Themenheft von Hochparterre, Dezember 2024
Klangvolles Denkmal
Im Liechtensteiner Unterland ist aus einer heruntergekommenen Hofstätte ein Campus für klassische Musik entstanden. Im Hagenhaus kommen ziviles Engagement, Denkmalpflege und Architektur zusammen.
4 Bewahren, ergänzen, umdeuten
Cukrowicz Nachbaur Architekten und Vogt Landschaftsarchitekten ist ein Vorzeigeprojekt in Baukultur-Erhalt gelungen.
12 « Wir hätten keinen einzigen Nagel einsparen können ! »
Der Denkmalpfleger, der Architekt und der Bauherr blicken auf ihr gemeinsames Projekt.
16 Ein Haus und acht Stimmen
Vom Gipser über die Stiftungsrätin zum Künstlerischen Leiter: Acht persönlich geprägte Blicke auf das Haus.
20 Eine Baugeschichte des Widerstands
Dank dem Engagement von Privaten wurde das Hagenhaus instand gesetzt – ein würdiger Akt für diesen Bau mit bewegter Geschichte.
Editorial
Geht nicht gibts nicht
Nachdem jahrelang erfolglos um den Erhalt des Hagenhauses im liechtensteinischen Nendeln gerungen wurde, konnte die Stiftung Hagenhaus das historische Wohnhaus mit Stall, Wasch- und Schützenhaus restaurieren, renovieren und um einen Neubau ergänzen. Um dem alten Ort neues Leben einzuhauchen, brauchte es auch die richtige Nutzung: Als Mieterin konnte die Stiftung die internationale Musikakademie Liechtenstein gewinnen. Diese fand im Hagenhaus endlich die passenden Räume für ihre Stipendiaten und Professorinnen, kombiniert mit einem Konzertsaal am selben Ort. Die Revitalisierung des Baudenkmals aus dem Jahr 1837 erzählt aber nicht nur die Geschichte des vorbildlichen denkmalpflegerischen und architektonischen Umgangs mit einem historischen Ensemble, sondern auch die eines hartnäckigen zivilen Engagements: Nach dem Motto ‹ Geht nicht gibts nicht › suchte der Freundeskreis ‹ Pro s’Hagen-Huus z’Nendla › ab 2015 nach einer geeigneten Nutzung, führte die Vision in einen Entwurf über, trieb die Finanzierung und die Verhandlungen mit der Besitzerfamilie voran. Für die Umsetzung des Projekts gründete der Verein die Stiftung Hagenhaus. Das vorliegende Themenheft erzählt die Geschichte der Hofstätte in all ihren Facetten: Marcel Bächtiger hat den ‹ Campus › mit Anton Nachbaur vom Vorarlberger Büro Cukrowicz Nachbaur besucht und beschreibt in ‹Bewahren, ergänzen, umdeuten ›, wie das Büro mit dem Baudenkmal umgegangen ist. In einer Gesprächsrunde suchen Denkmalpfleger, Architekten und Bauherrn nach Antworten auf die vielen denkmalpflegerischen, gestalterischen und ökonomischen Herausforderungen. Acht Porträts, aufgezeichnet von Karin Salm, zeigen Menschen, die das Haus nutzen, renoviert oder möglich gemacht haben. Den Schluss macht Mirjam Kupferschmid. Sie fasst die Geschichte des Hauses, aber auch die seiner Rettung zusammen. Die Bilder hat Christoph Pluemacher gemacht. Der Fotograf hat die Hofstätte viele Male besucht, immer das Zusammenspiel von Alt und Neu im Auge. Roderick Hönig
Dieses Themenheft ist eine journalistische Publikation, entstanden in Zusammenarbeit mit Partnern. Die Hochparterre-Redaktion prüft die Relevanz des Themas, ist zuständig für Recherche, Konzeption, Text und Bild, Gestaltung, Lektorat und Übersetzung. Die Partnerinnen finanzieren die Publikation, genehmigen das Konzept und geben ihr Einverständnis zur Veröffentlichung. Impressum Verlag Hochparterre AG Adressen Ausstellungsstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41 44 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag@hochparterre.ch, redaktion@hochparterre.ch Geschäftsleitung Deborah Fehlmann, Roderick Hönig Redaktionsleitung Axel Simon Leitung Themenhefte, Konzept und Redaktion Roderick Hönig Fotografie Christof Pluemacher, www.cp04.com Art Direction und Layout Antje Reineck Produktion Nathalie Bursać Korrektorat Rieke Krüger Lithografie Team media, Gurtnellen Druck Stämpfli AG, Bern Herausgeber Hochparterre in Zusammenarbeit mit der Stiftung Hagenhaus hochparterre.ch / hagenhaus Themenheft bestellen ( Fr. 15.—, € 12.— ) und als E-Paper lesen
Die Hofstätte bestand ursprünglich aus vier Bauten: Hagenhaus, Waschhaus, Tenn und Schützenhaus. Neu dazugekommen ist das Foyer neben dem Nussbaum.
Bewahren, ergänzen, umdeuten
Mit der Sanierung und Ergänzung des Hagenhaus-Ensembles in Nendeln gelingt Cukrowicz Nachbaur Architekten und Vogt Landschaftsarchitekten ein Vorzeigeprojekt in Sachen Baukultur-Erhalt.
Jahrelang war das Hagenhaus mehr Sorgenkind als Hoffnungsträger: eine langsam zerfallende historische Hofstätte an einer viel befahrenen Hauptstrasse, leer stehend, ohne Zweck und ohne Perspektive. Die letzten Bewohner waren in den 1990er-Jahren ausgezogen, der Besitzerfamilie fehlten die Mittel, um eine Instandsetzung zu finanzieren. Seit Jahr und Tag fuhren Lastwagen, Busse und Autos achtlos am Hagenhaus und an der daneben stehenden Scheune vorbei. Aufmerksamen Betrachterinnen kam der bröckelnde Putz an der einst stolzen Fassade wie ein Mahnmal vor: Wo blieb die Wertschätzung für das baukulturelle Erbe Liechtensteins ? Zwar war die historische Hofstätte vor über 30 Jahren formell unter Schutz gestellt worden, doch hatte das wenig an der fortschreitenden Verwahrlosung geändert.
Umso erstaunlicher ist die Wandlung, die das Ensemble innert kurzer Zeit erfahren hat. Was noch vor wenigen Jahren desolat und heruntergekommen wirkte, erstrahlt seit Sommer 2024 im sprichwörtlichen neuen Glanz: Das klassizistische Wohnhaus ist frisch verputzt, Fensterläden und Türen ausgebessert und gestrichen, bei der Scheune weisen neue Holzlamellen und moderne Verglasungen auf eine veränderte Nutzung hin. Zwischen den beiden Bauten an der Strasse führt eine breite Aussentreppe hoch zu einem neuen Hofgebäude, das einen geschützten Platz fasst und sich selbst vornehm zurücknimmt. Daneben –ebenfalls frisch saniert – entdeckt man das ehemalige Waschhaus. All dies ist eingebettet in eine gepflegte Landschaft aus Gärten, Wiesen und Wegen. Aus zerfallenden
Häusern ist ein kleines Idyll geworden, das Strahlkraft über die Grundstücksgrenzen hinaus besitzt: als neues kulturelles Zentrum in Nendeln, als Leuchtturmprojekt in Sachen Denkmalpflege, als Vorzeigebeispiel, wie historischer Baubestand durch eine kluge Umnutzung und Erweiterung zu einem lebendigen, zukunftsfreudigen Ort werden kann. Was ist geschehen ?
Glückliche Fügungen
Man muss wohl von mehreren glücklichen Fügungen sprechen: Zum einen fand die Stiftung Hagenhaus mit der in Nendeln ansässigen internationalen ‹ Musikakademie in Liechtenstein › eine intere ssierte und kulturell engagierte Nutzerin. Zum anderen entpuppte sich der Gebäudebestand des historischen Ensembles als geradezu prädestiniert für das Raumbedürfnis der Musikakademie. Und schliesslich waren mit dem Architekturbüro Cukrowicz Nachbaur und Vogt Landschaftsarchitekten Planende am Steuer, die gleichzeitig international renommiert und mit den lokalen Gegebenheiten vertraut sind: Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur-Sturm arbeiten im nahen Bregenz, Günther Vogt stammt aus Liechtenstein.
Das Resultat ist ein architektonisch ambitioniertes Ensemble aus Alt und Neu mit einer ebenso ambitionierten Aussenraumgestaltung – ein passendes Zuhause für die Musikakademie, die ihrerseits den Anspruch hat, « eine führende Institution in der internationalen Musikwelt mit fester Verankerung im Fürstentum Liechtenstein » zu sein. Die Studierenden aus aller Welt sind für eine oder zwei
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Foyer und Speisesaal im neu erstellten Hofhaus
Modernes neben geschichtlichen Akzenten im Speisesaal
Gemeinschaftsraum im Wohnhaus
Die sorgsam restaurierte Holztreppe im Wohnhaus
Gästezimmer für zwei Personen im restaurierten Wohnhaus
Intensivwochen in Liechtenstein, wo sie bei renommierten Professorinnen und Professoren Einzel- oder Gruppenunterricht belegen und Auftrittsmöglichkeiten erhalten. Aus diesem Grund benötigt die Musikakademie Gast- und Übungszimmer für Studierende, Wohn- und Unterrichtsräume für die Dozierenden, Verpflegungs- und Aufenthaltsmöglichkeiten sowie einen Konzertraum, der auch für Tonund Filmaufnahmen geeignet ist.
Mit ihren angestammten Räumlichkeiten, die auf mehrere Häuser in Nendeln verteilt waren, war die aufstrebende Musikakademie seit Längerem nicht mehr ganz glücklich. Eine Machbarkeitsstudie im Jahr 2020 zeigte auf, dass die Bauten des Hagenhaus-Ensembles den Vorstellungen der Musikakademie geradezu passgenau entsprechen: Aus der Stallscheune könnte der Konzertsaal werden, das Wohnhaus könnte die Gästezimmer der Studierenden aufnehmen, ein Neubau als Speisesaal und Foyer dienen. Diese Grundidee sollte sich über die folgenden Planungsstadien bis zum vollendeten Projekt bewähren.
Grosses Engagement, fachlich und finanziell
Mit Blick auf die zähe Vorgeschichte erstaunt ebenfalls die Tatsache, dass die finanziellen Mittel für die Realisierung des wiederbelebten Hagenhauses zusammengekommen sind. Stiftungen, private Spenderinnen und die Denkmalpflege ermöglichten mit ihrer Unterstützung die lang ersehnte Revitalisierung des Ensembles ; im Hintergrund trug das grosszügige Entgegenkommen der Besitzerfamilie – sie war bereit, einen Baurechtsvertrag für das gesamte Grundstück mit langem Zeithorizont abzuschliessen – zur glücklichen Wende bei.
Von der aufwendig restaurierten Holztreppe über die sorgsam freigelegten Wandmalereien bis zur akustisch einwandfrei umgebauten Scheune und dem technisch bestens ausgerüsteten Regieraum für die Konzertaufzeichnungen – überall wird deutlich, dass beim Projekt ‹ Revitalisierung Hagenhaus › höchste Qualitätsstandards galten. Ein Anspruch, der einerseits die Vorbildhaftigkeit des Projekts ausmacht, sich andererseits aber auch in Baukosten von stolzen 18 Millionen Franken niederschlägt. Insofern demonstriert das Leuchtturmprojekt eindrucksvoll, was mit grossem fachlichen und finanziellen Engagement möglich wird, taugt aber nicht unbedingt als Beispiel dafür, wie mit wenig Mitteln viel zu erreichen wäre. Beispielgebend bleibt das Projekt nichtsdestotrotz: Im unweit gelegenen Triesen will die Gemeinde das Theodor-Banzer-Hus – auch ein klassizistisches Wohnhaus von Baumeister Joseph Anton Seger, das vom Zerfall bedroht ist und an einer Landstrasse steht – nach Jahren des Leer- und Stillstands nun ebenfalls revitalisieren.
Die architektonische und landschaftliche Qualität des restaurierten und erweiterten Hagenhaus-Ensembles öffnet Möglichkeitsräume und regt zu Zukunftsträumen an, nicht nur in Triesen, sondern im gesamten Fürstentum Liechtenstein. Mit dem Einzug der Musikakademie ins Baudenkmal wird plötzlich für alle spürbar, dass Baukultur nichts Abstraktes ist, sondern zur lebendigen Schönheit eines Ortes beiträgt.
Ein Wohnhaus wiederbeleben
Die Hofstätte bestand ursprünglich aus vier Gebäuden: dem Doppelwohnhaus und der Stallscheune an der Strasse sowie einem kleinen Waschhaus und einem Schützenhäuschen in der zweiten Reihe. Während das hölzerne Schützenhäuschen abgebaut und etwas versetzt wieder aufgebaut wurde, um dem neuen Hofgebäude Platz zu machen, wurden die drei anderen Bauten erhalten und in je unterschiedlicher Eingriffstiefe umgebaut und erneuert.
1837 von Baumeister Joseph Anton Seger aus Vaduz errichtet, beherbergte das symmetrisch organisierte Wohnhaus ursprünglich zwei über ein zentrales Treppenhaus erschlossene Wohnungen in den Hauptgeschossen sowie zwei Gewerberäume links und rechts des Haupteingangs auf Strassenniveau. Zwischen 1864 und 1912 dienten diese Gewerberäume als kaiserlich-königliche Poststelle für das ganze Liechtensteiner Unterland. Dies trug zur Verankerung des Bauwerks im kollektiven Gedächtnis bei.
Es gehört zu den Glücksfällen des Projekts, dass die Raum- und Nutzungsstruktur mit der neuen Nutzung der Musikakademie weitgehend beibehalten werden konnte. Die Gewerberäume im Erdgeschoss dienen neu als Büro für die Musikakademie, in den beiden Wohngeschossen finden die Gästezimmer für die Studierenden Platz, der ausgebaute Dachstock beherbergt eine der beiden Professoren-Wohnungen ; die zweite wird im umgebauten Waschhäuschen untergebracht.
Anders als in der Machbarkeitsstudie, die die Wohngeschosse noch in schmale Einzelzimmer mit je eigener Nasszelle unterteilte und den Einbau zahlreicher neuer Wände zur Folge gehabt hätte, konnte in der weiteren Bearbeitung die ursprüngliche Wohnungsorganisation weitgehend beibehalten werden: Die grösseren Zimmer an der Ecke dienen nun als Gemeinschaftsraum oder als Doppelzimmer, während die neuen Räume für Bad, Dusche und WC beim Treppenhaus zusammengefasst sind und von je drei Stipendiatinnen geteilt werden. Die einzelnen Gastzimmer bleiben genügend gross, um auch als Übungsraum genutzt werden zu können, und je nach Belebung und Nutzung kommt auch die Enfilade entlang der strassenseitigen Räume wieder zu ihrem Recht. Die sorgsam restaurierten Wandmalereien schliesslich rufen den historischen Wert des Hauses in Erinnerung. Sie verleihen jedem Zimmer einen eigenen Charakter und werden von der schlichten Möblierung kontrastreich ergänzt. Einiges scheint selbstverständlich, ist es aber nicht: etwa die fein gearbeitete historische Holztreppe, die so aussieht, als wäre sie noch immer in einem tadellosen Zustand, in Wahrheit aber ausgebaut, Stück für Stück restauriert und schliesslich wieder eingebaut wurde. Der Steinboden in der Eingangshalle wiederum, der wie ein Zeuge aus der Vergangenheit anmutet, ist eine Neuinterpretation. Auch zog die neue Nutzung als Wohnhaus für Musikschaffende verschiedene Massnahmen nach sich: Weil Musikzimmer schallisoliert sein müssen, fallen bestimmte Türen dicker aus als andere. Einige Türen und Beschläge wurden aus diesem Grund restauriert, andere rekonstruiert. Auch bei den filigranen Sprossenfenstern handelt es sich aus Isolationsgründen um Rekonstruktionen, die präzise nach dem Muster der vorhandenen Biedermeierfenster gefertigt wurden.
Von der Scheune zum Konzertsaal
Eine Überraschung wartet hinter der vermeintlichen Kellertür, wo sich ein weiss gestrichener Korridor in unerwartete Tiefen erstreckt, um dann geheimnisvoll um eine Ecke zu biegen. Bei diesem Korridor handelt es sich um die unterirdische Verbindung zum neu erstellten Hofhaus, das im studentischen Alltag als Speisesaal und an Konzertabenden als Foyer dient. Architektonisch ist das Hofhaus einfach gehalten und ordnet sich volumetrisch den historischen Bauten im Vordergrund unter: ein einfaches Giebelhaus mit Ziegeldach und verputzten Wänden. Umso grosszügiger wirkt der Innenraum, der die ganze Höhe in Anspruch nimmt und sich mit grossen Fenstern zu den sanft ansteigenden Wiesen und zur Bergkette ‹ Drei Schwestern › hin öffnet.
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Eine reichhaltige Abfolge von Aussenräumen verbindet die Bauten.
Revitalisierung
Hagenhaus
Feldkircher Strasse 18, Nendeln LI
Bauherrschaft: Stiftung Hagenhaus, Nendeln
Architektur: Cukrowicz
Nachbaur, Bregenz Ö
Mitarbeit: Anton Nachbaur, Andreas Cukrowicz, Gregor Benz ( PL ), Andreas Metzler, Rebecca Zöschg
Landschaftsarchitektur:
Vogt, Zürich
Bauführung: Wohlwend
Architekturbüro, Vaduz
Bauherrenunterstützung, Kosten- und Terminplanung: Bau-Data, Josef Mahlknecht, Vaduz
Tragwerksplanung
Saal, Foyer: Conzett Bronzini, Chur GR Tragwerksplanung
Wohnhaus: Frommelt
Zimmerei & Ing. Holzbau, Schaan LI
HKLS: Ringtec Establishment, Eschen LI
Raum- und Bauakustik:
Müller-BBM, München D
Signaletik: Atelier Andrea Gassner, Feldkirch Ö
Restauration Holz: Anstalt für Holzrestaurierungen, Triesen LI
Restauration Malerei, Putz: Atelier für Konservierung und Restaurierung AKR, Triesen LI
Anlagekosten ( BKP 1 – 9 ): Fr. 17,9 Mio.
1 Büro Musikakademie
2 Re gieraum
3 Gä stezimmer
4 Konzertsaal
5 Wohnung Dozierende
6 Foyer
7 Gem einschaftsraum
Das Untergeschoss des Neubaus bietet den notwendigen Raum für Sanitär- und Technikanlagen sowie für den Regieraum, der für Film- und Tonaufzeichnungen benutzt wird und über Video mit dem Konzertsaal verbunden ist. Diese Auslagerung von sekundären Nutzungen ermöglicht es, die Stallscheune freizuspielen und exklusiv als Konzertsaal zu nutzen. Die neue Nutzung ist hier zwar eine grundlegend andere als früher, dafür kommt der Raum umso wirkungsvoller zur Geltung. In der Scheune mit ihrer beeindruckenden Dachkonstruktion und dem stimmungsvollen Lichteinfall gibt es nicht viel mehr als Menschen und Musik, Stühle und Instrumente. Ähnlich wie beim Wohnhaus passten die Dimensionen des Bestands auf fast schon wundersame Weise mit den Vorstellungen der Musikakademie zusammen. Die zum Konzertsaal umfunktionierte Scheune bietet Platz für 120 Personen sowie optimale Raumverhältnisse für Solound Kammermusikkonzerte. Gleichwohl waren hier die Eingriffe stärker als im Wohnhaus, was vornehmlich auf die nötigen akustischen und visuellen Anforderungen eines Konzertsaals zurückzuführen ist. So entfernten die Architekten in Abstimmung mit dem Denkmalschutz die mitten im Raum stehenden Holzstützen und verstärkten den Dachstuhl stattdessen mit stählernen Zugbändern. Noch herausfordernder war die Lage der Scheune an der Hauptstrasse. Die Planenden integrierten SchallschutzKastenfenster in den grossen Öffnungen und isolierten die Mauerpfeiler. Die grossformatigen Kastenfenster verstecken sich zwischen den innen und aussen angebrachten beweglichen Holzlamellen, die wiederum an die historischen Holzverschalungen der ehemaligen Stallscheune und das gefilterte Licht in alten Ställen erinnern. Auch die Statik ( man denke an zwei Konzertflügel und ein hundertköpfiges Publikum ) for derte ihren Tribut: So wurde der Holzboden durch eine neue Stahlbetondecke ersetzt, die gleichzeitig die bestehenden steinernen Pfeiler stabilisiert. Was aussen nach wie vor wie eine Scheune aussieht, entpuppt sich so im Innern als moderner Musiksaal mit historischem Cachet, spannungsvoll situiert zwischen Komfortansprüchen und Denkmalerhalt.
Salon
Schablonenschrift
Das Atelier Andrea Gassner aus Feldkirch hat das Erscheinungsbild für das Hagenhaus und die Musikakademie entworfen. Formaler Ausgangspunkt der Signaletik war das Schallloch eines Saiteninstruments: Dieses haben die Gestaltenden typografisch in eine Schablonenschrift übersetzt. Das Schriftbild spielt mit Auslassungen beziehungsweise schriftgestalterischen Pausen. Die metallischsilberfarbenen Beschriftungen changieren je nach Lichteinfall in Helligkeit, Intensität und Kontrast – ähnlich der Dynamik eines Musikstücks.
Nebst dem Erhalt und der Neu-Interpretation der historischen Bausubstanz gelingt den Teams von Cukrowicz Nachbaur Architekten und Vogt Landschaftsarchitekten nicht zuletzt die Umdeutung einer problematischen ortsbaulichen Situation. Was vor rund 200 Jahren zweifellos ein Standortvorteil war und architektonisch entsprechend ausformuliert wurde – nämlich die verkehrstechnisch günstige Lage der Hofstätte an der Strasse von Schaan nach Feldkirch –, ist im automobilen Zeitalter zur Hypothek geworden.
Eine neue, geschützte Mitte
Die repräsentative historische Eingangstür zum Hagenhaus liegt heute unmittelbar an einer Autoschneise, das Trottoir ist schmal, die Situation am Ortsausgang, wo gerne beschleunigt wird, unwirtlich. Hier zahlt sich nun aus, dass die Planenden mit dem neuen Hofhaus nicht nur den geforderten Innenraum geschaffen, sondern auch den Aussenraum umgedeutet haben. Intuitiv nimmt man die einladende Treppe zwischen Wohnhaus und Scheune als neuen Zugang war – als Zugang zu einem Ensemble aus Bauten, dessen gemeinsame Mitte nicht an der Strasse, sondern geschützt in der zweiten Reihe liegt. Der Hofplatz ist gleichzeitig ein Raum unter vielen: Mit der Verschiebung des repräsentativen Zentrums von der Strassenfassade zum Zwischenraum wird der Aussenraum vielfältiger, komplexer und reichhaltiger. Es gibt verschiedene Wege und Zugänge, es gibt Gärten und Plätze, Sitzbänke und Steinmäuerchen. Wer ein paar Schritte macht, findet auch das historische Schützenhäuschen wieder, das nun als Laube für spazierende Stipendiaten dient.
Die Hauptstrasse mit ihren Autos und Lastwagen tritt derweil in den Hintergrund. Vielleicht wird auch sie sich irgendwann anpassen an das neu erstandene Arkadien rund ums Hagenhaus, vielleicht wird der Verkehr der Zukunft langsamer, stiller, weniger. Das Hagenhaus wäre dafür bereit: Ein Szenario sieht vor, die grossen Tore im Erdgeschoss der Stallscheune zu öffnen und in den noch ungenutzten Räumen unter dem Konzertsaal ein Strassencafé einzurichten.
Eine grosszügige Treppe führt zwischen den historischen Bauten hoch zum neuen Hof.
Der Konzertsaal in der ehemaligen Scheune besitzt einen eindrucksvollen Dachstuhl.
Blick auf die Feldkircher Strasse: Sie ist zwar zu sehen, aber kaum zu hören.
Klang bauen
Das Hagenhaus ist in guter Gesellschaft: drei Häuser der Musik in der Schweiz.
Text: Köbi Gantenbein
Willy Hans Roesch beschäftigte vor 70 Jahren das Elend alternder Kunsts chaffender. Zusammen mit dem Glasmaler Albert Rajsek baute er ihnen in einem zerfallenden Ensemble um die Alte Kirche in Boswil im Kanton Aargau ein Altersheim. Bald schon wurde Boswil auch ein Klangort, und als 1991 die letzte betagte Künstlerin starb, widmete sich die Stiftung vollständig der Musik. Zum privaten kam substanzielles Engagement von Kanton und Bund. Boswil baute ein breites Programm auf, eine besondere Zuneigung erfährt die zeitgenössische Musik.
Willy Hans Roesch war Lichtdesigner und renovierte mit den Seinen als Mann des Baus die Kirche mit Pfarrhaus und Nebengebäuden geschickt ; auch die Nachfolger kümmerten sich ums Weiterbauen. Als Markstein trug der Architekt Gian Salis 2017 ein lichtes Foyer vor der Alten Kirche bei und baute später das grosse, nicht mehr gebrauchte Bauern- und Sigristenhaus zu einem Gäste- und Probenhaus um. Boswil schafft den Spagat zwischen Jugendmusik und Meisterklasse für zeitgenössische Musik. Das Künstlerhausgründen blieb übrigens in der Familie Roesch; Roeschs Sohn Christof baute aus einer Ruine des Fremdenverkehrs am Inn bei Scuol die Fundaziun Nairs auf – ein Zentrum und Atelierhaus für Gegenwartskunst.
Musik und Regionalentwicklung
Rund um den Musiker Peter Roth ist im oberen Toggenburg in den letzten 20 Jahren die ‹ Klangwelt › entstanden, die – ganz im Geist der Zeit – keine Grenzen zwischen klassischer, ernster, volkstümlicher und anderer Musik zieht. Sie richtet ‹ Klangwege › ein und verbindet Musik s o mit der Landschaft, aber auch mit dem Handwerk des Schmiedens. Freilich gibt es Kurse für Anfänger und Meisterinnen sowie Konzerte vom Toggenburger Juuz bis zu
Obertongesang aus den weiten Steppen der Mongolei. Nach und nach stieg der Kanton St. Gallen in die private Initiative ein und ist heute ein wichtiger Spieler. Denn seit einiger Zeit wollen die Klänge ein neues Haus. Für einen ersten Anlauf zeichnete Peter Zumthor einen Entwurf. Da er dies im Direktauftrag tat, stellten die Architekturverbände seinem Projekt ein Bein. Im zweiten Anlauf hat das Büro Meili Peter einen Thesenwettbewerb für ein Klanghaus am Schwendisee gewonnen – einer Eb ene unter den Churfirsten oberhalb von Wildhaus.
Zweimal war eine Volksabstimmung nötig, und dann starb auch noch der federführende Marcel Meili. Die Architektin Astrid Staufer, die mit Meili an der Idee gewirkt hatte, übernahm, und wenn alles gut geht, wird das hölzerne Haus 2026 eröffnet. Es wird Architektur- und Musikgeschichte schreiben – denn das Haus, seine Raumfolgen und seine Materialisierung sind ganz vom Klang her gedacht. Spannend wird auch sein, ob die Politik der Klangwelt funktioniert, denn die Promotoren haben Regionalentwicklung, Musik und Architektur vielfältig miteinander verknüpft, damit ihre voralpine Brache erblühe.
Haus der Proben
Unweit von Schaffhausen wuchs seit dem frühen Mittelalter das Kloster Rheinau zu einer kleinen Stadt. Es verlor sein Dasein im reformierten Kanton Zürich. Dieser machte aus ihm im 19. Jahrhundert eine « Irrenanstalt », später ein psychiatrisches Spital. Und als es nicht mehr gebraucht wurde, stiegen nebst der öffentlichen Hand reiche Leute um Christoph Blocher in die Hosen und bauten die Brache zu einem Ort für die Musik um. Die ‹ Musikinsel › hat kein eigenes künstlerisches Programm, sie stellt 16 Probenräume vom Saal bis zur Kammer zur Verfügung für Kapellen, Chör e und Orchester, die im komfortablen Hotel recht günstig wohnen können. Auf der Rheinau steht jeder Stein unter Denkmalschutz, und so hat der Akustiker Eckhard Kahle das ganze Repertoire seiner Kunst aufbieten müssen, damit der Klang der teils uralten Räume auch den Ansprüchen von Meisterschüler und Meisterlehrerin genügt. Für einen Trumpf der Musik musste er nicht sorgen – Rheinau ist eine Oase der Stille. ●
« Wir hätten keinen einzigen Nagel einsparen können ! »
Wurde da aus einem Fiat ein Ferrari gemacht ? Der Bauherr, der Denkmalpfleger und der Architekt reden über den Umgang mit dem Baudenkmal, seiner Vergangenheit und dem Unperfekten.
Wer von Sargans nach Nendeln fährt, durchquert gesichtslose Strassendörfer. Historische Bausubstanz ist kaum zu sehen. Wir sitzen nun im Salon des aufwendig restaurierten, sanierten und erweiterten Hagenhauses. Hier wurde der Baugeschichte höchste Aufmerksamkeit zuteil, draussen wird sie scheinbar gedankenlos eliminiert. Ich werde das Gefühl nicht los, dass beim Hagenhaus-Ensemble versucht wurde, ein verpasstes Kümmern um die Liechtensteiner Baugeschichte wiedergutzumachen. Stimmt mein Eindruck ?
Patrik Birrer: Liechtenstein hat sich innert wenigen Jahrzehnten von einem mausarmen zu einem der reichsten Länder in Europa entwickelt. Ich verstehe einerseits, dass die Generation, die am wirtschaftlichen Aufschwung teilhat, sich nicht unbedingt zuerst an die Zeiten voller Entbehrungen erinnern will, in denen ihre Grosseltern mit grossen Familien auf engstem Raum in einfachsten Verhältnissen hausten. Andererseits kann man sich heute eben etwas Schönes und Neues leisten, entsprechend wird die Vergangenheit einfach negiert. Neben diesem psychologischen gibt es aber auch einen ökonomischen Faktor, der die Verstädterung vorantreibt: Mieterträge sind im Land Liechtenstein faktisch steuerfrei, beziehungsweise es ist darauf in der Regel keine Erwerbssteuer zu bezahlen. Das hat vielerorts zum Abriss von alter Bausubstanz geführt.
Anton Nachbaur: Tatsächlich spürt man das viele Geld, das in die Immobilienwirtschaft in Liechtenstein fliesst. Aber im Vergleich etwa zum Bregenzerwald, der auch lange eine sehr arme, bäuerlich geprägte Gegend war, gibt es dort heute viel mehr historische Bausubstanz. Und auf sie baut ihr touristischer Erfolg auf. Der Grund: Es war einfach viel weniger Geld da, weshalb im gleichen Zeitraum viel weniger alte Bausubstanz abgebrochen wurde. Deshalb war der verwahrloste Zustand eher landesuntypisch, aber ein Glücksfall fürs Hagenhaus.
Marcus Büchel: Es ist eine Realität, dass in Lie chtenstein seit vielen Jahren historische Bausubstanz unzimperlich abgeräumt wird. Die jährliche Verlustbilanz wird vom Amt
für Kultur zwar noch veröffentlicht, aber eines Tages befand die Regierung, die höchst informativen Forschungsberichte der Denkmalpflege einzustellen. Ich deute das so, dass über das Thema nicht geredet werden soll. Vermutlich, weil die Regierung genau weiss, dass der Verlust von historischer Bausubstanz tatsächlich arg ist. Aber es geht ja nicht nur um alte Bauten, die praktisch epidemisch abgerissen werden, sondern um den Prozess der Verstädterung, der den angesprochenen hässlichen Siedlungsbrei zur Folge hat. Was sind die treibenden Faktoren ? Ich behaupte, es sind nicht nur die ökonomischen Gründe, sondern das Abreissen, das Austreiben unserer eigenen Geschichte ist Ausdruck einer Identitätsstörung.
Das müssen Sie genauer erklären.
Marcus Büchel: In Liechtenstein nehme ich allgemein eine geringe Wertschätzung bis hin zu einer Ablehnung des eigenen Erbes wahr. Das führt zu einem destruktiven Umgang mit ebendiesem und hat zu harten sozialen, aber eben auch baulichen Bruchlinien geführt, weil innerhalb der Familien oft die Traditionen nicht weitergeführt werden und die damit verbundenen Bauten somit auch nicht erhalten und weitergepflegt werden.
Heisst das, in Liechtenstein steht die Denkmalpflege mehr auf verlorenem Posten als anderswo ?
Patrik Birrer: Nein. Und das Hagenhaus ist auch nicht das Feigenblatt für alle Abrisse, die nicht verhindert werden konnten. Doch tatsächlich hat die Denkmalpflege in Liechtenstein weniger gesetzliche Instrumente zur Hand: In unserem Land gibt es weder ein Raumplanungsgesetz noch etwa ein Inventar schützenswerter Ortsbilder ( ISO S ), wie es die Schweiz kennt. Es gibt also kein Instrumentarium, um im Ensemble zu denken. Trotzdem gibt es sehr viele denkmalgeschützte Einzelobjekte, um die wir uns kümmern. Aber ich gebe zu, entlang der beschriebenen Verkehrsachse liegen diese nicht. Dafür muss man die Hauptstrasse verlassen. Und wer das macht, findet viele denkmalpflegerische Kleinode.
Ist es nicht frustrierend, in so einem Umfeld als Denkmalpfleger zu arbeiten ?
Marcus Büchel
Der Psychologe und ehemalige Vorstand des Amts für Soziale Dienste des Fürstentums Liechtenstein ist publizistisch tätig und befasst sich seit vielen Jahren mit dem Thema Baukultur und dessen psychologischen Aspekten.
Büchel ( *1953 ), er ist Liechtensteiner, initiierte das Revitalisierungsprojekt Hagenhaus und ist Präsident der Stiftung Hagenhaus.
Patrik Birrer
Der Kunsthistoriker ( *19 66 ) und gebürtige Basler ist seit 1999 Leiter der Denkmalpflege im Fürstentum Liechtenstein. Er war Lehrbeauftragter für Denkmalpflege an der Hochschule und an der Universität Liechtenstein. Seit 2021 führt er als Amtsstellenleiter das Amt für Kultur.
Patrik Birrer: Nein, ich erfreue mich auch an den kleinen Erfolgen, und derer gibt es sehr viele. Die städtebauliche Entwicklung ist nicht landesspezifisch: In Liechtenstein schreitet die Verstädterung vielleicht einfach schneller und konzentrierter voran als in den Nachbarländern Schweiz oder Österreich.
Reden wir über das Hagenhaus: Wieso hat es so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen ?
Marcus Büchel: Seine Bedeutung als Baudenkmal ist unbestritten, aber anders als die versteckten Kleinode, von denen Patrik Birrer eben sprach, liegt das Hagenhaus direkt an einer wichtigen Verkehrsachse. Viele Menschen kennen es deshalb. Es besteht ja aus mehreren Gebäuden und ist eigentlich eine Hofstätte. Trotz seines sich über Jahre verschlechternden Zustands erkannten nicht wenige in der Bevölkerung hinter der bröckelnden Fassade seine vornehme Ausnahmestellung und historische Bedeutung. Diese Dissonanz führte bei vielen zur Frage: Wieso rettet niemand dieses Haus ? In der Architektur wird heute viel von Suffizienz und einfachen Lösungen gesprochen.
Diese sehe ich hier nicht. Haben Sie aus einem Fiat einen Ferrari gemacht ?
Anton Nachbaur: Nein, das glaube ich nicht. Wir hab en auf dem aufgebaut, was schon da war. Der Bestand war auf jeden Fall erhaltenswert und die Bausubstanz grundsätzlich in einem guten Zustand. Der Aufwand der Revitalisierung –im Vergleich zum Neubau – ist immer grösser, aber er fällt hier nicht aus dem Rahmen. Für uns fängt Nachhaltigkeit aber nicht mit Suffizienz, sondern mit Schönheit und guter Gestaltung an. Schöne Dinge werden länger geschätzt, umsorgt und genutzt. Glücklicherweise fanden wir in der Stiftung eine Bauherrin vor, die wir nicht von der Schönheit des Hagenhauses überzeugen mussten. Ich würde deshalb eher sagen: Das Hagenhaus ist ein Mercedes, den lange Zeit niemand als solchen erkannt hat. Die Frage nach der einfacheren Lösung geht auch an die Bauherrschaft: Wäre es auch einfacher gegangen ?
Marcus Büchel: Nein. Im Rahmen unserer denkmalpflegerischen Revitalisierung hätten wir keinen einzigen Nagel einsparen können ! Tats ächlich flammte immer wieder Kritik an den hohen Baukosten auf. Aber was hätten wir weglassen können ? Einige Räume nicht renovieren ? D en Garten ? Es wäre sicher günstiger gekommen, hätten wir wieder ein bürgerliches Wohnhaus mit Stallgebäude daraus gemacht. Eine derartige Nutzung wäre aber aus
Anton Nachbaur-Sturm
Der Architekt ist Mitbegründer von Cukrowicz Nachbaur Architekten in Bregenz sowie als Experte in Wettbewerbsjurys und Gestaltungsbeiräten tätig. Der Fokus seines Büros liegt an der Schnittstelle von architektonischem Diskurs, herausragender Gestaltung und der Leidenschaft für innovative und stimmige Lösungen mit Mehrwert.
der Zeit gefallen und die nötige Finanzierung wäre dafür nicht aufzutreiben gewesen. Zum Glück sind wir auf die Musikakademie gestossen, die gerade daran war, einen neuen Campus zu suchen. Die Musikakademie ist eine wirtschaftlich potente Mieterin, die allerdings mit einem Konzertsaal sowie einem Foyer auch besondere Anforderungen hatte. Deshalb: Die Aufwände sind hoch, aber sie stehen in Relation zur Nutzung und können deshalb nicht isoliert betrachtet werden.
Anton Nachbaur: Wir sind froh, dass die Bauherrschaft diesen Qualitätsanspruch hatte und so viel Sorgfalt eingefordert hat. Oft ist es umgekehrt und wir auf Planungsseite müssen für dieses Verständnis kämpfen. Ein solch komplexes und in vielen Punkten subtiles Projekt erfordert eine besondere Achtsamkeit und Aufmerksamkeit. Und das in jedem Detail. Ansonsten kann die Gesamtqualität des Projektes sehr schnell kippen.
« In Liechtenstein wird h istorische Bausubstanz seit vielen Jahren unzimperlich abgeräumt. »
Marcus Büchel, Präsident Stiftung Hagenhaus
Patrik Birrer: Kehren wir die Frage doch einfach um: Eine öffentliche Nutzung, die auch einmal angestrebt war, hätte dem Baudenkmal wohl eher geschadet als genutzt. Der Normenkatalog eines öffentlichen Gebäudes, seine baurechtlichen Anforderungen an Brandschutz, vollständige Barrierefreiheit oder auch an Schallschutz hätten das Hagenhaus überfordert. Deshalb: Die private Nutzung als Musikakademie trägt klar zur Erhaltung des Baudenkmals bei. Was allerdings nicht bedeutet, dass das Raumprogramm der Akademie nicht für sehr viele Diskussionen gesorgt hat. Die zwingende Erhaltung der historischen Baustruktur und der Grundriss des Hauses haben zum Leidwesen der Akademie die Anzahl der Zimmer begrenzt. Es war aber immer der Anspruch aller, hochwertige Architektur aus dem Bestand heraus weiterzuentwickeln. →
Würden Sie sagen, dass der denkmalpflegerische Umgang mit dem Bauobjekt vorbildlich ist ?
Patrik Birrer: Ja. Denn zuerst wurde der Bestand sehr sorgfältig analysiert. Es ist doch wie in der Medizin: Zuerst erfolgt die Anamnese, dann die Diagnose und erst am Schluss die Therapie. Beim Hagenhaus galt es, die Spuren der Geschichte, die Ökonomie und die Obsoleszenz des Baues zu ermitteln. Man muss das Bauobjekt lesen und verstehen, bevor man ein Projekt für eine neue Nutzung entwickelt und umsetzt.
Alt und Neu stehen sich nicht nur im historischen Hagenhaus selbst gegenüber, sondern auch im grösseren Massstab: Das neue Hofhaus komplementiert das historische Ensemble. Wie spielen Geschichte und Gegenwart zusammen ?
Anton Nachbaur: Mit den drei unter S chutz stehenden Bestandsgebäuden und mit den Anforderungen der Musikakademie war bereits sehr viel vorgegeben. Es wurde rasch klar, dass eine Erweiterung um ein viertes Gebäude notwendig war. Durch die Versetzung des Schützenhäuschens war es möglich, das bestehende Ensemble um das Hofhaus zu ergänzen. Die Massstäblichkeit, Proportionen und Materialisierung der Bestandsgebäude dienten dabei als unmittelbare Referenz und Ausgangspunkt für eine zeitgemässe Interpretation und Umsetzung. Die Positionierung des zusätzlichen Gebäudes ermöglicht optimale Funktionsabläufe und schafft darüber hinaus eine offene
« Ich kann heute sagen, w ir haben uns am richtigen Ort fürs Richtige eingesetzt. »
Patrik Birrer, Leiter Denkmalpflege Liechtenstein
Platzsituation als neue Mitte, abseits der lärmbelasteten Strasse. Deshalb ist auch die Aussenraumgestaltung ein wesentlicher Bestandteil des Projekts. Ausgehend vom alten Apfelbaum und vom Nussbaum konzipierten die Landschaftsarchitekten eine Abfolge unterschiedlicher Gärten mit der neuen Platzsituation als Zentrum. Für die neue Mitte war nicht nur die Versetzung des Schützenhauses eine wichtige Voraussetzung, sondern auch der unterirdische Gang, der vom Hagenhaus zum Konzertsaal führt.
Anton Nachbaur: Ja, das ist richtig. Es braucht diese wettergeschützte Verbindung, damit die wertvollen Instrumente nicht durch den Regen getragen werden müssen. Mit einer oberirdischen Verbindung wären die Offenheit und allseitige Zugänglichkeit dieses zentralen Treffpunktes als neues Herz des gesamten Ensembles nicht möglich gewesen.
Patrik Birrer: Die Auslagerung des grössten Teils der Haustechnik in ein neues unterirdisches Geschoss, in dem auch die Verbindung zwischen Hagenhaus und Konzertsaal liegt, liess uns zwar mehr Freiheiten im schonenden Umgang mit dem Baudenkmal. Sie stellte uns allerdings auch vor grössere bautechnische Herausforderungen. Zu vielen Diskussionen hat der Umgang mit den historischen Malereien auf den Wänden geführt. Wieso ?
Anton Nachbaur: Thema war, wie viele und welche Spuren der Geschichte wir an den Wänden im Hagenhaus zeigen wollen. Die heutige, fragmentarische Lösung erschien mir ursprünglich etwas zu museal und zu wenig zeitgemäss.
Im Nachhinein gebe ich aber gerne zu, dass die fragmentarische die richtige Lösung ist und ich mich mit dem Ergebnis auch sehr gut identifizieren kann.
Marcus Büchel: Wir wussten am Anfang ja gar nicht, dass die Wände farbig und bemalt waren. Sie waren hinter einfachstem Holztäfer aus dem 20. Jahrhundert und vielen Farbschichten versteckt. Für mich war immer völlig klar, dass die Malereien erhalten werden müssen. Sie sind ein elementarer Bestandteil des Hagenhauses. Sie machen die Qualität und Ästhetik der bürgerlichen Räume in markanter Weise aus.
Patrik Birrer: Die Priorisierung der historischen Wandoberflächen hatte dann wiederum Auswirkungen auf die Art der Dämmung. Denn auf die Dämmung wurde, mit Ausnahme der kleinflächigen Wärmedämmung hinter den Radiatoren, verzichtet. Das private Engagement übertrifft das des Landes bei Weitem. Hätte sich die öffentliche Hand mehr engagieren können ?
Marcus Büchel: Patrik Birrer hat das Projekt von Anfang an begleitet – intensiv, wohlwollend und konstruktiv, bis ins fachliche Detail hinein. Auch finanziell war der Beitrag des Landes für uns bedeutend, die Denkmalpflege hat 3,6 Millionen an die rund 18 Millionen Franken Baukosten beigesteuert. Für uns war dieser Beitrag substanziell. Das Amt für Kultur brachte eine Förderungsquote in Höhe von 50 Prozent bei den denkmalpflegerisch anrechenbaren Kosten zur Anwendung. Mit den Kosten, die die Denkmalpflege bei unserem Projekt als förderungswürdig anrechnete, sind wir sehr zufrieden. Bei der Quote hätten wir uns mehr erwartet ; gemäss Verordnung wäre – nach unserer Rechtsauslegung – eine höhere möglich gewesen.
Patrik Birrer: Im Vergleich zu unseren Nachbarländern ist unsere Subventionsquote von 50 Prozent schon ziemlich hoch. Aber klar, für einen Bauherrn ist das finanzielle Risiko bei einer Umnutzung eines Baudenkmals immer ein höheres als bei einem Neubau. Dazu kommt: Die Baukosten sind während des Projekts aufgrund der Baupreisteuerung um rund 14 Prozent gestiegen, aber diese haben wir – für die denkmalrelevanten Bereiche – durch die Subvention voll berücksichtigt.
Zum Schluss noch Ihre persönlichen Einschätzungen: Wo ist das Projekt am besten gelungen ?
Anton Nachbaur: Für mich ist das Projekt in der Zusammenarbeit vorbildlich. Diese hat zu einem besonderen und schönen Ergebnis geführt. Voraussetzung dafür war der gemeinsame Wille und das gemeinsame Ziel. Es ist deshalb das Ensemble als Ganzes, das mit seiner Vielfalt an unterschiedlichen Gebäuden und differenzierten Aussenräumen einzigartige und spezielle Atmosphären und Stimmungen schafft. Ein besonderer Raum ist für mich der Konzertsaal mit seinem spannenden Licht und S chattenspiel und dem sichtbar erhaltenen Originaldachstuhl.
Patrik Birrer: Für die Denkmalpflege war die Revitalisierung der Hofstätte eine grosse Herausforderung, personell wie fachlich. Umso mehr freue auch ich mich ob der gelungenen Gesamterscheinung. Ich kann heute sagen, wir haben uns am richtigen Ort fürs Richtige eingesetzt. Das Hagenhaus steht für unser Verständnis und die Kriterien einer hohen Baukultur – es ist ein Leuchtturmprojekt für Liechtenstein, und zwar nicht nur für den adäquaten Umgang mit historischer Bausubstanz.
Marcus Büchel: Mein Highlight ist das Wohnhaus mit all seinen schönen Details, die Geschichte ausatmen und Geschichten erzählen. Doch das Wohnhaus benötigt die anderen Gebäude, es wirkte verloren ohne das Ganze. Deshalb: Das HagenhausEnsemble ist ein wundervolles Ganzes mit einzelnen Diamanten drin. ●
Die Zimmer der Stipendiatinnen und Stipendiaten im Hagenhaus dienen auch als Übungsräume – akustische Kompromisse inklusive.
Das Hagenhaus ist ein Haus mit langer Geschichte: Welche Spuren werden gezeigt, welche retuschiert? Die fragmentarische Lösung führte zu Diskussionen zwischen Bauherrschaft, Denkmalpflege und Architekt.
Ein Haus und acht Stimmen
Alte Oberfläche auf neuem Untergrund
« Beim Ensemble Hagenhaus war die Harmonie zwischen den historischen Bauten und der neuen Architektur zentral. Darum haben wir überall dieselbe alte Technik, die sogenannte Kalkglätte, als einheitliche Oberfläche angewendet, zum Beispiel auch auf hochmodernen Dämmmaterialien. Das heisst: Wir haben Sumpfkalk und Sand gemischt und von Hand aufgearbeitet.
Wir waren zuständig für die Restaurierung der historischen Putzoberflächen im Treppenhaus, in den Korridoren und für die Neugestaltung der Schlaf- und Badezimmer und die Stallscheune, das Waschhaus und selbstverständlich das neue Hofhaus. Für die Oberflächen in den Schlafzimmern haben wir dem Sumpfkalk Rheinsand beigemischt, sodass ein grauer Farbklang entstanden ist. Denn es ist belegt, dass hier in der Region einst mit Sand aus dem Rhein gearbeitet wurde. Wichtig war uns, dass die Putzoberfläche in den Zimmern nicht zu homogen und perfekt wird.
Es braucht Erfahrung, um abwägen zu können, ob eine Unebenheit als Fehler oder willkommene Struktur wahrgenommen wird. Für die Badezimmer haben wir dem Sumpfkalk Marmormehl beigemischt. Dieser sogenannte Marmorino wurde früher für ornamental gestaltete Arbeiten verwendet. Dass eine noble Technik im Badzimmer zum Zug kommt, finde ich richtig, verbringt doch der Mensch heutzutage hier viel Zeit. Die krontaubenblau eingefärbte Marmorino-Oberfläche haben wir am Schluss mit Olivenseife und Carnaubawachs behandelt, sodass das Wasser schön abperlt. Im Konzertsaal haben wir unzählige Proben gemacht, um herauszufinden, ob ein Lehm- oder Kalkputz das akustisch bessere Resultat gibt. Weil beides zum gleichen Resultat führte, haben wir uns – im Dienst der Harmonie – für den Kalkputz entschieden. » Lukas Beck, Gebrüder Beck Stuck – Putz – Trockenbau
Ein Begegnungsort im Herzen von Nendeln
« Musik hatte immer einen positiven Einfluss auf mein Leben und kann mich immer wieder motivieren. Das habe ich als Vierjährige, als ich zum ersten Mal an einem Klavier sitzen durfte, eindrücklich erlebt. Seither lässt mich die positive Wirkung der Musik nicht mehr los und ich bin davon überzeugt, dass Musik den Menschen in vielen Situationen helfen kann. Darum ist mir auch die Musikförderung ein grosses Anliegen – und zwar in doppelter Hinsicht. Einerseits bin ich seit Jahren Mitglied im Freundeskreis der Musikschule Liechtenstein, um die Breitenförderung zu unterstützen. Andererseits braucht es aber auch die Exzellenz. Deshalb engagiere ich mich als Stiftungsrätin der Musikakademie im Fürstentum Liechtenstein. Sie fördert junge, hochtalentierte Musikschaffende, die mit ihrem Können und Konzerten vielen Menschen einzigartige und berührende Augenblicke schenken und so deren Leben bereichern.
Dass das restaurierte Hagenhaus mit der Musikakademie eine ideale Nutzerin erhalten hat, ist ein Glücksfall. So konnte zum einen das Haus, in dem sich einst die älteste Post des liechtensteinischen Unterlandes befand, als Zeitzeuge erhalten werden. Eine traurige Vorstellung, dass das geschichtsträchtige Haus abgerissen worden und einem Neubau gewichen wäre ! Zum anderen kann sich das Hagenhaus als Begegnungsort für Menschen aus Liechtenstein und der Region etablieren. Der einzigartige Konzertsaal mit dem neuen Foyer eignet sich hervorragend dafür. Ich wünsche der Musikakademie und allen Gästen des Hagenhauses viele berührende und inspirierende Stunden im Herzen von Nendeln. » Christina Zeller, Stiftungsrätin der Musikakademie in Liechtenstein und Donatorin
Engagement für ein Lebenswerk
« Im Hagenhaus werden Studierende mit einem Stipendium der Musikakademie in Liechtenstein eindeutig bessere Bedingungen haben. Das Ensemble mit Wohnhaus, Foyer, Konzertsaal und Garten bietet einen Mehrwert. Dass die Studierenden unbeschwert mit ihren kostbaren Instrumenten durch eine unterirdische Verbindung vom Wohnhaus ins Foyer und den Konzertsaal gelangen können, ist fantastisch.
Wissen Sie, die Musik ist ein hartes Business. Die Vorbereitung auf Wettbewerbe ist deshalb ein fundamentaler Teil. Hochrangige Dozierende erteilen hier in den Intensivwochen Unterricht auf ihrem Instrument, bieten aber auch eine holistische Ausbildung zu Lebensthemen wie Gesundheit, Umgang mit der psychischen Belastung und Karriereplanung sowie Ensemblespiel. Einer unserer Stipendiaten, der 17-jährige gebürtige Wiener Violinist Leonhard Baumgartner hat dieses Jahr den ‹ Eurovision Young Musicians 2024 › gewonnen. Das macht mich stolz.
Zum zehnjährigen Jubiläum der Musikakademie habe ich mich vor die heruntergekommene Stallscheune gestellt und mir vorgestellt, dass aus ihr ein erstklassiger Konzertsaal entsteht. Nun ist er fertig, hat eine tolle Akustik und von der viel befahrenen Strasse hört man rein gar nichts. Ich bin wirklich sehr erleichtert über das grossartige Resultat, denn auch wenn alles gut durchdacht und berechnet ist – b ei der Akustik kann es immer wieder böse Überraschungen geben. Das Musiklabel Naxos hat den Saal als Aufnahmeort entdeckt und bereits vier Aufnahmen gemacht. Als Initiant der Musikakademie freue ich mich darauf, mich für mein Lebenswerk an diesem ausserordentlichen Ort zu engagieren. » Dražen Domjanic, Künstlerischer Leiter der Musikakademie in Liechtenstein
Ausserordentlich viel originale Substanz
« Das Hagenhaus war eine grosse Freude, da viel originale Substanz vorhanden war: Türen, Fenster, Fensterläden, Riemenböden und die Treppe. Das ist alles andere als alltäglich und hat damit zu tun, dass die Erbauer vermögend waren und später am Haus nur sehr wenig verändert wurde. Sparsamkeit kommt oft der Denkmalpflege oder eben auch uns Restauratoren zugute. Schauen Sie sich die noble, klassizistische Treppe an: Sie besteht aus mindestens fünf Holzarten. Wir haben sie Stück für Stück nummeriert, abgebaut und in unserer Werkstatt restauriert.
Der temporäre Abbau war auch deshalb nötig, weil die feine Treppe die Umbaustrapazen sonst nicht überstanden hätte. Für die Bauphase haben wir eine Ersatztreppe eingebaut. Bei den Riemenböden sind wir gleich vorgegangen: Alle Bretter wurden sorgfältig nummeriert, ausgebaut und dann wieder eingebaut. Das Brett, auf dem ich jetzt stehe, lag vor der Restaurierung genau hier. Die Dachbalken haben wir sorgfältig mit einem Nussschalengranulat und einem Spezialsandstrahler gereinigt.
Die Fenster aus der Erbauungszeit erfüllten die bauphysikalischen Anforderungen nicht. Bei der Gestaltung der neuen Fenster orientierten wir uns am Erscheinungsbild und der Bauweise der Substanz. Drei gut erhaltene Fenster wurden restauriert und wieder eingebaut, um die ursprüngliche Bauweise zu veranschaulichen. Als Schreiner, der sich auf die Restaurierung historischer Objekte spezialisiert hat, ist mir der Erhalt originaler Substanz wichtig. Darum habe ich mich gegen die einmal geplante Bodenheizung eingesetzt. Mit einer Bodenheizung hätten wir alle Böden sechs Zentimeter anheben müssen, was Konsequenzen für alle Türen, Raumhöhen und Treppenanschlüsse gehabt hätte. Ich bin froh, können die Räume nun ihre ursprüngliche Wirkung entfalten. » Sigi Korner, Holzrestaurator, Anstalt für Holzrestaurierung
Das Fragmentarische erhalten und zeigen
« Viele Leute in der Gegend ahnten, dass das Hagenhaus b edeutungsvoll ist, gleichzeitig erachteten viele es aufgrund seines erbärmlichen Zustands als wertlos. Zwei Bewertungen prallten aufeinander – als Psychologe kommt mir da der Begriff der ‹ kognitiven Dissonanz › in den Sinn. Das inter essiert mich, denn auch in meinem Beruf kann ich mich nicht von Äusserlichkeiten beeindrucken lassen, mich beschäftigen das Innere und die eigentlichen Qualitäten. So bin ich in meinen Recherchen auf ein erhellendes bau- und kulturgeschichtliches Gutachten über das Hagenhaus gestossen.
Das Hausinnere offenbarte viele Überraschungen, vor allem zwei möchte ich erwähnen: der Originalzustand der wunderbaren Biedermeiertreppe und der Türen sowie die ausserordentlichen Malereien, die später unter dem Täfer und den vielen Farbschichten zum Vorschein kamen. Wie diese Malereien restauriert und dabei auf jegliche Rekonstruktion verzichtet wurde, ist geradezu eine künstlerische Arbeit. Den Architekten war das Ergebnis anfänglich zu unruhig, aber die Stiftung hat sich für diese radikale, substanzerhaltende Lösung eingesetzt. Das Fragmentarische soll erhalten und gezeigt werden. Die Ästhetik der Glätte und Makellosigkeit hingegen ist mir suspekt.
Die Stiftung Hagenhaus, die aus dem Verein ‹ Pro s’Hagen-Huus z’Nendla › hervorgegangen ist, schätzt sich glücklich, mit der Musikakademie eine überzeugende Nutzerin gefunden zu haben. Für die spezifischen Bedürfnisse der Akademie als Musiklehranstalt und -veranstalterin haben die Architekten respektvolle Lösungen gefunden. Das neue Hofhaus passt in den Proportionen und der Materialisierung, ohne die beiden historischen Gebäude zu dominieren. Es fügt sich perfekt ein. » Marcus Büchel, Präsident Stiftung Hagenhaus
Über die Schönheit von abgehenden Bäumen
« Eigentlich liegt das Hagenhaus an einem schrecklichen Ort: an einer der verkehrsreichsten Strassen des Landes. Und es ist auch klar, dass viele Konzertbesuchende mit dem Auto anreisen werden. Trotzdem war es uns wichtig, dass nicht ein grosser Parkplatz das Ganze dominiert. Darum haben wir zwei kleinere Plätze gemacht, die sich besser integrieren. Das Hagenhaus mit der grossen Stallscheune, dem Waschhaus und dem Schützenhäuschen lese ich als Kulturensemble in einer Kulturlandschaft. Bilder einer extensiven Landwirtschaft mit Streuobstwiesen dienten uns bei diesem Projekt als Referenz.
Ein paar Obstbäume haben wir neu gepflanzt, um das Ensemble mit der Landschaft zu verzahnen. Drei alte Bäume wollten wir unbedingt erhalten: einen stattlichen Nussbaum, einen alten Apfelbaum und einen Birnbaum, der schon ziemlich versehrt ist.
Abgehende Bäume sind besonders wertvoll und schön. Zum einen sind sie von grossem ökologischem Nutzen, zum anderen erzählt ein solcher Baum Geschichten und macht die Zeit sichtbar. Im Leitbild ist festgeschrieben, dass dieser Birnbaum eines Tages durch einen HochstammObstbaum ersetzt werden muss.
Der Garten mit den Staudeninseln und Parkbänken ist dem Bauerngarten nachempfunden. Allerdings ist er nicht so formalisiert, sondern darf wilder sein. Sie wundern sich über die Apfelbaumhecke an der Feldkircherstrasse ? Dass man auch Apfelbäume für Hecken verwenden kann, habe ich einmal in Belgien gesehen. Das Bild hat mich seither begleitet, und hier haben wir die Idee zum zweiten Mal umgesetzt. Mich fasziniert nämlich, wie viele Bäume und Sträucher sich eigentlich in Heckenform schneiden lassen. » Günther Vogt, Landschaftsarchitekt und Inhaber des Büros Vogt Landschaftsarchitekten
Ein Austausch auf
höchstem Niveau
« 2016 war ich zum ersten Mal Stipendiatin an der Musikakademie Liechtenstein. Für mich war das ein riesiges Glück. Hier habe ich meinen späteren Lehrer, Claudio Martínez Mehner, kennengelernt. Später studierte ich bei ihm an der Hochschule für Musik in Basel.
Als Stipendiatin erhielt ich nicht nur eine Woche lang intensiven Klavierunterricht, genauso wichtig war, dass durch den ganzheitlichen Unterricht meine Vorstellungen des Musikerberufs Konturen erhielten. Und: Ich bin vielen inspirierenden und talentierten Menschen begegnet. Ich besuchte damals zwar das Musikgymnasium in Feldkirch, doch hier an der Musikakademie war ein Austausch auf höchstem Niveau möglich. Wir konnten fantastisch voneinander lernen !
Auch der Vergleich mit den anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten war für mich wichtig. Ich erkannte, wie vielfältig die Wege und Möglichkeiten in der Musik sind und wie unterschiedlich man mit Stärken und Schwächen umgehen kann. Alt und Neu bilden hier im Hagenhaus eine wunderbare Einheit. Ich spüre, dass diese Kombination stimuliert, und darum freut es mich, dass die Musikakademie hier im Hagenhaus eine neue Heimat gefunden hat. Als Stipendiatin würde ich mich in den Pausen sicher gerne mit einem Buch unter den prächtigen Nussbaum setzen. Die Seele des Ensembles ist für mich eindeutig der Konzertsaal. Hier wurde eine traditionelle Stallscheune in etwas Neues verwandelt. Das ist absolut vergleichbar mit Musik: Sie basiert auf Tradition und lebt von der Entwicklung. Für den Konzertsaal habe ich eine Konzert-Reihe konzipiert, in der wir Musik, Literatur und Kunst kombinieren. Dass hier ein Steinway- und ein Bösendorfer-Flügel stehen, ist grossartig. Das sind zwei ganz verschiedene Klangwelten. » Isa-Sophie Zünd, Pianistin, ehemalige Stipendiatin der Musikakademie in Liechtenstein
Der dekorative Bestand im Mittelpunkt
« Die Fassade war in einem desolaten Zustand. Der Kalkverputz sandete stark aus und wies grossflächig Putzabplatzungen auf. Es wäre ein unverhältnismässiger Aufwand gewesen, ihn zu erhalten. Darum wurde der Verputz beim Wohn- und Waschhaus bis auf das Mauerwerk entfernt und neu aufgebaut: Grundputz, Deckputz und dann sechs, sieben mit der Bürste aufgetragene freskale Kalkanstriche – alles Handarbeit. Zu fünft schafften wir pro Tag eine halbe Fassadenseite.
Zuerst machten wir eine systematische Bestandsaufnahme der Oberflächen aussen und innen. Zum Teil holten wir mit Lupenbrille und Skalpell Farbschicht um Farbschicht hervor. Anhand dieser Befunde erarbeiteten wir ein Massnahmenkonzept. Uns war bewusst, dass sich bei den laufenden Arbeiten immer wieder neue Situationen ergeben, die mit Bauherrschaft und Denkmalpflege besprochen werden müssen. Da dem damaligen Bauherrn wohl das Geld ausgegangen war, waren ganz zuerst alle Räume weiss. Dann kam die erste ornamentale Bemalung, später folgten viele weitere Übermalungen, Tapeten, ein Täfer und neue Farbschichten. Wir entschieden, den ursprünglichen dekorativen Bestand in den Mittelpunkt zu stellen. Weil das Täfer mit tiefen Holzbolzen in der Wand montiert war und aufgrund der vielen Farbanstriche ist die ornamentale Malerei letztlich ein Fragment. Wir haben freigelegt, gefestigt, gekittet und retuschiert, aber nichts rekonstruiert. Wenn jemand nicht versteht, warum wir Linien nicht komplementiert und Malereien ausgebessert haben, erkläre ich das gerne mit meiner Picasso-Geschichte: Nehmen Sie an, ich habe ein Gemälde von Picasso, das so stark beschädigt ist, dass nur noch 49 Prozent Picasso vorhanden ist. Würde ich alles ergänzen, bestünde das Bild zu 49 Prozent aus Picasso und zu 51 Prozent aus Mutter, das wäre ein enormer Wertverlust. » Matthias Mutter, Atelier für Konservierung und Restaurierung
Eine Baugeschichte des Widerstands
Das Hagenhaus war die erste königlich-kaiserliche Poststelle im liechtensteinischen Unterland. Trotz der bewegten Geschichte und einer Unterschutzstellung durch die Denkmalpflege verkam es ab den 1990er-Jahren zusehends. Erst privates Engagement ermöglichte seine Instandsetzung.
Als der Vaduzer Baumeister Joseph Anton Seger 1837 das Hagenhaus plante, war Bauen in Liechtenstein gar nicht erlaubt. Das Bauverbot sollte das Bevölkerungswachstum eindämmen und verhindern, dass sich die Bevölkerung verschuldete. Aufgehoben wurde das Bauverbot offiziell nie, doch weil die beiden bürgerlichen Landbesitzer Dominick Öhri und Alois Schlegel genügend Geld und politisches Durchsetzungsvermögen hatten, wurden sie wohl nie für ihre Gesetzesübertretung belangt. Es war nicht nur ungewöhnlich, dass die beiden bauten. Ungewöhnlich war für jene Zeit auch ihr Bauobjekt: Das Hagenhaus ist ein Doppelwohnhaus, in zwei Hälften unterteilt mit je einer eigenen Küche. Eine gemeinsame grosse Stallscheune, ein Waschhaus und das Schützenhäuschen ergänzen das Ensemble. In welchem Verhältnis die beiden Familien zueinander standen und warum sie sich entschieden, in dieser damals unkonventionellen Form zusammenzuleben, ist nicht überliefert.
Vom Mehrfamilienhaus zur Poststelle
1864 wurde Alois Schlegel Postmeister und so gewann die Hofstätte zusätzlich an Bedeutung. Die neue « K & K Postexpeditionsstelle » im Liechtensteiner Unterland s ollte helfen, den zunehmenden Postverkehr zu bewältigen. Die Hofstätte war mit ihrer Lage an der wichtigen Durchgangsstrasse und den nötigen Gewerberäumen im Erdgeschoss perfekt geeignet. Nach Schlegels Tod 1887 übernahmen sein Sohn Franz als Postmeister und die Tochter Maria als Postbotin die Poststelle. 1912 wurde sie ins grössere Eschen verlegt. Die Gründe für die Verlegung sind nicht geklärt, doch sie geschah zu einer Zeit, als sich das Postwesen in Liechtenstein stark wandelte. Ein Jahr zuvor hatte das Land mit Österreich einen neuen Postvertrag abgeschlossen und ab 1912 gab die Post in Liechtenstein ihre ersten eigenen Briefmarken heraus.
In den folgenden Jahren fand eine Vielzahl von Gewerberäumen im Hagenhaus Platz, unter anderem eine Sattlerei, eine Schneiderei und eine Schusterwerkstätte. Trotzdem blieb die Zeit als Poststelle prägend für die Identität des Gebäudes. Durch die Erbnachfolge von Maria Schlegel gelangte das Haus über mehrere Generationen in die Familie Hagen, die ihm seinen heutigen Namen gab.
1985 ging das Ensemble schliesslich von Pia Hagen an die Erbengemeinschaft Hörndlinger über. Schon im darauffolgenden Jahr stellte das Haus die Familie vor die ersten Schwierigkeiten: Ein Sturm hatte grosse Hagel -
schäden am Dach verursacht. Sie baten das Land Liechtenstein um einen Beitrag an die aufwendige Neueindeckung. Das Land genehmigte ihren Antrag unter der Bedingung, dass das wichtige Objekt unter Denkmalschutz gestellt wird. 1988 einigten sich Land und Familie auf die formelle Unterschutzstellung.
Keine Lösung in Sicht Nach dem Tod des letzten Bewohners aus der HagenFamilie 1993 stand das Haus leer. Die Erbengemeinschaft unternahm mehrere Versuche, das Ensemble der öffentlichen Hand für einen Landabtausch abzutreten. Eine Investition war für sie nicht zu stemmen und eine Rendite erst recht nicht zu erwirtschaften. Trotz Workshops mit der Denkmalpflege, trotz Studien der Gemeinde für eine Sanierung und trotz einer 2007 eigens dafür gebildeten Kommission scheiterte das Projekt. Die Gemeinde konnte über die Nutzung und die Übernahme der Liegenschaft keine Entscheidung treffen und setzte deshalb andere politische Prioritäten. Aus dieser Zeit stammt auch ein baugeschichtliches Gutachten von Peter und Helen Albertin-Eicher, das die Hofstätte als « Liechtensteins wohl besterhaltene Hofanlage der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts » bezeichnet.
Auf dieses Gutachten stützte sich Marcus Büchel 2013 in seinem Artikel « Das alte Haus von Ro cky Docky », den er im Liechtensteiner Seniorenmagazin ‹ 60Plus › ver öffentlichte. Noch immer gab es keine Lösung für das Hagenhaus, dem die Spuren des Verfalls nach 20 Jahren Le erstand immer stärker anzusehen waren. Büchel beschäftigte sich schon länger mit dem liechtensteinischen Umgang mit historischer Bausubstanz. Er wohnt zwar in der Nähe, « aber auch ohne p ersönlichen Bezug fanden viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe, das Hagenhaus schon immer etwas Besonderes. Von ihm ging trotz –oder gerade wegen – des heruntergekommenen Zustands eine grosse Faszination aus. »
So empfand auch die Personengruppe, die sich zum Freundeskreis ‹ Pro s’Hagen-Huus z’Nendla › zusammentat. Der Jurist und Filmemacher Walter Matt produzierte einen Dokumentarfilm über das Haus, der grosse Aufmerksamkeit erhielt. Matt und Büchel initiierten 2015 die Umwandlung des Freundeskreises in einen Verein. Neben Büchel und Matt engagierten sich Personen, die mit dem Hagenhaus und dessen Bewohnerinnen seit Kindheit in Verbindung gestanden hatten oder sich bereits einmal für die
Weiterführende Literatur
– Peter und Helen Albertin-Eicher: ‹ Baugeschichtliches Gutachten ›. Büro für historische Bauforschung, Winterthur 2006. – ‹ Historisches Lexikon Liechtenstein › – Dr. Marcus Büchel: ‹ Morgenrot über der Hofstätte Hagenhaus. Chronik des Revitalisierungsprojektes. Festschrift zum Aufrichtfest ›, Nendeln 2023.
Zwei Briefmarken, ein Hagenhaus: Die Bilder zeigen die Postexpedition Nendeln 1864 sowie die Hofstätte an der Feldkircherstrasse im 20. Jahrhundert. Bilder: Liechtensteinisches Landesmuseum
Denkmalpflege engagiert hatten. So auch Michael Gerner. Mit einer möglichen Sanierung hatte er sich bereits 2007, zum Zeitpunkt der letzten Verhandlungen mit der Familie Hörndlinger, als Gemeinderat und Vertreter der Kommission ‹ Hagenhaus › auseinandergesetzt.
Leerläufe und ein Durchbruch
Trotz der bis dahin gescheiterten Zusammenarbeit mit Land und Gemeinde blieb es das erklärte Ziel des Vereins, die öffentliche Hand zum Kauf und zur Renovation des Ensembles zu bewegen. Kulturell, sozial oder einfach gemeinnützig sollte die neue Nutzung sein. Und so ging das Spiel mit der öffentlichen Hand von Neuem los: 2017 prüfte das Amt für Bau und Infrastruktur im Auftrag der Regierung, ob sie im Hagenhaus eine Amtsstelle oder Räume für eine Kunstschule einrichten könnten. Doch bereits ein Jahr später entschied die Regierung, das Projekt nicht weiterzuverfolgen. Unerwartet zeigte sich ein finanzieller Lichtblick – dank einer Stiftung. « Ein Freund aus Jugendzeiten, der meine Artikel über Baudenkmäler aufmerksam zu lesen pflegte, rief mich an und erzählte, dass sie in ein baukulturelles Projekt in Liechtenstein investieren wollten », erzählt Büchel.
Anlässlich des 300-Jahr-Jubiläums von Liechtenstein 2019 wollte diese Stiftung ein markantes Zeichen setzen und stellte einen beträchtlichen Förderbeitrag in Aussicht. Damit war zum ersten Mal daran zu denken, das Projekt auf privater Basis zu realisieren; daher entschied sich der Verein, das Projekt selbst voranzutreiben. « Wir hat ten immer die Einstellung ‹ Geht nicht gibts nicht › und waren offen für unerwartete Lösungen », erzählt Gerner, der das Vereinspräsidium 2019 von Irene Lingg-Beck übernommen hatte. Weil die Spende an das nationale Jubiläum geknüpft war, musste es nun schnell vorwärts gehen. Der
Verein trieb nicht nur die Finanzierung voran, sondern suchte nach einer geeigneten Nutzung und nahm die Verhandlungen mit der Familie Hörndlinger neu auf. Diese erklärte sich bereit, den Boden im Baurecht abzugeben. Ende 2019 rückte die Renovation in machbare Nähe.
Zur gleichen Zeit befand sich die internationale Musikakademie in Liechtenstein auf der Suche nach einem Standort, der ihre Unterrichtsräume, Wohnungen und –daran waren bisherige Optionen gescheitert – einen Konzertsaal vereinen würde. Der Verein stellte sein Projekt dem Verwaltungsratspräsidenten, Otmar Hasler, und dem Geschäftsleiter der Schule, Dražen Domjanic, vor.
Büchel erinnert sich, wie er zusammen mit Domjanic die Hofstätte zum ersten Mal besuchte: « Als wir das Tenn betraten, kehrte andächtige Stille ein. Es vergingen ein paar Sekunden, dann rief Dražen aus: ‹ Das ist ein Konzertsaal! › » Doch bevor man sich auf ein gemeinsames Projekt einlassen konnte, gabs noch etliche Hausaufgaben zu machen. Der Verein gab zuerst eine Machbarkeitsstudie beim Bregenzer Architekturbüro Cukrowicz Nachbaur in Auftrag. Die Studie überzeugte alle Beteiligten. Finanzen in erheblichem Ausmass waren noch zu beschaffen. Hilfreich war der in Aussicht gestellte Landesbeitrag.
Damit stellten sich neue rechtliche Fragen. « Wir entschie den uns, eine Stiftung zu gründen, die die Rolle der Bauherrschaft übernehmen und Donatoren gewinnen sollte », so Michael Gerner. Der Stiftungsrat setzt sich aus den Mitgliedern des Vereinsvorstands zusammen ; zusätzlich liess sich der Jurist Michael Ritter für den Stiftungsrat gewinnen. Der Verein solle, so wurde beschlossen, weiter als Förderverein bestehen bleiben. Die Stiftung hat das Recht, das Gebäude an 40 Terminen im Jahr mit öffentlichen Veranstaltungen zu bespielen. Allenfalls könnte der Verein dabei eine Rolle übernehmen. ●
Stiftung Hagenhaus
Die gemeinnützige Stiftung wurde 2020 auf Initiative des Vereins ‹ Pro s’HagenHuus z’Nendla › gegründet . Sie sorgte für die Finanzierung des Revitalisierungsprojekts und übernahm die Rolle der Baurechtsinhaberin, Besitzerin und Bauherrschaft. Heute ist die Stiftung Vermieterin der Hofstätte. Ihr primärer Stiftungszweck ist, die Hofstätte zu erwerben und diese unter Berücksichtigung denkmalpflegerischer Anforderungen instand zu setzen und zu bewahren. Zweiter Auftrag ist es, eine kulturelle, soziale oder auf Bildung ausgerichtete Nutzung sicherzustellen. Die Stiftung kann sich auch für den Erhalt und die Förderung anderer liechtensteinischer Objekte mit baukultureller Bedeutung einsetzen. Stiftungsrat ( Foto, v. l. n r ): Dr Michael Ritter, Michael Gerner ( Vizepräsident ), Norbert Batliner, Dr. Marcus Büchel ( Präsident ), Philipp Eigenmann, Willy Marxer, Ferdinand Schurti.
Verein ‹ Pro s’Hagen-Huus z’Nendla › 2015 entstand aus dem Freundeskreis ‹ s’Hagen-Huus z’Nendla › der Verein ‹ Pro s’Hagen-Huus z’Nendla ›. Dessen Ziel: Die Renovation beziehungsweise Restaurierung der alten Liegenschaft, damit diese « für eine kulturelle, soziale oder andere gemeinnützige Nutzung zur Verfügung gestellt werden kann ». Mehrere Initiativen des Vereins, die öffentliche Hand dafür zu gewinnen, blieben erfolglos. Zwar prüfte das Land 2018 einen Umbau für eine landesnahe Organisation, entschied sich jedoch letztendlich dagegen. Erst als die Eigentümerfamilie einwilligte, einen Baurechtsvertrag über 70 Jahre abzuschliessen, kam wieder Bewegung in die Sache. Ein zweiter wichtiger Baustein für das Gelingen des Vorhabens war, eine passende Nutzerin für das Haus zu gewinnen. Diese fand der Verein in der Stiftung ‹ Musikakademie in Liechtenstein ›.
2019 gab der Verein bei Cukrowicz Nachbaur Architekten eine Machbarkeitsstudie in Auftrag. Für die konkrete Umsetzung der Revitalisierung der Hofstätte gründete der Verein 2020 die Stiftung Hagenhaus.
Vereinsvorstand: Michael Gerner ( Präsident ), Philipp Eigenmann, Dr. Marcus Büchel, Willy Marxer, Norbert Batliner.
Musikakademie in Liechtenstein
Die Musikakademie wurde 2010 von der gemeinnützigen Stiftung ‹ Musik & Jugend › gegründet. Initiiert haben sie die beiden Stifter Günter und Rose-Marie Brock sowie der Pianist und Musikpädagoge Dražen Domjanic, der heute künstlerischer Leiter und Geschäftsführer der Musikakademie ist. Die von Stiftungen und Donatorinnen finanzierte Akademie hat sich schnell zu einer der führenden musikalischen Talentschmieden in Europa entwickelt. Ihr Ziel: eine exzellente Ausbildung für junge Menschen. Junge Musikschaffende im Alter von 9 bis 30 Jahren können sich um einen Platz bewerben. Die Ausbildung fokussiert auf die drei Instrumente Klavier, Violine und Violoncello. Die verschiedenen Ausbildungsprogramme werden in Intensiv-Wochen mit täglichem Unterricht und in Kleingruppen mit maximal sechs bis sieben Studierenden durchgeführt und von Professorinnen und Professoren geleitet. Teil des Programms ist auch die Mitwirkung in Orchestern und eigenen Ensembles rund um die Welt. Die Studierenden lernen ausserdem, sich zu präsentieren, mit Finanzen umzugehen, auf ihren Körper und ihre Gesundheit zu achten und Verantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen.
www.hagenhaus.li
www.musikakademie.li
« Es ist unsere Aufgabe, Lösungen aufzuzeigen »
Architekturprofessor Daniel Stockhammer über die Baukultur Liechtensteins
Historische Gebäude haben hierzulande aus ökonomischen Gründen kaum Daseinsberechtigung, aber auch neuere Bauten sind vor dem Abriss nicht gefeit, wenn sich ihre Rendite nicht rechnet. Wann wird Re-use und Upcycling zum Thema im Fürstentum?
Daniel Stockhammer: Wenn darin ein Mehrwert erkannt wird. Das bleibt allerdings eine Herausforderung, solange wir keine Realkostenrechnung haben. Weil Wiederverwendung noch immer aufwendiger ist, als neue Rohstoffe der Natur zu entnehmen und als Abfälle zurückzugeben, benötigt es besonders viel Überzeugungsarbeit ; nicht nur in Bezug auf Umweltschutz, sondern auch für die immateriellen Werte, wie Erinnerung und Identität. Es gibt im Land aber mittlerweile auch entsprechende Initiativen und Projekte zum Thema Erhaltung: etwa einen Makerspace und ein Repair-Café, neu ist Reparatur auch eine Lehrveranstaltung in unserem Studienplan. Unser Lehrund Forschungsteam befasst sich mit Wiederverwendung und zirkulärem Bauen. Ausserdem bemüht sich eine lokale Initiative um die Vermittlung von Bauteilen. Die Umsetzung und breite Anwendung steht aber noch am Anfang. Wie schätzen Sie den Umgang Liechtensteins mit seiner historischen Bausubstanz ein?
Klassische historische Baudenkmäler werden auch mal überpflegt, gute Alltagsarchitektur hat es eher schwer. Ein leeres Bauernhaus mit Scheune wird eher als Zumutung empfunden. Es ist deshalb wichtig, Alternativen zur klassischen Denkmalpflege zu entwickeln, wie etwa Umnutzung und Wiederverwendung auch von neuerer Alltagsarchitektur. Ich sehe es als Aufgabe unserer Architekturschule, Lösungen aufzuzeigen, die punkto Qualität, Komfort und Rendite mithalten können – ohne dafür die eigene Vergangenheit gänzlich auslöschen zu müssen.
Wieso wird das Verschwinden von älteren, aber auch zeitgenössischen Bauten kaum diskutiert ?
Ich glaube nicht, dass kein Interesse da ist. Es ist vielmehr das noch fehlende Wissen um die Chancen und Potenziale der Erhaltung und Wiederverwendung. Dazu kommt, dass die Szene der Baufachleute und der fachliche Diskurs in den Medien im Land klein sind. Noch fehlt es an Initiativen, die Schlagkraft entwickeln.
Wie könnte man dafür sorgen, dass in Liechtenstein, aber auch in Westeuropa mehr Gebäude umgenutzt oder transformiert werden?
Architektinnen und Architekten sollten den Fokus vermehrt auf die Potenziale und Chancen – die immateriellen Güter –des Baubestandes lenken und mit guten Beispielen vorangehen. Kluge Wieder- und Weiterverwendung ist nicht nur umweltfreundlich, sie schafft ein Bewusstsein für Geschichten, Geschichte und Identität. Den Fokus auf das Schöne, das « neue Neu » zu legen, setzt vermutlich mehr Energie und Initiativen frei als ein Diskurs über Emissionswerte, technische Lösungen und neue Umweltabgaben. Daniel Stockhammer ist Professor und Dekan der School of Architecture der Universität Liechtenstein. Er leitet die Fachgruppe ‹ Bauerbe & Upcycling › und ist Heraus geber der Publikation ‹ Up cycling. Reuse and Repurposing as a Design Principle in Architecture / Up cycling. Wieder- und Weiterverwendung als Gestaltungsprinzip in der Architektur ›, Triest Verlag, Zürich 2020. ●
Klangvolles Denkmal
Nachdem jahrelang erfolglos um den Erhalt des Hagenhauses im liechtensteinischen Nendeln gerungen worden war, hat die Stiftung Hagenhaus das historische Wohnhaus mit Stall, Wasch- und Schützenhaus restauriert, renoviert und um einen Neubau ergänzt. In die Hofstätte eingezogen ist die internationale Musikakademie Liechtenstein, deren Studierende im historischen Wohnhaus tagsüber üben und abends im zum Konzertsaal umgebauten Tenn auftreten. Das Themenheft erzählt die Bau- und Hausgeschichte des denkmalgeschützten Ensembles, kommentiert, wie die Architektur Alt und Neu inszeniert, lässt Handwerker und Initianten zu Wort kommen und diskutiert den architektonischen, denkmalpflegerischen, aber auch ökonomischen Umgang mit dem Baudenkmal. www.hagenhaus.li
Gemeinnützige Stiftung Hagen-Haus
AMT FÜR KULTUR FÜRSTENTUM LIECHTENSTEIN
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