Themenheft von Hochparterre, Januar 2025
Zusammenleben gestalten
Für die Überbauung Holliger in Bern haben sich sechs gemeinnützige Wohnbauträger zusammengetan. Entstanden ist ein urbaner Quartierteil, in dem das Zusammenleben grossgeschrieben wird.
Der Spielplatz kommt gut an: Er wurde von der siedlungsinternen Arbeitsgruppe #Hügelspielplatz gestaltet.
Inhalt
4 « Zusammen gute Lösungen entwickeln »
Im Gespräch erzählen Beteiligte, wie die Idee des gemeinsamen Wohnareals Holliger entstand und wer welche Rolle einnahm.
8 Die DNA des Holliger
Die gemeinsamen Aussen- und Innenräume gehören der ISGH, in der sich alle Bauträger formieren.
12 Architektur, Sozialraumplanung, Landschaft
Ein Experte und zwei Expertinnen kommentieren die Umsetzung der Planung.
16 « Hier könnte ich im Alter leb en »
Sechs Bewohnerinnen und Besucher, Begleiterinnen und Mitgründer berichten aus ihrem Holliger-Alltag.
18 So gelingt das Miteinander
Der formelle und informelle Austausch ist zentral, um die unterschiedlichen Bewohnerinnen und Bauträger zusammenzubringen.
20 Sechs Bauträger, sechs Geschichten
Die verschiedenen gemeinnützigen Bauträger wagten auf dem Holliger viel, um gemeinsam etwas Neues zu schaffen.
Soziale Architektur
Im Jahr 2014 wurde in Bern die Wohn-Initiative mit einem Ja-Anteil von 71 Prozent angenommen. Sie verpflichtet die Stadt zu mehr preisgünstigem Wohnungsbau und gemeinnützigen Wohnbauträgern. Die Initiative war ein wichtiger Wegbereiter für die rein gemeinnützige Umnutzung des ehemaligen Areals der Kehrichtverbrennungsanlage. Dort ist auf 22 00 0 Quadratmetern das grösste gemeinsame Projekt von gemeinnützigen Wohnbauträgern der letzten Jahrzehnte in Bern entstanden. Heute leben rund 380 Erwachsene und 180 Kinder im Holliger, wie sich die Überbauung nennt. Sie ist aber nicht nur gross, sondern auch vorbildlich, was die soziale Architektur angeht. Das vorliegende Heft fokussiert deshalb für einmal nicht auf die Bauten, sondern auf die Gestaltung und die Organisation des Zusammenlebens, das sich in den geteilten Räumen manifestiert. Zwei Texte gehen den gemeinschaftlichen Innen- und Aussenräumen nach und erklären, wie sie genutzt und betrieben werden. Eine Gesprächsrunde schält die Erkenntnisse von Bauträgern, Genossenschaftsverband, Stadt und einer Sozialraumplanerin heraus, die in der Siedlung wohnt. Sechs Porträts von weiteren Bewohnerinnen und Menschen, die regelmässig im Holliger sind, geben Einblick in ihren Alltag. Einschätzungen von Experten aus den Bereichen Städtebau, Landschaftsarchitektur und Sozialraum runden das Bild ab. Den Schluss macht eine kompakte Zusammenstellung der Bauten, Wohnformen und Bauträger. Sie versammelt Fakten und Zahlen zu den fünf realisierten Bauten und dem geplanten Hochhaus, aber auch zur Zusammensetzung der Bewohnerschaft.
Einen Bilderbogen zum Zusammenleben im Holliger hat der Fotograf Ephraim Bieri gespannt. Seine Fotos zeigen etwa, wie die Siedlung ans Quartier anschliesst oder wie Kinder und Erwachsene die Räume in Beschlag nehmen. Roderick Hönig Editorial
Dieses Themenheft / dieser Themenfokus ist eine journalistische Publikation, entstanden in Zusammenarbeit mit Partnern. Die Hochparterre-Redaktion prüft die Relevanz des Themas, ist zuständig für Recherche, Konzeption, Text und Bild, Gestaltung, Lektorat und Übersetzung. Die Partnerinnen finanzieren die Publikation, genehmigen das Konzept und geben ihr Einverständnis zur Veröffentlichung.
Impressum
Verlag Hochparterre AG Adressen Ausstellungsstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41 44 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag@hochparterre.ch, redaktion@hochparterre.ch Geschäftsleitung Deborah Fehlmann, Roderick Hönig Redaktionsleitung Axel Simon Leitung Themenhefte Roderick Hönig Konzept und Redaktion Damaris Baumann, Roderick Hönig Fotografie Ephraim Bieri, www.ephraimbieri.ch Art Direction Antje Reineck Layout Sam Linder, Jan Reimann Produktion Marion Elmer Korrektorat Rieke Krüger, Dominik Süess Lithografie Team media, Gurtnellen Druck Stämpfli AG, Bern Herausgeber Hochparterre in Zusammenarbeit mit der Infrastrukturgenossenschaft Holliger ( ISGH ) hochparterre.ch / holliger Themenheft in Deutsch bestellen ( Fr. 15.—, € 12.— ) und als E-Paper lesen
« Zusammen gute Lösungen entwickeln: Darauf kommt es an ! »
Wie entstand die Idee für den Holliger ? Welche Rolle spielte die neu gegründete Genossenschaft Warmbächli ? Und was kann man vom Prozess lernen ? Ein Gespräch unter Beteiligten.
Die sechs gemeinnützigen
Bauträger und ihre Häuser
EBG
Warmbächli
Fambau
BG Aare
npg AG
BG Brünnen-Eichholz
B ild: Occulus Illustration
Infrastrukturgenossenschaft Holliger ( ISGH )
Unter dem Slogan « gemeinsam, vielfältig, daheim » haben sich die sechs gemeinnützigen
Bauträger mit unterschiedlichen Kulturen als Infrastrukturgenossenschaft Holliger ( ISGH ) zusammengeschlossen. Die ISGH formierte sich 2017, ein Jahr nachdem die Bauträger das Bauland im Baurecht von der Stadt Bern übernommen hatten. Die ISGH ist zuständig für die gemeinsamen Flächen im Aussenund Innenraum im Holliger.
Der Holliger steht, einzig einer der beteiligten sechs gemeinnützigen Bauträger konnte noch nicht bauen.
Bevor wir über Entstehung, Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Prozess sprechen, der ein gutes Jahrzehnt umspannt: Was ist der Holliger für Sie, und was bedeutet er für die Stadt Bern ?
Jürg Sollberger: Der Holliger ist ein Pionierprojekt für die Wiederbelebung der Berner Genossenschaftsszene.
Kristina Bussmann: Die Überbauung ist das grösste gemeinsame Projekt von gemeinnützigen Wohnbauträgern, das es in den letzten Jahrzehnten in Bern gab. Die Stadt hat parallel dazu eine neue Wohnstrategie definiert ; viele Themen des Holliger-Projekts sind in diese Strategie eingeflossen. Was wir dabei lernen konnten, darauf komme ich später noch zu sprechen.
Sanna Frischknecht: Der Holliger ist ein Projekt mit Vorbildcharakter, was die bauliche Struktur wie auch die soziale Architektur angeht. Er ist ein urbaner Wohnort mit enormer Lebensqualität, der in der heutigen Form vor allem auch deshalb realisiert werden konnte, weil sich viele Menschen mit sehr viel Herzblut dafür eingesetzt haben. Für mich persönlich ist der Holliger zudem ein Lernort und seit drei Jahren mein Zuhause.
Martin Zulauf: Das Miteinander der Bauträgerschaften war entscheidend für den Holliger als städtebaulich und sozial erfolgreiches Projekt.
Wie ist der gesellschaftliche und politische Boden entstanden, auf dem die Idee reifen konnte, das Areal der ehemaligen Kehrichtverbrennungsanlage gemeinsam zu bebauen ?
Jürg Sollberger: Um die Jahrtausendwende veränderte sich die Stadt Bern auf so positive Weise, dass sie als Wohnort wieder interessanter wurde. Die neue Attraktivität löste in der Gesellschaft und im Parlament entsprechende Diskussionen aus. Parallel dazu erstarkte die rot-grüne Wohnbau-Politik, und mit der erfolgreichen Wohn-Initiative, die 2014 angenommen wurde und seit 2020 in Kraft ist, erhielt der Bau preisgünstiger Wohnungen einen wichtigen Impuls. Die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen für die städtische Wohnbauförderung waren gut. Bern hat im Vergleich mit Zürich, Basel und Genf wenige genossenschaftliche Wohnungen. Warum eigentlich ?
Jürg Sollberger: Die Szene war aufgrund des fehlenden Bodenangebotes etwas eingeschlafen. Es musste auch viel renoviert werden, und die Genossenschaften waren deshalb vereinzelt unterwegs.
Martin Zulauf: « Vereinzelt » ist vornehm ausge drückt. Jede hat eine eigene Kultur und Geschichte, und es herrschte nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen.
Jürg Sollberger: Ja, richtig. Im Holliger gelang es, die verschiedenen gemeinnützigen Bauträger trotz ihrer unterschiedlichen Kulturen und Werte zusammenzubringen.
Kristina Bussmann ist seit 2014 bei Immobilien Stadt Bern, seit 2021 leitet sie die städtische Liegenschaftenabteilung. Sie war nicht direkt in die Entstehung des Holliger involviert , aber verfolgte diese nah mit. Via städtischen Wohnbaufonds vertritt sie die Stadt als Bodeneigentümerin und damit Baurechtsgeberin.
Sanna Frischknecht arbeitet bei der Baugenossenschaft Aare als Projektleiterin und Sozialraumplanerin und ist für die Genossenschaft in der Verwaltung und Betriebskommission der ISGH. Die Soziologin lebt und engagiert sich in der Genossenschaft Warmbächli und beschäftigt sich auch in ihrer Forschung mit genossenschaftlichem Wohnen.
Der Holliger sollte zunächst nur zur Hälfte gemeinnützig überbaut werden. Heute sind es aber 100 Prozent. Wie ist das gelungen ?
Jürg Sollberger: Aus dem Bewusstsein heraus, dass wir stärker sind, wenn wir zusammenspannen. Vom Verband her fanden wir: « Mit der Hälfte können wir uns nicht zufriedengeb en ! Machen wir einen Effort, damit es mehr wird ! » Mit diesem Geist, dieser Haltung fanden dann die Gespräche statt, und die Genossenschaften konnten zusammengeführt werden. Wir sahen auch, dass die Chancen, hundert Prozent des Baulands zu bekommen, intakt waren, da die gesellschaftliche und politische Situation reif war für deutlich mehr gemeinnützige Wohnungen. Was bedeutete das für jede der Genossenschaften ? Wie mussten sie die Wettbewerbe umsetzen ?
Jürg Sollberger: Jede konnte ihr Haus quasi so planen, wie sie wollte, aber als Teil des Quartiers. Der von der Stadt ausgeschriebene Wettbewerb definierte sechs Parzellen mit freistehenden Häusern. Das war ein robustes städtebauliches Konzept, um die sechs an einen Tisch zu bringen und ihnen zu sagen: Ihr könnt euer Programm – mit der Bedingung eines Wettbewerbs – nach euren Vorstellungen umsetzen.
Martin Zulauf: Wobei die Zusammenarbeit auch aus dem Prozess heraus entstand – die Stadt stellte sich das damals noch so vor, dass sie mit Vorgaben und Rahmenplänen viel mehr selbst koordinieren würde. Es zeigte sich dann, wie wichtig es war, dass die Beteiligten neben der gemeinsamen Projektentwicklung alle das Gefühl bekamen, dass sie eine grosse Autonomie als einzelne Genossenschaft behalten. Wichtig als Vorreiterin war dabei die Wohnbaugenossenschaft Warmbächli. Warum war das Warmbächli so wichtig ?
Martin Zulauf: Es war wie die Hefe im Teig. Anfangs war da einige Skepsis – denn das Warmbächli vereinte eine Gruppe von unerfahrenen Engagierten, die noch kein Haus besassen. Sie sagten: « Wir wollen dies es Lagerhaus, das da steht ! », und sie mobilisierten auch den Verband dafür. Das Haus war der einzige Bau auf dem ehemaligen Kehrichtverbrennungsareal, der stehen blieb, das legte der Wettbewerb der Stadt fest. Die Gewinner des städtebaulichen Wettbewerbs – BHSF Architekten – erhielten als Preis den Auftrag, das bestehende Gebäude umzubauen ; die Warmbächli-Gruppe arbeitete dann mit ihnen zusammen. Wie funktionierte die Zusammenarbeit zwischen der Stadt und der Infrastrukturgenossenschaft ( ISGH ) ?
Jürg Sollberger ist Architekt. Er begleitete das Projekt Holliger seit seinen Anfängen 2011 als Präsident des Regionalverbandes Bern-Solothurn der Wohnbaugenossenschaften Schweiz. Heute ist er Präsident der Infrastrukturgenossenschaft Holliger ( ISGH ).
Martin Zulauf ist vormaliger Präsident der Infrastrukturgenossenschaft Holliger ( ISGH ). Er koordinierte – im Auftrag der Bauträger – von Beginn an die Zusammenarbeit der sechs Genossenschaften mit der Stadt und baute die gemeinsame HolligerBetriebsstruktur mit auf. Auch mit der Stadt arbeitete der Architekt eng zusammen. Er ist Mitglied der Aufsichtskommission des Wohn baufonds der Stadt Bern.
Kristina Bussmann: Die Stadt vergab 2016 im Rahmen ihrer Ausschreibung das gesamte Areal an die ISGH – unter der Bedingung, dass der geforderte jährliche Baurechtszins von rund einer Million Schweizer Franken bezahlt wird, denn dieser war in der entsprechenden Volksvorlage für die Abgabe im Baurecht kommuniziert worden.
Jürg Sollberger: Wir Genossenschaften boten der Stadt an, ihr die ganze Infrastruktur-Koordination abzunehmen. Martin Zulauf arbeitete dann im Auftrag der Bauträger die Ausschreibungsunterlagen akribisch durch und führte alle Verhandlungen zur Infrastruktur ; er stand auch der ums etzenden Baukommission vor. Inzwischen wissen wir, auch aufgrund anderer Projekte: Das war ein wichtiges und auf alle Seiten vertrauensbildendes Angebot von uns ! Warum war das so wichtig ?
Jürg Sollberger: Man stelle sich vor, jeder Bauträger – gemeinnützig oder gewinnorientiert – hätte allein vor sich hin gearb eitet ; wer hätte dann im Auge gehabt, was in die Mitte kommt, zwischen die Häuser ? Auch die te chnische Infrastruktur, die Gestaltung der Umgebung und nicht zuletzt der Betrieb: Das von Anfang an zu koordinieren und abzusprechen, war die Grundlage dafür, dass es gut kam und dass es – plakativ gesprochen – keinen Zaun brauchte.
Kristina Bussmann: Die Stadt konnte so dem Koordinationsangebot vonseiten der Bauträger schlicht nicht ausweichen. Das alles selbst zu leisten, wäre für sie zu anspruchsvoll geworden, vom Ressourcenbedarf wie vom Know-how her. Sich zusammenzuschliessen, lohnt sich also.
Martin Zulauf: Dass das für die Stadt wirklich eine grosse Hilfe ist, scheint mir eine wichtige Erkenntnis.
Kristina Bussmann: Ja, zusammen gute Lösungen entwickeln: Darauf kommt es bei einer Quartierentwicklung an !
Wie lauteten die Ansprüche der Stadt an die Planung ?
Jürg Sollberger: Vielfalt ! Einers eits architektonisch, weshalb wir auch die einzelnen Projektwettbewerbe durchführen mussten, andererseits von der Bewohnerschaft her. Vielfalt sollte nicht nur ein Beitrag an die positive Quartierentwicklung sein, sondern auch für die Stadtentwicklung. So grosse Areale sollen keine Burgen von Glückseligen sein ; freilich können sich alle, die da wohnen, glücklich schätzen, aber es sollen verschiedenste Menschen da leben, in unterschiedlichen ( Wohn- )Formen. Wie verschieden sind die sechs Genossenschaften im Holliger nun tatsächlich ?
Sanna Frischknecht: Wir haben hier ungefähr alles abgebildet, was es in Bern an Genossenschaftskulturen gibt.
Nach aussen hat die Genossenschaft Warmbächli die grösste Ausstrahlung. Ist sie im Holliger tatsächlich auch die treibendste Kraft ?
Sanna Frischknecht: Das Warmbächli hat sich auf das Projekt im Holliger hin formiert und auf einem Baufeld, das keine der anderen Genossenschaften haben wollte, ein Konzept entwickelt, das den unterschiedlichen heutigen Wohnbedürfnissen Rechnung trägt. Fragen des Zusammenlebens durften von Anfang an viel Platz einnehmen, die Bewohnerinnen und Bewohner waren in den ganzen Prozess involviert, sie gestalteten und entschieden mit. Dass es einen lebendigen Austausch im Haus und darüber hinaus mit der Nachbarschaft und dem Quartier gibt, ist eines der zentralen Anliegen. Insofern denke ich schon, dass das Warmbächli mit den Ideen für die Lebens qualität einen wichtigen Beitrag geleistet hat. Dass Beteiligte aus seinen Reihen über all die Jahre mit Herzblut am Thema dran waren und sich beharrlich auch in der ISGH engagierten, hat sicher einiges ermöglicht.
Jürg Sollberger: Dass das Warmbächli-Haus mitten auf dem Areal steht, spielt natürlich auch mit. Bei der Finanzierung, in bautechnischen Fragen und vielem mehr konnten sie als neue Genossenschaft vom Know-how von Profis wie Martin und den professionell aufgestellten Genossenschaften profitieren. Ich finde diese katalysatorische Wirkung, dieses gegenseitige Befruchten, höchst erfreulich für die Genossenschaftsszene.
Martin Zulauf: Dass das Holliger-Areal als Erstes von diesen engagierten Menschen bewohnt wurde, hatte einen positiven Einfluss aufs Projekt als Ganzes. Sie waren auch die logischen Ansprechpersonen für die ganze Planung, weil sie die Ersten vor Ort waren. Und sie brachten eine Art Impfung rein, vor allem auch mit den Gemeinschaftsräumen, die in die ganze Siedlung ausstrahlen.
Haben sich die Bewohnerinnen und Bewohner der verschiedenen Genossenschaften im Holliger schon kennengelernt, sprechen sie miteinander ?
Jürg Sollberger: Ja, etwa über den Siedlungsverein. Und es tauchen bereits erste Fragen auf, etwa: « Ah, bei euch ist dies oder das in den Nebenkosten inklusive ? Wir müssen dies selbst bezahlen » Die Unters chiede kommen jetzt langsam aufs Tapet.
Martin Zulauf: Ich finde das spannend ! Es muss nicht in jedem Haus gleich sein.
Sanna Frischknecht: Bewohnerinnen und Bewohner hören auch, was andere für Möglichkeiten haben, und möchten das nun in ihren Häusern ebenfalls angehen. Persönlich bin ich voller Hoffnung, dass mit der Gründung des Siedlungsvereins nicht nur ein Quartierteil entsteht, sondern Nachbarschaft gelebt werden will.
Jürg Sollberger: Dafür braucht es Begegnungsräume.
Sanna Frischknecht: Ich möchte die Diskussion nicht auf die gebauten Räume beschränken, sondern von Gestaltungsmöglichkeiten sprechen.
Für die Umsetzung brauchte es einen langen Atem.
Jürg Sollberger: Oh, ja ! Für die Wohnbaugenossenschaft Warmbächli dauerte es rund acht Jahre, bis jene der Engagierten, die überhaupt eine Wohnung erhielten, einziehen konnten. Diesen Prozess muss man erst mal mitmachen ; üb er so viel Jahre an Sitzungen teilnehmen und eine Organisation aufzubauen, bedeutet intensive nebenamtliche Tätigkeit. Als Verband sahen wir, dass es tatsächlich viele gab, die das für eine solche Wohnform leisten wollten.
Welche weitere Entwicklung im Genossenschaftsbereich hat der Holliger angestossen ?
Jürg Sollberger: Beflügelt von den positiven Erfahrungen im Holliger, hat der Regionalverband Bern-Solothurn der Wohnbaugenossenschaften Schweiz beschlossen, im Vie -
rerfeld – unterstützt von Berner Genossenschaften – mit einer neuen Mitglieder-Genossenschaft aufzutreten und sich für den gemeinnützigen Teil der ersten Bauetappe zu bewerben. Die ‹ Hauptstadtgenoss enschaft ›, die wir dafür gegründet haben, zählt inzwischen bereits 350 Mitglieder. Kristina Bussmann: Und sie ist zu einem Zeitpunkt an die Stadt herangetreten, als noch nicht einmal klar war, wie es dort vorwärtsgehen würde. Das hat uns gefreut. Was hat die Stadt für das Projekt im Viererfeld gelernt ? Kristina Bussmann: Wir lernen von allen Arealentwicklungen – prozessual, inhaltlich, auch rechtlich. Trotzdem hat jedes Areal Eigenheiten. Im Viererfeld ist die Bauherrschaft heterogener. Statt einer Überbauungsordnung haben wir viele privatrechtliche Vorgaben und Vorschriften, das macht das Ganze noch etwas komplexer. Vom Holliger nehmen wir mit, wie man sich organisieren kann, mit einer Infrastrukturgesellschaft. Und die Erkenntnis, dass man ganz viel koordinieren muss, wenn man zusammen ein Quartier entwickeln, bauen und betreiben will. Aber die Unterschiede sind schon gross – im Holliger sind es alles Genossenschaften, im Viererfeld entwickelt eine Pensionskasse etwa ein Gebäude, das neben einem Genossenschaftsbau zu stehen kommt. Die Stadt muss dort viel stärker den Lead übernehmen, damit das Zusammengehen funktioniert.
Jürg Sollberger: Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass es auch dort Impfprozesse gibt, über welche die Pensionskassen Ideen aufnehmen.
Können Sie ein Beispiel dafür nennen ?
Jürg Sollberger: Dass man Gemeinschaftsräume zusammen denken kann, auch die ganze Mobilität. Und dass es beim Start eine soziokulturelle Stelle braucht. Ich sehe auch, wie Pensionskassen anfangen zu fragen, wie wir bei den Genossenschaften etwas Bestimmtes machen. Sie müssen ja am Markt bleiben und erhalten durch die Genossenschaften Konkurrenz.
Sanna Frischknecht: Sie kommen auch im Holliger vorbei, um sich inspirieren zu lassen. Was wir als Learning weitergeben: In einer Siedlung wie dieser sind auch der Aussenraum, das grosse gemeinsame Dach und weitere Gemeinschaftsräume im Mietpreis inbegriffen. Das zu vermitteln, ist schwierig. Man ist sich gewohnt, dass Wohnen an der Wohnungstür endet. Dass wir den Leuten eine Vorstellung davon vermitteln müssen, was sie alles erhalten für ihren Mietpreis, war für uns eine Lernerfahrung.
Was können andere Genossenschaften davon lernen?
Jürg Sollberger: Dass es möglich ist, so verschiedene Genossenschaften zusammenzubringen. Wir sind jetzt in Thun in einem Prozess und sehen auch da: Wenn Genossenschaften sich kennenlernen und die Gelegenheit erhalten, miteinander etwas zu machen, fangen sie auch an, miteinander zu diskutieren, egal, wie verschieden sie sind. Am Ende verstehen sie sich vielleicht sogar selbst bei Fragen, bei denen sie komplett verschiedene Vorstellungen haben, wie etwa beim Auto.
Hat die Berner Genossenschaftsszene durch den Holliger einen Schub bekommen?
Sanna Frischknecht: Ja, man kann schon von einer neuen Welle genossenschaftlichen Wohnungsbaus reden, nicht nur in Bern. Es werden seit einigen Jahren wieder neue Genossenschaften und gemeinnützige Trägerschaften gegründet, und auch die Etablierten beschäftigen sich neben dem sehr wichtigen Erhalt des Bestandes wieder damit, ihn zu erweitern und mehr zahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Der Holliger hat in Bern aber sicherlich seinen Teil dazu beigetragen, dass der gemeinnützige Wohnungsbau in Bern wieder an Aufmerksamkeit gewinnt und sich einiges bewegt. ●
Wasser ist ein wichtiges Element im Aussenraum: Ein vom Grundwasser gespeistes Wiesenbächlein schlängelt sich durch die Siedlung und versickert im Sinne der Schwammstadt auf dem Areal.
Die DNA des Holliger
Die gemeinsamen Aussen- und Innenräume gehören der ISGH, in der sich alle Bauträger formieren. Für mehr Dichte, Austausch und Grösse wurden Flächen zusammengelegt.
Es hätte auch anders kommen können. In Vorstudien prüfte die Stadt ab 2007, die Überbauung zusammen mit institutionellen und gemeinnützigen Bauträgerschaften zu realisieren. Doch heute gruppieren sich im Holliger nur gemeinnützige Bauträger mit kostengünstigen Wohnungen um einen gemeinsamen Innenhof. Die überdeutliche Annahme der Initiative für bezahlbare Wohnungen, über die Bern 2014 abstimmte, gab ihnen den politischen Rückenwind. Fünf Wohnhäuser sind bis zu neun Geschosse hoch. Ein sechster Bau, ein Hochhaus, wird das Areal komplettieren und die realisierten Bauten überragen – wann, ist noch offen. Abklärungen zu den ökonomischen Rahmenbedingungen eines Hochhauses mit preisgünstigen Wohnungen und der definitiven Gebäude höhe sind am Laufen. Rund 270 unterschiedliche Wohnungen sind erstellt und bezogen, zusammen mit dem Hochhaus werden es gegen 350 Wohnungen sein. Das städtebauliche Konzept orientiert sich an den grossmassstäblichen Gewerbebauten in der östlichen Nachbarschaft und nicht an den umliegenden Zeilenbauten der Wohnhäuser. Der Holliger ist dichter, höher, öffentlicher – und auch lebendiger. Nicht nur die Siedlung, auch das umliegende Quartier profitiert von den neuen Aussenräumen und Angeboten.
Im Norden, über die Gleise hinweg, ist die neue Kehrichtverbrennungsanlage ( KVA ) zu sehen. Dass die alte KVA das WarmbächliAreal 2013 verliess und die Stadt Bern von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machte, ermöglichte den Holliger erst. Die Berner Stadtplanerin Jeanette Beck bezeichnet den Kauf rückblickend als « weitsichtig ». Den städtebaulichen Ideenwettbewerb konnten BHSF Architekten zusammen mit Christian Salewski und dem Landschaftsarchitekten James Melsom 2012 für sich entscheiden. Ihr Entwurf schuf die Grundlage für die Überbauungsordnung: Gestaffelte Baukörper auf sechs Parzellen gruppieren sich um einen gemeinsamen Innenhof und suchen die Anbindung ans Quartier. Der Terrainunterschied über das ganze Areal von gegen zehn Metern ist « ein Gewinn für die Siedlung, er schafft interessante Sichtachsen und Bezüge », sagt B enedikt Boucsein von BHSF Architekten. Ökologisch und ökonomisch hat der Erhalt des ToblerLagerhauses sowie von Teilen der Stützmauern Ress ourcen gespart. Der Bestand sorgt auch für unerwartete Momente im Holliger. So bildet die Stützmauer am Arealrand eine kleine Kanzel aus und schafft einen versteckten Rückzugsort in einem ansonsten sehr öffentlichen Aussenraum.
Der Infrastrukturgenossenschaft Holliger ( ISGH ), in der sich alle Bauträger formieren, gehören Aussenraum und Gemeinschaftsräume, sie sind die verbindenden Elemente für die neue Bewohnerschaft. Die ISGH ermöglicht auch den Austausch und den Abgleich zwischen den Bauträgern. Damit das Zusammenleben auch im Betrieb funktioniert, wurde schon während der Planung eine soziale Infrastruktur aufgebaut. In zehn Leitideen hat die ISGH die gemeinsamen Ziele zum Beispiel so festgehalten: « Sie ( die Bauträger, Anm. d. Re d. ) schaffen im Holliger ein vielfältiges Angebot an preisgünstigen Mietwohnungen für verschiedenste Wohnkonzepte von Jung bis Alt und bieten den künftigen Bewohnenden die Möglichkeit, ihr Quartier mitzugestalten. Die sechs unterschiedlichen Wohnkonzepte gruppieren sich um einen Hof in der Mitte, der von den Wohnenden und Arbeitenden gemeinsam gestaltet und genutzt wird. » Neben Wohnungen werden « auch Gewerbeflächen, zwei Gastrobetriebe, ein Lebensmittelgeschäft, zwei Kindergärten, eine Kita, eine Quartierbibliothek und grosszügige Gemeinschaftsräume, die auch für private Anlässe zur Verfügung stehen », erstellt. Die Bauträger sind für ihre Parzellen und Gebäude inklusive Wohnungsschlüssel, Vorzonen und Gewerbeflächen zuständig. Die Projektwettbewerbe für die eigenen Häuser haben sie eigenständig und zeitlich gestaffelt durchgeführt.
Bewusst Provisorisches in Kauf nehmen
Die mobilen Stühle auf dem Holligerplatz werden an einem Sommertag rege genutzt. Der neue Quartierplatz am südlichen Arealrand ist zwar Teil des Holliger, aber im Besitz der Stadt Bern. Der höher gelegte Holligerhof in der Arealmitte gehört der ISGH. Er ist Aufenthaltsort, Treffpunkt und autofreie Fussgängerverbindung in einem. Die Velos müssen an den Aussenrändern oder in der Einstellhalle parkiert werden. Zwischen Kiesweg, Bach und Asphaltweg liegt ein Streifen Blumenwiese mit Bäumen. Zitterpappeln und andere schnell wachsende Bäume werden bald mehr Schatten spenden, Weiden den Wohnungen im Erdgeschoss etwas Sichtschutz schenken. Chaussierte Flächen mit Sitzgelegenheiten komplettieren das Angebot. Die unaufgeregte Gestaltung ist den unterschiedlichen Ansprüchen an den Aussenraum entsprungen – ab er auch dem Wunsch, der Holligerhof möge sich gemäss den Bedürfnissen der Bewohnerschaft entwickeln. Nicht alles fertig planen, ist eine der Devisen im Umgang mit dem Aussenraum. Damit werden bewusst auch provisorische Zustände in Kauf genommen. Wer sich daran erinnert, dass das WarmbächliAreal während langer Zeit eine stadtbekannte, vielseitig genutzte Brache war, kann den Wunsch nach Mitwirkung noch besser verstehen.
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Im Holligerhof 8 sind 360 Quadratmeter Gemeinschaftsflächen aller Bauträger zusammengefasst. Sie sind entlang einer ‹ Rue intérieure › der Genossenschaft Warmbächli angelagert. Die Kosten für Erstellung und Betrieb werden von allen Bauträgern gleichmässig getragen.
Durchquerungen machen das Areal durchlässig und verknüpfen den Holliger mit dem Quartier. Die alte Rampe, die zum neuen Lift führt, erinnert daran, dass das Wohnhaus der Genossenschaft Warmbächli ( r. ) einst als Lagerhaus genutzt wurde.
Im inklusiven Restaurant ‹ Dock 8 › der Organisation Wohnenbern lässt es sich gut essen oder –ganz ohne Konsumzwang –gemütlich verweilen.
In der Mitte des Hofs ragen die bunt bemalten Rundhölzer des Spielplatzes auf. Er ist das erste partizipativ umgesetzte Projekt im Aussenraum. Er wurde von Bewohnenden zusammen mit den Spielplatzgestaltern von Krummholz konzipiert, die Siedlungskoordinatorin Nicole Wehinger hat den Prozess begleitet.
Hohe Anforderungen an den Aussenraum Für das Bewilligungsverfahren war die spätere Mitwirkung der Bewohnerinnen und Bewohner im Aussenraum eine neue Herausforderung. Denn wie etwas beurteilen, das noch nicht definiert ist ? Im Rahmen der Überbauungsordnung wurde ein Aussenraumkonzept erarbeitet: mit Wegnetz, Flächenanordnung und der etappierten Realisierung der gesetzlich erforderlichen Aufenthaltsbereiche. Wegen des Mitwirkungsverfahrens verzichtete die Stadt auf ein Vorprojekt, und die Qualitätssicherung erfolgte erst im Baubewilligungsverfahren. Auch in der Realisierung zeigte sich die Komplexität des Projekts. Für die Umsetzung zuständig war das Landschaftsarchitekturbüro Klötzli Friedli ; geplant hatten die Umgebung Balliana Schubert und Urs Haerden. Hans Klötzli meint: « Nicht nur die Überbauung ist dicht, auch die Anforderungen an den beschränkten Aussenraum sind es. Biodiversitätsflächen, Spielflächen, und trotz Unterbauungen mussten Versickerungsflächen Platz finden. » Dass die Vorzonen durch die jeweilige Bauträgerschaft gestaltet wurden, hatte in Planung und Umsetzung einen höheren Koordinationsaufwand zur Folge. Im Gegensatz zu anderen Projekten hatte der Holligerhof « von B eginn an eine gute Atmosphäre, weil er durch die Mitwirkung und die zurückhaltende Gestaltung organisch eingewachsen wirkt », sagt Klötzli. Was sich im Baubewilligungsverfahren nicht umsetzen liess, war die Offenlegung des Stadtbachs, wie sie im städtebaulichen Wettbewerb geplant war. Der Bach hätte offen durch die neue Siedlung fliessen sollen. Heute fliesst er unter den SBB Gleisen hindurch, quert den Holliger unterirdisch, umfliesst später das Inselspital in einem offenen Kanal und findet seinen Weg über die Altstadt in die Aare. Die ambitionierte Idee, den Bach offenzulegen, scheiterte am Zeitplan und an den hohen Anforderungen an Sicherheit, Wasserstand und Ökologie. Das Wiesenbächlein, das heute durch den Holligerhof fliesst, kann eine andere Ressource nutzen, die schon vor Ort da war: Unter dem Haus Holligerhof 8 b efindet sich eine Grundwasserfassung. Sie hat genügend Wasser, sodass es neben dem Wiesenbächlein auch noch für die Bewässerung des Aussenraums reicht. Für Jeanette Beck, Berns Stadtplanerin, ist der Holliger trotz dieser komplizierten Lösung immer noch ein Leuchtturmprojekt: « Im G egensatz zu der qualitätssichernden Überbauungsordnung für die Bauten waren die Vorgaben für den Freiraum zu wenig engmaschig ausformuliert. Ein verbindliches Richtprojekt für die Gestaltung des Freiraums hätte bei der Umsetzung der städtebaulichen Intention auf Basis des Siegerprojekts geholfen », blickt sie kritisch zurück. « Dazu zählt nicht zuletzt die nicht realisierte Öffnung des Stadtbachs. » Für Benedikt Boucsein war der Stadtbach « mit ein Grund, den Innenhof auf eine Eb ene zu legen. Doch auch für das Zusammenleben ist die gemeinsame Hofebene von Vorteil. » Mit dem Aushub des nahen Inselspitals konnte das Gelände im Innenhof aufgeschüttet werden.
Gemeinschaftsflächen zusammenlegen
Zurück zu den Gemeinschaftsräumen im Innern der Gebäude: Im Quartierraum findet ein Workshop statt. Menschen sitzen im Halbkreis und schreiben auf einen Flipchart. Restaurantgäste des ‹ Do ck 8 › spazieren üb er
die Aussenterrasse am Quartierraum vorbei. Die gemeinsamen Räume aller Bauträger reihen sich im Holligerhof 8 entlang einer ‹ Rue interieure › in eine bunte Mischung weiterer meist öffentlicher Nutzungen von Externen und der Genossenschaft Warmbächli ein. Ein Schild weist auf die gemeinsamen Räume der Bauträger hin: « Quartier, B ewegungs und Werkraum Holliger ».
Der Holligerhof 8 der Genossenschaft Warmbächli ist nicht nur öffentlicher als die anderen Bauten – auch baulich ist er ein Spezialfall. Das Gebäude ist das einzige, das umgenutzt wurde, und das erste, das bezugsbereit war. Früher war es ein Lagerhaus der Schokoladenfabrik Tobler, dementsprechend sind die Räume überhoch. Verglasungen und Glastüren geben Einblick in die vielfältigen Nutzungen: Kinder basteln etwa, während im selbstorganisierten Gemeinschaftsladen Gemüse verkauft wird.
Jede Bauträgerschaft war gemäss Überbauungsordnung verpflichtet, mindestens 60 Quadratmeter Gemeinschaftsfläche zu erstellen. Diese hat die ISGH im Holligerhof 8 zusammengelegt, um mehr Dichte, Austausch, aber auch grössere Räume zu ermöglichen. Insgesamt verwaltet sie nun 360 Quadratmeter gemeinschaftliche Fläche. Der grosse Quartierraum mit Küche, der 166 Quadratmeter misst, etabliert sich als feste Adresse für Feste und grössere Veranstaltungen ; auch Externe können ihn mieten. Die beiden halb so grossen Siedlungsräume haben als Bewegungs und Werkraum ihre Nutzung gefunden.
Neben den von der ISGH getragenen Gemeinschaftsräumen haben die einzelnen Bauträger je nach Bedarf zusätzliche gemeinschaftlich nutzbare Flächen für die eigene Hausgemeinschaft erstellt. Es sind Sitzungs oder Gästezimmer, ein B auträger verfügt über einen Gemeinschaftsgarten und zwei andere Bauträger über je eine Dachterrasse für ihre Bewohnenden.
Gewerbe für mehr Öffentlichkeit
« Wir hab en uns für Gewerberäume im Holliger starkgemacht », sagt B enedikt Boucsein. Sie sind wichtig, damit ein Quartier lebendig und attraktiv wird ; auch wenn es nicht ganz einfach ist, die passende Mieter zu finden. Zwölf Prozent der Brutto ges chossflächen sind fürs Gewerbe vorgesehen. Im Holliger sind das unterschiedliche Nutzungen wie die Quartierbibliothek, ein Lebensmittelladen oder das Atelier Goldfaden, in dem nachhaltig produzierter Stoff gekauft und in Kursen vernäht werden kann. Während die meisten Gewerberäume sich ebenerdig gegen den Holligerhof, am Warmbächliweg oder am Quartierplatz befinden, liegt das Atelier im Souterrain des Holligerhofs 8. Der etwas versteckte Raum ist dank seiner Nutzung nicht alleine auf Passantinnen angewiesen, sondern schafft auch einen Ort für gemeinsame Aktivitäten. Den tiefergelegten Aussenraum teilt es sich mit einer Ateliergemeinschaft und einem Physiotherapeuten. Der Gewerbevermietungsprozess im Warmbächli war aufwendig, auch wenn die Genossenschaft Warmbächli sich durch die frühere Zwischennutzung des ToblerLagerhauses ein gutes Netzwerk von Interessentinnen hatte aufbauen können. Letztlich sind aber alle Räume vermietet, und es ist ein spannender und quartiernaher Gewerbemix entstanden. ●
Sozialraumplanung
Die Sozialraumplanung unterstützt die Quartier-, Stadt- und Regionalentwicklung mit einer sozialräumlichen Perspektive und stellt dabei die Bedürfnisse der Menschen in den Vordergrund. Das Berufsbild ist vergleichsweise jung. Die Fachleute verfügen dabei meist über einen sozialwissenschaftlichen oder soziokulturellen Hintergrund. Bei grösseren Neubauprojekten bedeutet dies etwa, dass Sozialraumplanerinnen bereits im Planungsprozess ihre Perspektive einbringen, sei dies bei der Konzeption eines Wettbewerbsprogramms, in einem interdisziplinären Bearbeitungsteam oder in einer Jury. In der Projektentwicklung gilt es sodann, die gesetzten Ziele in konkrete ( städte - )bauliche und organisatorische Konzepte zu übersetzen. So können möglichst gute Grundlagen für das nachbarschaftliche Zusammenleben in einer Siedlung beziehungsweise einem Quartier gelegt werden. Nach Möglichkeit werden dabei die betroffenen Akteure in die Planung miteinbezogen.
Architektur und Städtebau
« Die strengen Vorgaben des Städtebaus zu Mantellinien und Staffelungen der Baukörper haben zu einem gut integrierten, lebendigen Quartier geführt. Dass es richtig war, das volumetrische Korsett in den von den einzelnen Bauträgern durchgeführten Wettbewerben eng zu schnüren, wird sichtbar. Der Innenhof, die Sichtachsen und die unterschiedlichen Durchquerungen führen, mit den abgestuften Bauten, zu einem ausgewogenen Ganzen. Der NiveauUnterschied von oberer zu unterer Gebäudezeile ist ein Gewinn. Dank der Durchlässigkeit der Siedlung verbinden sich Bauten mit dem Aussenraum und der Umgebung ; die gleichwertigen Verschränkungen helfen der Integration ins Quartier. Der Holliger zeigt, dass es keine städtebaulichen Hierarchisierungen braucht. Wie entfernte Verwandte haben alle Gebäude einen aktiven Sockel und einen Aussenraumbezug. Die Gebäudeseiten sind gleichwertig und reagieren situativ. Durch die architektonische Vielfalt kommt keine Eintönigkeit auf ; kein Bau versucht hervorzustechen, was den Jurys, aber auch den Planenden hoch anzurechnen ist. Das noch nicht gebaute Hochhaus lässt eine Lücke offen. Es wird den Abschluss gegen die Gleise bilden und die Siedlung komplettieren. Die exakte Höhe ist dabei sekundär, wichtig ist, dass der turmartige Bau wie die anderen Gebäude ein gemeinschaftliches Raumprogramm erhält und zu den sozialen Qualitäten beiträgt.
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Die ‹ activation de l’espace public ›, der Auss enraumbezug, ist wichtig für die Gemeinschaft. Der gemeinsame Innenhof mit seiner hohen Lebensqualität zieht die Menschen an – sie durchqueren ihn nicht nur, sie bleiben gerne länger und prägen den Ort mit. In der Planung erschien der Aussenraum schematisch, in der Nutzung funktioniert er nun sehr gut. Auch bei seiner Pflege ist ein Konsens zwischen Bauträgern und Nutzerinnen zu erkennen: Es sind keine strengen Abgrenzungen nötig. Die Räume sind gepflegt, ohne übertrieben herausgeputzt zu wirken. Diesen Umgang mit Räumen braucht es, damit sich das Leben darin entwickeln kann. Die Schwellen vom öffentlichen zum privaten Raum sind subtil, aber klar. Es ist spürbar, dass diese Themen im Vorfeld diskutiert wurden und es einen Konsens gibt. Auf die Dachterrassen darf etwa nur, wer im Gebäude wohnt. Solche Abmachungen schaffen Vertrauen in einem Quartier, in dem viele Räume und Orte gemeinschaftlich genutzt werden. Das Gebäude der Genossenschaft Warmbächli konnte durch den Erhalt der Baustruktur an Bestehendes anknüpfen. Dies ist ein grosser Vorteil gegenüber den Neubauten ; der Bestand schafft Identität und Grosszügigkeit. Zudem sind die überhohen Räume einer öffentlichen Nutzung mit ‹ Rue intérieure › dienlich. Vor mehr als zehn Jahren hat eine ambitionierte Planung begonnen – nun steht ein wichtiges Referenzobjekt, um ähnliche Areale mit Bestandserhalt zu entwickeln.» Yves Dreier
Yves Dreier ist Teilhaber des Büros Dreier Frenzel Architecture + Communication und Gastprofessor an der EPFL. Das Büro engagiert sich für Fragen des Zusammenlebens und der Kooperation. 2023 haben Yves Dreier und Eik Frenzel die Publikation ‹ Social Loft: Auf der Suche nach neuen Wohnformen › herausgegeben.
Isabel Marty ist seit 2006
Leiterin der Fachstelle
Sozialplanung der Stadt Bern und war als Sozialraumplanerin bei den Projektwettbewerben des Holliger involviert, in den Jurys war sie als Expertin dabei. In ihrer
Dissertation in Umweltund Kulturpsychologie hat sie sich mit Wohnpsychologie befasst, hat eine NPO-Management-Weiterbildung und ein CAS in Mediation und Konfliktmanagement gemacht.
Sozialraumplanung
« Wenn ich durch den Holliger spaziere, ist es schön zu sehen, wie sich Details immer wieder verändern. Das ist ein gutes Zeichen dafür, dass die Räume aneigenbar sind und genutzt werden. Der Holliger mit seinen gemeinnützigen Bauträgern ist ein Spezialfall. Das Verständnis für die sozialen Themen war von Beginn weg da. Heute gibt es eine breite Vernetzung der Bewohner und Bewohnerinnen über die einzelnen Bauträger und eine rege Nutzung der Gemeinschafts und Aussenräume. Hier bündelt sich das soziale Leben, es wird spürbar, das ist wichtig für das Quartier. Im Holligerhof, er ist eigentlich eher eine Durchwegung mit Möglichkeiten zur Begegnung, hätte man sich einen frei fliessenden Bach gewünscht. Nun ist etwas anderes entstanden, das auch spannend ist. Auch die realisierte Lösung lässt sich gut aneignen.
Die Baufelder im Holliger sind mit ihrer Anbindung an den Innenhof eine Einheit, und deshalb waren die meisten sozialräumlichen Anforderungen in den Architekturwettbewerben für alle gleich formuliert: gute Nachbarschaften, Durch mischung, Aneignungsmöglichkeiten und Begegnungsorte . Je nach Baufeld gab es spezifische Themen, etwa die Einbindung des Einkaufsladens ins Quartier. In der Jury war immer eine Sozialraumplanerin vertreten, und die sozialen Themen wurden gleich Fachbereichen diskutiert und bewertet wie die anderen. Dieses Vorgehen sicherte die sozialräumlichen Themen pla
nungsrechtlich zu einem Zeitpunkt, an dem sich vieles bewirken liess. Die Wohnungen im Holliger wurden von Interessenten überrannt, auch wenn sie bei der Erstvermietung nicht wirklich billig waren. Ich gehe davon aus, dass es nicht allein um den Preis ging ; viele Menschen suchen auch Gemeinschaft. Es wäre spannend, die Motivation für den Bezug einer Wohnung im Holliger zu evaluieren. Auch Rückzug und Sicherheit ist ein Grundbedürfnis, das je nach Lebensform auch mit einem Zimmer erfüllt werden kann. Die Schwellen zwischen privat und öffentlich sind nicht nur baulich auszubilden, sie müssen auch im Gebrauch ausgehandelt werden. Konflikte gehören dazu, wenn unterschiedliche Menschen zusammenleben. Damit muss ein konstruktiver Umgang gefunden werden. Wichtig ist, dass Partizipation und Aneignung von Beginn an mitgedacht werden und eine Struktur für spätere Selbstorganisation aufgebaut wird. Im Holliger haben die Bauträger diese Verantwortung übernommen. Das ist ihre Aufgabe. Ein Projekt wie der Holliger verändert alle Beteiligten – die Stadt, aber auch die Bauträger. Die meisten der B auträger im Holliger haben nun eigene Sozialplanerinnen oder Siedlungsverantwortliche für ihre Genossenschaft angestellt. Sie haben erkannt, dass es sich lohnt, in sozialräumliche Prozesse und Strukturen zu investieren. Wenn sich Menschen mit ihrem Wohnort identifizieren und die Lebensqualität gestärkt wird, entstehen gute Nachbarschaften. » Isabel Marty
Sabine Wolf ist Stadtplanerin und Landschaftsarchitektin BSLA. Sie war von 2009 bis 2019 Chefredaktorin von ‹ anthos ›, der Fachzeitschrift für Landschaftsarchitektur. Seit 2019 ist sie Mitinhaberin von Thiesen & Wolf. Die Firma berät und begleitet insbesondere gemeinnützige Bauträger bei der Entwicklung und Realisierung nachhaltiger Projekte.
Landschaftsarchitektur
« Diese Komplexität ! Der Hof des Holliger ist ein wunderbares Beispiel für Landschaftsarchitektur in einer überkomplexen Situation – und er konfrontiert uns mit unseren hohen Erwartungen an den Aussenraum. Gleich sechs unterschiedliche gemeinnützige Bauträgerschaften mit verschiedenen Programmen und Terminplänen gruppieren sich um diesen recht schmalen Hofraum. Das Areal hat Geländekanten, aus dem Bestand weiterentwickelte Baukörper, Unterbauungen, einen Bachlauf. Die Anforderungen der Stadt Bern an klimasensibles Bauen und Biodiversität waren hoch, die Bewohnerinnen heterogen und die Konstellation der beteiligten Landschaftsarchitekten mit den Wechseln von der städtebaulichen Studie über die Planung bis zur Ausführung nicht alltäglich.
Der lang gezogene Freiraum ist grün mit schattenspenden Bäumen, die Wegführung ist pragmatisch gehalten. Die Versiegelung ist auf ein Minimum reduziert, als dynamische Elemente sind stehendes und fliessendes Wasser da und ein aktives Regenwassermanagement. Die Biodiversitätsflächen sind doppelt so gross wie die hohen geforderten Werte. Partizipation ist nicht überall möglich, aber immerhin an ausgewiesenen Stellen. Und es gibt noch aneigenbare Flächen. Was ganz wichtig ist: Der Hof erhält die Zeit, sich entsprechend den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner zu entwickeln. Im Budget wurden eigens dafür Rückstellungen getroffen. Darum ist er heute noch unfertiger, als wir es uns in der Landschaftsarchitektur gewohnt sind.
Um die verschiedensten Fragestellungen und Bedürfnisse der Bauträgerschaften unter einen Hut zu bekommen, hat sich der Holliger mit der Infrastrukturgenossenschaft ( ISGH ), in der alle Bauträger vertreten sind, eine vorbildliche Struktur gegeben. Die ISGH ist verantwortlich für die gemeinsamen Aussenräume ; die Vorzonen der Bauten gehören den jeweiligen Bauträgern. Die Vorzonen und Lieferflächen vor den Erdgeschossen wurden noch in Unkenntnis der tatsächlichen Nutzungen entwickelt. Fünf der sechs Gebäude sind inzwischen erstellt und bezogen, die Bewohnerinnen haben sich schon ein bisschen eingelebt und sind auch wieder bereit, über den Tellerrand der eigenen Parzelle hinauszuschauen. Ein erstes, erfolgreiches partizipatives Projekt ist schon realisiert: der Spielplatz in der Mitte des Hofs.
Die Umgebungsgestaltung macht alles richtig, und trotzdem fragt man sich vielleicht: Wo ist das Überraschende ? Do ch ein Hof muss nicht überraschen. Er muss klimasensibel, biodivers und alltagstauglich sein – und vor allem den Anforderungen heutiger und künftiger Bewohner und Nutzerinnen gerecht werden, aneigenbar und anpassbar sein. Und das ist er ! » Sabine Wolf
180 Kinder und 380 Erwachsene leben im Holliger. Das Zusammenleben, den Aussenraum und die Gemeinschafträume gestaltet der Siedlungsverein massgeblich mit.
Der Holligerplatz bildet eine klare Adresse im Quartier und macht den Auftakt zum Holliger. Er wurde nach Erstellung durch die ISGH der Stadt Bern übergeben.
Der Aussenraum wird von den Bewohnerinnen und Bewohnern laufend entwickelt. Dafür wurden Flächen ausgeschieden und Rückstellungen gemacht.
« Ich könnte mir gut vorstellen, das Alter hier zu verbringen »
Sechs Bewohnerinnen und Besucher, Begleiterinnen und Mitgründer berichten aus ihrem Holliger-Alltag.
Aufgezeichnet: Anna Raymann
Nicholas Pohl, Vorstand Siedlungsverein, Alter: 37 « Mich interessieren partizipative Projekte generell. Ich bin Gründungsmitglied einer Lebensmittelkooperative und wohne hier im Warmbächli. Es ist das partizipativste der fünf Genossenschaftshäuser in der Siedlung. Es gibt Wohnungen mit 1½ bis 15½ Zimmern. Meine Partnerin und ich leben in einer sehr schönen 3½-Zimmer-Wohnung, genug weit oben, sodass wir über die anderen Häuser blicken können. Schon bevor wir Anfang 2024 eingezogen sind, haben wir über den Haus-Chat ‹ Suche, Finde, Tausche › Zügelkisten gefunden. Es ist schön, wie man hier zueinander schaut . Wenn zum Beispiel im Haus jemand ein Kind bekommt, sorgen alle dafür, dass die Familie einen Monat lang kein Abendessen kochen muss. Zuletzt haben wir den Eltern von einem Neugeborenen eine Gemüselasagne vorbeigebracht. Die Idee im Warmbächli ist, dass sich Bewohnerinnen und Bewohner nach Möglichkeit im Haus engagieren. Da viele Aufgaben bereits vergeben waren, habe ich mich beim Siedlungsverein gemeldet und vertrete nun dort das Warmbächli im Vorstand. Ich finde es spannend, die Leute in ihrem Alltag zusammenzubringen, niederschwellige Strukturen zu schaffen, um mitzubestimmen und mitzugestalten. Für mich einmalig ist, dass ich hier in einer kleinen Einheit wohnen und trotzdem Teil eines grossen, kollektiven Wohnprojekts sein kann. »
Susanne Fuchser, AG Alterswohnen, Alter: 69 « Morgen ist im Hof Tavolata für die ganze Siedlung. Letztes Mal war mein Schokoladenkuchen schon b eim Hauptgang aufgegessen, darum werde ich ihn diesmal wohl erst zum Dessert auftischen. Freunde kann man überall finden, aber an einem Ort wie diesem fällt es leichter. Ich lebe seit eineinhalb Jahren im Bachsteiner-Haus. Meine Wohnung ist gegen Westen ausgerichtet, das heisst, ich sehe den Sonnenuntergang. Seit meiner Pensionierung habe ich nach genossenschaftlichen Wohnformen gesucht. Der Holliger ist sehr durchmischt, mit Familien, WGs, Personen jeden Alters. Das gefällt mir. Als Mieterin engagiere ich mich unter anderem in der AG Alterswohnen. Wir wollen in der Siedlung alt werden – ‹ aging in place ›. Gemeinsam suchen wir nach Wegen, wie das gelingt. Dazu stehen wir im Austausch mit der Stadt Bern, aber auch mit der EisenbahnerBaugenossenschaft, die das letzte der sechs geplanten Häuser baut. Ideal wäre, wenn im Hochhaus ein paar Stockwerke für Alterswohnungen reserviert wären. Ich bin zudem zuständig für die Aktivitäten in der AG. Jeweils freitags gibt es hier im Haus das Ü50-Treffen, das wir einmal im Monat für die ganze Siedlung öffnen. Ich bin viel unterwegs und geniesse es, Nachbarn zu treffen. Wenn ich Zeit für mich möchte, kann ich mich aber jederzeit in meine schöne Wohnung zurückziehen. »
Nicole Wehinger, Soziokulturelle Animatorin, Alter: 38 « Seit zehn Jahren beschäftige ich mich privat und nun auch beruflich mit genossenschaftlichem Wohnen. In Zürich lebte ich in einer Gross-WG in der Kalkbreite, auch in Bern lebe ich in einer Genossenschaft, allerdings einer deutlich kleineren als dem Holliger und seinen einzelnen Genossenschaften. Es war eine aktive Entscheidung, Wohnen und Zusammenleben zu meinem Beruf zu machen. Nun arbeite ich seit zwei Jahren im Holliger als Soziokulturelle Animatorin. Ich habe zwei Anstellungen. Für Wohnenbern koordiniere ich im Restaurant unser Angebot für alle: Wir schaffen inklusive Kultur und Begegnungen über den Tellerrand. Zusätzlich bin ich für die Leute vor Ort die Ansprechpartnerin der Infrastrukturgenossenschaft. Im Zentrum meiner Arbeit steht die Vermittlung zwischen den Interessengruppen, im Mittelpunkt stehen natürlich die Bewohnenden. In der Siedlung gibt es fünf verschiedene Genossenschaften mit fünf verschiedenen DNA, ihre Ansprüche sind sehr unterschiedlich. Zuletzt haben wir partizipativ einen Spielplatz gestaltet. Die Zusammenarbeit zwischen Landschaftsarchitekten, Gartenbauerinnen, Spielplatzplanenden und Bewohnenden zeigte, wie wichtig ein starkes Netzwerk ist. Denn ein Spielplatz ist ein sehr emotionales Thema. Also musste ich mit Feingefühl herausfinden, was möglich und was erlaubt ist. Tatsächlich haben wir es dann in einem Dreivierteljahr mit relativ wenig Geld geschafft. Vor drei Wochen haben wir den Spielplatz eröffnet, und der Holliger hat einen weiteren belebten Ort, den wir gemeinsam erschaffen haben. »
Matthias Balsiger, regelmässiger Besucher, Alter: 50 « Das Schachspielen hat mir mein Grossvater aus Schweden beigebracht, als ich zwölf Jahre alt war. Seitdem begleitet es mich, auch wenn es Zeiten gab, in denen ich monatelang keine Figur angefasst habe. Nun verabrede ich mich manchmal hier im ‹ Dock 8 ›, um Schach zu spielen Hier organisiere ich auch das Philosophie-Café. Wir treffen uns jeweils mit einer Handvoll Interessierter und diskutieren zusammen. Dabei lerne ich immer wieder neue Leute kennen. Ich wohne in Bümpliz. Natürlich könnte ich auch in ein Restaurant, das näher ist, aber ich lebe von Sozialgeld, und hier bekomme ich ein Mittagessen für fünf Franken.
Meine Geschichte ist langweilig, denn ich habe 20 Jahre nicht gearbeitet und deshalb nicht viel erlebt. Aber niemand macht freiwillig nichts. Das erzähle ich auch den BFF-Schülern, denen ich Wohnenbern aus meiner Perspektive als langjähriger Kunde vorstelle. Zurzeit gebe ich ausserdem Computerkurse. Mein Ziel ist es, eine Lehre zum Informatiker zu machen. »
Christian Walti, Pfarrer, Alter: 42 « Als dieses Areal noch eine Brache war, gab e s von der Stadt Bestrebungen, sie irgendwie zu bespielen. Es gab allerhand seltsame Ideen. Mit einer Gruppe von Leuten haben wir dann einen Verein gegründet mit dem Zweck, die Brache 24 Stunden für alle offen zu halten. Schliesslich wurde gebaut und die ersten Wohnungen vermietet, nur für das Restaurant fand sich nach der Pandemie kein Pächter. Es sei nicht wirtschaftlich, hiess es oft. Dabei geht es an einem Ort wie diesem doch nicht um ‹ wirtschaftlich ›, sondern um ‹ gemeinschaftlich ›. Also schrieb ich Andrea Meier von der katholischen Kirche eine WhatsApp und fragte sie: ‹ Hast du Lust, mit mir das Restaurant zu übernehmen ? › Nur können zwei Theologen – ich bin Pfarrer der reformierten Kirche – kein Restaurant leiten. Also suchten wir einen dritten Partner und fanden ihn im Verein Wohnenbern. Wir mussten ihn erst ein wenig überzeugen. Wenn man ‹ Kirchencafé › sagt , hat das sofort einen Anstrich, den wir nicht wollen. Wir sind keine Frömmler, wir haben keine unterschwellige Mission. Mit unserem Konzept sind wir auch etwas angeeckt, aber inzwischen funktioniert es recht gut. Für die nächste Saison haben wir uns vorgenommen, die über 70-Jährigen stärker einzubinden. Tatsächlich könnte ich es mir für mich selbst gut vorstellen, das Alter hier zu verbringen und mit den anderen alten Leute von der Brache zu schwelgen. »
Rebecka Domig, Gründungsmitglied Warmbächli, Alter: 38 « Ich bin Gründungsmitglied der selbstverwalteten Genossenschaft Warmbächli. Wir haben das alte Lagerhaus auf dem Areal ins Auge gefasst und uns gefragt: Wie wollen wir hier leben ? Welchen Auftrag würden wir dem Architektenteam geben ? In einer Arbeitsgruppe haben wir uns auch mit den Auswirkungen der Arealentwicklung fürs Quartier beschäftigt, das bisher eher abseits lag und niedrige Mietzinse hatte. Nun wird es als attraktives Wohnquartier wahrgenommen – auch wegen uns. Gentrifizierung ist ein komplexes Thema, mit dem ich mich auch in meiner Tätigkeit als freie Autorin beschäftige. Im November 2021 bin ich dann quasi in mein Traumhaus gezogen. Hier wohne ich mit meinem Partner in einer 12er-WG. Von Anfang an war klar, dass wir einen grossen Esstisch brauchen und eine exzellente Kolben-Kaffeemaschine – zwei Voraussetzungen für ein gelingendes WG-Leben. Zum ersten Mal lebe ich in einem Quartier, in dem ich die Namen meiner Nachbarinnen und Nachbarn kenne. Zum Arbeiten habe ich vis-à-vis im Bachsteiner-Haus einen Schreibtisch in einem Gemeinschaftsbüro. Dort läuft zurzeit ein Prozess für mehr Mitsprache der Mieterinnen und Mieter. Jedes Haus muss seinen Weg finden. Nicht alle wollen so selbstverwaltet wohnen wie wir, und das ist auch okay. Ich kann gut verstehen, dass man sich in einem Alltag mit Vollzeitjob und Kinderbetreuung abends nicht noch in drei Arbeitsgruppen engagieren möchte. Im Warmbächli haben wir bis heute zwar ein Manifest, aber keine Hausordnung. »
So gelingt das Miteinander
Im Holliger kommen unterschiedliche Menschen und Wohnformen zusammen. Damit das Zusammenleben gelingt, braucht es formellen und informellen Austausch.
« Wir konnten kurzfristig und günstig eine supervielseitige Holzbearbeitungsmaschine kaufen. Sie muss kommende Woche von der Felsenau zu uns transportiert werden. Die Maschine hat Rollen und ist rund 500 Kilogramm schwer. Wir bräuchten ein Fahrzeug oder einen Anhänger mit Heberampe oder Kran. Hat jemand eine Idee, wo wir so was finden könnten ? Und dann braucht es auch noch Muskelkraft » Dies er Eintrag findet sich unter #Werkstatt im Holliger-Chat. Die Maschine kommt in die selbstverwaltete Werkstatt, die allen Bewohnenden im Holliger offensteht. Der Chat ist informell: Wer mitmachen möchte, tritt ihm mit #Werkstatt bei und besucht eine Einführung. Viele Fäden laufen im Holliger-Chat zusammen, und die Gruppen werden immer mehr: Eine kümmert sich um mehr Schatten im Aussenraum, eine andere will eine Tavolata organisieren oder schafft einen Treffpunkt für über 50-Jährige. Der digitale Kanal ist eine der vielen Möglichkeiten, wie Bewohnende im Holliger zusammenkommen. Noch nicht ausgedient haben Anschlagbretter, zu finden bei den Hauseingängen und in den Gemeinschaftsräumen. Es gibt auch genug physische Treffpunkte: Im ‹ Dock 8 › etwa, dem hauseigenen Restaurant im Holligerhof 8, mis chen sich Bewohnende mit Menschen aus dem Quartier beim Mittagessen oder Kaffee. Das Restaurant ohne Konsumationszwang, getragen von der katholischen und reformierten Kirche und dem Verein Wohnenbern, ist mit seinem breiten Programm schnell zum Dreh- und Angelpunkt für das Quartier geworden. Von der Terrasse des Restaurants hat man einen guten Blick über den gemeinsamen Innenhof, ein weiterer Treffpunkt, vor allem für Familien. Die Gruppe #Spielplatz hat kürzlich den Spielplatz in seiner Mitte gemeinsam gestaltet. Aber auch an den Schnittstellen zum Quartier sind Akteure aktiv geworden. Die Website zwischenraum-der-begegnungen.ch, eine private Initiative aus dem Quartier, versteht sich als Plattform für kleine und grosse Projekte in der Nachbarschaft.
Von der Arbeitsgruppe zum Siedlungsverein Um sozialräumliche Fragen während der Planung und die Organisation der künftigen sozialen Infrastruktur hat sich die Arbeitsgruppe ( AG ) Generationenwohnen gekümmert. Sie hat von 2016 bis 2020 die Grundlagen für die Erstellung der gemeinschaftlichen Räume geschaffen. Auch der passende Wohnungsmix wurde in dieser Arbeitsgruppe diskutiert. Ins Leben gerufen hat sie Ilja Fanghänel, ein Gründungsmitglied der Genossenschaft Warmbächli. Die AG begann ihre Arbeit im kleinen Rahmen, später wa-
ren alle sechs Bauträger der Infrastrukturgenossenschaft Holliger ( ISGH ) darin vertreten. Ein anfänglich über den Förderverein Generationenwohnen Bern-Solothurn und später über die Age-Stiftung finanziertes Kleinpensum ermöglichte Fanghänel einerseits die Koordination der Aufgaben, andererseits die Analyse ähnlicher Projekte in der Vorstudie « Gemeinschaftliches und generationenübergreifendes Wohnen in Genossenschaften ».
Die Konzepte für die Erstellung und den Betrieb der Gemeinschaftsräume und der Partizipation wurden innerhalb der AG Generationenwohnen im Austausch mit der ISGH erarbeitet. Im Partizipationskonzept ist etwa die Gründung eines Siedlungsvereins der Bewohnenden festgeschrieben und auch eine Siedlungskoordinatorin vorgesehen. Für diese Aufgabe ist Nicole Wehinger von der ISGH in einem Teilzeitpensum angestellt. Während eines halben Jahres hat sie mit Unterstützung aus dem Netzwerk im Holliger und unter Mitwirkung der Bewohnenden den Siedlungsverein aufgebaut. Im Sommer 2024 wurde er den Bewohnenden übergeben. Da Wehinger vor Ort ist, konnte sie schnell ein dichtes Netzwerk aufbauen. Sie führe täglich gegen fünf « Zwischen-Tür-und-Angel-Gespräche ». Zu den Aufgaben des Vereins gehören die Förderung des aktiven Zusammenlebens in der Siedlung sowie die Koordination und die Mitgestaltung der gemeinschaftlichen Holliger-Räume und des Aussenraums. Auch die Integration der Neuzuziehenden ist Teil der Aufgaben neben der Verwaltung des Vereinsbudgets. Der Verein scheint seine Sache gut zu machen, gegen 300 Personen sind ihm bereits beigetreten.
Erkenntnisse sichern
Die Arbeit der AG ist abgeschlossen, für den Betrieb wurde die Betriebskommission ( BeKo ) ges chaffen, in welcher alle sechs Bauträger sowie die Geschäftsführung und die Siedlungskoordinatorin vertreten sind. Wo die Schnittstelle und die Abgrenzung der unterschiedlichen Stellen und Gremien im Betrieb sein werden, wird der Alltag zeigen. Die Diskussionen zum Abgleich der unterschiedlichen Vorstellungen zwischen den Bauträgern sind mit dem Bezug der Wohnungen nicht abgeschlossen. Dabei geht es auch um den Kostenschlüssel der gemeinsamen Ausgaben. Denn eine soziale Infrastruktur leistet nicht nur viel für das Zusammenleben, sie kostet auch etwas. Auch weil noch nicht alle Bauten realisiert und bezogen sind, sind die Betriebskosten im Holliger zurzeit noch etwas höher als angestrebt.
« Im Holliger wurde Pionierarbeit für das gute Zusammenleben geleistet, es ist wichtig, diese Erkenntnisse zu sichern », sagt Karin Weiss, die Geschäftsführerin der AgeStiftung. Diese hat die Begleitstudie « Zum Beispiel das Holliger Areal: Generationenwohnen in Neubausiedlungen » mitfinanziert, die das Projekt während der Entstehung dokumentierte.
Das chronologische Lebensalter ist nur ein Aspekt, denn Menschen unterscheiden sich in jedem Alterssegment stark in ihren Bedürfnissen und ihren Möglichkeiten. Wenn Generationenwohnen als strukturelle Versorgungslösung gedacht oder mit überhöhten Ansprüchen aufgeladen wird, geht Weiss auf Distanz: « Generationenbeziehungen basieren auf gegenseitigem Vertrauen, dafür braucht es Zeit und Zuwendung », sagt sie und fügt an: « Damit Generationenwohnen ‹ von der Wiege bis zur Bahre › möglich ist, müssen unterschiedliche Szenarien im Raumprogramm und in der Vermietung mitgedacht werden. Es sind auch bauliche Massnahmen, die Generationenwohnen bis ins hohe Alter gewährleisten. »
Demografie und Vermietung
Und wer wohnt im Holliger ? In die meisten Bauten sind vor allem Familien und jüngere Menschen eingezogen, doch es gibt Unterschiede ; im Haus der G enossenschaft Brünnen-Eichholz gibt es auch viele Kleinwohnungen für ältere Menschen. Der Wohnungsschlüssel und die Vergabe der Wohnungen lagen in der Verantwortung der jeweiligen Bauträger. Sie konnten so den Eigenbedarf bei Rochaden wegen Sanierungen oder Wohnungswechseln innerhalb der eigenen Mieterschaft abfedern. Auch die Bewohnerschaft aus dem Quartier hatte einen Bonus bei der Wohnungsvergabe. Egal, ob sie wegen Leerkündigung oder Familienzuwachs eine neue Wohnung benötigten.
In Zukunft sollen die verschiedenen Wohnformen im Holliger den Wohnungswechsel nach Lebensmodell oder Lebensphase vereinfachen und dadurch den heute dort Wohnenden den Verbleib im Quartier ermöglichen. Denn es ist davon auszugehen, dass Menschen sich bewegen, wenn sich ihre Wohnbedürfnisse verändern, oder auch einfach, weil sie – wie im Holliger – die Möglichkeit dazu haben. Die Belegungsvorschriften bei Neuvermietungen werden Wohnungswechsel ebenso begünstigen. Wie es den älteren Menschen in der Siedlung gehen wird, wenn sie ein fragiles Alter erreichen, wird sich zeigen. ●
Vier Fragen an Ilja Fanghänel
Interview: Damaris Baumann
Was verstehen Sie unter Generationenwohnen ? Gemeinschaftliches Wohnen ist mit dem Generationenwohnen in vielem deckungsgleich. Es gibt ein Grundbedürfnis nach Gemeinschaft. Sich integriert fühlen kann viel zu einem guten Wohlbefinden beitragen. In diesem Sinne geht es beim Generationenwohnen um ein gemeinschaftliches Wohnen, das einer Vereinsamung entgegenwirkt. Dies kann über die Generationen hinweg sein, aber nicht nur. Je nach Lebensphase oder -situation können sich Bedürfnisse nach Austausch verändern.
Welche Aufgaben hatte die AG Generationenwohnen ? Ihre Aufgaben waren sehr vielfältig und nicht eng umrissen. Kernaufgabe war die Planung des künftigen Zusammenlebens in der Siedlung. Das heisst: organisatorische Strukturen schaffen, Gemeinschaftsräume planen, partizipative Flächen im Aussenraum vorsehen. Da wir auch kommunikative Aufgaben übernommen haben, gaben uns einige auch den Spitznamen ‹ AG Kommunikation ›.
Die AG hat viel für das Zusammenleben getan. Wie stellt sie sicher, dass es auch Rückzugsmöglichkeiten gibt ?
Es ist wichtig, festzuhalten, dass das Engagement auf Freiwilligkeit beruht, es gibt keine Pflicht. Die eigene Wohnung, meist mit eigenem Balkon, ist der persönliche Rückzugsort. Die unterschiedlichen Bauten lassen zudem verschiedene Wohnmodelle zu. Wer in den Holliger einzieht, sucht aber mit grosser Wahrscheinlichkeit Anschluss und Austausch. Denn im Holliger steht klar das Zusammenleben im Fokus.
Was geben Sie Bauträgern mit, die ein ähnliches Projekt entwickeln wollen ?
Stellen und Gremien
Um sich im Betrieb zu organisieren, wurden unter dem Dach der ISGH die folgenden Gremien und Stellen geschaffen: – die Geschäftsstelle ISGH als operativen Arm der Verwaltung ; – die Betriebskommission ( BeKo ), alle Bauträger sind darin vertreten, die Siedlungskoordinatorin nimmt Einsitz ; – der Siedlungsverein, alle Bewohnenden des Holliger können ihm kostenlos beitreten und so den Holliger mitgestalten ; – die Siedlungskoordinatorin als Schnittstelle zwischen Bewohnenden, Siedlungsverein und den weiteren Gremien ; – der Siedlungswart, der die gemeinsamen Aussenräume pflegt.
Die Stellen und die Gremien stehen im Austausch. Das Aushandeln von Verantwortlichkeiten und Kompetenzen ist ein laufender, dynamischer Prozess. Die AG Generationenwohnen war für die Planung des Zusammenlebens zuständig und wurde für den Betrieb in die BeKo überführt.
B ei mehreren Bauträgern früh mit dem Austausch zu beginnen, ist sehr wichtig: Sich zu formieren und abzugleichen, braucht Zeit. Sozialräumliche Themen müssen früh in die Planung eingebracht werden. Dabei macht unter Umständen ein eigenes Gremium Sinn, denn die Baukommissionen sind meist mit dringlichen baulichen Entscheiden ausgelastet. Wichtig ist es auch, Möglichkeitsräume offen zu lassen und nicht alles fertig zu planen. Ein etappiertes Vorgehen kann Partizipation und Co-Kreation begünstigen. Zudem sollte man genügend finanzielle Mittel für den Betrieb und allenfalls eine soziokulturelle Begleitung mitdenken. Ilja Fanghänel ist Sozialraumplaner und Geschäftsführer der gemeinnützigen Aktiengesellschaft npg AG, die das Haus Stromboli im Holliger realisiert hat. Er ist Gründungsmitglied der Genossenschaft Warmbächli. ●
Sechs Bauträger, sechs Geschichten
Für den Holliger haben sich sechs gemeinnützige Bauträger zusammengetan und sechs eigenständige Bauprojekte umgesetzt. Für viele war das Zusammenspannen Neuland.
Text: Marion Elmer
Harte Schale, flexibler Kern
Im Jahr 1921 schlossen sich die Einwohnergemeinde Bern und verschiedene stadtbernische Handwerker zur gemeinnützigen Genossenschaft zusammen. An der Tscharnerstrasse baute diese ihre erste Liegenschaft und verhalf damit –in der Wirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg – nicht nur den Angestellten der Verkehrsbetriebe zu günstigen Wohnungen, sondern den Genossenschaftern zu Arbeit. Bereits in den 1970er-Jahren spezialisierte sich die Baugenossenschaft Aare auf das Alterswohnen und hat bis heute rund 280 altersgerechte Wohneinheiten in der Stadt Bern realisiert.
In einen völlig anderen Bereich wagt sie sich nun mit ihrem Neubau auf dem Holliger vor: Hinter einer industriell anmutenden Blechfassade bieten drei unterschiedliche Wohnungstypen Raum für Familien in all ihren Facetten: Alleinerziehende, getrennt lebende Eltern, betreuende Grosseltern, Teenager. Das Volumen ist in zwei Teile gegliedert: Während sich im neungeschossigen Turm Geschosswohnungen befinden, hält der Längsbau dreigeschossige Townhouses und Split-Level-Wohnungen bereit. Dank Schiebetüren und zuschaltbarer Jokerstudios sind viele Einheiten flexibel nutzbar und lassen sich temporär auch
vergrössern. Erschlossen werden alle Wohnungen über ein Treppenhaus in der Ostecke des Turms. Von da führen überbreite, als Aufenthalts- und Begegnungszonen konzipierte Laubengänge zu den Wohneingängen im Längsbau. Sogar eine von den Bewohnerinnen selbst eingerichtete und selbstverwaltet betriebene Laubenküche findet Platz.
Weiteren Raum für die Begegnung finden die 70 Kinder und Jugendlichen s owie die 80 Erwachsenen, die Ende 2023 eingezogen sind, zuoberst auf dem Turm. Neben einem bepflanzten Grünbereich bietet die Dachterrasse für die Hausgemeinschaft einen teils üb erdachten Begegnungsort samt Feuerstelle.
‹ Here comes the sun ›, Baufeld U1 Holliger, 2023 Holligerhof 6, 3008 Bern
Bauherrschaft: Baugenossenschaft
Aare, Bern
Architektur und Bauleitung: Fritschi
Beis Architektur, Bern
Nutzung: 40 Familienwohnungen mit 3½ bis 5½ Zimmern, 8 Jokerstudios Baukosten ( BKP 1 – 5 ): Fr. 20,5 Mio
Durchschnittsmiete 4½-ZimmerWohnung: Fr 19 60.— ( Fr. 213 / m2 / a ) bgaare.ch/projekte/siedlung-holliger
Markanter Kopf, vielseitige Nutzung
Seit 70 Jahren setzt sich die Baugenossenschaft Brünnen-Eichholz für gute, preiswerte Wohnungen ein. Mit rund 2000 Wohnungen gehört sie zu Berns grössten Baugenossenschaften. Als Entwicklerin und Betreiberin von grossen Überbauungen fokussiert sie auf eine gute Durchmischung und eine hohe Nutzervielfalt. Dafür sorgt im Neubau ‹ Bachsteiner › auf dem Holliger ein breites Angebot, das von der 1½- bis zur 5½Zimmer-Wohnung reicht. Ein markanter neungeschossiger Turm bildet als Kopf des Neubaus den Auftakt zum Areal. Die geknickte Fassade des anschliessenden niedrigeren, länglichen Volumens vermittelt zwischen den verschiedenen Ebenen des Arealhofs und des Quartierplatzes, zu dem es sich mit hohen Arkaden öffnet. Das zum Holligerplatz orientierte Bistro und der Quartierladen halten das Wichtigste für den Alltag bereit und bieten Raum für Begegnungen und Autausch, ebenso die Veloräume und der Waschsalon, die via Hof und von innen erschlossen sind. Über die ‹ Rue intérieure › und drei Treppenkerne gelangen die 136 Erwachsenen und 39 Kinder, die im Februar 2023 einge -
zogen sind, in ihre Wohnungen. Trotz des tiefen Gebäudevolumens erhalten alle 62 Wohnungen viel Licht: einerseits durch die raumhohen Fenster, andererseits durch zwei Lichthöfe, die Küchen- und Eingangsräume natürlich belichten und belüften. Während in jeder Wohneinheit eine Loggia privaten Aussenraum bietet, lädt die grosse, halböffentliche Terrasse im ersten Geschoss zu Begegnungen und gemeinschaftlichen Unternehmungen ein. Der Gemeinschaftsraum, der die Infrastruktur für verschiedene Anlässe bereithält, grenzt direkt daran an.
‹ Bachsteiner ›, Baufeld U3 Holliger, 2023
Holligerplatz 1, Holligerhof 3, 4, 3008 Bern Bauherrschaft: Baugenossenschaft Brünnen-Eichholz , Bern
Architektur und Bauleitung: Brügger Architekten, Thun
Nutzung: 62 Wohnungen mit 1½ bis 5½ Zimmern, Bistro, Quartierladen, Co-Working-Büro, Atelier Baukosten ( BKP 1 – 5 ): Fr. 28,9 Mio Durchschnittsmiete 4½-ZimmerWohnung: Fr 2000.— ( Fr. 225 / m2 / a ) bachsteiner.ch
Jung und unkonventionell
Die Wohnbaugenossenschaft Warmbächli ist die jüngste Baugenossenschaft auf dem Holliger. Die 50 ersten Genossenschafter verfolgten bei der Gründung 2013 insbesondere das Ziel, sich bei der Stadt Bern für die Umnutzung eines ehemaligen Lagerhauses auf dem früheren Areal der Kehrichtverbrennungsanlage zu bewerben. Das einzige Gebäude, das gemäss städtebaulicher Planung nicht abgerissen werden sollte, hatte der Schokoladenfabrik Tobler früher als Lagerhaus gedient. Bis zum Beginn des Umbaus 2019 organisierte die junge Genossenschaft auch die Zwischennutzung des Gebäudes.
Als erster vollendeter Bau thronte der Holligerhof 8 während rund zwei Jahren über dem eben entstehenden Quartier. Mit einer gewellten Faserzementfassade und seiner rigiden Fensterordnung verweist er sichtbar auf seinen gewerblichen Ursprung. Auf das frühere Flachdach stockten die Architekten drei Wohngeschosse in vorgefertigtem Element-Holzbau auf. Mit seinen übertiefen Grundrissen, den hohen Räumen von 3,5 bis 4,5 Metern und dem massiven Betonskelett eignete sich das Gebäude, um Nutzungen neu zu kombinieren und Wohnungen neu zu denken. Während sich in den nur
hofseitig belichteten Sockelgeschossen gemeinschaftlich, kulturell und gewerblich genutzte Räume befinden, sind in den Obergeschossen verschiedene Grosswohnungstypen, ein Loft zum Selbstausbau, Familienwohnungen und hallenartige Kleinwohnungen untergebracht. Die rund 240 Menschen, die seit 2021 im Holligerhof 8 leben, erreichen ihre Wohnungen über zwei grosszügige Treppenhäuser, die geschossweise via ‹ Rue s intérieures › verbunden sind. Raum für Austausch und Begegnung bieten neben den Gemein schaftsräumen ein zentrales Foyer sowie eine grosse Dachterrasse mit Dach küche und Gärten.
Holligerhof 8, Baufeld O2
Holliger, 2021 Holligerhof 8, Bern
Bauherrschaft: Wohnbaugenossenschaft Warmbächli, Bern
Architektur: BHSF Architekten, Zürich
Bauleitung: Itten Brechbühl, Bern
Nutzung: 60 Wohnungen, 9 zumietbare Zimmer, Gewerbeflächen, Gastronomie, Kita, Lagerräume
Baukosten ( BKP 1 – 5 ): ca. Fr. 40 Mio
Durchschnittsmiete 4½-ZimmerWohnung: Fr 1850.— ( Fr. 231 / m2 / a ) warmbaechli.ch
Industrieller Zeuge, behaglicher Wohnraum 1945 gründeten fünf Handwerkergenossenschaften eine Wohnbaugenossenschaft mit dem Ziel, Familien mit Kindern und geringem Einkommen günstigen Wohnraum anzubieten. Bereits mit ihrem dritten Projekt, der Berner Grossüberbauung Tscharnergut, erhielt die Tätigkeit der Familienbaugenossenschaft ( heute: Fambau ) internationale Beachtung. Mittlerweile verwaltet sie über 3000 Wohneinheiten, was sie zur zweitgrössten Schweizer und grössten Wohnbaugenossenschaft im Kanton Bern macht. Da schon die 1948 erstellte Mehrfamilienhaus-Siedlung Meienegg der Fambau einen Kindergarten beherbergte, erstaunt es kaum, dass sich auch im Sockel des Neubaus auf dem Holliger ein Kindergarten und eine Primarschule (Doppelbasisstufe) befindet. Gewerbe- und Gemeinschaftsräume im Sockelbereich sorgen ebenfalls für Leben auf dem Areal. Ein überhohes Entree mit Kaskadentreppe sowie zwei Treppenhäuser erschliessen die 63 Wohnungen in den oberen Geschossen. Neben grösseren Wohnungen für junge Familien finden sich viele 2½-Zimmer-Wohnungen für Senioren, Singles und Paare. Jede Wohnung verfügt über einen privaten Aussenbereich: Hofseitig sind sie als Loggien und durch-
laufende Balkonschicht ausbildet, zur Güterstrasse als vorgehängte Balkone. Der Massivbau verweist mit seinem industriellen Charakter auf die Kehrichtverwertungsanlage, die vorher an diesem Ort stand. Teile der ehemaligen Garagen wurden gar als Hangsicherung stehen gelassen und dienen heute als Einstellhalle für Fahrräder und Autos. In den Wohnungen ist hingegen kaum Beton zu finden. Dank grossen Fensterfronten, weiss verputzten Wänden, Parkettböden und Holztüren leben die neuen Bewohnerinnen und Bewohner in einer lichten, behaglichen Umgebung.
Holligerhof 9, Baufeld O3
Holliger, 2023
Holligerhof 9, Bern
Bauherrschaft: Fambau Genossenschaft, Bern
Architektur: Müller Sigrist Architekten, Zürich; Salewski Nater Kretz Architekten, Zürich
Bauleitung: pjk Architektur AG, Bern Nutzung: 63 Wohnungen mit 1½ bis 5½ Zimmern, 2 Grossbüros, Doppelbasisstufe (Kindergarten/Primarstufe)
Baukosten ( BKP 1 – 5 ): Fr. 31,5 Mio
Durchschnittsmiete 4½-ZimmerWohnung: Fr 1894.— ( Fr. 245 / m2 / a ) fambau.ch/de/holligerhof-9-3008-bern
Regelgeschoss
Autofrei und selbstverwaltet
In Bümpliz hat die NPG AG für nachhaltiges Bauen bereits 2010 das für viele Undenkbare möglich gemacht und die erste autofreie Siedlung der Schweiz erstellt. Für die 2004 gegründete Gesellschaft und ihre Aktionäre sind ökologische Baumaterialien, Minergie-Standard und ein direkter Anschluss an den öffentlichen Verkehr ebenso selbstverständlich wie durchmischtes, gemeinschaftliches und selbstverwaltetes Wohnen. Nach der positiven Erfahrung in der Siedlung Burgunder in Bümpliz hat die NPG nun mit einem Neubau auf dem Holliger nachgedoppelt. Als einzige der Bauherrschaften ist sie keine Genossenschaft, sondern eine gemeinnützige Aktiengesellschaft. Das Haus Stromboli, das 43 Wohnungen bereithält, bietet seinen Bewohnern statt Parkplätzen eine grosse Einstellhalle für Velos. Und statt einer von oben festgelegten Hausordnung folgen zu müssen, dürfen die Mieterinnen selbst bestimmen, wie sie das Zusammenleben organisieren wollen. Dazu schliessen sie sich in einem Hausverein zusammen. Dass das Gemeinschaftliche grossgeschrieben wird, lässt sich auch am Haus ablesen. Die markanten, hellgelben Metalltreppen und Laubengänge fassen nicht nur die beiden Volumen – einen siebengeschossigen Turm und einen Längsbau –zusammen; als ‹ Terrasse commune ›
bieten sie Raum für Begegnung und Austausch. Die grosse Waschküche im Erdgeschoss kann auch als Gemeinschaftsraum genutzt werden und hat direkten Zugang zum Gemeinschaftsgarten. Die 2- bis 4½-Zimmer-Wohnungen im Turm sind übereck angeordnet und verfügen über eigene Balkone. Im Längsbau befinden sich neben fünf Maisonettes drei Grosswohnungen und drei Jokerzimmer. Viele der 86 Erwachsenen und 47 Kinder, die Ende 2023 eingezogen sind, hatten bereits einen Bezug zum Quartier.
‹ Stromboli ›, Wohnhaus Baufeld U2 Holliger, 2023 Holligerhof 5, Bern
Bauherrschaft: npg AG für nachhaltiges
Bauen, Bern
Architektur: Studio DIA Architekten, Bern
Bauleitung: Omlin Architekten, Bern
Landschaftsarchitektur: Carolin Riede, Egliswil AG
Nutzung: 43 Wohnungen mit 2 bis 13½ Zimmern; davon 5 Maisonettes, 3 Grosswohnungen, 3 Jokerzimmer, öffentliche Bibliothek, Kindergarten, Gemeinschaftsgarten
Baukosten: Fr. 19,5 Mio. ( inkl. PV-Anlage )
Durchschnittsmiete 4½-ZimmerWohnung: Fr 1802 .— ( Fr. 240 / m2 / a )
Label: Minergie-P-Eco stromboli.npg-ag.ch
Alt, erfahren und hoch hinaus 1919 gegründet, ist die EisenbahnerGenossenschaft ( EGB ) die langjährigste Baugenossenschaft auf dem Holliger. Bis Mitte 2024 vermietete sie ihre mehr als 700 Wohnungen in Bern, Zollikofen und Zuchwil vornehmlich an aktive und pensionierte Mitarbeitende der SBB, Post, Swisscom, EBG Bern sowie öffentlicher Verwaltungen und des öffentlichen Verkehrs, seither steht sie allen offen. Um die Anliegen der Mieterinnen und ihr harmonisches Zusammenleben kümmern sich in den verschiedenen Siedlungen ehrenamtliche Mitarbeitende der Siedlungskommissionen. Sie halten auch den Kontakt zu Vorstand und Geschäftsstelle. Das Baufeld O1, das der EGB zugesprochen wurde, schliesst den Holliger im Nordwesten ab. Um einen städtebaulichen Akzent zu setzen, entschied sich die Baugenossenschaft, die bereits einige Erfahrung mit Hochhäusern hat, für einen 16-geschossigen Holzhybrid-Turm. Er soll aus einem zweigeschossigen Betonsockel wachsen, in dem öffentliche und gewerbliche Nutzungen Platz finden. Derzeit ist die Finanzierung des Bau-
projekts allerdings ins Stocken geraten. Um im Hochhaus Nachbarschaften zu schaffen, ist geplant, dass jeweils drei Etagen eine Gemeinschaft kleineren Massstabs bilden, mit Sondernutzungen wie Spielzimmern, Malateliers und einer Waschküche in jedem dritten Geschoss. Zudem liegen zwischen den Wohneinheiten Räume, die sich je zur einen oder anderen Wohnung hinzuschalten lassen. Möglich ist auch, mehrere Einheiten als grosse Cluster-Wohnung zusammenzuschliessen. Entlang der Fassade werden längliche private Aussenräume vorgelagert
‹ Frau Holle ›, Wohnhaus Baufeld O1 Holliger, Fertigstellung geplant 2028 Holligerhof 7, Bern
Bauherrschaft: Eisenbahner-Genossenschaft
Architektur: Jaeger Koechlin Architekten, Basel
Nutzung: 68 Wohnungen und 10 Jokerzimmer, Gemeinschafts- und Quartierräume, Co-Working-Spaces, Restaurant Baukosten: k. A
Durchschnittsmiete: k. A
Zusammenleben gestalten
Auf dem ehemaligen Areal der Kehrichtverbrennungsanlage im Berner Stadtquartier Holligen ist das seit Jahrzehnten grösste gemeinsame Projekt von gemeinnützigen Berner Wohnbauträgern entstanden. Rund 380 Erwachsene und 180 Kinder leben in der Überbauung. Das Zusammenleben der Generationen wird grossge schrieben. Das vorliegende Heft fokussiert deshalb für einmal nicht auf die Architektur der Bauten, sondern auf die Gestaltung und die Organisation des Miteinanders, das sich in den gemeinschaftlichen Innen- und Aussenräumen des Holliger manifestiert. www.holliger-bern.ch
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