heuler – das Studentenmagazin #96

Page 1

Web

heulermagazin.de

Heft 96 | kostenlos

Das Studentenmagazin der Uni Rostock

PROST NEUJAHR Absage 12 Presseprecher Dr. Vetter verr채t, warum die Uni nicht twittert

Absturz 20 Der ultimative heulerGl체hweintest

# Ansage 31 Der Bildungsminister verneint K체rzungen von Mitteln

05

2011



STARTSCHUSS

heuler 5 /2011

U

nverschlüsselt will uns die neue 30 Meter hohe Wegwerftanne auf dem Ulmencampus Folgendes sagen:

3

»Jungs. Ladys. Greenhorns. Emeriti. Es ist an der Zeit, sich zu besinnen. Es ist an der Zeit, sich auf die wahren

Urwerte unseres tausendjährigen Menschengeschlechts zu besinnen.«

Sie will aber vermutlich auch sagen: »Behandelt eure Bankkonten wie die Hooligans ihren Verein.« Wir sagen es euch: Beiden Weisheiten zu folgen, ist ein Drahtseilakt. Dennoch findet jeder seinen Weg, Weihnachten und Silvester mit bleibenden Erfahrungen zu füllen. Es

Gesa

sei hier aber auch angemerkt, dass wir schnell handeln müssen, liebe Leser. Denn dieses magische Feeling hält für gewöhnlich nicht lange an. Spätestens wenn wir alle kurz nach den Festtagen noch gemütlich neben dem geschmückten kleinen Bruder unserer Campus-Tanne zu Hause sitzen, Kaffee trinken, Weihnachtsplätzchen essen und uns die Klassiker der Musikgeschichte zu Gemüte führen oder uns noch über das neu begonnene Jahr und die noch vorhandenen Vorsätze

Alfonso

freuen, wird der sprechende Baum seine Lichterkette ablegen und sich in sein Sommerresort verabschieden. Doch bis dahin gibt es noch eine Menge zu erleben. Durchstöbert das Heft, kommt zu unserer

>>

redaktion@heulermagazin.de online@heulermagazin.de

Weihnachtsfeier am 14. Dezember 2011 in Helgas Stadtpalast und lest in unserem Making-of auf heulermagazin.de nach, wie unsere Weihnachtsausgabe entstanden ist. Viel Spaß dabei, lasst euch auf

LEGEIPSKCÜR

den Zauber ein! Happy Christmas und a Merry New Year.

Hört, hört: Immer wieder geisterte es in den letzten Monaten

droht, beschäftigt sich auch der StudentINNenrat intensiver

durch die Presselandschaft – durch den Wegfall von Zivil- und

mit der Angelegenheit und scheint zu der gleichen Ansicht

Wehrdienst sowie die doppelten Abiturjahrgänge würde

gekommen zu sein. Endgültig entschieden wird über das Thema

es in diesem Jahr Massen an neuen Studenten geben, die

»Gehaltserhöhung« im Rahmen der Haushaltsdebatte, bei

Hörsäle sollten maßlos überfüllt sein und überhaupt sei es fast

der möglicherweise über die Erhöhung der Semesterbeiträge

unmöglich, einen Studienplatz zu bekommen. Die vorläufigen

entschieden werden könnte.

Zahlen für die Universität Rostock sind weniger pessimistisch: Im Vergleich zum Vorjahr haben wir insgesamt weniger als 100

Unerhört: Der heuler muss, bevor er in den Druck geht, von

Kommilitonen mehr; die Einschreibezahlen von Sommer- und

einem Vertreter unseres Herausgebers gegengelesen werden,

Wintersemester zusammen zeigen, dass nur etwa 300 Studi-

der uns rechtliche Hinweise gibt, da er im Zweifel die Haftung

enanfänger mehr eingeschrieben sind. Und mal ganz ehrlich:

übernimmt. Alles gut und schön – spannend wird es, wenn

Wer saß in Vorlesungen nicht schon mal auf der Treppe? Das ist

persönliche Meinungen die Entscheidungen beeinflussen. So

doch nichts Neues.

geschehen bei der Erstellung der letzten Ausgabe des heuler, als der damalige Vorsitzende des Allgemeinen Studieren-

Erhört: Schon seit Längerem fordern einzelne Mitarbeiter und

denausschusses mit einzelnen Darstellungen persönlich nicht

Referenten des Rostocker Allgemeinen Studierendenausschusses

konform ging und uns den Druck kurzerhand zu verbieten

eine fairere (und damit höhere) Bezahlung ihrer Posten. Seitdem

versuchte. Ein Unding, finden wir und lassen uns von so etwas

nun der ehemalige Referent Paul Wutschke mit einer Klage

nicht entmutigen.


INHALTSVERZEICHNIS Foto: Michael Schultz

heuler 5/2011

4

»Es wird weniger Stellen geben«

UNIVERSITÄT

Namhaftes »Taschenbuch«

07

08

09

Pro / Contra

10

Serie Einmal durchs Examen

11

Fidi wird Lehrerin, Teil II

Interview mit dem Pressesprecher zur Strategie im Netz

Uni-Fakten ... zur Universitätsbibliothek

18

Klodex

19

Verhaltensregeln fürs Männerklo

12

Mathias Brodkorb im Interview

Hochschulen in Finnland

33

Interkultureller Garten

34

Konsumtrott

35

Kritischer Stadtrundgang

20

31

Arbeiterkind e. V.

36

22

Mauer im Kopf

36

Santa Claus im Schoko-Test

24

PSA-News

37

Achilles Verse

37

»Tagesbuch«

26

Maskiert?

38

Der große Glühweintest

Auf ein Neues! Ideen für Kreativ-Geschenke

einer Ausländerin

14

Bildung in MV

Stilles Potenzial

Der radelnde Rotkohl

Merry Glühwein

Wissenschaftsserie

Uni online

17

Wie man den eigenen Drahtesel vor Diebstahl schützt

Englisch für Naturwissenschaftler

Meuß und heuslin

Plötzlich ohne Fahrrad

KULTUR

POLITISCHES

STUDENTENLEBEN

Lieder für die Kirche und zum Feiern

Do you speak scientific?

31

Kippis! Reisebericht aus Helsinki

Klischees unter Studenten

Interview mit Klaus Norbert

28

PoBi-Termine

39

Tanzmusik Zappeln da Kommunisten?

Siez dich! Smich gehen jetzt

Kultur und Film Entschärftes Remake

Solokünstler Alleine bist du nichts

Schwarz auf weiß

41 42 42 43 44

Interview mit Steffen Dürre

Geschmackspolizei

46

Postskriptum

50

Comic

50

Impressum

50 51

Rätsel


Foto: Maximilian Berthold


Grafik: Michael Schultz

UNIVERSITÄT

6 Web Web

www.heulermagazin.de/universitaet

Mach dir ‘ne Dose auf und sauf! Gesa, Ressortleiterin

Diesmal berichten wir für unsere Bücherwürmer direkt aus der Bibliothek: Während wir noch interessante Gegebenheiten aus der Bibo sammelten, vernetzten wir uns über die Social Media mit Freunden und Institutionen. Aber wie steht eigentlich unsere Uni dazu? Aller digitalen Schummelmittel entledigt fragten wir bei Ulrich Vetter nach. Ganz nebenbei haben wir noch ein bedeutendes Buch mit sakralen und Feierliedern gefunden. Kirche ist nicht vönnöten – also trinkt und singt!


Keine

Warnemünde-Tour ohne das

Rostocker Liederbuch

Kleines Buch – große Wirkung? Eine gefühlte Ewigkeit konnte Norddeutschland lediglich mit den Schultern zucken, während man sich im Süden und Südwesten mit mittelalterlichen Literaturmonumenten wie dem Nibelungenlied in die Brust warf. Nun sprachen wir mit Prof. Franz-Josef Holznagel vom Institut für Germanistik und Prof. Hartmut Möller von der Hochschule für Musik und Theater über unseren »eigenen« Schatz – das Rostocker Liederbuch, von dem zurzeit eine Neuedition erarbeitet wird.

Prof. Franz-Josef Holznagel ist seit 2003 Professor für Germanistische Mediävistik an der Universität Rostock.

heuler: Welches ist Ihr Lieblingslied aus dem Rostocker Liederbuch? Herr Möller (M): Der Oswald von Wolkenstein ist natürlich ein absoluter Klassiker, »Wach auf, mein hort« war ja einer der Superhits des 15. Jahrhunderts. Oder auch Lieder wie die Nummer 1 »Scheyden, du scheyden, du vil sendighe not«: Das sind Tanzrhythmen, denen einfach ein Text dazugesetzt wurde – das finde ich bizarr, aber auch sehr lustig. Herr Holznagel (H): Ich finde neben dem Oswald die Doppelnummer 16 / 17 »In nemore viridi / De jungelin sprack« persönlich am interessantesten: Wahrscheinlich von ein und demselben Schreiber wurde zunächst eine lateinische Pastourelle verfasst, um diese dann auf ein deutsches Werbelied umzudichten. Daran erkennt man wunderbar, wie wirkungsmächtig Traditionen sind. M: Das wohl schönste Lied ist die Nummer 43 »Amor ist eyn lustlich walt«, ein tolles Liebeslied, das man auch heute als Folklied singen könnte. H: Die Nummer 37 »Woldestu yo min boleken wezen« ist eines der witzigsten – das wäre wunderbar für den Studentenkeller geeignet! (Lacht.) Wie sind Sie denn beide überhaupt zum Rostocker Liederbuch gekommen? M: Es liegt zunächst auf der Hand, wo wir doch so eine bedeutende Quelle hier in Rostock haben, und insbesondere

wenn man dann feststellt, wie viel Neues daran zu tun ist. Seminare, Projektideen und Anläufe zu einer Neuausgabe hat es bereits in den 90er-Jahren gegeben. H: Ich finde es sehr wichtig, als Hochschullehrer mit den Sachen zu arbeiten, die für den Ort, an dem man sich gerade zufällig befindet, typisch und kulturell bedeutsam sind. Ich engagiere mich gern regionalwissenschaftlich. Aber ohne Musikwissenschaftler und Musiker, das war mir immer klar, kann man so einen komplizierten Fall wie unser Liederbuch als Germanist nicht knacken. M: Und umgekehrt genauso. Metrische Analysen, Dialektfragen – in solchen Dingen hat ein Musikwissenschaftler im Alleingang nicht den Durchblick. Bedenkt man die enorme Bedeutung des Rostocker Liederbuchs – sollte dieses Werk nicht auch in die Leselisten von Universitäten aufgenommen werden? H: Mich hat ja keiner gefragt! (Lacht.) Das hängt natürlich davon ab, welchen kulturellen Wert man einem solchem Dokument beimisst. Wenn man sich für das Niederdeutsche interessiert, kommt man am Rostocker Liederbuch nicht vorbei; es ist das wichtigste Zeugnis im Bereich der niederdeutschen Liedlyrik. Das ist aber eher eine norddeutsche Angelegenheit. M: Aus der Perspektive der Hochschule für Musik und Theater ist das auch relevant. Für viele hier fängt die Musik buchstäblich bei Heinrich Schütz an und endet im späten 19. Jahrhundert. Das sind die Lehrinhalte, mit denen man sich hier überwiegend beschäftigt. Doch gerade anhand des Liederbuchs kann man den

Das Rostocker Liederbuch ist eine Kompilation von 60 niederdeutschen, hochdeutschen und lateinischen Liedern des Spätmittelalters, von denen etwa die Hälfte mit Melodien überliefert ist. Es entstand höchstwahrscheinlich Ende des 15. Jahrhunderts im norddeutschen Raum und hat die Größe eines Taschenbuchs (ca. 12 x 9 cm).

Der Fund der Blätter des Rostocker Liederbuchs gleicht einer Detektivgeschichte: Dr. Bruno Claussen, damals Bibliothekar, entdeckte eine Seite des Dokuments im beschädigten Einband eines anderen Buches und ließ daraufhin mehrere Bücher untersuchen und »sezieren«. Die so gefundenen 44 Blätter bilden das Rostocker Liederbuch.

Prof. Hartmut Möller unterrichtet an der Hochschule für Musik und Theater. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Musikgeschichte des Mittelalters.

7


Aufgrund seiner Vielfalt an Genres und Melodien sowie einer bemerkenswerten Mischung aus religiösen und weltlichen Texten zählt es zu den bedeutendsten Zeugnissen der niederdeutschen Kultur des Mittelalters überhaupt.

8

Mehr Informationen zur Handschrift und zum Editionsprojekt unter rostocker-liederbuch.de. Ein Gesprächskonzert zum Rostocker Liederbuch findet am 24. Januar 2012 um 20 Uhr im Orgelsaal der Hochschule für Musik und Theater statt. Alle Interessenten sind herzlich eingeladen!

Studierenden klarmachen, dass es auch ganz andere Musiken gibt als nur das akademische Repertoire, nämlich ein riesiges, über Jahrhunderte währendes Feld der Einstimmigkeit. Erstrebenswert wäre darüber hinaus, das Buch durch eine einfachere, bebilderte Ausgabe mit Melodien im Land bekannt zu machen. H: Keine Warnemünde-Tour ohne das Rostocker Liederbuch! (Lacht.) M: Bands werden wir dazu animieren, Metal-Fassungen von ausgewählten Songs zu machen! (Lacht.) H: Es ist jedenfalls ernsthaft geplant, eine sogenannte Leseausgabe mit Texten und Melodien zu erstellen, die den Bedürfnissen und Interessen weiterer Publikumskreise entgegenkommt. Warum nun eine neue Edition? H: Erstmal muss man sagen, dass die alte Edition für ihre Zeit großartig ist. Sie ist nicht schlechter, sondern anders. M: Ohne die hätten wir auch gar nicht anfangen können zu arbeiten! Heute ist der Vorteil, dass man entsprechende Spezialisten und Hilfsmittel zur Hand hat. H: Wir haben inzwischen einfach einen anderen Blick auf das Buch. Die ältere Forschung hat im Rostocker Liederbuch in erster Linie ein regionales Dokument gesehen; un-

Do you speak

scientific?

Eigentlich müsste die Prüfungsanmeldung für das Erste Staatsexamen in den Lehramtsstudiengängen relativ einfach sein. Es gibt eine Studienordnung, nach der man sich richtet und die dann peu à peu abgearbeitet wird. Was aber, wenn diese Studienordnung durch bestimmte Fächerkombinationen nicht mehr aufzugehen scheint? Manchmal erinnert das Studium an alte Shows wie »Geh aufs Ganze!«: Es gibt drei Möglichkeiten und nur eine ist der Hauptgewinn, der die Zulassung zu den Prüfungen des Ersten Staatsexamens enthält. Mit diesem Problem sehen sich einige Lehramtsstudenten momentan konfrontiert. Für angehende Gymnasial-, Haupt- und Realschullehrer mit naturwissenschaftlichen Fächern ist die erfolgreiche Teilnahme an einem entsprechenden Fachsprachenkurs als obligatorisch verzeichnet. Dass dabei zwar alle modernen Fremdsprachen belegt werden dürfen, aber nur Englisch angeboten wird, ist hier noch das kleinste Übel. Haben die Studierenden eine Kombination aus Mathematik und einer Naturwissenschaft oder Informatik gewählt, stoßen sie auf die Grenzen der eindeutigen Informationsübertragung, da beide Studienordnungen je einen Kurs fordern. Nun gibt es allerdings zwei verschiedene Englischkurse: »Englisch für Lehramt Naturwissenschaften« und »Englisch für Lehramt

sere Zugriffsweise folgt einem neuen Paradigma, das eine Vernetzung mit einer internationalen Musik- und Textkultur des 15. Jahrhunderts offenlegt. In vielen Dingen sind wir mittlerweile auch deutlich schlauer. Wann kann man die Neuedition im Laden stehen sehen? H: Bis zum Universitätsjubiläum 2019 sollte es auf jeden Fall so weit sein. Wir haben aber schon eine ganze Menge zusammengetragen … Ich wage jetzt mal eine vorsichtige Prognose: 2014 kann man damit rechnen. Und wo geht man hin, wenn man das originale Rostocker Liederbuch als Student mal in den Händen halten möchte? H: Es liegt in der Sondersammlung der Universitätsbibliothek in der Altbettelmönchstraße. Wenn die Gruppe klein ist, kann man es auch in die Hand nehmen, wenn die üblichen konservatorischen Maßnahmen durchgeführt worden sind. Durch die Restaurierung ist es recht stabil, sodass man darin blättern kann. Vielen Dank für das Interview! Interview

ANNA HERMANN UND CHRISTOPH TRESKOW

Mathematik«. Ersterer gilt für die Fächer Biologie, Physik und Chemie, letzterer für Mathematik und Informatik. Was passiert dagegen, wenn man Biologie und Chemie studiert, für beide aber einen Fachsprachenkurs belegen muss? Reicht dann nur einer? Da nach Aussage von Petra Delf vom Lehrerprüfungsamt »ein Schein nicht zweimal abgerechnet werden kann«, müsste man eigentlich für beide Fächer jeweils einen Kurs nachweisen. Aus dieser Problematik ergeben sich nun drei Entscheidungsalternativen: Hinter Tor 1 verbirgt sich die Möglichkeit, zwei Kurse zu belegen. Je nach Fächerkombination dann entweder zweimal den gleichen oder aber denjenigen für Mathematik und den für Naturwissenschaften. Tor 2 beinhaltet die studentenfreundliche Variante: trotzdem einfach nur einen Kurs zu besuchen. Und Tor 3 sieht schließlich einen Fachsprachenkurs und – quasi zum Auffüllen – eine Ersatzveranstaltung aus dem anderen vertieft studierten Fach vor. Selbstverständlich gibt es für jedes Tor Verfechter. Frau Delf und Frau Dr. Evelyn Gaßmann vom Lehrerprüfungsamt entscheiden sich für das erste Tor; für das zweite die Fachschaften, das Sprachenzentrum sowie Frau Dr. Martina Fiedler, Studienfachberaterin des Instituts für Schulpädagogik und Ansprechpartnerin für das Lehramtsstudium; und für das dritte schließlich plädiert Friedel Melcher vom Lehrerprüfungsamt. Welches Tor soll nun ein Student wählen, wenn sich anscheinend nicht einmal die Mitarbeiter des Lehrerprüfungsamts einig sind? Kein Wunder also, dass in Bezug auf dieses Thema nur Verwirrung herrscht. Und hat man sich am Ende für das falsche Tor entschieden, bekommt man spätestens bei der Anmeldung zum Ersten Staatsexamen vielleicht nur eines: den Zonk. Text

ANNA HERMANN UND FELIX KASTEN


am Institut für Germanistik Weshalb schreiben wir heute nicht mehr »meuß«, sondern »Mäuse«? Und wie hat sich unsere jetzige Schreibung herausgebildet? – Fragen wie diese bewegen eine Gruppe von Linguistinnen und Linguisten, die am Institut für Germanistik die Geschichte der deutschen Orthographie erforschen. Von Petra Ewald und Anne Zastrow

Die Gestalt unserer geltenden deutschen Rechtschreibung wird durch unterschiedliche Faktoren bestimmt: Zum einen bildet die Orthographie lautliche Phänomene ab, was primär im Interesse des Schreibers liegt. Zum anderen reflektiert sie heute – vor allem im Dienste einer leichteren Lesbarkeit geschriebener Texte – Bedeutungsmerkmale von Textbausteinen und trägt daher Züge, die sich lautlich nicht erklären lassen; dazu gehören neben der Großschreibung, der Getrennt- und Zusammenschreibung sowie der Interpunktion auch Schreibungen, die wir morphematische nennen: Die kleinsten bedeutungstragenden Bausteine der Sprache, die Morpheme, werden graphisch weitgehend konstant gehalten, um ihre Wiedererkennung im Text zu befördern. So schreiben wir zum Beispiel ä oder äu, wenn eine Form mit a oder au zugrunde liegt, also Mäuse wegen Maus und Häuslein wegen Haus − nicht meuß und heuslin wie noch im rechts abgebildeten Text aus dem Jahre 1531. Die zum Teil gravierenden Unterschiede zwischen unserer heutigen und der früheren Art zu schreiben weisen die Geschichte der Orthographie als außerordentlich komplexes, ergiebiges Forschungsfeld aus, dessen Bearbeitung auch Aufschlüsse über allgemeine gesellschaftliche Bedürfnisse im Umgang mit der Orthographie verspricht. Die einschlägigen Rostocker Untersuchungen zeichnen sich durch ein zweisträngiges Design aus. Dieses erfordert zwar einen beträchtlichen Zeitaufwand, gestattet es aber, orthographische Entwicklungen nicht nur präzise zu beschreiben, sondern auch im Hinblick auf ihre Auslöser zu erklären. Analysiert wird jeweils einerseits − zur Erfassung der Norm − ein umfangreiches, denkbare Einflussgrößen berücksichtigendes Korpus geschriebener beziehungsweise gedruckter Texte, andererseits die zeitgenössische Rechtschreibregelung, die Normkodifizierung. Der Vergleich der Befunde lässt etwa Aussagen darüber zu, ob die festgestellten Veränderungen sich »selbstgesteuert« herausgebildet haben oder von außen (durch Anweisungen der Grammatiker) in die Orthographie hineingetragen wurden. Der Themenkreis »Orthographie« bildet seit Mitte der 1970er-Jahre einen Forschungsschwerpunkt der Rostocker Germanistik. Mit Beginn der 1990er-Jahre rückten orthographiehistorische Themen mehr und mehr in den Fokus. Zunächst widmeten sich zwei (gemeinsam mit Linguistinnen und Linguisten der Universität Bamberg bearbeitete) von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützte Projekte der zunehmenden graphischen Widerspiegelung von Bedeutung − durch Großschreibung (Projektleitung: Prof. Rolf Bergmann, Bamberg; Prof. Dieter Nerius, Rostock) sowie durch Schreibungselemente im Dienste

der Morphemerkennung (Projektleitung: Prof. Rolf Bergmann; Prof. Petra Ewald, Rostock). Gegenwärtig konzentrieren sich einschlägige Rostocker Arbeiten auf die Wiedergabe lautlicher Erscheinungen: Drei von Prof. Petra Ewald betreute Dissertationen beleuchten die (bislang gänzlich unerforschte) Entwicklung der Fremdwortschreibung und ihrer Regelung im 17., 18. und 19. Jahrhundert und gehen vor allem der Frage nach, welcherart Faktoren eine Angleichung an heimische Schreibungsregularitäten begünstigten beziehungsweise behinderten. Die Dissertation von Anne Zastrow M. A. zum 19. Jahrhundert ist bereits fertiggestellt und bietet eine Vielzahl interessanter Einzelbefunde. Angesichts der schwer durchschaubaren heutigen Regelung verwundert es nicht, dass sich auch für das 19. Jahrhundert keine allgemeine Aussage darüber treffen lässt, wie Fremdwörter generell geschrieben wurden. Von einer Entwicklung hin zu mehr Angleichungen waren zu dieser Zeit vornehmlich der Buchstabe c (Cabale f Kabale; Officier f Offizier) und die Endung -iren (marschiren f marschieren) betroffen. Dabei vollzog sich der Großteil der Veränderungen im letzten Drittel des Jahrhunderts, was eindeutig auf den zunehmenden Einfluss der Regelbücher zurückzuführen ist. Das dokumentiert zum Beispiel der rasante Anstieg assimilierter Schreibungen der Endung -ieren: 18001860 f 0,00 Prozent, 1890 f 33,33 Prozent, 1900 f 63,74 Prozent. Die Autoren der Regelwerke weiteten im Schreibgebrauch schon vorhandene, aber nicht flächendeckend durchgesetzte Assimilationsschreibungen aus. Diese sind demnach ein viel wichtigerer Faktor für die Durchsetzung weiterer Angleichungen als andere denkbare, auch im letzten Orthographie-Reformprozess vielfach diskutierte Einflussgrößen (zum Beispiel die Herkunftssprache oder der Entlehnungszeitpunkt). Mit diesem und vielen anderen Fragment aus: »Artliche künste mancherley weise Detailbefunden beleuchtet die Arbeit nicht nur einen Teil Dinten vnd aller hand Farben zubereiten […]«, Erfurt 1531.

Foto: Rob Owen-Wahl / sxc.hu

WISSENSCHAFTSSERIE

Meuß und heuslin

9


Petra Ewald ist seit 1998 Professorin an der Universität Rostock im Bereich Germanistische Sprachwissenschaft und forscht dort unter anderem zur Geschichte der deutschen Orthographie.

PRO&

CONTRA Orthographie Sprache ist demokratisch. Was der Volksmund will, geschehe. Aber redet der nicht einfach nur Unsinn?

Anne Zastrow M. A. arbeitet seit 2006 am Institut für Germanistik und hat gerade ihre Dissertation zum Thema »Fremdwortschreibung von 1800 bis 1901« geschrieben.

PRO

CONTRA

Neulich im Rostocker Zoo: »Komm Jacqueline, wir gehen zu die Eisbären!« Anscheinend ist nicht nur der Dativ dem Genitiv sein Feind, auch wird der Dativ wird wohl allmählich vom Nominativ abgelöst. Vielleicht besteht die deutsche Sprache irgendwann nur noch aus zwei Kasus, oder eher Kasussen, wenn selbst schon im Duden die Pluralformen Kaktusse, Atlasse und Kommas akzeptiert werden. Was einige Germanisten als Sprachwandel von unten bezeichnen, grenzt für mich eher an Sprachvergewaltigung. Klar, die deutsche Grammatik ist schwierig, vor allem für Nicht-Muttersprachler. Ist nun die Schreibweise »zugrunde gehen« oder »zu Grunde gehen« richtig? Oder sogar beides? Warum heißt es eigentlich »Pärchen« und nicht »Päärchen«, obwohl doch das Paar einen Doppelvokal aufweist? Abgesehen von diesen und ähnlichen Zweifels- und Problemfällen sollte man aber zumindest davon ausgehen können, dass Wörter richtig dekliniert und konjugiert werden. Und wenn man schon Fremdwörter benutzt, dann doch bitte mit der richtigen Pluralform. Daher wäre mehr und vor allem besserer Grammatikunterricht wünschenswert! Anderenfalls wird man bald in den orthographischen Regelwerken lesen können: »Das Einzige ist steigerungsfähig.«

Liebe BauchnabelInnen und BauchnabelAußen, heute gehe ich wieder in die Phil Fak. Ich habe dienstags Fiel Fak, mittwochs Viel Fak, eigentlich habe ich die ganze Woche über Phiel Vuck. Ich glaube, ich brauche einen Eisbeutel, nach so Fil Fucq. Aber zum Glück bin ich nicht allein: Hunderte von Kommilitonen und -tannen haben in just diesem Augenblick Viel Fuck. Einige von uns beschäftigen sich mit Grammatik: Buchstaben, Sätze, Finnland – alles, was von links nach rechts geht! Aber welche davon sind grammattisch und welche grammspartanisch? Auch GenderfragInnen werden von uns untersucht. Nehmen wir das sogenannte OxfordKomma. Romanisten forderten kürzlich in einer linguistischen Tagung in Wiesbaden die Einführung des »Oxford-Kommo«. Ihre Psychologen rieten ihnen nämlich dazu, weil das »o« am Wortende ihre Männlichkeit potenziere und ihre Ehen rette. Das »Oxford-Commo« ist laut aktuellem Forschungsstand jenes Phänomen, das auftritt, wenn man sich gerade in Oxford befindet und etwas gefragt wird. »¿Cómo?« Die meisten Männer, die etwas mit Fiel Fakk machen, sind übrigens sehr tolerant. Sie schauen Frauensport. Sie finden nämlich die Frauen beim Fußball auch arg-traktiv. Diese Beine, Freunde, ordentlich Traktion! Und genau deswegen bin ich für eine Phil Faqq mit ohne Orthographie. Weniger Arbeit. Heißer Tipp: Hütet euch vor dem Björn-Out und geht heute Sean etwas früher Penn.

Text Grafik: horizont.net

10

der Orthographiegeschichte, sondern ermöglicht auch eine fundiertere Bewertung bereits vorgenommener und auch künftiger Veränderungen der Regeln zur Fremdwortschreibung. Während sich die bisher angesprochenen Untersuchungen jeweils mit gedruckten Texten beschäftigen, setzt Prof. Ursula Götz sich mit den orthographischen Unterschieden zwischen diesen und handschriftlichen Texten auseinander. Wie erste Probeauswertungen

zur Worttrennung am Zeilenende ergeben haben, kann man nicht alle Unterschiede zwischen Handschrift und Druck mit der größeren »Fortschrittlichkeit« der Drucke erklären. Auch die Art der Textherstellung, die verschiedenen Überlieferungsträger und ähnliche mediale Unterschiede wirken sich auf die Orthographie aus. Insgesamt gilt für den hier vorgestellten Forschungsstrang, was der Grammatiker Justus Georg Schottel 1641 für das Erlernen der deutschen Sprache feststellte: Die Geheimnisse der Orthographiegeschichte lassen sich »mit nichten […] schlumpsweis aus dem gemeinen Wind erschnappe[n]«, sondern nur mit »viel Fleiß und Arbeit« entschlüsseln.

ANNA HERMANN

Text

ALFONSO MAESTRO


Foto: Mareike Götz

11

Fidi berichtet von ihrer Staatsexamenszeit.

»In drei Ausgaben bin ich Lehrerin!« Klappe, die zweite: Wie schon in der vergangenen heuler-Ausgabe gibt uns Lehramtsstudentin Fidi Einblicke in die aufregende Zeit ihrer letzten Uni-Monate. Das Ziel rückt immer näher, doch noch bleibt einiges durchzustehen. heuler: Seit unserem letzten Interview sind einige Wochen vergangen. Vor zwei Monaten trafen wir uns, kurz bevor du deine Staatsexamensarbeit abgegeben hattest. Ging bei der Abgabe alles gut? Fidi: Die Abgabe lief ausgezeichnet, ein herrliches Gefühl! Mit Freunden, die wie ich eine Arbeit geschrieben hatten, ging es zusammen ab nach Lichtenhagen, um die guten Werke beim Prüfungsamt einzureichen. Jeweils mit einer Sektflasche gewappnet genossen wir anschließend noch einen feuchtfröhlichen Vormittag … Beschäftigt dich das nahende Examen schon rigoros oder hält sich der Elan in Grenzen? Bislang dominiert schlichtweg das Organisieren dieses ganzen Prüfungsrummels: Sind auch wirklich alle Leistungsscheine an Bord? Welche Professoren sollen oder wollen überhaupt meine Prüfer werden? Themenabsprachen, Unterschriften-Schnitzeljagd und Anmeldeformulare im Überfluss. Glaubst du, man könnte den Studenten diesen Sprung erleichtern oder gehört der Krokodilkampf gar zur Examenszeit dazu? Gute Frage, schwierige Frage. Das Problem ist die Diskrepanz zwischen Uni und Lehrerprüfungsamt. Die Uni bildet uns Lehramtsstudenten zwar aus, aber letzt-

endlich liegt es in der Zuständigkeit des Lehrerprüfungsamtes, das Staats­examen anzunehmen. Eine Kluft, die man nicht selten schon im Studium zu spüren bekommt. Mit anderen Worten: Eine leichtere Anmeldung ist wohl nicht drin. Was wird nun in den nächsten Monaten bei dir geschehen? Erstens: Fidi befördert Mitte November alle Anmeldeformulare zum Prüfungsamt. Zweitens: Fidi wird sich mit ihrem Schreibtisch verschwören, fleißig und unglaublich motiviert an selbigem arbeiten … hoffentlich. Drittens: Fidi verlebt eine gesegnete Weihnacht. Viertens: Alle Nerven bleiben hübsch bei Fidi und verlassen sie bitte nicht vor dem Prüfungsbeginn im Februar. An dieser Stelle ein herziger Gruß an meine Liebsten in Rostock: Haltet gute Worte und Schokolade bereit, ja? Vor dir liegt der Höhepunkt deines Studiums: Hast du Angst? Treffer und versenkt. Noch Fragen? Alles klar. Fidi, wir wünschen dir alles erdenklich Gute und frohe Weihnachten! Text

MAREIKE GÖTZ


Grafik: Michael Schultz

Die

12

Alma Mater twittert nicht

Im Sommer 2009 segnete der alte Webauftritt der Uni das Zeitliche. Vieles wurde entschlackt, Neues entwickelt, Altes einem Facelift unterzogen und der obligatorische Schritt in die Social Networks vollzogen. Der heuler sprach mit Dr. Ulrich Vetter, Leiter im Bereich Presse und Kommunikation der Universität Rostock, über Erreichtes, Geplantes und die Bereitschaft, das Ruder auch mal bewusst aus der Hand zu geben. heuler: Herr Dr. Vetter, die Umstellung auf das neue Corporate Design scheint im Internet nahezu abgeschlossen zu sein. Auch auf Facebook und YouTube mischt die Universität mit. Wie zufrieden sind Sie mit dem bisher Erreichten? Dr. Vetter: Unsere Onlinepräsenz ist ein wichtiger Faktor für die Universität. 90 Prozent der Erstkontakte von Studieninteressierten finden über die Website statt – kein anderes Medium ist daher so wichtig für uns. Wir stehen momentan ganz gut da, haben unsere Hausaufgaben gemacht und können zufrieden sein. Jetzt müssen wir an die Feinarbeit und nachjustieren. Noch immer gibt es zahlreiche Unterseiten, auf denen das Corporate Design nicht angekommen ist. Die Websites der Fakultäten sind komplett umgestellt, in den meisten Fällen sind wir schon weit in die nachgelagerten Ebenen vorgedrungen, was nach der vergleichsweise kurzen Zeit sehr gut ist. Die Einhaltung des Corporate Designs ist für jeden Außenauftritt entscheidend. Allerdings können wir nicht einfach einen Schalter umlegen. Die Theologische Fakultät beispielsweise hat kurz vor unserer Umstellung auf das neue Design ihren Webauftritt aufwendig umgestellt. Da ist es verständlich, dass man nicht gleich wieder etwas Neues möchte. Dennoch war es uns wichtig, das neue Design bereits im Sommer 2009 zu starten, um zu zeigen, dass es uns ernst damit ist.

Die Homepage hat sich seither nur dezent verändert. Ist die Entwicklung bereits abgeschlossen? Nein, das ist sie nicht. Das Hauptmenü haben wir gerade erst neu strukturiert, klarere Zuordnungen getroffen und vor allem die wesentlichen Bereiche herausgestellt: Forschung und Studium. Die Website ist so, wie wir sie wollten: übersichtlich, hanseatisch, klar, sachlich, serviceorientiert. In der Woche verzeichnen wir mehr als 2,3 Millionen Besuche auf unseren Seiten. An der Onlinepräsenz zu arbeiten, sie zu verbessern, ist eine ständige Aufgabe und Herausforderung. Bis Ende 2012 werden wir die einzige Universität in Deutschland sein, welche die wichtigsten Inhalte ihrer Website auf Spanisch, Französisch, Polnisch, Chinesisch, Indisch und Russisch anbietet. Die Universität beschäftigt nur einen einzigen Online-Redakteur. Ist solch ein ehrgeiziges Projekt damit überhaupt umsetzbar? Ja, weil wir mit dem IT- und Medienzentrum einen starken Verbündeten haben. Wir wollen junge Menschen weltweit in ihrer Muttersprache ansprechen, ihnen so die wesentlichen Informationen über die Universität Rostock vermitteln. Das ist mehr als nur eine Geste. Damit zeigen wir Weltoffenheit. Der Aktualisierungsaufwand ist bei diesen speziellen Websites sehr niedrig, da es sich um Basisinformationen handelt, die sich nicht so schnell ändern. Wir werden das bis Ende 2012 abgeschlossen haben.


Die Twitter-Lücke im Portfolio wurde kurzerhand von Studenten übernommen. Wie tolerant geht die Universität mit diesen Eigeninitiativen um? Das Wesen der Social Media ist Offenheit und Unabhängigkeit. Jeder geht auf den Onlinemarkt, wie er es für richtig hält. Wir finden es gut, wenn man uns als wichtig genug einschätzt, einen Twitter-Channel einzurichten. Man redet – hoffentlich gut – über uns, das bringt uns ins Gespräch und kann ein Marketingvorteil sein. Dabei ist es nicht wichtig, ob der Channel von einem Angestellten im Referat Presse und Kommunikation oder von einer Studentin oder einem Studenten unterhalten wird. Auch auf Facebook gibt es seit Langem eine inoffizielle Seite der Uni. Wo sehen Sie da Regulierungsbedarf? Es gibt keinen Steuermann – das ist der Grundcharakter der Social Media. Solange keine Unwahrheiten oder Verleumdungen über die Universität verbreitet werden, müssen wir nicht eingreifen, wenn Studierende in unserem Namen Inhalte erstellen. Anders sieht es bei der Verwendung unseres geschützten Logos aus: Das darf nicht jeder benutzen, wie er will. Trotzdem wäre ein einziger Auftritt der Universität bei Facebook natürlich vorteilhafter. Wir sind gerne bereit, beide Facebook-Seiten miteinander zu verschmelzen. Wenn die studentischen Macher das ebenso sehen, sollten wir es einfach tun. Die offizielle Facebook-Seite wird übrigens vor allem von Studierenden, den »Campus-Spezialisten«, bedient. Sie geben damit einen guten Teil der Kommunikation und zugleich auch Marketingarbeit an andere Stellen ab. Nein, was wir hier scheinbar abgeben, ist im Web 2.0 ohnehin nicht zu verhindern. Es ist überdies kein Beinbruch, nicht alle Kanäle selbst steuern zu können. Unsere Stelle für Presse und Kommunikation ist viel zu klein, um das rund um die Uhr leisten zu können. Wir überlassen die Kommunikation im Falle von Social Media gern auch anderen. Eines allerdings werden wir niemals aus der Hand geben: Das ist die fundierte Kommunikation über die Leistungen der Universität in Forschung und Studium, über Ziele und Strategien der Alma Mater. Dafür sind die klassischen Medien unverzichtbar und von entscheidender Bedeutung. Über Branchendienste, Presseagenturen und direkte Medienarbeit erreichen wir die Meinungsmacher sehr gut. Ich sehe die Social Media zurzeit als

»Pressemitteilungen über Facebook zu verbreiten, halte ich jedenfalls für einen Witz« interessantes Zusatzangebot. Gezieltes Marketing kann man übrigens niemals abtreten. Das muss man immer selbst in der Hand behalten. Welche Strategie wird die Universität in den sozialen Netzwerken zukünftig verfolgen? Gibt es einen Plan für das Web 2.0? Die Botschaft lautet: Wir sehen uns alles an und werden unsere Aktivitäten auch in den Social Media weiter ausbauen. Im Internet bleibt unsere Kernaufgabe allerdings eine überzeugende, sachliche und schnell abrufbare Information über Angebote, Leistungen und Selbstverständnis der Universität. Letzten Endes liefern die Webseiten alle wichtigen Inhalte und Antworten auf konkrete Fragen. Jeder Studieninteressierte, der über die Social Media auf uns aufmerksam geworden ist, landet irgendwann auf unseren Seiten. Die Social Media können einen Erstkontakt herstellen, den Rest – und der ist wesentlich – müssen unsere eigenen Webseiten leisten. Inwiefern wollen Sie dabei auf Studenten zurückgreifen, die in diesen Themen die Uni unterstützen wollen? Mit den »Campus-Spezialisten« tun wir das ja bereits. Studentische Mitarbeit wird gerade in den Social Media immer nötig und willkommen sein. Pressemitteilungen über Facebook zu verbreiten, wie einige Universitäten das machen, halte ich jedenfalls für einen Witz. Vielen Dank für das Gespräch! Interview

GESA RÖMER UND MICHAEL SCHULTZ

13 Illustration: Hannes Falke

Arbeit wartet auch bei den Social Networks. Bislang gibt es offiziell nur einen YouTube-Channel und eine Facebook-Seite. Twitter gehört nicht zum Repertoire der Alma Mater. Man muss auch im Web 2.0 nicht alles machen, was möglich ist. Das Internet ist zwar auf lange Sicht das bedeutendste Kommunikationsmedium, allerdings sollte die Auswahl der Kanäle, über die man kommuniziert, nicht beliebig sein. Einen Twitter-Channel nutzen wir nicht, weil wir derzeit keine Notwendigkeit dazu sehen. Das kann sich im Laufe der Zeit natürlich ändern.


1001 Uni-Fakten Wissenswertes zur Universität – dieses Mal: die Uni-Bibliothek! Mit bestem Dank an Dr. Robert Zepf, Sylvia Sabiech und das Team der Universitätsbibliothek Rostock (UB).

14

100 km Strom- und Datenkabel wurden beim Neubau der Bereichsbibliothek Südstadt verlegt.

3.000 m²

1.159 Nutzer-Arbeitsplätze hatte die UB Anfang 2011.

1569 wurde die UB als Bibliothek der Philosophischen Fakultät gegründet – sie ist damit eine der ältesten wissenschaftlichen Bibliotheken Norddeutschlands. Das erste Buch, eine griechische Platon-Ausgabe, stiftete der Dekan Nathan Chytraeus (1543–1598).

In der Bereichsbibliothek Südstadt verteilt eine Buchförderanlage die Bücherkästen zwischen dem Erdgeschoss und dem 3. Obergeschoss.

der Südstadt-Bibliothek sind UV-verglast.

7116061000338 lautet das Kassenzeichen für jeden, der Pate eines Buches werden will.

Über 1,3 Millionen Mal jährlich werden Medien der Universitätsbibliothek entliehen.

2010 wurden 530.061-mal Medien entliehen – im Schnitt trug jeder Nutzer 22,9 Titel mit nach Hause.

Rostock war vom 15. bis 17. Jahrhundert einer der bedeutendsten Druckorte Norddeutschlands.

Mehr als zwei Drittel des jährlichen Etats werden für neue Bücher und elektronische Ressourcen wie Datenbanken, elektronische Zeitschriften und E-Books verwendet.


37.910 Studieren bis zur Geisterstunde: Die Südstadtbibliothek ist 101 Stunden pro Woche geöffnet. Für jeden Hochschulangehörigen konnten 2010 im Schnitt 193 € für die Beschaffung von Medien und E-Ressourcen aufgewendet werden – Rostock liegt damit als Universität ziemlich genau im Mittelfeld.

Seit 1912 wird an einem Neubau für die UB in der Baulücke am UniPlatz gearbeitet: Als erster Bauabschnitt wurde 1939 der Bücherspeicher für 620.000 Bände fertiggestellt.

Die Freitreppe in der Bereichsbibliothek Südstadt hat 94 »Stufen zum Wissen« und erstreckt sich über vier Etagen.

laufende Meter Buchstellflächen gibt es in der Bereichsbibliothek Südstadt.

Ihren ersten Etat verdankte die UB der Großzügigkeit eines ehemaligen Studenten: 2.400 Gulden erbte sie vor genau 400 Jahren von Paulus Calenius, einem Rostocker Pfarrerssohn.

Die Universitätsbibliothek Rostock war nach dem Zweiten Weltkrieg die erste wissenschaftliche Bibliothek in Deutschland, die den Publikumsbetrieb wieder aufnahm.

In der Digitalen Bibliothek der Uni befinden sich momentan 796 elektronische Publikationen – davon sind 252 medizinische Dissertationen.

15

Das größte Buch der Universitätsbibliothek ist der Rostocker Atlas – er ist das drittgrößte Buch der Welt, hat eine Höhe von 1,66 m und aufgeschlagen eine Breite von 2,04 m. Die Universitätsbibliothek hat heute insgesamt 12 Standorte – der kleinste ist die Fachbibliothek für Volkskunde am Reifergraben mit etwas mehr als 12.000 Bänden.

Kloster – Druckerei – Zeughaus – Wollmagazin – Bibliothek: Das Michaeliskloster war im 16. Jahrhundert der höchste Wohn- und Zweckbau der Hansestadt Rostock. Text

GESA RÖMER


Foto: Maximilian Berthold

STUDENTENLEBEN

16 Web

heulermagazin.de/studentenleben

Alle Jahre wieder! Steffie, Ressortleiterin

Weihnachtsmarkt, Deko- und Kaufrausch, zusätzliche Pfunde dank reichhaltiger Speisen und kitschige Weihnachtsmusik. Für Anregungen im Geschenkestress sollen unsere Tipps für Selbstgemachtes sorgen. Warum ein Fahrrad dieses Jahr wieder auf manchem Wunschzettel stehen könnte, erfahrt ihr in unserem Fahrraddiebstahl-Report. Ansonsten genießt die Vorfreude und lasst euch durch unseren Glühwein- und Weihnachtsmanntest besinnlich stimmen.


Mit dem Rad zur Uni, zu Fuß zurück Tatort Fahrradständer: Jedes Jahr werden in Rostock Hunderte Fahrräder gestohlen. Mit dem Verlust des geliebten Drahtesels geht nicht nur der fahrbare Untersatz, sondern häufig auch ein Stück Persönlichkeit verloren. Wie lässt sich ein Fahrrad also besser schützen?

Das Fahrrad, liebstes Gefährt des Studenten, erfreut sich unter Langfingern großer Beliebtheit. Wie eine Statistik des Bundeskriminalamtes Rostock zeigt, wurden in der Hansestadt im vergangenen Jahr offiziell 1.583 Fahrräder geklaut. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Über die Hotspots des Fahrraddiebstahls ist dabei nur wenig bekannt. Gestohlen werden könne das Fahrrad nahezu allerorts, erklärt die Pressesprecherin der Rostocker Polizei, Yvonne Hanske: »Ob im Keller eines Wohnhauses abgestellt, am Bahnhof im Fahrradständer, in den Wohngebieten vor den Häusern, vor der Uni, am Strand ...« Eben überall und auch zu allen Tageszeiten. Die Klärung dieser Fälle sei schwierig, was auch an der geringen Aufklärungsquote abzulesen ist. 2010 konnten gerade einmal 99 Fahrraddiebstähle gelöst werden, das entspricht einer Aufklärungsquote von 6,3 Prozent. Immerhin eine Verbesserung zum Vorjahr, in dem lediglich 3,5 Prozent der über 1.800 Fahrraddiebstähle in Rostock enthüllt wurden. »Oftmals lassen sich aufgefundene beziehungsweise sichergestellte Räder oder Fahrradteile keiner bestimmten Straftat zuordnen. Das geht nur, wenn die Räder eine Individualnummer haben, die eindeutig auf den Eigentümer schließen lässt. Die Polizei empfiehlt deshalb auch die Codierung von Fahrrädern«, so Hanske. Solch eine Codierung wird von verschiedenen Fahrradhändlern – meist kostenpflichtig – und von der Rostocker Polizei im Rahmen von Präventionsveranstaltungen oder Aktionstagen angeboten. Die Methode ist zwar nicht unfehlbar (den Nummerncode abzufeilen ist keineswegs un-

möglich), jedoch erschwert sie den Weiterverkauf des Rads, was Diebe abschreckt. Wie aus der polizeilichen Kriminalstatistik 2009 hervorgeht, wird ein Großteil der geklauten Fahrräder durch organisierte Banden entwendet und dann ins Ausland weiterverkauft. Oft handelt es sich beim Fahrraddiebstahl aber auch um eine spontane Aktion. Etwa wenn der Kneipenbesuch mal wieder ausgeartet ist, man keine Lust hat, auf den Nachtbus zu warten – und dann lieber in Schlangenlinien ein fremdes Gefährt nach Hause entführt. Ein weiterer Trend in Sachen Fahrraddiebstahl ist die Demontage sämtlicher Einzelteile. Schnell ist mal eben der Sattel, die sündhaft teure ShimanoSpezialschaltung oder das ganze Hinterrad weg. Der Fantasie der »Fahrradschänder« sind dabei nur wenige Grenzen gesetzt, denn vieles lässt sich in Windeseile abbauen. Abhilfe könne hier zum Beispiel das »Pitlock«-System schaffen, verrät Claudia Dinse, ehrenamtliche Mitarbeiterin vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club e. V. in Rostock. »Pitlock« ist ein spezielles Verschlusssystem, bei welchem sich Schrauben nur mit einem spezifischen Schraubenschlüssel öffnen lassen. So dauert der Diebstahl wesentlich länger als bei Schnellspannern und Imbusverschlüssen. Text

ANTONIA WOLSCHON

So schützt du deinen Drahtesel vor Langfingern Das Fahrradschloss sollte einen Mindestwert von 10 Prozent des Fahrradkaufpreises haben, von einem seriösen Hersteller stammen und aus hochwertig gehärtetem Stahl bestehen. Am besten macht sich ein Bügelschloss mit dietrichsicherem Drehzylinder. Wenn du Teile mit Schnellspanner nicht immer abmontieren möchtest, sollten diese mit einem zusätzlichen Kettenschloss gesichert werden. Auch Abschließen will gelernt sein: Das Radel stets an unbeweglichen, massiven Gegenständen am Rahmen und zumindest am Hinterrad festmachen. Meide dunkle Gassen, Bahnhöfe und wenig befahrene Straßen. Am besten ist das Fahrrad in einem abschließbaren, trockenen Raum aufgehoben. Wenn nichts mehr geht, muss eben das WG-Zimmer herhalten. Lass dein Fahrrad codieren, das erschwert den Weiterverkauf und schreckt Diebe ab. Tipp für Abgebrühte und Pragmatiker: Einige Fahrradexperten schwören auf das sogenannte Boruttisieren, das heißt auf die bewusste Verunstaltung des eigenen Fahrrads, sodass es keiner mehr leiden mag. Noch ein billiges Schloss dazu und fertig ist die nicht mehr begehrenswerte Schrottscheese.

17


Tipps zur Fahrradversicherung

18

Wer eine Hausratversicherung hat, kann sein Fahrrad gegen einen Aufschlag mitversichern. Das lohnt sich vor allem, wenn die Zuzahlung für das Fahrrad nicht so groß ist und dein Gefährt einen nicht allzu großen Wert hat (bis 500 Euro). Wenn du keine Hausrat oder dein Fahrrad sehr wertvoll ist (ab 500 Euro), lohnt sich für dich eine spezielle Fahrradversicherung. Davon gibt es unterschiedliche Arten. Manche schützen dein Rad nur gegen Diebstahl und Vandalismus, bei anderen kannst du auch sämtliche Reparaturen mitversichern lassen. Achtung: Manche Hausratversicherungen oder Fahrradversicherungen gelten nicht, wenn das Fahrrad nachts draußen steht, oder zu bestimmten Uhrzeiten (zum Beispiel drei bis sechs Uhr morgens)! Damit die Versicherung gilt, brauchst du häufig ein Schloss mit gewisser Sicherheitsstufe. Frag bei Abschluss der Versicherung nach, welchen Wert dein Fahrradschloss haben muss.

Der radelnde Rotkohl Ein Fahrrad-Meisterdieb aus Stralsund brach Anfang der 1990er den Diebstahl-Rekord und rüstete die Ex-DDR-Jugend für die »Tour illégal de Stralsund« aus. Die Geschichte hinter einer Urban Legend. Wie finanziere ich illegalerweise mein Studium? Wie schaffe ich es, der legalen Tristesse einer Provinzstadt zu entfliehen? Was hat ein Rotkohl mit einem Rotfuchs gemeinsam? Nein, dies ist keine Anleitung dazu, »wie ich ein erfolgreicher Meisterdieb werden kann«, sondern es ist ein Ausflug in die abenteuerliche Gedankenwelt von Stralsunds wohl einzigem Fahrrad-Meisterdieb nach dem Untergang der DDR. Es ist die eigentümliche Geschichte von Rotkohl, des ewigen Zappelphilipps, Tausendsassas und notorischen Langfingers, vom ewig Reisenden, der die Welt vom Drahtesel aus erkundete, anstatt sich träge in einem Glasblechvehikel fortzubewegen. Als Anfang der 1990er-Jahre der Rote Stern vom kalten Himmel fiel und ein warmer Regenbogenstrahl die einst so trist dekorierten HO-Schaufenster wieder bunt erstrahlen ließ, Michael Jackson auf dem Zenit seiner Karriere den Moonwalk über den großen Ozean bis hin nach Bukarest tanzte und eine stolz flatternde Coca-Cola-Flagge den letzten Wind aus dem halbmastigen Hammer-, Zirkel- und Ährenkranz-Fähnchen pustete, da träumte auch ein Rotkohl von seiner abenteuerlichen Weltumrundung. Im Jahre 2004 hatten in Stralsund mehr Jugendliche ein Marken-Mountainbike oder ProfiRennrad von Cannondale, Rocky Mountain, Scott oder Specialized zu ihrem Eigentum erklärt, als die SportfahrradHersteller im Osten offiziell hätten verkaufen können. Zur Grundausstattung Rotkohls gehörten ein Imbusschlüssel-Set, ein Bolzenschneider (made in Germany), eine Feile (um die Nummer

zu entfernen), ein Nummern-Stanzer-Set und seine geschickten Hände, deren Finger so prankig waren, dass sie ohne Probleme die warme Linie eines Kontrabasses hätten zupfen können. Aber woher stammten die vielen Fahrräder? Wären sie von Stralsundern gewesen, hätte er dieses Spiel wohl kaum länger als zehn Jahre spielen können und sie hätten ihn irgendwann gelyncht. Nein, sein Ziel waren nichts ahnende, urlaubsfreudige Rügen-Touristen, die ihre Fahrräder oft naiv und leichtfertig sicherten. Ob in finsterer Nacht oder am helllichten Tag, in hektischer Menschenmenge oder in Totenstille, vorsichtig und schleichend wie ein (Rot-)Fuchs und anpassungsfähig wie ein Chamäleon montierte er mit Akribie das Zweiradgold von Autodächern oder Wohnwagen am nahe gelegenen Knieperwall. Er war ein durchaus gebildeter Typ, hatte das Abitur in der Tasche und absolvierte nach etwa zehn Jahren, mit einigen Unterbrechungen (hinter schwedischen Gardinen), erfolgreich sein BWLStudium in Greifswald. Heute sitzt er im offenen Vollzug der JVA Stralsund und erzählt nostalgisch mit schlitzäugigem Grinsen von seinen längst vergangenen goldenen Zeiten. Nebenher studiert er ambitioniert Maschinenbaubücher und schweißt sich imaginär sein erstes »Rotkohl«-AllrounderBike zusammen, mit dem er auch die letzte Hürde bewältigen kann, die hohen Zäune der Justiz, die ihn von seiner und unserer Welt trennen. Text

GABRIEL ALEXANDRO VOLKSDORF

* 21:30-22:00 mit Weihnachtsmann / ** frei, solange der Vorrat reicht


Klodex Grundregeln

Nutzungsregeln

1. Grußformeln aufs Nötigste reduzieren. Es wird nicht gesprochen! Es wird auch nicht gesummt, gepfiffen oder gesungen, geschweige denn telefoniert.

1. Betrittst du eine Toilette mit mehreren Pissoirs und es befindet sich schon eine Person an einem der Becken, dann stell dich an das Pissoir an der gegenüberliegenden Seite, mindestens an das über­ nächste. Unbedingt eins frei lassen! Dies resultiert aus der Erkenntnis des »Spritz-Radius«.

2. Augen am Pissoir immer geradeaus! Egal ob nach oben oder nach unten, deine Nase bildet eine Achse mit deinem Teil. Verringert die Fremdpenisentdeckungs­wahrscheinlichkeit. 3. Wenn du jemanden triffst, den du kennst: kein Händeschütteln. Nicht vor dem Pinkeln, nicht danach. Auch kein Schulterklopfen oder Umarmen. 4. Körpersprache auf ein Minimum reduzieren. Kein Mit-der-Hüfte-Wackeln, kein Mit-dem-Fuß-Wippen. Männlich wirken. Ruhig bleiben. 5. Händewaschen: wenn schon, dann richtig. Nicht nur zwei Sekunden Wasser drüber und abschütteln. Allerdings: Solange du dir nicht auf die Hände urinierst, kannst du es auch sein lassen. Im Ausland lacht man uns Deutsche dafür eh aus: »Haben die einen schmutzigen Penis?« 6. Alkohol ist keine Ausrede: Egal wie betrunken du bist, ungefragt aufs Gemächt zu starren, sich darzustellen oder Witze zu machen, gibt‘s nicht. Regeln sind Regeln. 7. Nicht furzen. Auch wenn du semirektal entspannt bist: Dafür geht man auf eine richtige Toilette. 8. Ordentlich abschütteln. Und zwar so, dass die eigene Hose und auch die vom Nebenmann trocken bleiben. 9. Spülen ist ein Muss. Keine Diskussion. Angst vor Keimen? Nimm den Ellenbogen. Da ist die Haut dicker. Und den nimmt man nicht in den Mund.

2. Wenn du eine Toilette betrittst, die leer ist und auf der drei Pissoirs vorhanden sind, musst du eins der äußeren benutzen, um dem Nächsten, der nach dir kommt, die Einhaltung von Punkt 1 zu ermöglichen. Hier am besten das Becken, an dem keiner hinter dir langlaufen muss. 3. Wenn es drei Pissoirs gibt und das mittige bereits besetzt ist (was einen klaren Regelverstoß darstellt – siehe Punkt 2), dann ist es erlaubt, das benachbarte Pissoir zu benutzen. Allerdings nur unter absoluter Einhaltung der Grundregeln 1 und 2. 4. Sind nur zwei Pissoirs vorhanden und eins ist bereits besetzt, darfst du dich dazustellen. Auch hier gilt die unbedingte Beachtung der Haupt­ regeln. Sollte es in diesem Fall zu eng sein, um den Nebenmann nicht berühren zu müssen, dann wird gewartet, bis genug Platz ist. Oder du gehst auf eine richtige Toilette. Wichtig hier: Tür zu.

Text

DIRK RAMTHOR

Illustration: Hannes Falke

Meist sind es ja Frauen, die gemeinsam auf die Toilette gehen. Doch verrichten diese den eigentlichen Akt des Ablassens von Verdauungsüberresten jede für sich allein. Nicht so Männer: Gehen allein aufs Klo, müssen sich dort aber den Platz am Pissoir mit anderen teilen. Dies birgt Risiken, denn nichts ist uncooler und gesellschaftlich ausschließender als falsches Benehmen am Verdauungstrakt. Es gilt daher, den Gang auf das Pissoir gut zu durchdenken.

19


Merry Glühwein! Für den heuler wagten sich einige trinkfeste Studenten auf den Rostocker Weihnachtsmarkt, um verschiedene Glühweinstände und vor allem ihr eigenes Trinkvermögen zu testen.

Saufen, Fressen und Ficken!

di Hütt‘n-Gau

Fotos (9): Madeline Estes

20

Am ersten Weihnachtsmarkt-Freitag versammelte sich eine Gruppe fleißiger Experten, um die wirklich wichtigen Dinge zu erforschen: Wie viel Glühwein verträgt ein Durchschnittsstudent an einem Abend? Und wo schmeckt der edle Tropfen am besten? Bereits von unserem Treffpunkt aus, dem Riesenrad, war die erste Forschungsstätte zu erkennen. An der »Après-Hütte« wurde die erste Runde eingeläutet. Nach den ersten Schlucken befanden wir den Glühwein für gut. Einem unserer Fachmänner fiel darüber hinaus die nette Bedienung auf, sodass schnell sogar Heiratspläne geschmiedet wurden. Um jedoch keine Zeit zu verlieren, ging es zügig zu Stand Nummer zwei. Der Name »Hütt‘n-Gaudi« klang bereits vielversprechend und auch der Bratapfel-Glühwein, mit einem dezenten Schuss Whiskey, konnte durchaus überzeugen. Der Geschmack erinnerte an Omas guten alten Apfelkuchen, obwohl diese Oma wohl eine Alkoholikerin mit besonderer Vorliebe für Whiskey hätte sein müssen.

Après-Hütte

Die Stimmung und der Promillewert der Experten stiegen stetig an, was deren Auffassungsvermögen tatsächlich nicht unerheblich beeinträchtigte. Deshalb sind die folgenden Bewertungen wohl weitaus positiver ausgefallen. Nach dem dritten Stand legten die ersten Mitwirkenden eine Pause ein, was wahrscheinlich daran lag, dass die freundliche Bedienung unsere Bestellung verwechselte hatte. Anstelle von Glühwein mit einem kleinen Schuss Amaretto gab es eher Amaretto mit einem kleinen Schuss Glühwein. In dem Maße, wie das Testen der nächsten drei Stände wie im Fluge voranging, entschwand auch unser Erinnerungsvermögen. Was wir aber noch sehr gut wissen: Sie wurden immer besser! Plötzlich näherte sich das Ende des Weihnachtsmarktes und wir bemerkten, dass wir nach drei Stunden immer noch am Riesenrad waren. Die anfangs getestete »Après-Hütte« konnte ihre ursprüngliche Beurteilung noch einmal deutlich verbessern, was wir uns im Rausch damit erklärten, dass innerhalb weniger Stunden eine komplett neue Geschäftsleitung für einen Riesenfortschritt in der Glühweinherstellung gesorgt haben musste. Wie konnte ein Glühwein so großartig schmecken?


ounge Glühwein L

Hüttenzauber

Am siebten und letzten Stand, der »Glühwein Lounge«, wurden die fleißigsten unserer Experten mit einer Nikolausmütze ausgezeichnet. (Eine Autorin dieses Textes bekam bedauerlicherweise keine, obwohl sie ebenfalls eine verdient hätte.) Nachdem auch der letzte Stand seine Türen geschlossen hatte, machte sich das gut gelaunte Team gemeinsam auf den Weg, um die Testergebnisse unter Ausschluss der Öffentlichkeit bei dem einen oder anderen Kaltgetränk zu diskutieren. Bei einer Sache waren sich alle einig: Der Test sollte (dem wissenschaftlichen Anspruch entsprechend) im nächsten Jahr auf jeden Fall wiederholt werden, um die Ergebnisse zu bestätigen. Nach einem sehr lustigen Abend mussten sämtliche Experten am folgenden Morgen (um 12:30 Uhr) erfahren, dass der Glühwein über ihre Körper gesiegt und ihnen einen ordentlichen Kater unter den Weihnachtsbaum gelegt hatte. Na dann, frohes Fest! Text

KARINA TRAUTMANN UND MADELINE ESTES

uv Rostocker Klönst

Nix geht mehr!

Glühweinstübchen


Weihnachten selbst gemacht

Die Anleitungen zur Herstellung unserer Geschenkideen findest du unter

>>

heulermagazin.de/?p=3165

22

Last-MinuteWeihnachtsschmuck

Schnapsbrenner Passend als Mitbringsel zum feiertäglichen Fressgelage oder auch als universelles, günstiges Massengeschenk: weihnachtlicher Schnaps – der Geschmacksvielfalt sind grundsätzlich keine Grenzen gesetzt, denn aus nahezu jeder Frucht und jedem Alkohol kann man Likör machen. Doch die wirklich außergewöhnlichen sind entweder sehr aufwendig zu produzieren oder benötigen eine längere Lagerzeit.

Der Tannenbaum ist gekauft, aber die ollen Kisten mit dem Baumschmuck sind wieder nicht auffindbar? Dann her mit Schrankrückwand und Laubsäge. Je nach Geschick, Zeit und Lust lassen sich so schnell einfache Baumanhänger heimwerkeln.

In der Weihnachtsbäckerei Nach einem Verdauungslikörchen lässt sich endlich wieder richtig schlemmen. Besonders weihnachtlich wird es mit selbst gemachten Weihnachtsmuffins. Wer es lieber aufwendig hat, kann sich an der Produktion von eigenen Pralinen versuchen.

Fotos: Inga Vollborn und Michael Schultz

Was schenken wir den Liebsten? Alle Jahre wieder stehen wir vor dem gleichen Problem: ls noch etwas leichter, aber was Bei der Familie oder engen Freunden fällt das ja oftma alles haben? Wir schlagen euch bekommen die Oma oder jene Menschen, die scheinbar Minute-Geschenke vor. fernab des Konsumrausches ein paar selbst gemachte Last-


23

Der Klassiker Besonders für Omas und Opas geeignet, aber auch Mutti und Vati freuen sich bestimmt immer noch über einen Fotokalender. Dennoch verträgt der Klassiker einen Neuanstrich: Denkt euch ein Motto für den Kalender aus! Hier schon einmal zwei Ideen: - Mein erstes Jahr an der Uni: ich in der Mensa, ich in der Bibliothek, ich in der Vorlesung, ich beim Lernen, … – Hauptsache es sieht nach Arbeit aus. - Mein erstes Jahr in Rostock: ich am Hafen, ich im Museum, ich im Theater, … Nur bitte keine Party-Fotos!

Kreative Bastelei Der nordische Volkssport Kubb kann nicht nur prima im Sommer draußen gespielt, sondern auch wunderbar im Winter drinnen vorbereitet werden. Also: Säge und Schmirgelpapier in die Hand und einfach nachbasteln. Um das lieb gewonnene Spiel transportieren zu können, näht man danach am besten auch noch den passenden Beutel.

Nachhaltiges Geschenk Du willst, dass der Beschenkte das ganze nächste Jahr an dich denken muss? Dann bastel ihm / ihr einen eigenen Terminplaner mit Fotos, Sprüchen, Zitaten und mehr. Je nachdem wie häufig das Opfer deiner gedenken soll, eignen sich Jahres-, Monats- oder gar Tagesplaner.


Gibt’s den auch in lecker? Oft passiert es schon im Spätsommer. Ganz unvermittelt stehen sie zu Hunderten in ihren Aluminium-Kleidern im Supermarktregal: Schokoweihnachtsmänner. Die Erscheinungsbilder sind vielfältig, ihre Mission ist jedoch stets die gleiche: gegessen werden – und zwar von euch. Damit beim Schlemmen nichts schiefgeht, liefert der heuler die harten Schoko-Fakten.

24

Das schokoladige Testfeld muss sich beim heuler beweisen.

Laut dem Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie wurden im Jahr 2010 rund eine Million Tonnen Schokoladenartikel produziert. Eine reichhaltige Auswahl sollte also vorhanden sein. Doch bereits bei der Beschaffung der Testkandidaten wartet die erste Enttäuschung: Gefüllte Festtagsfreuden wie der in den Vorjahren beliebte Smarties-Weihnachtsmann sind nicht aufzutreiben. Ganz schön hohl, aber nicht zu ändern. Im Dienste der Schoko-Wissenschaften landen im Testfeld schließlich fünf verschiedene Schokoladenprodukte von insgesamt vier Herstellern. Neben Markenwaren wie dem Schokoweihnachtsmann von Kinder (Gewicht: 55 Gramm), dem Milka-Schneemann sowie dem Milka-Weihnachtsmann (beide 60 Gramm) untersuchen wir Underdogs wie die REWE-Hausmarke (70 Gramm) und den Weihnachtsriesen der Confiserie Riegelein (Kampfgewicht: 150 Gramm).

Unsere Labortechniker verbarrikadieren sich in einem heuler-eigenen Versuchsraum direkt am Nordpol des Patriotischen Wegs. Eines können wir vorwegnehmen: Alle Weihnachtsmänner laden direkt zum Verzehr ein, bestechen durch optischen Glanz und zeitloses Design. Offenbar hat die Produktionsumstellung von Osterhasen auf Weihnachtsmänner auch in diesem Jahr problemlos geklappt. Wie aber steht es um die Qualität? Übersteht ein neu gepresster Osterhase winterliche Temperaturen ohne die Zugabe leistungssteigernder Substanzen wie beispielsweise Frostschutzmitteln? Zunächst einmal die Entwarnung: Von Ostern ist hier keine Spur! Als Erstes interessiert die Stoßfestigkeit des Schokoladenmaterials. Fallhöhen von 30, 100 und 150 Zentimetern sollen die Produkte aushalten. Dank modernster Werkstoffe in der Außenhülle eine lösbare Herausforderung, wie sich im Test zeigt. Lediglich der behäbige Milka-Weihnachtsmann erreicht früh den kakaoigen Knackpunkt und zieht sich schon aus einer Fallhöhe von 100 Zentimetern ernsthaftere Verletzungen zu. Sein Kollege vom gleichen Hersteller in Schneemann-Optik ist da viel resistenter. Selbst den Sturz aus 150 Zentimetern übersteht er mit kleiner Delle und müdem Lächeln. Auch der »Große« unter den Getesteten verkraftet den Sturz aus 150 Zentimetern mit lediglich leichtem Stabilitätsverlust seiner Außenhülle. Nun zum Schmelztest: Hier müssen sich die SchokoSantas als verzehrtauglich erweisen, ohne dabei die Extremitäten des Laborpersonals übermäßig zu schokoladisieren. In der Hand verhalten sich alle Probanden relativ gleich, nur der Milka-Weihnachtsmann zeigt


Fotos (3): Maximilian Berthold

Die Schoko-Kläuse mussten eingehendsten Überprüfungen standhalten.

deutlich mehr Ausdauer, bevor er klebrig wird. Am anderen Ende erreicht der Riegelein-Mann nur einen ausreichenden Wert, er hält mit 40 Sekunden nur etwa halb so lange durch wie die Konkurrenz von Milka. Auch einen kühlen Torso bewahren kann das Produkt von Kinder. Geschmacklich machen sich die Preisunterschiede im Testfeld dann aber doch bemerkbar: Der RiegeleinWeihnachtsmann kostet pro Kilogramm gerade einmal 3,90 Euro – und so schmeckt er auch. Stark erdnussig, künstlich säuerlich, ohne besonderen Schmelz. Allerdings kann der mit mehr als 19 Euro pro Kilogramm kostspieligste Weihnachtsmann ebenso wenig überzeugen: Der Milka-Schneemann – absurderweise teurer als der gleichschwere Weihnachtsmann aus gleichem Hause – ist zu süß, klebrig und wenig aufregend. Eine solide Geschmacksleistung liefert dagegen die Firma Kinder, deren Weihnachtsmann ein Überraschungsei in Weihnachtsmann-Form ist. Einen überraschend guten Eindruck macht auch der Schoko-Klaus der REWEEigenmarke. Noch günstig (11,20 Euro pro Kilogramm) und trotzdem lecker: typische Saisonschokolade. Man bekommt, was man erwartet. Am Ende bleibt eine Erkenntnis: So richtig gut sind die Weihnachtsmänner nur alle zusammen. Die im Laborversuch erreichte Transmutation aller Ingredienzien miteinander unter der Einwirkung eines Wasserbades und einer Kuchenform bringt das gewünschte Ergebnis. Selber machen schmeckt doch am besten. Text

MAXIMILIAN BERTHOLD UND MICHAEL SCHULTZ

So testet der heuler Alle Weihnachtsmänner werden von unserem Laborpersonal fachkundig auf ihre Eigenschaften untersucht. Dabei wird besonders beim Geschmackstest darauf geachtet, keinerlei verfälschende Aromen in den zarten Schmelz der Schokoladenprodukte zu mischen. Die Lösung: Mate-Spülung nach jedem Testlauf. Außerdem dient eine ausgeklügelte Augenmaß-Messung der Stabilitätsprüfung aus verschiedenen Fallhöhen (kleiner Bruder lässt fallen, Sturz vom Küchentisch, …). Den Schmelzpunkt ermitteln unsere Experten anhand der Abspaltung von Oberflächenpartikeln nach gleichförmiger Wärmezufuhr im HandTest. Schlussendlich werden Nährwert und Verpackung genauestens beurteilt, um eine Feinabstufung auch zwischen Milka-Schokoweihnachtsmann und MilkaSchokoschneemann gewährleisten zu können.

Hochkonzentrierte Wissenschaftler bei der Arbeit

25


Tagesbuch

einer Ausländerin

26

Hi, ich bin eine Austauschstudentin aus den USA. Das heißt, ich bin oft (eigentlich jeden Tag) in peinlichen oder merkwürdigen Situationen. Ich habe keine Ahnung, warum ich ein Tagesbuch halte, weil ich keine Lust darauf habe, diese Geschichten wieder zu erleben. Aber wenn ich diese Geschichten schon geschrieben habe, warum sollte ich sie nicht auch veröffentlichen?

L iebes Tagesbuch ,

L iebes Tagesbuch ,

heute war mein erster Tag in Rostock. Ich habe mich entschieden, einen Spaziergang zu machen, um meine Nachbarschaft zu erkunden. Ich habe entdeckt, dass es viele Haufen von Möbeln auf der Straße gibt. In einem Haufen habe ich einen großen Sessel gesehen, der perfekt in mein Schlafzimmer passen würde. Deshalb habe ich mich entschieden, ihn mit in meine Wohnung zu bringen. Erschöpft und verschwitzt von der Beförderung des Sessels zu meiner Wohnung und die Treppe hoch habe ich die Tür geöffnet. Meine neue Mitbewohnerin, die ich noch nicht getroffen hatte, war da. »Oh hallo! Ich bin deine neue Mitbewohnerin! Ich komme aus den USA und ich habe gerade diesen Sessel auf der Straße gefunden! Ist er nicht schön?« Rückblickend war mit einem Stuhl, den ich im Müll gefunden hatte, zu erscheinen, wahrscheinlich nicht der beste erste Eindruck. Aber es hat sich gelohnt, weil der Sessel so schön ist! Und er riecht auch gar nicht sooo schlecht.

heute hatte ich eine Stunde bei meinem Personal Trainer Björn. Er trug eine Sporthose und eine »Fitness First«-Windjacke, obwohl es bei »Fitness First« gar nicht windig ist. Er fing mit einigen Fragen an: »So, wo kommst du her? Aus den USA? Und du bist 23 ... und du hast schon deinen Uni-Abschluss gemacht? Ich war für ein Jahr in Nebraska. Ich habe dort einen Englisch-Literatur-Kurs besucht. Ich war der beste Student! Ich bin nicht der Beste in Englisch in Deutschland, aber da war ich es! Die anderen waren so faul und ignorant! Sie haben nie über die Autorenintention oder den Stil nachgedacht. Und sie waren so unwissend über Deutschland! Sie fragten: ‚Hast du eine Mikrowelle in Deutschland? Stehen überall Soldaten in Deutschland? Gibt es dort Farbe?‘ Das Einzige, das sie über Deutschland gewusst haben, war, dass die Autobahn keine Geschwindigkeitsbegrenzung hat und man hier mit 16 trinken darf. Sie sagten: ‚Ja! Deutschland! Lass uns nach Deutschland gehen und besoffen schnelle Autos fahren!‘ Versteh mich nicht falsch, es war das beste Jahr meines Lebens. Aber alle waren so ignorant! Warum sind die Menschen in den USA so ignorant?« »Du warst in Nebraska? Du weißt, Nebraska ist genau in der Mitte ... Die Leute müssen eine lange Strecke zurücklegen, um die nächste Kultur anzutreffen.« »Ja, aber Russland ist groß und die sind nicht so!« Ich zuckte mit den Schultern. »Es war nur eine Theorie.« »Na gut. Und was ist dein Cholesterinspiegel in Milligramm pro Deziliter?« »Ich weiß nicht.« »Haha! Das wissen die meisten nicht. Und nimmst du Medikamente?« Ich sagte ihm, das Einzige, das ich nehme, sind Vitamine. »Vitamine? Hast du schon mal von GEMÜSE gehört? Damals in Nebraska dachte ich, die Menschen hätten Angst vor Gemüse: ‚Was ist das? Warum ist es nicht abgepackt

L iebes Tagesbuch , in meiner WG gibt es einen Putzplan. Diese Woche war ich dran, die Wohnung zu putzen, und ich habe mit einem Freund darüber diskutiert, was ich tun muss. »Ja, ich glaube, ich muss staubsaugen und auch in der Küche wichsen ...« »Wie bitte?« »Ich muss in der Küche wichsen und auch im Bad.« »Tjaaa, ich denke, du verwechselt da was. Weißt du, was ‚wichsen’ bedeutet? Wahrscheinlich meinst du ‚wischen’.« Später habe ich die Liste überprüft. Mein Freund hatte recht. Das Wort war tatsächlich »wischen« und nicht »wichsen«. Schade.


Grafik: Michael Schultz

27

und schmeckt nicht wie Zucker? Warum ist es nicht gebraten? Und warum so bunt?‘« In sechs Monaten mache ich vielleicht wieder einen Termin bei Björn. Ich bin jetzt schon total neugierig, was ich von ihm alles über mich lernen kann. Hoffentlich ist er mit meinem Fortschritt zufrieden. Ich werde mein Bestes tun, um ihn und Amerika nicht im Stich zu lassen.

L iebes Tagesbuch , ich habe nicht wirklich geglaubt, es gäbe eine individuelle Dusche in der Umkleide hier, einfach weil es Deutschland ist. Ich habe nur gehofft, es würde eine geben. Ich habe vorher versucht, es mir einzureden, sodass ich den Mut hatte, in den Duschraum zu gehen. Aber leider: keine individuellen Duschen, keine Vorhänge. Nur ein großer kommunaler Duschraum, der, ähnlich wie der Rest der Frauenumkleide, voll von nackten Menschen war. Zum Glück habe ich vorherige Erfahrungen in deutschen Umkleiden und bin deswegen blind bezüglich schockierender oder störender Aspekte der menschlichen Anatomie. Nackt in Deutschland ist einfach nicht das gleiche nackt wie in den USA. Nackt in den USA gibt es nur aus der Notwendigkeit heraus. Aber in Deutschland scheint es, dass es den Leuten scheißegal ist. Sie spazieren rund um den Umkleideraum nackt, föhnen ihr Haar nackt, verreiben (großzügige Mengen) Bodylotion nackt ... was auch immer. Und das gilt nicht nur für die jungen, dünnen Menschen. Jeder nimmt teil. Alle Formen, alle Größen, alle Gewichte, alle Ebenen der Attraktivität. Ich konnte mich dann durchringen, mein Handtuch zu entfernen,

fünf Meter zu einer Eckdusche zu huschen, mich 30 Sekunden lang abzuwaschen, natürlich jeglichen Blickkontakt zu vermeiden und dann wieder zu meinem Tuch zu huschen.

L iebes Tagesbuch , ich habe Angst, Deutsche anzurufen, die ich nicht kenne. Ich habe auch Angst, Deutsche anzurufen, die ich kenne. Leider ist es manchmal notwendig. Heute musste ich eine Firma anrufen, um sie nach einem Praktikum zu fragen. In Vorbereitung habe ich ein Skript geschrieben, in dem ich erkläre, wer ich bin und warum ich anrufe. Ich habe es mehrmals allein in meinem Zimmer geübt, bevor ich den Mut zusammenhatte, die Telefonnummer anzuwählen. Ein Mann antwortete. »Hallo! Ich heiße Madeline und ich rufe an wegen eines Praktikums …« »You’re American, right?«, hat er mich auf Englisch unterbrochen. #Fail. Text

MADELINE ESTES


Illustration: Björn Giesecke / Fotos: Steffie Krauß

Einmal

Helsinki und zurück

Schon für rund 150 Euro kann man von Berlin nach Helsinki und zurück fliegen. Das und die Tatsache, eine gute Freundin in der finnischen Hauptstadt ansässig zu haben, beförderten meinen Entschluss zu einigen Urlaubstagen im hohen Norden. Rockmusik im Berghüttenambiente, püriertes Essen, ein ganz neuer Umgang mit Alkohol und einige Brocken Finnisch sind an Eindrücken nach einer Woche übrig geblieben. 28

Die finnische Sprache lernen? Man muss nicht gleich Finnisch lernen, um Helsinki einen Besuch abzustatten. Mit Englisch, aber auch Deutsch kommt man ziemlich weit. Im Fernseh- und Kinoprogramm läuft alles Nicht-Finnische im Original mit Untertiteln, sodass man, wenn man des Englischen einigermaßen mächtig ist, ganz nebenbei ein paar Worte der Landessprache lernen kann. Deutsche Serienhighlights mit den meisten Einschaltquoten sind laut meiner finnischen Bezugsquelle übrigens »Tatort« und überraschenderweise »Marienhof«. Die finnische Sprache selbst klingt echt lustig. Schade eigentlich, dass man an unserer Uni zwar Schwedisch, aber nicht Finnisch lernen kann.

anteeksi = Entschuldigung

Mumin Die von der Schriftstellerin Tove Jansson erfundenen nilpferdartigen Trollwesen sind nicht nur bei finnischen Kindern beliebt, auch die Erwachsenen kennen und lieben sie. Mittlerweile gibt es neun Bücher, die anfangs für Kinder gedacht waren. Die letzten vier sind jedoch aufgrund des psychologischen Dramencharakters eher für ältere Leser gedacht. In den zahlreichen Souvenirshops kann man vom Kaffeebecher über Handtücher bis hin zur Laptop-Tasche alles von ihnen kaufen – und zahlt dafür einen stattlichen Preis.

yksi, kaksi, kolme = eins, zwei, drei

kippis = prost kiitos = danke

»Vorschmack« und Oktoberfest Neben den typisch finnischen Piroggen (Kartoffel-Möhren-Gebäck) wollte ich unbedingt ein weiteres traditionelles Gericht kosten – und wurde auch schnell fündig: »Vorschmack«. Das Fleischpüree aus Lamm, Rind und Fisch zusammen mit Kartoffelbrei und Rote Bete sieht weniger ansprechend aus, als es schmeckt: überraschend intensiv und schmackhaft. Ansonsten gibt es Brot eigentlich nur süß und Popcorn im Kino lediglich in der Salzvariante. Außergewöhnlich lecker sind übrigens

heippa = tschüss

moi = hallo perkele = verdammt


Lakritzlikör und -eis. Wer dennoch nicht auf deutsche Küche verzichten kann, fühlt sich bestimmt »heimisch« im »Rymy Ettu«: Ein deutscher Besitzer serviert Hausmannskost sowie Oktoberfestbier und abends wird bei Schlagermusik auf den Tischen getanzt. Für alle, die sich dagegen in Rostock mal einen kleinen Überblick über finnische Spezialitäten machen wollen: Am Neuen Markt gibt es einen finnischen Shop.

Live-Musik und Karaoke Alle jugendlichen Finnen hören oder machen finnische Rockmusik. Meine Tipps: folkloriger Rock von Plutonium 74 und eine Art Hip-Hop von Asa. Aber die Helsinkianer singen auch leidenschaftlich gern in Karaoke-Bars, die man an jeder Straßenecke mit immer demselben Bild findet: Ein meist schräger Moderater lässt jeden seinen musikalischen Beitrag dazu beisteuern. Von Alt bis Jung sind die vermeintlichen Sänger auf jeden Fall mit viel Selbstbewusstsein ausgestattet und tragen ihre Songs mit völliger Inbrunst, aber ohne jegliche Scham vor. Wirklich sehr erheiternd!

KTV! R E D N I 2 NEU R WEG 2

g, ORFE BARNST utdoor, Reise, Trekk.in

O ort u.v.m chäft für , Natursp r Fachges ö h e ! b u Z ß & Klein cials Fashion, ² für Gro pe m s 0 n 5 te 1 n f au tude akete, S , Workshops p r te s ü r Erstaus r-Filme , Outdoo Vorträge

Alkohol – ein schwer zu besorgendes Luxusgut In Finnland ist Alkohol nicht nur sehr teuer, sondern auch schwer zu bekommen. Außer in Bars und Diskotheken kann man nach 21 Uhr keinen Alkohol kaufen. »Alko« nennt sich das in staatlicher Hand befindliche Monopol, das die alleinige Befugnis hat, Getränke mit Alkoholgehalt über 4,7 Prozent zu verkaufen. Getränke wie Bier und Cider kann man daher auch in Supermärkten erstehen. Die Bierauswahl ist für deutsche Kenner jedoch sehr gering: Es gibt nur Schwarz- oder normales Bier, keine Mischvarianten. Die weiblichen Alkoholkonsumenten unter uns werden dafür das finnische »In-Getränk« Cider mögen. In nahezu allen GaumenfreudenGeschmacksrichtungen ist es käuflich zu erwerben, etwa als Apfel, Birne, Erdbeere, Blaubeere. Mein Favorit: Blueberry-Vanilla, schmeckt fruchtig süß und so gar nicht nach Alkohol. In den Bars gibt es hauptsächlich Strawberry-Cider, was in der 0,2 Liter-Version zwischen 3,50 Euro und 6 Euro kostet. Kippis!

29

Sperrzeiten und feuchtfröhliche Hauspartys Neben den Alkoholbeschränkungen erwarten den feierwütigen jungen Menschen in Helsinki noch einige andere Überraschungen: Nachts um 3:30 Uhr gehen in der finnischen Hauptstadt überall die Lichter an, egal ob im Pub oder im Klub und egal wie hoch der Besucherandrang ist. Ist einfach so. Und am besten eilt man schon vorher los, sonst erwartet einen an den Bus- oder Taxiständen der nächste Schreck. Üblich sind nach vorzeitigem Abbruch der Feierstimmung sogenannte After-Work-Hauspartys, bei denen dann ordentlich weitergefeiert wird – wenn man denn passenderweise Alkohol zu Hause hat, denn sonntags in der Frühe bekommt man den kostbaren Tropfen dank des Alkoholmonopols ja nirgends.

Ein bisschen Kultur muss sein! So ganz ohne Kultur geht es in Helsinki auf keinen Fall: Im Antaneum-Museum für ältere Kunst erhält man einen groben Überblick über die Bildarbeiten berühmter finnischer Künstler. Eine wechselnde Spezialausstellung erweitert das normale Angebot. Mein absolutes Highlight war übrigens, mir ein finnisches Theaterstück anzusehen. Ohne Finnisch-Kenntnisse konnte ich mich lediglich auf Mimik und Gestik der Darsteller konzentrieren. Theater so zu verfolgen, strengt allerdings ziemlich an, da man trotzdem alles verstehen will – und Kopfschmerzen sind dabei vorprogrammiert. Text

STEFFIE KRAUß

r 10-20 Uh a S o M t geöffne d.com gradnor NORD www.54 ad r g 4 5 .com/ facebook

D 54° NOrR 22 fer Weg

Barnsto tock, KTV os 18057 R

88276 0381-510

10e% nten-

Stud tt Raba


Fotos (6): Marcus Sümnick

POLITISCHES

30 Web

heulermagazin.de/politisches

Let’s talk about … Bildung! Elisabeth, Ressortleiterin

Rostock hat gebildungsstreikt. Mitgemacht haben wenige – und noch weniger Studenten. Nur warum? Fehlende Mobilisierung, Resignation, Zufriedenheit? Auch die Bahnhofsgegner in Stuttgart mussten schmerzhaft erfahren, dass die gefühlte Mehrheit in Wirklichkeit eine Minderheit war. Wir dagegen wissen nicht, was die schweigende Masse denkt. Meldet euch zu Wort, liebe Kommilitonen! In Wahlen, Diskussionen oder bei Protesten. Nur wer was sagt, darf hinterher meckern.


Es gibt keine

Kürzungsdebatten Der neue Chef im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur von Mecklenburg-Vorpommern heißt Mathias Brodkorb. Im heuler-Interview sprach er über die Bildungsproteste, die Zukunft des Volkstheaters und über sein eigenes Engagement während des Studiums hier an der Universität Rostock.

heuler: Am 17. November protestierten in Stralsund, Greifswald und Rostock Schüler und Studenten für eine bessere Bildung. Was haben Sie von den ­Demonstrationen mitbekommen und was halten Sie davon? Mathias Brodkorb: Ich finde es gut, wenn sich junge Leute für ihre Inter­essen und politische Fragen engagieren. Noch wichtiger als die Demonstrationen wären aber konkrete Vorschläge und konzeptionelle Überlegungen, weil durch die Demonstrationen selbst ja nichts besser wird, sondern erst durch Ideen und genaue Problemanalysen. Da sehe ich immer noch Entwicklungspotenzial bei den Bildungsstreiks. Es ist sicher nicht immer einfach, klar einzuschätzen, wo der Kern der Probleme liegt, aber was besonders von den Schülern immer wieder kritisiert wurde, ist der Druck, der nach der Abschaffung des 13. Schuljahres enorm gestiegen sei. Hinzu kommen die größeren Klassen. Das Interessante ist nun allerdings: Wir haben im Durchschnitt mit die kleinsten Klassen Deutschlands. Ich glaube, wir liegen derzeit auf Platz zwei. Wenn dies der entscheidende Faktor wäre, müssten wir auch bei den Leistungen ganz weit vorne liegen. Eine Reihe von wissenschaftlichen Studien zeigt, dass die wichtigste Stellschraube für die Qualität des Unterrichts die Ausbildung und Motivation der Lehrer ist. Einem schlechten Lehrer nützen auch 20 Schüler in der Klasse nichts. Doch abgesehen von der Klassengröße rangiert Mecklenburg-Vorpommern in den Bildungsrankings, also zum Beispiel dem Bildungsmonitor, der IGLU- und der PISA-Studie, immer eher im unteren Bereich. Wie kann man denn endlich die politischen Rahmenbedingungen verbessern, damit sich das ändert? In der Tat: Wir gehören leider nicht zu den Besten in der Bundesrepublik. Und den Kernansatz, das zu verändern, kennen eigentlich alle. Der größte Unterschied zwischen Finnland und Deutschland besteht im unteren Leistungssegment. In Finnland herrscht die Philosophie, dass das, was man am Anfang als Grundlage gelegt hat, sich dann in den höheren Klassenstufen auszahlt. Bei uns ist das andersherum: Die höchste Förderung gibt es für die Oberstufen der Gymnasien. Hier müssen wir Schritt für Schritt inhaltlich umsteuern – gerade im Interesse von mehr Leistung. Es gilt also Fördersysteme aufzubauen, mit denen man die unteren 20 bis 30 Prozent in Deutschland besser mitnehmen kann.

Sie haben bereits die wichtige Rolle der Lehrer angesprochen. Das führt uns ja direkt zur Ausbildung an den Universitäten. Welche Stellschrauben werden hier jetzt gedreht? Zunächst einmal sind natürlich durch das Lehrerbildungsgesetz eine Reihe von Rahmenbedingungen verbessert worden: Die Gruppengrößen für die Seminare wurden beschränkt und die Studienzeit wurde verlängert, damit mehr Praxis implementiert werden kann. Außerdem ist nun ein Mindestmaß an sonderpädagogischen Qualifikationen gefordert. Die konkrete inhaltliche Ausgestaltung liegt aber gar nicht beim Bildungsministerium, sondern dafür sind in erster Linie die Fachleute, also die Professoren, an den Universitäten zuständig. Nun ist auch in diesem Jahr die Zahl der Studierendenanfänger wieder gestiegen. Wenn man dann die personelle und finanzielle Ausstattung der Universitäten betrachtet, hat man das Gefühl, dass bei den Konzepten und Gesetzen gar nicht mit so vielen Studenten gerechnet wird, wie es sie real an den Hochschulen gibt, und dass damit gar nicht alle Forderungen umgesetzt werden können, die die Politik an die Universitäten hat. Die Argumentation unterliegt einem Missverständnis: Wir machen gar keine Prognosen über Studierendenzahlen. Davon haben wir uns aus methodischen Gründen seit mehreren Jahren verabschiedet. Die Studenten sind hochgradig mobil, das heißt, man kann auf der Ebene eines einzelnen Bundeslandes gar keine seriösen Prognosen abgeben. Wir gehen anders an die Sache heran: Was muss ein Land wie Mecklenburg-Vorpommern tun, um das Grundrecht auf Berufswahlfreiheit im Verbund mit den anderen Bundesländern gewährleisten zu können? Das ist eine einfache Mathematikaufgabe: Es müssen einfach von jedem Bundesland mindestens so viele Studienplätze bereit­ gestellt werden, wie es selbst durch eigene Landeskinder im Gesamtsystem in Anspruch nimmt – egal wo. Dann hat jeder einen Studienplatz, wenn auch vielleicht nicht in jedem Fach, zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort wie gewünscht. Wir sind vor Jahren von 12.500 Geburten ausgegangen, einer Abiturientenquote von 40 Prozent, einer Übergangsquote von 80 Prozent, und wir nehmen an, dass jeder Student einen Bachelor und einen Master macht. An sich vollkommen illusorisch. Wenn man das zusammenrechnet, kommt man langfristig auf mindestens 20.000 Studienplätze. Wir halten aber trotzdem langfristig Studienplatzkapazitäten nur aus Landesmitteln für

31


r

e Foto: Michael Schultz

29.000 Studierende vor. Und da kommen die Hochschulpaktmittel noch oben drauf. Wir halten also etwa 50 Prozent mehr Studienplätze vor, als wir eigentlich vorhalten müssten. Und wenn das jedes Land so machen würde, dann würden wir in Deutschland fast in einem hochschulpolitischen El Dorado leben – mit Studienplätzen für alle.

Und

Also haben wir nur deswegen zu volle Vorlesungssäle, weil sich die anderen Bundesländer gegenüber Mecklenburg-Vorpommern in Bezug auf die Hochschulpolitik parasitär verhalten? Ich würde es »unsolidarisch« nennen. Jedes Land ist zuerst für seine eigenen Bürger zuständig – egal, wo diese am Ende studieren. Dafür bekommt es ja auch abhängig von der Einwohnerzahl Geld.

»Es wird natürlich weniger Stellen geben.

32

nicht willens sind, ihre Verantwortung wahrzunehmen, werden wir dies tun. Wünschenswert ist das aber nicht. glauben Sie nun persönlich, dass der Standort Rostock da eine Chance hat, seine Sparten und Häuser so zu erhalten, wie es im Moment ist? So, wie der Standort heute ist, kann er wohl nicht erhalten bleiben. Aber das Land hat in Aussicht gestellt, dass es sich auch angemessen an der Finanzierung eines Theaterneubaus beteiligen wird, wenn Rostock grundsätzlich bereit ist, sich zu bewegen. Heißt das, dass es zwar ein neues Theater gibt, aber dafür weniger Leute? Es wird natürlich weniger Stellen geben. Es sei denn, die Rostocker fangen an, ihr Theater zu lieben und gehen mehr hin. Dann kann man auch mehr Stellen finanzieren.

Gut, kommen wir zum Geld. Das Land Es sei denn, die Rostocker fangen an, ihr bietet also mehr Studienplätze, als eigentlich notwendig wären, und im KoalitionsTheater zu lieben.« vertrag ist außerdem festgehalten, dass die Fächervielfalt erhalten bleiben soll. Grundlage für die Themen, die wir jetzt Mathias Brodkorb, Bildungsminister von MV Auch explizit in Bezug auf die Geisteswisbetrachtet haben, ist immer auch das senschaften. Muss denn dann irgendwo anders gekürzt werden? Engagement von Bürgern – für ihre Bildung, für ihr Theater. Die Bereitschaft Das ist nicht vorgesehen. Wir hatten unter der rot-roten Landesregierung eine dazu ist aber nicht immer so groß, wie es wünschenswert wäre; das sehen Hochschulreform. Die war schmerzhaft für alle und wir haben gesagt, dass wir in der Uni beispielsweise regelmäßig an der geringen Beteiligung in den wir alles daran setzen wollen, den Hochschulen dafür langfristig Planungssistudentischen Gremien. Wofür haben Sie sich in Ihrer Studienzeit engagiert? cherheit zu geben. Es gibt also keine Kürzungsdebatten. Im Gegenteil – wir In hochschulpolitischen Gremien war ich nie. Mir ist immer nur von Weitem diskutieren eher darüber, für Forschung und Baumaßnahmen noch etwas zugetragen worden, dass da ganz kuriose Diskussionen laufen sollen, dass oben draufzupacken. es bisweilen auch nicht um die Sache geht, sondern häufig um das Austragen persönlicher Fehden – das war nicht die Welt, in der ich mich bewegen Also auch keine Kürzungen bei den Studentenwerken, wie man es gerüchtewollte. Ich habe mich in der SPD engagiert, vor allem bei den Jusos und auch weise hört? gegen Rechtsextremismus. Und als damals mal geplant war, die GeisteswisIch kenne niemanden, der das beabsichtigt. senschaften in Rostock abzuschaffen, habe ich mich in der »Initiative Faires Studium« dafür eingesetzt, dass die Geisteswissenschaften bleiben. In dieWenden wir uns mal einem anderen Thema Ihres Ministeriums zu, und zwar sem Zusammenhang habe ich dann auch die damalige Bildungsministerin den Theatern im Land, die finanziell nicht besonders gut dastehen. Es werin einer Diskussionsrunde zum Rücktritt aufgefordert. Das war damals Frau den Umstrukturierungen folgen müssen und sie haben ja auch explizit gesagt, Marquardt von der SPD. Diese Attacke ist mir heute furchtbar peinlich. Aber dass Spartenschließungen und Fusionen nicht ausgeschlossen werden. Kurz Spaß gemacht hat es irgendwie trotzdem. gesagt: Wie geht es weiter mit dem Rostocker Theater? Das kann man heute noch nicht sagen. Die Theaterlandschaft muss derzeit Hat Sie das Ihnen gegenüber noch mal angesprochen? Jahr für Jahr um ihre Existenz fürchten. Mir tut das Rostocker Theater ehrlich Nein, nie. Und ich bin ihr durchaus dankbar dafür. Vielleicht hat sie damals gesagt leid – man liest ja alle zwei Wochen irgendeine Hiobsbotschaft in aber auch gar nicht gewusst, wer da ihren Rücktritt gefordert hat. den Zeitungen, und ich persönlich weiß nicht, wie man da als Musiker oder Schauspieler noch mit Begeisterung spielen soll. Wir stehen vor der Wahl: Vielen Dank für das Gespräch! Entweder wir führen diese Kürzungsdiskussionen in jedem Jahr neu oder wir machen jetzt einen Befreiungsschlag, der langfristig Stabilität bringt. Also ein Interview ELISABETH WOLDT UND MICHAEL SCHULTZ ähnliches Vorgehen, wie wir es bei den Hochschulen gemacht haben. Inhaltlich gibt es da keine Vorfestlegungen. Der Staatssekretär wird alle Kommunen, Intendanten, Fördervereine et cetera besuchen und mit ihnen sprechen. Das ungekürzte Interview gibt es auf heuler-online. Die Diskussionen werden eine Weile dauern und die Kommunen und The>> heulermagazin.de/?p=3116 ater werden zunächst von uns gebeten, selbst Vorschläge zu unterbreiten, wie die Umstrukturierungen aussehen könnten. Aber wenn einzelne Akteu-


Schweigendes

Potenzial?

Die Finnen schweigen viel – vielleicht denken sie derweil tiefgründig über die vor ihnen liegende Fragestellung nach? In den Uni-Kursen jedoch sind sie so still, dass man ihre Anwesenheit neben den internationalen Studierenden fast vergisst. Da flüchten sie lieber, wenn diskutiert werden soll, mit der Stricknadel in der Hand aus dem Raum, als uns Außenstehende am finnischen Denkprozess teilhaben zu lassen. Die Mitteilsamkeit hat sie also anscheinend nicht auf die Bildungs-Poleposition gebracht. Was aber führt dann zu einem weit höheren Akademikeranteil von 48 Prozent in Finnland im Vergleich zu nur 21 Prozent in Deutschland? Ein gewichtiger Faktor ist mit Sicherheit die schlicht geringere Zahl von gerade mal 5,4 Millionen Einwohnern bei einem sehr geringen Anteil ethnischer Minderheiten. In dieser homogenen Ausgangslage werden dann auch gern 25,6 Prozent Steuern gezahlt, um die höchste Zufriedenheit mit dem Sozialstaat im internationalen Vergleich aufrechtzuerhalten. Das Bildungssystem profitiert von der staatlichen Förderung mit sechs Prozent des Bruttoinlandproduktes enorm. So ist die technische Ausstattung neben der baulichen Substanz hervorragend. Viel entscheidender jedoch: Die universitären Rechner und Netzwerke werden gewartet, und das kontinuierlich! Man kann dabei zusehen, wie Probleme behoben werden. Die Aussage ist deutlich: Die grundlegende Organisation und die Verwaltung müssen funktionieren, damit man sich auf das Wesentliche, den Studienund Forschungsbetrieb, konzentrieren kann. Dafür ist man bereit, Stellen zu finanzieren – Stellen, die ein effektives universitäres Arbeiten in den Fachbereichen ermöglichen. Anscheinend verzettelt man sich hier nicht in Bürokratie. Die Zuständigkeiten sind klar verteilt und es muss nicht lange und mühsam nach der zuständigen Person gefahndet werden. Dem Studierenden wird das Leben durch ein voll funktionsfähiges Internetportal erleichtert, welches alle entscheidenden Informationen rund um die Uni bündelt, die Kurseinschreibung und Prüfungsanmeldung mit zwei Mausklicks ermöglicht, über Änderungen informiert, Kursmaterial zur Verfügung stellt und Feedback-Optionen zu den Kursen bietet. Umständlichkeiten und Überlastungszusammenbrüche wie bei Stud.IP sind hier Fehlanzeige; gleichzeitig »spricht« das System in jeglicher Hinsicht

Englisch und lässt somit die internationalen Studierenden an seinen Fähigkeiten problemlos teilhaben. Im Vergleich dazu bietet die Uni Rostock organisatorisch zur Einführung der Studienanfänger bereits eine Menge auf, um den Durchblick in der universitären und studentischen Selbstorganisation nicht zu verlieren. Sie lässt jedoch noch einigen Raum für Weiterentwicklungen bis zum quasi perfekten Informationsfluss in Finnland. Bei näherer Betrachtung der akademischen Wissensvermittlung ist das Licht, das auf Deutschland fällt, dennoch ein weitaus positiveres als im Hinblick auf die noch verbesserungswürdige Grundorganisation. Die Palette der Kursqualität in Finnland reicht von »überragend« bis »besser nicht hingehen oder Kopfkissen mitbringen«, und ist damit genauso weit gestreut wie in Deutschland. Die Vermittlungsmethoden sind dieselben und führen somit auch nicht zu einer größeren Wissensaufnahme. Vielmehr wird das kurzfristige Lernen durch die Unterteilung des akademischen Jahres in vier Perioden noch verstärkt. Man versucht, diesem Problem des »Brechlernens« durch direkte Verknüpfung der Vorlesungen mit einem assignment entgegenzuwirken. Erfreulich ist die Tatsache, dass dies auch bei größeren Veranstaltungen Anwendung findet und dass die Bewertung in die Modulnote einfließt. Dies wird durch studentische Dozenten auf Master- oder Doktoranden-Level ohne festgelegte Ober- und Untergrenze des Lehrdeputats möglich. Dabei fällt deren Entlohnung für die Lehre höher aus als für die Forschung. Leider hapert es ganz gewaltig am notwendigen Feedback zu den Vorträgen und Essays für die Studierenden, welches die Finnen aus ihrer Schweigsamkeit locken könnte. In dieser Soft-Skills-Vermittlung erscheinen deutsche Dozenten doch engagierter! Insgesamt mag vieles am deutschen akademischen System verbesserungswürdig erscheinen, aber die Feststellung, dass auch im Vorzeigeland der Bildung zu viel und zu schlecht mit »PowerPoint« gearbeitet wird und kreatives Lehren auch hier nicht auf der Tagesordnung steht, macht doch wieder sehr zufrieden mit unserem unterfinanzierten System! Text

WERA PUSTLAUK

Grafik: Michael Schultz

Finnland liegt im europäischen Ländervergleich der PISA-Studie immer wieder an der Spitze. Alles schaut erstaunt in den Norden und fragt sich in betrübter Selbstreflexion, was sie dort anders machen. Nach einem Jahr Auslandsaufenthalt an einer finnischen Hochschule wage ich den Vergleich.

33


Grafik: Björn Giesecke und Annika Riepe

Garten ohne Grenzen Integrationsprogramme gibt es in Rostock einige; Schulen, die Uni, gemeinnützige soziale Organisationen oder Kirchen, die oft als erste Anlaufstelle für Zuwanderer dienen, sind meistens die Hauptträger solcher Projekte und kümmern sich um die Integration von Immigranten. Eines von diesen ist der Interkulturelle Garten Rostock.

34

»Garten ohne Grenzen« nennt sich das Projekt des Interkulturellen Gartens, welches mittels Gartenarbeit auf eine besondere Art versucht, Immigranten und Rostocker zusammenzuführen. Träger dieses Projektes ist der Verein Ökohaus e. V., der sich schon seit Längerem mit der Migrantenintegration in Rostock beschäftigt. Interkulturelle Gärten sind in Deutschland nicht neu. Der erste seiner Art wurde Mitte der 90er-Jahre in Göttingen von einer Migrantenfamilie geschaffen und später zu einem Verein umgewandelt, in dem heute etwa 300 Menschen aus 16 unterschiedlichen Nationen einen Garten unterhalten. Er ist zugleich auch der größte Interkulturelle Garten Deutschlands und wurde in diesem Jahr 15 Jahre alt. Die Resonanz ist positiv. Ist so etwas auch in Rostock denkbar? Warum eigentlich nicht? Doch auch in der Hansestadt ist die Idee eines Interkulturellen Gartens keine Novität: Im vergangenen Jahr gab es bereits in Evershagen einen Garten dieser Art, der als Austausch- und Begegnungsstätte von verschiedenen Kulturen dienen sollte. Aufgrund mehrerer rechtsextremer Anschläge musste er aber geschlossen und das Projekt zunächst aufgegeben werden. Allerdings nicht für immer, denn seine Mitgestalter blieben hartnäckig und so erreichten sieben Frauen von russischer und deutscher Herkunft die Fortführung des Vorhabens: Seit Ende September kann nun jeder, der möchte, sein Obst und Gemüse auf einer zehn bis 50 Quadratmeter großen Parzelle anpflanzen. Ziel dieses Unternehmens ist es, Gartenbegeisterte verschiedenster Kulturen zusammenzubringen und somit Toleranz und Integration in Rostock zu fördern. »Wir wollen nicht nur israelische Mohrrüben neben russischem Kohl kultivieren, sondern zugleich einen Austausch von Kultur und Sprache ermöglichen«, erzählt Regina Staiger, die Projektleiterin. Außerdem

wolle man den Immigranten, die ein Stück ihrer Heimatkultur in dem Garten anbauen könnten, das Ankommen in einem neuen Land erleichtern. Zurzeit befindet sich der Interkulturelle Garten noch auf dem Gelände des Lehr- und Anschauungsgartens der Hanseatischen Weiterbildungs- und Beschäftigungsgemeinschaft Rostock gegenüber dem Studentenwohnheim in der Erich-Schlesinger-Straße. Die Stadt stellte dem Verein vorerst diesen Ort sowie fließendes Wasser und Strom zur Verfügung. Doch der Standort ist nur eine Übergangslösung bis zum nächsten Frühjahr – dann zieht der »Garten ohne Grenzen« in die Südstadt, weil das jetzige Gelände bebaut werden soll. Die genaue Adresse wird noch nicht publik gemacht, aus Angst vor erneuter rechtsextremer Gewalt, die dem Vorhaben ein ungewolltes Ende bereiten könnte. Wer sich für eine Mitgestaltung des Gartens interessiert und eine Parzelle bepflanzen möchte, wendet sich an das Ökohaus oder andere Anlaufstellen, die sich mit Migration beschäftigen; dort werden ihm dann nähere Informationen mitgeteilt. Einige Anwärter haben sich bereits gemeldet, darunter vorwiegend Asylanten aus dem Sudan und dem Libanon, aber auch Familien türkischer, vietnamesischer und deutscher Herkunft. Die Organisatoren hoffen außerdem, dass sich das Projekt über den Winter herumspricht, sodass viele Hobbygärtner im nächsten Jahr den Garten miteinander gestalten können. Wenn alles so klappt wie geplant, blühen im kommenden Sommer nicht nur Blumen und Kräuter aus fernen Ländern auf, sondern auch interkulturelle Freundschaften, die ein gemeinsames Interesse teilen: die Freude an der Gartenarbeit. Text

YVONNE HEIN


KTV! R E D N I 2 NEU R WEG 2

Auf den Spuren des Konsums

g, ORFE BARNST utdoor, Reise, Trekk.in

O ort u.v.m chäft für Natursp , r Fachges ö h e b Zu & Klein! Fashion, für Groß ² m 0 nspecials 5 1 auf Studente hops , te e k a ks üsterp me, Wor Erstausr tdoor-Fil u O , e g ä Vortr

.2011 bis 31.12

Im Rahmen der »A-Woche«, die vom 18. bis zum 22. Oktober im Peter-Weiss-Haus stattfand, gab es neben den vielen umfangreichen Angeboten auch die Möglichkeit, an einem konsumkritischen Stadtrundgang teilzunehmen. Dabei wurde vor allem ein interaktiver und informativer Einblick in verschiedene Konsumgüter ermöglicht. Schon im Vorfeld des Rundgangs hatte ich mir darüber Gedanken gemacht, wie so eine konsumkritische Stadtführung wohl aussehen würde. Würde es ein Gang durch die Kröpeliner Straße werden, bei dem die dort einkaufenden Leute wie Konsumsünder zu betrachten wären? Als es dann so weit war, wurde es sowohl anders als erwartet als auch ein wenig wie gedacht. Mit einigen Leitern der »Konsum Global Rostock Initiative« begannen wir mit einem kleinen Spiel nach guter alter »Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht«-Manier – wer hätte gedacht, dass pro Minute etwa sieben fußballfeldgroße Flächen Regenwald in Brasilien abgeholzt werden? Als Nächstes wählten wir die Stationen, die wir auf unserer Tour unbedingt berücksichtigt haben wollten. Dabei setzten sich die Kategorien »Papier«, »Kosmetik« und »Fleisch« durch, die nun exemplarisch behandelt werden sollten. Gleich am Anfang erschreckten die Zahlen zum Verbrauch von Kopierpapier eines jeden Deutschen: ein fünf Meter hoher A4-Stapel pro Jahr! Darüber hinaus passt die Praxis, dass Deutschland die modernsten Wiederaufbereitungsanlagen für Papier besitzt, das dort entstandene Recycling-Papier allerdings größtenteils exportiert und weiterhin neues, günstiges Papier aus dem

Ausland importiert, nicht so recht ins Bild einer nachhaltigen Wiederverwertungsindustrie. Auch der Stopp zur zweiten Station »Kosmetik« hatte es in sich. Erörtert wurden Geheimnisse um die Ingredienzien in bestimmtem Pflegezubehör. Jeder Nicht-Chemiker, der schon mal versucht hat, die Rückseite seiner Kosmetiktuben zu lesen, wird außer dem üblichen Fach-Chinesisch nicht viel verstanden haben. Die Tatsache allerdings, dass man sich mit den meisten Cremes namhafter Hersteller Erdöl ins Gesicht schmiert, wirkte bei der drohenden Verknappung dieses Rohstoffs umso beängstigender. Schließlich erläuterten uns die Stadtführer die Auswirkungen des Fleischkonsums. Zwar wird jedem Nicht-Vegetarier die gebetsmühlenartige Predigt über die anzustrebende Verringerung seines Fleischgenusses zum Hals raushängen. Dass allerdings rund 70 Prozent der weltweit genutzten Agrarfläche für Viehzucht aufgewendet werden, ist Fakt. Nur durch eine umsichtigere Nutzung dieser Territorien können die mehr als sieben Milliarden Menschen künftig ernährt werden. Am Ende des Rundgangs wurden noch viele weitere Aspekte angesprochen, mit denen man sich als verantwortungsbewusster Mensch auseinandersetzen sollte. Immerhin könnte eine weitere Übernutzung und kurzsichtiges Denken im Umgang mit unseren Ressourcen für kommende Generationen weitreichende Folgen haben. Rückblickend kann ich den Rundgang nur empfehlen. Er hat sehr zum Nachdenken angeregt und ist allein schon durch seine interaktive Gestaltung eine Tour wert. Text >>

MAXIMILIAN BERTHOLD

globistadtrundgang@systemausfall.org

T

PAKE E T L Ä K ANTI-

2R5ab% att* el aus drei Artik batt Such dir Ra lte 25 % und erha samtbetrag. wäsche, e nter auf den ktGgruppen: Thermo-auUsschuhe

rodu - und H diesen P en, Schlaf Gültig in res, Sock Accessoi

.2012 ab 01.01

EN NEU

ALT GEG

1pr% o kg motten Kilo Altkla neue Ware. s e d je r ü f F batt* abiu werden u 1 % Ra m niert erhältstabdatte können nicht ko *R

Mo-Sa geöffnet

r

10-20 Uh

d.com gradnor NORD www.54 ad r g 4 5 .com/ facebook

D 54° NOrR 22 fer Weg

Barnsto tock, KTV os 18057 R 276

88 0381-510

10e% nten-

Stud tt* Raba


a

Neustart für die Arbeiterkinder Kinder aus Arbeiterfamilien zum Studieren ermutigen: Mit diesem ehrgeizigen Ziel gründete die Gießenerin Katja Urbatsch vor dreieinhalb Jahren die Initiative »ArbeiterKind«. Auch in der Hansestadt engagieren sich Rostocker Studenten für das Projekt. Neu ist die Initiative »ArbeiterKind« an der Rostocker Uni nicht mehr. Schon vor einem Jahr begannen die Studentinnen Mandy Unger und Antje Schmidt eine Ortsgruppe in der Hansestadt aufzubauen. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten steht nun ein Neustart mit vielen motivierten Unterstützern an. In Zusammenarbeit mit Professoren wollen sie Kinder aus Arbeiterfamilien auf dem Weg zum erfolgreichen Studienabschluss begleiten. Das heißt: Fragen beantworten, Möglichkeiten zu studieren bewusst machen, Vorurteile abbauen. Im Gegensatz zu den bereits bestehenden Anlaufstellen für Studieninteressierte setzt »ArbeiterKind« dabei auf ein Mentoring-System. So unterstützt ein Mentor langfristig einen Schüler und bleibt dessen dauer-

hafter Ansprechpartner. Das ist ein Service, der in der Hochschullandschaft einzigartig ist, jedoch noch lange nicht ausgeschöpft wird: »Noch werden die Möglichkeiten zu wenig genutzt«, so Mandy. Zunächst möchte sie deshalb zusammen mit ihren Mitstreitern das Projekt bekannt machen. Gleichzeitig soll die Zahl der Mentoren von derzeit sieben deutlich erweitert werden. Mitstreiter müssen selbst natürlich keine Kinder aus Arbeiterfamilien sein. So kommt auch Doreen Löffler aus einem Akademikerhaushalt, hat nach der Schule allerdings zunächst eine Ausbildung gemacht. »Mein Studium habe ich mir danach komplett selbst finanziert«, erzählt die 29-Jährige. »Die Erfahrungen, wie so etwas funktioniert, möchte ich gerne teilen.« Gerade die Kosten führen oft zu einer ablehnenden Haltung gegenüber einem Studium. »Viele der Finanzierungsmöglichkeiten sind oftmals gar nicht bekannt«, erläutert Doreen. »Hier setzen wir an und helfen weiter.« Für Interessierte und Antwortbedürftige findet am 15. Dezember (Café Lom, 17 Uhr) erstmalig ein Stammtisch statt, der ab dem neuen Jahr jeden ersten Donnerstag im Monat zur gleichen Zeit und am gleichen Ort wiederholt werden soll. Text

MICHAEL SCHULTZ

>>

rostock@arbeiterkind.de

36

Mauer im Kopf? Immer mehr junge Studenten aus den alten Bundesländern zieht es Richtung Osten. Keine Studiengebühren und ein angenehmer Uni-Alltag sprechen für sich. Aber wie sieht es eigentlich mit den Vorurteilen zwischen »Ossis« und »Wessis« aus? Ist die »Mauer im Kopf« auch ein Problem unserer Generation? Wer sich als Westdeutscher für ein Studium in den neuen Bundesländern entscheidet, muss sich oft einiges anhören. So auch Studentin Christina Bartholomäus aus der Nähe von Münster: »Als ich hier hoch gezogen bin, hat mein Vater mich gefragt, ob ich auch genug Kerzen eingepackt hätte, wegen ‚Dunkel-Deutschland‘. Aber das ist alles nur Spaß.« Weniger spaßig ist der große Erfolg der NPD in Teilen Ostdeutschlands, den viele zugezogene Studenten schnell mit einer Ausländerfeindlichkeit aller Ostdeutschen verbinden. Dass das Schwachsinn ist, bemerken zu wenige. Auf die Frage nach ihren Assoziationen mit dem Osten nannten einige der von mir befragten Studenten neben Nazis und schlechten Berufschancen auch das Klischee des undankbaren »Jammer-Ossis«, doch gerade dieses Vorurteil erwartet man eigentlich nicht von Studienanfängern, die größtenteils nach der Wende geboren sind. Claudia Eißner, die aus der Nähe von Leipzig stammt und Lehramt Sonderpädagogik studiert, bringt das Problem auf den Punkt: »Vorurteile und Klischees werden ja größtenteils von den Eltern mitgegeben, und wer

sich kein eigenes Bild macht, behält jenes auch bei.« Auch ihr wurden Stereotype über den »arroganten und reichen Wessi« aufgetischt. Gerade die Universität sei jedoch eine gute Integrationsstätte, so der Rostocker Soziologieprofessor Peter A. Berger. Daher wurde auch die »Hochschulinitiative Neue Bundesländer« gegründet. Mit Erfolg wirbt deren Kampagne »Studieren in Fernost« um Studenten aus Westdeutschland. In diesem Jahr stieg der Anteil von Erstsemestern aus den alten Bundesländern in Mecklenburg-Vorpommern so auch auf mehr als 42 Prozent. Nun lässt sich nur noch hoffen, dass mit steigenden Studentenzahlen überholte Klischees abnehmen und wir die Mauer in unseren Köpfen endgültig abreißen können. Selbst wenn, trotz allem, die Diskussion über »drei Viertel« beziehungsweise »Viertel vor« zwischen »Ossis« und »Wessis« auch in Zukunft auf keiner Party fehlen wird. Text

KARINA TRAUTMANN


a

PSA-News

ACHIL L

Neues Lehrerbildungsgesetz: Für euch bleibt vieles beim Alten!

ES VER SE

Liebe Mitstudentinnen, liebe Mitstudenten, ein Deutscher kann in seinem Leben drei Dingen nicht entgehen: dem Tod, der Steuer und den Lehrern. Etwa ein Viertel aller Studentinnen und Studenten der Universität Rostock sind Lehramtsstudierende, und alle anderen werden spätestens dann, wenn ihre eigenen Kinder in die Schule kommen, wieder Kontakt zu Lehrern haben. Umso wichtiger ist es, dass diese bestmöglich ausgebildet werden. Nach fast zwei Jahrzehnten »Arbeit« und umfassenden, intensiven Diskussionen und Verhandlungen hat der Landtag am 4. Juli dieses Jahres in einem Kraftakt das Lehrerbildungsgesetz beschlossen. Dabei soll das Lehramtsstudium umfangreich umgestaltet und insbesondere Bildungswissenschaften, Inklusion, Didaktik, politische Bildung, Berufsorientierung und Pädagogik gestärkt werden. Ob es in der Praxis wirklich so kommen wird, ist eine Frage der jetzt zu gestaltenden neuen Lehramtsstudiengänge. Auch wird es bald eine neue Lehrerprüfungsverordnung geben. In dieser Umbruchsituation solltet ihr einen ruhigen Kopf bewahren. Erst einmal gilt Paragraf 1 der Mecklenburgischen Landesverfassung (nach Fritz Reuter): Alles bleibt beim Alten. Das Gesetz selbst hat auf euch keine unmittelbare Auswirkung. Die Grundschulpädagogik wird vermutlich nächstes Wintersemester mit einem neuen Studiengang starten, die anderen Lehrämter folgen ein bis zwei Jahre später. Diese Studiengänge gelten für alle Studienanfänger. Ob ihr in die neuen Lehramtsstudiengänge wechseln werdet oder überhaupt könnt, wird sich erst noch zeigen. Für die meisten von euch wird das Erste, was sich wirklich ändert, das Referendariat sein. Was hier genau passieren wird, ist jedoch noch in der Schwebe und wird sich vermutlich auch noch ein paarmal ändern – ebenso wie die Prüfungstermine für die Erste Staatsexamensprüfung. Zur Sicherstellung einer möglichst hohen Servicequalität arbeitet die Universität derzeit an Kommunikationsstrategien, um den Prozess sehr transparent, studierendenfreundlich und für jeden nachvollziehbar zu gestalten. Also: Augen auf und entspannt weiterstudieren. Euer Heiko

Heiko Marski ist Prorektor für Studentische Angelegenheiten (PSA) und kümmert sich im Rektorat um die Belange der Studierenden.

Das erste Deutschlandstipendium – ein Erfahrungsbericht Das Deutschlandstipendium – eine für alle Studenten erreichbare Chance, seinen Lebensunterhalt aufzubessern. Was denkt der einfache Student dazu? »Ach egal, das bekomme ich eh nicht!« Gängige Reaktion, auch von mir. Doch das Angebot klang zu verlockend und wer nicht wenigstens wagt, der nicht gewinnt. Alles klar – Ärmel hochgekrempelt, alle Unterlagen zusammenkopiert und Tage am Motivationsschreiben rumgefeilt. Stellen gelöscht und wieder hinzugefügt, ausradiert und geflucht. Ist das zu bettelnd und betend oder viel zu langweilig formuliert? Wer weiß das schon? Schließlich alles feinsäuberlich gebunden und ab zum Briefkasten. Danach ging das Warten los, das Warten, das Warten und … Aber wie lange eigentlich? Ab dem 29. Oktober sollten die Bewerber Bescheid bekommen, wurde mir verkündet. Ich blieb also ruhig und erst ab dem 25. fing ich an, auf eine Antwort zu hoffen. Am 28. kam dann der Newsletter des Rektors, aus dem ich erfahren musste, dass die Stipendienauswahl offensichtlich bereits getroffen worden war. Mir geht es nicht darum, dass ich das Stipendium nicht bekommen habe (der Bessere gewinnt schließlich), sondern um die Art und Weise der Stipendienvergabe. Ich hatte schon eine persönlichere Absage auf meine mit doch etwas Hoffnung und Sorgfalt gestaltete Bewerbung erwartet. Nicht dagegen die unverbindliche Kenntnisnahme aus dem Newsletter des Rektors. Denn – mit Verlaub – ich habe mir Mühe gegeben und die anderen Bewerber mit Sicherheit auch! Es ist nicht fair, wenn man von uns gute Leistungen erwartet und vollständige, korrekte, gewissenhaft gestaltete und fristgerecht eingereichte Bewerbungsunterlagen fordert, selbst aber nicht einmal eine einfache und respektvolle Absage zustande bringt. Das gehört ja eigentlich zum guten Ton. Vor Kurzem bekam ich immerhin meine Unterlagen zurück, gespickt mit allen möglichen rechtlichen Hinweisen. Danke. C. Boe Die Achilles Verse müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln. Schildert uns euer Problem und wir veröffentlichen es – auch anonym. >>

redaktion@heulermagazin.de

37


Blick hinter die Bildungs-

Ob der Publizist, Autor und Musiker Klaus Norbert mit der Bezeichnung eines »Dissidenten« oder »Wutbürgers« leben kann? In seinem Buch »Idioten made in Germany – Wie Politik und Wirtschaft Bildungsverlierer produzieren« empört er sich jedenfalls wortgewaltig über die Bildungslage und Erziehungshandhabe in der Bundesrepublik. Für euch haben wir im Gespräch mit dem Autor versucht, hinter die Polemikfassade zu blicken.

38

heuler: Herr Norbert, in Ihrem Buch zersägen Sie im Stile eines Holzfällers Kapitel für Kapitel den deutschen Bildungssektor und klären sehr unkonventionell über das »Bildungsgespenst« von Wirtschaft und Politik auf. Welche Absicht steckt dahinter? Klaus Norbert: Zuvorderst geht es mir um Begriffsklärungen. »Hauptschule« etwa ist so eine Bezeichnung, die total verkommen ist – nicht der Schüler oder Lehrer wegen. Seit der Schröder- / Fischer-Regierung, erst recht unter Angela Merkel beziehungsweise Annette Schavan, wurde wenig dafür getan, angehende Facharbeiter heranzubilden. Eltern und Schüler fixierten sich auf das scheinbar einzig wahre Ziel: Abitur! Jetzt, wo die Hauptschule ruiniert ist, versucht die Politik noch schnell, sie umzuetikettieren. »Hauptschüler«, das klingt beinahe schon asozial, wie »Zuhälter« oder »Investmentbanker«, weil Sender wie RTL oder Sat.1 in ihren primitiven Scripted-Reality-Sendungen oft so tun, als ob Hauptschüler der Bodensatz der Gesellschaft seien. Stichwort Medienkritik: Sie halten den Meinungsmachern buchstäblich den Spiegel vor, kritisieren in einem ganzen Kapitel das Hamburger Magazin. Dem Großteil des Pressewesens werfen Sie vor, gar keine Meinungen bilden zu wollen, sondern nur vorgefertigte Denkmuster zu bedienen. Wie kommt das, wenn wir doch in einem System der Pressefreiheit leben? Pressefreiheit – auch so ein Wort. Wir haben in Deutschland eine sehr hohe Medienkonzentration, das heißt, ein paar riesige Verlags- und Medienhäuser, die zusammen Hunderte von Zeitungen, Radiostationen, Fernsehsendern und damit die »Deutungshoheit« kontrollieren. Sie sagen uns, wie politische Ereignisse wahrzunehmen sind, und sie bestimmen, was uns überhaupt gezeigt wird. Und bei den Öffentlich-Rechtlichen stecken wiede-

Grafik: Björn Giesecke

Maske?

rum die Parteien mit drin, die entscheiden, wer auch nur Programmdirektor oder Intendant wird und wer bitte nicht. Insofern können wir von Freiheit der Medien nicht sprechen. Und welchen Effekt hat das nun auf unsere Bildungslandschaft? Jene Deutungshoheit bestimmt unser Bild von Bildung. Lauter Schwarz und grelles Rot: Hilfe, wir haben so viele Schulden, und bald werden wir noch viel mehr haben, denn wir unterstützen EU-Länder wie Griechenland, die sich zum Teil durch betrügerische Machenschaften in den Euro geschwindelt haben. Dann wird gefragt: Was können wir dagegen tun? Und die Antwort lautet seit Jahren: Liebe Leser, Zuhörer, Zuschauer, bildet eure Kinder besser aus! Zwingt sie zu noch mehr Leistung, dann haben sie zwar weniger Freizeit, aber was sollen sie auch damit, sie gehen ja früher ins Berufsleben! Hat mal jemand gefragt, was unsere Kinder dort ein Jahr früher sollen, wenn sie überwiegend nur Praktika ausüben dürfen, kaum Geld verdienen, wenn selbst Zahnärzte und Ingenieure zu Hartz-IV-Empfängern werden? Diese und viele weitere Fragen werden vielfach erst gar nicht gestellt, geschweige denn beantwortet. Deshalb habe ich das Buch »Idioten made in Germany« genannt – »Idioten« waren im alten Athen die Bürger zweiter Klasse, die nichts zu melden hatten.


Politische Bildung Sie haben es gerade angerissen: Die öffentlichen Kassen sind leer. Somit klafft die Schere zwischen Arm und Reich bei der Ausbildungsfrage immer weiter auseinander. Bieten Privatschulen einen Ausweg, wenngleich sich die Bildung dann in den elitären Bereich zurückzieht? Privatschulen gab es schon immer, aber das derzeitige hohe Maß an Forderungen, seine Kinder dort hinzuschicken, ist nur ein weiteres Resultat der Idiotisierung, die uns der Staat verpasst hat. Das Haus Bertelsmann zum Beispiel sagt, wir müssen mehr Geld aus dem Sektor Bildung generieren! Was heißt das? Will der Konzern etwa mehr Schulbücher drucken? Nein, ins Bildungsgeschäft will er einsteigen. Oder die Gebäudereinigungsfirma Dussmann in Berlin. Die zieht jetzt eine Kindergartenkette auf. Wenn die gut läuft, wäre der nächste logische Schritt eine Schul- oder Nachhilfeunterrichtskette. Wir werden die vollständige Kommerzialisierung des Bildungswesens erleben, wenn wir uns nicht jetzt dagegen wehren. Die leidige Schulpflicht gilt ja auch andersherum: Wenn ich dem Staat mein Kind anvertrauen muss, dann muss der Staat auch dafür sorgen, dass nicht die einen im Töpfchen, die anderen aber bloß im Kröpfchen landen. Es gibt kritische Stimmen, die Ihnen vorwerfen, nur um den heißen Brei herumzureden. Was muss Ihrer Meinung nach das Ziel von Bildung sein? Das Ziel von Bildung ist die Menschwerdung, frei nach Wilhelm von Humboldt. Das ist das wichtigste Ziel, dass die Menschen frei werden. Das geht nicht durch PISA-Studien. Ich will auch nicht, dass Menschen zertifiziert werden, sozusagen nach der »ISO-diotenNorm«. Ich will nicht, dass sie bewertet werden nach Prozenten oder Noten, sondern dass sie frei für sich aufwachsen können. Das impliziert keine Disziplinlosigkeit im Sinne von Pflichtlosigkeit, sondern bedeutet, dass Menschen in einem friedlichen, freundlichen Umfeld sowie ihren Fähigkeiten entsprechend groß werden können und sie nicht zum Laufvieh der Industrie erzogen werden. Wenn das Um-den-Brei-herum-Reden ist, dann her mit dem Löffel! Vielen Dank für das Interview!

Interview

MARTIN FIETZE

Idioten made in Germany – Wie Politik und Wirtschaft Bildungsverlierer produzieren. Knaur Verlag München, S. 380, 8,99 Euro. Parallel zu seinem Buch »Idioten made in Germany« hat Klaus Norbert zehn gleich betitelte Songs (»Part 1–10«) geschrieben. Drei der auch von ihm gesungenen Stücke sind derzeit bei YouTube zu hören (Stichwort »Kazmair«).

Termine Hörsaal-Eröffnung: Film, Theater und Klang Bunt, aber nicht unpolitisch, geht es bei der Arno-Esch-Hörsaal-Eröffnung am 9. Dezember zu. Arno Esch – Student aus Rostock, Politiker und Pazifist – inspirierte zu einem Programm aus Spiel, Film und Ton: Studenten der Hochschule für Musik und Theater interpretieren das Stück »Der Ritter vom Mirakel«, das Fragen nach den Grenzen der Moral aufwirft. Weiter geht es mit dem Dokumentarfilm »Nach der Stille«, der den Nahostkonflikt thematisiert und auf eindringliche Weise präsentiert, wie weit die moderne Welt vom Frieden entfernt ist. Zum Abschluss füllt die Band A Poor Man’s Memory aus Dresden den Hörsaal mit dynamischen Klängen. !

9. Dezember, 17:00 Uhr, Ulmenstraße 69, Arno-Esch-Hörsaal

Filmvorführung: Bambule Ein Vierteljahrhundert verstaubte er irgendwo in den Archiven der ARD – erst 1994 wurde der kritische Film über die autoritären Methoden in der Heimerziehung ausgestrahlt. Nur weil Ulrike Meinhof das Drehbuch geschrieben hatte. Jetzt, da Entschädigungszahlungen an die damals betroffenen Kinder erneut diskutiert werden, ist das Thema wieder hochaktuell. Grund genug, sich das Fernsehspiel mal im Bildungskeller anzusehen. ! >>

13. Dezember, 20:00 Uhr, Bildungskeller bildungskellerhro.blogsport.de

Vortrag – Kulturgeschichte heute: »Nach dem turn ist vor dem turn« Wer sich mit Politik von heute und morgen beschäftigt, sollte auch immer einen Blick in die Vergangenheit wagen. Wenn sich dabei der Fokus ändert, dann bezeichnen Wissenschaftler das gerne als »turn« – und seit Jahren folgt hier einer angeblichen Wende die nächste. Im Rahmen des Rostocker Kolloquiums »Neuzeit« ist im Januar der Genfer Professor Christoph Konrad zu Gast, um über solche »turns« zu referieren. Kommentiert wird der Vortrag vom Rostocker Geschichtsprofessor Markus Völkel. !

24. Januar, 17:15 Uhr, Ulmenstraße 69, Haus 1, Raum 124

Aktuelle Hinweise zur politischen Bildung findest du übrigens auch immer unter: >>

heulermagazin.de/2011/10/ termine-zur-politischen-bildung

39


Foto: Björn Giesecke

KULTUR

40 Web Web

heulermagazin.de/kultur

Tasche leer? Alfonso, Ressortleiter

Es gibt weitaus mehr in diesem Leben als neue 3G-nano-Steves und Frauen mit Patronengürtel. Etwa die Kulturseiten. Die Frage jedoch, werte Leser, muss an dieser Stelle lauten: »Kann man in Zeiten von Zuckerberg und In-vitro-Befruchtung noch an eine Profanität wie Kultur glauben? Lasst eine geschnipste Eurone entscheiden, falls Santa euch überhaupt noch eine übrig gelassen hat. Und: Lasst euch bitte nicht mit diesem erlesenen Wisch beim Lesen erwischen.


Das Bass-Kontinuum Gemeinsame Musik, gemeinsames Tanzen, gemeinsamer Trip, gemeinsames Glück. Auf elektronischen Veranstaltungen gehört alles allen – zumindest irgendwie und ein bisschen. Ist Techno gelebter Kommunismus? Zappeln da Kommunisten?

Techno – die trampelnden Kinder des Bobby Moog. Musik, die heute auf der ganzen Welt ankommt. Gemeinsames taktvolles Stampfen, kollektives Abzappeln – und dazu wie überall ein Dresscode: Nirgendwo sonst findet man so viele Röhrenjeansler mit Beanie, Tight-fitShirts und Jutetasche. Doch scheint hier mehr zu verbinden als nur die gleiche Klamotte. Alle reden sie vom »ALLE«, von der Vision, einer gemeinsamen Ekstase. Das ist einfach, wenn keine Textzeilen trennen und highs Körperkontakte anregen. Die »Fusion« zum Beispiel bietet dazu das Gefühl einer unkommerziellen und zwanglosen Parallelgesellschaft: »Ferienkommunismus« (sic!). Der Duden Vol. 7 definiert Kommunismus als »politische Richtung, Bewegung, die sich gegen den Kapitalismus wendet und eine zentral gelenkte Wirtschaftsund Sozialordnung verficht«. Wird auf Partys, auf denen elektronische Musik läuft, also gegen den Kapitalismus angetanzt, um eine bessere Welt zu schaffen? ­Zentrale Macht ist das DJ-Pult, die Sozialordnung der Bass? Eher nicht: Gegen den Kapitalismus das Tanzbein zu schwingen (wie es jeder zweite Flyer ernster Miene behauptet), ist wohl kaum möglich. Unkommerzielle Veranstaltungen sind rar, Techno längst Mainstream. Oder einfach eine Frage des Geschmacks. Auf jeden Fall aber fest verankert in der ganz und gar kapitalistischen Gesellschaft und meistens mit dem einen ganz und gar unpolitischen Ziel: Spaß, schnell und bitte viel davon, meinetwegen auch für alle. Denn: Hinter alledem stand nie wirklich die Infiltrierung Jugendlicher, Marx zu huldigen oder eine neue DDR zu begründen. Die Pseudoideale der Partys sind gar nicht ernst gemeint. Sie sind Vision fürs Wochenende, Souvenir, Hobby, Soma. Eine gemeinsame Sprache ohne Worte, elitäre Bewegung, Substanzen. Vielleicht ist diese Formel Techno = Kommunismus auch ein Synonym für ein Gefühl, welches nur schwer zu beschreiben ist. Kommunismus bedeutet ursprünglich »als allen oder mehreren gemeinsam, allgemein«. Es ist schlicht ein Wort zur Erklärung eines – zumindest für wenige Stunden gültigen – Lebensstils einer Generation. Was macht man nun mit diesem Widerspruch? Das ist völlig egal, denn – um es mit Modeselektor zu sagen: »There are worse things in the world than being lost in bass.«

Glossar: Elektronische Tanzmusik bezeichnet Musik, die durch elektronische Klang­erzeuger, zum Beispiel durch Synthesizer oder computergestützte Software produziert wird. Bass und Beat sind tragende Elemente, Melodie und Gesang nur peripher vorhanden, die Musik ist größtenteils für öffentliche Aufführungen in Klubs, Diskotheken und Open Airs konzipiert. Als Medium war jahrelang die Schallplatte tonangebend, die seit der Jahrtausendwende mehr und mehr von Laptops (zwischenzeitlich von CDs) abgelöst wird. Elektronische Tanzmusik ist eine Gattung der Neuen Musik und unterteilt sich grob und unter Hinweis auf mögliche Unvollständigkeit in folgende Stile: Elektro: Häufig, aber fälschlich als Überbegriff oder Ersatzbegriff für »Techno« oder andere elektronische Spielarten gebraucht, die seit den 80ern im EBM- (Electronic Body Music) und Post-Industrial-Umfeld entstanden sind; hat nichts mit Electro zu tun. Techno: Einerseits Überbegriff für viele Stile elektronischer Musik, andererseits Bezeichnung für die straighte, schnörkellose Four-tothe-floor-Variante, wie sie in Detroit geprägt wurde. Wurzeln: »Techno« als Begriff tauchte erstmals im Disco- und House-Sound der 80er-Jahre auf. Einflüsse: aus EBM, Industrial, Krautrock, Funk, Soul. Unterteilungen: heute in weitere Stile wie etwa Minimal, Rave, Schranz, Trance, Hardstyle. House: Ebenfalls in den 80ern in den USA entstanden, 4/4-Takt, 120 bis 130 BPM,

Text

einer der erfolgreichsten Stile elektronischer Musik, beeinflusste die Entstehung von Techno und ist musikalisch schwer davon zu trennen; der Name »House« rührt vom ersten Klub her, in dem diese Musikrichtung aufgelegt wurde, dem Warehouse in Chicago. Electro: Eine in den 80ern unter Einsatz von Sound- und Rhythmusschemata der Musik von Kraftwerk entstandene Form elektronischer Tanzmusik. Disco: Keine reine elektronische Musik, bereits seit 1975 eigenständiges Genre; Texte und Melodie treten in den Hintergrund zugunsten der Tanzbarkeit; Blütezeit zwischen 1976 und 1979; die seit 1980 entstandenen Disco-Stile können zur Elektronischen Tanzmusik gezählt werden. Drum ‘n‘ Bass: Entstanden in England Anfang der 90er; basiert auf beschleunigten Funk-Breakbeats mit Geschwindigkeiten von etwa 160 bis 190 BPM; Anleihen und Samples aus Genres wie Hip-Hop, Reggae, House. Dubstep: Seit 2001 größtenteils in South London entstandene Richtung, die aus Garage und Two Step (englischer House-Stil mit Bezug auf Funk und Soul) hervorging; Einflüsse aus Electro, Jungle, House, HipHop; wird als Weiterentwicklung von Drum ‘n‘ Bass betrachtet.

BENTE-AILEEN FREDE UND DIRK RAMTHOR

41


Illustration: Hannes Falke

Smich gehen schon? Eine amerikanische Austauschstudentin grübelt über das vielleicht persönlichste Honorifikum: Wie sieze ich mich selbst? Die deutsche Sprache ist eine der ältesten Sprachen der Welt – zumindest klingt sie so. Heutzutage sprechen mehr als 90 Millionen Menschen (oder so) Deutsch. Viele Leute bewundern die deutsche Sprache für ihre Regeln, Kasus, Regeln, schöne Aussprache, Regeln, Genauigkeit, Regeln, Beugung und Regeln. Nun, zumindest muss irgendjemand irgendwo sie bewundern. Meiner Meinung nach ist Deutsch eine gute Sprache. Sie hat ja viele Wörter und Regeln, und ich würde sagen, sie ist fast komplett – aber eine Sache fehlt. Als ich anfing, Deutsch zu lernen, wurde ich mit dem »Sie«-Begriff bekannt gemacht – jenem formellen »du« für ausgesuchte Situationen. Situationen, die zum Beispiel formell sind oder in denen man jemanden nicht kennt oder in denen man mit einem Dozenten oder einer alten Person oder jemandem, der sehr wichtig ist, spricht. Es gibt ein »Sie« dafür, wenn man mit einer Person redet (anstelle von »du«), sowie eines dafür, wenn man sich mit mehreren Personen unterhält (anstelle von »ihr«). Aber, es gibt kein »Sie« dafür, wenn man über sich selbst spricht. Was wäre, wenn ich mich selbst siezen wollte? Deutsch hat keine »Sie«-Form, die man anstelle des »ich« benutzen könnte – bisher!

Zuerst brauchen wir ein Wort dafür. Meine erste Idee war natürlich »Siech«, aber die Ähnlichkeit zwischen »Siech« und »sich« (und dem unerfreulichen »siechen«) ist allzu stark und Deutsch ist schon verwirrend genug. Deshalb schlage ich »Smich« vor. Für Nominativ und Akkusativ benutzt man »Smich«, für den Dativ haben wir »Smir« und für den Wesfall »Smein«. Doch für was braucht man das formelle »ich« eigentlich? Ich denke, das ist eine ganz persönliche Entscheidung, die man fallweise fällt. »Smich« ist ein Gefühl. Ich meinerseits würde nur noch diese Form benutzen. »Smich« passt ganz ausgezeichnet zu meinen Alltagsreden, zum Beispiel: »Smich haben Hunger.« »Smich haben die Hausaufgaben nicht gemacht.« »Smich wissen nicht.« »Könnten Smich noch ein Stück Küchen haben?« »Dürften Smich aufs Klo?« Smich denken, dass »Smich« eine tolle Idee ist! Es gibt im Grunde keine Nachteile (wo gibt es das noch?). Smich hoffen, dass du einverstanden bist. Smich bedanken Smich bei der Leserschaft. Die »Smich«-Revolution hat begonnen!

Spannend sind die Geschehnisse um den Studenten Martin (gespielt von Nikolaj CosterWaldau / Ewan McGregor) und dessen Nachtschichten in der Pathologie sowie die Mutproben mit seinem Freund in beiden Filmen umgesetzt. Während der Nächte in der Leichenhalle gerät Martin zudem als Sündenbock ins Visier eines Killers. Der T­hriller »Nattevagten« (Dänemark 1994) und dessen US-Remake »Nightwatch« (USA 1997), beide außergewöhnlicherweise von Autor und Regisseur Ole Bornedal gedreht, werfen Fragen nach kulturellen und industriellen Faktoren auf, die normativen Einfluss auf Produktion und Inszenierung der Filme haben. Ob nun in den USA, Dänemark, Großbritannien oder Japan – verallgemeinernd lässt sich sagen: Filmkonsum dient primär zur Entlastung und zum Abschalten, Unterhaltung ist ein Mittel zur Abkehr von der Normalität. Aber: Jeder sieht Filme anders. Der Kulturkreis, die Sozialisation

Kulturvergleich durch Filmvergleich?

Text

Madeline Estes

42

»Nattevagten« vs. »Nightwatch«. Oder: Original vs. Remake. Diese zwei Thriller aus den 90erJahren sind nahezu identisch, aber nicht 1:1 – denn in der von Hollywood geprägten Filmkultur erscheint Bekanntes oft in neuen kulturellen Einfärbungen. Häufig ist dies zum Nachteil für die Neuauflage.

und die Identität des Rezipienten spielen eine wichtige Rolle beim Sehen – konstruiert sich doch jeder seinen individuellen Film neben dem Leinwand­ spektakel. Dennoch: Filmemacher und Industrien haben inszenierungsrelevante Vorstellungen davon, wie Filme gesehen werden und auch zu sehen sind. Geht man nun von einer Hollywoodisierung des internationalen Kinos aus, dürften die Unterschiede zwischen Original und Remake nur marginal ausfallen – oder? In Handlungsablauf, Figurenentwicklung und Unterhaltungswert sind »Nattevagten« und »Nightwatch« tatsächlich fast identisch. Die minimalen Unterschiede sind dafür aber gravierend. Dies äußert sich vor allem im abweichenden Verhalten, zu dem sich die Freunde immer wieder verleiten lassen, um aus der Stagnation ihres Lebens auszubrechen: Während Martin etwa im dänischen Original von einer Prostituierten in einem voll besetzten Restaurant einen Blowjob bekommt, beschränkt sich die ­amerikanische Inszenierung auf


halten liegt, dann findet dies im Remake letztendlich oberflächlicher statt. Das Original ist deutlich handlungsbetonter und grenzüberschreitender. Zudem scheint die Neuauflage den Zuschauer noch mehr zu unterschätzen: Alle Spuren deuten auf Martin als Killer hin, so auch der namentliche Verweis durch ein Opfer. Dem Original reichen hierfür die blutigen Buchstaben »MA« auf dem Bettlaken, das Remake benötigt jedoch ein »MARTI«. Doch zum Filmsehen gehört eine Eigenleistung des Zuschauers, die in dieser Adaption reduziert wurde – und dem Film so auch die Luft zum Atmen nimmt. Und so bleibt – kulturelle Unterschiede hin oder her – am Ende nur wieder festzustellen, was in »Scream 4« (USA 2011) passend zusammengefasst wurde: »Du missachtest die erste Regel von Remakes. Leg dich nicht mit dem Original an.« CLEMENS LANGER

Fangfrage: Wie dänisch ist dieses Plakat?

Vom Solokünstler und der Kunst Sänger, solo, sucht Lied mit Seele.

Text

STEPHAN HOLTZ

»Wenn eine erfolgreiche Band sich auflöst und ihre Mitglieder alleine weitermachen, gibt es dabei leider ein unumstößliches Gesetz: Das Soloalbum ist immer scheiße.« Das wusste schon Benjamin von Stuckrad-Barre. Doch wie kommt es, dass ehemalige Bandkollegen stilprägender Bands solo so schwach sind? Die Beatles ohne den Klassenverband? Die Gallagher-Brüder ohne Oasis? Thees Uhlmann ohne Tomte? Auf sich allein gestellt, ohne die gegenseitige künstlerische Befruchtung innerhalb einer Band, scheinen viele Solokünstler schnell zu stranden. Leicht wird es ihnen aber auch nicht gemacht, müssen ihre Platten doch immer den Vergleich zu früheren Band-Veröffentlichungen bestehen. Vielleicht versuchen sie deshalb, sich musikalisch von allem Gewesenen abzugrenzen, und verrennen sich dann. Dabei bedeutet weniger kreativ keinesfalls weniger erfolgreich, was daran liegen könnte, dass mit den oft etwas poppigeren Sololiedern eine völlig neue Klientel angesprochen wird. Für mich gleicht die Trennung der beiden Gallagher-Brüder einer Entzweiung der Eltern. Sie haben mich großgezogen, trotz der ewigen Streitereien. Jetzt, wo ich auf eigenen musikalischen Beinen stehe, haben sie sich getrennt. Beide machen nun ihr eigenes Ding und sind glücklicher. Mal verbringe ich ein Wochenende mit dem einen, dann wieder mit dem anderen. Letztendlich ist es aber nie so schön, wie es mit beiden zusammen war. Dennoch ist es wohl immer noch besser, die Band auf ihrem Zenit aufzulösen, um mit den kurz vor Ende entstandenen weniger guten Songs die Karriere langsam austrudeln zu lassen. So bleibt wenigstens das Erbe der Gruppe unangetastet. Das scheinen einige heutige Solisten zu denken. Doch wonach strebt der Solokünstler? Abwechslung, Selbstverwirklichung, Geld, Ruhm und Ehre? Vielleicht gibt es auch einfach nichts mehr zu beweisen, wenn man Teil einer großen Band war, und es ist so simpel, wie Thees Uhlmann es formuliert: »Ich möchte jetzt eine Platte schreiben, wo nur ‚Thees Uhlmann‘ draufsteht.« Es sei ihm vergönnt.

Illustration: Björn Giesecke

Text

Foto: Spamboy / flickr.com

einen angedeuteten Handjob. Sicherlich nicht zuletzt, weil die dortige Freigabebehörde stets Probleme mit sexuellen Andeutungen oder Handlungen im Film hat, weniger dagegen mit dargestellter Gewalt. Das ist sicherlich eine bedeutende Restriktion für die Inszenierung der Neuauflage gewesen. Aber was führte zu der Änderung, dass im Remake nicht deutlich wird, was die Freundin von James macht? Im Original ist sie Pfarrerin und Martin konfrontiert seinen Freund beim Gottesdienst mit der heiklen Herausforderung, das Abendmahl von ihr abzulehnen. Im Remake findet sich davon keine Spur mehr. Unter welchen Bedingungen entstehen also zum Beispiel europäische und amerikanische Filme, welchen Vorstellungen vom Wollen und Sollen des Sehens unterliegen sie? Wenn es den Protagonisten um die Auseinandersetzung mit dem Erwachsenwerden geht und die Herausforderung in einem von gesellschaftlichen Normen abweichenden Ver-

43


Perlschwarze Papierflieger Die Printjuwelen der Literaturszene sind alle gedehnt, schlank und garamondig. Eben diesen Formats ist auch Steffen Dürre, Herausgeber der Rostocker Zeitschrift »Weisz auf Schwarz«. In den Perpendikularhallen der Literatur wirbeln groteske Gedanken durch die dunkle Luft. Ein Gespräch. Interview

44

Foto: Björn Giesecke

ALFONSO MAESTRO


heuler: Abgesehen davon, dass man schnell reich wird, was, würdest du sagen, ist das Schöne an der Herausgebertätigkeit? Steffen Dürre: Zum einen natürlich das. Aber auch der Umstand, sein Hobby zumindest der Illusion nach zu seinem Beruf machen zu können. Die Idee, »Medien zu spielen«, haben wir von Anfang an ernst gemeint, seit Vereinsgründung. Dazu kommt der persönliche Kontakt mit Leuten, die schreiben. Man sieht sonst meistens die Autoren gar nicht. Und plötzlich sind die auch greifbar und man kann Projekte machen, sei es ein Heft oder eine Lesung. Da werden die Autoren real. Im Studium beschäftigt man sich vorwiegend mit älteren Texten, das geht bis in die Moderne. Aber mit zeitgenössischen Texten wird man nicht konfrontiert. Nichts ist uninteressanter als ein toter Autor. Natürlich haben sie spannende Biografien, aber man kann ihnen keine Fragen mehr stellen. Man kann keine Lesungen besuchen. Und nur ein lebender Autor ist ein guter Autor für eine Zeitschrift, wie wir sie wollten. Wir wollten ein lebendiges Medium schaffen. Wer ist das Zebra auf dem Cover? Das ist unser Maskottchen. »Weisz auf Schwarz« (WAS) ist die Umkehrung des geflügelten Wortes von Goethe: »Was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen.« Das ist aus dem »Faust«. Wir haben versucht, durch die Umkehrung dieser Phrase Freidenkertum und Aufbruchsgeist auszudrücken: Wir wollen das alles ganz anders! Und wir sind ganz schnell damit konfrontiert worden, dass es natürlich nicht so einfach ist mit dem Neuen und Innovativen. Viele Texte sind unlesbar oder zumindest schwer lesbar. Und Avantgarde ist manchmal sehr anstrengend. Wir haben bald lernen müssen, dass es leicht lesbarer, gut erzählter Texte bedarf, um jemanden zu erreichen. Man sagt, die charakteristischen Streifen retten die Zebras vor der lähmenden Schlafkrankheit, die die afrikanischen Fliegen auf sie übertragen. Ist Literatur unser Zebrastreifen, unser Schutz, um nicht einzuschlafen? Nun, »DSDS«, Werbung, Fast Food, das hält uns alle wach oder wenigstens am Leben, aber so richtig wach macht uns nur geistiger Anspruch. Ob das jetzt Theater ist oder Literatur, es kann bildende Kunst sein. Literatur hat mich immer wach gemacht. Sie bietet nicht nur die Möglichkeit, gepflegte Weltflucht zu betreiben, sondern kann auch tiefer in die reale Welt eintauchen lassen. Und man lernt sich auszudrücken: Dass es nicht nur die Alltagssprache gibt, sondern auch schönere Formen. Spannend fanden wir an dem Zebra auch, dass niemand weiß: Sind die Streifen schwarz auf weiß oder »weisz« auf schwarz? Und es geht auch um den Impuls, der Grau-in-grau-Literatur auszuweichen. Ich bin von der Verlagslandschaft und einigen Tendenzen im Literaturbetrieb relativ enttäuscht. Richtige Knallerbücher gibt es nicht mehr. Was suchen die Leser in der »Weisz auf Schwarz«? Ich fürchte, das musst du die Leser fragen. Es ist immer schwierig, ihre Meinungen einzuholen. Meistens äußern sie: »Geiles Layout!« Auf einzelne Texte kommt man selten zu sprechen, weil das im Grunde situationsabhängig ist. Wann redet man über Texte? Das sind eher persönliche Vier-AugenGespräche und kein Smalltalk. Durch den Anthologie-Charakter hat der Leser viele Möglichkeiten, die Texte gut oder schlecht zu finden. Ich nehme an, dass in der Regel für jeden etwas dabei ist. Die meisten Texte sind noch nicht veröffentlicht worden und dementsprechend durch keine Bewertungsinstanzen gelaufen, wodurch für den Leser eine »unbefleckte Lektüre« möglich wird. Es ist ihnen überlassen, sich bloß die »Photosynthese« [Fotografieseite in der WAS, Anm. d. Red.] ins Bad zu hängen oder sich auf die Texte einzulassen. Man könnte ein Lesertelefon einrichten, aber da würde keiner anrufen. (Lacht.) Es wird eben nett konsumiert.

»Über Musik zu reden ist wie über Architektur zu tanzen«, sagt Frank Zappa. Trifft das auch auf Literatur zu? Hat Frank Zappa natürlich toll gesagt, aber es ist nicht richtig. Der Spruch hat für sich eine Wahrheit, aber auch nur in dem Zusammenhang. Natürlich kann man über Literatur sprechen und sogar dabei zur Musik in einem architektonischen Bauwerk tanzen! Es bedarf auch keiner germanistischen Terminologie. Man sagt einfach im Facebook-Jargon »gefällt mir« oder »gefällt mir nicht«. Man kann es verfeinern und sagen, was einem gefällt. Leser wissen, wenn es ihnen zu obszön oder zu langatmig ist, ob der Text zu strapaziös ist. Oder eben: Das ist gut erzählt, das war spannend. Das ist schon Darüber-Reden. Es fällt den Leuten leicht zu sagen, was ihnen gefällt, aber nicht, warum es ihnen gefällt. Man kann sagen: »Das ist eine schöne Metapher«, aber warum die so gut funktioniert? Das muss auch keiner, darüber muss man nicht reden. Dem Leser reicht es, wenn der Zauber von Texten funktioniert. Den Rest machen Rezensenten oder Germanisten. Und ob es die Leser interessiert, das sei dahingestellt. Bilden die wiederkehrenden Namen Klavki, Kluck, Lotz und so fort eine Gruppe im handwerklichen oder ideologischen Sinne? Verkehren sie überhaupt miteinander? Literatur ist schon die gemeinsame Ideologie. Das ist das, was uns verbindet. Das Interesse, die Texte sichtbar zu machen, sie vom Schreibtisch ins Heft, vor die Augen des Lesers zu bringen. Klavki zum Beispiel ist ein Autor, der schon tot ist. Er fand die WAS toll, weil wir sehr nonkommerziell arbeiten: Solange sich die Zeitschrift selbst trägt, reicht uns das. An der WAS schätzen sie die schöne Aufmachung. Es ist sehr viel Handarbeit drin, die Löcher sind selbst geschnitten. Und dass Texte und Bilder nebeneinanderstehen, ohne zwangsläufig ineinander eingreifen zu wollen. Sie können für sich alleine stehen, dürfen aber gerne synergetische Effekte erzeugen. Das ist dem Betrachter überlassen. Die Autoren stehen in Freundschaft oder Konkurrenz zu anderen Autoren im Heft, das ist ein spannendes Miteinander. Die Redaktion hat die verschiedensten Vorstellungen, was ein guter Text ist, und pflegt keinen Gruppencharakter im ästhetischen oder programmatischen Sinne. Wir sind nicht die »Jungen Wilden«, oder die »Neue Rostocker Schule«, sondern vielmehr eine Produktivgruppe, ein Kollektiv. Trotzdem soll die »Weisz auf Schwarz« eingestellt werden. Was ist da passiert? So ein Magazin kostet ganz viel Kraft und Zeit. Zudem hat ja jeder seine privaten Projekte, und sie schlafen in den intensiveren WAS-Phasen ein. Es ist richtig harte Arbeit, was vom Leser nicht gesehen wird und für ihn auch nicht wichtig ist. Aber uns sind andere Projekte auch wichtig. Was aber nicht heißt, dass wir Schluss machen. Die WAS besteht nach wie vor als Verein und es werden Lesungen veranstaltet. Es wird mit Sicherheit weitere Ausgaben geben. Und die Rolling Stones sagen auch jedes Mal, es sei ihre letzte Tournee. Zweifellos wird es irgendwann tatsächlich eine letzte geben ... Vielen Dank für das Gespräch! Das komplette Interview mit Steffen Dürre zur Rostocker Literaturzeitschrift »Weisz auf Schwarz« ist auf heuler-online nachzulesen. >>

heulermagazin.de/?p=3163

>>

weisz-auf-schwarz.de

45


Foto: Michael Schultz

Text

ALFONSO MAESTRO

http://tinyurl.com/c6lw5t7

WHY DON’T YOU GET JOB

GESCHMACKSPOLIZEI

Vor einigen Wochen ist Steve Jobs von uns gegangen und seitdem haben es wenige Feuilletonisten versäumt, über seine Informatikergarderobe zu referieren. Kahle tragen plötzlich alle Rollkragenpullover und 501er. Dazu gucken sie, als wäre ihnen gerade ein Einfall gekommen, der seiner Zeit voraus ist. Zeitsprung: Hitlers Zweifingerbart war damals abseits seiner Machenschaften allgemein angesagtes gear. Alle anderen Modebewussten haben aber nach ihm – denn jener war ein bösartiger Diktator – auf das Tragen dieses Modells verzichtet. Darum folgende These: Böse Diktatoren tabuisieren wichtige Bereiche des Modesektors. Beweis: Die Kombination aus Militär-extravaganza und krausem Ölhaar wird angesichts jüngster Entwicklungen nicht länger mit Jacko in Verbindung gebracht, sondern nur noch mit Gaddafi. Dies ist wahr. Seitdem der schwarze Rolli unter den Kahlen einen Kurbelwellensensor für kahle Coolness darstellt, ist die Rollkragenindustrie von nie da gewesenen Lieferschwierigkeiten geplagt. Die Straßen sind voll von diesen Jobs. Und nur ein böser Diktator mit Rolli könnte diese Verhältnisse umkehren! Die Kahlen nutzen die Konjunktur in Flirtbars und bei Gehaltsverhandlungen. Der Rest der Bevölkerung jedoch ist nicht betroffen, außer in Flirts und bei Gehaltsverhandlungen.

JOBS!

A

AN DER MEDIEN THEKE

46


STEFANIE KRAUß

Passend zum Advent beschwören uns in »Der Messias« zwei Schauspieler die bekannte Weihnachtsgeschichte wieder herauf – und tragen damit zur allgemeinen Belustigung bei. In dem Zwei-Mann-Stück versuchen die Laiendarsteller Theo (Tim Ehlert) und Bernhard (Peer Roggendorf) auf herrlich dilettantische Weise, die Geschichte aller Geschichten auf einer spärlichen Bühne darzustellen. Selbstverständlich ohne darauf zu verzichten, alle Rollen bis hin zu Gott und dem Erzengel Gabriel selbst zu spielen. Äußerst amüsant werden da der Mangel an Professionalität und die scheinbar spontanen Improvisationen gemimt. Die Bandbreite reicht von Kokosnuss-Pferdegeräuschen in Monty-Python-Manie bis hin zu SlowMotion-Elementen zu Richard Strauss‘ »Also sprach Zarathustra«. Der Sunnyboy-Verschnitt Tim Ehlert und der ernsthaft wirkende Peer Roggendorf bilden das ideale Gegensatzpaar. Herrlich, wenn Ersterer als Joint-rauchender Gottverschnitt Udo Lindenbergs »Hinterm Horizont geht’s weiter« zitiert oder der hünenhafte Roggendorf eine frivole Maria spielt. Das Stück von Patrick Barlow gibt insgesamt viel Gelegenheit zur Komik, etwa wenn typische Paarstreitigkeiten Einzug in Marias und Josefs Alltag halten. Und so scheute sich nicht einmal das sonst so scheue Rostocker Theaterpublikum und beteiligte sich etwa lauthals an der Volkszählung durch den römischen Tribun und den Bürgermeister von Nazareth. Ansonsten hinterließen auch die vielen gespielten Pannen immer wieder eine scheinbare Ungewissheit darüber, ob wirklich alles nur inszeniert ist. Alles in allem eine himmlische Alternative zum sonst so öden Krippenspiel und die perfekte Einstimmung auf die anstehenden Weihnachtsvorbereitungen, in der ja auch nie alles nach Plan läuft.

Text

»Der Messias«: Josef, Maria und das ganze Drumherum

Kleine Komödie Warnemünde Premiere vom 19. November 2011

47

>>

volkstheater-rostock.de

Nächste Vorstellungen: 8. und 17. Dezember 2011 (20 Uhr) 11. und 18. Dezember 2011 (16 Uhr) Kleine Komödie Warnemünde

Fotos (4): Volkstheater Rostock


48 BEN DER STUNDE

Text

ANDRÉ RÜDIGER

>>

myspace.com/risefromabove

Extreme Hingabe und außerordentliche Intensität: Das ist, was man im englischen Sprachgebrauch unter „Hardcore“ versteht – eine Musikrichtung, die in Deutschland ob ihrer Vielfalt an Erscheinungen häufig Missverständnisse hervorruft. Genau diese englische Definition ist es aber, die auf die Rostocker Jungs von Rise from Above zutrifft: Mit dem ersten Gitarrenanschlag bricht die Hölle los, wütende Shouts gesellen sich zu brachialen Riffs und häufig wechselnden Schlagzeugrhythmen. Hier werden keine Kompromisse gemacht. Das ständig angeheizte Publikum tanzt kollektiv im Two Step, zelebriert das Stagediving und grölt die Hooklines manchmal lauter als der Vokalist selbst. 2007 hat sich die Band um den Ex-Gitarristen und jetzigen Shouter Jan Willert gegründet und ist sie seitdem mit der Szene selbst gewachsen. Inzwischen stand Rise from Above mit internationalen Größen wie Hatebreed oder Born from Pain auf der Bühne und veröffentlichte letztes Jahr ihren Erstling „Phoenix“. Dass zwei der vier Mitglieder an unserer hiesigen Universität aktiv studieren, scheint dabei für die Band kaum hinderlich zu sein. Nun zog es Jan für acht Monate als Fremdsprachenassistent nach England, doch schon im Februar 2012 soll es mit der Aufnahme des nächsten Albums weitergehen. Darüber hinaus können sich interessierte Zuschauer am 28. Dezember in der Alten Zuckerfabrik in Rostock von der außerordentlichen Livepräsenz der Band überzeugen. Dabei aber bitte die Ohrstöpsel nicht vergessen – wäre doch schade, wenn die jungen Ohren einfach so davonflögen.

Rise from Above Hingabe und Intensität

»Heute back ich, morgen brat ich, übermorgen mache ich mir die beste Metal-Band der Welt untertan! Danach ziehe ich ins Altersheim.« Metallica als Steigbügelhalter für ein Lou-Reed-Projekt, das Frank Wedekinds »Lulu«-Dramen vertont. Die Männer haben zwei Bassisten verschliffen, den ersten unter einem umgekippten Tourbus in Schweden, den zweiten haben sie einfach so fertiggemacht. Haben im Gefängnis ein Album aufgenommen. Haben mehrere Alkohol-Entzüge hinter sich. Haben mittlerweile Familie und sind mit »Nothing Else Matters« auf Kuschelrock-CDs vertreten. Die Scorpions der englischsprachigen Welt. Und haben in Lou Reed ihren Meister gefunden. Ihren Bezwinger. Einen wirklich in die Jahre gekommenen New Yorker, der nun Morddrohungen erhält. Auch von Leuten, die »Lulu« bisher noch gar nicht gehört haben: »Einfach dafür, dass ich da überhaupt aufgetaucht bin.« James Hetfield, Sänger, musste heulend das Studio verlassen, nachdem er zehn Minuten mit Lou Reed gespielt hatte. Wer bei »Lulu« mit Stadionrock rechnet, wird nicht nur enttäuscht, der wird geradezu gedemütigt. Das Album entzieht sich jeglicher beiläufigen Konsumierbarkeit. Ein Gebilde aus Angst, Hass, Gier. Lou Reed ergeht sich in Foto: Rise from Above

Text

DIRK RAMTHOR

Lulu Lou Reed & Metallica Universal 13,95 Euro

sadomasochistischen Textgebilden, die Hetfield, Ulrich, Hammet und ihr mittlerweile dritter Bassist gnadenlos in Form gießen. Wobei die Jungs von Metallica dabei so klingen, als stünden sie nebenan und hämmerten an die Tür, um auch mal einen Blick auf den Schmutz zu werfen, den Reed ausbreitet. Dass ein fast 70-jähriger Mann aus der Perspektive einer weiblichen Männerphantasie wie Lulu Dinge sagt wie »öffne die Stöckchenbeine, die ich trage, und dann führ eine Faust ein«, das ist schon eine Erfahrung wert. »Lulu« ist anderthalb Stunden harte Rezeptionsarbeit, die fast mit Lou Reeds Feedbackorgie »Metal Machine Music« von 1975 mithalten kann. Doch am Ende wartet, bei aller Überdrehtheit mancher Textpassagen und Humorlosigkeit des Vortrags, jene befreiende kathartische Erfahrung, die wahre Kunst von Kommerz trennt.

CD Ein gerinnendes Herz pumpt Blut im Sonnenschein

Foto: Amazon.de


MARTIN FIETZE

Roman Die Wahrheit über den Islam?

Die gegenseitige Annäherung der unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften gelingt im Alltag nicht so oft, wie es die Politik und die Medien uns gern glauben machen wollen. Sabatina James kann davon nicht nur ein Lied singen. In ihrer aktuellen Publikation »Nur die Wahrheit macht uns frei« legt die gebürtige Pakistanerin und konvertierte Christin ihre bewegte Vergangenheit offen, die neben familiärer Emanzipation und heiklen Hilfsaktionen auch eine ständige Angst vor der Zukunft bereithält. In Zusammenarbeit mit Regina Carstensen entstand eine Art autobiografischer road trip, der uns die »Wahrheit« über den Islam zeigen soll und somit als ein Zeugnis der hitzigen Auseinandersetzung zwischen den Religionen gelten darf. Kulturrelativisten werden darin wohl ein reaktionäres und angstschürendes Wortpaket sehen, doch gerade die deutschen »Scheuklappen« begünstigen nach Meinung der Autorin eine Vereinseitigung im Prozess der Auseinandersetzung mit fremden Kulturen: »In Deutschland wird der moderate Islam gelebt, der Euro-Islam, bei dem man sich das Gute herauspickt und alles andere weggelassen hat.« Dem kritischen Einwurf der Vereinseitigung aufgrund subjektiver Darstellungen kann sich James aber nicht entziehen, was sie zum Kontern nötigt: »Sollte dies eine einseitige Meinung sein, die ich über den Koran habe, dann präsentieren Sie mir eine friedfertige Meinung von Anhängern des Propheten Mohammed über Ungläubige.« Unverblümt und schonungslos scheinen die Stichwörter zu sein, mit denen man die erzählerische Gebärde des Buches beschreiben könnte, welche vor allem dort gelungen ist, wo James von einer Pakistanreise berichtet, die sie antrat, um mit misshandelten Frauen ins Gespräch zu kommen. Die Rolle der Frau im Islam als eine persönliche Herzensangelegenheit mündete dann auch in die Gründung des Vereins Sabatina e. V. Leider führt das Selbstverständnis von Emanzipation und Offenlegung im Buch dann hin und wieder zu einer etwas naiven Erzählweise, die besser unterlassen worden wäre: »Und so beschloss ich Ende 2004 keinen Sex vor der Ehe zu haben – und bis heute habe ich mich daran gehalten. So, das ist jetzt geklärt.« Gerade diese Art unnötiger gedanklicher Entblößung schmälert das Ergebnis, wenngleich sie das emotionale Moment der AusfühNur die Wahrheit macht uns frei. rungen, die jederzeit authentisch Mein Leben zwischen Islam und wirken, aufrechterhält. Solange das Christentum auch der Fall bleibt, wird die hitzige Sabatina James Auseinandersetzung mit dem Islam Pattloch-Verlag weiterhin befeuert werden. 16,99 Euro

Text

49

Foto: Sabatina James

MARTIN FIETZE

»Alice im Wunderland«, die Erfolgsgeschichte des Autors Lewis Carroll, ist seit jeher Vorlage für Adaptionen verschiedenster Art. Zwar bietet die Geschichte im Silberlingformat als Hörspiel für Kinder mit knapp einer Stunde Spieldauer nur ein kurzweiliges Vergnügen, doch anspruchslos war die Arbeit des Regisseurs Marcel Ophuls nicht. Die Stimmen bekannter Schauspieler wie Hans Söhnker, Karen Wellmann oder Ernst Sladeck drücken den Figuren ihren persönlichen Stempel auf und machen das Hörspiel zu einem tollen Erlebnis. Eine köstliche Darbietung geben der Herzkönig samt Königin und eine Frau Heerdegen, die als Alice dann noch zu Höchstform aufläuft! Zwar ist das Werk auf die Zielgruppe Kinder zugeschnitten, doch auch Eltern und Großeltern werden sich den wunderbaren Wortspielen und der liebevoll gestalteten Geräuschkulisse nicht entziehen können. Wer also seinem Kind und sich selbst etwas Gutes tun oder in Ruhe seinen studentischen Verpflichtungen nachkommen will, der lasse den Fernseher Alice im Wunderland am Abend ausgeschaltet und beglücke seine Der-Audio-Verlag 9,99 Euro kleinen Racker mit einem Trip ins Wunderland!

Text

Hörbuch Trip ins Wunderland


DAS LETZTE heuler 5 /2011

50

Postskriptum

Weihnachtsmann ahoi!

M

ir wurden in sechs Jahren Rostock drei Fahrräder geklaut. Nummer eins gleich in meiner ersten Nacht im eigenen Heim. Das ist ein halbes Zweirad pro Jahr. Oder eines für jeden gefahrenen Kilometer in dieser Zeit. Nein, ich fahre nicht gerne mit dem Rad. Erstens verrutscht die Frisur, zweitens schwitzt man. Immer. Im Sommer sowieso, da heiße Temperaturen plus Anstrengung eine Schweißsintflut biblischen Ausmaßes erzeugen. Im Winter auch, weil dicke Klamotten plus Anstrengung eine ähnlich fatale Auswirkung haben. Wer mit der Straßenbahn unterwegs ist, kann nebenher Bücher lesen, Gedichte schreiben, flirten, Hausaufgaben machen, lernen oder auch schlafen. Außerdem spart man sich mit einer zehnminütigen Bahnfahrt ein Pensum von zwei Stunden Reality-TV. Ein Vergleich: Selbst eine kleine Reparatur – Kostenpunkt: 21 Euro – entspricht sieben Wochen Suffdöner der gehobenen Mittelklasse nach feucht- bis nassfröhlichem ST-Besuch. Oder 700 Kopien im Copyshop. Oder 30 Flaschen Mate. Dann lieber eine gemütliche Fahrradtour am Wochenende, schön mit Picknick. Wem das zu viel ist, für den gibt es ja noch diesen einen Tag im Jahr, an dem Jesu Christ in den Himmel auffuhr und an dem viele Männer auf ihren Drahteseln zu einem Himmelfahrtskommando aufbrechen, um dem heiligen Himbeergeist zu huldigen. Da brechen dann meist bloß die Männer, nicht die Räder. Hieß es nicht schon in einem alten tadschikischen Sprichwort »Du kannst kein Fahrrad verlieren, das du nie besessen hast«? Ich glaube … nein.

Comic

HANNES FALKE

IMPRESSUM Geschäftsführer: Dirk Ramthor gf@heulermagazin.de Parkstraße 6, 18057 Rostock Telefon: 0381 498 5608 Telefax: 0381 498 5603 www.heulermagazin.de

Text

STEPHAN HOLTZ

Nr. 96 | Dezember 2011

Ressortleiter: Gesa Römer (Universität) Steffie Krauß (Studentenleben) Elisabeth Woldt (Politisches) Alfonso Maestro (Kultur)

Herausgeber: Studierendenschaft der Universität Rostock

Grafik und Layout: Michael Schultz mschultz@filterfreak.net

Redaktionsleitung: Gesa Römer (V.i.S.d.P.) Alfonso Maestro redaktion@heulermagazin.de

Lektorat: Christoph Treskow und Annika Riepe Mitarbeit: Gesa Römer und Andreas Doneith

Redaktionelle Mitarbeit: Maximilian Berthold, Marieke Bohne, Madeline Estes, Hannes Falke, Martin Fietze, Bente-Aileen Frede, Björn Giesecke, Mareike Götz, Yvonne Hein, Anna Hermann, Stephan Holtz, Felix Kasten, Stefanie Krauß, Clemens Langer, Wera Pustlauk, Dirk Ramthor, Annika Riepe, André Rüdiger, Michael Schultz, Marcus Sümnick, Karina Trautmann, Christoph Treskow, Gabriel Volksdorf, Elisabeth Woldt, Antonia Wolschon

Druck: ODR GmbH Koppelweg 2, 18107 Rostock Auflage / Erscheinungsweise: 4.000 / vierteljährlich Titelfoto: Maximilian Berthold Redaktionsschluss für das Heft 96 war der 17. November 2011. Der nächste heuler erscheint voraussichtlich im April 2012. Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 01/2011.


Fotos: Maximilian Bwerthold

RÄTSEL! ?-!

MARIEKE BOHNE UND ANNIKA RIEPE

Kreuz und quer durch Rostock Ganz frisch in der Hansestadt und trotzdem hast du die hinterlegten Buchstaben zu einem Lösungswort zusammengepuzzlet? Dann sende es bis zum 11. November 2011 an redaktion@heulermagazin.de und du gewinnst mit Glück eine 8er-Karte für das Li.Wu – das gilt natürlich auch für langjährige Rostocker! 1: Der gesündeste Ort in den Rostocker Mensen 2: Was hier nur das Wappen ziert, trägt unsere »Schwester« im Namen 3: Bekanntes »Trinkgefäß« in Warnemünde 4: An der kleinsten Rostocker Fakultät studiert man … 5: Die Bretter, die den Rostockern (viel zu selten) die Welt bedeuten

Krippenspiel Welches Stückchen Rostock siehst du hier? Lass uns bis zum 1. Februar 2011 per Mail an redaktion@heulermagazin.de daran teilhaben und gewinne mit Glück eine Rostocker Friends Card im Wert von 20 Euro.

Weihnachtslied Kirchengeschenk Mit welch außergewöhnlicher Gabe beschenkte König Emanuel I. von Portugal im Jahr 1514 Papst Leo X.? Sende uns deine Antwort bis zum 1. Februar 2012 an redaktion@ heulermagazin.de und du hast die Chance auf ein Überraschungspaket des Outdoor-Händlers 54° Nord im Wert von über 100 Euro.

Welche vier Weihnachtslieder wurden hier mithilfe von Thesaurus verfremdet? Erhalten wir spätestens am 1. Februar 2012 deine Lösung, gewinnst du vielleicht eine Copy&Paste-Kopierkarte im Wert von 45 Euro.

51


Probieren

geht über studieren! Gültig bis 29.02.2012

1 belegtes Brötchen oder warmer Snack ab

Gratis dazu

-.99 / Stück

/ Stück

1 Heißgetränk 0,2 l

N u r e in G u t s c h ein pro Per son. Bit te Stude n te n auswe i s vo r le gen . Bei Kauf eines belegten Brötchens oder warmen Snacks erhältst Du bis zum 29.02.2012

1 HEISSGETRÄNK (0,2l) GRATIS!

Gilt nur in der BACK-FACTORY Rostock Kröpeliner Strasse 47 | 18055 Rostock Mo - Fr 7 - 18.30 h | Sa 8 - 18 h

www.back-factory.de


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.