Themenheft von Hochparterre, Dezember 2023
Der zirkuläre Lift
Auch Aufzüge sind Teil der Kreislaufwirtschaft im Bausektor. Dieses Heft erzählt vom Engagement der Liftmanufaktur Emch für Erhalt und Wiederverwendung.
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Karosserie und Fahrgestell werden in der Manufaktur Emch in Bern zusammengefügt. Cover: Das Lager von Emch umfasst unzählige Liftkomponenten, die wieder- und weiterverwendet werden können.
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Editorial
Mehr Expertise, mehr Kreislauf
Inhalt
4 Was der Aufzug zum Kreislauf beiträgt In Sachen Re-Use im Liftbau geht die Liftmanufaktur Emch beispielhaft voran.
8 Lift retten heisst Architektur retten Wie ein 60 Jahre alter Lift in einem ikonischen Wohnhaus der Spätmoderne erhalten und modernisiert werden konnte.
12 Massgeschneiderte Aufrüstung Wie mit einem individuell gefertigten Lift ein denkmalgeschütztes Wohnhaus für einen weiteren Lebenszyklus fit gemacht wurde.
16 Was macht einen Aufzug nachhaltig ? Kreative Sonderlösungen und eine modulare Bauweise verhelfen bestehenden Liftanlagen zu einem längeren Leben.
20 « Ein Lift ist eben kein Handy » Ein Gespräch mit dem Re-Use-Experten und dem Emch-Geschäftsleiter.
Die Kreislaufwirtschaft ist in aller Munde. Kein Wunder, denn es gibt kaum einen näherliegenden Weg zur Reduktion des CO2-Ausstosses als diesen. Wo wieder- und weiterverwendet statt weggeworfen und neu produziert wird, fallen deutlich weniger Emissionen an. Zudem schmeicheln die Ziele der Kreislaufwirtschaft dem gesunden Menschenverstand: Warum auf der Mülldeponie landen soll, was noch bestens zu gebrauchen ist, ist weder für den ökologisch sensibilisierten noch für den logisch denkenden Menschen nachvollziehbar. Dabei hört sich die Idee der Kreislaufwirtschaft einfacher an, als sie tatsächlich zu verwirklichen ist. Nicht nur widerspricht die Idee der Wieder- und Weiterverwendung dem Geschäftsmodell vieler Unternehmen, auch erfordert eine effiziente Kreislaufwirtschaft eingespielte Systeme, Abläufe und Netzwerke, die sich zuerst etablieren müssen. Zirkulär denken, planen und bauen kann man nun mal nicht allein. Es braucht das Mittun aller Beteiligten im Kreislauf. Das gilt umso mehr, je professioneller, umfassender und grösser dieser Kreislauf gedacht wird. Einen Stuhl zu reparieren und weiterzuverwenden, ist etwas anderes, als eine Fassadenverkleidung zu demontieren und andernorts einzusetzen. Nochmals anders liegen die Dinge bei komplexen Bauteilen wie einem Lift. Hier wird deutlich, dass ohne die Expertise von Fachleuten weder die Instandhaltung noch die Modernisierung noch die Wiederverwendung an einem anderen Ort denkbar sind. Das Engagement der Liftmanufaktur Emch ist dafür beispielhaft. Welchen Beitrag der Lift zur Kreislaufwirtschaft im Bausektor leisten kann, was Repair und Re-Use im Liftbau bedeuten und wie wichtig die Zusammenarbeit und der gegenseitige Erfahrungsaustausch zwischen allen kreislaufinteressierten Beteiligten sind – davon erzählt dieses Heft. Die Fotostrecke stammt von Nicolas Delaroche, der im Ersatzteillager von Emch eine faszinierende Sammlung von alten und neuen, grossen und kleinen Objekten entdeckt und fotografiert hat. Sie alle sind Ausdruck einer Firmenphilosophie, die das Kreislaufdenken nicht erst seit gestern enthält. Marcel Bächtiger
Impressum Verlag Hochparterre AG Adressen Ausstellungsstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41 44 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag @ hochparterre.ch, redaktion @ hochparterre.ch Geschäftsleitung Andres Herzog, Werner Huber Verlagsleiterin Susanne von Arx Konzept und Redaktion Marcel Bächtiger Fotografie Nicolas Delaroche, www.nicolasdelaroche.com Art Direction und Layout Antje Reineck Produktion Linda Malzacher Korrektorat Rieke Krüger Lithografie Team media, Gurtnellen Druck Stämpfli AG, Bern Herausgeber Hochparterre in Zusammenarbeit mit Emch Aufzüge hochparterre.ch / emch Themenheft in Deutsch bestellen ( Fr. 15.—, € 12.— ) und als E-Paper lesen
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Was der Aufzug zum Kreislauf beiträgt 4
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Die Klimakrise verlangt nach einer raschen Wende vom linearen hin zum zirkulären Bauen. In Sachen Liftbau geht das Berner Familienunternehmen Emch beispielhaft voran. Text: Marcel Bächtiger
Beim Stichwort Re-Use denkt man zuerst einmal an Fassa denplättli, Wasch- und Spülbecken oder Keramikfliesen mit etwas Patina. Oder an bunte Bricolagen mit Fenstern und Türen, die aus einem Abbruchobjekt gerettet wurden. Doch die Wiederverwendung von Bauteilen beschränkt sich heute nicht mehr auf die Hülle oder die Innenausstattung eines Gebäudes. Der viel beachtete Kopfbau K118 auf dem Sulzer-Areal in Winterthur – der bislang grösste Bau in der Schweiz, der mehrheitlich aus wiederverwendeten Bauteilen besteht – demonstriert, dass ein konsequenter Re-Use-Ansatz bis in den Kern eines Gebäudes vordringt und auch die Tragstruktur umfasst. Man denkt beim Stichwort Re-Use auch häufig an das einfache Bauen, an das handwerkliche Zusammenfügen von einzelnen Bauteilen und Materialien. An ein Bauen, das wenig mit den verleimten und vergossenen Fertigprodukten zu tun hat, deren Innenleben der Laie weder kennt noch versteht. Nur selten jedoch denkt man beim Stichwort Re-Use an die komplexen technischen Anlagen, die mit der Elektrifizierung Anfang des 20. Jahrhunderts zum integralen Bestandteil der Architektur geworden sind. Wenn Wiederverwendung und Kreislaufdenken aber zum neuen Standard im Bauwesen werden sollen, dann müssen neben Verkleidung, Ausstattung und Tragstruktur auch komplexe, nur dem Spezialisten verständliche Hightechbauteile in die Überlegungen miteinbezogen werden. Die grösste und wichtigste dieser technischen Anlagen ist zweifellos der Lift. Seine herausragende Bedeutung in der Architekturgeschichte – keine Hochhäuser ohne Aufzüge ! – macht klar: Sobald wir Re-Use im grösseren Massstab denken, sobald die Architektur mehrgeschossig ist, kann der Lift nicht ausser Betracht gelassen werden. Das ist nicht bloss eine Frage des Komforts, sondern auch der Barrierefreiheit und der Inklusion. Die Notwendigkeit von Fachwissen Was bedeutet nun Re-Use, was bedeutet Zirkularität im Liftbau ? Darauf gibt es so viele Antworten, wie es Ansätze zur zirkulären Wende in der Bauwirtschaft gibt. Vielleicht ist es sinnvoll, erst einmal zu rekapitulieren, welche Ziele die Kreislaufwirtschaft verfolgt und woher ihre Dringlichkeit rührt. Der Grundsatz ist einfach, aber radikal: An die Stelle eines linearen Bauprozesses, bei dem alles, was gebaut wird, über kurz oder lang wieder abgerissen und weggeworfen wird, soll eine zirkuläre Baukultur treten, die im Idealfall gar keinen Abfall mehr produziert, sondern stetig wieder- und weiterverwendet, was bereits verbaut ist. Damit würde die graue Energie, die bei der Produktion von neuen Bauteilen anfällt, auf null sinken. In Kombination mit einem energetisch optimierten Gebäudebetrieb gelänge es so, die CO2-Emissionen des Bausektors weitgehend zu eliminieren. Heute verursacht dieser 25 Prozent des schweizweiten CO2-Ausstosses, zudem generiert er jährlich rund 17 Millionen Tonnen Abfall – eine Wegwerfkultur beängstigenden Ausmasses. Was für Küchen, Kloschüsseln, Fassadenverkleidungen oder Treppengeländer sinnvoll ist, gilt – aufgrund des hohen Grauenergiewerts umso mehr – auch für Liftanlagen: Warum auf die Mülldeponie werfen, was noch brauchbar ist ? Zirkuläres Denken im Liftbau kann auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Massstäben ansetzen. Es umfasst dieselben Kategorien, die für die Bausubstanz im Allgemeinen gelten: vom Erhalt und der Weiterverwendung an Ort ( Repair ) über die Wiederverwendung an einem
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Oldtimer und Exoten Zwei Beiträge, die die Aufzugsbranche zum zirkulären Bauen leisten kann, sind fest in der DNA des Familienunternehmens Emch verankert: die Priorisierung von Modernisierungen gegenüber dem Einbau von Ersatzanlagen und die Expertise bei der Planung von massgeschneiderten Neuanlagen – individuell geplante Lifte, die die Erschliessung mit wenigen Eingriffen in den Bestand und damit den Erhalt von alter und sensibler Bausubstanz ermöglichen. Daniel Steiger, Architekt und Bereichsleiter Verkauf bei Emch, spricht von « zweierlei Oldtimern ». Im ersten Fall ist der Oldtimer ein nicht mehr vollumfänglich tauglicher Lift, der durch Reparatur oder den Ersatz einzelner Teile einem weiteren Nutzungszyklus zugeführt wird siehe ‹ Lift retten heisst Architektur retten ›, Seite 8. Im zweiten Fall ist der Oldtimer das Gebäude selbst, das durch das behutsame Einfügen eines Lifts den heutigen Anforderungen angepasst und so für einen weiteren Lebensabschnitt fit gemacht wird siehe ‹ Massgeschneiderte Aufrüstung ›, Seite 12. Beides sind Repair-Arbeiten, die auf Erhalt zielen – nach wie vor die einfachste und effektivste Methode, um Abfall und CO2-Emissionen zu vermeiden. Re-Use-Strategien, die auf Wiederverwendung an einem anderen Ort abzielen, verfolgt Emch im grossen wie im kleinen Massstab. Der kleine Massstab umfasst die zahlreichen Bestandteile eines Lifts, die – analog zu anderen Bauteilen eines Hauses – nach einem Gebäudeabriss aufbewahrt und wiederverwendet werden. Im grossen Lager mit gebrauchten Liftkomponenten – von den EmchMitarbeitenden ‹ Exotenlager › genannt – findet man von Motoren über Seilrollen und Treibscheiben bis hin zu Muttern, Schaltern, Relais und Druckknöpfen allen Alters und jeder Grösse zu jeder Aufzugsanlage das passende Teil siehe Fotostrecke in diesem Heft. Die ‹ Exoten › in Emchs Materiallager stammen aus demontierten Liftanlagen, gerettet aus zurückgebauten Gebäuden. Weil die weiterhin vorherrschende Abrissideologie auch vor Bauten nicht Halt macht, die kaum 20 Jahre alt sind, sammeln die Mitarbeitenden von Emch immer mal wieder neuwertige Komponenten ein, bevor sie auf der Mülldeponie landen – mitunter ganze Liftanlagen. In diesem grössten denkbaren Massstab ist Re-Use heute noch die Ausnahme. Das liegt auch an den Platzverhältnissen am Firmensitz, die der Aufbewahrung kompletter Liftanlagen enge Grenzen setzen. Dennoch wälzt man bei Emch bereits Ideen, wie Aufzüge integral ausgebaut, eingelagert und schliesslich wiederverwendet werden können. Eine logistische und räumliche Herausforderung, die Emch gemeinsam mit spezialisierten Partnern angehen will.
Warum auf die Mülldeponie werfen, was noch brauchbar ist ?
anderen Ort ( Re-Use ) bis zur Wiederverwertung der Ausgangsmaterialien ( Recycle ). Beim Lift verschärfen sich allerdings die Probleme, die auch bei der Wiederverwendung von einfachen Bauteilen auftreten: Wer baut eine Liftanlage fachgerecht aus und wieder ein ? Wer weiss, welche Teile zu ersetzen und welche noch tauglich sind ? Wer kennt die Funktionsweise der einzelnen Elemente und ihre gegenseitigen Abhängigkeiten ? Und wer garantiert für die Sicherheit ? Anders ausgedrückt: Die zirkuläre Wende im Liftbau braucht den Willen und das Engagement von Spezialisten, die den Lift nicht als Fertigprodukt verstehen, sondern als technisch und gestalterisch hochwertiges Objekt, das mit entsprechender Sorgfalt gefertigt und gepflegt wird. Wenig verwunderlich also, dass der Impetus zu mehr ReUse und Repair im Liftbau von der Schweizer Firma Emch kommt, die sich als Lift-Manufaktur versteht, auf Ideenreichtum und Erfindergeist setzt und sich nicht erst seit gestern für Nachhaltigkeit im Bausektor engagiert.
Der zirkulären Zukunft entgegen Ein Depot mit ausrangierten Liften ist wünschenswert, aber letztlich nur eine Zwischenetappe. In Zukunft wird es nicht mehr darum gehen, hochwertige Liftanlagen und -komponenten vor der Mülldeponie zu retten, sondern Bauwerke samt Liften so zu planen, dass sie im Fall von Nutzungsänderungen einfach demontiert, aufbewahrt und wiederverwendet werden können. Die Hersteller sollen den ganzen Kreislauf von der Produktion über die Erstverwendung, die Demontage und die Aufbereitung bis hin zur Wiederverwendung in einem anderen Kontext mitdenken siehe ‹ Was macht einen Aufzug nachhaltig ? ›, Seite 16. Wie das funktionieren könnte, demonstriert der provisorische Lift, den Emch aktuell für eine Haltestelle des Bahnunternehmens BLS baut: Alles ist so konstruiert, dass es ohne viel Aufwand und ohne Materialverlust wieder dekonstruiert werden kann. In Einzelteile zerlegt und eingelagert, kann der Lift bei nächster Gelegenheit wieder zusammengebaut werden. Im Kleinen und Spezifischen hat hier begonnen, was hoffentlich bald den gesamten Bausektor bestimmen wird: das konsequente Denken in Kreisläufen. Die ökologische Dringlichkeit ist längst gegeben. Für die erfolgreiche Wende vom linearen zum zirkulären Bauen braucht es aber das Engagement und die Expertise jeder einzelnen Branche. Die verschiedenen Initiativen von Emch zeigen beispielhaft, was ein einzelnes Unternehmen dazu beitragen kann, dass zirkuläre Prozesse auch bei komplexen technischen Bauteilen funktionieren können, und dass das ökologische Umdenken nicht nur gesellschaftliche Pflicht ist, sondern mit Pioniergeist und Erfinderlust einhergehen kann.
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Links: Im ‹ Exotenlager › warten auch komplette Antriebssysteme auf ihre Wiederverwendung. Rechts: Mehr als 30 000 Artikel für raschen Austausch oder Reparatur. Themenheft von Hochparterre, Dezember 2023 — Der zirkuläre Lift — Was der Aufzug zum Kreislauf beiträgt
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Lift retten heisst Architektur retten 8
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Grundrisskonzept mit Kleinwohnungen. Lift, Treppe und Zufahrt formen einen markanten Zylinder.
Zur charakteristischen Architektur eines Wohnhauses von Ernst Gisel in Zürich gehört ein runder Lift. Was tun, wenn dieser den Sicherheitsanforderungen nicht mehr genügt ? Text: Miriam Stierle Fotos: Merlin Photography
Über viele Jahrhunderte hinweg führten begrenzt verfügbare Rohstoffe und kostspielige Beschaffungsmethoden zu einem bewussten Umgang mit Baumaterialien. Das widerspiegelte sich in einer nachhaltigen und regionalen Baukultur. Das wirtschaftliche Haushalten mit Ressourcen war eine Selbstverständlichkeit, die zugleich die Langlebigkeit von Bauwerken und deren Nutzung über mehrere Generationen sicherstellte. Obwohl Ideen für eine ressourcenschonende Bauwirtschaft unterdessen breit diskutiert werden, sind Beispiele für die kluge Weiternutzung des Bestands immer noch selten. Gerade im Bereich komplexer technischer Anlagen sind Re-UseKonzepte unterrepräsentiert. So werden etwa Aufzugsanlagen aus Standardproduktion oftmals bereits nach 20 Jahren vollständig ersetzt. Ein alternativer Ansatz, der die Modernisierung und Weiterverwendung des Bestands dem Ersatzneubau vorzieht, ist aber auch im Spezialsegment des Liftbaus möglich. Dass es dabei mitunter um mehr als nur den Lift geht, zeigt das Wohnhaus des renommierten Architekten Ernst Gisel ( 1922 – 2021 ) an der Clausiusstrasse in Zürich. Aufgrund veralteter Sicherheitskonformität hatte die Stadt die Stilllegung der bestehenden Liftanlage aus den 1960erJahren angeordnet. In den meisten Fällen lautet die Reaktion auf eine solche Situation: den alten Lift entsorgen und mit einem neuen ersetzen. Was auf den ersten Blick naheliegend und kostengünstig erscheint, ist aber nicht nur ökologisch fragwürdig. An der Clausiusstrasse hätte ein Ersatz auch radikale Eingriffe in das Gebäude mit sich gebracht. Durch eine massgeschneiderte Lösung gelang es, grosse Teile der Liftanlage zu erhalten und die wertvolle Bausubstanz unangetastet zu lassen. Prägnanter Zylinder Das Wohnhaus an der Clausiusstrasse tritt entsprechend den spätmodernen Gestaltungsprinzipien schlicht und elegant in Erscheinung. Mit 16 effizient organisierten Kleinwohnungen auf vier Geschossen reagierte Ernst Gisel auf den hohen Kostendruck, der bereits im Baujahr 1961 auf den Grundstückspreisen des Universitätsviertels
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lastete. Um das schmale Grundstück optimal auszunutzen, orientierte er die Wohnungen diagonal Richtung Südwesten zum See hin, was in der gefalteten Abwicklung des obersten Stockwerks plastisch zum Ausdruck kommt. Das Grundrisskonzept der Kleinwohnungen ermöglicht das Durchwohnen: Die Küche ist jeweils zur nordseitigen Erschliessungsgalerie hin angeordnet, während der unmittelbar anschliessende offene Wohn- und Schlafraum auf die Südseite ausgerichtet ist. Grosszügige Fensterfronten und vorgelagerte Loggien bieten Ausblick auf das Alpenpanorama. Hochwertige Materialien wie hellgrauer Kunststeinboden, Metalltüren, Türgriffe und Fenster aus Holz ermöglichen eine problemlose Wartung und sind auf eine langfristige Erhaltung ausgelegt. Charakteristisch für die skulpturale Anmutung des Hauses ist schliesslich der runde Treppen- und Aufzugsturm. Er liegt prominent an der Strassenkreuzung und zeugt von einer zeittypischen Auto- und Technikfaszination: Innen schwingt sich eine Treppe um den rund geschalten Liftschacht, aussen betont die kreisförmige Zufahrt zur Garage die prägnante Zylinderform. Plastisch auf den Aufzugsturm aufgesetzte Fenster unterstreichen den körperhaften Ausdruck. Sie werfen ein sanftes Streiflicht ins Innere, das die konkave Rundung des Treppenhauses akzentuiert. Nicht nur formal bildet die Vertikal erschliessung den Dreh- und Angelpunkt des Hauses. Vom Podest aus gelangen die Bewohner zu je einer Wohnung sowie zum aussen liegenden Laubengang, der drei weitere 1- und 2-Zimmer-Wohnungen erschliesst. Der Lift als Pièce de Résistance Zwar toleriert das Liftamt der Stadt Zürich den Betrieb älterer Liftanlagen, auch wenn sie die aktuell geltenden Sicherheitsnormen nicht mehr erfüllen – allerdings nur für eine gewisse Zeit. Danach muss die Bauherrschaft den Anforderungen nachkommen. Der Komplettersatz ist in solchen Fällen noch immer die Regel, erhält die Bauherrschaft zu einem vermeintlich günstigen Preis doch eine neue und frisch zertifizierte Anlage. Dass ein neuer Standardlift häufig eine kürzere Lebensdauer hat als eine hochwertige und sorgfältig modernisierte bestehende Anlage, wird oft zu wenig bedacht. Auch dass ein Komplett ersatz meist bauseitige Arbeiten mit sich bringt, die im Preis nicht enthalten sind, wird bei der Evaluierung kaum berücksichtigt siehe ‹ Ein Lift ist eben kein Handy ›, Seite 20. An der Clausiusstrasse erwies sich der runde Liftschacht buchstäblich als Pièce de Résistance: Seine Dimension und Geometrie waren für die Hersteller von Standardliften zu aussergewöhnlich, als dass sie einen neuen Lift hätten einbauen können. Es blieben also nur zwei Optionen: Abriss des bestehenden Liftschachts und Einbau einer neuen Anlage mitsamt Schacht oder die Stilllegung des Aufzugs und der Bau einer neuen Liftanlage an anderer Stelle im Gebäude. Beide Varianten hätten tiefgreifende Auswirkungen auf die Organisation des Hauses und seine charakteristische Architektur gehabt und die Vernichtung vorhandener Ressourcen nach sich gezogen. Die Liftspezialisten von Emch schlugen einen anderen Weg ein: Sie konzipierten eine massgeschneiderte Anlage, die in den runden Schacht passte, identifizierten die dafür weiterverwendbaren Bauteile des Bestands und ergänzten nur Notwendiges. Das wirkte sich positiv auf Kosten und Montagezeiten aus und ermöglichte erhebliche CO2-Einsparungen. So konnten alle nach aussen hin sichtbaren Komponenten – sowohl Liftschacht und Maschinenraum als auch Schachttüren und Führungsschienen – entsprechend den Prinzipien des zirkulären Bauens einem neuen Lebenszyklus zugeführt werden. →
Das Wohnhaus an der Clausiusstrasse in Zürich mit seinem kreisrunden Treppenturm.
Alte Liftsteuerung.
Alte Führungsschienen – hier vor der Sanierung – haben eine fast unbeschränkte Lebensdauer.
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Wohnhaus mit Kleinwohnungen, 1960 / 61 Clausiusstrasse, Zürich Architektur: Ernst Gisel, Zürich Technische Angaben: – seilmechanischer Personenaufzug mit Maschinenraum über dem Liftschacht – Nutzlast 180 kg / 2 Personen – 5 Haltestellen – 11,83 m Förderhöhe
Sonderanfertigung für einen aussergewöhnlichen Schacht.
Die neue Aufzugskabine hat abgeschrägte Ecken – wie das Original.
→ Die aus Stahl gefertigten Führungsschienen der Kabine haben eine fast unbeschränkte Lebensdauer und konnten problemlos weiterverwendet werden. Anstelle der nicht mehr zulässigen Führungsdrähte für das Gegengewicht wurden zwei Führungsschienen an speziell gefertigten Eisenhaltern platzsparend angeordnet. Bei den Schachttüren mit ihren für die Bauzeit typischen Vollholzgriffen genügte eine sanfte Auffrischung. Besonders im Erdgeschoss ist man dankbar für diesen Erhalt, wurden die Tür zum Laubengang sowie die Briefkastenanlage doch ursprünglich im selben blaugrauen Farbton gestaltet. So blieb die einheitliche Eingangssituation erhalten. Das Drahtglas der Sichtfenster wurde durch normkonformes Sicherheitsglas ersetzt. Eine elektromechanische Fehlschliesssicherung ergänzt, kaum sichtbar, den zuvor rein mechanischen Öffnungsmechanismus der Drehflügeltüren. Bei allen Komponenten wurde sorgfältig abgewogen, ob das Ende des Lebenszyklus tatsächlich erreicht war oder ob mit einem Teilersatz von einzelnen Elementen eine Weiterverwendung möglich wäre. Verschiedene Fähigkeiten sind gefragt Die bestehende Holzkabine durfte wegen der Brennbarkeit nicht weiterverwendet werden. Der kreisrunde Schacht verunmöglichte jedoch die Verwendung einer Standardliftkabine aus Blech. Hinzu kamen die ohnehin schon knappen Dimensionen, die sich mit einer Standardlösung weiter reduziert hätten, führt die Anpassung alter Anlagen an neue Sicherheitsanforderungen im Normalfall doch zu einer Verkleinerung der Kabinenfläche. Früher hatten Liftkabinen üblicherweise nur eine Tür, sodass man die Schachtwand während der Fahrt an sich vorbeiziehen sah. Um die Verletzungsgefahr zu verringern, ist heute eine zusätzliche Kabinentür erforderlich. Aus Platzgründen wurde sie an der Clausiusstrasse als Falttür ausgebildet. Die Emch’sche Spezialanfertigung nutzt die Platzverhältnisse des Schachts optimal aus. Das Konzept der abgeschrägten Ecken der ursprünglichen Kabine wurde aufgenommen. Insgesamt führte die effiziente Platzierung des Kabinentableaus und seiner Elektronik sogar zu einer leichten Vergrösserung der Grundfläche. Die erfolgreiche Weiterverwendung von komplexen technischen Bauteilen verlangt nach verschiedenen Fähigkeiten: Es braucht den Willen, die Sensibilität und die Expertise, um den Wert des Vorhandenen zu erkennen und richtig einzuschätzen. Genauso wichtig sind spezifische Fähigkeiten in der Konzept- und Ingenieurarbeit sowie in der technischen und handwerklichen Umsetzung. Das Wohnhaus an der Clausiusstrasse macht deutlich, dass die Kreislaufwirtschaft nicht nur zu einer Reduktion von Materialflüssen beiträgt, sondern auch qualifizierte Spezialisten fördert. Hinter dem unverändert erscheinenden ikonischen Bauwerk der Spätmoderne verbirgt sich heute ein nachahmenswertes Beispiel zirkulärer Bauwirtschaft. Die Leistung des Liftbauers liegt hier in der Einpassung einer Kabine in einen unkonventionellen Schacht und in der Folge in der Vermeidung eines unverhältnismässig ressourcenaufwendigen Umbaus des Gebäudes. Zudem weist der Lift an der Clausiusstrasse über die spezifische Lösung hinaus: Er steht auch beispielhaft für das Verständnis, das Emch für die Qualität und den Zustand der einzelnen Bauteile und ihre adäquate Ergänzung hat. Damit stösst Emch ein Umdenken im Bereich der komplexen Bauteile an – oder vielmehr eine Rückbesinnung auf Pflege, Werterhalt, Reparaturfähigkeit und Sorge für aufwendig und energieintensiv hergestellte Gebäude.
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Von aussen sieht er aus wie immer: der modernisierte Lift.
Dank den abgeschrägten Ecken und der Falttür fügt sich die neue Kabine ohne Platzverlust in den kreisrunden Schacht. Themenheft von Hochparterre, Dezember 2023 — Der zirkuläre Lift — Lift retten heisst Architektur retten
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Massgeschneiderte Aufrüstung 12
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Wohnungsgrundriss mit eingefügtem Lift rot.
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Mit dem Einbau eines massgeschneiderten Lifts konnte ein bauliches Schmuckstück aus der Jahrhundertwende für einen neuen Lebenszyklus fit gemacht werden. Text: Marcel Bächtiger
Ein solches Haus zu sanieren, sei ein Traum, schwärmt Architekt Stefan Gysel, als wir die gewendelte Treppe hochgehen. Gysel ist Teil der traditionsreichen Berner Ateliergemeinschaft Werkgruppe agw, einem genossenschaftlichen Zusammenschluss von Baufachleuten. Seiner Begeisterung für das Wohn- und Geschäftshaus an der Spitalackerstrasse 60 in Bern kann man gut folgen: Eindrücklich sind die filigranen Steinstufen, dekorativ die Wandmalereien, die den Weg nach oben zieren. Das zenitale Licht fällt stimmungsvoll von weit oben durch das Treppenauge bis in die Eingangshalle hinunter. Das Treppensteigen ist ein Gang durch ein Stück Stadt- und Architekturgeschichte. Gysel kennt das Haus unterdessen wie seine Westentasche. Über die Planungs- und Bauzeit der vergangenen Monate habe er es in- und auswendig kennengelernt, erzählt er. Er habe verstanden, wie es gedacht und konstruiert worden sei. Bald schon habe er gewusst, wo der einzig mögliche Standort für einen Lift wäre. Er ahnte aber auch: Einfach würde der Einbau nicht werden. Der Duft der Belle Époque Erbaut wurde das Eckhaus an der Spitalackerstrasse 60 im Jahr 1906 vom Architekten und Baumeister Antonio Perello. Aus seiner Feder stammen auch die Entwürfe der fünf westlich anschliessenden Bauten – eine stattliche Gebäudezeile in Sichtbackstein und Sandstein. Entstanden sind diese Häuser – wie das gesamte Quartier Breitenrain / Spitalacker – um die Jahrhundertwende, als durch die Wahl Berns zur Bundeshauptstadt, den Bau der Eisenbahn und die Industrialisierung die Bevölkerung rasant wuchs. Der Bau der Kornhausbrücke 1898 gab den Startschuss für die Entwicklung der Nordquartiere, die bis dahin durch den tiefen Einschnitt der Aare von der Altstadt getrennt gewesen waren. Antonio Perellos Eckhaus ist ein typisches Beispiel für die ambitioniert gestalteten Bauten dieser Boomzeit. Die repräsentative Lage an der Ecke Spitalacker- / Moserstrasse führte zu einer Besonderheit: Ein vorgehängter, turmförmiger Erker mit Veranden schmückt die diagonal geschnittene Eckfassade. Reich verzierte, gusseiserne Geländer und Stützen verströmen den mondänen Duft der Belle Époque.
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Kein Wunder also, dass die Denkmalpflege beim Umbau und der Sanierung des Hauses von Anfang an stark involviert war. Jahrzehntelang war nichts angerührt, aber auch nichts investiert worden, das Gebäude war stark sanierungsbedürftig. Man könne sich heute kaum mehr vorstellen, wie es früher ausgesehen habe, meint Stefan Gysel. Die Denkmalpflege hatte ein grosses Interesse an der Sanierung – und daran, dass das Haus in Zukunft sorgsam und respektvoll genutzt würde. Denn: Der einfachste Schutz für ein Gebäude ist sein Gebrauch, besagt eine denkmalpflegerische Weisheit. Wenn ein Gebäude leer steht, können Beschädigungen und Zerfall erschreckend schnell voranschreiten. Eine zukunftsgerichtete Instandhaltung bedeutet deshalb auch bei einem Schutzobjekt nicht bloss Konservierung, sondern Auffrischung und Ertüchtigung. Das Haus soll den vielfältigen Anforderungen und Ansprüchen der aktuellen Zeit genügen und für die Zukunft gerüstet sein. Bei einem gehobenen Wohnhaus in einem beliebten innerstädtischen Quartier gehört heute eine möglichst barrierefreie Erschliessung dazu. Wenn – wie an der Spitalackerstrasse 60 – Geschosshöhen von mehr als drei Metern, ein steiles Treppenhaus und der Wunsch der Bauherrschaft nach Wohnungen für Familien mit Kinderwagen oder für ältere Menschen dazukommen, ist der Einbau eines Lifts mehr als naheliegend. Mit einem minimalen Eingriff kann es gelingen, die historische Bausubstanz Das Wohn- und Geschäftshaus an der Spitalackerstrasse in Bern fast vollständig zu erhalten und sie gleichzeitig für einen ist ein Bijou der Jahrhundertwende. Fotos: Roland Junker weiteren Nutzungszyklus fit zu machen. Die Sanierung an der Spitalackerstrasse zeigt, wie durch die Integration einer massgeschneiderten Liftanlage der Erhalt und die Weiterverwendung der bestehenden Bausubstanz gesichert werden kann. Kein Nullachtfünfzehn-Lift Was Stefan Gysel im Kopf hatte, war auch in den Augen der Denkmalpflege die einzige Lösung: Zwischen Treppenhaus und Badezimmer – dort, wo einst ein Reduit mit Warmwasserboiler eingebaut war – konnte ein kleiner Lift untergebracht werden, der alle Wohnungen direkt erschliesst. « Ich habe eine grobe Skizze gemacht und gesehen, dass diese Lösung mit den bestehenden Wohnungsgrundrissen gut funktionieren würde. Und auch für den Laden im Erdgeschoss und die Erschliessung des Kellers ist sie sinnvoll », so Gysel. Allerdings: Der Platz war äusserst knapp, die historischen Bauteile sensibel und die bestehende Struktur mit vielen Unbekannten behaftet. Mit einem Nullachtfünfzehn-Aufzug von einer Nullachtfünfzehn-Firma, so ahnte der Architekt, würde es nicht gehen. Es brauchte Spezialisten mit einem Sinn für individuelle, vielleicht auch unkonventionelle Lösungen. Spezialisten, die Gysels Passion für das Haus und sein Engagement für eine respektvolle und behutsame Sanierung teilten. Er fand sie ganz in der Nähe, bei der Berner Liftmanufaktur Emch.
Schnitt Liftschacht. 0
1m
Probleme und Lösungen Eine filigrane, aber steile Treppe erschliesst die Wohnungen. Der Standort des Lifts überzeugte organisatorisch und denkmalpflegerisch, brachte jedoch ein Lärmschutzproblem mit sich: Die Rückwand des vorgesehenen Liftschachts war gleichzeitig die Brandschutzwand zum Nachbargebäude. Vibrationen und Körperschall konnten bei einer konventionellen Anlage nicht ausgeschlossen werden. Ein erster Lösungsansatz sah zwei zusätzliche Betonwände vor, die entkoppelt vor die Brandschutzwand zu stehen kämen und an denen man den Aufzug befestigen würde. Dieser Vorschlag warf verschiedene Fragen auf: Wie giesst man Betonwände in einen schmalen Schacht, der sich über mehrere Geschosse erstreckt ? Führt die →
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Blick durch den eingeschnittenen Schacht auf die alten Decken.
Sanierung und Umbau Spitalackerstrasse, 2023 Spitalackerstrasse 60, Bern Bauherrschaft: privat Architektur: Werkgruppe agw ( Stefan Gysel ), Bern Technische Angaben: – seilmechanischer Personenaufzug ohne Maschinenraum – Nutzlast 500 kg / 6 Personen – 6 Haltestellen – 17 m Förderhöhe
Stahlgerüst und Abstandspuffer.
→ Rückverankerung der Betonwände nicht ebenfalls zu Körperschall ? Und sind zwei weitere Wände überhaupt möglich, wenn der Platz ohnehin schon knapp ist ? Die optimale Lösung, das musste man sich eingestehen, war noch nicht gefunden. Nach einiger Bedenkzeit hatte Emch die zündende Idee: ein Stahlgerüst als Liftschacht, selbsttragend, zusammengesetzt aus 6 mal 6 Zentimeter schmalen Rohren. Ein Prinzip, das häufig bei Glasliften zur Anwendung kommt: Auch dort hängt der Aufzug meist hinter der gläsernen Hülle an einem Stahlgerüst. An der Spitalackerstrasse würde das Stahlgerüst selbsttragend in einem Schacht aus teilweise historischen Gemäuern stehen. Auch für die Verankerung und ihr Schallübertragungsrisiko fand Emch eine überzeugende Alternative: Statt Anker in die Brandschutzwand zu treiben, arbeitete man mit Distanzhaltern: kleinen Gewindestangen mit Puffern aus Kunststoff, die zwischen Stahlgerüst und Schachtmauer eingespannt wurden und so den Aufzugschacht stabilisieren. Der Vorschlag löste nicht nur das Lärmproblem, sondern sparte dank der schlanken Konstruktion auch wertvolle Zentimeter ein. Nahezu unsichtbar, versteckt in der historischen Struktur, hat der Lift dennoch eine rollstuhlgängige Türbreite von 80 Zentimetern und eine Innenfläche von 1 auf 1,15 Meter. Die praktische Umsetzung sei eine Herausforderung gewesen, erzählt Stefan Gysel. Das Haus sei alt, die Mauern unterschiedlich dick und nie ganz gerade. Der Architekt und die Emch-Mitarbeitenden fragten sich: Geht das auf ? Steht die Mauer genug weit hinten oder entsteht ein Engpass ? Ganz am Anfang der Bauarbeiten wurden darum durch alle Stockwerke hindurch Sondage-Löcher in die Decken geschnitten. Erst als das Senkblei von ganz oben bis in den Keller gelassen werden konnte, wusste man mit Sicherheit: Ja, so wird es gehen. Nun konnten die grossen Löcher für den Liftschacht eingeschnitten werden. Die dicksten Mauern unten geben die Schachtgrösse vor, oben füllen die eingespannten Distanzhalter den Luftraum. Beidseitiges Know-how Mit den Spezialisten von Emch zu arbeiten, gleiche der Zusammenarbeit mit hoch spezialisierten Handwerkern oder Entwerferinnen, findet Gysel. Man denke und plane gemeinsam, diskutiere, profitiere gegenseitig vom Know-how und finde so passgenaue Lösungen. Er könnte noch viel erzählen: von der Liftgrube, die eigentlich zu niedrig sei, die man nun aber mit einer Schutzraumüberwachung kontrolliere. Oder von den Hourdisdecken, die für die Liftschachtlöcher abgeschnitten werden mussten und die jetzt auf einem neu gemauerten Winkel auflagern. Das alles sei technisch machbar, aber es brauche einen engagierten und kompetenten Partner wie Emch, um solche Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen. Einen Partner, der nicht einfach ein Produkt verkaufe, sondern ein Bauteil konzipiere. Falls ich mehr Unterlagen benötige, könne ich mich jederzeit melden, sagt Stefan Gysel zum Abschied. Mit Plänen sei er nämlich gut ausgerüstet. « So ein schönes Haus, ich konnte fast nicht aufhören zu zeichnen ! »
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Das eingepasste Stahlgerüst geht über alle Stockwerke.
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Hinter einer historischen Zimmertür befindet sich der neue Lift, der alle Wohnungen direkt erschliesst. Foto: Merlin Photography Themenheft von Hochparterre, Dezember 2023 — Der zirkuläre Lift — Massgeschneiderte Aufrüstung
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Text: Olga Rausch
Nachhaltigkeit im Liftbau scheint sich bislang auf das Reduzieren des Energieverbrauchs im Betrieb und das Erschaffen von effizienteren Antriebssystemen zu konzentrieren. So bieten die grossen Hersteller regenerative Antriebe, Energiespeicher, Stand-by-Modi, eine Optimierung von Fahr- und Wartezeiten oder eine energieeffiziente Beleuchtung an. Gerne geht dabei vergessen, dass für die CO2-Bilanz der gesamte Lebenszyklus eines Produkts zählt: von der Herstellung über die Installation und den Betrieb bis zur Instandhaltung. Ins Gewicht fällt vor allem die Herstellung, die notwendigerweise Energie und Material kostet und entsprechend CO2 emittiert. Den grössten Beitrag zu einem nachhaltigeren Aufzug leistet folglich eine möglichst lange Nutzungsdauer: Auch der energieeffizienteste Lift ist wenig nachhaltig, wenn er nach 20 Jahren – das ist die durchschnittliche Lebenserwartung eines Standard-Drahtseilaufzugs mit Gegengewicht – demontiert und komplett ersetzt wird. « Der effizienteste Lift ist derjenige, der so lange im Gebäude bleibt, wie das Gebäude steht, am besten mehr als 100 Jahre », sagt Daniel Steiger, Verkaufsleiter bei Emch und Architekt. Das ist denn auch die Firmenphilosophie: auf robuste und langlebige Anlagen setzen und eine Reparatur dem Ersatz vorziehen. Entgegen dem Trend Ein Aufzug eignet sich bereits heute für die Kreislaufwirtschaft – und das ohne grossen Entwicklungsaufwand. Die Nutzungsdauer der Einzelteile ist sehr unterschiedlich: Verschleissteile wie Antriebe oder Seile müssen häufiger ersetzt werden als weniger beanspruchte Elemente wie Führungsschienen, Tragrahmen oder Gegengewichte, die bei entsprechender Wartung eine nahezu unbegrenzte Lebensdauer haben. Für eine maximale Nutzungsdauer muss jede Komponente einfach repariert oder ausgetauscht werden können. Das bedingt eine modulare Bauweise, doch der Trend geht in die entgegengesetzte Richtung: Aufzüge sind heute
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« Der effizienteste Lift ist derjenige, der so lange im Gebäude bleibt, wie das Gebäude steht. » Daniel Steiger
Was macht einen Aufzug nachhaltig ?
Mit kreislauforientierten Massanfertigungen zeigt Emch Strategien auf, die Aufzügen und bestehenden Gebäuden zu einer längeren Lebensdauer verhelfen.
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Spielraum bei den Ersatzteilen Emch setzt in der Produktion einen Gegentrend: Die Komponenten eines Aufzugs werden individuell zusammengestellt, um auf die spezifischen Anforderungen einer Sonderanfertigung reagieren zu können. Mit einer guten Demontierbarkeit der Bauteile und der separaten Zertifizierung der einzelnen Elemente denkt das Unternehmen bereits bei der Herstellung an eine spätere Reparatur oder Nachrüstung. Ein Aufzug von Emch durchläuft deshalb keine Baumusterprüfung. Stattdessen wird die Konformitätsbescheinigung auf Grundlage einer Einzelprüfung und -abnahme sichergestellt. Das macht nicht nur den problemlosen Austausch von Komponenten entsprechend ihrer Lebensdauer möglich, sondern auch die Verwendung von Bauteilen anderer Lieferanten. Das sorgt für mehr Spielraum bei der Ersatzteilbeschaffung und erlaubt die Anpassung an strengere Normen. Die Prinzipien der Modularität, wie sie bei den Einzelfertigungen von Emch gelten, liessen sich auch auf die Standardlifte der grossen Hersteller übertragen. Wenn auch die Komponenten von standardisierten Produkten entsprechend ihrer jeweiligen Lebensdauer ersetzt werden könnten, würde das die Nutzungsdauer von Aufzugsanlagen entscheidend verlängern. Das setzt jedoch ein Umdenken sowohl auf Hersteller- als auch auf Nutzerseite voraus. Nicht der neuste Standard oder Trend müssen das Ziel sein, sondern möglichst viele Lebenszyklen. Neben der fehlenden Modularität führen auch neue Normen oder Trends zum vorzeitigen Austausch einer Aufzugsanlage. Ein weiterer Grund sind geänderte Nutzungsanforderungen an ein Gebäude. Aufstockung, Unterkellerung oder höhere Lastanforderungen können den Erhalt bestehender Aufzugsanlagen infrage stellen. Auch hier zeigt Emch, was möglich ist. Bei einem Chemieunternehmen in Arlesheim galt es, eine 40 Jahre alte Lastenaufzugsanlage für eine Erhöhung der Transportlast und der Fahrgeschwindigkeit umzurüsten. Zudem sollten die alten Drehflügeltüren mit automatischen Türsystemen ersetzt werden. Emch verstärkte die vorhandene Liftstruktur und passte sie an die neuen Anforderungen an. Zusätzliche Schienenkonsolen garantieren die neu geforderte Erdbebensicherheit. Viel Material konnte weiterverwendet werden, unter anderem das 4000 Kilogramm schwere Gegengewicht, das zum Ausgleich der höheren Nutzlast verlängert und ergänzt wurde. Herausforderung Barrierefreiheit In der Standardisierung von Bauteilen liegt ein grosses Potenzial für deren Wiederverwendung. Dennoch werden flexible Sonderlösungen weiterhin eine wichtige Rolle spielen, gerade beim behutsamen Umbau historischer und bestehender Bauten. Viele ältere Gebäude müssen für die Gewährleistung der Barrierefreiheit umgebaut werden. Das Fehlen eines Lifts oder erwartete Schwierigkeiten im Zuge seines Einbaus können ein Grund sein, das bestehende Gebäude abzureissen. Kreative und zugleich ökonomische Lösungen sind also gefragt.
In der Standardisierung von Bauteilen liegt ein grosses Potenzial für deren Wiederverwendung.
weniger modular aufgebaut als früher. Vergleichbar mit den Entwicklungen in der Automobil- oder Elektroindustrie werden Liftanlagen als geschlossene, standardisierte Produkte gebaut, deren einzelne Teile nicht ohne Weiteres ausgetauscht werden können. Das liegt auch daran, dass die Modelle als Ganzes baumustergeprüft und zertifiziert sind. Das kann zur Folge haben, dass Aufzugsanlagen komplett ausgetauscht werden, selbst wenn nur eine Komponente defekt ist – etwa weil das Ersatzteil für genau diesen Modelltyp nicht mehr produziert wird.
Emch ist es schon mehrmals gelungen, invasive Eingriffe in die Bausubstanz durch Sonderlösungen zu vermeiden. Ganz nach dem Motto « Keine Spuren hinterlassen » hat das Unternehmen oft mit selbsttragenden Schachtstrukturen gearbeitet. Derzeit entwickelt es ein System, bei dem die Aufzugskabine als Gegengewicht funktioniert. Diese platzsparende Lösung hat das Potenzial, vielen älteren Wohngebäuden zu einem längeren Leben zu verhelfen. Ein nachhaltiger Lift ist modular aufgebaut, platzsparend konzipiert und in der Nutzung anpassbar. Er ist robust, langlebig, reparier- und wiederverwendbar. Und ein alter Lift ist dann nachhaltig, wenn er behutsam modernisiert wird. Dafür braucht es Bauherrschaften und Unternehmen, die den Reiz und die Notwendigkeit des Weiterbauens am Bestand erkennen.
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Links: Die Seilrolle ist so konstruiert, dass ein Lagerwechsel einfach ausgeführt werden kann. Rechts: Einzel- statt Massenfertigung bringt Qualität und Lebensdauer.
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Interview: Marcel Bächtiger
Der Lift kann einen wichtigen Beitrag zur zirkulären Wende in der Baubranche leisten siehe ‹ Was der Aufzug zum Kreislauf beiträgt ›, Seite 4. Doch wie geht das konkret ? Wo liegen die Herausforderungen, wo die Chancen ? Welche Rolle spielen Kosten und Garantien ? Und was muss sich ändern ? Darüber diskutieren wir in Emchs ‹ Exotenlager ›, zwischen alten Motoren, Steuerungen und Seilwinden. Mit dem Kopfbau K 118 in Winterthur hat das Baubüro In Situ einen viel beachteten Bau aus wiederverwendeten Bauteilen errichtet. Der Lift aber ist neu. Warum ? Marc Angst: Wir hatten einen relativ neuen Lift eines grossen Herstellers an der Angel, und zwar aus einem Hotel in Zürich, das komplettsaniert werden sollte. Wir trafen uns vor Ort mit Technikern und dem Experten der Fachstelle Aufzugskontrolle der Stadt Winterthur, um abzuklären, ob das Ausbauen und Wiederverwenden sicherheitstechnisch funktionieren würde. Klar, sagten die Techniker, das sei kein Problem. Doch die Liftfirma stellte sich letztlich quer. Das machen wir nicht, hiess es, wir verkaufen nur neue Lifte. Der Lift wurde herausgerissen und entsorgt. Danach war die Zeit zu knapp, um weiterzusuchen. Bernhard Emch: Eine verpasste Chance ! Wäre Emch bei einer solchen Anfrage bereit und fähig gewesen, den Lift auszubauen und weiterzuverwenden ? Bernhard Emch: Absolut. Wir haben schon zu Zeiten meines Vaters Lifte auf- und wieder abgebaut, zerlegt und woanders wiederverwendet, zum Beispiel im Rahmen der Berner Messe BEA. Heute müssen wir häufig Liftanlagen demontieren, die noch gut brauchbar wären – eigene und fremde. Einfach weil das Gebäude abgerissen wird. Wenn man mich in einer solchen Situation fragen würde, ob wir den Lift an einem anderen Ort wieder einbauen würden: Ich würde keine Sekunde zögern ! Wieder- und Weiterverwendung liegt in unseren Genen. Schon seit der Firmengründung ist das unsere Strategie und unsere Nische: Nicht in die Masse gehen, sondern in die Qualität investieren. Lifte nicht herausreissen, sondern in Teilen ersetzen und modernisieren. Allerdings liegt die Entscheidung dazu nicht in unserer Hand. Ich erinnere mich an einen unserer ersten Glaslifte: ein wunderschöner runder Lift für eine Boutique an der Zürcher Bahnhofstrasse. Bereits nach 15 Jahren wurde das Geschäft erneuert und der Lift entsorgt. Da bricht mir das Herz. Einen solchen Lift einzulagern, ist keine Option ? Bernhard Emch: Ein Lift ist eben kein Handy. Eine längerfristige Lagerung braucht sehr viel Platz und ist entsprechend teuer. Wenn nicht klar ist, ob man den Lift in absehbarer Zeit anderswo einbauen kann, ist das für uns finanziell nicht tragbar. Aber wir haben Ideen, wie wir die Wiederverwendung in Zukunft ausbauen können. Marc Angst: Ein Problem, das ich kenne. Genau aus diesem Grund führen wir kein ständiges Lager, sondern arbeiten projektspezifisch: Wenn eine Bauherrschaft mit wiederverwendeten Bauteilen bauen möchte, dann akquirieren wir diese und lagern sie temporär ein – am besten auf der Baustelle oder bei der Bauherrschaft. Für die Bauherrschaft bedeutet das allerdings ein frühes Risiko-Investment. Weil man kein Re-Use-Projekt zeichnen kann, ohne zu wissen, mit welchen Dingen und Massen man arbeitet, müssen die wichtigen Bauteile bei Planungsbeginn bereits gekauft und an Lager sein. Die Kosten bis zur Baueingabe sind deshalb etwa doppelt so hoch wie bei einem konventionellen Neubauprojekt.
« Das Gesetz sieht schlicht nicht vor, dass ein Bauteil wiederverwendet wird. » Marc Angst
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Was bedeutet die Kreislaufwirtschaft für die Liftbranche ? Re-Use-Experte Marc Angst vom Baubüro In Situ und Geschäftsleiter Bernhard Emch im Gespräch.
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Marc Angst links und Bernhard Emch Mitte im Gespräch mit Hochparterre-Redaktor Marcel Bächtiger rechts. Foto: Lukáš Kálna
Marc Angst Der gelernte Zeichner studierte Raumplanung mit Schwerpunkt Städtebau an der HSR in Rapperswil. Im Baubüro In Situ ist Marc Angst als Projektleiter mit Fokus auf Umnutzung, Wiederverwendung und zirkuläres Bauen tätig.
Bernhard Emch Der Maschineningenieur ETH absolvierte das ‹ Owner / President Manage ment ›-Programm der Harvard Business School. 2002 trat Bernhard Emch in vierter Generation in das Familienunternehmen ein und übernahm 2005 die operative Führung der Emch Aufzüge AG.
Nun lagert Emch zwar keine ganzen Liftanlagen ein, die Grösse des Ersatzteillagers ist aber dennoch beeindruckend. Bernhard Emch: Das ist die logische Folge unserer Firmenphilosophie. Wenn man Lifte instand halten will, die 50 Jahre oder älter sind, braucht man ein entsprechend grosses Lager. Allein in unserem Kardex-Regal lagern 30 000 Teile. Stifte, Relais, Widerstände. Dazu kommen die grossen Teile: Motoren, Spulen, Treibscheiben. Alles muss irgendwo Platz finden. Marc Angst: Wisst ihr, was wo liegt ? Habt ihr das im Griff ? Bernhard Emch: Das müssen wir im Griff haben ! Marc Angst: Das Informationsmanagement ist ein Schlüssel für die Wiederverwendung: Wie behält man den Überblick ? Und vor allem auch: Wie viel altes Wissen über das einzelne Bauteil kann man noch abrufen, und wo ? Was muss ich für die Weiterplanung neu erfassen, und wie ? Bernhard Emch: Viel Wissen steckt in den Köpfen unserer Mitarbeitenden. Das wird bereits im Pikettservice deutlich. Ein langjähriger Servicemitarbeiter weiss gut über alte Relais-Steuerungen Bescheid, muss aber auch die moderne Elektronik kennen. Eine junge Servicetechnikerin wiederum kennt sich digital hervorragend aus und beherrscht die Fehlererkennung mit dem Laptop. Aber auch sie muss eine 50-jährige Steuerung verstehen. Das ist eine enorme Herausforderung. Auch für ein erfolgreiches Re-UseProjekt braucht es neben den Bauteilen die entsprechende Expertise. →
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« Ein sorgfältig modernisierter Lift hat eine längere Lebensdauer als ein neuer Standardlift. » Bernhard Emch
→ Marc Angst: Richtig. Wir haben in den vergangenen Jahren sehr viele Erfahrungen gesammelt. Trotzdem brauchen wir, wenn wir Bauteile inventarisieren und bewerten, oft die spezifische Hilfe von Experten. Wir brauchen Partner, die uns sagen, was ein Bauteil kann und was nicht. Wir brauchen Ingenieure, Montagefirmen, Fassadenbauer oder die ursprünglichen Herstellerfirmen. Im Idealfall können wir dieser Firma gleich den Auftrag geben, die Bauteile aus- und wieder einzubauen und die entsprechenden Ersatzteile zu liefern. Aber dazu sind längst nicht alle Hersteller bereit. Oft heisst es: Ich verkaufe dir gerne ein Fenster, aber nur ein neues. Bernhard Emch: Das ist ein extrem wichtiger Aspekt. Wir haben von Anfang an viel Wert darauf gelegt, langlebige Lifte zu erstellen und diese auch modernisieren zu können. Die Bestandteile eines Lifts haben sehr unterschiedliche Lebensdauern. Während man die Elektronik nach 12 bis 15 Jahren ersetzen muss, hält eine gut gefertigte Führungsschiene aus Stahl im Prinzip für die Ewigkeit. Aber die Qualität muss natürlich stimmen. Wenn man die Dimensionierung der Stahlteile so weit herunterfährt, dass diese nach 15 Jahren ebenfalls abgenutzt sind, ergibt es tatsächlich keinen Sinn mehr, den Lift zu modernisieren. Finanzielle Überlegungen spielen sicher auch aufseiten der Bauherrschaft eine Rolle. Bernhard Emch: Wenn wir einem Kunden die Modernisierung einer alten Liftanlage anbieten, er aber gleichzeitig eine günstigere Offerte für einen Totalersatz erhält, ist das für ihn erst mal schwierig zu verstehen. Ein sorgfältig modernisierter Lift hat aber eine längere Lebensdauer als ein neuer Standardlift‚ der unter Umständen bereits nach 15 Jahren ersetzt werden muss. Zudem wird häufig nur der Lift selbst budgetiert. Die Bauherrschaft übersieht, dass beim Einbau einer neuen Anlage Türrahmen herausgespitzt werden müssen und viele bauseitige Anpassungen anfallen, die in der Offerte nicht enthalten sind. Wenn man nun noch die Umweltkosten miteinberechnet, wenn man bedenkt, was an grauer Energie verschleudert wird, wenn ein ganzer Lift weggeworfen wird – dann sollte man einsehen, dass eine Modernisierung sinnvoller ist. Aber wie gesagt: Auf den ersten Blick erscheint der Ersatz eines Rädchens sehr teuer im Verhältnis zu den Kosten einer neuen Liftanlage. Marc Angst: Der Kostenfaktor ist für die Kundschaft verständlicherweise relevant. Auch wir sind immer wieder mit der Hoffnung konfrontiert, dass ein Re-Use-Projekt günstiger ausfällt als ein Neubau. Schliesslich sind die Bauteile ja Secondhand ! Diese Hoffnung müssen wir jeweils zerschlagen. Wir sind schon glücklich, wenn wir es zum gleichen Preis schaffen. Bernhard Emch: Dass in Sachen Ökologie und Nachhaltigkeit vieles machbar, aber nichts gratis ist, ist in den Köpfen der Menschen noch nicht angekommen. Marc Angst: Und dass uns der Klimaschutz auf andere Weise noch viel teurer zu stehen kommt ! Unterdessen können wir das recht gut vermitteln – zumindest unseren Bauherrschaften, die bereits für das Thema sensibilisiert sind und den Mehrwert darin erkennen. Die Kosten sind das eine, Sicherheit und Zertifizierung das andere. Welche Strategien im Umgang damit bieten sich an ? Marc Angst: Dass es auf Secondhand-Bauteile keine Garantie gibt, ist regelmässig ein Thema. Wir sind an einem Forschungsprojekt von Wirtschaftsjuristen der ZHAW beteiligt, das die rechtlichen Aspekte von Re-Use behandelt. Das Gesetz sieht schlicht nicht vor, dass ein Bauteil wiederverwendet wird. Der Graubereich ist gross. Wer trägt welches Risiko ? Wir haben nun eine vertragliche Kaskade entwickelt, bei der durch bezahlte Zusatzprüfungen
die Sorgfaltspflicht aller Beteiligten gewährleistet wird. So stellen wir sicher, dass nur einwandfreie Bauteile zum Einsatz kommen. Zudem: Die Garantie erlischt nach 2 bis 5 Jahren. Gut ausgewählte Bauteile haben bereits einige Jahre auf dem Buckel. Wenn sie dann für gut befunden werden, wozu braucht es noch eine Garantie ? Wohlverstanden: Auf Montage und auf neue Arbeiten am Bauteil verlangen wir natürlich die üblichen Gewährleistungen. Aber bei einem Lift stellen sich bestimmt nochmals andere Anforderungen. Bernhard Emch: Die Frage der Zertifizierung ist für uns definitiv ein Thema. Ein modernisierter Lift kann nicht allen Richtlinien entsprechen, die für eine neue Anlage gelten. Wenn unsere Kundschaft einen Nachweis verlangt, stellen wir eine Konformitätsbescheinigung aus, in der wir die Verantwortung übernehmen und bestätigen, dass alles, was wir erneuert haben, mit den neuesten Sicherheitsanforderungen kompatibel ist. Marc Angst: Mit solchen Ersatzmassnahmen setzen wir uns täglich auseinander. Viele Bauteile, die wir verwenden, entsprechen nicht unbedingt den aktuell geltenden Normen. Sehr oft finden sich aber einfache, kreative Ersatzmassnahmen. Das beginnt schon im Entwurf. Auch das Gespräch mit der Baupolizei hilft. Die Behörden sind zu Verhältnismässigkeit verpflichtet. Ist das Normenziel auch alternativ zu erreichen oder im konkreten Fall nicht prioritär, liegen Ausnahmen drin. Bernhard Emch: Die Norm beschreibt ja nur einen Weg, wie die Sicherheitsvorgaben erfüllt werden können. Wenn nachgewiesen werden kann, dass die Sicherheitsvorgabe erfüllt ist, darf man von der Norm abweichen. Trotzdem: Das Produktehaftpflichtgesetz bleibt relevant. Am Ende geht es um den Schadensfall. Und da gibt es im Bereich Re-Use viele Fragen, die rechtlich nicht geklärt sind und die dringend angegangen werden müssten. Wie weit ist die Liftbranche als Ganzes im Umdenken Richtung zirkuläres Bauen ? Bernhard Emch: Es passiert viel, europaweit. Überall spürt man die Tendenz, die Modernisierung als wertvollen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft anzuerkennen. Die Hersteller von Standardaufzügen tun sich dabei aber sicher schwerer als kleine, flexible KMU. Marc Angst: Modernisierung statt Ersatz muss oberste Priorität haben ! Das geht nicht ohne entsprechende Vorschriften, zum Beispiel über eine vorgezogene Entsorgungsgebühr oder über die Pflicht zur Ersatzteilhaltung und zum Reparaturservice. Bernhard Emch: Das Thema betrifft nicht nur die Herstellerfirmen, sondern auch die Hauseigentümer. Sie müssen vermehrt Produkte fordern, die reparierbar und modernisierbar sind. Es braucht ein Umdenken auf vielen Ebenen. Marc Angst: Erhalt ist zweifellos am wichtigsten. Wir werden aber auch in Zukunft mit Rückbauten und Provisorien konfrontiert sein. Und in diesen Fällen ist es zentral, dass die Bauteile im Kreislauf bleiben. Bernhard Emch: Wenn wir also das nächste Mal einen Lift demontieren müssen, kann ich mich an dich wenden ? Marc Angst: Unbedingt. Re-Use funktioniert momentan am besten über Netzwerke. Die Rückbaulogistik ist noch nicht weit entwickelt. Wir müssen wissen, wen wir für welches Bauteil anrufen können. Bernhard Emch: Und wir bieten gerne unsere Expertise und Mitarbeit an, wenn ihr bei einem Re-Use-Projekt einen Lift aus wiederverwendeten Bauteilen einbauen wollt. Findet über niederschwellige Netzwerke wie dieses eine Professionalisierung von Wieder- und Weiterverwendung statt ? Marc Angst: Ja. Und die Nachfrage wächst stark.
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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2023 — Der zirkuläre Lift — « Ein Lift ist eben kein Handy »
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Ein modularer Aufbau der Steuerung garantiert Reparier- und Erweiterbarkeit bei geänderten Nutzungsanforderungen in der Zukunft.
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Der zirkuläre Lift
Nimmt man die Ziele der Kreislaufwirtschaft ernst, sollten nicht nur Fassadenplättli und Lavabos wieder- und weiterverwendet werden, sondern auch komplexe Bauteile wie Liftanlagen. Die Herausforderungen sind grösser, der ökologische und der baukulturelle Gewinn aber ebenso. Dieses Heft berichtet vom Engagement der Liftmanufaktur Emch für den zirkulären Lift. Die vorgestellten Projekte zeigen beispielhaft, wie ein spezialisiertes Unternehmen einen Beitrag zu den Zielen Recycle, Re-Use und Repair im Bausektor leisten kann. www.emch.com
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Hochparterre X / 18 — Titel Artikel