäre Schwerin als Studienstandort eine große Chance und gute Variante, Bildungsmöglichkeiten ohne einen Umzug zu verwirklichen.

heuler: Wie seid ihr auf das Thema Universität Schwerin gekommen? Ein breitgefächertes Band an Bildungsmöglichkeiten ist für jede Stadt von großer Bedeutung. Viele junge Leute haben heute das Ziel zu studieren, so auch Freunde von uns und natürlich auch wir selbst. Die schöne Heimatstadt hierfür verlassen zu müssen, ist meist nicht das, was man sich wünscht. Viele müssen in andere Städte ziehen um ihre akademische Laufbahn verwirklichen zu können. Weiterhin entstanden in den letzten Jahren in Schwerin schon einige Hochschulen, sodass Schwerins Bildungsangebot einen großen Aufschub erfuhr. Warum sollte Schwerin sich also nicht nur als Landeshauptstadt sondern auch als Studienstandort einen Namen machen? Haben sich schon Befürworter aus der Politik bei euch gemeldet? Wir haben schon Gespräche mit Politikern zu unserem Projekt geführt. Eine der ersten und engagiertesten war und ist Cécile Bonnet, eine junge Kommunalpolitikerin der FDP in Schwerin. Weiterhin haben uns auch andere Personen aus der Politik kontaktiert. Zudem haben wir ein kurzes Interview mit der Oberbürgermeisterin von Schwerin Angelika Gramkow geführt. In diesem wünschte Sie unserer Initiative viel Erfolg und sprach sich für eine Universität in Schwerin aus. Außerdem stehen wir im Kontakt mit dem Verein Förderer von Hochschulen in Schwerin e.V. Welche Maßnahmen werden in der nächsten Zeit folgen? Unser nächstes Ziel ist zunächst im schulischen Rahmen die Präsentation unserer Ergebnisse. Als Immobilienkaufleute liegt unser Schwerpunkt natürlich auch in der baulichen Umsetzung unseres Projektes. Wir möchten auch nochmals betonen, dass die Initiative in der Umsetzung rein fiktiv ist. Wir

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Ich habe auf jeden Fall gemerkt, dass Herzblut hinter dieser Angelegenheit steckt und die Vier nicht so einfach die Idee bei Seite legen werden. Es handelt sich nämlich um ein Projekt, das bereits jetzt den angesetzten Rahmen überschreitet. Denn noch bleiben einige Fragen offen. Vor allem der Faktor der finanziellen Umsetzung scheint völlig unbeantwortet, da in der momentanen Situation nur Spekulationen möglich wären. Außerdem reden wir hier über ein Vorhaben, das nicht von heute auf morgen plötzlich umgesetzt wird. Es müssen in den kommenden Monaten weitere Planungsphasen folgen, in denen angesprochene Punkt weiter detailliert werden müssen. Dabei geht

es nicht nur um einen richtigen Standort, sondern auch darum Investoren aus der Politik und Wirtschaft in die konkrete Erarbeitung einzubinden. Der Kontakt mit Unternehmen muss aufgebaut werden, um ein Profil zu arbeiten. Ich bin der Meinung, dass die Vorstellung einer dualorientierten Universität auf jeden Fall den Zahn der Zeit trifft. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich viele Abiturienten die Verbindung von Theorie und Praxis auf dem Ausbildungsweg wünschen. Daher bleibe ich als Schwerinerkind dran an der Geschichte und werde bei weiteren Entwicklungen natürlich berichten.

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Drei Ungeheuer aus dem Unizirkus

AStA, StuRa, Referate, Ausschüsse – wie bitte? Wer sich einmal durch das Konstrukt Universität gekämpft hat, wird schnell erkennen, dass in der Parkstraße im AStA-Büro auch nur Studierende sitzen und studentische Selbstverwaltung eine geile Sache ist. Tom Seiler und Michèle Fischer genießen sogar mehrstündige StuRa-Sitzungen mit Pommes und Mate. //: Fotos: Hauke Ruge // Grafiken: AStA Uni Rostock

Die meisten Studierenden gehen zu ihren Veranstaltungen (oder auch nicht), in die Mensa, zurück in die nächsten Veranstaltungen (siehe Klammer eins) und danach wieder nach Hause. Sicher läuft mal etwas an der Uni nicht so wie geplant, weil die Referatsgruppe zu viel Party gemacht hat oder das Essen in der Mensa nicht der Hit war. Dass die Uni und unser Studiengang in drei Jahren auch noch da sind, würden wir aber kaum hinterfragen. Dabei ist das nicht selbstverständlich – jeden Tag arbeiten (und kämpfen mit Zettel und Stift in feuriger Debattenkultur) einige von uns in der studentischen Selbstverwaltung und den Gremien dieser Universität für unsere Interessen als Studierende. Wir haben drei von ihnen getroffen und gefragt, wie und warum sie ihr Studium zwischenzeitlich auf Eis legen.

Nora von Gaertner ist AStA-Referentin für Politische Bildung. Sie möchte Studierende für den Umgang mit Unterdrückungs- und Herrschaftsmechanismen wie Rassismus, Homophobie und Sexismus sensibilisieren und vor allem Menschen aus vielen unterschiedlichen Kontexten ansprechen. Seit dem Sommersemester 2014 studiert sie an der Uni Rostock Humanmedizin im siebten Fachsemester und ist schnell durch Veranstaltungen anderer ReferentInnen auf den AStA aufmerksam geworden. Sie sei schon länger politisch aktiv, möchte aber eine breitere Masse erreichen. "Flyer und Plakate sind gut, um Aufmerksamkeit zu erregen. Der AStA kann in der Uni flyern, das ist ein großer Vorteil!" Auf diese Weise hofft sie, mehr Menschen informieren und für die Veranstaltungen gewinnen zu können. Im Dezember hat sie bereits die Weihnachtsaktion für Flüchtlingskinder mit organisiert, bei der im AStA-Büro über 500 Weihnachtspakete zusammengekommen sind. Ebenso geht ein Themenabend zu rassistischer Polizeigewalt im Peter-Weiß-Haus auf ihr Punktekonto. Für dieses Jahr plant sie unter anderem eine Neuauflage des Festival Contre le Racisme und eine Broschüre über Asylpolitik in Deutschland und Mecklenburg-Vorpommern, die bereits im Frühjahr erscheinen soll. "Selbstverwaltung ist ein hohes Privileg!" Doch der AStA ist nicht nur für Veranstaltungen und Flyer da. "Die Verhandlungen mit der RSAG haben gezeigt, wie wichtig es ist, ein Kollektiv wie

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den AStA zu haben", meint Nora. Die AStA-Mitglieder investieren viel Zeit und Energie in ihr Referat und in die Vertretung der Studierenden. Das führte schon einige Male dazu, dass ReferentInnen ihr Bett direkt im Büro aufgeschlagen haben. "Der AStA hat ganz viele Rollen, die Menschen hier erfüllen nicht nur ihre gesetzlichen Aufgaben", sagt Martin Warning, AStA-Referent für Hochschulpolitik, auch liebevoll HoPo genannt. Er selbst hat sich zuerst im Fachschaftsrat engagiert, hat dann angefangen StuRa-Sitzungen zu besuchen und ist so zum AStA gekommen. "Außerdem fällt es mir schwer, Nein zu sagen, wenn es darum geht Aufgaben oder Verantwortung zu übernehmen", urteilt er selbstironisch. Viele Studierende verlieren bei den zahlreichen


Einrichtungen und Gremien an der Uni schnell den Überblick, doch studentische Mitarbeit sichert uns ein wichtiges Mitspracherecht bei vielen Entscheidungen an unserer Hochschule. Ist das nicht ein Grund sich durch die Website zu klicken? 10 Minuten und man könnte in einer Quizduellrunde zu Unigremien alle drei Punkte holen. "Ich halte es für sehr sinnvoll, Selbstverwaltung ist ein hohes Privileg!", meint Martin. Leider mangelt es an Begeisterung für die Studierendenvertretungen. "Verwertbarkeitsdruck ist nicht förderlich für das Engagement." Die Regelstudienzeit sei „heilig“, wofür aber nicht die Studierenden verantwortlich zu machen sind. Über AStA-Newsletter, Facebook und Twitter wird versucht, die Studierenden kompakt über wichtige Entwicklungen und Neuigkeiten, sowie Veranstaltungen zu informieren. Der Zeitaufwand für uns Studierende läuft dabei quasi gegen Null. "Die Angebote der Studierendenschaft sind vielfältig, der Zugang dazu so unterschiedlich wie die Menschen selbst." Nora und Martin sind nur zwei Beispiele für Engagement in der Studierendenschaft. Aber man muss nicht unbedingt einen Großteil seiner Zeit opfern, sein Studium pausieren lassen, um sich einzubringen. Es gibt viele Möglichkeiten. Katharina Heise ist Mitglied im StuRa, dem Parlament der Studierenden, und im Konzil, einem Gremium, das unter anderem den Rektor wählt. Im Sommer wurde Katharina angesprochen, ob sie kandidieren möchte, tat dies und wurde gleich gewählt – was auch ein wenig an der geringen Anzahl an Kandi-

datInnen lag. Zu dem Zeitpunkt war sie sich auch nicht hundertprozentig bewusst, auf was sie sich da einlässt. Im StuRa wird viel und heiter debattiert. Dabei versuchen viele der Mitglieder, sich bestmöglich zu informieren, um die richtigen Entscheidungen für 15.000 Studierende zu treffen. "Immer über alles meckern kann jeder – Veränderung fängt bei einem selbst an!" Sie meint, trotz guter Öffentlichkeitsarbeit wissen viele Studierende nicht, was AStA und StuRa sind. "Ich würde mich freuen, wenn mehr ZuschauerInnen dabei wären und ihren Senf dazugeben!" Dass diese Sitzungen nicht immer stocksteif ablaufen, könnt ihr natürlich auch jede Woche im Liveticker auf www.heulermagazin.de verfolgen.

Mehr zu AStA und StuRa könnt ihr hier erfahren: www.asta-rostock.de Der StuRa trifft sich jeden zweiten Mittwoch: 19 Uhr, Raum 224, Haus 1, Campus UlmenstraSSe Die AStA-Sitzungen finden jeden Dienstag statt: 19:30 Uhr, AStA-Sitzungssaal, Grünen Ungeheuer, ParkstraSSe 6 Schaut doch mal vorbei, ihr seid dort immer herzlich willkommen!

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Sexismus 2.0

Das Landesgleichstellungsgesetz soll mit gezielter Förderung von Frauen für mehr Gerechtigkeit sorgen. Jedoch schießt dieses Unterfangen teilweise gehörig über das Ziel hinaus – zu Lasten von Männern. Nadine Fruck mag Männer und Frauen, aber das Gendern nicht. // Foto: Hegenony77 (cc-licence by-nc-sa 2.0)

Kennt ihr das? Man gammelt vor dem Fernseher rum und dann ist da plötzlich die Frau, die mit ihren Brüsten ein austauschbares Produkt an den Mann bringen soll. Tausendmal gesehen. Und deshalb lohnt es gar nicht mehr, sich darüber noch aufzuregen. Dagegen erscheint die Kampagne eines Supermarktes fast erfrischend: Eine Gruppe von jungen Frauen fragt einen Angestellten, wo sie die Kosmetikabteilung finden könnten. Der von den gut aussehenden Frauen eingeschüchtert wirkende Mann bietet den Damen Lebensmittel an, deren enthaltene Mineralien gut für Haut und Haar seien. Die Frauen drücken ihm im Gegenzug Quark in die Hand. Der wäre, dank des Eiweißes, gut für den Muskelaufbau. Es verwundert doch, dass es keinerlei Reaktion auf das hier vertretene Männerbild gab. Ein echter Mann, müsse nicht nur real sein und sollte einen Penis haben. Nein, er müsse sich um seine Muskeln kümmern. So vermittelt es uns der Spot. Er impliziert jedoch so viel mehr: Der junge Mann wird von den Frauen lächerlich gemacht, obwohl er seinen Job gut macht. Wenn man es überspitzen wollte, könnte man behaupten, dass hier Aussehen vor Leistung geht und das souveräne Auftreten vor gut aussehenden Frauen eine wichtigere Kompetenz als die der Fachkompetenz sei. Es wird überspitzt, um witzig zu sein. Das ist in der Werbung eben so. Allerdings kann man ein ähnlich geartetes Männerbild auch im nahen Umfeld finden, wenn man nur die Augen und Ohren öffnet. Gerade männlichen Kommilitonen fliegen in pädagogischen Studiengängen Vorurteile um die Ohren. Es gibt Dozenten an der Universität Rostock, die gerne direkt oder indirekt

mehr Einfühlungsvermögen von ihnen fordern, da sie der Meinung sind, dass Männern Empathie nun einmal nicht so liege. Teilweise wird von Lehrenden und Lernenden ganz offen hinterfragt, warum man als Mann Grundschullehrer werden wolle. Dieses Bild von männlichen und weiblichen Studiengängen setzt sich in der deutschen Hochschullandschaft fort. Es gibt sogar sechs Studiengänge, die sich ausschließlich an Menschen des weiblichen Geschlechts richten. Diese beinhalten hauptsächlich Natur- und Ingenieurwissenschaften, aber auch einen der sozialen Arbeit. Im Gegenzug gibt es keinen einzigen, der sich noch ausschließlich an männliche Studierende richtet. Männer werden also ganz offen diskriminiert und das unter dem Deckmäntelchen der Gleichstellung. Nun könnte man sagen, dass es nach hunderten von Jahren einer rein männlichen Universitätstradition nur gerecht wäre, wenn die Frauen nun zum Zuge kämen. Das ist allerdings sehr kurz gegriffen. Aus zweimal Unrecht wird schließlich kein Recht. Heute studierende, lebende Männer die Vergangenheit ausbaden zu lassen, hat also so wenig mit Gerechtigkeit zu tun, wie einem Dieb die Hand abzuhacken. Hier werden echte Potenziale verschenkt, die die Männer in die traditionellen Frauenberufe einbringen. Und was noch viel schlimmer ist, durch dieses Rollenbild wird das der Frau immanent bestätigt. Nur durch das Bild eines althergebrachten Männerberufs erschließen sich reine Frauenmetiers. Nur durch die Rolle des starken Mannes als Beschützer ergibt sich das einer schwachen schützenswerten Frau. Würde uns Frauen ein Dozent oder die Werbung so über einen Kamm scheren, wären wir zu Recht entrüstet. Wieso sind wir das nicht gleichermaßen, wenn es um Männer geht?

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Der Mindestlohn kommt – was nun?

Ab dem 1. Januar 2015 wird der Mindestlohn flächendeckend in Deutschland eingeführt. Doch gilt er auch für alle? Warum war das nötig? Werden durch den Mindestlohn Arbeitsplätze vernichtet? Fragen über Fragen. Die DGB-Jugend-Hochschulgruppe denkt sich: „Das ist ja wohl das Mindeste!“ // Foto: Hauke Ruge

Mit dem neuen Jahr ändern sich bekanntlich viele Gesetze und Regelungen, so wird 2015 u. a. ein flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro in Deutschland eingeführt. Hauptgrund dafür ist die Lebensrealität vieler Menschen, die von Niedriglöhnen nicht leben können.

neben der Uni arbeiten. Beispiele dafür sind Fast-Food-Lieferdienste, sowie viele Arbeitsplätze im Gastronomiebereich – bisher für extrem niedrige Löhne bekannt, die nur durch Trinkgeld etwas aufgebessert werden. Ob hier alles reibungslos läuft oder der Mindestlohn durch Tricks umgangen wird, wird sich ab Januar zeigen. Not macht ja bekanntlich erfinderisch.

Warum ein Mindestlohn? In den letzten Jahrzehnten sank die Zahl der tarifgebundenen Branchen und Unternehmen kontinuierlich. In Mecklenburg-Vorpommern arbeitet gerade mal die Hälfte der Arbeiternehmer_innen in einem Tarifvertragsverhältnis. Faktoren wie Franchiseunternehmen, Klein- und Kleinstbetriebe mit wenigen Mitarbeiter_innen, Scheinselbstständigkeit, Befristung sowie Leih- und Zeitarbeit erschweren tarifliche Einigungen zusehends. Darunter leidet die Lohnentwicklung in einzelnen Branchen (u. a. im Hotel- und Gastronomiebereich oder Friseurhandwerk) nun schon seit Jahren und die Kluft zwischen Gut- und Schlechtverdienenden wächst kontinuierlich. Seit Anfang der 2000er-Jahre kämpfen daher die DGB-Gewerkschaften für ein einheitlich festgeschriebenes Arbeitsentgelt, sprich einen Mindestlohn.

Vorurteile Generell tut sich die Wirtschaft schwer, wenn es um den Mindestlohn geht. So wird plakativ argumentiert, dass durch den Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro etwa 500.000 bis 1.000.000 Arbeitsplätze gefährdet seien. Allerdings spricht dagegen, dass durch einen flächendeckenden Mindestlohn die Binnennachfrage gestärkt wird und die Menschen wieder mehr Geld zum Ausgeben haben. Das sichert Arbeitsplätze. Vergleicht man die 8,50 Euro pro Stunde mit dem Mindestlohnniveau anderer westeuropäischer Staaten, ist der deutsche Mindestlohn niedrig angesetzt. Mindestlohn im Vergleich Das Modell Mindestlohn ist nicht neu. So gibt es in fast allen EU-Staaten einen Mindestlohn oder andere Lohnuntergrenzen. Die Spanne reicht von 1,04 Euro bis 11,10 Euro. In Frankreich ist die Untergrenze beispielsweise bei 9,53 Euro, in den Niederlanden bei 9,11 Euro, in Luxemburg bei 11,10 Euro und in Irland bei 8,65 Euro. Auch Großbritannien hat 1999 einen Mindestlohn eingeführt. Dort gab es anfänglich ebenfalls Bedenken. Mittlerweile zeigen die Ergebnisse zahlreicher Studien, dass der Mindestlohn die Verdienste am unteren Ende der Lohnskala ohne messbare Jobverluste erhöht hat.

Wem hilft das? Etwa 7,5 Millionen Menschen leben in Deutschland trotz Arbeit in Armut. Ihr Lohn reicht nicht zum Leben und muss von den Ämtern aufgestockt werden. Der Staat subventioniert so Niedriglöhne. Diesen Menschen soll der Mindestlohn ein menschenwürdiges Leben sichern. Einige Ausnahmen in der neuen Regelung werden dies nicht sofort ermöglichen, sondern Menschengruppen aussparen. So sind Langzeiterwerbslose, die wieder in ein Arbeitsverhältnis gelangen, in den ersten sechs Monaten vom Mindestlohn ausgenommen und auch Zeitungszusteller_innen kommen erst 2017 in den Genuss des Mindestlohns. Auch tarifliche Regelungen können den Mindestlohn bis 2017 umgehen. Selbst Praktika sind weitestgehend davon ausgenommen, wenn es sich z.B. um Pflichtpraktika im Rahmen des Studiums oder freiwillige Praktika begleitend zum Studium bis zu drei Monaten handelt. Erst kürzlich hat der StuRa den Stundenlohn für Mitarbeiter_innen der Studierendenschaft auf 9,00 Euro angehoben und so ein Signal gesetzt. Auch der Tarifvertrag der Universität sieht bereits höhere Stundenlöhne vor. Spannend wird es jedoch in vielen anderen Berufsfeldern, in denen Student_innen

Ausblick Es wird also spannend in nächster Zeit. Der Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde wurde nun gesetzlich verbindlich eingeführt. Die meisten Ausnahmen werden bis 2017 verschwunden sein. Und der Mindestlohn selbst soll auch nicht bei 8,50 Euro festgeschrieben bleiben. Vielmehr soll er in regelmäßigen Abständen überprüft und stetig angepasst werden. Übrigens gilt der Mindestlohn auch für fast alle Nebenjobs in und außerhalb der Universität, inklusive der sogenannten Minijobs.

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Der erste linke Ministerpräsident Kommt die DDR jetzt zurück?

Die Empörung über Bodo Ramelow als ersten Ministerpräsidenten der Linkspartei war groß, bevor er sein Amt überhaupt antreten konnte. Doch die Revolution wird ausbleiben und die SED nicht wiederauferstehen, die Proteste sind übertrieben. Tom Seiler sieht rot und bleibt vollkommen entspannt.

Bis Bodo Ramelow am 5. Dezember 2014 zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt wurde, mussten er und seine politischen Partner*innen sich bereits einiges anhören. Joachim Gauck, der in Rostock selbst als Bürgerrechtler aktiv war, verletzte sogar das Gebot, sich als Bundespräsident aus politischen Entscheidungsprozessen herauszuhalten, um das Vertrauen in die Linkspartei grundsätzlich in Frage zu stellen. Einige der prägnantesten Äußerungen kamen aus den Reihen der CDU. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka gingen selbst die Äußerungen Wolf Biermanns im Bundestag ("Drachenbrut", "der elende Rest") nicht weit genug. In einem Welt-Interview sagte sie: "Die Linkspartei ist mehr als der elende Rest der DDR-Staatspartei. Sie ist nicht geschlagen. Ich finde das traurig." Solche Aussagen sind nicht nur beleidigend, sondern heuchlerisch. Die Linkspartei ist nicht die einzige, die Mitglieder und Gelder einer Systempartei übernommen hat. Beispielsweise hat sich die bundesdeutsche CDU nach der friedlichen Revolution in der DDR die Ost-CDU, ihrerseits treue Blockpartei, einverleibt und profitiert bis heute von den daraus entstandenen Vorteilen. Wenn eine DDR-Vergangenheit eine Partei für Regierungsar-

beit disqualifiziert, müsste das für die CDU ebenso gelten. Die Absurdität dieses Gedankens zeigt, wie fehlgeleitet die Empörung gegen Rot-Rot-Grün ist. Bodo Ramelow ist in Westdeutschland aufgewachsen und hat keinerlei DDR-Vergangenheit; der Koalitionsvertrag verurteilt ausdrücklich das Unrecht des SED-Regimes. Die Linke arbeitet intensiv ihre Vergangenheit auf und geht äußerst behutsam mit ihrer neu gewonnen Regierungsverantwortung um. Es ist wichtig, der Linkspartei und ihren Wähler*innen die Möglichkeit zu geben, sich politisch einzubringen. Regierungswechsel sind in einer Demokratie ohnehin Normalität. Aber woher dann diese Empörung? Die Erklärung der neidischen CDU, die sich mit aller Kraft gegen ihre schwindende Macht auf Länderebene wehrt, mag teilweise richtig sein, greift aber zu kurz. Der Schock vieler Menschen angesichts des ersten linken Ministerpräsidenten ist echt und nicht ausschließlich von politischen Motiven geprägt. Der Zeitpunkt für diese von der Linkspartei geleitete Regierungsbildung war tatsächlich ungünstig. Anlässlich des 25. Jahrestags des Mauerfalls waren viele Menschen in besonderem Maße für all jenes sensibilisiert, was sie an die DDR oder an Sozialis-

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mus erinnerte. Darin zeigt sich eine tiefverwurzelte Angst einiger Menschen, die direkt oder indirekt Opfer des Systems waren. Aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen reagieren sie überempfindlich auf die Linkspartei, obwohl diese längst etabliert und in der bundesdeutschen, freiheitlichen Demokratie angekommen ist. Für diese Überreaktion sollte man Verständnis haben. Ausmaß und Kritik an der neuen Regierung gingen dennoch entschieden so weit. Der Fackelmarsch am 9. November in Erfurt, zum Jahrestag der Reichspogromnacht, hat die fehlende Sensibilität einiger Protestierenden offenbart. Die nächsten Monate und Jahre werden hingegen deutlich zeigen, dass alle Aufregung übertrieben war. Der Koalitionsvertrag deutet sachorientierte Realpolitik an und kann hoffentlich für einige wichtige Verbesserungen in Thüringen sorgen, wie ein kostenloses Kita-Jahr und mehr Geld für die Kommunen. Doch am Ende könnte das größte Gejammer von links kommen: Die Linke ist riesige Kompromisse bei der Regierungsbildung eingegangen. Wahrscheinlich wird sich diese Landesregierung wenig von allen anderen unterscheiden, eine Revolution ist jedenfalls nicht vorgesehen.


Alle gegen Ebola ━ aber wie?

Schon gewusst? Rostock hat das einzige universitäre klinische Institut für Tropenmedizin bundesweit. Klar, dass es da nach Ausbruch der Ebola-Epidemie in Westafrika nicht lange dauerte, bis die WHO Unterstützung aus der Hansestadt anfragte. Nach reiflicher Überlegung beschloss das Institut jedoch, keine Ärzte direkt ins Krisengebiet zu schicken. Luise Wagner zieht den Hut vor jedem, der die Epidemie in den Krisengebieten bekämpft.

Der heuler sprach im November mit Prof. Dr. Emil Reisinger, Dekan der Medizinischen Fakultät und Direktor des Instituts für Tropenmedizin und Infektionskrankheiten in Rostock über Ebola – was man dagegen tun kann, was nicht und warum es manchmal gar nicht so einfach ist, zu helfen. heuler: Momentan wird viel über Ebola gesprochen. Doch nur wenige wissen, was tatsächlich hinter dieser Krankheit steckt. Was ist das Gefährliche an Ebola? Reisinger: Unter Ebola versteht man eine äußerst aggressive Virusinfektion, bei der die Sterblichkeit sehr hoch ist. Das Virus führt zu Multiorganversagen, woraus innere Blutungen und Sepsis resultieren können. Übertragen wird es von Mensch zu Mensch, vor allem über Körperflüssigkeiten und den direkten Kontakt zu Infizierten, aber auch vom Tier auf den Menschen, was in Afrika besonders beim Verzehr von Wildtieren eine Rolle spielt. Das wirklich Gefährliche an Ebola ist, dass es bisher noch keine spezifische Therapie dagegen gibt. Wie kann dann überhaupt Hilfe in den EbolaGebieten geleistet werden, wenn es noch keine konkreten Mittel zur Heilung gibt? Die bisher mögliche Hilfe besteht vor allem darin, die Erkrankten symptomatisch zu behandeln. Das bedeutet, dass die durchfallbedingten Flüssigkeitsund Elektrolytverluste ausgeglichen und mögliche Begleitinfektionen mit Antibiotika im Zaum gehalten werden. Außerdem wird akribisch an der Entwicklung einer speziellen Therapie gegen Ebola gearbeitet. Da gibt es mehrere Ansätze, die aber noch in der experimentellen Phase stecken. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel, das Serum von Patienten, die die Krankheit überstanden haben, Infizierten zu verabreichen. In diesem Serum befinden sich Antikörper gegen Ebola, die dem Erkrankten bei der Bekämpfung des Virus helfen, sodass eine gewisse Heilungschance besteht. Dieser Therapieansatz bleibt aber nur sehr wenigen vorbehalten, denn es gibt bei Weitem nicht genügend Serum für alle Infizierten. Man hat auch herausgefunden, dass ein neu entwickeltes Grippemedikament in gewissem

Maße gegen Ebola wirkt. Und es wird versucht, mittels sogenannter Nonsense-RNA die Vermehrung des Virus in den Körperzellen zu hemmen. Eine sehr wichtige Arbeit leisten zudem Aufspürungsteams vor Ort, die durchs Land ziehen, Erkrankte aufspüren und so schnell wie möglich isolieren, um die Weiterverbreitung des Virus einzudämmen. Es stellt allerdings eine große Herausforderung dar, der Bevölkerung die Wichtigkeit von Prävention nahezubringen und sie über den richtigen hygienischen Umgang mit Kranken und Toten aufzuklären. In einigen Gebieten ist es zum Beispiel üblich, sich mit einer Umarmung von den Verstorbenen zu verabschieden. Dabei ist das Infektionsrisiko natürlich sehr hoch. Gibt es Hilfe aus Ihrem Institut oder anderen Institutionen aus Rostock in den Ebola-Gebieten? Natürlich kam die Frage auf, ob unser Institut Leute ins Krisengebiet schicken und ob ich selbst dorthin fliegen würde. Aber wir können nicht wirklich helfen, wenn wir ein paar Tage dort sind und keine spezifischen Medikamente haben. Außerdem können wir unsere Arbeit hier nicht vernachlässigen. Damit Hilfe geleistet werden kann, muss das richtige Umfeld vor Ort geschaffen werden, mit hinreichenden Präventionsmaßnahmen für die Helfer und logistischer Ausstattung und Vernetzung. Das kann meiner Ansicht nach nur durch institutionelle Hilfe gewährleistet werden. Durch Organisationen, die Strukturen schaffen. Der Beitrag vom Institut für Tropenmedizin in Rostock besteht zum einen in der Vorbereitung auf mögliche Ebolafälle bei uns. Zu diesem Zweck haben wir Ende November eine Informationsveranstaltung für Krankenhausmitarbeiter, dem Personal ambulanter Praxen und des Gesundheitsamtes und interessierte Studenten durchgeführt. Zum anderen unterhalten wir schon länger eine Kooperation mit einigen Krankenhäusern in Kamerun, die zwar nicht direkt im Ebola-Krisengebiet, aber an dessen Grenze liegen. Das Ziel ist auch hier die Vorbereitung des richtigen Settings, um die weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Unabhängig vom Institut für Tropenmedizin gab und gibt es in Rostock auch verschiedene Spendenaktionen, beispielsweise ein von

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Prof. Steinhoff organisiertes Benefizkonzert im Advent, dessen Erlöse Ärzte ohne Grenzen zukamen. Haben Sie Einblicke, wofür diese Spendengelder konkret verwendet werden? Es ist nicht einfach, die finanzielle Hilfe so umzusetzen, dass sie auch tatsächlich da ankommt, wo sie gebraucht und angenommen wird. In Westafrika fehlt es an den Basics, beispielsweise an Handschuhen. Allerdings ist es nicht damit getan, ein paar Tausend Packungen zu kaufen und ins Krisengebiet zu schicken. Es kann sich mitunter schwierig gestalten, die Menschen vor Ort dazu zu bringen, sie überhaupt zu benutzen. Teilweise, weil sie es nicht gewohnt sind oder nicht von ihren Ritualen abweichen wollen. Teilweise aber auch aus purem Misstrauen. Andererseits sind Handschuhe auch ein so rares Gut, dass sie möglicherweise gar nicht dort ankommen würden, wo sie sollten, sondern über Umwege zu Geld gemacht werden würden. Wie ich bereits sagte: Es braucht eine sehr gute Struktur und Organisation für effektive Hilfe. Wenn wir beim Beispiel der Handschuhe bleiben, muss vom Einkauf in Europa bis zum Endverbrauch in Westafrika alles logistisch organisiert und überwacht werden, was ebenfalls Geld kostet. All das kann nur von größeren Organisationen gewährleistet werden, die Erfahrungen mit solchen Situationen haben. Berichten von Kollegen aus Westafrika zufolge haben Ärzte ohne Grenzen bisher hohe Kompetenz bewiesen und machen in Westafrika einen sehr guten Job. Wie schätzen Sie das Risiko ein, dass Ebola auch nach Deutschland kommt? Ebola kann durch Touristen oder auch zurückkehrende Helfer aus den entsprechenden Gebieten nach Deutschland importiert werden. Allerdings ist eine Ausbreitung des Virus im großen Stil unwahrscheinlich, da wir hier ein völlig anderes Hygienebewusstsein haben. Daher wären ausgehend von einem Infizierten vielleicht noch wenige Ansteckungen möglich, doch dann ist zu erwarten, dass die Infektionskette frühzeitig abbricht. Vielen Dank für das Gespräch!


Medinetz Rostock e. V. - Brücke in einer rechtlichen Grauzone

Seit nunmehr fünf Jahren gibt es das Rostocker Medinetz. Happy Birthday singt deswegen aber niemand. Obwohl die Mitglieder mit Herzblut dabei sind, sehen sie die Notwendigkeit der Existenz des Vereins äußerst kritisch. Luise Wagner vertritt auch die Meinung, dass jeder Mensch das Recht auf medizinische Versorgung hat.

Verein auf die Fahne geschrieben hat. Ein wichtiger Teil der Arbeit des MediDoch ganz von vorn: Wer oder was ist das Medinetz überhaupt? Der eingenetzes ist die Kommunikation mit der regionalen Politik. "Eigentlich wollen tragene Verein, der mittlerweile in zahlreichen deutschen Städten vertreten wir uns selbst abschaffen", sagt Franziska. "Medizinische Versorgung ist ein ist, hat sich ursprünglich aus einer Studierendengruppe des internationalen Menschenrecht. Das Medinetz ist ein Lückenfüller, der durch die politische Medizinerverbandes IPPNW (International Physicians for the Prevention of Lage hierzulande notwendig ist, damit Menschen ohne geklärten AufentNuclear War) entwickelt. Ihr Grundsatz ist, dass jeder Mensch ein Recht auf haltsstatus gefahrlos und menschenwürdig von diesem Recht Gebrauch mamedizinische Versorgung hat - auch ohne geklärten Aufenthaltsstatus. Das chen können. Es ist traurig, dass das nötig ist! Der Staat sollte diese Aufgabe Medinetz ist daher vor allem eine Anlaufstelle für Menschen ohne Papiere, übernehmen." Die Debatte über die Einführung einer Krankenkassenkarte die medizinische Hilfe benötigen. für Menschen ohne Papiere in Mecklenburg-Vorpommern findet im MediDazu gibt es jeden Dienstag von 17 bis 18 Uhr eine Sprechstunde, die von netz großen Zuspruch. Dadurch würden die Barrieren zu medizinischer Verzwei Medinetz-Mitgliedern im Ökohaus in der Hermannstraße geleitet wird. sorgung für Menschen ohne Papiere deutlich verringert und ihnen die Angst, Dort können juristische und vor allem medizinische Fragen, Probleme mit der zum Arzt zu gehen, genommen werden. Unterkunft und den Papieren besprochen und evaluiert werden. Im anschlieAuch Öffentlichkeitsarbeit liegt den Medinetzlern sehr am Herzen. Sie ßenden Plenum beschließen und organisieren die Medinetzler, wie im einzelwollen die Gesellschaft für ihre Thematik sensibilisieren und aufklären. nen Fall am besten geholfen werden kann. In der Regel wird ein Termin bei Dazu veranstalten sie regelmäßig Vorträge, Kinoabende und haben vor zwei einem der mit dem Verein kooperierenden Ärzte oder Therapeuten vereinbart Jahren die Aktion "Weihnachten mal anders" ins Leben gerufen, bei der Weihund der Patient ohne Umweg über die Behörden - das ist der springende Punkt nachtsgeschenke für in Asylunterkünften lebende Kinder gesammelt werden. - dorthin begleitet. Normalerweise führt der Weg zum Arzt für Menschen "Die Aktion lief so gut an, dass im ersten Jahr ohne Papiere nicht am Sozialamt vorbei. Dort "Eigentlich wollen wir uns selbst abschaffen." das Asylbewerberheim in der Satower Straße mit hätten sie dann mit Abschiebung zu rechnen. Das Geschenken überflutet wurde! Deshalb haben Medinetz überbrückt diese Hürde und garantiert wir dieses Mal gleich mehrere Unterkünfte in Mecklenburg Vorpommern dabei durch Decknamen und Zusammenarbeit mit Ärzten, die die Illegalisierunterstützt", berichtet Laura. ten kostenlos und ohne Krankenkassenkarte behandeln, die Anonymität der Finanziert wird das Medinetz fast ausschließlich durch Spenden, FörderHilfesuchenden. mitgliedschaften und die Einnahmen von Filmveranstaltungen und BenefizDie Entwicklungen in Krisengebieten und die aus der aktuellen Flüchtpartys. Denn auch wenn Ärzte und Therapeuten ihre Behandlung kostenlos lings- und Asylpolitik resultierende Problematik bekommen die Vereinsmitzur Verfügung stellen, fallen noch Kosten für Dinge wie Labordiagnostik, glieder deutlich zu spüren. "Der Zulauf ist enorm gestiegen", erzählt FranzisMedikamente und Transport an. "Die Akquise neuer Ärzte ist ebenfalls eine ka Rebentisch. Sie studiert Medizin und ist seit der Gründung des Rostocker sehr wichtige Aufgabe. Wir versuchen, unser Netzwerk von Medizinern und Medinetzes mit von der Partie. Früher sei etwa einmal im Monat ein Patient Therapeuten aller Fachrichtungen ständig auszubauen, um einzelne nicht zu ohne geklärten Aufenthaltsstatus in die Sprechstunde gekommen, berichtet überlasten", erklärt Franziska. sie. Im vergangenen Sommer sei es dann einer pro Woche gewesen, seitdem Unterstützung wird also an allen Enden gebraucht: In Form von engagierwachse die Zahl stetig. ten Helfern beim Medinetz selbst oder in diversen VersorgungseinrichtunMittlerweile hat der Verein mit Kapazitätsproblemen zu kämpfen und gen, finanziell und vor allem politisch. Nichts würde Franziska, Laura und sucht händeringend nach Verstärkung. "Dabei ist ein medizinischer Hinterdie anderen ehrenamtlichen Medinetzler mehr freuen, als dass der Verein grund absolut kein Muss!", betont Franziskas Mitstreiterin Laura Förster. keine großen Jubiläen feiern müsste. Auch jetzt schon ist das Rostocker Medinetz eine buntgemischte Gruppe aus den verschiedensten Fach- und Arbeitsbereichen. "Zu uns gehören zum BeiDu möchtest das Medinetz Rostock unterstützen? Melde dich unter spiel eine Soziologin, ein Nautiker und ein Physiker", zählt Laura auf. "Jeder medinetz.rostock@googlemail.com und komm einfach dienstags um kann bei der Sprechstunde mithelfen - wir sind ja immer zu zweit − und Pa17.30 Uhr im Ökohaus in der tienten zum Arzt begleiten oder bei der Organisation mithelfen. Ganz drinHermannstraße 36 zum Trefgend brauchen wir auch Leute mit verschiedensten Sprachkenntnissen, um fen vorbei. Mehr Infos unter uns die Kommunikation zu erleichtern." www.medinetz-rostock.de Die direkte Arbeit mit kranken oder anderweitig hilfesuchenden Asylsuchenden und Illegalisierten ist keinesfalls die einzige Aufgabe, die sich der

MEDINETZ

ROSTOCK E.V.

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Aufregend, schnelllebig, unberechenbar – das Jahr 2014!

Schnell ging es vorbei – das Jahr 2014: Ukraine-Krise, Krim, Ebola, IS, Krieg in Syrien und die Unglücksflüge der Malaysian Airlines. Das Jahr 2014 war ein ereignisreiches Jahr. Es war ein Jahr des Gedenkens, ein Jahr des Sports, ein Jahr der Katastrophen und der politischen Veränderung. Daniel Möck macht gerne andere Leute mit Zusammenfassungen glücklich.

Eine der wichtigsten Personen des Jahres 2014 ist zweifelsohne der russische Präsident Wladimir Putin. Gleich zu Jahresbeginn stand Putin im Rampenlicht, als er sich für seine olympischen Winterspiele in Sotschi feiern ließ. Wenige Wochen später wurde er in den westlichen Medien zum Hassobjekt schlechthin deklariert - seiner Rolle in der Ukraine-Krise und der Annexion der Krim sei Dank. Es war die Geburtsstunde des G7-Gipfels, Putin wurde fortan aus dem Wirtschaftsgipfel ausgeschlossen. Ebenfalls negativ wurde 2014 über den Islamischen Staat, GDL-Chef Claus Weselsky, das Freihandelsabkommen TTIP, die israelischen Angriffe auf Palästina, den Kopenhagener Zoo im Umgang mit Giraffe Marius, den ADAC, die Steuersünder Uli Hoeneß und Alice Schwarzer, die nigerianische Terrororganisation Boko Haram, die FIFA, den türkischen (Minister-) Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, sowie die Anti-Islam-Demos PEGIDA berichtet. Doch trotz aller schlechten Nachrichten, die unsere Medienlandschaft bestimmte; es gab auch positive Schlagzeilen: Conchita Wurst gewann den Eurovision Song Contest, Papst Johannes Paul II wurde heiliggesprochen, George Clooney hat geheiratet, Alexander Gerst beglückte uns mit seinen Bildern aus dem Weltall, der FC Bayern wurde frühester deutscher Meister aller Zeiten, die deutsche Nationalmannschaft ist neuer Fußball-Weltmeister, die Ice-Bucket-Challenge spukte durch die sozialen Netzwerke und Helene Fischer machte uns alle „Atemlos“. Ein sehr erfolgreiches Jahr war 2014 für die Alternative für Deutschland (AfD). Die Euro-Kritiker schafften den Einzug in die Landtage von Sachsen, Brandenburg und Thüringen, sowie ins Europaparlament. Dort sitzt nun, neben erschreckend vielen europafeindlichen und eurokritischen Abgeordneten, auch der Satiriker Martin Sonneborn. Unabhängigkeit wollten im September die Schotten – ihr Referendum

scheiterte am Schluss überraschend deutlich. Im Gegensatz dazu stimmte die Mehrheit der Katalanen für die Loslösung von Spanien. Jedoch vergebens, das Referendum war nicht verbindlich. Ebenfalls vergebens war der Antrag der Philosophischen Fakultät der Uni Rostock, die im Sommer Edward Snowden die Ehrendoktorwürde verleihen wollte. Die Initiative scheiterte erst am Rektor und schließlich an Bildungsminister Brodkorb. In Deutschland wurde 2014, im ersten Jahr der neuen GroKo, viel gedacht: 25 Jahre Mauerfall, 100 Jahre Beginn des ersten und 75 Jahre Beginn des zweiten Weltkrieges. Einige politische Karrieren fanden 2014 ihr Ende, insofern darf Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit, dem schottischen Ministerpräsidenten Alex Salmond, dem SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy, Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich, der Leiterin der bayrischen Staatskanzlei Christine Haderthauer, dem schwedischen Ministerpräsidenten Frederik Reinfeld, der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton, Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso an dieser Stelle kurz gedacht werden. Allen Späßen zum Trotz benötigt es zum Schluss jedoch noch einen Moment der Ernsthaftigkeit: Viele Menschen verließen uns 2014 für immer darum nehmen wir Abschied von den Journalisten Frank Schirrmacher und Peter Scholl-Latour, den Schauspielern Joachim „Blacky“ Fuchsberger, Maximilian Schell und Robin Williams, den Sängern Udo Jürgens und Joe Cocker, den Politikern Ariel Scharon und Eduard Schewardnadse sowie von hunderten Toten, die durch Ebola, die EU-Flüchtlingspolitik und in den Kriegen, Konflikten und Katastrophen des Jahres 2014 ihr Leben lassen mussten. Und auch von „Wetten, dass..?“ müssen wir uns für immer trennen. Es wird uns schwerfallen… In diesem Sinne: Auf ein friedliches, glückliches und harmonisches Jahr 2015!

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kultur Geld ist ja bekanntlich immer knapp und Politiker, die auf der Suche nach Einsparmaßnahmen sind, finden diese vor allem im kulturellen Bereich: Nicht nur das Volkstheater hier in Rostock soll von vier auf zwei Sparten gekürzt werden, sondern, und das ist viel schlimmer, auch in der bundesweiten Jugendkulturarbeit reichen die Mittel nicht aus, um allen Jugendlichen Zugang zu kultureller Entfaltung zu gewähren. Dabei machen Kunst und Kultur einen wesentlichen Teil der Gesellschaft aus. Sie fördern kreative Potenziale, unterstüzen die Identitätsfindung und sind ein fundamentales Element der Bildung. Sagen wir es mit den Worten des USamerikanischen Schriftstellers Paul Auster: „Der wahre Sinn der Kunst liegt nicht darin, schöne Objekte zu schaffen. Es ist vielmehr eine Methode, um zu verstehen. Ein Weg, die Welt zu durchdringen und den eigenen Platz zu finden.“ Viel Spaß dabei und mit den folgenden Seiten wünschen:

Philipp Rose

Anne Halbauer

Vitrine Die Vitrine ist neu! Und sie soll eine kleine Plattform für eure künstlerischen Arbeiten sein. Egal ob Malerei, Bildhauerei, Fotografie oder Literatur – zeigt her euer Können! Falls ihr Lust habt, euch und eure Arbeit vorzustellen, dann könnt ihr uns rund um die Uhr eine Email an kultur@heulermagazin.de schreiben. Wir freuen uns auf eure spannenden Vorschläge!

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„Ich zeichne gern detailliert und realistisch und experimentiere mit Techniken und Materialien. Darin liegt für mich der besondere Reiz: Nicht immer wieder das Gleiche, sondern ständig Neues auszuprobieren. Während der Schulzeit besuchte ich viele Jahre einen Kurs für Bildende Kunst. Nun male ich immer mal wieder für mich selbst, aber auch für andere, wenn mich gerade die Lust packt.“ Alexandra Wendt

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... hinter den Kulissen

Heike Preußner im Lichtspieltheater Wundervoll Philipp Rose ist zum ersten Mal am Vormittag im Lichtspieltheater Wundervoll zu Gast. // Foto: Hauke Ruge

Mit der neuen Rubrik „… hinter den Kulissen“ möchte euch euer Kulturressort des Vertrauens die Köpfe hinter den heimischen Kulturinstitutionen ein wenig näher bringen. Den Aufschlag wagen wir im Lichtspieltheater Wundervoll bei Heike Preußner. heuler: Frau Preußner, erzählen Sie doch bitte drei Sätze über sich. Heike Preußner: Ich bin studierte Lehrerin. Seit dem Jahr 2010 bin ich beim Lichtspieltheater Wundervoll (Li.Wu.). Grundsätzlich würde ich mich als große Filmenthusiastin bezeichnen. Und Ihre drei Sätze über das Li.Wu. wären welche? Das Lichtspieltheater ist als Kulturinstitution aus dem studentischen Filmklub der Universität hervorgegangen. 2013 feierte es sein 20-jähriges Jubiläum. Das Li.Wu. versteht sich als Programmkino, welches künstlerisch anspruchsvollen Filmen Platz bietet.

Was würden Sie unserem Oberbürgermeister Roland Methling gerne auf die Mailbox sprechen? Kultur ist mehr als nur das Shanty. Was fällt Ihnen zu Video-on-Demand-Websites wie kinox.to ein? Es ist strafbar. Und das ist gut so, da es Jobkündigungen fördert. Darüber hinaus ist diese Plattform eine Milchmädchenrechnung. Erst der Kinomarkt macht unbekannte Filme wie „The Grand Budapest Hotel“ oder „ Ziemlich beste Freunde“ zu dem, was sie zurecht wurden. kinox.to schwächt aber den Kino- und Filmbereich. Und damit auch die Filmemacher. Und schwache FilmemacherInnen können nur schwer tolle Filme schaffen.

Was treibt Sie an? Als Medienpädagogin möchte ich eine Filmwelt abseits der Superhelden- und Blockbusterwelt fördern. Denn auch diese Welt ist interessant und vor allem relevant. Im Übrigen schafft sie es, Menschen zu überraschen. Das ist schön.

Welche drei Filme würden Sie auf eine Insel mitnehmen? Oh, das ist eine schwere Frage. Lassen Sie mich kurz überlegen. Auf jeden Fall „Die Verachtung“, „Der Pate“ (I-III) und „Der Mann ohne Vergangenheit“.

Haben Sie schon mal im Kino geweint? Wenn ja, bei welchem Film? Oh ja, natürlich! Zuletzt im Film „Boyhood“. Dieser lief im Sommer 2014 und ist eine Art filmische Langzeitstudie: 12 Jahre im Leben des jungen Masons.

Job Rotation - In welcher Kulturinstitution in Rostock würden Sie gerne mal für ein paar Wochen reinschnuppern? Ich glaube bei der Bühne 602. Die Verantwortlichen dort stricken ein unheimlich umfangreiches

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Programm. Ich habe großen Respekt vor ihrer Arbeit. Eine Arbeit ohne Netz und doppelten Boden. Vier Tage frei! Ideen für einen Kurztrip? Und wen nehmen Sie mit? Kopenhagen. Vielleicht Stockholm. Ich mag das Skandinavische. Einpacken würde ich meinen Mann. Die Kinder freuen sich, wenn Sie auch mal vier Tage alleine sein dürfen. Was mögen Sie an Rostock? Natürlich die Ostsee um die Ecke! Generell mag ich Rostock aber auch, weil es eine Kleinstadt mit Großstadtambiente ist. Es gibt die Straßenbahn, aber auch mit dem Fahrrad erreiche ich in 20 Minuten so gut wie jedes Ziel. Und seitdem ich Kinder habe, schätze ich das Flussbad sehr.


Dichtung über Leben, Liebe und Tod Edvard Munch in Warnemünde

Auch Rostock hat berühmte Töchter und Söhne hervorgebracht, von denen wir euch im Kulturressort regelmäßig den einen oder die andere vorstellen. Nach Johnson, Kempowski und den Jastrams sind wir nun auf Edvard Munch gestoßen. Anne Halbauer hat nichts gegen nackte Männer.

Zugegeben, der norwegische Maler Edvard Munch (1863−1944) ist kein Rostocker. Jedoch verbrachte er 18 Monate seines Lebens in Warnemünde. Für ihn eine äußerst produktive Zeit, für das kleine Ostseebad ein Skandal. „Brutales Geschmiere“ Wir schreiben das Jahr 1907: Munch, vom Trubel der letzten Jahre ausgebrannt, sucht nach Ruhe und Stabilität. Sein bisheriger Lebensrythmus war geprägt von durchwachten Nächten, Reisen durch die Kulturzentren Europas (vor allem Berlin und Paris), Alkohol und rauschhafter Arbeit. In dieser Zeit entstanden, irgendwo zwischen französischem Impressionismus und expressionistischer Manier, Munchs Gemälde seelischer Zustände, die er später als „Lebensfries“ zusammenfasste. Als Zeitgenosse des Psychoanalytikers Freud und mit einer von Tod, Krankheit und Leiden geprägten Kindheit, lag für Munch die Beschäftigung mit der Seelenforschung nahe. In seinen Bildern wollte er die Essenz des Lebens darstellen: eine Dichtung über Leben, Liebe und Tod. Darunter befanden sich Werke wie Melancholie, Eifersucht, Der Kuss, Das Rätsel und auch das berühmte Bild Der Schrei. Diese Bilder stellte er 1892 beim Verein Berliner Künstler aus, wo seine Werke Empörung hervorriefen und als „brutales Geschmiere“, das „mit Kunst nichts zu tun“ habe, beschimpft wurden. Die Ausstellung wurde geschlossen, Munch dagegen wurde berühmt und berüchtigt. Er reiste einige Zeit lang rastlos durch Europa. Schließlich endete seine Odyssee wieder in Deutschland. Dort fühlte er sich wohl. Mit dem Ziel, sich und seine Nerven zu entspannen, mietete er ein kleines Fischerhaus.

Badende Männer „Ich hoffe, dass das Meer mich jetzt restaurieren wird“, schreibt Munch 1907 in einem Brief an einen Freund. In Warnemünde, einem damals noch wenig frequentierten Fischerdorf, findet der Norweger, was er suchte; ein ruhiges, einfaches Leben, zurück zum Ursprünglichen, fernab von den Metropolen der Welt, den aufgekratzen Künstlerkreisen und dem beständigen Klatsch der Société. In Warnemünde bleibt Munch jedoch immer der Einsiedler und erscheint den Anwohnern als suspekt. Ohne jegliche Bedenken mietet er sich in Berlin zwei Models, um Aktbilder von ihnen zu zeichnen und nimmt diese mit nach Warnemünde. Dabei malt er längst nicht mehr nur Frauenakte. Bietet nicht auch der männliche Körper faszinierende Anblicke? So posiert für ihn am Ostseestrand der Kurmeister von Warnemünde im Adamskostüm. Während dies die Anwohner pikiert, merkt Munch nicht, dass er schon wieder provoziert und Grenzen überschreitet. Er malt weiter an seinen Bildern, mit

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kräftigen Farben und Pinselstrichen, motiviert von neuer Lebenskraft. Doch seinen Galeristen erscheinen die Bilder nicht tragbar. Munch versteht dieses Verhalten nicht, versteht nicht, warum Männerakte anstößig sein sollen, Frauenakte jedoch normal. Er deklariert das Ausstellungsverbot als „Sieg der bürgerlichen Gesellschaftsmoral über die freie Kunst.“ Er spürt sehr schnell, dass sein neues Refugium am Meer im Grunde sehr bürgerlich und bieder ist und der Kunst keine Entfaltung bietet. Munch arbeitet und lebt noch ein paar Monate in Warnemünde, bis er sich nach einem Schlaganfall in eine Klinik in Kopenhagen begiebt und im Anschluss nicht mehr in sein Haus in Warnemünde zurückkehrt. Am alten Strom 53 Munch beeinflusste die Entwicklung der deutschen Kunst, zeigte immer wieder deren Grenzen auf und überschritt sie. In ihm traf die norwegische und die deutsche Kultur zusammen. In seinem ehemaligen Wohnhaus mit der Adresse „Am alten Strom 53“ hat sich eine Institution gegründet, die versucht, jungen norwegischen und deutschen Künstlerinnen und Künstlern Raum für Kreativität zu geben: Der Förderverein Edvart-Munch-Haus e.V. Warnemünde. Für seine Arbeit wurde der Verein im Oktober 2014 mit dem Willy-Brandt-Preis ausgezeichnet, der für besondere Beiträge zum Ausbau des norwegisch-deutschen Verhältnisses verliehen wird.

www.edvard-munch-haus.de Öffnungszeiten: samstags von 11–17 Uhr Buchtipp: Edvard Munch in Warnemünde, Edition A. B. Fischer Verlag, 7,80 Euro


Die Band der ungewöhnlichen Orte

The Rabby 'n' Bosmus – das sind vier Rostocker Lehramtsstudierende, die das Studienfach Musik, die Leidenschaft für diese und einen ähnlichen Humor teilen. In den inspirierenden Gemäuern der Hochschule für Musik und Theater erzählten die Vier ein wenig über sich, ihre Musik und was sie damit noch alles vorhaben. Luise Wagner hatte vor diesem Interview noch nie etwas von einer spielbaren Sitzkiste gehört. // Foto: Hauke Ruge

Der Bandname The Rabby ’n’ Bosmus ist ein Wortspiel aus den Namen der Mitglieder. Theresa, genannt Tica, spielt mehrere Instrumente, bringt aber vor allem ihre Stimme und Texte in die Band ein. Bobby verleiht der Band mit seinem Cajón, einem Instrument, das er Unwissenden als „spielbare Sitzkiste“ beschreibt, Rhythmus und Charakter. Henning spielt E-Gitarre und hat sich als Harmonie-Beauftragter der Band etabliert. Und schließlich wäre da noch Rasmus, der Gitarre spielt, singt und den Großteil der Songs schreibt.

heuler: Fangen wir am besten am Anfang an: Wie habt ihr euch gefunden? Rasmus: Die Band hat sich stufenweise aufgebaut. Ich schreibe schon länger Songs. Irgendwann habe ich mal mit Bobby gejammt, und dann waren wir „Rabby & Bosmus“. Im Juni 2013 sind wir auf der „Fête de la Musique“ zum ersten Mal aufgetreten. Aber da fehlte noch etwas, wir brauchten jemanden für die Gitarrensoli. So kam Henning dazu und wir wurden zu „Rabby 'n' Bosmus“. Henning: Ich bin sozusagen das Fugen-N.

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Fühlst du dich da nicht ein wenig degradiert? Henning: Nein, gar nicht. Ich bin das schon gewohnt. Ich habe mal in einer Schülerband gespielt, die "Sahne" hieß. Der Name setzte sich aus den Anfangsbuchstaben der Bandmitglieder zusammen − da war ich dann das mittige Fugen-H. Rasmus: Fugen sind sehr wichtig. Die tragen zum Charakter bei. Und musikalisch ist er sehr viel mehr als bloß eine Fuge. Für die Release-Party unserer ersten CD haben wir uns dann ein paar Gastmusiker eingeladen, weil wir Mehrstimmigkeit reinbrin-


gen wollten. Mit Tica hat es besonders gut gepasst, deshalb haben wir sie gefragt, ob sie uns ihr Stimmchen schenken würde. Tica: Und ich bin sehr froh, dass ihr mich gefunden habt! Die Idee, meinen Namen durch das "The" für "Theresa" auch mit einzubringen, kam Bobby neulich auf einer Party. Wie würdet ihr selbst eure Musik beschreiben? Bobby: Man fülle die frisch geernteten Jazz-Harmonien, 2 EL Reggae und einen Bund Funk in eine Schüssel und vermische alles. Eine halbe Stunde gehen lassen. Den Groove aus dem Kühlschrank nehmen und langsam einrühren. Nun etwa eine Messerspitze Mehrstimmigkeit hinzufügen und mit einer Prise Spaß (aber nicht zu viel!) abschmecken. Das Ganze in die Cajon füllen und bis zum akustischen Höhepunkt kochen lassen. Das Resultat auf 2 Gitarren drapieren, zurücklehnen und genießen! Mmmhh... ein Ohrenschmaus! Würdet ihr eure Musik selbst hören? Rasmus: Schwierige Frage ... Wir hören sie ja ständig beim Proben! Tica: Ich höre die CD der Jungs oft beim Kochen. Aber bei diesen Liedern bin ich ja genau genommen noch gar nicht richtig dabei. Henning: Ich höre uns auch ab und zu, aber eher aus pragmatischen Gründen, damit ich den Ablauf der Songs nicht vergesse. Das Verhältnis von pragmatischem Hören und Vergnügen liegt dabei so bei 90 zu 10. Welche Motivation und Intention steckt für euch hinter eurer Musik? Rasmus: Das ist schwer in Worte zu fassen. Die Entstehung der Songs ist ein Prozess. In dem Weg von der ersten Zeile bis zum fertigen Lied steckt viel Kreativität, Produktivität und Spaß. Ich schreibe einen Song und bringe ihn in die Band, und dort wird er oft völlig zerpflückt. Am Ende kommt etwas total anderes heraus, als man es sich anfangs erträumt hatte. Jeder Song ist ein Kompromiss aus Komplexität und Eingängigkeit und diesen Kompromiss zu finden macht uns unglaublichen Spaß. Außerdem ist es unsere Intention, dass die Musik jedem zugänglich ist. Was bringt es uns, eine anspruchsvolle Komposition mit 23 Taktwechseln zu kreieren, die dann am Ende für den Großteil der Leute nach nichts klingt und auch für uns nicht schlüssig ist. Bobby: Meine Motivation ist der Spaß am Musizieren mit Freunden, also eher der menschliche Aspekt. Ich finde, das spiegelt sich schon in unseren Proben wider. Wir sitzen immer im Kreis, und es existiert keine Aufnahme, wo wir nicht zwischen-

durch lachen und herumblödeln. Die Band insgesamt zeichnet sich meiner Meinung nach durch die besondere Akustik aus: Wir nehmen ein Cajón anstatt des gängigen Schlagzeugs und wir singen alle, was nicht unbedingt üblich ist. Rasmus, du hast bereits vom Prozess der Songentstehung erzählt. Das bringt uns direkt zur nächsten Frage: Wie schreibt ihr eure Songs? Rasmus: Das ist unterschiedlich. Mal hat man den Text, mal die Musik, in die der Text wie ein Flow hineinmündet. Wenn ich Texte schreibe, verarbeite ich darin meist Themen, die mich bewegen. Das können persönliche Dinge sein, aber auch ganz andere Sachen, die mir durch den Kopf gehen. Wenn ich mich zum Beispiel tierisch darüber aufregen würde, dass es zu viel Müll auf der Welt gibt, könnte ich einen Song darüber schreiben. (Das habe ich allerdings noch nicht getan.) Außerdem sammle ich Sätze, die mir irgendwann eingefallen sind. Einmal lag ich auf einer Wiese, und plötzlich schwirrte mir die Zeile "Der Schatten des Grashalms kitzelt mein Gesicht" durch den Kopf. Solche Sätze schreibe ich auf und versuche einen Song daraus zu machen. Die Kunst besteht dann darin, Text und Melodie zu einem schlüssigen Song zu formen. Das klappt nur durch ständiges Ausprobieren und Verwerfen. Die Zusammenarbeit der ganzen Band gehört zum Songwriting dazu; es ist nicht so, dass da jemand einfach ein Lied schreibt und ein paar Musiker dazu spielen. Tica: Bei mir beginnt es meist mit einer Melodie und einer Vorstellung von Akkorden. Meistens habe ich ein Thema, worum es in dem Song gehen soll, aber es fällt mir schwer, das in schöne Worte zu fassen. Daran muss ich immer ganz schön arbeiten. Bisher habt ihr ausschließlich englische Texte. Warum? Tica: Für mich persönlich würde ich antworten: Weil ich sehr Englisch-affin bin, allein schon durch mein Studium (Tica studiert Musik und Englisch, Anm. d. Red.) und meine Zeit im Ausland. Ich finde einfach, es klingt schöner. Deutsche Texte wirken schnell sehr kitschig. Rasmus: Das stimmt! Außerdem vereinigen wir in unserer Musik Stile, in der die englische Sprache einfach dazugehört: Funk, Soul, Reggae, ... Da finden wir es ganz normal, das Englische zu adaptieren. Deutsche Songs klingen schnell nach Xavier Naidoo, und − sorry − den kann ich mir einfach nicht länger als ein halbes Lied lang anhören! Ein paar Musiker mit guten deutschen Texten sind für mich Dota, Jan Delay und Clueso. Erfüllt sich mit dieser Band eine Art Kindheitstraum für euch?

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Rasmus: Ich denke, gemeinsames Musizieren ist uns allen sehr wichtig. Wir haben auch alle vorher schon in anderen Bands gespielt. Gemeinsam Musik zu machen ist etwas völlig anderes, als allein zu üben. Dabei kommen Absprachen ohne Sprache zustande, das passiert einfach aus der Musik heraus. Henning: Es ist auch schön, allein Musik zu machen. Aber wenn man ein Instrument eine Weile lang spielt, kommt der Wunsch, mit anderen zu musizieren, von ganz allein. Tica: Ich bin in meiner Familie damit aufgewachsen, Musik zu machen. Es war für mich immer klar, mal in einer Band zu spielen. Darüber habe ich nie richtig nachgedacht. Musik ist einfach ein großer Teil meines Lebens, deswegen mache ich sie einfach. Das gehört für mich dazu wie essen oder schlafen. Nachdem es nun um die Vergangenheit und die Gegenwart ging − was sind eure nächsten Ziele? Bobby: Unser oberstes Ziel ist das, was wir jetzt machen, festzuhalten. Wir haben viele neue Songs mit Tica. Das gibt uns eine ganz neue Farbe, und das sollte eingefangen werden - für uns und unsere Freunde. Im Februar wollen wir dann auch wieder ins Studio, diesmal für ein ganzes Album. Das releasen wir dann am 10. Mai. Rasmus: Wir wollen versuchen, in diesem Jahr auch mal in ein paar anderen Städten als Rostock zu spielen. Berlin, Leipzig, Hamburg und Röbel an der Müritz stehen auf der Liste. Bobby: Abgesehen von der Stadt haben wir uns bisher dadurch ausgezeichnet, an eher ungewöhnlichen Orten zu spielen. Wir waren schon am Strand auf einer Bühne aus Europaletten, im Schauwerk, im Sternzelt, im Circus Fantasia und auf einem fahrenden Schiff während der HanseSail. Da hat es geregnet wie Sau, aber es war trotzdem ziemlich cool. Diesen Stil der ungewöhnlichen Orte möchten wir unbedingt weiter ausbauen. Henning: Wir haben auch schon im rein privaten Kreis in Wohnungen gespielt. So ein paar Wohnzimmerkonzerte in naher Zukunft wären schön. Mit unseren Instrumenten sind wir zum Glück sehr mobil: Mit Gitarren und Cajón braucht man kein Auto, wir kommen überall mit dem Fahrrad hin. Bobby: Ach ja, wir haben vor, uns fürs Heimspiel im M.A.U. Club zu bewerben. Das würde ganz gut zu uns passen. Und vielleicht könnte man auch mal was mit anderen Bands machen, zum Beispiel mit Camou. Das klingt ja nach einem ereignisreichen neuen Jahr! Viel Erfolg und Spaß euch vieren, und vielen Dank für das Interview!


Marcus Sümnick genehmigt sich nach dieser Rezension auch erst einmal ein Herrengedeck. // Überschrift: © The Incredible Herrengedeck

Alles nur Gelaber?

„Die Audioaufnahme als Medium der Selbstreflexion des Individuums in der alles werden können, wenn sie oder er doch richtig studiert hätten. Es geht spätkapitalistischen Gesellschaft” ist der Untertitel des im April 2014 erschieum vermeintlich oder tatsächlich verpasste Chancen und darum, dass es im nenen dritten Albums Alles nur Gelaber der Band The Incredible HerrengeHier und Jetzt dann doch kein zurück mehr gibt. Zwischendrin, in Form deck. Zu gleich ist es auch der Titel einer wissenschaftlichen Begleitarbeit, von Strophen und ganzen Liedern, befasst sich das Herrengedeck auch mit welche entstehende Fragen vor, während oder nach dem Hören der Lieder politischen Blüten der jüngeren Vergangenheit. Ob Nationalsozialisitischer beantwortet, um so die HörerInnen mit diesen nicht allein zu lassen. Sie liegt Untergrund, Weltfinanzpolitik oder das Leid mit den Einkaufstempeln in dem digitalen Album als PDF bei und umfasst etwa 30 Seiten, von denen der Innenstadt: Durch den wissenschaftlich fundierten Ansatz schälen sie keine Seite zu viel erscheint. gekonnt das Fleisch aus der Frucht der Erkenntnis. Kurz vor dem Ende des Ohne Pauken und Trompeten, dafür mit Kontrabass, Klavier und Gitarre Albums erhalten auch die Teens und Tweens der Gegenwart mit YOLO noch begleiten The Incredible Herrengedeck ihre vertonten Erkenntnisse derAudiobeispiele junein schwungvolles Lied zu ihrer Jugendsprache und passenden Clique ans gen und jüngsten Zeitgeschichte. Knie genagelt. Beschreibt das Lied Prokrastination in neun Minuten ein Semester oder Ein tolles Independent-Album, dass mit seinem Chaos-Punk auch lahmende gar ein ganzes Studium besser als so mancher Leserkommentar der OstseeHüften und Gesichtshälften in Schwung versetzt und zum Schmunzeln beZeitung − reflektierter und amüsanter ist es allemal, so ist als Gegenstück wegt. Für mindestens 8 Euro (wer möchte kann der Band mehr Geld geben) oder als Ergebnis eben jener Jump & Run ein bittersüßer Soundtrack all der kann die digitale Version bei Bandcamp (www.herrengedeck.bandcamp.com) gehetzten Menschen. Mit 30, aber noch mehr mit Hätte, würde, aber ... gekauft und dann heruntergeladen werden. Jedes Lied kann probegehört und wird sich manch´ Elternteil daran erinnert fühlen, was wohl aus ihnen hätte durch den auf der Website befindlichen Text auch mitgesungen werden!

Die Audioaufnahme als Medium der Selbstreflexion des Individuums in der spätkapitalistischen Gesellschaft

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Philosophischer Abgesang?

Es war einmal vor langer Zeit, vor dem Akademisierungswahn, vor der Globalisierung ... Martin Fietze hat weder eine Schraube locker noch kann er singen. // Illustration: Isabell Kilian

... in einem modularisierungsfreien Lande, ohne gewollte aber nicht gekonnte internationale Vergleichsmaßstäbe, da studierte Mann, selten Frau, mit allen Freiheiten, die man sich wünschen konnte. Und der kleine Mann auf der Straße, der kleine Meister im Betrieb, die kleine Frau an der Ladenkasse – sie alle konnten noch stolz auf ihren Beruf sein, der ihnen das nötige Kleingeld verschaffte, um sich ein kleines Glück aufzubauen. Sein neues Buch Der Akademisierungswahn adressiert Julian Nida-Rümelin an „die effektive[n] Stellschrauben im Bildungswesen […]: Wirtschaft, Gewerkschaften, Lehrende und Lernende und die Fachleute im Bildungswesen“, und er wendet sich dabei „nicht nur gegen eine falsch verstandene Bildungsglobalisierung, sondern auch gegen den verbreiteten Bildungseklektizismus.“ Gerade der internationale Vergleich ist dem Autor ein Dorn im Auge, da sich aus der unübersichtlichen Zahl an Statistiken meist nur Missverständnisse ergeben. So sei beispielsweise der hochgelobte Grad an Akademikerabschlüssen in den USA (bisweilen die Hälfte eines Jahrgangs!) nur das Resultat eines viel zu weiten Begriffes von akademischer Bildung. Das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens – mit Methodenkompetenz an erkenntnisleitenden Fragestellungen zu arbeiten – werde dabei nicht in den Blick genommen und lediglich, wie in den Statistiken der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), auf die Dauer des Verbleibs im Bildungssystems bezogen. Kurzum: „Wäre Forschung ein Kriterium für einen Studienabschluss, wären es in den USA nur 10% eines Jahrganges.“ Die formale Unterscheidung von akademischer und nicht-akademischer Bildung wird jedoch in Zeiten der einseitigen Homogenisierung beider Berei-

che zugunsten der akademischen Bildung mit einer normativen Sprengkraft angereichert, die einen gesamtgesellschaftlichen Schaden nach sich zieht. Die Entwertung des Meister-Abschlusses ist nur eines von vielen Symptomen eines kranken Systems, in dem der intellektualistische Fehlschluss begangen wird, „vom hohen Qualifikationsniveau für einen Beruf auf ein Studium als der besten Vermittlungsform zu setzen.“ Der technizistische Irrtum, wonach das Medium der Verständigung die Inhalte bestimme, schließt daran nahtlos an. Hieraus folgt für den Philosophen: „Wer einer umfassenden ,Akademisierung‘ das Wort redet, wer sich dafür einsetzt, dass immer mehr Berufsausbildungsgänge an die Hochschulen verlagert werden, verfolgt implizit eine Abkehr unseres Bildungswesens vom Konkreten, vom Haptischen, vom HandwerklichTechnischen.“ Die Geringschätzung, die die Ausbildungsgänge durch den Theoretisierungsanspruch erfahren, muss notwendigerweise zur gesellschaftlichen Schieflage führen. Alles wissenschaftsferne Vorge-

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hen wird dabei als minderwertig erachtet und kaum mehr respektiert (was sich auch im Geldbeutel bemerkbar macht). Dennoch setzt sich Nida-Rümelin für eine Verwissenschaftlichung beruflicher Bildung ein, nur sollte diese nicht auf einer Universität erfolgen, sondern in einem dualen System. Das Hauptargument für ihn dabei: „Verwissenschaftlichung trägt zur Stärkung der Urteilskraft bei, und das bewährt sich in ganz unterschiedlichen beruflichen Handlungsfeldern.“ Stattdessen folgt nun das universitäre Leben dem Betriebsamkeitsmodus einer um Homogenität bemühten Agenda, deren diffuse kulturelle Leitideen die einst so hoch gelobte Freiheit der Forschung und Lehre preisgegeben haben und den Nachwuchs fortan an „vorgekaute, zum Runterladen angebotene PDF-Häppchen“ gewöhnt. In diesem Zusammenhang macht Nida-Rümelin fünf Bologna-Irrtümer aus: (1) Unterscheidung von berufsfeld- und wissenschaftsorientierten Studiengängen, (2) Verschulung der Bachelorstudiengänge, (3) hochgradige Spezialisierung, (4) Konventionalisierung der Lehrinhalte, und (5) elitäre Einschränkung der Mobilität der Studierenden durch fehlende Synchronisierung im internationalen Bewertungssystem von Studienleistungen und damit einhergehende fehlende europäische Integration. Der hieraus entstandene Verlust an Bildungssubstanz, der bereits an hohen Abbrecherquoten beobachtet werden kann, sollte all jenen eine Warnung sein, die mit dem Gedanken spielen, internationale Normierungen auch in den nichtakademischen Bildungssektor zu übertragen. Am Ende lässt sich der Ansatz Nida-Rümelins auf ein kurzes PDF-Häppchen bringen: Differenzierung statt Selektion, denn: „Der gleiche Respekt gegenüber unterschiedlichen Bildungswegen beendet den Akademisierungswahn.“ Ob sich aber in naher Zukunft ein paar Stellschrauben effektiv lockern werden, bleibt abzuwarten. Bis dahin singen die Geplagten weiterhin das Lied vom Ende des Liedes, das kein Ende vom Lied sein will… Julian Nida-Rümelin: Der Akademisierungswahn. Zur Krise beruflicher und akademischer Bildung edition körber-Stiftung, 16,00 Euro


Projektion

_ Wild Tales – Damián Szifron

aus Argentinien, Spanien In diesem rabenschwarzen Streifen ist Amüsement sichergestellt! Sechs Geschichten von Liebesbetrug, Lastern, Tragödien und menschlichen Abgründen. Alles kann, nichts muss – in Buenos Aires.

Kultour #Zwei Philipp Rose ist euer Reiseleiter.

_ Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach – Roy Andersson

aus Schweden, Norwegen, Frankreich, Deutschland Mit diesem Film kommt nicht nur der skurrilste Titel, sondern auch der Gewinner des „Goldenen Löwen“ von Venedig 2014 auf die Leinwand. Eine kaleidoskopische Wanderung durch menschliche Schicksale, die uns die Schönheit der Momente zeigt.

_ Wir sind jung. Wir sind stark. – Burhan Qurbani

aus Deutschland August 1992 - Menschen setzen ihre hässlichste Fratze auf und Rostock erlebt eines seiner dunkelsten Kapitel. Aus verschiedenen Perspektiven heraus wird erzählt, wie aus einer lauen Sommernacht ein Strudel der Gewalt wurde.

Papier

_ Bilder deiner großen Liebe – Herrndorf, Wolfgang via Rowohlt 2013 ist mit Herrndorf einer der großen deutschen Gegenwartsliteraten von uns gegangen. Postum erscheint hier eine unvollendete Fortsetzung von Tschick. Dieses Mal aber aus Isas Sicht. Das verrückte Müllhaldenmädchen. Unterwegs in die Freiheit.

_ Catfish: Ein Bob Dylan Roman – Brüggemeyer, Maik

via Metrolit „Wenn ich nicht Bob Dylan wäre, würde ich vermutlich selbst denken, dass Bob Dylan mir eine Menge Antworten geben kann.“ – das sagte einst Bob Dylan. Brüggemeyer versucht sich über Anekdoten, Songtexte und Zitaten der Polyvalenz Dylans zu nähern.

_ Hansa ist mein Leben – Achenbach, Björn

via Hinstorff Die silbernen Sechziger, das Fahrstuhlteam der 80er, das 91er Double, die BundesligaÄra und die aktuelle „Leidenschaft kennt keine Liga“-Zeit – in diesem Buch werden die unterschiedlichsten Phasen der Vereinsgeschichte beleuchtet. Glaube, Liebe, Hoffnung.

Platten

_ Feelings aus der Asche – Olli Schulz

via Trocadero, 09.01.2015 Das Enfant terrible der deutschen Indie-Szene wagt sein Comeback im Heimathafen der Musik. Sein sechstes Studioalbum wird helfen, ihm wieder etwas mehr street credibility zuzuschreiben. Wir dürfen uns auf ein starkes Stück Oliver Marc Schulz freuen. Deal!

_ Geräusche – Lemur

via Kreismusik, 30.01.2015 Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Herr von Grau ist tot, es lebe Benny aka Lemur. Boom bap der alten Schule trifft auf knarzige Electronica und starke Lyrics. Das Trio macht Geräusche zur HipHop-Platte des Frühlings. Flug genießen!

_ Dear Tommy – Chromatics

via Italians Do It Better, 14.02.2015 Ihr liebt Tagträume und sucht noch einen netten musikalischen Wegbegleiter für diese Stunden? Dann seid ihr bei Chromatics aus Portland Gold richtig. Liebespop und Tronic machen hier aus einem musikalischen Pflichtprogramm die reinste Kür!

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KultourKalender 01.01.15 bis 15.02.15

Norbert Bisky. Zentrifuge // Kunsthalle Rostock

11.01.15 bis 15.02.15

Tanja Zimmermann. I turn and the tree turns me // Kunsthalle Rostock

28.01.15 bis 04.03.15

MARFA _ Malerei, Grafik, Skulptur, Objekt // Kunstverein zu Rostock, Galerie Amberg 13

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Tour of Tours (Tim Neuhaus, Honig u.a.) // M.A.U. Club

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Die Beachboys zu Gast: REC Piranhas – EHC Timmendorfer Strand // Eishalle Rostock

05

Curse // M.A.U. Club

05

Neonschwarz // Helgas Stadtpalast

06.02.15 bis 17.05.15

Prächtig vermessen. Mecklenburg auf Karten 1600 bis 1800 // Kulturhistorisches Museum

Januar

Februar

Februar

Februar

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Heinz Strunk // M.A.U. Club

13

Hundreds // Heiligen-Geist-Kirche

14

Max Prosa // Zwischenbau

02

We Were Promised Jetpacks // Helgas Stadtpalast

07

Donots // Peter-Weiss-Haus

07

It's Derby-Time: F.C. Hansa Rostock – Chemnitzer FC // Ostseestadion

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Laibach // M.A.U. Club

13

Kraftklub // StadtHalle

13

Lemur // JAZ

19

Antilopen Gang & Waving the Guns // Peter-Weiss-Haus

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J.B.O. // M.A.U. Club

Februar

Februar

Februar

März

März

März

März

März

März

März

März

Konzert Lustiges Ausstellung Sportlich

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Rostock in 100 Worten

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Foto: Hauke Ruge

Joachim „Jo“ Jastram prägt mit seiner Kunst seine Geburtsstadt. Wo würden wir uns treffen, wenn nicht am Pornobrunnen? Vielleicht an dem von ihm entworfenen Bronzerelief der Rostocker Altstadt, das im Jahr 2011 zum 793. Geburtstag der Stadt eingeweiht wurde. Jastram selbst erlebte seine Fertigstellung nicht mehr. Doch all das, was ihm wichtig erschien, ist im Maßstab 1:1000 deutlich dargestellt und mit einer Legende in Brailleschrift erklärt: die Petrikirche, das Rathaus, die Stadttore. Dazwischen kleine, lediglich angedeutete Häuser. Jedes Mal, wenn ich hier bin, fallen mir die überdimensionierten Menschen auf. Der Jo sah es vielleicht wie ich – die Menschen hier sind wichtiger als die Häuser.

In einem schicken, aber nicht zu übertriebenen Anzug gehe ich durch die große Produktionshalle der traditionsreichen Holtz‘schen Bleistiftwerke. Die fleißigen Arbeiterinnen und Arbeiter geben mir durch ein Lächeln zu verstehen, wie zufrieden sie mit ihrer Arbeit, ihrem Gehalt und ihren Arbeitszeiten sind. Die Bürotür des 175 Jahre alten Familienunternehmens steht immer offen. Offen für Fragen, Sorgen, Vorschläge. Zufrieden lehne ich mich in meinem Ledersessel zurück. Zu weit. Mit einem Ruck kippe ich nach hinten über. Ich erwache auf einem harten Stuhl, auf irgendeinem Flur, um die Unterschrift irgendeines Dozenten für irgendein Seminar zu erbetteln. Dieser Tagtraum verfolgt mich schon lange. Und jedes Mal wenn ich bei Studienplan, Prüfungsordnung und Hausarbeiten völlig die Orientierung verliere – nicht, dass es außerordentlich kompliziert wäre, ich verliere nur generell leicht die Orientierung – denke ich mich in diese einfache, geordnete, sichere Welt. Alles was du brauchst, lernst du von deinem Vater und bei einem Sortiment, das aus „seit 175 Jahren hochwertigsten“ Bleistiften besteht, ist Innovation eher Nebensache. Ich denke weiter. Nach einem Jahrzehnt im Büro wird es öde, nach einem weiteren ist die Kreativität verkümmert. Nach dreißig Jahren will ich den Betrieb wahrscheinlich nur noch verkaufen. Ich denke daran, wie schlimm es früher gewesen sein muss, nicht den eigenen Interessen, dem eigenen Herzen folgen zu können, nicht studieren zu dürfen, mit 20 den Familienbetrieb übernehmen zu müssen. Dann bin ich froh. Froh über die Möglichkeit an der Uni sein zu dürfen, jeden (zumindest jeden zweiten) Tag etwas zu lernen, das mich interessiert, herausgefordert zu werden und kreativ sein zu können. Und dann fällt mir wieder ein, dass mein Vater nur kratzige Druckbleistifte benutzt, dass es gar keine Holtz’schen Bleistiftwerke gibt und dass somit die Welt um einen chaotischen Chef ärmer ist. Und das ist gut so. Stephan Holtz träumt gern von Bleistiften.

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Malwieda Pegida Eigentlich sehr beruhigend in MV, oder? Während in Dresden eine unbeschreiblich heterogene Masse aus jungen Pärchen, RTL-Reportern und verbittert-spiessbürgerlichen Einsamkeiten einem Veranstalterteam nachläuft, das aus Menschen wie Lutz Bachmann und Kathrin Oertel besteht, macht es MVGIDA den Beobachtern leicht und versucht gar nicht erst zu verheimlichen, direkt von der NPD und deren Fussvolk getrieben zu sein. Da braucht man dann auch nicht zu differenzieren. Das nervt auch immer unglaublich: Denken und Perspektiven wechseln und abwägen - so ein Scheiss. Da das auch nicht Sache von PEGIDA und seinen Ablegern ist, hat man in MV beschlossen, dies den Gegnern ebenfalls nicht anzutun. Hier weiss man wenigstens, woran man ist. Oder man erspart uns den ganzen Firlefanz gleich, so wie in Rostock. „Ich bin ja kein Nazi, aber … ich sitze für sie im Landtag.“ Den Satz hat Tino Müller leider nicht gebracht. Dagegen hat sich die Fraktion aus dem Tal der Desillusionierten endlich geoutet: Der Südafrika-Flüchtling und PEGIDA-Initiator Lutz Bachmann zum Beispiel. Er hat für ein Facebookfoto Guido Knopp gefragt, ob der ihm die Nummer von Hitlers Friseur und Barbier besorge und vom Ergebnis fröhlich ein Bild hochgeladen. Zusätzlich scheint er von so vielen inneren Persönlichkeiten geplagt, dass alle ein eigenes Profil im sozialen Netzwerk bekommen wollten. Jetzt ist er zurückgetreten, als die „Lügenpresse“ über seine „Nutzvieh“-Beschimpfungen berichtet hat. Wie können die nur! Und seine Busenfreundin Kathrin Oertel hat uns bei Günther Jauch gezeigt, dass nach der von ihr geäusserten Masse an oralen Exkrementen selbst ihre Augenbrauen keinen Bock mehr hatten und sich backstage schon mal über das Buffet hergemacht haben. Mir tut nur bei jeder Erwähnung ihres Namens der grösste DDR-Sportreporter leid, seinen Nachnamen mit ihr teilen zu müssen. Das hat der nun wirklich nicht verdient. Und solchen Menschen laufen zigtausend Bürgerinnen und Bürger fast jeden Montag (Der Sozialchauvinist fragt sich: Müssen die nicht arbeiten?) bei einem Spaziergang hinterher. Womöglich halten sie die beiden für Propheten. Ist PEGIDA etwa eine Religion? Der bedingungslose, zweifelsfreie Glaube an eine Sache, die es gar nicht gibt, und die Angst vor dem Jenseits scheinen dort ja die Hauptantriebe zu sein. Apropos Religion: Das „christlich-jüdische Abendland“ – die Jahrhunderte der Judengeisselung in Europa sprechen natürlich für ein auch jüdisch geprägtes Abendland – was ist das eigentlich für ein merkwürdig mittelalterliches Konstrukt? Kamen Maria und Josef nicht aus dem Nahen Osten, dem Morgenland? Man stelle sich vor, sie wären hierher geflohen: Jesus, immerhin der für die Sünden seiner Anhänger am Kreuz gestorbene Heiland, würde heutzutage abgewiesen, allein weil er mit Löchern in den Händen den „Herzlich Willkommen“-Fussabtreter vollbluten würde. Und das in einer deutschen Behörde. Kein Benehmen, diese langhaarigen Hippies!

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Mitheulen statt rumflennen! // Texte // Layout // Fotografie // Illustration // Redaktion // Lektorat // Anzeigen u. v. m.

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Das Studentenmagazin der Uni Rostock


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