Themenheft von Hochparterre, März 2018
Schatten im besten Licht
Helle Räume benötigen Schutz vor Sonne und Wärme: Wie die Planer und der Storenbauer Kästli das Zusammenspiel von Hell und Dunkel schaffen.
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Bunte Markisenstoffe im Lager des Storenbauers Kästli in Belp.
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Inhalt
Editorial
4 Die Kleider dreier Häuser Drei Meilensteine der jüngeren Schweizer Architekturgeschichte zeigen das gestalterische Potenzial der textilen Hülle.
10 Treffpunkt Fassade Im Interview erklären Emmer Pfenninger Partner die Zusammenarbeit der verschiedenen Gewerke.
12 Innenhöfe im Dienst Atrien spielen architektonisch eine zentrale Rolle, zum Beispiel beim Elsässertor in Basel oder beim WTO-Hauptsitz in Genf.
16 Ein Lob auf den Schatten Gerhard Matzig ergründet in seinem Essay, weshalb Licht und Schatten ohne einander nicht können.
18 Stoff für edle Damen Die Renovation des Hotels Royal Savoy in Lausanne demonstriert den denkmalpflegerischen Nachbau einer Markise.
2 0 Massarbeit aus Belp Ein Besuch beim Storenspezialisten Kästli zeigt, wie Speziallösungen für Architekten entstehen.
Schattenstoff
Die Häuser von heute sind gläsern und licht wie kaum je zuvor. Umso wichtiger ist in dieser Ära der Entmaterialisierung der Schatten – diesem widmet sich dieses Themenheft. Hergestellt wird er unter anderem mit Storen aus Stoff. Drei Meilensteine der jüngeren Schweizer Architekturgeschichte zeigen das gestalterische Potenzial solcher textilen Hüllen. « Es ist ein verblüffender Moment, wenn sich die Sonnenstoren wellenartig über die Glasfassade legen », beschreibt Autor Marcel Bächtiger das Ausfahren des textilen Sonnenschutzes, der an Herzog & de Meurons Gebäude für Roche in Basel nicht nur die Materialität des Gebäudes, sondern auch seine Gestalt verändert. Dieses spannungsvolle Vorher / Nachher hat der Lausanner Fotograf Cédric Widmer festgehalten. Weiter erläutert ein Gespräch mit den Fassadenplanern Emmer Pfenninger, weshalb ein flexibler, aussenliegender Sonnenschutz meist die beste Lösung für den sommerlichen Wärmeschutz ist und welche Herausforderungen sich an der Hülle des Hauses sonst noch stellen. Sie müssen es wissen, arbeiten sie doch seit dreissig Jahren für Architekten weltweit: Frank O. Gehry, Foster + Partners oder Jean Nouvel. Gerhard Matzig, leitender Redakteur und Architekturkritiker der ‹ Süddeutschen Zeitung ›, erläutert in seinem Essay treffend, weshalb sich die Architektur ihrer Schattenseiten wieder gewiss werden muss. Ein Besuch in der Storenmanufaktur Kästli schliesslich zeigt, wer diesen Schatten fertigt – mit viel Geschick und cleverer Konstruktion entsteht in Belp Massarbeit für die lichten Häuser der Architekten. Lilia Glanzmann
Impressum Verlag Hochparterre AG Adressen Ausstellungsstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41 44 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag @ hochparterre.ch, redaktion @ hochparterre.ch Verleger und Chefredaktor Köbi Gantenbein Verlagsleiterin Susanne von Arx Konzept und Redaktion Lilia Glanzmann Fotografie Cédric Widmer, www.cedricwidmer.ch Art Direction Antje Reineck Layout Juliane Wollensack Produktion Daniel Bernet, Sue Lüthi Korrektorat Lorena Nipkow, Elisabeth Sele Lithografie Team media, Gurtnellen Druck Somedia Production, Chur Herausgeber Hochparterre in Zusammenarbeit mit Kästli & Co. AG, Belp Bestellen shop.hochparterre.ch, Fr. 15.—, € 10.—
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Die Kleider dreier Häuser Keine Glasarchitektur ohne Sonnenschutz. Namhafte Schweizer Architekten zeigen an Neu- und Umbauten das gestalterische Potenzial der textilen Hülle. Text: Marcel Bächtiger
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Weise neu zu formulieren. Die folgenden drei Meilensteine der jüngeren Schweizer Architekturgeschichte zeigen das gestalterische Potenzial der textilen Hülle und die Art und Weise, wie die Architekten diese mit der Belper Als 2013 der Messeneubau von Herzog & de Meuron ein- Storenmanufaktur Kästli entwickelt haben. geweiht wurde, schrieb die ‹ Basler Zeitung › bewundernd, die Fassaden würden « zugleich kristallin und textil » wirMehr als eine Metapher Dass die Fassade eines Hauses nicht nur in einem ken – dabei bestehen sie aus Metallstreifen. Ja, der Begriff des Textilen geistert schon lange durch die Architektur- übertragenen, sondern auch in einem buchstäblichen geschichte, nur eben meist als Metapher: Selten ist damit Sinn textil sein kann, zeigt beispielhaft das Labor- und tatsächliches Gewebe, wirkliches Tuch oder echte Lein- Forschungsgebäude B92, das Herzog & de Meuron zwiwand gemeint. Auch der Basler Messebau ist nur insofern schen 1993 und 1995 projektierten und fünf Jahre später textil, als man in den Metallstreifen seiner Fassade etwas realisierten. Es ist eines von verschiedenen Projekten, die Gewobenes erkennen kann. Dabei gibt es in der Architek- die Architekten für die Basler Roche entwerfen konnten. tur durchaus Stoffliches, das aus Stoff hergestellt ist, und Der kürzlich fertiggestellte Roche-Tower liegt etwas veres gibt Verkleidungen, die sich je nach Witterung, Tempe- setzt auf der gegenüberliegenden Strassenseite. Städte ratur oder Nutzerbedürfnissen wie ein leichtes Gewand baulich nimmt das vergleichsweise kleine, aber doch stattum die Wand eines Hauses legen: Markisen und Storen liche neun Geschosse hohe B92 einen wichtigen Platz ein, aussen, Vorhänge und Gardinen innen. Aber wer wüsste bildet es doch so etwas wie das Eingangstor von der Stadt das besser als Herzog & de Meuron selbst, diese Tiefen- zum Firmengelände. Es steht auch für eine neue Offenforscher der Oberfläche ? Schon zwanzig Jahre vor dem heit, denn wo einst eine Schranke den Zutritt regulierte, Messebau war es ihnen gelungen, die alltägliche Präsenz markiert der Pharmariese heute mit einem transparenten → des Stofflichen in der Architektur auf überraschende Kopfbau öffentliche Präsenz.
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Labor- und Forschungs gebäude B92, 2000 Grenzacherstrasse, Basel Bauherrschaft: Roche, Basel Architektur: Herzog & de Meuron, Basel Fassadenplaner: Emmer Pfenninger Partner, Münchenstein Gebäudevolumen: 97 800 m³ Beschattung: Kästli Storen
Das Forschungsgebäude B92 in Basel: Der transparente Kopfbau ist das Eingangstor von der Stadt zu Roches Firmengelände.
Mit dem Ausfahren des textilen Sonnenschutzes verwandelt sich nicht nur die Materialität des Laborgebäudes, sondern auch seine Gestalt. Themenheft von Hochparterre, März 2018 — Schatten im besten Licht — Die Kleider dreier Häuser
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Umbau Bürogebäude, 2001 Hohlstrasse 560, Zürich Bauherrschaft: Helvetia Patria, Basel Architektur: Romero Schaefle Partner Architekten, Zürich Fassadenplaner: Mebatech, Baden Bausumme: Fr. 21 Mio. Beschattung: Kästli Storen
Ein eleganter kristalliner Kubus anstelle von Beton und Brüstungen: Romero Schaefle Partner haben den Bürobau aus den Siebzigerjahren umgebaut.
Das Acrylgewebe im gestalterischen Spiel mit der kristallinen Form des Gebäudes: so klar die Umrisse des Baus, so klar auch die textilen Flächen.
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Helvetia Hauptsitz, Erweiterungsbau West, 2017 Girtannersberg, St. Gallen Bauherrschaft: Helvetia, St. Gallen Architektur: Herzog & de Meuron, Basel Fassadenplaner: Emmer Pfenninger Partner, Münchenstein Gebäudevolumen: 18 822 m³ Beschattung: Kästli Storen
Die facettierte Fassade gleicht den Massstab der massiven Baukörper optisch an die kleinteiligere Bebauung des benachbarten Villenviertels an.
Die anthrazitfarbenen, textilen Storen hüllen die Baukörper bei Sonnenschein in ein edles Kleid. Themenheft von Hochparterre, März 2018 — Schatten im besten Licht — Die Kleider dreier Häuser
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→ Auf den ersten Blick – oder besser gesagt: zu bestimmten Zeiten – ist beim B92 alles Glas und alles Transparenz. Man sieht im Erdgeschoss die Eingangshalle, dann eine Wendeltreppe, die in grossem Schwung nach oben in ein doppelgeschossiges Foyer führt. Es ist auf drei Seiten vollständig verglast und öffnet sich zum gegenüberliegenden Solitude-Park. Im vierten Stock schliesslich liegt die Cafeteria und darüber die fünfgeschossige Bibliothek. Die Zwischendecken der Bibliothek sind von der Fassade zurückgesetzt, sodass die hängende Glasfront sich über die ganze Höhe der Bibliothek zieht und die Geschosse zusammenbindet. Auch von der massiven Rückwand, die den öffentlichen Kopfbau von dem dahinterliegenden Labortrakt trennt, treten die Geschossdecken zurück. So entsteht der Eindruck eines luftigen Raumgestells, für das eine Glasfassade die einzig logische Umhüllung darstellt. Logisch aber ist auch dies: Glas bedeutet Sonneneinfall, Glas bedeutet Erhitzung, und je grösser die Glasflächen ausfallen, desto dringender stellt sich die Frage nach dem Sonnenschutz. Was sonst Notwendigkeit wäre, wird in den Händen von Herzog & de Meuron zum Gestaltungsmittel. Mehr noch, sie verhilft dem Gebäude erst zu jener Qualität, die die besten Arbeiten der Basler Architekten auszeichnet: aus einem Bauwerk den Zauber herauszukitzeln, der die Betrachter staunen macht, der ihre Blicke irritiert, der sie etwas sehen lässt, was sie noch nie gesehen haben. Mit dem Ausfahren des textilen Sonnenschutzes nämlich verwandelt sich nicht nur die Materialität des Laborgebäudes, sondern auch seine Gestalt. Die umlaufenden, unterschiedlich weit auskragenden Storenkästen hätten einen eigentlich darauf vorbereiten können. Denn es ist ein verblüffender Moment, wenn sich die Sonnen storen wellenartig über die Glasfassade legen. Staunend bemerkt man, wie sie eine neue Silhouette beschreiben, die vorher nicht da war, und sehend versteht man, dass ihre zwei Wölbungen gleichzeitig das Innenleben nach aussen tragen: Hinter der unteren Wölbung befinden sich Foyer und Cafeteria, hinter der oberen die Bibliothek. Als hätte sich das Gebäude ein gerafftes Gewand übergeworfen, verdeckt der Stoff – ein transparentes Gittergewebe – in ausgefahrenem Zustand den Storenkasten der nachfolgenden Store. Alles wird textil. Das ‹ Kleid des Hauses › ist seit diesem Projekt keine Metapher mehr. Grafische Zeichnung im Aussenraum An der Hohlstrasse in Zürich, beim Bahnhof Altstetten, entsteht fast gleichzeitig ein Bürogebäude, das so frisch und zeitgemäss wirkt, dass der unwissende Betrachter nicht auf die Idee käme, es handle sich um einen Umbau. Ist es aber: Die Zürcher Romero Schaefle Partner Architekten haben den Bürobau aus den Siebzigerjahren 2001 einer radikalen Neugestaltung unterworfen. Wo früher Masse und Beton war, wo Brüstungen, Fassadenpfeiler und Laubengänge die Fassade unterteilten, steht heute ein eleganter kristalliner Kubus. Zwei Geschosse wurden aufgestockt, die kleinteilige Bürostruktur in Grossraumbüros verwandelt. Aussen zieht sich nun eine Fassade aus Glas und Aluminium um das Volumen, das vierseitig frei steht. Die Oberflächen muten auf den ersten Blick ausgesprochen glatt und homogen an, die Aluminium- und Glasflächen scheinen sich zu einer einzigen Haut zu verbinden. Von fern weiss sich das Gebäude damit als einfacher, klar konturierter Körper im Stadtgefüge zu behaupten. Beim genaueren Hinsehen zeigen sich feine Nivellierungen: Die scheinbar flächigen Fenster entpuppen sich als plastische Körper, die dunklen Fugen dazwischen als zurückversetzte Nischen mit Lüftungsflügeln. Erst von nah entdeckt man auch die Blenden der Sonnenstoren,
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die leicht aus der Fassade auskragen. Macht man einige Schritte zurück und blickt aus der Distanz auf das Gebäude, verschwinden sie wieder und werden, da ebenfalls aus Aluminium gefertigt, zu einem quasi unsichtbaren Element der Fassadenfläche. Umso prägnanter treten die Storen aus klassischem Acrylgewebe in ausgefahrenem Zustand in Erscheinung. Nun gehen sie ein gestalterisches Spiel mit der kristallinen Erscheinung des Gebäudes ein: So klar die Umrisse des Baukörpers, so klar sind auch die Flächen der Storen. Wie eine grafische Zeichnung stehen sie im Raum, zeichnen Diagonalen in die Luft, bereichern das Volumen um eine unerwartete zusätzliche Dimension – und dies je nach Sonnenstand und -intensität auf einer, zwei oder drei Seiten. So ändert das abstrakte Gebäude ständig sein Gesicht. Die filigrane Ausführung des Sonnenschutzes trägt ihren Teil dazu bei, die geometrische Anmutung der Erscheinung zu unterstützen. Die Fallarme der Storen sind schlank und aufs Äusserste reduziert. Neben Körper und Fläche treten so präzise feine Striche, die dem ohnehin faszinierenden Bild zusätzliche Komplexität verleihen. Dass sich die fast unmerklich variierenden Geschosshöhen wiederum in subtilen Dimensionsunterschieden der Storenflächen spiegeln, ist dann höhere Ästhetik. Hundert Schattierungen von Grau Zurück zu Herzog & de Meuron, aber nach St. Gallen, für ein letztes Beispiel des gestalterischen Potenzials der textilen Haut, die man gemeinhin ‹ Store › nennt. Seit 2002 stehen am Girtannersberg zwei faszinierende Glaskörper und blicken hinunter auf die Altstadt, 2004 folgte ein identischer dritter, diesen Sommer nun der vierte und letzte, der anders als die anderen quer zum Hang steht und darum auf zwei massigen Betonkegeln auflagert. Die charakteristische Fassade ist bei allen vier Trakten des Helvetia-Hauptsitzes dieselbe: Sie besteht aus nichts anderem als geschosshohen Glasscheiben, die allerdings nicht bündig in der Fläche sitzen, sondern sich in alle Richtungen neigen. So reflektieren sie einmal den Himmel, einmal die gebaute Nachbarschaft, einmal den üppigen Garten zu ihren Füssen. Von der anfänglichen Irritation über die verwackelten Fassaden – darf man das ? – ist die Freude an der Lebendigkeit des Bildes übrig geblieben: wie sich der schlichte Baukörper tagsüber in ein kaleidoskopartiges Spiegelmosaik und nachts in einen leuchtenden Setzkasten verwandelt und wie die Vielfalt der Perspektiven in Dialog mit den eleganten Proportionen tritt. Heute gilt das Gebäude als Meilenstein in der Geschichte der neueren Glasarchitektur. Aber was macht man mit dem Sonnenschutz an einem Bau, der seinen Reiz ganz dem Wechselspiel von Reflexion und Durchblick verdankt ? Zuerst einmal sollte er in eingefahrenem Zustand das Bild nicht stören. Und tatsächlich fällt nur der Fachperson auf, dass es hier überhaupt Storen gibt: Der Storenkasten ist Teil des Fensterkastens, der aufgrund der unterschiedlichen Neigungen ohnehin plastisch aus der Fassade tritt. Die Führungsschienen sind als vertikale Schlitze seitlich eingelassen. Erstaunlich dann der Effekt, wenn die Storen heruntergelassen werden. Zwar verschwinden die bunt schillernden Glasflächen, aber das Mosaik unterschiedlicher Flächen bleibt. Es ist die subtile Zwillingsvariante des gläsernen Spektakels. Da sich die Storen wie die darunterliegenden Gläser in immer andere Richtungen neigen, ist der Lichteinfallswinkel auch immer ein anderer. Das Bürogebäude verwandelt sich in ein dreidimensionales, abstraktes Gemälde, das sich aus Flächen mit feinsten Farbnuancen zusammensetzt: hundert Schattierungen von Grau.
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Hauptsitz Helvetia, St. Gallen: Alle Fenster sind unterschiedlich geneigt.
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Die Fassadenplanerin Steffi Neubert vor den Plänen von Jean Nouvels ‹ Tours Duo › in Paris.
Treffpunkt Fassade Emmer Pfenninger Partner aus Münchenstein planen komplexe Gebäudehüllen. Kurt Pfenninger und Steffi Neubert erzählen, wie die Gewerke zusammenspielen. Interview: Lilia Glanzmann
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Geschwungene Gläser, optimierter Sonnenschutz oder eine theatralische Hülle aus textilen Storen – je aufwen diger gestaltet und mit technischen Details eine Fassade aufgerüstet ist, desto mehr Gewerke finden in ihr zueinan der. Sie muss einiges können: nach aussen repräsentieren, nach innen organisieren, Temperaturunterschiede regu lieren und die Nutzung respektieren. Vor dreissig Jahren machten sich die Fassadenspezia listen Kurt Pfenninger und Hans Emmer selbstständig, um von der früheren Tätigkeit bei einem ausführenden Fassa denhersteller auf die planerische Seite zu wechseln. Als Emmer Pfenninger Partner gründeten sie das IngenieurZentrum für Bauphysik, Metallbau-, Fenster- und Fassa dentechnik. Heute leiten Hans Emmers Sohn Andreas, Metallbautechniker, und die Fassadenplanerin Steffi Neu bert die Geschäfte. Kurt Pfenninger präsidiert noch immer den Verwaltungsrat und unterstützt das Team beratend. Gemeinsam mit Steffi Neubert erklärt er im Interview, wie sie mit Architekten, Generalplanern, Bauherren sowie den ausführenden Unternehmen, wie etwa dem Storenbauer, zusammenarbeiten und was eine gute Fassade ausmacht.
In den Neunzigerjahren wurden die Scheiben immer grösser. Ist Glas im Fassadenbau heute noch so gefragt ? Kurt Pfenninger: Jedes Gebäude benötigt einen gewissen Anteil an Verglasung. Es lässt sich jedoch feststellen, dass der Glasanteil eher rückläufig ist. Waren es einmal fast neunzig Prozent, so sind es nun noch um die sechzig. Das hat auch mit Energie- und Nachhaltigkeitsvorgaben zu tun, die teilweise sogar nur noch zur Hälfte Glas an den Gebäu dehüllen erlauben. Steffi Neubert: Diese Tendenz ist seit zirka fünf Jahren ver stärkt spürbar. Wenn ein Architekt jedoch ein sehr ver glastes Gebäude wünscht, ist dies meist mit gewissen pla nerischen Auflagen realisierbar. Im Sommer soll die Fassade das Gebäude kühlen, im Winter die kalten Temperaturen draussen halten. Die Schweiz hat viele Vorschriften, was den winterlichen und sommerlichen Wärmeschutz angeht. Was bedeutet das für die Planung ? Steffi Neubert: Wichtig sind thermische Berechnungen und Simulationen der verschiedenen Fassadenkomponenten. So eruieren wir bereits in einer frühen Phase die bauphy sikalischen Eigenschaften der Fassade und können her ausfinden, welche Art Sonnenschutz oder Wandisolation nötig oder eben ungenügend ist – das gibt Planungssicher heit und erlaubt es, Projekte frühzeitig zu optimieren.
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Kurt Pfenninger: Zwar hat die Schweiz grosse Ansprüche, das Normenwerk sieht aber auch Ausnahmen vor. Sonder konstruktionen sind möglich, wenn das Fachwissen vor handen ist und die Verantwortung übernommen wird. Wann empfehlen Sie dynamische Sonnenschutzanlagen ? Steffi Neubert: Fast immer. Kurt Pfenninger: Unsere Erfahrung zeigt, dass ein flexibler, aussenliegender Sonnenschutz meist die effizienteste Lösung für den sommerlichen Wärmeschutz darstellt und zudem eine hohe Qualität der natürlichen Tageslichtnut zung gewährleistet. Was macht die textile Hülle reizvoll ? Steffi Neubert: Stoffstoren sind bei Architekten sehr be liebt. Interessant ist zum einen der Aspekt der Wohnlich keit, den Textilien mit sich bringen. Zum anderen lässt sich textiler Sonnenschutz als Teil der Architektur nutzen, er kann die Gebäudegeometrie verändern, je nachdem, ob er offen oder geschlossen ist – als temporäres High light. So wie es etwa Herzog & de Meuron beim Roche-Pro jekt B92 in Basel gemacht haben siehe Seite 4. Sie laden zu einem architektonischen Spiel mit Licht und Schatten ein. Glas wiederum ist rückläufig, sagen Sie. Welche Materialien sind stattdessen gefragt ? Steffi Neubert: Heute ist alles möglich, von Naturstein über Keramikplatten, Edelstahlblech-Verkleidungen, geflies te Fassaden, opake, farbig emaillierte Glasplatten bis hin zu Holz oder Baubronzeverkleidungen. Gefragt sind auch additive Systeme, bei denen hintereinander aufgebau te Schichten bestimmte Funktionen übernehmen – die äuss erste ist dann oftmals dekorativ, aus Streckmetall etwa oder mit aufwendigem, ornamentalem Muster ver sehen. Und natürlich ist weiterhin Glas gefragt, auch bei einer Lochfensterfassade. Kurt Pfenninger: Glas ist ein gutes Material. Während ande re Oberflächen schnell verwittern, hat es eine lange Le bensdauer. Und eine moderne Glasfassade schützt gegen Klima und Wetter, verbindet das Innere des Gebäudes mit dem Aussenbereich. Transparente Glasscheiben erzeu gen auch natürlich helle Innenräume. Immer öfter wird ein dynamischer Sonnenschutz auch bei hohen Gebäuden verwendet. Aufgrund der erhöhten Windgeschwindigkei ten bei Hochhäusern darf sich der Sonnenschutz nicht in einer exponierten Lage befinden, sondern muss geschützt im Zwischenraum einer Zweite-Haut-Fassade liegen. Neu erdings wird dies mittels einer sogenannten Closed-CavityFassade realisiert. Sie hat einen geschlossenen Zwischen raum, in den mit leichtem Überdruck getrocknete und ge reinigte Luft zugeführt wird, die verhindert, dass sich auf den Scheiben und im Zwischenraum Kondensat bildet oder Schmutz ablagert. Apropos Schmutz: Planen Sie auch bereits, wie die Fassade später gereinigt wird ? Steffi Neubert: Manchmal sind es kleine Details oder ein paar Grad eines Winkels der Gebäudestruktur, die Archi tekten in ihrem Entwurf ändern müssen, damit später gut gereinigt werden kann. Während der Planung sind stets die Investitions- und Unterhaltskosten zu prüfen. Eine fix installierte Befahranlage für den Unterhalt der Fassa den auf dem Dach kostet zwar mehr, reinigt später jedoch schnell und effizient. Wer darauf verzichtet, entscheidet sich für einen insgesamt aufwendigeren Unterhalt. Sie arbeiten mit Herzog & de Meuron, Foster + Partners oder Frank O. Gehry. Wie schaffen Sie es, ausgefallene Fassadenformen in die Wirklichkeit umzusetzen ? Kurt Pfenninger: Gerade arbeiten wir mit Jean Nouvel an seinen ‹ Tours Duo ›, zwei schiefen Türmen im 13. Pariser Arrondissement. Es gibt dabei viele Vor- und Rücksprünge,
Kurt Pfenninger hat sich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen, arbeitet aber weiterhin beratend.
die Fassade ist an gewissen Stellen leicht bombiert, zu oberst gibt es ein Atriumdach, jede der vier Fassadensei ten ist anders. Das bedarf viel planerischer Detailarbeit. Wir erhalten von den Architekten erste Pläne und be rechnen und formulieren konstruktive Leitdetails, etwa für die Metallprofile, die Art der Verglasung, die Befesti gung an den Rohbau sowie für die verschiedenen Stoss ausbildungen der Fassadenelemente oder die Durchdrin gungen der Elektroanschlüsse, damit die ausführenden Fassadenbau-Unternehmer auf dieser Basis kalkulieren und offerieren können. Zudem entwickeln wir die optima le Beschattung oder die natürliche Belüftung, damit das Gebäude auch energetisch funktioniert. Steffi Neubert: Abgesehen davon, dass wir stets versuchen, die formalen und gestalterischen Ideen der Architekten zu verwirklichen, müssen wir auch die vom Bauherrn vor gegebenen Investitions- und Unterhaltskosten einhalten. Beispielsweise geht oft vergessen, dass so eine überdi mensionierte Dreifach-Isolierglasscheibe über eine Ton ne wiegt und was das für die Montage bedeutet. Solche übergrossen Scheiben verteuern den Quadratmeterpreis der Gebäudehülle immens. Oder es wird nicht bedacht, wie Bauteile später ausgewechselt werden sollen. Was war Ihre bisher grösste gestalterische Herausforderung ? Steffi Neubert: Das spektakulärste Projekt war Frank Gehrys Glasgebäude auf dem Novartis-Campus. Dort mussten wir für die vielen facettierten Scheiben eine Innenbe schattung realisieren. Dafür wurden mehrere Testanlagen gebaut, für den Prozess sogar Bühnenausstatter beige zogen. Nichts war rechtwinklig, die Stoffe waren vier bis sechs Meter breit und bis zu elf Meter lang. Bewegt sich nun die Anlage, sieht das aus wie überdimensionale Zähne, die sich öffnen und schliessen. Wann ist eine Fassade gut geplant ? Steffi Neubert: Wenn sie schliesslich alle Normen erfüllt, technisch und bauphysikalisch funktioniert, aber auch die formalen Ideen der Architekten umgesetzt und der Kostenrahmen des Bauherrn eingehalten wurden: Dann haben wir einen guten Job gemacht.
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Emmer Pfenninger Partner 1988 gründeten Kurt Pfenninger und Hans Emmer die Firma in Münchenstein. Heute leiten Hans Emmers Sohn Andreas und Steffi Neubert die Geschäfte.
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Innenhöfe im Dienst Ein Lichthof hält auch architektonisch eine zentrale Rolle inne. Ein Blick auf zwei unterschiedliche Beispiele: das Elsässertor in Basel und der WTO-Hauptsitz in Genf. Text: Werner Huber
Schon die alten Römer haben die Vorzüge des Atriums als intimer, von der öffentlichen Strasse abgewandter Raum geschätzt. Auch in der zeitgenössischen Architektur spielen die Innenhöfe eine wichtige Rolle: Sie belichten und belüften in tiefen Grundrissen auch die innenliegenden Räume, und sie bieten Orientierung im Gebäude. In den Innenhöfen zeigt sich zudem die Architektur eines Gebäudes von ihrer ‹ reinsten › Seite, denn keine umgebenden Bauten bedrängen sie. Innenhöfe können oben offen und somit Aussenraum sein und als Erholungsort, Spielplatz oder Grünraum gestaltet werden. Oder Atrien können überdeckt sein und so zum wichtigsten, architektonisch attraktivsten Raum im Herzen eines Gebäudes werden. Die folgenden zwei Beispiele zeigen unterschiedliche Arten von Innenhöfen: Im WTO-Gebäude in Genf wurde der Hof nachträglich überdeckt und zu einem vielfältig nutzbaren Raum gemacht, im Elsässertor in Basel ist er oben offen und nicht begehbar. Besondere Ansprüche stellte da wie dort der Sonnenschutz.
450 Plätzen. Dieses belegt die unteren Geschosse des Hofs, der oben offen ist. Der nördliche Innenhof hingegen wurde überdeckt und so zu einem 18 Meter hohen Innenraum. Er erschliesst die Serviceräume für die Funktionäre und die Besucher, eine Cafeteria und einen Esssaal und ist mit einem dekorativen Wasserbecken ausgestattet.
104 Sonnenschutzelemente Die Stahlkonstruktion des Dachs liegt auf der ursprünglichen Traufe in 18 Metern Höhe und ist gegen alle vier Seiten hin gekrümmt. Dadurch entsteht eine scheinbar unter Spannung stehende Membran. Damit die Stahlprofile in den Knotenpunkten in einer Ebene aufeinandertreffen, sind diese mehrfach leicht gekrümmt. Dieser Raster – mit einer Maschenweite von rund drei Metern – ist mit transparenten Kissen aus ETFE-Folie ausgefacht, die den Raumabschluss bilden. Für den Sonnenschutz suchten die Group8-Architekten zusammen mit den Konstrukteuren von Kästli Storen eine Lösung, bei der auch bei Sonneneinfall der von der Stahlkonstruktion geprägte Raumeindruck erhalten bleibt. Schliesslich statteten sie jedes einzelne der 104 Felder des Dachs mit einem Sonnenschutz – einer Spezialanfertigung einer Horizontalstore – aus. Die Walze mit dem aufgerollten Stoff ist dabei weitgehend unsichtbar im Genf: Welthandel unter dem Glasdach Seit 1995 hat die Welthandelsorganisation WTO ihren Querschnitt des Stahlprofils versorgt. Ein GegenzugsysSitz im Centre William Rappard in Genf. Das eindrückli- tem führt den Sonnenschutz präzise an die gegenüberche, nach dem Schweizer Diplomaten William Emmanuel liegende Kante – wobei die komplizierte Geometrie der Rappard ( 1883 – 1958 ) benannte Gebäude wurde 1923 – 26 Tragstruktur dazu führt, dass sich der Sonnenschutz über nach Plänen des Architekten Georges Épitaux errichtet. die Diagonale verdreht. Zunächst beherbergte es das Internationale Arbeitsamt, Dass die Store überhaupt die Schwerkraft überwinden später die Büros des GATT und des Hochkommissariats und sich horizontal öffnen und schliessen lassen kann, ist für Flüchtlinge. Damit die WTO alle Mitarbeiterinnen und einer ausgeklügelten und unsichtbar eingebauten TorsiMitarbeiter an einem Ort konzentrieren kann, beschloss onsfeder in der Stoffwalze zu verdanken. Aus der Nähe sie 2008, ihren Hauptsitz umzubauen, zu renovieren und betrachtet setzt sich der Sonnenschutz über dem grossen mit einem weiteren Gebäude zu erweitern. Atrium aus vielen einzelnen Storen zusammen, die in die In der Etappe ‹ Intramuros › planten die Architekten Felder der Stahlkonstruktion eingefügt sind. Aus der Ferder Group8 in den Innenhöfen des denkmalgeschützten ne hingegen, also vom Boden aus gesehen, verschmelzen Altbaus zusätzliche Räume. In den südlichen Innenhof die 104 Storen und das Stahlgitter zu einer Einheit – so, setzten sie ein modular nutzbares Konferenzzentrum mit wie es sich die Architekten vorgestellt haben. →
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Umbau Centre William Rappard, 2008 Rue de Lausanne 154, Genf Bauherrschaft: OMC / WTO Architektur: Groupe8, Carouge Generalunternehmer: HRS Real Estate Metallarbeit: Zwahlen & Mayr, Aigle Beschattung: Kästli Storen Kosten: Fr. 20 Mio.
Durch die gegen alle Seiten hin gekrümmte Dachkonstruktion entsteht eine scheinbar unter Spannung stehende Membran. Fotos: Johannes Marburg
Dank der Sonnenschutz-Speziallösung gelingt es, den von der Stahlkonstruktion geprägten Raumeindruck auch bei Sonneneinfall zu erhalten. Themenheft von Hochparterre, März 2018 — Schatten im besten Licht — Innenhöfe im Dienst
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Elsässertor, 2005 Centralbahnstrasse 4, Basel Bauherrschaft: Suva, Luzern ; Publica, Bern Architektur: Herzog & de Meuron, Basel Bauphysik: Gartenmann Engineering, Basel Fassadenbauer: Emmer Pfenninger Partner, Münchenstein Beschattung: Kästli Storen
Nicht einzelne Fenster, sondern die Höfe insgesamt sind mit textilem Sonnenschutz geschützt. Fotos: Cédric Widmer
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Basel: Höfe unterm Sonnensegel Die zweite massgeschneiderte Atriumbeschattung aus der Belper Storenmanufaktur findet sich in Basel, der anderen grenznahen Grossstadt. Dort erarbeiteten Anfang der 1980er-Jahre die Kantone Basel-Stadt, BaselLandschaft, die SBB und die damaligen PTT-Betriebe den ‹ Masterplan Bahnhof SBB Basel ›. Mit einem umfangreichen städtebaulichen Konzept wollten die vier Partner zusammen mit Privaten das Bahnhofsgebiet in Basel besser vernetzen und mit Neubauten anstelle nicht mehr benötigter Bahnanlagen intensiver nutzen. Für den Neubau Elsässertor auf dem Eilgutareal der französischen Staatsbahnen SNCF gewannen Herzog & de Meuron schon 1990 den Projektwettbewerb. Auf Gleisebene waren eine Schnellgut-Umschlaghalle und in den Obergeschossen Dienstleistungs- und Büroflächen vorgesehen. In der Mitte des mehrteiligen Baukörpers gab es einen grossen Hof, den man mit Glasschiebedächern abschliessen konnte. Im Gegensatz zum letztlich gescheiterten Grossprojekt HB Südwest am Zürcher Hauptbahnhof wurde der Masterplan in Basel unter dem Namen ‹ Euroville › Schritt für Schritt umgesetzt. Als die Investoren für das Elsässertor gefunden waren, begannen im Jahr 2002 die Bauarbeiten, 2005 war das Gebäude fertig. Ausser dem Standort, dem Namen und der ungefähren Kubatur hatte das realisierte Gebäude nur noch wenig mit dem Wettbewerbsprojekt zu tun. Die Architekten fassten den stark strukturierten Baukörper zu einem einzigen zusammen und gaben ihm mit spitzen Vor- und sanften Rücksprüngen einen kristallinen Ausdruck. In den unteren Geschossen des Dienstleistungsgebäudes wurde keine Güterhalle, sondern ein Parkhaus untergebracht. Anstatt des einen langen Innenhofs gliedern nun drei Höfe mit je einem zugeordneten Erschliessungs- und Sanitärkern die grossen Flächen, die sich dadurch besser in kleinere Einheiten aufteilen liessen. Die Aussenfassaden bestehen
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aus einer zweischichtigen Glashaut. An den Längsseiten sind die geschosshohen Gläser der äusseren Fassadenschicht in unterschiedlichen Neigungswinkeln montiert, sodass vor der eigentlichen Gebäudehülle eine natürlich belüftete Zwischenschicht entsteht. Die Stirnseiten des vollständig in Glas gehüllten Gebäudes sind hingegen mit farbigen Gläsern verkleidet, die mit ihren Farben – rot gegen Osten, blau gegen Westen – an die französische Tricolore erinnern. Grossflächig und unsichtbar Um die an den Höfen gelegenen Büros vor Sonne und Wärme zu schützen, war ein besonderer Sonnenschutz nötig: Nicht die einzelnen Fenster sollten beschattet werden, sondern die Höfe insgesamt sollten je mit einem textilen Sonnenschutz überdeckt werden. Dieser macht den Aussenraum zwar zu einem Innen- oder Zwischenraum, dafür bleibt der Blick aus den Büros in den Hof offen. Die Klarheit, mit der sie das Gebäude gestalteten, verlangten die Architekten auch vom Sonnenschutz. Gesucht war eine flächige Abdeckung des Hofs, von der im eingefahrenen Zustand keine Führungsschienen sichtbar sein durften. Ausserdem haben die Lichthöfe einen unregelmässigen Grundriss, der sich nicht so einfach mit einem beweglichen Sonnenschutz schliessen lässt. Also setzten die Planer die drei Beschattungsanlagen der Lichthöfe aufs Dach und machten die rechteckigen Rahmenkonstruktionen grösser als die Öffnungen. Das Know-how, Atrien zu beschatten, hat sich Kästli mittels vieler Faltanlagen und filigraner Überdachungen erarbeitet, die sie für grosse Freiflächen und Terrassen plante. Von unten ist die Konstruktion gar nicht zu sehen. Wenn sich die beiden gegeneinanderlaufenden Beschattungen – eine speziell für grosse Flächen geeignete Atriumbeschattung – schlies sen, tauchen die Stoffbahnen aus dem Nirgendwo auf und scheinen in der Luft zu schweben.
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Einer der drei Lichthöfe im Elsässertor mit unregelmässigem Grundriss.
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Ein Lob auf den Schatten Die Betrachtung von Licht und Schatten führt das ungleiche Paar durch Philosophie, Popkultur und Architektur und ergründet, weshalb die beiden ohne einander nicht können. Text: Gerhard Matzig
Licht und Schatten: Ein gegensätzlicheres und asymme trischeres Paar ist nicht denkbar in der Geschichte der Menschheit. Sie sind einander auf verstörende Weise fremd. Kain und Abel sind dagegen das reinste Liebespaar, David und Goliath sind im Vergleich dazu Waffenbrüder – und Dick und Doof sind insofern fast schon siamesische Zwillinge. Für Licht und Schatten aber kommt jede Paar therapie zu spät. Scheinbar. Wobei man wirklich – und zwar im Wortsinn – nicht behaupten kann, dass das Dunkel auf die Sonnenseite des Lebens gefallen wäre. Die Sphäre der Lichtlosigkeit, die Schwärze, das Finstere und das Dunkel, für die es so viele Worte gibt, die düster sein kann, schummrig, raben schwarz, kohlrabenschwarz, zwielichtig, duster oder gar
Erst der Schatten lässt uns die Geometrie des Raums begreifen. zappenduster, die einem delphisch oder sibyllinisch er scheinen mag, dazu abgründig, okkult, undurchdringlich oder dämonisch, ja satanisch, auf jeden Fall verdächtig, suspekt, ominös, obskur und eben ganz und gar undurch sichtig: All das wurde von Anfang an ins Unrecht gesetzt. Für den Begriff ‹ dunkel › gibt es tausendundeine raunende Entsprechung. Das Wort ‹ hell › aber genügt sich fast selbst.
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Sonnenhell, licht, lichtdurchflutet, lichterfüllt … und dann wird es auch schon wieder dunkel um das glockenhelle Wort. Das Licht muss man offensichtlich nicht erklären. Es strahlt aus sich selbst heraus. Das Licht ist gut, es ist das Ziel allen Seins. Das Schattenreich aber ist böse und somit nur das, was zu überwinden ist: Die Sonne bringt es an den Tag. Nachzulesen ist das schon in der Genesis, der Schöpfungsgeschichte: « Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis war über der Tiefe ; und der Geist Gottes schwebte über den Wassern. Und Gott sprach: ‹ Es werde Licht ! › » Damit waren die Rollen verteilt. Good Cop: das gute Licht und alles, was da strahlt und leuchtet im Hel len. Bad Cop: das böse Dunkel und alles, was da lauert und darbt im Dunklen. Seither ist zumindest in westlichen Kul turen der Tod schwarz und das Leben weiss. Von Solarien und Hieroglyphen Hieroglyphische Inschriften der Ägypter bezeugen exakt das, was in modernen Solarien auch zu lesen ist: dass die Menschen bei Sonnenschein ( o der wahlweise auch auf der Sonnenliege mittels ‹ Collagen-Beauty-Light mit UV-Licht › ) « glücklich sind, dass sie schöner werden und sich freuen ». Und während Plotinus als Philosoph und Neubegründer des Platonismus im dritten Jahrhundert die Schönheit des Feuers und des Blitzes eben ihrer Hel ligkeit und des Sieges über die Dunkelheit wegen verehrt, schreibt Friedrich Schiller im späten 18. Jahrhundert, dass « alle Wesen vom Licht leben ». Kurz: Das Unheilvolle ist dunkel, und die Hoffnung ist stets das Licht am Ende des Tunnels. Es ist schliesslich auch der ‹ dunkle Lord › Darth Vader in seiner schwarzen Rüstung, der sich im Star-WarsEpos verführen lässt von der finsteren Seite der Macht. Seit der Schöpfungsgeschichte ist es wunderbar einfach geworden, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Der Storenschalter macht den Unterschied.
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Einmal allerdings wollte man diese Geschichte umdeu ten. Was gründlich schief gegangen ist. Vor einiger Zeit hat sich das deutsche Umweltministerium eine Kampagne zur Energieeffizienz einfallen lassen, in der die göttliche Schöpfungsgeschichte von Platons Höhlengleichnis über das ‹ finstere Mittelalter › bis hin zum ‹ Licht der Aufklä rung › und ‹ der Fackel der Wahrheit › endlich einmal genau anders herum interpretiert wird. Sie läuft sozusagen da rauf hinaus: ‹ Licht aus ! › Aber Gott und das Kinopublikum, das mit diesem Spot des Ministeriums malträtiert wurde, sahen, dass es nicht gut war. Aber wirklich nicht. Der Spot also: Ein halbwüchsiges Mädchen kommt spätnachts von irgendeiner Party nach Hause. Es schleicht sich durch das dunkle Haus der Eltern. Man vernimmt seltsame Geräusche. Und dann, im Wohnzimmer, betätigt die Tochter schockartig den Lichtschalter, um ihre Eltern am Sofa in verfänglicher Situation vorzufinden: Er hat die Hosen unten, sie hat den Rock oben – und der Rest ist eine unfassbar peinliche Stille. Die Scham senkt sich über die Erde, das Publikum und auch das Umweltministerium. Bis wir erlöst werden. Das Mädchen macht endlich das Licht aus, und alles ist gut. Bloss nicht den eigenen Eltern beim Sex zusehen müssen. « Die Welt sagt danke – zusammen ist es Klimaschutz », heisst der Spot. Zu sehen ist er immer noch auf Youtube. Versehen mit zahlreichen boshaften Kommentaren. Die Lehre daraus, dass das Dunkel auch seine erhellenden Seiten haben kann, lichtspartechnisch etwa oder elternspezifisch, wurde von der Allgemeinheit seinerzeit mit sehr viel Hohn und nahezu schwarzem Sar kasmus aufgenommen. Werden und vergehen Es ist kein Wunder, dass die Zuschreibungen von Licht und Schatten quer durch alle Kulturgeschichte, durch Philosophie, Theologie, Literatur, Musik, Kunst, Architek tur und natürlich Pop oder Kino, als so unverrückbar zu gunsten des Lichts erscheinen. Seit der Vorgeschichte wurde das Licht bis hin zu seiner religiösen Apotheose in allen Glaubensrichtungen kultisch verehrt. Das Dunkel dagegen wurde gefürchtet. Im Dunkel begegnet uns immer auch ein Stück Archaik. Aber das eine bedingt das andere: Licht und Schatten sind tatsächlich undenkbar ohne die Existenz des jeweils anderen. Im Denken des Philosophen Martin Heidegger ist die se Symbiose dargestellt im Prozess des ‹ Werdens und Ver gehens ›. Das aber zielt letztlich auf die Einsicht, dass die Dimension der Zeit undenkbar ist ohne das Wechselspiel von Licht und Schatten. Das Erscheinen ( die Morgendäm merung ) und das Fortgehen ( die Abenddämmerung ), das Näherkommen und Entfernen, das Geborenwerden ( ‹ Licht der Welt › ) und das Sterben ( Goethes angeblich letzte Worte: « Mehr Licht ! » ), das Eintreten in das Offene, somit Helle, und Fortgehen ins Verborgene, somit Dunkle, all das, die Bewegung, Transformation und evolutorische Verände rung, jegliche Dynamik also, materialisiert sich Heideg ger zufolge im Aufsteigen und Untergehen des Lichts. Der Erdentag in der natürlichen Abfolge von Sonnenlicht und Nachtschwärze ist daher nicht nur die Grundbedingung der Zeit und ihrer Dynamik, sondern auch der Dingwelt in ihrer Statik. Bei Le Corbusier liest sich das so: « Unsere Augen sind geschaffen, die Formen unter dem Licht zu se hen: Licht und Schatten enthüllen die Formen. » Aus dem Zusammenspiel von Helligkeit und Dunkel heit ergeben sich demnach sowohl die Dimension der Zeit als auch die des Raums. Erst der Schatten im lichtdurch fluteten Raum lässt uns die Geometrie des Raums begrei fen. Und erst im Durchschreiten des Raums wird uns be wusst, dass Raum und Zeit einander bedingen. Licht und
Schatten sind deshalb auch die elementarsten Urformen der Architektur und Stadtbaukunst. Ihr Wesen fällt zusam men mit dem Wesen des Bauens selbst. Deshalb ist es letztlich erstaunlich, dass die Bau geschichte zunächst vor allem auf die Überwindung der Dunkelheit und auf die einseitige Feier des Lichts gerich tet ist. Goethes Verlangen nach ‹ mehr Licht ›, so es denn wirklich seine letzten Worte in der Stunde des Todes ge wesen waren, was zumindest umstritten ist, liesse sich als Überschrift über die Epoche der baukulturellen Moderne setzen. Aber schon seit im siebten Jahrhundert erstmals
Die Baugeschichte ist auf die Überwindung der Dunkelheit gerichtet. Glasfenster in Syrien und England auftauchten, erlebt die Architektur eine Hinwendung zum Licht. Erst wurden die Burgen befreit von ihrer Düsternis, später öffneten sich die Kathedralen zu jenem Licht, das auch jetzt wieder, in der dunklen Hälfte des Jahres, als einzigartiges Verspre chen erscheint. Jesu Geburt markiert nicht zufällig den Tag, da die Sonne wieder mächtiger wird im Winter. Von nun an geht es im atemberaubenden Tempo weiter bis in die Mo derne hinein, da die Städte erleuchtet werden von der auf kommenden Elektrizität. Le Corbusier feiert das taghell erleuchtete Manhattan als « eine Milchstrasse auf Erden ». Heute sind es am Ende solcher Feierlichkeiten bereits der ‹ Lichtsmog › und der ‹ Verlust der Nacht ›, die Sorge bereiten. Das elektrische Licht besiegt gleichwohl die Nacht in den Städten, während sich die Architektur im mer weiter öffnet zum Tageslicht. Das gelang mithilfe einer immer gläserner werdenden Architektur, die sich mehr und mehr jenem Ideal des ‹ Kristallpalasts › annä herte, wie er, gebaut nur aus Gusseisen und Glas, seit der Weltausstellung in London von 1851 die Ära einer techno logisch auftrumpfenden Moderne zeichenhaft überstrahlt. Bis zur Erfindung des ‹ transluzenten Betons › war es dann auch nicht mehr weit. Das ist der Stand der Dinge: eine Betonwand, die aber keine Wand mehr sein darf, weil sie mit dem Fenster in der Wand, das kein Fenster mehr sein darf, zur Deckung gelangt. Unsere Dekade in Architektur und Städtebau ist die der Entmaterialisierung. So licht und gläsern aber sind unsere Häuser und Städte nunmehr geworden, so ‹ licht durchflutet › gar ( ein Hauptwort der Immobilienwerbung ), so transluzent und transparent und durchsichtig und durchscheinend oder auch taghell erleuchtet mitten in der Nacht, dass man sich fragen könnte: Was ist eigentlich aus dem ‹ Lob des Schattens › geworden ? Zur Erinnerung: Das ist ein Essay aus dem Jahr 1933, der die Schönheit der japanischen Architektur mit dem Wechselspiel von Licht und Schatten erklärt. Ob man die Bauten von Le Corbusier studiert, der im Kloster Le Thoronet notiert: « Licht und Schatten sind die Lautsprecher dieser Architektur der Wahrheit » – oder ob man Louis Kahns Lehre auch in zeit genössischen Beispielen der Baukunst nachspürt, wonach sich die Sonne ihrer Wunder nicht bewusst sei, « bevor sie auf die Wand eines Bauwerks fällt »: Licht und Schatten sind ein unzertrennliches, ewiges und schönes Paar. Wenn die Architektur unserer Zeit eine Aufgabe hat, dann die, sich ihrer wunderbaren Schattenseiten endlich wieder gewiss zu werden. Das Licht ist einsam ohne Schatten.
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Der Journalist Gerhard Matzig ist Leitender Redakteur und Architekturkritiker der ‹Süddeutschen Zeitung›. Für seine Essays und Reportagen wurde er mehrfach ausgezeichnet, zuletzt erhielt er den DAI-Literaturpreis.
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Stoff für edle Damen Einst fester Bestandteil der Architektur ist die Markise heute fast verschwunden. Die Renovation des Hotels Royal Savoy in Lausanne zeigt den denkmalpflegerischen Nachbau. Text: Werner Lehmann
Das Wort Marquise soll sich auf französische Edeldamen beziehen, die Frauen eines Marquis eben, mit weisser Haut als Zeichen ihres Reichtums. Auf Ausflügen liessen sie ein Stück Stoff über sich spannen – die Markise in ihrer ursprünglichsten Form war erfunden. Später dann diente sie vor dem Fenster als Sicht- und Sonnenschutz. Komplexere, elegante Markisen beschatteten und dekorierten seit jeher Schlösser und Adelssitze in ganz Europa. Mitte des 18. Jahrhunderts eroberte sie Frankreich, wurde zu einem wichtigen Bestandteil der Architektur, insbesondere bei Balkonen und Terrassen. Ihre Hochblüte feierte sie in der Belle Époque. Doch auch noch im Neuen Bauen der Dreissigerjahre war sie aktuell, wurde damit schlichter und funktionaler. Ab den Sechzigerjahren geriet die Markise in Vergessenheit und wurde durch Lamellenstoren aus Aluminium und Kunststoff ersetzt. Typisch für die Schweizer Hotellerie um die Jahrhundertwende sind die Bauten der Belle Époque, zu denen das 1909 im Château-Stil erbaute ‹ Royal Savoy › in Lausanne gehört. Auch bei diesem Repräsentationsbau waren die Markisen wichtiges Detail der Gesamtarchitektur. Das Hotel glänzte mit reichhaltigen Fassaden, allen voran die Südseite, mit markanten Fallarmmarkisen über Fenster und Balkonen. Die spanische Königsfamilie, die belgische Königin Fabiola, aber auch Stars wie der Fussballer Pelé oder der Sänger Phil Collins logierten in dem Haus, bis es 2009 geschlossen und saniert wurde. Vor drei Jahren nun wurde das Gebäude als 5-Sterne-Hotel wieder eröffnet. Bauherrschaft und Besitzer ist die Katara Hospitality Switzerland, der auch der Berner ‹ S chweizerhof › oder das neu eröffnete ‹ Bürgenstock Resort › gehört. Verwittert und verrostet Das traditionsreiche ‹ Royal Savoy › prägt noch heute das Stadtbild von Lausanne und legt bezüglich Bauweise und Einrichtung Zeugnis ab von der touristischen Hochblütezeit der Schweiz. Die Sanierungsarbeiten waren wegen denkmalpflegerischer Auflagen, fehlender Bewilligungen, Statikproblemen sowie zahlreicher und wechselnder Baubeteiligten aufwendig und komplex. Dies betraf auch die Rekonstruktion der ursprünglichen Markisen, die nur noch als verwitterte Baumwollreste und verrostete Eisenteile vorhanden waren. Die Markisen sollten nicht nur aus denkmalpflegerischer Sicht, sondern auch der besseren Energiebilanz wegen montiert werden. Die Bauherrschaft wollte die Hotelzimmer an der Süd- und Ostseite besser beschatten, um weniger kühlen zu müssen. Die Westfassade wiederum ist durch Bäume geschützt. Die neuen Markisen planten die Bauherrschaft, der Denkmalpfleger, der Architekt, der Bauingenieur sowie Kästli Storen. Anhand von historischen Bildern erarbeiteten sie gemeinsam ein Konzept für den zukünftigen
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Sonnenschutz, der auch die denkmalpflegerischen Ansprüche erfüllte. Die Zeichner bei Kästli in Belp rekonstruierten die ehemaligen Fallarmstoren weitgehend und interpretierten sie gleichzeitig neu. So gelang es den Storenexperten, die ursprüngliche Situation der Markisen nachzuvollziehen und entsprechende Typen pro Fenster und Balkon zu identifizieren. Dabei entdeckten sie, dass in den Sechziger- und Siebzigerjahren die Originalstoren mit geschwungenen Fallarmen teilweise durch handelsübliche Gelenkarme ersetzt worden waren. Aus denkmalpflegerischer Sicht wäre es heute nicht mehr zulässig, Storen auf diese Art zu ersetzen. Fallarmstoren haben gegenüber Gelenkarmstoren eine filigranere und platzsparende Rahmenkonstruktion und Mechanik. So lassen sie sich besser der Architektur anpassen. Für die rekonstruierten Fallarme aus Flachstahl orientierte sich Kästli an der jeweiligen Fenster- oder Balkonsituation respektive passte sie an die Konturen der historischen Fassade an und formte die Arme individuell. Schliesslich fertigten sie drei Typen davon – s-förmige, leicht gekröpfte sowie gerade Fallarme. Auch die Textilfarbe – ein Ockergelb – ist auf die Architektur abgestimmt und nimmt Bezug auf den Kalksandstein sowie den bei der Renovation freigelegten Kachelfries der Fassade. Eine luftig leichte, dekorative Note erzeugen die klassischen Volants an der Front der Storen. Montiert wurden 105 Fallarmmarkisen, was der Hälfte aller Hotelfenster entspricht. Die Kosten hierfür beliefen sich auf circa 130 000 Franken. Tippen statt kurbeln Die optisch klassischen Fallarmstoren funktionieren heute mit zeitgemässer Technik: Motoren ersetzen die von Hand bediente Kurbelstange. Solche elektrisch betriebenen Anlagen lassen sich wie beim ‹ Royal Savoy › mit einer Sonnen- und Windautomatik ausrüsten oder mit einer von beiden. Sie einzeln zu steuern, ist nicht gewünscht, für den individuellen Sichtschutz nutzen die Gäste Rollläden. Eine automatische Zentralsteuerung koordiniert beim ‹ Royal Savoy › das ganze Fallarmstoren-Ensemble, fährt es gemeinsam aus und ein – zum einen wegen des einheitlichen Gesamtbilds, zum andern der energietechnisch geforderten Komplettbeschattung wegen. Heute feiert die klassische Fallarmstore aus Stahl und Textilien auch in der modernen Architektur ein Comeback. Sie ist filigran, lässt sich je nach Stoff dem Charakter des Gebäudes anpassen und wird so zur gestaltenden Hülle oder zweiten Haut. Im Gegensatz zur Lamellenstore bewegt sie sich nicht nur vertikal, sondern kann über die Neigung der Fallarme so eingestellt werden, dass sie unten den Durchblick erlaubt und gleichwohl Schatten spendet. Zudem erzeugt sie ein subtiles Licht- und Schattenspiel: Die einfarbigen oder längs gestreiften Textilien aus wetterfestem Acrylgewebe sind in vielen Fällen nicht ganz lichtdicht, sodass sie zwar als Sonnenschutz dienen, aber dennoch Licht in den Raum lassen und eine warme Atmosphäre kreieren.
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Renovation Hotel Royal Savoy, 2016 Avenue d’Ouchy 40, Lausanne Bauherrschaft: Katara Hospitality Architektur: Frank A. Flückiger, Bern Denkmalpflege des Kantons Lausanne: Laurent Chenu Beschattung: Kästli Storen Baukosten: Fr. 100 Mio.
Beim Hotel Royal Savoy koordiniert eine Zentralsteuerung das Fallarmstoren-Ensemble, fährt es gemeinsam aus und ein. Fotos: Johannes Marburg
Die Markise erlebt ein Revival: besonders wenn es darum geht, denkmalgeschützte Gebäude epochengerecht wiederherzustellen oder zu erhalten. Themenheft von Hochparterre, März 2018 — Schatten im besten Licht — Stoff für edle Damen
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Massarbeit aus Belp Zeichnen, biegen, stanzen und nähen sind nur einige der Tätigkeiten in Kästlis Werkstatt. Die Storenmanufaktur setzt auf Speziallösungen und stellt fast alle Teile selbst her. Text: Meret Ernst
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« Wir sind mit dem Unternehmen vor neun Jahren von Bern nach Belp gezogen », sagt Marc Kästli. Der Betriebswirt führt den gleichnamigen Storenhersteller in dritter Generation. Die Gemeinde mit Flughafen im Südosten von Bern hat dem Familienunternehmen ein gutes Angebot gemacht. Nicht unwesentlich für eine Firma, die vor Ort produziert und sich auf gut ausgebildete Fachleute verlassen muss. Der zweigeschossige Industriebau bietet Platz für Entwicklung und Administration, die darin integrierte Halle Raum für Fertigung und Montage. Den grössten Teil des Umsatzes macht der textile Sonnenschutz aus. Die Firma, die seit 1937 für beschattete Fassaden sorgt, produziert alle Spezialanfertigungen, aber auch die eingetragenen Marken wie ‹ Sunlux › oder ‹ Sunline › vor Ort. « S chweizweit positionieren wir uns als Spezialisten für textilen Sonnenschutz. Im Grossraum Bern reparieren wir zudem Rollläden und Lamellen », erklärt Kästli und bittet in sein Büro. Mit rund 45 Mitarbeitenden ist Kästli verglichen mit der Konkurrenz relativ klein. « Wir sind der viertgrösste Anbieter in der Schweiz, der drittgrösste zählt bereits ein x-faches an Mitarbeitenden. » Sein Betrieb setze zunehmend auf Speziallösungen, die die Konkurrenten nicht anbieten könnten. Im Übrigen sei die Firma auch deshalb in die Rolle des Nischenanbieters mit Fokus auf textile Sonnenschutzlösungen hineingewachsen, weil der Schritt in die Automatisierung nie so radikal erfolgte, wie ihn grosse industrielle Produzenten wagten: « In den Siebzigerjahren war der Einkaufspreis der Lamelle plötzlich der Verkaufspreis der Konkurrenz – da mussten wir etwas ändern. » Mit einem leisen Surren setzen sich die Storen vor Marc Kästlis Bürofenster automatisch in Gang und halten die Herbstsonne draussen.
Schatten für Peter Zumthor Wer einen besonderen Wunsch hat, kann seine Store nicht von der Stange bestellen. Deshalb entwickeln die Konstrukteure von Kästli in enger Abstimmung mit Architekten und Fassadenspezialisten. Will ein Architekturbüro eine spezielle Lösung mit textilem Sonnenschutz, macht Kästli als Erstes eine Machbarkeitsstudie und skizziert die Idee. Fallarm oder Knickarm ? Ausstell- oder Senkrechtstore ? Scherenarmmarkise oder Schaufensterstore ? Die Schnittstelle zu den externen Fassadenplanern und Architekten sind die Verkaufsberater im Tandem mit den Konstrukteuren. Sie entwickeln zum einen Prototypen für gänzlich neue Lösungen und erstellen zum anderen Pläne und Vorlagen für die Fertigung von Spezialteilen. Eine Etage tiefer werden sie produziert. Die Wege sind kurz. Ebenso wichtig wie die Entwicklungsabteilung ist der Aussendienst, der Beratungen erbringt. Der Firmenchef, der selbst die Gebiete Graubünden und Ostschweiz betreut, nimmt einen dicken Ordner zur Hand und zeigt Pläne der Fassadenbauer. Sie dienen als Grundlage für die Entwicklung der Storen – « Architektenpläne wären für uns zu ungenau », erklärt Kästli. Überprüft wird die Lösung oft mittels Prototypen an der Fassade. Manchmal entscheidet ein Test im Windkanal, ob der Vorschlag hält. Das Label Minergie verlangt, dass Windlasten bis zu sechzig Kilometer pro Stunde ausgehalten werden, ohne dass die Store automatisch hochgezogen wird – selbst wenn dieser Fall statistisch gesehen nur ein, zwei Mal pro Jahr eintritt. Eine ihrer Massarbeiten fertigte Kästli etwa für Peter Zumthors Atelierhaus in Haldenstein siehe Hochparterre 4 / 17. Hier brauchte es grossflächige Senkrechtstoren, die den Glasbau beschatten und trotzdem genug Licht für die Arbeit an Bildschirm und Modell durchlassen. Gehalten wird die Führung der Storen von filigranen Schwertern aus Chromstahl, die vom Zimmermann direkt in die Fassadenpfosten aus Eichen geleimt wurden. Bei der Produktion →
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In Kästlis Metallwerkstatt wird gefräst, geschliffen, gestanzt und poliert.
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Eine Stoffwalze aus Stahl wird in eine Maschine geklemmt, der Stoff wird eingeführt, und ein Motor wickelt schliesslich die Store auf.
Der auf den Millimeter genau zugeschnittene Stoff wird hier zusammengenäht und aussen gesäumt.
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→ des Schwerts war Kästli auf das Können von Décolleteuren angewiesen. Der mit einer Aluminiumschicht ausgerüstete Stoff schützt vor Blendung und sommerlicher Hitze. Ist die Store heruntergelassen, lässt sie die Landschaft vor dem Fenster schemenhaft verschwinden. Der schwere Stoff wurde auf der Seite gesäumt und mit Vertikalnähten gefestigt. Die Naht ist als verstärkter Saum ausgebildet, verwendet wurde ein speziell starker Faden. In der Stoffwalze integrierte Rohrmotoren sorgen für den automatischen Betrieb. « Eine solche Lösung braucht Wis sen, Erfahrung – und kostet bisweilen auch Lehrgeld », fasst Kästli zusammen. Lösungen finden Während industrielle Produzenten auf Automatisie rung und die Serie setzen, steht Kästli für Spezialanfertigungen. Doch auch er muss und kann den Aufwand minimieren. Storen sind funktional determiniert. Einmal gefundene Lösungen leiten an, wie der nächste Fall gelöst werden könnte. Doch Patente hat Kästli keine mehr. « Zwei, drei Produkte und eine Faltanlage liessen wir in der Geschichte des Unternehmens schützen. Ein Patent, das auch viel kopiert wird, ist inzwischen ausgelaufen. » Sein Grossvater hatte für ausladende Fassadenstoren ein Prinzip entwickelt, mit dem die Fallhöhe auf die Hälfte reduziert werden konnte. « S chützen liess sich das Prinzip nicht mehr, aber beim Notar haben wir das geistige Eigentum festgehalten. » Sowieso helfe einzig die Geschwindigkeit, mit der seine Mitarbeitenden Probleme lösten ; ein teurer Patentschutz lohne sich nicht. Meist werden Kleinserien produziert, selten Tausenderserien. Eine Manufaktur hat nicht nur mit manueller Fertigung, sondern auch mit geringen Volumen zu tun. Dafür ist Stahl das richtige Material. Stranggepresstes Aluminium, das Kästli auch verwendet, eignet sich vor allem für die industrielle Fertigung. Statisch weniger gut, braucht es entsprechend kräftige Profile. Stahl dagegen kann feiner dimensioniert und manufakturiell verarbeitet werden. « Wir haben unsere Schlosserei, Biegerei und Stanzerei im Haus – und damit das gesamte Produktionswissen, inklusive Näherei, in der die Stoffe konfektioniert werden », sagt Marc Kästli. Auf dem Weg in die Werkstatt liegen die Prototypenwerkstatt und die Abteilung für Reparaturen. Hier werden Ideen ausprobiert und die Mechanik von Neuentwicklungen überprüft. Auch mal vom Chef persönlich, wie der Betriebswirt lachend sagt. « Ich konstruiere nur selten etwas, aber dieser Scherenmechanismus liess mir einfach keine Ruhe. » Eine Treppe führt hinab in die grosse Werkhalle. In- statt Outsourcing An der Längswand lagern Stahlrohre und Aluminiumprofile in einem Paternoster. Der Mitarbeiter ruft das richtige Material ab, nimmt das Profil heraus und geht damit auf die Alu- oder Stahlsäge. Bestellt und verarbeitet wird kommissionsbezogen. So kann Kästli die Lagerkosten gering halten. Die Stahlrohre werden bei einem Zulieferer galvanisch verzinkt, damit sie nicht mehr rosten. Zuweilen verarbeitet Kästli auch Kupfer, wie etwa bei den Storen für die Rehaklinik von Herzog & de Meuron. Selbst Messing wird nachgefragt. « Auch wenn bei Spezialanfertigungen die Kosten nicht allein entscheiden, stehen solche Metalle immer im Wettbewerb mit einem anderen Material », fasst Kästli zusammen. Ein anderer Mitarbeiter ist an der Stanzmaschine damit beschäftigt, mit einer Lehre eine massive Konsole aus Stahl zu stanzen. Den Plan, gemäss dem er die Lehre für das Stanzen der kleinen Löcher anfertigte, erhielt er aus der Konstruktionsabteilung. Die verzinkte Konsole, ein Standardteil, entnimmt er dem Lager.
Andere Teile wurden in der Schlosserei hergestellt. Oft müssen Löcher nachgebohrt werden, weil durch die anschliessende Feuerverzinkung Zink in die Löcher geriet. Die Lose sind klein, hier fallen fünf Stück an, dort zehn. Die Vielfalt der Teile ist dagegen gross. Das erhöht die Qualität der Arbeit: « Bei uns stellt niemand den ganzen Tag dasselbe her wie im Charlie-Chaplin-Film ‹ Modern Times › », lacht Kästli. Trotzdem muss auch er die Effizienz steigern. Eine elektronisch betriebene Stanze hilft dabei. Oder ein Automat, der gerade den Deckel an eine Fallstange schweisst. Er kann auch von einem Mitarbeiter bedient werden, der kein ausgebildeter Schweisser ist. Alle Schrauben liegen auf Waagen. Wenn der Mindestbestand unterschritten wird, bestellt der Computer automatisch nach. Auch das spart Lagerkosten. Ein automatischer Bieger ist schneller und liefert genauere Teile, als sie früher zugekauft wurden. Kästli: « Insgesamt stellen wir heute mehr Teile selbst her. Wir betreiben In- statt Outsourcing. » Dazu gehört auch, einen über sechzig Jahre alten Schlosser, dessen Stelle andernorts wegrationalisiert wurde, neu einzustellen. « S ein Erfahrungswissen ist wertvoll für den ganzen Betrieb. » Er schweisst gerade ein Kettenglied an ein dünnes Stahlrohr, das danach in die Verzinkerei kommt. Präzise und schnell. Sobald es ausgekühlt wird, muss die Braue weggenommen werden. Die Teile gehen weiter in die Montage. « Wir arbeiten mit Lowtech – aber dafür braucht es hohes handwerkliches Wissen .» Stoffe gegen die Sonne Auf der anderen Seite der Halle, weg von Metallstaub und Schmutz, liegt die Näherei. Hier ist es ein paar Grade wärmer. Und die Näherei ist fest in Frauenhand. Eine Mitarbeiterin überprüft noch einmal die Einstellungen. Dann greift der breite Ultraschallschneider den Stoff. Während er das Tuch über den langen Tisch zieht, schneidet er es in der Länge auf den Millimeter genau. Auf einer weiteren Maschine werden Stoffstreifen eingespannt, dann wird der Aussensaum genäht, bevor die Bahnen in der gewünschten Breite zusammengenäht werden. Unter dem 4,5 Meter breiten Tisch liegt ein Magazin mit den Stoffrollen, die abgerufen werden können. Der Stoff wird abgerollt, eingeklemmt und geschnitten, mit einem Messer oder einer Ultraschallsonde, die die Schnittkante des Textils im selben Arbeitsgang verschweisst. Die Mitarbeiterin wechselt den Arbeitstisch, fügt oben und unten eine Schnur oder einen Hohlsaum an. Bei einem anderen Werkstück näht eine weitere Mitarbeiterin gerade eine schmale Tasche für die Segellatte ein. Ihr gegenüber leuchten die farbigen Markisenstoffe, die im Regal aufbewahrt werden. Sie stammen von drei Webereien, die in Europa solche Stoffe herstellen. Wichtige Lieferanten sind Sattler aus Österreich und Serge Ferrari aus Frankreich. « Um im Nähatelier die traditionelle Verarbeitung von Acrylstoffen zu ergänzen, haben wir zusätzliche Maschinen angeschafft, um Gittergewebe zu verarbeiten. Damit halten wir die Auslastung über das gesamte Jahr mehrheitlich konstant ». Trotz der bunten Farben: Storenstoffe entziehen sich dem modischen Rhythmus. Werden sie gut verkauft, bleiben sie jahrzehntelang im Angebot, Kollektionen laufen mindestens fünf Jahre. Textilien hängen zehn bis fünfzehn Jahre an einer Fassade. Entsprechend gut ausgerüstet sind sie: Sie müssen wetter- und UV-beständig sein und schimmelfrei. Die konfektionierten Stoffe fahren auf einem Wagen an die Aufzugsstation. Dort wird die vorbereitete Stoffwalze aus Stahl in eine Maschine geklemmt und der Stoff eingeführt, ein Motor wickelt ihn auf. Am Schluss kommt die Saumstange hinein – die Store ist bereit zur Montage.
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Schatten im besten Licht Die Häuser von heute sind gläsern und licht wie kaum zuvor. Umso wichtiger ist in dieser Ära der Entmaterialisierung der Schatten – diesem widmet sich dieses Themenheft und erläutert, weshalb sich die heutige Architektur ihrer Schat tenseiten wieder gewiss werden soll. Solchen Schatten fertigt die Storenmanufaktur Kästli – mit viel Geschick und cleverer Konstruktion entsteht in Belp Massarbeit für die hellen Häuser der Architekten. Sie schafft textile Hüllen, beschattet Innenhöfe und adaptiert denkmal geschützte Markisen an heutige Ansprüche. www.kaestlistoren.ch
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