
Themenheft von Hochparterre, April 2025
Themenheft von Hochparterre, April 2025
Die Stadtwerdung der Birsstadt ist im vollen Gang. Zehn Gemeinden koordinieren gemeinsam Landschaftsschutz und Raumentwicklung. Nun ist die Baukultur dran.
Der Ausblick von der Burg Birseck und der Einblick ins Wydeneck-Areal in Dornach sind typisch für
Umschlag:
Das Haus der elektronischen Künste war eine der ersten Nutzungen auf dem Dreispitz-Areal in Münchenstein.
Inhalt
4 Mit der Natur arbeiten
Die Birslandschaft vernetzt und schafft Identität.
8 Dorfidyll und Stadttreiben
Das Wachstum der Birsstadt trifft nicht nur auf Gegenliebe.
12 Zwei, die verbunden sind
Die Stadt Basel und die Birsstadt im Zahlenvergleich.
14 Entwicklungsmotor Birs
Besuch auf den Transformationsarealen an der Birs.
24 Auf einen Blick
Übersichtskarte der Birsstadt.
26 Projektschau
Die wichtigsten Projekte im Überblick.
32 Von Hürden und Hebeln
Die Verdichtung mit Quartierplänen gelingt nicht immer.
36 Über Gemeindegrenzen hinaus
Der Wakkerpreis ist Ehre und Verpflichtung zugleich.
‹ Die Birsstadt: Sieben Gemeinden – eine Behauptung › Themenheft von Hochparterre, August 2007 Lesen Sie, wie alles begann.
Editorial
Der Ursprung der Idee Birsstadt liegt wohl irgendwo zwischen Gemeinde- und Kantonsverwaltungen. Hochparterre schrieb sie 2007 in einem Themenheft fest. Seither haben die zehn Gemeinden der Birsstadt Planungsinstrumente erarbeitet, die die Entwicklung der Region koordinieren. Ein erstes Freiraumkonzept von 2009 wurde 2016 durch den Aktionsplan ‹ Birspark Landschaft › weiterentwickelt und mit einem Raumkonzept ergänzt. 2023 folgte ein Mobilitätskonzept, 2024 ein Leitfaden zur Klimaadaption. Doch Konzepte brauchen Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten. Die ältesten davon koordinierten die Aufwertung der Natur- und Erholungslandschaft entlang des Flusses Birs. Karin Salm hat Raimund Rodewald und Aurelia Wirth auf einem Spaziergang entlang der Birs begleitet, um die umgesetzten Landschaftsprojekte zu besichtigen. Die lokale Journalistin Fabia Maieroni sucht in der Birsstadt-Bevölkerung nach Identitäten zwischen Dorf und Stadt und liest das Stimmungsbarometer hinsichtlich der Verstädterung der Agglomeration ab. Reto Westermann setzt sich aufs Velo, um die einstigen Industrieareale entlang der Birs zu erkunden und Hinweise über die Transformationspläne zu sammeln. Eine Projektschau zeigt die wichtigsten Vorhaben – ob natürlich wachsend oder von Menschenhand gebaut. Wir fragen in zwei Gemeinden nach, ob der Quartierplan das richtige Instrument zur Verdichtung ist. Und Gabriela Neuhaus wagt einen Ausblick auf das aktuellste Thema der Birsstadt: die Lenkung der Baukultur. Dlovan Shaheri hat die vielen Facetten des Birstals mit der Kamera eingefangen.
Alle sind sich einig: Im Birstal findet sich eine wahre Sammlung von Perlenketten. Da gibt es eine Kette mit landschaftlichen Perlen und eine mit bauhistorischen, eine mit Siedlungen und eine mit Industriearealen. Nun gilt es, auch die Räume zwischen den einzelnen Perlen zum Glänzen zu bringen. Joris Jehle
Dieses Themenheft ist eine journalistische Publikation, entstanden in Zusammenarbeit mit Partnern. Die Hochparterre-Redaktion prüft die Relevanz des Themas, ist zuständig für Recherche, Konzeption, Text und Bild, Gestaltung, Lektorat und Übersetzung. Die Partnerinnen finanzieren die Publikation, genehmigen das Konzept und geben ihr Einverständnis zur Veröffentlichung.
Impressum
Verlag Hochparterre AG Adressen Ausstellungsstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41 44 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag@hochparterre.ch, redaktion@hochparterre.ch Geschäftsleitung Deborah Fehlmann, Roderick Hönig Redaktionsleitung Axel Simon Leitung Themenhefte Roderick Hönig Konzept und Redaktion Joris Jehle, Rahel Marti Fotografie Dlovan Shaheri, www.dlovanshaheri.ch Art Direction Antje Reineck Layout Jenny Jey Heinicke Produktion Nathalie Bursać Korrektorat Rieke Krüger Lithografie Team media, Gurtnellen Druck Stämpfli AG, Bern Herausgeber Hochparterre und Wüest Partner in Zusammenarbeit mit Verein Birsstadt, Kanton Basel-Landschaft und Kanton Solothurn hochparterre.ch / birsstadt Themenheft bestellen ( Fr. 15.—, € 12.— ) und als E-Paper lesen
Die renaturierte Birs verbindet die zehn Gemeinden. Bei St. Jakob tr ennt sie die Gemeinden Muttenz und Münchenstein.
Ein Spaziergang mit der Umweltökologin Aurelia Wirth und dem Landschaftsschützer Raimund Rodewald durch das grüne Herz der Birsstadt: die Birspark-Landschaft.
Dort, wo die Birs in den Rhein mündet, befindet sich das beliebte Birsköpfli: ein Ort, der vor allem an warmen Tagen zum Entspannen einlädt, ein Erholungsort für die Bevölkerung aus Basel und Birsfelden. « Das Birsköpfli ist vielleicht etwas banal », sagt Raimund Ro dewald. Als langjähriger Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz kennt er wie kaum ein anderer die Eigenheiten der hiesigen Landschaften. Zur Birspark-Landschaft, die sich von Birsfelden Richtung Süden entfaltet, sagt er: « Ich kenne aber keine Landschaft mit ähnlichem Charakter: In einem kleinräumigen grünen Korridor reiht sich hier eine landschaftliche Perle an die andere. » Wir nehmen den Birsufer weg unter die Füss e und beginnen den Spaziergang nach Arlesheim. Thementafeln informieren über den Wakkerpreis-gekrönten Zusammenschluss von zehn Gemeinden zur Birsstadt.
Aurelia Wirth, die in Muttenz seit bald neun Jahren die Abteilung Umwelt leitet, gibt ein zügiges Tempo vor. Nach gut 30 Minuten stehen wir auf der St. Jakob -Brücke in Muttenz. Unter uns bietet das Rauschen der Birs dem Autolärm tapfer Paroli. Nordwärts liegt das Hagnau-Areal, auf dem Wohnhochhäuser geplant sind. Als Antwort auf diese bauliche Verdichtung soll südlich der St. Jakob -Brücke nach Plänen der Büros Berchtold Lenzin Landschaftsarchitekten, Holinger und Versaplan der Natur- und Erholungsraum Schänzli ( 2 ) entstehen. Und das hat mit einem mutigen Entscheid zu tun. « Im Rahmen der Zonenplanung Landschaft hat die Gemeindeversammlung von Muttenz 2009 beschlossen, die ehemalige Reitsportanlage Schänzli in eine Grünzone umzuwandeln », erzählt Aurelia Wirth. Dies sei ein Meilenstein.
Heute strahlt die alte Reitsportanlage einen ruinösen Charme aus. Wer die Augen zusammenkneift, kann den Glamour der vergangenen Zeiten mit eleganten Reitern in weissen Hosen und glänzend schwarzen Stiefeln erahnen. Die sieben Hektaren grosse Fläche soll in eine dynamische Flusslandschaft verwandelt werden. Die Pläne des Landschaftsarchitekturbüros sehen eine Teilabtragung des Geländes vor, sodass der Zugang zur Birs frei ist und zum Baden einlädt. Ruderale Flächen sind vorgesehen, auch Aufforstungen und Partien, in denen der Naturschutz Priorität hat. Berchtold Lenzin leiten ihr Projekt aus der historischen Situation der Birslandschaft vor der Korrektur Anfang des 19. Jahrhunderts ab. Aurelia Wirths Freude darüber, an diesem für Muttenzer Verhältnisse grossen Umwandlungsprozess beteiligt zu sein, ist spürbar.
Mit der Revitalisierung steigt der Nutzungsdruck Im ‹ Schänzli › wird die L enkung der Besucherinnen eine Herausforderung sein. « Wo revitalisiert wird, steigt der Erholungsdruck », sagt Wirth und zeigt auf das Naturschutzgebiet Vogelhölzli auf dem Schänzli, das südlich am künftigen Natur- und Erholungsraum ‹ Schänzli › anschliesst. Hier wurde die Birs 2015 revitalisiert. Ausge -
‹ Aktionsplan Birspark Landschaft › 2015 entwickelten s echs Birsstadt-Gemeinden einen Aktionsplan, um den Birsraum als Erholungs- und Naturschutzgebiet langfristig zu sichern und aufzuwerten. Dieser basiert auf dem Freiraumkonzept von 2009 und dem Raumkonzept Birsstadt 2035. Der ‹ Aktionsplan Birspark Landschaft › fördert neue Querverbindungen für den Langsamverkehr, aufgewertete Sitzgelegenheiten, Gemeinschaftsgärten und Lärmschutz. Gleichzeitig schafft er Vernetzungskorridore, fördert gezielt Pflanzen- und Tierarten und setzt den ökologischen Ausgleich in Transformationsgebieten um. Jede Gemeinde realisiert mindestens ein Leuchtturmprojekt, um Erholung und Naturschutz zu verbinden. Konflikte zwischen der Naherholung und dem Schutz sensibler Lebensräume, etwa in der Reinacher Heide, erfordern ein ausgewogenes Konzept. Synergien mit Hochwasserschutz und Siedlungsentwicklung sollen den Birspark als grünes Rückgrat der Region stärken.
spülte Uferpartien erfreuten den Eisvogel, was wiederum dem Natur- und Vogelschutzverein Münchenstein gefiel. Bei tiefem Wasserstand werden Besucher von Entdeckerlust gepackt und queren die Birs, um es sich im Vogelhölzli gemütlich zu machen. Verbotstafeln sind die Antwort, denn das Naturschutzgebiet, in dem sich einst Feldhase und Pirol wohlfühlten, ist nach dem Bau der Autobahn 1982 auf einen Drittel geschrumpft. Rodewald ist zuversichtlich, dass die Besucherlenkung gelingen wird. « Wenn ich an den Park im Grünen in Münchenstein oder die Ermitage in Arlesheim denke, bin ich überzeugt, dass die Menschen rund um Basel im sorgfältigen Umgang mit Parkanlagen geübt sind. »
Die Spaziergangslandschaft
Wir wandern weiter in der Birspark-Landschaft. Rodewald nennt sie « Spaziergangslandschaft » und erklärt: « Die Landschaft zeigt sich nicht auf einen Blick, sondern bietet als grüner Korridor ein unmittelbares Erlebnis. » Als Rodewald als Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz 2012 den Birspark zur Landschaft des Jahres erklärte, fand er vom Birspark keine aufschlussreichen Fotografien, nur Luftaufnahmen, die aber nicht das vermitteln, was die Spazierenden erleben.
Akustisch begleitet werden wir vom Autolärm. Wir bleiben stehen und schauen uns das Projekt ‹ Vernetzungsachse › an: Am Fuss einer 20 0 Meter langen Betonwand sind Kompartimente aus Steinen und Holz gebaut worden, darin Sträucher und Stauden, Ast- und Steinhaufen und Holzbeigen als Lebensraum für Wildbienen, Insekten und Echsen. « Hier wurde auto chthones Saatgut, das ennet der Autobahn und in der Reinacher Heide gesammelt wurde, ausgesät », erzählt Wirth.
Dieser lange Streifen entlang der Autobahn soll die Artenvielfalt fördern. Rodewald liest den Streifen auch als Sorgfaltszeichen. Die Umweltpsychologie hat gezeigt, dass Zeichen von Umsicht und Achtsamkeit die Empathie der Menschen für einen Raum erhöhen. Für die Einwoh-
nerschaft der Birsstadt-Gemeinden hat die Arbeitsgruppe Birspark Landschaft eine Broschüre ausgearbeitet. Als Ergänzung zur ‹ Vernetzungsachse › gibt sie praktis che Tipps, wie man selbst dazu beitragen kann, um die Artenvielfalt im Siedlungsraum zu fördern. So verzahnt sich die Birspark-Landschaft heimlich mit dem Siedlungsraum.
Birspark-Landschaft als Rückgrat
Wie auch der Natur- und Erholungsraum ‹ Schänzli › gehört dieser ökologisch aufgewertete Streifen entlang der Autobahn zu den Leuchttürmen des Aktionsplanes siehe Seite 5, der 2016 verabschiedet wurde. Mit dem Aktionsplan, dem ein Freiraumkonzept zugrunde liegt, bekennen sich die Birsstadt-Gemeinden dazu, kleinere und grössere Projekte in der Birspark-Landschaft zu realisieren. Es sind Projekte, die den Erholungswert der Natur- und Freiräume erhöhen, was mit Blick auf die rasant wachsende Bevölkerung und die Zunahme der Beschäftigten wichtig und sinnvoll ist. Gleichzeitig stärken diese Projekte aber auch die ökologische Qualität. « Dies er Aktionsplan und die konkreten Umsetzungen sind wichtig für die Wahrnehmbarkeit », sagt Wirth. D enn die Birspark-Landschaft mit dem Freiraumkonzept sei letztlich das Rückgrat der Birsstadt und damit ein Beitrag zu ihrer städtebaulichen Aufwertung und nachhaltigen Entwicklung. Oder anders gesagt: Die Lands chaft ist zentraler Teil der raumplanerischen Vision Birsstadt.
Aurelia Wirth und Raimund Rodewald sind überzeugt, dass die kluge zeitliche Abfolge von Freiraumkonzept und Aktionsplan zum Erfolg der Birspark-Landschaft geführt habe. Auch die Auszeichnung ‹ Landschaft des Jahres 2012 › habe sicher dazu beigetragen, sagen sie. Raimund Rodewald erinnert an die damalige Raumplanungsdebatte. Die Erkenntnis, dass eine Siedlungsentwicklung nach innen dringend, die Verkleinerung von Bauzonen sowie der Verschleiss von Kulturland einzudämmen sei, begann sich zu etablieren. Im Frühling 2013 sagten schliesslich 62,9 Prozent der Schweizer Stimmbevölkerung Ja zum revidierten Raumplanungsgesetz RPG. Die Birspark-Landschaft ist also auch das Resultat der damaligen politischen Stimmung.
Die drei Weiher in der Mühlematt bei Münchenstein und Muttenz ( C ), die 2020 angelegt wurden, sind bestens integriert. Bereits beim Bau wurden Hirschkäfer, Feuersalamander und Ringelnattern beobachtet. « Die Weiherkette hat Potenzial für weitere Vernetzungsprojekte », kommentiert Wirth. Raimund Rodewald nickt und kommt auf das Geld für die Pflege zu sprechen. Er weiss, dass die Zukunft des Fonds Landschaft Schweiz, der seit 1991 per Bundesgesetz den Erhalt und die Pflege naturnaher Kulturlandschaften finanziell unterstützt, ungewiss ist. Der Grund: die Expertengruppe des Bundesrates schlägt vor, ab 2026 auf weitere Fondseinlagen zu verzichten. Darum werde es bei Aufwertungsprojekten immer wichtiger, mit der Natur statt mit Hightech-Lösungen zu arbeiten.
Freizeitraum mit freundlicher Grenze
Dieses Prinzip liegt auch dem Natur-und Erlebnisweiher ( 11 ) bei Reinach zugrunde. Raimund Rodewald atmet auf und verweist auf die Weite, die sich hier erstmals in der Birspark-Landschaft entfaltet. Viel Himmel breitet sich über der ehemaligen Abwasserreinigungsanlage aus. Ihre Becken wurden in seichte Teiche verwandelt, rundherum geht eine robuste Ruderallandschaft in die Birs über. Diese darf sich im revitalisierten Flussbett einen freien Weg suchen und je nach Wassermenge unterschiedlich grosse Inseln und ein steiles Sandufer für die Bruthöhlen des Eisvogels bilden.
Es wird deutlich: Hier hat die Natur ihren Platz. Aber auch für Familien mit Kindern, Jugendliche und andere Erholungssuchende wurde ein attraktiver Freizeitraum mit direktem Zugang zur Birs und hoher Aufenthaltsqualität geschaffen. Ein aus Ästen geflochtener Zaun, der auch mitten durch die Flachteiche geht, bildet eine freundliche Grenze. Aurelia Wirth weist darauf hin, dass diese natürliche Trennung der Bereiche die Handschrift des Büros Berchtold Lenzin trage und einen Hinweis darauf gebe, wie die Trennung der Bereiche im ‹ Schänzli › bei Muttenz dereinst aussehen könnte. Der konstante Lärm der Autobahn macht uns bewusst, dass wir uns nicht in einer reinen Naturidylle befinden, und der Landschaftsschützer Rodewald beginnt über eine Verlängerung der Überdeckung der Autobahn zu sinnieren. Nachdem wir weitere 300 Meter durch einen grünen Korridor gewandert sind, bietet sich unvermittelt ein neues Bild: Die Reinacher Heide ( F ) ist eine lang gezogene, savannenartige trockene Magerwiese mit locker verteilten Buschinseln. « Floristis ch ist das eine Naturoase. Hier fühlt sich die Spitzorchis wohl », schwärmt Raimund Rodewald. Ursprünglich war die Reinacher Heide Teil einer wilden Flusslandschaft. Heute können auf der 40 Hektaren grossen Magerwiese rund 600 verschiedene Pflanzenarten gezählt werden. Das entspricht der Hälfte der Pflanzenarten, die im Kanton Baselland vorkommen. Ein wertvoller Naturraum, der 1974 unter Naturschutz gestellt wurde und heute eine der wichtigen Perlen der Birspark-Landschaft darstellt. Aufgrund seiner Bedeutung sind hier Ranger unterwegs.
Die Nähe zur Birs ist ein Trumpf Wir wechseln für einen kurzen Streckenabschnitt auf die andere Seite der Birs, nach Arlesheim. Wir erfreuen uns an der erfolgreichen Transformation des Seidenfabrik-Areals Schappe in eine Wohnsiedlung mit kleinem Gewerbeanteil und staunen über den Gewerbekanal, auf dem ein Graureiher nach Fischen Ausschau hält. Wir wandern den Weleda-Gärten entlang, wundern uns, ob die Gärtnerinnen sich von der Ufervegetation haben inspirieren lassen, und sind überzeugt, dass sich der markante Landschaftsraum entlang der Birs auf den Siedlungsbereich auswirkt. Das ehemalige Industrieareal ‹ Metalli › in Dornach hat er ganz sicher beeinflusst. 130 Jahre lang wurde dort Metall produziert. Bis 2040 soll das Areal endgültig in ein gemischt genutztes Quartier verwandelt werden. Für die Entwicklung des Wydeneck ( 14 ) ist die Nähe zur Birs ein grosser Trumpf und der Park mit einer naturnahen Auenlandschaft zentral. Schlusspunkt unseres Gangs durch die Spaziergangslandschaft, die das Rückgrat der Birsstadt bildet, ist die Kuhweide in Aesch: Hier wurde das Gelände der Versickerungsanlage ökologisch aufgewertet. Im ehemaligen Wasserbecken gedeiht eine Trockenwiese, auf der blütenreiche Sträucher wie Weiss- und Schwarzdorn und Wildrosen wachsen. Kleinststrukturen aus Astund Steinhaufen ergänzen das Angebot für Schmetterlinge und andere Insekten.
Nach einem gut zweistündigen Streifzug entlang der Birs mit einigen Pausen ist das allgemeine Fazit: Die Birspark-Landschaft bietet eine aussergewöhnlich hochwertige und abwechslungsreiche Abfolge von Natur-, Kulturund Erholungsräumen, die von der Bevölkerung geschätzt und rege genutzt werden. Sie ist die identitätsstiftende Partie in einer zunehmend dichter bebauten Landschaft und das Ergebnis einer formalisierten Zusammenarbeit der Birsstadt-Gemeinden. Damit die Projekte nachhaltig miteinander vernetzt bleiben, gibt es gemeinsame Kurse für die Mitarbeitenden der Werkhöfe und ein ständiges Reporting in der Arbeitsgruppe Birspark Landschaft. ●
Aurelia Wirth
Die studierte Biologin und Umweltökologin ist seit 2016 Leiterin der Abteilung Umwelt in Muttenz und ehemalige Fachverantwortliche der Arbeitsgruppe Birspark Landschaft. Diese setzte sich für die Birspark-Landschaft als Naturund Erholungsraum ein.
Raimund Rodewald
Der promovierte Biologe war von 1992 bis 2024 Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) in Bern. Er machte den Landschaftsschutz zu einem breit anerkannten Thema in der Schweiz.
Im Norden begrenzt der Rhein die Birsstadt.
Jedes Birsstädter Dorf hat seinen historischen Kern, wie hier Muttenz.
‹ Mobilitätskonzept Birsstadt › Das Mobilitätskonzept rechnet mit der höchsten Bevölkerungsprognose. Gemäss dieser werden bis 2040 rund 108 000 Personen in der Birsstadt leben. Dies entspricht einem Zuwachs von 19 Prozent gegenüber 2016. Die Arbeitsplätze könnten um 17 Prozent auf 55 000 steigen. Das bedeutet mehr Verkehr: Die Verkehrsbewegungen pro Tag würden von 360 000 auf 420 000 zunehmen. Das Mobilitätskonzept von 2023 setzt auf Flächenund Ressourceneffizienz und sieht für die S-Bahn eine Verdichtung auf den Viertelstundentakt sowie attraktive Velovorzugsrouten vor. Die Zunahme des
motorisierten Individualverkehrs ( MIV ) soll begrenzt werden, wobei die Bedürfnisse der Nutzungsgruppen, die auf den MIV angewiesen sind, berücksichtigt werden sollen. Um das Prinzip der kurzen Wege zu erreichen, sind vier Kriterien zentral: Siedlungsentwicklung und Verdichtung (diese sind an Lagen vorgesehen, die mit dem öffentlichen Verkehr gut erschlossen sind), Nutzungsdurchmischung, Reduktion des Parkplatzangebotes sowie eine systematische Bewirtschaftung öffentlicher Parkplätze. Das ‹ Mobilitätskonzept Birsstadt › rechnet damit, dass der Anteil des MIV von 49 auf 42 Prozent zurückgeht und der öV-Anteil von 22 auf 26 Prozent zunimmt.
Die zehn Birsstadt-Gemeinden wachsen, und damit die Nachfrage nach Wohnraum. Ein Thema, das in der Bevölkerung nicht nur auf Gegenliebe stösst.
Ein Dienstagmorgen, 7.10 Uhr. Monika * steigt in den Bus Richtung Reinach Dorf. Die Fahrt zu ihrem Arbeitsort dauert zehn Minuten. « Nur », wie sie betont. S eit vier Jahren lebt die 64-Jährige in Aesch – zugezogen ist sie aus Binningen. Der Grund ? « Ich liebe es, an der Birs zu spazieren, geniesse aber auch die kurzen Wege zur Arbeit oder in die Stadt Basel. Die Leute sind freundlich ; hier schläft man nicht nur, hier lebt man. » B ald wird Monika pensioniert. Mit ein Grund, warum die Alleinstehende ihren Wohnort in die Birsstadt verlegt hat.
In den zehn Birsstadt-Gemeinden machen die über 65-Jährigen rund einen Viertel der Bevölkerung aus. Die Zahlen zeigen: Arlesheim, Reinach, Pfeffingen und Aesch haben mit rund einem Viertel den höchsten Anteil an über 65-Jährigen im Kanton. Bei den über 80-Jährigen belegt die Gemeinde Arlesheim gar den Spitzenplatz: Hier liegt der Anteil bei 10 Prozent. Die steigende Zahl älterer Menschen schlägt sich in einigen Gemeinden aufgrund der hohen Betreuungskosten in roten Zahlen nieder. Die Entwicklung ist auch im Wohnungsmarkt spürbar: Altersgerechte Wohnungen sind Mangelware, günstige Wohnräume ebenfalls. « Ich mache mir Sorgen, ob ich meine 3-Zimmer-Wohnung mit der Rente noch langfristig halten kann », gibt auch Monika zu
Szenenwechsel. Derselbe Morgen, 8.10 Uhr. Anna * spaziert in Arlesheim durchs Dorf. Sie geht einkaufen. Das zehn Monate alte Baby schläft im Tragetuch. « Im Dorfzentrum finde ich alles, was ich brauche. Die Wege sind kurz, das ist für uns als junge Familie Gold wert. » Auch die kostenlose Beratung im Familienzentrum sei ein wichtiges Angebot, betont die 33-Jährige. Anna ist in Arlesheim gross geworden. Weil sie sich in der Gemeinde wohlfühle und diese naturnah liege, sei sie in Arlesheim geblieben. Von zu Hause aus sei sie schnell in der Ermitage. Die Nähe zur Stadt ? « Ein gro sses Plus ! » Glücklicherweis e hätten sie und ihr Mann eine passende Wohnung gefunden, sagt sie. Denn in vielen Birsstadt-Gemeinden ist bezahlbarer Wohnraum für Familien knapp. *Namen geändert
→ Der Verein Birsstadt
Rund 95 00 0 Menschen wohnen in den zehn Gemeinden der Birsstadt. Bis 2040 sollen sich gemäss dem kantonalen Richtplan, der von einer hohen Wachstumsprognose von rund neun Prozent ausgeht, entlang der Birs zusätzliche 8000 bis 9000 Pers onen ansiedeln. Gleichzeitig sollen weitere Wirtschaftsflächen für rund 5000 Beschäftigte bereitgestellt werden. Gewerbeareale wie das Reinacher Kägen oder der Quantencomputing-Hotspot Uptown Basel ( 10 ) in Arlesheim ziehen internationale Fachkräfte an. Die Birsstadt profitiere von ‹ Spillover ›-Effekten, sagt die selbständige Raumplanerin und Architektin Nicole Wirz: « Die Stadt Bas el ist weitgehend bebaut. Neue Wohnsiedlungen können vor allem im Agglomerationsraum der Kernstadt entstehen – durch Umwandlung von ehemaligen Gewerbegebieten oder durch Innenentwicklungen. » Für den Raum der Birsstadt, der sich zwischen Kernstadt und Landschaftsraum entwickelt, sei es zentral, dies mit hochwertigen Natur- und Grünräumen zu kombinieren. Die Birsstadt sei sehr gut mit dem öffentlichen Verkehr erschlossen und biete gleichzeitig die Chance, Wohnraum mit den einzigartigen Qualitäten dieses Naturund Erholungsraums zu verbinden.
Die Birsstadt-Gemeinden sind jedoch keine Schlafgemeinden. Sie bieten ein vielfältiges Vereinsleben, zahlreiche Kultur- sowie Sportangebote und eine breite Palette an Ausflugsmöglichkeiten. Im solothurnischen Dornach etwa, das knapp siebentausend Einwohnende zählt, bestehen zusammen mit dem Goetheanum, dem internationalen Zentrum der Anthroposophie, vier Kulturinstitutionen nebeneinander. Das Angebot reicht von Opern im Theater über Jazz-Soiréen im Kloster bis zu Metal- und Rockkonzerten in der Wydekantine. Dazu kommen ausgebaute Sportzentren, wie der Aescher Löhrenacker mit dem ersten Mountainbike-Trailpark der Region. Gerade Familien mit Kindern schätzen solche niederschwelligen Angebote. Demgegenüber finden auch Randsportarten ihren Platz: Das Curlingcenter in Arlesheim ist regelmässig Austragungsort internationaler Wettkämpfe. Im Münchensteiner Dreispitz wurden im Freilager diverse Kulturinstitutionen angesiedelt, darunter das Haus der elektronischen Künste und das Kunsthaus Baselland.
Es gibt auch Kritik am Wachstum
Die alten Ortskerne der Gemeinden entlang der Birs haben eine wichtige historische Bedeutung. Zeitzeugen sind beispielsweise der barocke Dom mit seiner berühmten Silbermann-Orgel und der englische Landschaftsgarten Ermitage aus dem 18. Jahrhundert in Arlesheim. Sie erzählen Geschichten von politischen und religiösen Streitereien. Heute sind sie Anziehungspunkte für Einheimische und Touristinnen. In den meisten Birsstadt-Gemeinden trifft historisch gewachsenes Dorfidyll auf modernes Stadttreiben. Alteingesessene Familien treffen auf Neuzuzüger aus allen Teilen der Welt. Die Dichotomie zwischen Landidylle und Stadtwachstum führt mitunter dazu, dass Projekte mit dichten Bebauungsplänen oder Hochhäusern kritisch betrachtet werden.
Auch Monika bereitet das Wachstum Sorgen: « All diese Neuzugezogenen nutzen die Infrastrukturen, müssen mit dem öV zur Arbeit fahren oder brauchen Betreuung im Alter. Aber es wird weitergebaut wie wild. » Der 30 Jahre jüngeren Anna bereitet der Zuzug weiterer Menschen keine Bauchschmerzen. Eher stört sie sich an der Art und Weise, wie gebaut wird. « Es fällt negativ auf, dass viele dieser modernen Bauten nicht harmonisch ins Landschaftsbild passen. Sie sind zu dicht gebaut, zu steril. Es gäbe doch sicher architektonische Möglichkeiten, der Umgebung mehr Rechnung zu tragen », ist sie überzeugt.
Die neun basellandschaftlichen Gemeinden Aesch, Arlesheim, Birsfelden, Duggingen, Grellingen, Muttenz, Münchenstein, Pfeffingen und Reinach sowie die Solothurner Gemeinde Dornach bilden seit 2018 den Verein Birsstadt. Alles begann 2007. Damals erschien das Hochparterre-Themenheft ‹ Die Birsstadt: Sieben Gemeinden – eine Behauptung ›. Die darin lancierte Idee: Die Birstal-Gemeinden sollen fusionieren. Denn faktisch seien sie eh schon zu einer Stadt zusammengewachsen, so das Argument. 15 Jahre später bekommt der Verein Birsstadt vom Schweizer Heimatschutz den Wakkerpreis 2024 verliehen. Der Verein zeige, « dass Herausforderungen in Agglomerationen durch gemeinde- und kantonsübergreifende Zusammenarbeit besser gelöst werden können. Das gemeinsame Handeln fördert dabei die Baukultur von der grossmassstäblichen Planung bis zum konkreten Bauprojekt. »
Im Vorstand des Vereins Birsstadt sitzen die Gemeindepräsidentinnen, Mitglieder sind die Einwohnergemeinden. Mit Raumplanung, Birspark Landschaft und Energie-Region sind drei ständige Arbeitsgruppen am Werk. Sie bestehen aus Fachleuten der Gemeindeverwaltungen sowie politischen Vertretern aus den Gemeinderäten. Die einköpfige Geschäftsstelle und weitere Aktivitäten finanzieren die Gemeinden durch Vereinsbeiträge von maximal drei Franken pro Einwohnerin. Das Präsidium rotiert jährlich. Im Zentrum der Vereinsarbeit stand bislang die Erarbeitung gemeinsamer Konzepte mit speziellem Fokus auf die drei Pfeiler Mobilität, Freiräume und Siedlungsentwicklung. www.birsstadt.swiss
Die Birsstadt als Identität ?
Fakt ist: Ein b edeutender Teil der Bausubstanz in der Birsstadt ist in die Jahre gekommen und muss erneuert werden. « Ein Grossteil der heutigen Wohnungen wurde in den 1960ern und 1970ern erstellt, als die Agglomerationsgemeinden stark wuchsen », s o Nicole Wehrli. Sie ist Projektleiterin Raumplanung bei der Gemeinde Reinach und verantwortlich für die Koordinationsstelle der Arbeitsgruppe Regionalplanung des Vereins Birsstadt. « Jetzt entstehen moderne, zeitgemässe Wohnungen – allerdings deutlich langsamer als damals », sagt sie Fakt ist auch: Soll die Birsstadt wachsen, ist zusätzlicher Wohnraum zwingend: « Wohnraumkonzepte müssen verschiedenen Lebensphasen und vielfältigen Bedürfnissen gerecht werden, was auch innovative Ansätze erfordert », so Raumplanerin Nicole Wirz. Investoren schätzen die gut erschlossene Region mit ihren attraktiven Grünräumen. Hinzu komme, dass die Birsstadt kein typisches Agglomerationsgebiet sei, sagt Philippe Druel, Direktor der Basler Niederlassung der Bricks AG. Sein Unternehmen hat am Münchensteiner Bahnhof ein Gebäude mit 80 Wohnungen ( 8 ) realisiert. Nächstes Jahr wird ein weiteres Projekt in Muttenz finalisiert. « Die Birsstadt weist eine grosse Dichte von mittelgrossen Städten auf. Das ist eher untypisch für die Schweiz. » Man merke, dass die Birsstadt-Gemeinden gut zusammenarbeiteten, so Druel. Den meisten Einwohnerinnen ist das Konstrukt der Birsstadt allerdings noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Monika und Anna jedenfalls identifizieren sich stark mit ihrer Wohngemeinde. Und damit dürften sie nicht allein sein, zeigen Gespräche mit Passanten in den Dorfkernen von Reinach und Arlesheim. Wahrscheinlich werden sich die Menschen – diese Prognose sei erlaubt –auch in naher Zukunft nicht als « Birsstädter » bezeichnen. Und auch die Diskussionen um das Wachstum der Gemeinden und die Bautätigkeit werden weitergehen. Politik und Investoren tun deshalb sicher gut daran, die Bevölkerung frühzeitig miteinzubeziehen. ●
Im Dreispitz steht neben einfachen Gewerbehallen der imposante Wohnbau von Herzog & de Meuron
Verhältnis Bewohnerinnen zu Arbeitsplätzen: Referenzwert: Schweiz 2,1
Monatsmiete 3-Zimmer-Wohnung ( 50 %-Quantil ): Referenzwerte: Birsstadt 1639, Schweiz 1580
Quellen: STATPOP / BFS, STATENT / BFS, Wüest Partner, Wohnbaustatistik / BFS
Basel 1790
Birsfelden 1640
Muttenz 1660
Münchenstein 1610
Reinach 1700
Aesch 1610
Pfeffingen 1730
Grellingen 1370
Arlesheim 1690
Dornach 1500
Duggingen 1500
Basel ist jahrhundertealt, während sich die Birsstadt in den letzten zwei Jahrzehnten zur eigenständigen urbanen Landschaft entwickelt hat. Ein Blick auf die Zahlen.
Text: Ina Stammberger ( Wüest Partner ), Joris Jehle Grafiken: Hochparterre
Während die Birsstadt heute rund 95 0 00 Menschen beheimatet, leben in der Stadt Basel rund 177 0 00 Personen. Die Birsstadt ist jedoch auf derselben Siedlungsfläche gebaut, also halb so dicht besiedelt. Zum einen erklärt der hohe Anteil von Einfamilienhausquartieren die geringe Dichte. Diese machen in der Birsstadt rund 30 Pr ozent des Wohnungsbestands aus, während es in der ganzen Schweiz 21 Pr ozent und in der Stadt Basel nur 6 Pr ozent sind. Die kleinsten und periphersten Birsstadt-Gemeinden weisen den höchsten Einfamilienhaus-Anteil und die geringste Urbanität auf. Hinzu kommt, dass der Grossteil des Wohnraums im Birsstadt-Gebiet zwischen 1946 und 1990 gebaut wurde. In einer Zeit also, in der die Maximen des Modernismus in funktionsgetrennte Siedlungen von mittlerer Dichte mit viel Grünräumen übersetzt wurden. Lediglich die historischen Ortskerne sind dicht gebaut.
Wider Erwarten löste die niedrige Dichte der BirsstadtGemeinden keine starke Bevölkerungsentwicklung aus. In den letzten zehn Jahren wuchs die Bevölkerung beider Städte um 4,6 Prozent.
Auch bis ins Jahr 2040 prognostizieren Wüest Partner nur ein moderates Wachstum: 7 Prozent in Basel und 6 Prozent in der Birsstadt. Wüest Partner gehen von einem Szenario mit mittlerem Bevölkerungswachstum aus, während der Kanton Baselland seine Planung auf die höchste Wachstumsprognose von 9 Prozent abstellt.
Günstiger Wohnen trotz hoher Nachfrage
Basel mag die grössere Stadt sein, doch in der Birsstadt liegen die Wohnungsmieten trotz höherer Nachfrage auf einem tieferen Niveau. Ein Indikator für die Nachfrage ist eine Gegenüberstellung von Wohnungsinseraten und Suchabos auf den gängigen Immobilienplattformen. Dabei zeigt sich: Während in Basel auf ein Inserat nur 2,3 Suchab os kommen, sind es in der Birsstadt 3,8.
Während in der Stadt Basel eine 3-Zimmer-Wohnung durchschnittlich 1790 Franken Miete pro Monat kostet, liegt der Durchschnitt in der Birsstadt mit 1640 Franken um 8 Pr ozent tiefer. Die Preisunterschiede hängen dabei nicht proportional mit der Distanz zur Kernstadt zusammen. Steuerbelastung, Hanglage und Anteil Einfamilienhäuser erklären die Unterschiede teilweise. Ein wichtiger Grund für das tiefere Mietzinsniveau in der Birsstadt dürfte der Faktor Gebäudealter sein. Die Gebäude, die ab der Nachkriegszeit bis in die 90er-Jahre entstanden, sind aufgrund ihrer Architektur unbeliebter, da sie weder zeitgenössischen Ansprüchen gerecht werden noch den Charme eines Altbaus haben. Ausserdem sind viele dieser Gebäude sanierungsbedürftig.
Auch das ausgewogene Verhältnis von Bewohnern und Arbeitsplätzen – das analog zur Gesamtschweiz bei ungefähr zwei zu eins liegt – dürfte zum moderaten Preisniveau beitragen. Dank dieser Ausgewogenheit funktioniert die Birsstadt als eigenständiger Wirtschaftsraum: Nur ein geschätztes Drittel der Bevölkerung pendelt nach Basel. Die Gemeinden Aesch, Birsfelden und Dornach könnten zusätzliche Arbeitsplätze vertragen – Duggingen, Grellingen und Pfeffingen liegen dafür zu peripher. Die modernistische Funktionstrennung hat in Basel seit der Nachkriegszeit zu einem Überhang an Arbeitsplätzen geführt. Das ist der Grund für die grossen Pendelströme und die hohen Wohnungspreise. Entsprechend sollten in Basel Büroflächen zu Wohnungen umgenutzt werden.
Die Bautätigkeit weist jedoch in die entgegengesetzte Richtung. In Basel wurde im Jahr 2022 nur 0,6 Prozent des Wohnungsbestands neu erstellt, während es schweizweit 1,0 Prozent und in der Birsstadt 1,2 Prozent waren. In Basel fliesst rund ein Drittel der Hochbauinvestitionen in den Wohnungsbau, in der Birsstadt sind es 60 Pr ozent. Aus raumplanerischer Sicht sollten die beiden Städte genau das Gegenteil tun, weil die Birsstadt sonst vermehrt zum Wohnort für Pendler nach Basel werden könnte.
Diversität innerhalb der Birsstadt
Die Zahlen zeigen ein sehr differenziertes Bild der beiden Städte sowie die grosse Diversität der BirsstadtGemeinden. Während Basel dichter gebaut ist, hat die Birsstadt ein ausgewogeneres Verhältnis von Bewohnenden und Arbeitsplätzen. Die Wohnungsmietpreise sind generell tiefer und die Wohnbautätigkeit ist höher, wenn auch weniger hoch als erwartet. Mit dem Erneuerungsdruck des Wohnungsbestands werden die Preise steigen. Allerdings sollte die Arbeitsplatzentwicklung in diesem Kontext nicht vergessen gehen. ●
Wohnungsbestand nach Typologie: in Prozent Schweiz Basel Dornach Grellingen Muttenz Reinach
AeschArlesheim Birsfelden Duggingen Münchenstein Pfeffingen Birsstadt
Wohnungen in Einfamilienhäusern
Wohnungsbestand – Dominanz des Nachkriegsbestands in der Birsstadt: in Prozent
Schweiz Basel Dornach Grellingen Muttenz Reinach AeschArlesheim Birsfelden Duggingen Münchenstein Pfeffingen Birsstadt
Wohnungen in Mehrfamilienhäusern ab 1991 1 946 – 1990 vor 1945
Das Walzwerk in Münchenstein und Arlesheim wird Schritt für Schritt entwickelt. Aufstockungen von In Situ aus wiederverwendeten Bauteilen ergänzen den Bestand.
‹ Raumkonzept Birsstadt 2035 › Das Werkzeug, mit dem die Birsstadt als Wirtschafts- und Wohnstandort gefördert wird, heisst ‹ Raumkonzept Birsstadt 2035 › und existiert seit 2016. Es hält die Vielfalt der Birsstadt fest und bekennt sich zur Siedlungsentwicklung gegen innen. Ausserdem fokussiert es auf vier gemeindeübergreifende Gebiete, in denen Industrie- und Gewerbeareale in Areale mit verdichteter Mischnutzung transformiert werden. Neben der Einbindung des Flusses Birs spielen verkehrsplanerische Fragen eine wichtige Rolle.
Entlang der Birs erblühte einst die Industrie. Heute sind es ihre ehemaligen Areale, die die Stadtentwicklung antreiben. Eine Velotour entlang der Hotspots der Transformation.
Zwischen Aesch und Muttenz reiht sich entlang der Birs ein ehemaliges Industrieareal ans andere. Hier siedelten sich die Betriebe einst aus drei Gründen an: Wasserkraftwerke lieferten die nötige Energie, die Kanalisierung der Birs ab 1830 schaffte ebene Flächen, und die 1875 eröffnete Bahnlinie vereinfachte den Transport erheblich. Hergestellt wurden unter anderem Stahl, Aluminiumprofile oder Chemieprodukte. Bis in die 1980er-Jahren brummte die Industrie im Birstal, danach sorgte der Strukturwandel für einen Rückgang, und viele einst namhafte Unternehmen verschwanden. Die dutzende Hektaren umfassenden Areale sind heute wichtige Entwicklungsschwerpunkte. Der Stand der Transformation lässt sich aufgrund der Distanzen und Arealgrössen am einfachsten per Velo besichtigen. Der Fokus der Velotour liegt dabei vor allem auf den grössten und wichtigsten Arealen, die sich kurz vor der Transformation oder mittendrin befinden.
Spinnerei in Warteposition
Los geht die Fahrt an der Talenge von Angenstein südlich von Aesch. Die Bahnlinie ist neben den gelben Trams und der Autobahn A18 die wichtigste Verkehrsader im Tal und unterquert in einem kurzen Tunnel den Felskopf, auf dem das gleichnamige Schloss steht. Beim Bahnhof Aesch wechselt die Szenerie: Hier beginnt der Industriegürtel mit den Hallen der ehemaligen Spinnerei Streiff. Das Birsmatt-Areal ( 15 ) mit einer Fläche von rund 3,5 Hektaren ist Teil der Testplanung ‹ Zukunft Birsraum ›. B evor die Eigentümerin HIAG es entwickeln könne, müsse die Gemeinde die notwendige Infrastruktur wie Schulraum schaffen, sagt Eveline Sprecher, Gemeindepräsidentin von Aesch. Die Lage nah am S-Bahnhof und Naherholungsraum an der Birs ist für eine langfristige Umnutzung ideal.
Vom Metallwerk zum Vorzeigequartier
Die Fahrt geht weiter flussabwärts. Der Uferweg quert die Grenze von Baselland zu Solothurn. Rasch tauchen mit Graffitis besprayte Mauern und bunte Wegweiser auf. Am Nordende der Mauer führt eine Strasse zu einer leeren Portierloge, das Areal ist offen. Wir befinden uns auf dem ehemaligen Areal der Metallwerke Dornach, das umgangssprachlich immer noch « Metalli » genannt wird. S eit dem Start der Umnutzung trägt es den Namen Wydeneck ( 14 ) Mehr als ein Dutzend Briefkästen verweisen auf die Zwischennutzenden, die HIAG seit der Übernahme des Areals im Jahr 2015 hier angesiedelt hat. Das Velo ist ideal, um sich durch die zentrale Metalligasse bis ans südliche Ende des riesigen, knapp 14 Hektaren grossen Geländes zu be -
wegen. Hier fertigt die Firma Velopa Veloständer, nebenan kann man Hallenfussball spielen, eine Tür weiter entstehen Möbel und ganz am Ende der Metalligasse ist ein Vespa club einquartiert. Auf der linken Seite der Gasse wiederum sorgt die Tagesschule Tado für Betrieb, ebenso die zahlreichen Kunstschaffenden im Ateliergebäude neben dem Haupteingang und nicht zuletzt die Swissmetal, die nach wie vor in einigen Gebäuden produziert. Unterhaltung bieten Bars und das Kulturlokal Wydekantine. Ein paar der Zwischennutzerinnen dürften langfristig bleiben. Mit der geplanten Teilzonenplanänderung und dem angestrebten Mix aus 70 Prozent Wohnen sowie 30 Prozent Gewerbe und Erdgeschossnutzungen in Neubauten wird sich das Bild des Areals jedoch sichtbar ändern. Entlang der Metalligasse wird ein Teil des spannenden Industrie-Grooves erhalten. Das neue Bebauungskonzept plant, umgenutzte Gebäude der Metallwerke einzubeziehen. Etwa zehn der künftig zum Teil denkmalgeschützten Fabrikbauten sollen stehen bleiben. « Die historischen Bauten sind wichtige Zeitzeugen, stiften künftig Identität und bilden einen wichtigen Teil des nachhaltigen Umnutzungskonzepts », sagt Julius Grewe-Rellmann, Projektentwickler bei der Eigentümerin HIAG.
In der Tat könnte das Areal Wydeneck ein gutes Beispiel für die nachhaltige Transformation von ehemaligen Industriearealen werden. Es sollen grosse Flächen entsiegelt und zahlreiche Bäume gepflanzt werden, an der Birs soll ein öffentlicher Park mit Auenlandschaft entstehen. Die neue S-Bahnstation Dornach-Apfelsee erschliesst das Areal ab 2030. Grundlage für die Planungen ist der Masterplan aus dem Jahr 2018, aktuell läuft die Teilzonenplanrevision. Sobald diese bewilligt ist, starten die Arbeiten. Ab 2030 könnten die ersten 200 Wohnungen b ezogen werden. Mit den nachfolgenden Etappen entstehen gesamthaft etwa 700 Wohnungen s owie 500 Arbeitsplätze. Die Chancen für die erfolgreiche Realisierung stehen gut, geniesst das Projekt doch auch in der Bevölkerung Rückhalt: « Die Reaktionen am Infoanlass zum Mitwirkungsverfahren im Sommer 2024 waren weitgehend positiv. Natürlich wirft eine Transformation auch viele Fragen auf ; in der Regel betreffen diese jedoch einzelne Aspekte und nicht das Projekt an sich », sagt Grewe-Rellmann.
Industrie 4.0 und Quantencomputer
Es geht weiter Richtung Norden. Bei Arlesheim wechselt der Weg zurück auf basellandschaftlichen Boden. Am linken Flussufer tauchen der erste erstellte Wohnturm des Aere-Areals ( 12 ) und zahlreiche Baukräne auf. Wenn alles fertig ist, soll das von HRS entwickelte Areal, auf dem einst die Logistik-Firma Stöcklin zu Hause war, rund 260 Wohnungen b eherbergen. In der Bevölkerung ist das dichte, städtisch geprägte Bauprojekt umstritten. Die lokalen Medien bezeichneten die Architektur als zu gross, zu wuchtig und nicht zum Ort passend. Dem gegenüber steht die hohe Nachfrage nach den ausgeschriebenen Wohnungen, die darauf schliessen lässt, dass die Neubauten durchaus auf Akzeptanz stossen. Raumplanerisch liegt das Verdichtungsprojekt an der wichtigen Achse zwischen Reinach und dem Bahnhof Dornach-Arlesheim. Zahlreiche Baukräne stehen auch weiter birsabwärts auf der rechten Seite. Hier folgen auf Arlesheimer und Münchensteiner Boden kurz hintereinander gut ein halbes Dutzend Industrieareale in unterschiedlichen Phasen der Umnutzung. Dazu zählen die Areale Uptown Basel, Walzwerk, van Baerle und Primeo Energie Kosmos. Das Projekt Uptown Basel ( 10 ) etwa entsteht dort, wo die Vorgängerfirmen der heutigen ABB Elektromotoren und Lokomotiven bauten. 1988 schloss die Fabrik ihre Tore,
und 2012 startete die Entwicklung. Die Entwickler von Uptown Basel bleiben der Industrietradition des Standorts treu, transportieren jedoch das Areal mittels Neubauten ins 21. Jahrhundert. Altbauten bleiben langfristig keine erhalten. Das Angebot richtet sich an die Industrie 4.0, sprich an die von der Digitalisierung, von Big Data und Künstlicher Intelligenz vorangetriebene industrielle Produktion. Seit 2022 ist das erste Gebäude bezogen und beherbergt den bisher einzigen kommerziellen Quantencomputer in der Schweiz, an dem auch die Universität Basel beteiligt ist. Im Laufe von 2025 sollen zusätzliche 25 000 Quadratmeter Geschossfläche bereitstehen. Hier einziehen werden etwa auf 3-D-Druck sowie Medizinaltechnik spezialisierte Unternehmen.
Schrittweise Weiterentwicklung mit Charme Nur ein paar Velominuten weiter befindet sich das Areal des Walzwerks ( 9 ), das viel ursprünglichen Industriecharme bietet. Die Velofahrt führt durch schmale Gassen und ein Sammelsurium ehemaliger Industriebauten, in denen rund 90 Kultur- s owie Kleinunternehmen ihre Räume haben. Hier kann in einer Eventhalle gefeiert werden, hier lässt man sich italienische Küche schmecken, degustiert frisch destillierten Gin oder schaut sich bei Möbeldesignern neue Entwürfe an. Den Mittelpunkt des bunten Treibens bildet ein grosser Platz neben der Tramhaltestelle. Die Arealbesitzerin SF Urban Properties setzt bewusst auf eine schrittweise Umnutzung und Weiterentwicklung. « Wir wollen das Areal mit Bedacht weiter transformieren, um bestehende Bedürfnisse mit zusätzlichen Angeboten in einen lebenswerten Stadtteil zu vereinen », sagt Angela Loescher-Montal, Project Manager bei der SF Urban Properties. Ziel sei es, einen Nutzungsmix zu schaffen, der sich vom Angebot anderer Areale abhebt und Lücken schliesst. Viele der Kleinunternehmen sind schon seit Jahrzehnten auf dem Areal zu Hause. Nachdem das Walzwerk 1999 in Konkurs gegangen war, zogen fünf Jahre später die ersten Umnutzerinnen ein. Aktuell wird ein Nutzungsmix angestrebt, der zur bestehenden Gewerbezone passt, ergänzt mit Event-, Verkaufs- und Gastronomieprojekten. Langfristig sollen die Bestandesbauten saniert und gezielt durch Neubauten ergänzt werden.
Nein zur Umnutzung
Dies passt auch zu den Plänen der Gemeinde Münchenstein: « Dies es Nutzungskonglomerat ist wahrscheinlich schweizweit einzigartig », sagt G emeindepräsidentin Jeanne Locher-Polier. Nicht eine aktive Transformation mittels Quartierplanung stehe deshalb im Vordergrund, sondern eine bedürfnisgerechte Weiterentwicklung im Rahmen der bestehenden Gewerbezone unter Einbezug der Bestandesbauten. Das Walzwerk und die anderen ehemaligen Industrieareale seien ein Glücksfall: « Ohne diese Entwicklungsmöglichkeiten wäre Münchenstein wohl geschrumpft », sagt Jeanne Locher-Polier. Durch die Zwischen- und späteren Umnutzungen konnte der Abgang der einstigen Industrie aufgefangen und Münchenstein weiterentwickelt werden.
Münchenstein ist einer der wichtigsten Arbeitsplatzstandorte der Birsstadt. Wie auch in anderen Gemeinden im Birstal setzt man hier bei grösseren Transformationen wo immer möglich auf Quartierpläne. « Damit haben wir einen grossen Einfluss auf die Bauten und deren Umgebung », so die Gemeindepräsidentin. Doch die Umnutzung klappt nicht immer. Das zeigt sich beim Van-Baerle-Areal ( D ), wo ein neues Wohnquartier direkt am Mün chensteiner Bahnhof hätte entstehen sollen. Der Quartierplan wurde im September 2021 von der Stimmbevölkerung
mit einer Differenz von gerade einmal zehn Stimmen abgelehnt. Kritisiert wurden die hohe bauliche Dichte und das geplante Hochhaus. Seither ruht das Projekt, Pläne für einen weiteren Anlauf sind keine bekannt.
Hochhäuser statt Betonwerk
Vom Van-Baerle-Areal geht die Fahrt weiter durch das Areal der Primeo Energie. Aus der Stromproduzentin, die 1897 als Elektro Birseck Münchenstein startete, ist heute eine grosse Energiedienstleisterin geworden. Diese hat Teile ihres einst nur als Kraftwerk dienenden Areals umgenutzt und darauf unter anderem den Primeo Energie Kosmos ( 7 ) realisiert – ein öffentliches Science- und Erlebnis-Center, das Phänomene aus den Bereichen Klima und Energie erlebbar macht.
Zuerst durch Wohnquartiere und danach fast schnurgerade entlang der Flussauen führt die Fahrt auf der anderen Birsseite weiter, bis man sich bei Muttenz im Gewirr von Schienensträngen und Autobahnzubringern fast verliert. Neben dem St. Jakob -Fussballstadion liegen mit Hagnau West und Hagnau Ost die nördlichsten und künftig dichtesten Transformationsareale an der Birs. Hier stand einst eine Zementwarenfabrik, die das Kies- und Sandvorkommen im Schänzli-Gebiet nutzte. Am Schänzli ( 1 ) heisst denn auch das geplante Bauprojekt mit drei Hochhäusern und einem Sockelgebäude, dem die Bestandsbauten weichen müssen. Die Entwicklerin HRS erhielt im Dezember 2024 die Baubewilligung. Drei weitere Hochhäuser aus demselben Projekt sollen auf dem westlichen Arealteil unter der Federführung von Halter entstehen. Insgesamt sind 630 Wohnungen und 70 0 Arbeitsplätze geplant – es ist ein grosser Kontrast zum Startpunkt der Velotour beim beschaulichen Schloss Angenstein, der sich gerade mal 30 Velominuten flussaufwärts befindet.
Weiterbauen an der Birsstadt
Die Transformationsareale werden in den nächsten zehn Jahren nicht nur für hunderte neuer Wohnungen und Arbeitsplätze sorgen, sondern auch für mehr Urbanität. Der Flussraum wird zum lang gezogenen Park, die einst prägende Industrie tritt in den Hintergrund, viele der klassischen Backsteinhallen werden verschwinden. Das Walzwerk ist eines der wenigen Transformationsareale, auf dem auch langfristig Kleinindustrielle werkeln werden. Bei den anderen Arealen liegt der Fokus auf Wohnen und Dienstleistungen. Die Wichtigkeit der Altbauten für Identität und Klima wurde inzwischen erkannt, ihr Schutz eingefordert, beispielsweise im Wydeneck. Es ist zu hoffen, dass die Birsstadt einen Teil ihrer industriellen Vergangenheit in die Zukunft trägt. Eine spannende Kandidatin ist da die Alte Papieri in Arlesheim, die einer Sammelstiftung gehört und von einer Genossenschaft im Baurecht übernommen wurde. Zu den Genossenschaftsmitgliedern gehören ehemalige Mietende des Walzwerkareals, die in der Alten Papieri ein ähnliches Konzept mit günstigen Flächen für Handwerksbetriebe, Kunst und Kultur anstreben. Uptown Basel wiederum erhält die industrielle Tradition zwar nicht in baulicher, dafür in wirtschaftlicher Hinsicht. Vielleicht siedeln sich künftig nach diesem Vorbild weitere Hightech-Industriebetriebe an. Das Van-Baerle-Areal böte nach dem Scheitern des ersten Projekts passende Flächen. Auch sonst ist die Birsstadt noch längst nicht fertig entwickelt. Weitere Areale warten noch auf die Transformation: etwa die Papierfabrik Ziegler und das Büttenenareal in Grellingen, die Areale Gilmatten und Liebmatt in Duggingen und nicht mehr benötigte Hafenflächen in Birsfelden. Die Birsstadt dürfte ihr Gesicht in den nächsten zehn Jahren also noch weiter verändern. ●
Das Münchensteiner Schaulager von Herzog & de Meuron wirkt wie aus dem B oden gestampft –die Umgebung liegt noch brach.
Bei St. Jakob kreuzt ein Infrastrukturbündel von Alpentransit-Autobahn und diversen Bahnlinien die Birs.
Der Dorfkern von Reinach ist dank Verdichtungsprojekten der 1960er und 1970er belebt.
Historische Birsfelder Gewerbebauten kontrastieren mit den Bürotürmen eines Pharmariesen in Basel.
Unweit der Birs und im Zentrum von Birsfelden könnten demnächst Hochhäuser wachsen.
Der Wald ist in der Birsstadt nie weit, wie bei der Ermitage in Arlesheim.
Birsstadt-Gemeinden O rtsbezeichnung a ndere Gemeinde Tram Autobahn S-Bahn
Zehn Gemeinden, eine Birsstadt Projektschau ab S. 26 1 Am Schänzli 2 S chänzli 3 Merian Gärten 4 Dr eispitz 5 Am Dych 6 S penglerpark 7 Primeo Energie Kosmos 8 Tr acks 9 Walzwerk 10 U ptown Basel 11 Naturund Erlebnisweiher 12 Ae re 13 V ivo Aesch 14 W ydeneck 15 B irsmatt Weitere Orte A QP Zentrum S. 32 B QP Stöckacker S. 32 C Weiher Mühlematt S. 4 D van Baerle S. 14 E A lte Papieri S. 14 F Reinacher Heide S. 4
1 Am Schänzli
Zwischen Autobahn und Birs liegt in Muttenz das Schänzli. Das Schänzli ist eine stillgelegte Pferderennbahn und ist benannt nach dem mittelalterlichen Schutzwall, der Schanze. Vor über einem Jahrzehnt entschied das Stimmvolk, diesen Freiraum in einen Natur- und Erholungsraum mit revitalisierter Birs umzuwandeln. Im Gegenzug entsteht nun auf dem angrenzenden Areal Hagnau Ost – hier stand einst die Zementwarenfabrik Beton Christen – eine dichte Überbauung mit drei Hochhäusern, die den Natur- und Erholungsraum mitfinanzieren. In den Hochhäusern werden 384 Wohnungen und Büroflächen sowie öffentliche Nutzungen realisiert: das Projekt Am Schänzli. Das grüne Tram fährt direkt vor der Haustür. Das Areal liegt in unmittelbarer Nähe zum Gebiet St. Jakob mit Stadion, Einkaufszentrum, Sportanlagen und Gartenbad. Diverse Infrastrukturen an der Grundstücksgrenze sind lärmtechnisch herausfordernd. Geschützt durch
die Neubauten entsteht der Hagnauplatz als zentraler Treffpunkt. Der Weitblick aus den Hochhäusern über die Birsstadt ist vielversprechend.
Hagnaustrasse, Muttenz
Realisierung: Frühjahr 2025 bis Sommer 2028
Arealfläche: 18 000 m2, Ausnützungsziffer 3,15 Nutzungsmix: 70 % Wohnen, 30 % kommerziell
Bauherrschaft: Swisscanto Anlagestiftung, vertreten durch die Zürcher Kantonalbank, Zürich
Projektentwicklung und Totalunternehmen: HRS Real Estate, Zürich
Architektur: Burckhardt, Basel
Landschaftsarchitektur: Fontana, Basel
Label: SNBS Gold
Das Schänzli wird von einem wenig attraktiven Raum zwischen Siedlungsgebiet, Verkehrsbauten und korrigiertem Flusslauf in einen neuen Natur- und Erholungsraum transformiert. Dabei werden die bestehenden Naturwerte – die Birs, der alte Baumbestand und das Naturschutzgebiet Vogelhölzli – inte griert, erweitert und nachhaltig entwickelt. Die gesamte Gestaltung interpretiert die ursprünglichen Lebensräume des
Areals neu. Grosszügige Weiten alternieren mit kleinräumigen Bereichen und wertvollen ökologischen Nischen. So entsteht eine erlebbare Anordnung, die im Süden einer dichten Natur den Vorrang lässt und im Norden eine nutzungsorientierte Gestaltung konzipiert.
Hagnaustrasse, Muttenz
Realisierung: 2030
Fläche: 11 Hektaren
Landschaftsarchitektur:
Berchtold Lenzin, Basel / Zürich
3 Merian Gärten
Der ehemalige Landsitz des Kaufmannes und Agronomen Christoph Merian ( 18 00 – 18 58 ) ist heute ein botanischer Garten. Die Gartenanlage in Vorder Brüglingen geht auf die Planungen und Umbauten der ‹ Gr ün 80 › z urück, entsprechend war sie in die Jahre gekommen. Ziel der Neugestaltung war es, Aspekte wie Sammlungspräsentation, Naturschutz und Zugänglichkeit in ein zukunftsweisendes Ganzes zu integrieren. Ein barrierefreier Rundweg führt heute zu allen Sehenswürdigkeiten. Die botanischen Sammlungen sind neu präsentiert, die Naturschutzflä-
chen vergrössert und vernetzt. Die sanierte Neue Scheune beherbergt ein Restaurant und dient als Empfangsraum. Ein neuer Pavillon enthält ein modernes Samenlabor und die Villa Merian ist sorgfältig restauriert.
Vorder Brüglingen 5, Basel
Realisierung: 2022
Landschaftsarchitektur: Fontana, Basel Architektur: Beer Merz, Basel ( Pavillon, 2022, und Sanierung Villa Merian, 2024 ) ; Miller & Maranta, Basel ( Umbau Neue Scheune, 2022 )
4 Dreispitz
Das 50 Hektaren grosse Logistik- und Gewerbeareal Dreispitz in Basel und Münchenstein ist im Besitz der Christoph Merian Stiftung. Ab 1840 erwarb der Stiftungsgründer Christoph Merian das Gebiet Stück für Stück, um es als Agrarland zu nutzen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich hier ein bedeutendes Logistikgebiet mit Zollfreilager, Güterumschlag, Gewerbe und Kleinindustrie. 2022 entstand der ‹ Plan Guide –
Leitbild für die Transformation ›. Das Areal wird etappiert entwickelt und die CMS vergibt Parzellen im Baurecht. Die folgenden Projekte befinden sich auf Münchensteiner Boden: Zwischen 2013 und 2017 entstand das Freilager mit der Hochschule für Gestaltung und Kunst ( HGK ) von Morger, dem Transitlager von BIG, Helsinki Dreispitz von Herzog & de Meuron und weiteren Gebäuden. 2024 kam das Kunsthaus Baselland von Buchner Bründler hinzu. Der Freilager-Platz von Westpol bildet das Zentrum dieses ersten Bausteins. Die Christoph Merian Stiftung plant zusammen mit dem Kanton Basel-Landschaft, der Swiss Prime Site und der Gemeinde Münchenstein ein gemischtes Quartier mit Bildung, Wohnungen, Quartierversorgung, Gastronomie, Kinderbetreuung, Freizeitangeboten und Gewerbe. Seit 2025 dient das Freiraumkonzept Dreispitz als Klammer für alle Projekte im Dreispitz. Es zeichnet kein starres Zielbild, sondern definiert Prinzipien für die Entwicklung: Verbesserungen des Stadtklimas, höhere Aufenthaltsqualität, mehr
Grün und Schatten sowie gesteigerte Biodiversität. Die konkrete Ausgestaltung passt sich dem sich wandelnden Quartier an.
Freilager-Platz 1, Münchenstein
Realisierung: 2011 – 2024
Eigentümerschaft: Christoph Merian Stiftung, Basel Plan Guide Dreispitz:
Herzog & de Meuron, Basel
Neubau Hochschule für Gestaltung und Kunst (HGK) FHNW, 2014: Morger Partner, Basel
Umbau Hochschule für Gestaltung und Kunst (HGK) FHNW, 2013: Müller Sigrist, Zürich
Umbau Haus der Elektronischen Künste Basel ( HEK ), 2014: Rüdisühli Ibach, Basel
Umbau und Aufstockung Transitlager, 2017: BIG Bjarke Ingels Group, Kopenhagen
Neubau Helsinki Dreispitz, 2014: Herzog & de Meuron, Basel
Umbau Kunsthaus Baselland, 2024: Buchner Bründler, Basel
Landschaftsarchitektur Freilager-Platz: Westpol, Basel
Freiraumkonzept
Publikation: seit 2025
Eigentümerschaft: Christoph Merian Stiftung, Basel
Landschaftsarchitektur: S2L, Zürich
5
6
5 Am Dych
Die Wohnüberbauung ‹ Am Dych › mit 1 67 Wohnungen und 6 Wohnateliers liegt auf dem Areal Dychrain Ost an einer zentralen Querachse des Birstals. Im Süden grenzt der historische St. Albanteich – « Dalb edych » genannt – das Areal ab. Der im 17. Jahrhundert gegrabene Kanal diente der landwirtschaftlichen Bewässerung und dem Betrieb von Mühlen. Bis vor wenigen Jahren wurden auf dem Areal die berühmten Basler Läckerli produziert. Heute schützt ein hoher Zeilenbau mit hölzerner Balkonstruktur, die an die gedeckte Rütihardbrücke und die nahe Stadtmauer Basels erinnern soll, den grosszügigen Park und zwei kleinere Gebäude vor Strassenlärm. Die zwei kleineren Gebäude greifen die mineralische Ästhetik der nahe gelegenen Hammerschmiede von 1660 auf, die einst ihre Energie aus dem Dych bezog. Die Hammerschmiede gehört zum Schwesterprojekt ‹ Dychrain West + › mit 200 weiteren Wohnungen, dessen Entwicklung in Planung ist.
Teichweg 18, Münchenstein
Realisierung: 2022 – 2025
Bauherrschaft: Swisscanto Anlagestiftung
Architektur: Piertzovanis Toews, Basel
Landschaftsarchitektur: Westpol, Basel Arealfläche: 12 800 m2, Ausnützungsziffer 1,4
6 Spenglerpark
Am südlichsten Ende des Dreispitzareals in Münchenstein liegen Brachen, vereinzelte Industriehallen, das Kunstmuseum und -depot Schaula-
ger, ein Verteilzentrum der Migros und der frühere Hauptsitz der Schweizer Modekette Spengler. Der zwischen 1971 und 1991 errichtete Gebäudekomplex ist umfassend saniert, aufgestockt und in einen Campus für Bildung, Büros und Gastronomie transformiert. Begrünte Höfe belichten die tiefen Geschosse und eine Passerelle verbindet die Gebäudeteile. Die postmodernen Gebäude B und C mit ihren markanten schwarz-weiss gestreiften Sockeln und der verbindenden Glashalle wurden in ihrem Ausdruck erhalten, während das Gebäude A eine neue Fassade in warmem Grünton erhielt, akzentuiert durch orangefarbenen Sonnenschutz im Erdgeschoss. Der Spenglerpark soll ab 2027 mit einem Hochhaus ergänzt werden. Vorgesehen sind sechs Büro- und 24 Wohngeschosse mit 150 Wohnungen. Der Stand ort an der Expressstrasse minimiert die Verschattung der Umgebung. Die Erschliessung ist Richtung Norden orientiert, die Wohnungen blicken auf den Jura.
Emil Frey-Strasse 100 / Binningerstrasse 2, Münchenstein
Totalunternehmung: Lorenz, Basel, mit Losinger Marazzi, Basel ( Haus A ); Blaser, Basel, mit Integral Baumanagement, Olten ( Haus B )
Nutzungsmix: Bildung und Büro auf 63 000 m2
Label: Minergie -ECO
Hochhaus Spenglerpark
Realisierung: ab 2027
Architektur: Studio Gugger, Basel
Nutzung: Büro und Wohnen auf 22 500 m2
Labels: Minergie -ECO, SNBS Silber
7 Primeo Energie Kosmos
Ein Neubau ergänzt das Elektrizitätsmuseum im sanierten Gebäude von 1932. Das dreigeschossige Gebäude entstand anlässlich des 125-jährigen Jubiläums des Energieversorgers Primeo und besteht zu mehr als zwei Dritteln aus wiederverwendeten Materialien. Das Holzskelettgebäude mit grossen Spannweiten wird von einem Rankgerüst aus alten Strommasten umgeben. Offene Ebenen bieten Experimentierstationen zu Energie- und Klimaphänomenen, ergänzt durch Schulungs- und Veranstaltungsräume. Der Aussenraum setzt das Thema der Kreislaufwirtschaft konsequent fort: Ein zentraler Platz aus wiederverwendeten Pflastersteinen bildet Ausstellungsund Empfangsfläche und ist gleichzeitig Lehrobjekt. Klimabäume thematisieren den Klimawandel, während eine ortstypische Vegetation den Übergang zum Birsraum gestaltet.
Weidenstrasse 6, Münchenstein
Realisierung: 2022
Bauherrschaft: Swisscanto Anlagestiftung
Architektur: Rapp, Basel
Landschaftsarchitektur: Bryum, Basel
Das ehemalige Industriegebiet um den Bahnhof Münchenstein ist für Verdichtung und Mischnutzung vorgesehen. Eine 2000 Quadratmeter kleine Parzelle diente einer einfachen Gewerbehalle und der Abstellung vieler Fahrzeuge. Sie war unternutzt und vielen gar ein Dorn im Auge. Für
die Parzelle wurde eigens ein Quartierplan geschaffen, um 82 Wohnungen, Büros und kommerzielle Flächen sowie 74 Parkplätze zu realisieren. Die Geometrie des Gebäudes ermöglicht grosszügige Ausblicke und eine Mehrfachorientierung der Wohnungen. Das Hauptatrium, das die zehn Wohnungen je Geschoss erschliesst, ist als Begegnungsraum gestaltet und wird durch ein grosszügiges Oberlicht natürlich erhellt. Mit seinen zehn Geschossen setzt das Gebäude einen neuen Massstab für die künftige Entwicklung des Bahnhofsgebiets.
Bahnhofstrasse 3, Münchenstein
Realisierung: 2023
Investor: Bricks AG
Architektur: Stähelin Partner, Delémont
Arealfläche: 1900 m², Ausnützungsziffer 4,25
Labels: Minergie -ECO, LEA Label ( Level 3 – 5 )
9 Walzwerk
Das Areal, eingebettet zwischen Münchenstein und Arlesheim, hat sich von einer Aluminiumfabrik zu einem vielseitigen Ort für Arbeit, Kultur und Freizeit entwickelt. 1918 vom Industriellen Giorgio Giulini gegründet, war es über 80 Jahre lang ein Zentrum der Aluminiumproduktion. Nach der Schliessung 1999 begann ein tiefgreifender Wan-
del. Das Gelände wurde von informellen Nutzungen belebt, bis 2004 die Sefer Foundation das Areal erwarb und gemeinsam mit dem Architekturbüro Baubüro In situ und der Kantensprung Verwaltung die Grundlage für eine vielfältige Mieterschaft legte. Seit 2017 ist die SF Urban Properties Eigentümerin und verfolgt das Ziel, Mischnutzung und Nachhaltigkeit zu fördern. Heute beherbergt das Areal über 90 Mieter – v on kleinen Handwerksbetrieben bis zu kreativen Startups – und zieht täglich 300 bis 400 Besuchende an. Investitionen in Gastronomie, Eventräume und die Aufenthaltsqualität des Aussenraums schaffen Mehrwerte für das Quartier. Die Entwicklung orientiert sich an der Geschichte des Standorts und verbindet langfristige Planung mit umsichtiger Weiterentwicklung.
Tramstrasse 66, Münchenstein
Eigentümerschaft: SF Urban Properties, Zürich
Planung: Rapp, Basel
Arealfläche: 50 600 m2
Auf dem Schorenareal in Arlesheim wird Schweizer Industriegeschichte weitergeschrieben. Mit Bauten für Gesundheitswesen, Logistik, Produktion und Digitalisierung will das Projekt ein Inno-
vationstreiber der Industrie 4.0 werden. Ziel ist es, eine Vernetzungsplattform zu bauen, die den branchenübergreifenden und interdisziplinären Wissenstransfer fördert. Die Mieterinnen können neben Büroflächen mit Hightechausstattung auch eine Eventhalle oder Dienstleistungen wie Gastronomie, Beratung, Headhunting oder Kommunikation in Anspruch nehmen. Der grösste Unterschied zu herkömmlichen Entwicklungsarealen zeigt sich im Bereich der Infrastruktur: Auf dem Areal wird ein eigenes Datenzentrum realisiert und der schweizweit erste kommerzielle Zugang zu einem Quantencomputer angeboten. Das erste Gebäude namens ‹ The Pioneer › wurde 2021 bezogen. Die arealeigene Energiezentrale für Wärme und Strom ist seit Ende 2024 in Betrieb, das Innovationszentrum mit Räumen für Medical Additive Manufacturing und 3-DDruck werden 2026 eröffnet. Weitere fünf der insgesamt neun sehr unterschiedlichen Gebäude sollen bis 2028 realisiert werden.
Schorenweg 44, Arlesheim
Investorin: Familie Monique und Thomas Staehelin
Areal- und Immobilienentwicklung und Architektur: Fankhauser, Arlesheim
Arealfläche: 70 000 m2, Ausnützungsziffer 3,0
12
11 Natur- und Erlebnisweiher
Die ehemalige Abwasserreinigungsanlage ARA Birs 1 wurde zum 1100 Quadratmeter grossen, kammartig aufgefächerten Natur- und Erlebnisweiher transformiert. Im vorderen Teil, am Fussund Veloweg von der Reinacher Heide nach Münchenstein, sind drei fingerförmig gestaltete Flachwasserzonen mit unterschiedlichen Wassertiefen entstanden. Die aus dieser Form entstehende Kammerung der Ufer ermöglicht es den Besuchenden, sich ohne Gefahr direkt am Wasser aufzuhalten. Mosaikartig angelegte Strauchund Baumgruppen, Hochstauden und sonnige Kiesflächen ergänzen die Weiheranlage und bieten einen abwechslungsreichen Erholungsraum. Der an die Flachwasserzone anschliessende tiefere Wasser- und Naturschutzbereich ist mit einer durchgehenden Abgrenzung sowohl im Wasser wie an Land gesichert. Im Naturteil ergänzen drei kleine Laichgewässer den Lebensraum Wasser.
In der Heid 1b, Reinach
Realisierung: 2021
Landschaftsarchitektur: Berchtold Lenzin, Basel / Zürich
12 Aere
Auf dem ehemaligen Stöcklin-Areal entsteht das Projekt Aere, eine gemeinsame Entwicklung von drei Bauherrschaften auf zwei Gemeindegebieten. Das Projekt liegt in Gehdistanz des öVKnotenpunkts Dornach-Arlesheim und an der wohl wichtigsten Querungsachse des Birstals, der Bruggstrasse. Diese soll zur urbanen Achse verdichtet werden, in ferner Zukunft vielleicht mit Tram. Die Erholungsgebiete Birs und Reinacher Heide beginnen vor der Haustür. In acht Gebäuden entstehen knapp 400 Wohnungen und etwas weniger Parkplätze. Dienstleistungen und Gewerbe ergänzen die Wohnungen und machen ein Drittel des Projekts aus – inklusive Alterswohnen. Der städtebauliche Entwurf von E2A schafft in der Tradition der 60er mittels Hochpunkten grosszügige Freiflächen – in einem neuen Massstab, der einen Kontrast zur direkten Umgebung schafft. Für die Gebäude wurden vier verschiedene Architekturbüros beauftragt, um Diversität zu schaffen. Divers ist auch die Bepflanzung der vorbildlich gestalteten Aussenräume, die klimaangepasst und wasserspeichernd geplant sind.
In der Arealmitte entsteht der Stöcklingarten mit Teich, an den vier Rändern unterschiedliche parkartige Grünräume und ein kleiner Platz.
Im Bruggrain, Aesch / Fluhstrasse, Reinach
Realisierung: 2025
Bauherrschaft: HRS Investment, Frauenfeld ; Immobilien-Anlagestiftung Turidomus, Zürich ; Balintra, vertreten durch UBS Fund Management, Basel
Städtebau ( Grundlage Quartierplan ): E2A, Zürich
Landschaftsarchitektur ( Grundlage Quartierplan ): Raymond Vogel, Zürich
Architektur: Max Dudler, Zürich ; Caruso St John, Zürich ; Marazzi + Paul, Zürich ; Büro Krucker, Zürich
Freiräume: Studio Vulkan, Zürich
Arealfläche: 35 000 m², Ausnützungsziffer 1,5
Nutzungsmix: 70 % Wohnen, 30 % kommerziell
Label: Minergie -P
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Seit 2024 markiert ein kleines Hochhaus den nördlichen Eingang der Gemeinde Aesch. Auf dem Vivo-Areal sind 228 Wohnungen, 328 Autound 664 Veloparkplätze, wenige Büroflächen, eine Kita und bewirtschaftete Wohnungen entstanden. Vier unterschiedliche Gebäudetypen schaffen einen begrünten Innenhof. Das Projekt
ist der erste Baustein der Verdichtung von Aesch Nord, die künftig mit dem Projekt ‹ Aesch Soleil › fortgesetzt werden könnte.
Auf den Fiechten 1, Aesch Realisierung: 2024
Entwickler: Halter, Schlieren Bauherrschaft: Balintra, Basel Arealfläche: 15 000 m², Ausnützungsziffer 3,0
Label: SNBS Gold
Das Wydeneck ist eines der grössten Transformationsprojekte der Birsstadt. Bis 2045 soll ein Quartier mit etwa 500 Arbeitsplätzen und 700 Wohnungen entstehen. Die bisherige Nutzerin Swissmetal wird das Areal bis Ende 2026 endgültig verlassen haben. Seit 2020 öffnet die Eigentümerin HIAG das Areal schrittweise für Zwischennutzende und schlägt so eine Brücke in die Zukunft. In einer ersten Phase sind 15 bestehende Gebäude für Zwischennutzungen wie Ateliers, handwerkliches Gewerbe, eine Tagesschule sowie Sport und Kultur saniert worden. Grundlage ist der Masterplan von 2018, aktuell
läuft die Teilzonenplanrevision. Das zugrundeliegende Richtprojekt gliedert das Quartier in mehreren Gebäudegruppen. Ein Drittel des Areals wird als Grün- und Freiraum gestaltet, etwa mit öffentlich zugänglichem Uferpark. Die neue SBahn-Haltestelle Dornach-Apfelsee soll nach 2029 in Betrieb gehen und ist ein zentraler Baustein des Mobilitätskonzepts. Die Planung einer neuen Birsquerung zur nahen Autobahn wurde 2024 neu aufgerollt siehe ‹ Über Gemeindegrenzen hinaus ›, Seite 36 und ist als attraktive Erschliessung für Gewerbenutzungen wichtig. Langfristig sollen etwa zehn Gebäude erhalten bleiben, um an die Industriegeschichte des Areals zu erinnern.
Weidenstrasse 50, Dornach
Realisierung: 1. Etappe bis 2030, letzte Etappen bis ca. 2045
Eigentümerin: HIAG Immobilien Schweiz, Zürich
Städtebau Richtprojekt Masterplan:
Brühlmann Loetscher, Zürich ; Atelier 231, Zürich
Freiräume Richtprojekt Masterplan:
Studio Vulkan, Zürich
Arealfläche: 136 000 m2, Ausnützungsziffer rund 1,0
Nutzungsmix: 70 % Wohnen, 30 % Gewerbe, Kultur und Freizeit
15 Birsmatt
An der Birs und in Gehdistanz des S-Bahnhofs Aesch liegt das Areal Birsmatt. Für die Eigentümerin HIAG und die Gemeinde ist das Areal der ehemaligen Spinnerei Streiff eine langfristige Entwicklungsreserve. Die Gemeinde möchte langsam und stetig wachsen und sie benötigt Zeit, die für die Entwicklung notwendige Infrastruktur wie etwa Schulen bereitzustellen. Derzeit durch Gewerbetreibende und als Lager genutzt, könnte das Areal ab 2028 in einer ersten Etappe mit zeitgemässen Gewerbe- und Büroflächen verdichtet werden. Unter gegebenen Voraussetzungen könnten ab 2035 Wohnungen entstehen.
Industriestrasse 45, Aesch Realisierung: 1. Etappe (Gewerbe) 2028–2030, 2. Etappe (Wohnen) nach 2035
Bauherrschaft: HIAG Immobilien Schweiz, Zürich
Arealfläche: 36 000 m², angestrebte Ausnützung ca. 1,0
Angestrebter Nutzungsmix: 70 % Wohnen, 30 % Gewerbe
Kontraste durch Massstäbe und Gebäudealter prägen die Birsstadt, wie hier in Birsfelden.
Quartierpläne spielen bei der Nachverdichtung eine wichtige Rolle. Sie können die Entwicklung fördern, sie aber auch behindern, wie zwei Beispiele zeigen.
Die grossen Bauzonenreserven der Birsstadt sind überbaut, die Zukunft der Industrieareale entlang der Birs ist grösstenteils ausgesteckt. Bauprojekte wie Tracks ( 8 ) und Vivo Aesch ( 13 ) sind realisiert, Aere ( 12 ) oder Am Dych ( 5 ) sind im Bau, das Wydeneck ( 14 ) ist geplant. Die Birsstädterinnen haben die Umnutzung der meisten Industrieareale breit akzeptiert. Langfristig müssen jedoch auch die bestehenden Wohnquartiere verdichtet werden. Um kurze Wege zu fördern und die Mobilität zu reduzieren, sollen die Zentren gestärkt werden. Politik und Planung haben diese Nachverdichtung in diversen Planungsdokumenten festgeschrieben, vom kantonalen Richtplan über das ‹ Raumkonzept Birsstadt 2035 › bis zu den kommunalen Entwicklungskonzepten. In der Bevölkerung und bei Eigentümerschaften stossen jedoch nicht alle Projekte auf Verständnis. Das Projekt ‹ Zentrum › in Birsfelden war erfolgreich, während die Arealentwicklung Stöckacker in Münchenstein nach jahrelanger Planung sistiert wurde.
Erneuern für die Stadtkasse Birsfelden ist ein dichter Vorort von Basel und liegt zwischen Birs, Rhein und Hafengebiet. Es ist die nördlichste und urbanste der Birsstadt-Gemeinden. Seit fast einem Jahrzehnt prägen der Gemeindepräsident Christof Hiltmann und Julia Bobert, Leiterin der Abteilung Stadtentwicklung und Natur, die Entwicklung von Birsfelden. Sie legen grossen Wert auf die Qualität der Prozesse und der Ergebnisse. Regelmässig laden sie renommierte Schweizer Planungsbüros ein, die Zukunft von Birsfelden mitzugestalten. Die Gemeindeversammlung würdigt ihre Arbeit meist mit Zustimmung. Diese Erfolge sind jedoch nicht nur ihrem Einsatz und der Qualität ihrer Arbeit zu verdanken. In Birsfelden besteht ein Erneuerungsdruck der Bausubstanz. Sie stammt mehrheitlich aus den 1960ern und 1970ern. Die Mieten sind niedrig und haben Geringverdienende angezogen, was zu sehr tiefen Steuereinnahmen führte. Aufgrund von steigenden Infrastrukturkosten wurde die finanzielle Lage der Gemeinde zunehmend kritisch. Wird bei der Infrastruktur gespart und der Steuerfuss erhöht, ziehen Besserverdienende weg. Viele Schweizer Vorstadtgemeinden wie Kloten ZH, Ostermundigen BE oder Neuenhof AG kennen diese Negativspirale. Das Ersetzen des sehr günstigen Wohnraums durch neuen bietet einen Ausweg aus dieser Spirale. Die Politik konnte die Bevölkerung davon überzeugen, dass eine Erneuerung des Wohnraums auch aus finanzieller Sicht notwendig ist. Doch Entwicklung bedeutet auch Verdrängung. Diese lässt sich nicht ganz verhindern, wie Gemeindepräsident Christof Hiltmann zugibt. Da Mietende ihre politische Stimme erhoben, hat Birsfelden 2019 ein Wohnschutzreglement eingeführt. Dieses fordert bei jedem privaten Bauprojekt 20 Prozent preisgünstige Wohnungen. Auf ihren eigenen Parzellen vergibt die Gemeinde mindestens die Hälfte der Wohnungen an gemeinnützige Bauträgerschaften. So bietet sie den Mietenden einen gewissen Schutz vor Verdrängung. Die preisgünstigen Wohnungen sollen
unter dem Median der marktüblichen Mieten liegen. Für viele Geringverdienende ist das immer noch zu teuer und es ist unklar, wo sie im Raum Basel noch bezahlbaren Wohnraum finden werden. Die Erneuerungsstrategie ist mit Blick auf den föderalistischen Gemeindewettbewerb nachvollziehbar, schliesst aber Haushalte mit sehr tiefen Einkommen aus. Jenem Teil der Bevökerung, der weiterhin in der Gemeinde wohnen kann, sollen die Entwicklungsprojekte klare Mehrwerte bieten. Die Zentrumsentwicklung ist dafür ein gutes Beispiel. Denn Birsfelden hat zwar viele öffentliche Nutzungen, aber städtebaulich kein klares Zentrum. Sehr zentral liegt eine Parzelle der Einwohnergemeinde, auf der sich Schulen, Sport, Post und Verwaltung befinden. Die öffentlichen Räume sind allerdings stark zerschnitten und wenig attraktiv.
Zentrum verdichten in zwei Anläufen
Deshalb lancierte die Gemeinde 2017 einen Studienauftrag, um das Gebiet mit 200 bis 250 Wohnungen, einem Grossverteiler, Museum, Büros für die Gemeindeverwaltung sowie Vereins- und Jugendräumen zu verdichten. Teil der Aufgabe war auch die Schaffung eines Stadtplatzes und öffentlicher Grünräume. Der gewählte Entwurf von Harry Gugger Studio und Westpol sah eine Verdichtung in die Breite statt in die Höhe vor – auf Kosten des öffentlichen Raums. Der neue Stadtplatz war eher klein dimensioniert, aber der Gemeindegrösse angemessen. Der Entwurf schuf eine klare Trennung von öffentlichen Gassen und Plätzen auf der einen Gebäudeseite und halbprivaten Innenhöfen auf der anderen. Der Dialogprozess mit der Bevölkerung wurde erst anhand des Siegerprojekts durchgeführt. Zu Recht waren einige Teilnehmer frustriert über den späten Einbezug. Sie beanstandeten, dass zu wenige öffentliche und zu viele private Freiräume geschaffen würden – und dass die Dichte zu hoch sei.
Die Gemeindeversammlung nahm den Quartierplan in einer leicht angepassten Form zwar mit gut zwei Dritteln an – gegen den Entscheid wurde jedoch das Referendum ergriffen. An der Urne unterlag das Projekt mit zehn Stimmen Differenz. Statt aufzugeben, holten die Verantwortlichen die Gegnerschaft ins Boot und überarbeiteten das Projekt grundlegend. Sie reduzierten die Dichte um ein Drittel und vergrösserten die öffentlich zugänglichen Räume. Der neue Entwurf hat allerdings nur wenig Ähnlichkeit mit dem ursprünglichen. Die Gemeindeversammlung genehmigte das Projekt mit 84 Prozent Zustimmung. Für die Entwicklung war es folglich richtig, den sehr knapp gescheiterten Entwurf innerhalb nur eines Jahres zu überarbeiten. Die Gemeinde konnte so auch Vertrauen für künftige Projekte schaffen. Doch die städtebauliche Qualität hat unter der Redimensionierung gelitten, und die tiefere Dichte nagt an der Finanzierbarkeit. Wollten die Gegner zu viel ? Oder war das Raumprogramm von Anfang an überladen ? Sicherlich hätte es dem Pr ozess geholfen, wenn die Bevölkerung bereits das Raumprogramm des Studienauftrags hätte mitgestalten können.
Das Zentrum zu stärken
Die Gemeinde Münchenstein ist in vieler Hinsicht das Gegenteil von Birsfelden. Die Bevölkerungszahl ist zwar vergleichbar, aber die Gemeindefläche dreimal so gross. Die Birs fliesst mitten durch den Ort. An ihrem rechten Ufer liegen diverse Industrieareale wie das Walzwerk ( 9 ) und van Baerle ( D ). Dahinter liegt auf einer Anhöhe der historische Dorfkern, um ihn herum neuere Einfamilienhäuser. Die Ebene links der Birs wurde ab den 1930ern Siedlung um Siedlung überbaut – Münchenstein entstand. In den 1970ern wurden innerhalb dieses unkoordinierten →
→ So gelingt Verdichtung
Wachstums neue Quartierzentren geplant. Der Stöckacker ist heute eines der wichtigsten Zentren der Gemeinde. Der Quartierplan umfasst Gewerbe- und Dienstleistungsbauten, Wohngebäude sowie das Einkaufszentrum namens Gartenstadt mit Coop, Migros, Post, Apotheke und diversen kleineren Läden. Eigentümerinnen oder Baurechtsnehmer sind die Einwohnergemeinde, die beiden Grossverteiler und die Post, mehrere Immobiliengesellschaften sowie einer der ansässigen Gewerbebetriebe. Da der Quartierplan und die Bausubstanz in die Jahre gekommen sind und sich die Bedürfnisse an ein Zentrum verändert haben, hatte die Gemeinde ein umfangreiches Planungsverfahren eingeleitet. Ziel war es, mit Wohnungen und Dienstleistungsflächen zu verdichten, zusätzliche Verkaufsflächen zu schaffen und die Gemeindeverwaltung zu bündeln. Die Stärkung dieses Zentrums in Münchenstein sollte das Quartier beleben und den lokalen Verkehr reduzieren, weil noch mehr Alltagsangebote in Gehdistanz angeboten würden.
Der Prozess mit den vielen Beteiligten war komplex und umständlich. Ein Studienauftrag mit den betroffenen Eigentümerschaften resultierte in einem Projekt von Bachelard Wagner und Stefan Rotzler. Es war von hoher Dichte und war für alle Parteien unabhängig etappierbar. In der nachgelagerten öffentlichen Mitwirkung zeigte sich, dass die hohe Dichte nicht gut ankam. Stimmen aus dem Mitwirkungsverfahren beanstandeten auch, dass die zentrale Strasse weiterhin primär für die Warenlogistik genutzt würde. Daraufhin wurde das Projekt in der Höhe stark reduziert und die Zufahrten für die Anlieferung verschoben. Die neue Lösung war städtebaulich besser, jedoch nicht mehr unabhängig etappierbar. Dies führte dazu, dass die Projektbeteiligten sich nicht einigen konnten, unter anderem mangels konkreter Entwicklungsabsichten. Die kantonale Gesetzgebung stellt hohe Anforderungen an die Änderung von Quartierplänen. Und da sich die Eigentümerschaften nicht einigen konnten, wurde das Projekt 2024 sistiert. Gemeindepräsidentin Jeanne Locher-Polier sieht die Ursache für das Scheitern in den gesetzlichen Vorgaben. Im selben Jahr legte die Gemeinde aufgrund der gleichen Problematik einen weiteren Quartierplan aufs Eis, zwei weitere wurden aus anderen Gründen sistiert.
Die Altlasten der Planung Münchenstein ist kein Einzelfall. In der Birsstadt wurde seit der Nachkriegszeit häufig mit Quartierplänen gebaut. Als Sondernutzungspläne sind diese vergleichbar mit Gestaltungsplänen, mit denen die Gemeinden Lage, Ausdehnung und Höhe der Gebäude, die Erschliessung, Nutzung und Parkierung sowie die Gestaltung der Aussenräume vorgeben. Bauprojekte in der Regelbauweise, also auf Grundlage des regulären Zonenplans und Zonenreglements, bewilligt der Kanton Basel-Landschaft. Die Gemeinden können deshalb nur wenige zusätzliche Qualitätsvorschriften machen. Thomas Waltert, Kantonsplaner Basel-Landschaft, weist darauf hin, dass die gesetzliche Grundlage durchaus höhere Qualitätsvorschriften in der Regelbauweise zulasse, diese politisch jedoch schwierig einzufordern seien, weil sie einen grossen Eingriff ins Privateigentum bedeuteten.
Quartierpläne hingegen erlauben eine Abwägung von Ausnützungsboni und Qualitätsanforderungen. Sie schaffen allerdings auch Abhängigkeiten. Sie erstrecken sich über mehrere Parzellen und können dutzende Eigentümerschaften vereinen, von Einfamilienhausbesitzerinnen bis zu Immobilienfirmen, mit teilweise stark divergierenden Bedürfnissen und Entwicklungsabsichten. Durch die kantonale Vorgabe, dass das Gros der Eigentümerschaften
– Mit einer übergeordneten Planung Zusammenhang schaffen und Inselurbanismus verhindern.
– Echte und neue Qualitäten schaffen –ein kleines Plätzchen und ein schöner Garten auf jeder Überbauung reichen nicht aus.
– Mit temporären Massnahmen im öffentlichen Raum die Vorteile aufzeigen.
– Bestand erhalten – das ist sozial und ökologisch nachhaltig, erhält die Verbundenheit mit dem Ort und macht Verdichtung mehrheitsfähig.
– Kostenmiete und gemeinnützige Wohnungen fordern.
– Parkplätze auf das absolute Minimum reduzieren – Verdichtung muss vollständig auf Langsamverkehr und öV setzen.
– Auf Hochhäuser verzichten. Sie sind teuer, verbrauchen mehr Rohstoffe und ecken an.
– Öffentliche Nutzungen wie Cafés, Sporträume, Gemeinschaftsräume, unkommerzielle Treffpunkte in Innenräumen, die sich nicht am Markt vermieten lassen.
– Verfahren professionell begleiten lassen.
– Gemeinsam klare Ziele ausstecken, die von allen getragen werden.
– Alle ernst nehmen, auch die kleinen Eigentümerinnen und die Mieter, die Skeptischen und die Zögernden.
– Für alle einen Vorteil herausarbeiten.
– Nach Rückschlägen die Gegnerschaft ins Boot holen und gemeinsam weitermachen.
– Unabhängigkeit der Eigentümerinnen gewährleisten.
– Im Prozess Zwischenmenschliches kultivieren.
einer Anpassung des Plans zustimmen muss, sind viele im Status quo blockiert. Der einstige Schlüssel zur hochwertigen Verdichtung passt nicht mehr ins Schloss: Die Quartierpläne sind heute mehr Hindernis als Lösung. Der Kanton will das Gesetz so anpassen, dass Quartierpläne einfacher geändert oder aufgehoben werden können. Die Wirkung der Gesetzesanpassungen kann noch nicht abgeschätzt werden. Sicher ist, dass Entwicklungsabsichten der Eigentümerschaften und die Anliegen der Bevölkerung auch in Zukunft beachtet werden müssen. Die Lösung liegt darin, die Ziele und Bedürfnisse partizipativ zu erarbeiten, noch bevor ein Studienauftrag lanciert wird. Ein Entwurf ist nur so gut wie seine Bestellung.
Inseln der Verdichtung
Ein weiteres, grundsätzliches Problem der Quartierpläne können jedoch weder die Gesetzesänderungen noch Partizipation lösen: Rechtlich stanzen die Quartierpläne ein Loch in den Zonenplan, um quasi auf weissem Papier eine grundsätzlich neue Planung zu ermöglichen. Durch fehlenden Bezug zur Umgebung und mangelhafte Einbettung können Inseln entstehen. Quartierpläne akzentuieren dabei ein Problem, das auch in der Regelbauweise herrscht: In der Schweiz planen wir Areal für Areal, weil das Privateigentum an erster Stelle steht. Wir bauen keine Quartiere, nur « Siedlungen ». Die bestehenden räumlichen und städtischen Entwicklungskonzepte ( REK und STEK ) bleiben zu vage, um Kohäsion und Kohärenz zu schaffen, und sind nicht eigentümerverbindlich. Nur übergeordnete, detaillierte und eigentümerverbindliche Vorgaben können Inseln verhindern. Eine Lösung könnten Quartierpläne sein, die tatsächliche Quartiere statt einzelner Siedlungen umfassen. Besser noch würde die ordentliche Zonenplanung so präzise und lokal spezifisch ausgestaltet, dass sie mehr räumlichen Zusammenhang schafft. Doch vor allem braucht es den politischen Willen, die Gestaltung unserer Lebensräume über Partikularinteressen zu stellen. ●
Die Sportanlagen bei St. Jakob sind auch ein Ort zum gemeins amen Scrollen auf dem Smartphone.
Ein Doppeleinfamilienhaus in Pfeffingen trägt die Parzellengrenze im Gesicht.
ist ein Versuch, die Diskussion auf eine objektive Ebene zu bringen.
Für die Birsstadt-Gemeinden ist der Wakkerpreis 2024 Ehre und Verpflichtung zugleich: Sie wollen in Zukunft gemeinsam qualitätsvolle Baukultur fördern.
Die rasanten Entwicklungen der letzten 200 Jahre haben dem Birstal ihren Stempel aufgedrückt. Industrialisierung, Ausbau der Verkehrsinfrastruktur mit Eisen- und Autobahn und schliesslich Bauboom. Heute scheinen die einstigen Bauerndörfer zur identitätslosen Schweizer NormalAgglomeration zusammengewachsen zu sein. Beim genaueren Hinsehen zeigt sich allerdings ein differenzierteres Bild. « Für den Heimatschutz ist das Birstal eine schwierige Region », sagt Ruedi Riesen, Architekt und Präsident vom Baselbieter Heimatschutz – um gleich nachzus chieben: « Es gibt aber auch eine ganze Reihe von Leuchttürmen in der Birsstadt: Landschaften, Siedlungen und Einzelbauten mit Strahlkraft. » Als Beispiele nennt er etwa die Umnutzung der ehemaligen Florettspinnerei ‹ Schapp e › am Birsufer in Arlesheim oder das Quartier rund um das Kirchenzentrum Mischeli in Reinach, wo dank sorgfältiger Verdichtung ein neues lebendiges Zentrum heranwächst. Ruedi Riesen ist Mitglied der Echogruppe Baukultur des Vereins Birsstadt. Ihr Ziel ist es, in der Birsstadt künftig neue Massstäbe für qualitätsvolles Bauen zu setzen. In den letzten 15 Jahren haben die Dörfer entlang der Birs bereits eine gemeinsame Stossrichtung für die Entwicklung in der Region erarbeitet. Diese umfasst ein gemeindeübergreifendes Freiraumkonzept, den ‹ Aktionsplan Birspark Landschaft ›, das ‹ Raumkonzept Birsstadt › und ein Mobilitätskonzept sowie die 2024 verabschiedete ‹ Klimastrategie Birsstadt ›. Die zehn im Verein Birsstadt zusammengeschlossenen Gemeinden wurden für diese schweizweit einzigartige Zusammenarbeit über Gemeinde- und Kantonsgrenzen hinweg 2024 mit dem Wakkerpreis ausgezeichnet. In der Laudatio wird die weitsichtige Zusammenarbeit hervorgehoben, « die nicht nur die Grund-
lage für die Reparatur des Raumes bildet, sondern auch für eine qualitätsvolle Baukultur ». Für den Verein Birsstadt war dies der Anlass, das Thema Baukultur grundsätzlich anzugehen – denn es hatte in der Vergangenheit immer wieder für Diskussionen gesorgt.
Der Wakkerpreis habe die Arbeit des Vereins erstmals ins Schaufenster einer breiten Öffentlichkeit gerückt, konstatiert Thomas Waltert, Kantonsplaner des Kantons Basel-Landschaft. Damit beginne eine neue Phase: Nach der konzeptionellen Grundlagenarbeit der vergangenen Jahre gehe es nun an die Umsetzung. Ziel ist, die gut erschlossene Region mit ihren Baudenkmälern und den zahlreichen, attraktiven Transformationsarealen noch sorgfältiger und nachhaltiger weiterzuentwickeln als in der Vergangenheit. « Die historischen Industriegebiete bieten ein enormes Potenzial für neue Themen des Bauens und Entwickelns », fasst der Kantonsplaner zusammen. Wie in der vom Bund verabschiedeten Strategie zur Baukultur vorgegeben, stützt sich die Birsstadt auf ein ganzheitliches Verständnis von Baukultur, das nebst den Themen Lebens- und Siedlungsraum auch die Bereiche Mobilität, Landschaft und Gesellschaft umfasst. « Im Zentrum steht die Frage nach der Lebensqualität », umschreibt der Dornacher Gemeindepräsident Daniel Urech die Debatte über die Baukultur. « Die Menschen s ollen sich hier wohlfühlen, gerne in diesem Raum wohnen und sich bewegen – das hat dur chaus auch funktionale Aspekte. »
Leitfaden zur Qualitätssicherung
Um die B egriffe Baukultur und Qualität für die anstehenden Herausforderungen in der Region Birsstadt zu konkretisieren, hat der Verein ein breites Mitwirkungsverfahren lanciert. Das Ziel ist ein Leitfaden für die Beurteilung zukünftiger Projekte und Planungsprozesse. Die acht Kriterien der ‹ Erklärung von Davos › von 2018 sollen auf die Verhältnisse in der Birsstadt heruntergebrochen und für die eigenen Bedürfnisse geschärft werden. « Mit dem Mitwirkungsverfahren wollen wir die hehren Ziele und abstrakten Dimensionen der ‹ Erklärung von Davos › konkretisieren und verständlicher machen », führt Ure ch aus. In einem ersten Schritt finden in allen Gemeinden öffentliche Veranstaltungen und Ortstermine statt, wo sich die Bevölkerung darüber äussern kann, was ihr an ihrem Lebensraum gefällt, was sie stört und was sie sich für die Zukunft wünscht. Ob bei der Begehung des idyllischen Dorfkerns von Duggingen oder im öffentlichen Diskurs um eine umstrittene Neubausiedlung – das Vorhandene liefert Anschauungsmaterial und Inspiration für Diskussionen über die Art und Weise einer qualitätsvollen Weiterentwicklung. Themen, die dabei immer wieder zur Sprache kommen, sind etwa das Bedürfnis nach Grünräumen, die Skepsis gegenüber baulicher Verdichtung oder die maximale Gebäudehöhe und deren Wirkung auf die Umgebung. Der Austausch mit der Bevölkerung sei wichtig, nicht zuletzt, um eine gemeinsame Basis zu finden und zu verhindern, dass langwierige Planungen schliesslich an der Urne scheitern, sagt Stefan Haller, Geschäftsleiter der Technischen Verwaltung Reinach. Er leitet die BirsstadtArbeitsgruppe Baukultur und Lebensraum, die basierend auf den Resultaten aus den Gesprächen in einem nächsten Schritt die aufs Birstal zugeschnittenen Kriterien definieren und daraus Leitlinien für eine gemeinsame Baukultur erarbeiten will. Diese Leitlinien könnten dereinst in die Planungs- und Baubewilligungsprozesse der einzelnen Gemeinden einfliessen. Darüber hinaus werden die mit der Bevölkerung erarbeiteten, gemeindeübergreifenden Leitlinien die Position der Politikerinnen gegenüber Investorinnen und Entwicklern stärken, ist Haller überzeugt.
« Der Verein Birsstadt zeigt mit seinem erfolgreichen Wirken beispielhaft, d ass mit gelebter Verbindlichkeit in der Praxis mitunter mehr erreicht werden kann als mit Direktiven von oben oder Gesetzen. Er hat den Wakkerpreis nicht erhalten, weil in der Birsstadt die schönsten Bauten stehen, sondern für die Art und Weise, wie er Zukunftsaufgaben angeht. »
Thomas Waltert, Kantonsplaner des Kantons Basel-Landschaft
« Erst die intensive Beschäftigung mit der Baukultur der Birsstadt h at uns aufgezeigt, welche Perlen sich hier auf engstem Raum befinden und
welch grosses Entwicklungspotenzial unsere Region noch hat. »
Markus Eigenmann, Gemeindepräsident von Arlesheim und aktueller Präsident des Vereins Birsstadt
Von der Blockade zur Gesamtlösung
Es sei wichtig, eine Vision davon zu haben, wohin die Entwicklung gehen soll, bestätigt Eveline Sprecher. Die Gemeindepräsidentin von Aesch hat in den letzten 12 Jahren in ihrer Gemeinde verschiedene Bauprojekte begleitet, über deren Ausgang sie nicht ganz glücklich ist: « Ich b edaure sehr, dass wir es in der Vergangenheit nicht immer geschafft haben, den Blick aufs Ganze einzufordern und durchzusetzen », sagt sie rückblickend. Dass es auch anders gehen könnte, zeigt die Lösung des Streits um den Autobahnzubringer in Dornach und Aesch. Aufgrund veränderter Rahmenbedingungen bildete sich gegen die ursprünglich geplante Streckenführung Widerstand. Um die Blockade zu lösen, initiierten die Kantonsplaner von Solothurn und Basel-Landschaft, zusammen mit den beiden Gemeinden, einen neuen Prozess mit dem Namen ‹ Zukunft Birsraum ›. Dab ei wurde der Fokus vom isolierten Strassenprojekt auf den gesamten Raum gelenkt. Unter Beteiligung der Bevölkerung – jede Gemeinde stellte 20 Delegierte – identifizierten sie gemeins ame Interessen und führten eine Art erweiterte Testplanung durch.
Das Resultat lässt sich sehen: Zum einen einigte man sich auf einen neuen, weniger sensiblen Standort für die Birsüberquerung. Zum anderen definierte man für den Perimeter zwischen dem Bahnhof Aesch, dem Entwicklungsareal Wydeneck ( 14 ) und Dornachbrugg neun Teilprojekte. Diese sollen zur Aufwertung und zukünftig attraktiven Weiterentwicklung beitragen.
Dazu gehören etwa ein Masterplan für den Bahnhof Aesch und die Birsmatt, die Revitalisierung des Gewässerraums entlang der Birs oder die Prüfung, ob die alten Stahlfachwerkbrücken in Münchenstein nach Aesch und Dornach verschoben und wiederverwertet werden können.
« Die ganzheitliche Betrachtung – der Einb ezug von Aspekten wie Natur, Aufenthaltsqualität, Mobilität und zukünftiges Siedlungsgebiet – ist sehr wichtig », sagt der Dornacher Gemeindepräsident Daniel Urech. Entscheidend sei gewesen, ergänzt die Aescher Gemeindevorsteherin Eveline Sprecher, dass man die Kantons- und Gemeindegrenzen weggedacht und den Raum integral angeschaut habe. Ihre Lehre aus dem Prozess: Es braucht das Miteinander, um die beste Lösung zu finden. ●
Seit bald zwei Jahrzehnten planen die heute zehn Gemeinden der Birsstadt gemeinsam die Landschaft, die Raumentwicklung, die Mobilität und bald auch die Baukultur. Für seine Zusammenarbeit über Gemeinde- und Kantonsgrenzen hinaus erhielt der Verein Birsstadt 2024 den Wakkerpreis. Dieses Themenheft blickt auf die bereits verbuchten Erfolge und auf die zukünftigen Herausforderungen, die das Grossvorhaben Birsstadt angehen möchte. www.birsstadt.swiss
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