Spuren der Zeit

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Themenheft von Hochparterre, Oktober 2019

Spuren der Zeit Architektur und Handwerk haben dem sanierten WestflĂźgel des Landesmuseums ZĂźrich zu neuem Glanz verholfen.

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Handwerkerspass: der geschĂźtzte Kachelofen als freundlicher Geist.

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Editorial

Das Verhältnis zwischen Alt und Neu Inhalt

4 « Wir haben uns Gustav Gull anvertraut » Die Architektinnen und Architekten beschäftigten sich zuletzt mit dem Westflügel des Landesmuseums Zürich.

8 Beton, der zwischen den Fingern zerbröselt Am Ende des 19. Jahrhunderts waren verschiedene Baumeister mit unterschiedlichen Materialqualitäten an der Arbeit.

12 Historische Zimmer als Herzstück Ausbau, Restaurierung und Wiedereinbau waren komplizierte, aber auch schöne Aufgaben für die Holzspezialisten.

21 Nichts ab Stange Für Sicherheit, Heizung und Lüftung braucht es heute modernste Elektroanlagen. Eine Herausforderung für Planung und Montage.

2 2 Nobilitierte Farbigkeit Die beiden Kapellen waren nüchtern helle Räume ohne Bemalungen. Jetzt erstrahlen sie in neuem Glanz.

2 6 Aussehen wie damals, produziert für heute Historische Böden wurden mit neuen Fliesen ergänzt: Traditionell hergestellt, aber modernen Anforderungen genügend.

3 0 Die Lösung im Gespräch gesucht Bauherrenvertreter Hans­p eter Winkler, Nutzervertreter Luigi Razzano und die restauratorische Leiterin Gaby Petrak ziehen Bilanz.

Wer heute durch den Westflügel des Landesmu­seums in Zürich geht, kann sich kaum vorstellen, was hier in den vergangenen drei Jahren alles geschehen ist. Die Decken, Wände und Böden erstrahlen, als wären sie neu. Dabei haben die beteiligten Architektinnen, Planer, Restaura­ torinnen und Handwerker elf bis zu 500 Jahre alte histo­ rische Zimmer restauriert und gleichzeitig diesen Teil des Gebäu­des aus dem 19. Jahrhundert saniert. Heutige Anforderungen an die Technik und Sicherheit im Muse­ um trafen auf ein 120-jähriges Haus, in dem die Histori­ schen Zimmer eingebaut sind. Die Sanierung lässt die Atmosphäre aus der Bauzeit des Museums wieder aufle­ ben. Was über die Jahrzehnte kaputtgegangen war, musste rekonstruiert oder neu interpretiert werden. Jetzt bilden der Museumsbetrieb des 21., das Gebäude von Architekt Gustav Gull aus dem 19. und die historischen Bauteile des 15. und 16. Jahrhunderts wieder eine Einheit. Die Konstellation im Westflügel erforderte eine spe­ zielle Zusammenarbeit. Vorgelebt und getragen vom Bau­ herrn – dem Bundesamt für Bauten und Logistik – und dem Nutzer – dem Schweizerischen Nationalmuseum – ver­ langte sie feinfühlige Architekten und Planer – die Arbeits­ gemeinschaft Christ & Gantenbein und Proplaning –, eine hartnäckige Restauratorin – in der Person von Gaby Petrak – und zahlreiche präzis arbeitende Handwerkerinnen und Handwerker. Das vorliegende Heft zeigt, dass nur in der konstruktiven Auseinandersetzung und im Kompromiss tragfähige Lösungen zu finden sind. Dass dies gelungen ist, beweisen die Bilder des Fotografen Roman Keller. Zu Zeiten der Gründung des Landesmuseums ent­ sprang das Interesse an alten handwerklichen Fertigkei­ ten einer Nos­tal­gie angesichts der neuen Produktions­ methoden der Industrialisierung. Heute ist das tradierte Wissen über die Gewerke unabdingbar. Am 11. Oktober 2019 wird der Westflügel wiedereröffnet. Dann können die Museumsbesucherinnen und -besucher diesen Teil des Gull-Baus, zwei neue Ausstellungen und die Historischen Zimmer besichtigen. Das vorliegende Heft macht sie auf die Arbeiten aufmerksam, die den neuen Glanz ermöglicht haben. Urs Honegger

Impressum Verlag Hochparterre AG  Adressen  Ausstellungsstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41 44 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag @ hochparterre.ch, redaktion @ hochparterre.ch Verleger  Köbi Gantenbein  Geschäftsleitung  Lilia Glanzmann, Werner Huber, Agnes Schmid  Verlagsleiterin  Susanne von Arx  Konzept und Redaktion  Urs Honegger  Fotografie  Roman Keller, Zürich  Art Direction  Antje Reineck  Layout  Barbara Schrag  Produktion  René Hornung  Korrektorat Lorena Nipkow, Dominik Süess Lithografie  Team media, Gurtnellen  Druck  Stämpfli AG, Bern Herausgeber  Hochparterre in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Nationalmuseum Bestellen  shop.hochparterre.ch, Fr. 15.—, € 12.—

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« Wir haben uns Gustav Gull anvertraut » Umbau und Erweiterung des Landesmuseums laufen seit 15 Jahren. Zuletzt beschäftigten sich die Architektinnen und Architekten mit dem Westflügel des Museums. Gespräch: Axel Simon

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Wie sah Ihre Aufgabe im Westflügel aus ? Mona Farag: Technische Aspekte prägen das Sanierungskonzept im gesamten Altbau: Erdbebensicherheit, Brandschutz, Sicherheitsertüchtigung. Das Besondere im Westflügel sind die Historischen Zimmer, die allesamt ausgebaut werden mussten, um die tragenden Bauteile zu sanieren. All die enormen technischen Eingriffe durften die Holzeinbauten nicht tangieren. Die sind mehrere hundert Jahre älter als der Museumsbau und Teil der Sammlung des Schweizerischen Nationalmuseums. In welchem Zustand waren die Räume ? Christoph Gantenbein:  Das war ein Graus. Auf dem Terrazzo klebten Teppichböden, die grossen Fenster waren verhüllt, Säulen ummantelt, an vielen Stellen waren Gipswände eingebaut. Die Umbauten aus den Sechziger- bis Achtziger­jahren zeigten uns, wie stark man ein historisches Gebäude kaputt machen kann – nicht unbedingt physisch, sondern ästhetisch und räumlich. Mit welcher grundsätzlichen Haltung sind Sie vorgegangen ? Christoph Gantenbein: Bei einem historischen Haus ist die Auseinandersetzung mit dem Bestand das, was die Aufgabe interessant macht. Wir haben uns ein Regelwerk aufgebaut und uns fast fetischistisch dem Vorhandenen genähert. Wir fanden: Die Gull’sche Architektur kann nur dann wieder eine Wirkung haben, wenn sie wieder physisch wird. Es darf nicht alles nagelneu sein, es braucht auch Spuren der Zeit. Spielte es eine Rolle, ob ein Bauteil 120 oder 500 Jahre alt war ? Christoph Gantenbein: Wir haben alles physisch Vorhandene ernst genommen und nirgends zugunsten der Klärung eines Raums die Bausubstanz verändert, egal, wie alt sie war. Klar, die historischen Einbauten sind die eigentlichen Exponate und damit geschützt. Aber die Architektur von Gustav Gull war Teil der Verhandlungen. Sowohl die Nutzer als auch die Denkmalpflege und wir hatten manchmal unterschiedliche Perspektiven, die ausdiskutiert werden

mussten: Für die Kuratoren stand die Frage im Vordergrund, wie die Sammlungen wieder, wie bei der Eröffnung des Museums 1898, permanent im Westflügel ausgestellt werden können. Die Forderungen der Denkmalpflege waren oft nur schwer mit den technischen Anforderungen und Vorschriften in Einklang zu bringen. Wie sah ein solcher Konflikt konkret aus ? Mona Farag: Die sogenannten Stilzimmer haben historische Decken. Weil diese Räume für Sammlungsausstellungen genutzt werden, haben wir flexible Lichtschienen entwickelt, die von der Decke hängen. Die wollten wir durch vorhandene Nieten- oder Astlöcher befestigen und haben das aufwendig geplant. Neue Löcher waren tabu, da die Decken Teil der Sammlung des Museums sind. Am Ende gab es minimale Abweichungen, und wir hätten doch vereinzelt Löcher bohren müssen. Nach langen Diskussionen hat man einige Bretter durch neue ersetzt, die den alten zum Verwechseln ähnlich sehen. Die Originale sind nun im Sammlungszentrum in Affoltern am Albis eingelagert. Oder die Unterkonstruktion: Auch die ist geschützt. An vielen Stellen haben wir um Zentimeter gekämpft, um die Leitungen unterzubringen. Zu Gulls Zeiten hat man das alles gnadenlos zugeschnitten und reingebastelt, heute ist es sakrosankt. Wie bewältigt man solch knifflige Aufgaben technisch ? Benjamin Beck:  Mit einer präzisen planerischen Idee, die so viel Flexibilität lässt, dass man bei der Ausführung noch reagieren kann. Hinter viele Verkleidungen konnten wir vorher nicht schauen. Ein Geometer hat möglichst viele, präzise Massaufnahmen gemacht und 3-D-Scans, jeweils mit und ohne Verkleidung. Der Bauunternehmer hat mit geringeren Toleranzen gearbeitet, als sie der SIA vorschreibt. Die Koordination zwischen Planung und Ausführung, zwischen Bauherrschaft und Nutzer war intensiver als üblich. Oft hat man sich vor Ort getroffen. Seit 15 Jahren baut Ihr Team am Landesmuseum. Was verändert sich in einem so langen Zeitraum ? Benjamin Beck: Gesetze und Normen, Anforderungen oder administrative Rahmenbedingungen entwickeln sich. Manche Themen sind heute wichtiger. Es gibt mehr und spezifischere Sicherheitsmassnahmen. Auch der technische

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Fortschritt spielt eine Rolle. Planerische Ansätze und Ausführungen haben sich verändert. Zum Beispiel lösen wir die Brandschutzertüchtigung des Rohbaus heute anders, indem wir Decken unterbetonieren, statt die bestehenden Stahlträger einzupacken. Mona Farag:  Bei manchen Themen verändert sich auch die gesellschaftliche Gewichtung, zum Beispiel bei der Hindernisfreiheit. Deshalb haben wir noch einen zusätzlichen Lift eingebaut. Als Sie den Wettbewerb für die LandesmuseumErweiterung 2002 gewonnen haben, waren Sie dreissig Jahre jung. Heute hat das international bekannte Büro über sechzig Mitarbeitende, und Sie haben ETHProfessuren. Und noch immer bauen Sie am Landesmuseum. Was für eine Rolle spielt das Projekt für Sie ? Christoph Gantenbein: Als wir den Wettbewerb gewonnen haben, hatten wir einen einzigen Mitarbeiter und noch nicht einmal einen Drucker. Wir mussten wachsen und ein professionelles Büro werden. Das hat dieses Projekt ermöglicht, aber auch erzwungen. Schockartig, quasi über Nacht. Niemand hat uns gekannt, und plötzlich waren wir das Büro, das die internationale Konkurrenz hinter sich gelassen hatte. Mit dem Gestaltungsplanverfahren folgte ein langer politischer Kampf. Das Projekt wurde in Etappen aufgeteilt. Der Entwurf veränderte sich stark. Veränderte sich auch Ihre Haltung zum Bestand ? Christoph Gantenbein: Beim Wettbewerb ging es um die Frage: Wo steht der Neubau ? Viele andere Projekte haben eine Antithese zur Gull’schen Architektur gesucht. Unser Projekt hat unsere heutige Haltung zum historischen Gebäude etwas vorweggenommen, nämlich das Verwachsen des Altbaus mit dem Neubau. Der Altbau hat dann über die Jahre im Entwicklungsprozess zunehmend an Gewicht gewonnen. Der Flügel, in dem einst die Kunstgewerbeschule untergebracht war, blieb erhalten, der Neubau schrumpfte und hat sich stärker am Bestand orientiert, mit tufffarbigem Beton und einem richtigen Dach. Das durchgehende Thema ist das Verhältnis zwischen Alt und Neu, was ja dem historischen Museum entspricht. Was haben Sie von Etappe zu Etappe gelernt ? Mona Farag: Im Rahmen der ersten Sanierungsetappe haben wir uns intensiv mit der Architektur von Gustav Gull auseinandergesetzt, einen Umgang damit gesucht. Das hat die Grammatik für alle weiteren Etappen vorgegeben. Wie stark sollen sich beispielsweise die neuen Terrazzo­ böden von den alten unterscheiden ? Manchen Teilen sieht man an, dass sie neu sind: Die Säulenhalle haben wir unterbetoniert und das Gewölbe gezeigt, es tritt als neues, kraftvolles Bauteil in Erscheinung, fügt sich aber in die steinerne Architektur ein. In dieser Phase haben wir in Zusammenarbeit mit dem Museum auch schon ein erstes Historisches Zimmer aus- und eingebaut, um zu lernen. Da wussten wir noch nicht, wie viele Jahre bis zum Abschluss der Etappe vergehen werden. Benjamin Beck:  Vor 130 Jahren war die Ausführung sehr grob. Heute ist die Präzision natürlich viel höher, aber beim Westflügel war wieder Handwerk gefragt. Es war nicht einfach, Unternehmer zu finden, die das können, was wir wollten. Die ein Gespür haben, wie viel sie machen dürfen. Zum Beispiel bei den handbemalten Fliesen oder der Stuckatur. Das war eine intensive Auseinandersetzung. Planerisch und auch auf der Baustelle. Man muss genau wissen, was man will. Mona Farag:  Die Oberflächen der Wand- oder Deckenverkleidungen müssen ja heute nicht mehr können als vor 100 oder 300 Jahren. Ein Boden aber muss heute rutschund abriebfest sein. Trotzdem wollte man bunt bemalte,

glänzende Fliesen, wie sie Gull eingebaut hatte. Das geht eigentlich gar nicht. Wir haben ein paar Mal gedacht, das kriegen wir nicht hin, und haben schon einen Terrazzooder Holzboden vorgeschlagen. Die Bauherrschaft hat starke Nerven bewiesen. Waren die Historischen Zimmer eher die Pflicht und die Stilzimmer die Kür, weil es bei ihnen architektonisch mehr zu entscheiden gab ? Christoph Gantenbein:  Die Hauptfrage im Westflügel war: Wie sehen die Teile aus, die wir neu hinzufügen ? Dabei ging es vor allem um den Vorraum des Lochmannsaals, der ursprünglich mehrgeschossig war und ein Oberlicht hatte. Er hatte einen rechteckigen Durchbruch mit konvex einspringenden Ecken. In den Sechzigerjahren verschwand er hinter flachen Decken. Wir wollten die Qualität des Gull’schen Tageslichtmuseums wiederherstellen. Aber wie sieht dieser Raum jetzt aus ? Welche Sprache spricht er ? Wir haben uns die Grundregel gesetzt: Alles, was da ist, verwenden wir wieder, und alles, was neu hinzukommt, vereinfachen wir. Es gibt keine Deko, nur die tektonischen Elemente von Boden, Wand und Decke. Mit dieser Strategie sind wir an Grenzen gestossen: Sollen wir ein einfaches Staketengeländer machen ? Eine massive Brüstung ? Gull hatte ein sehr massives Holzgeländer gemacht, irgendwas zwischen Geländer und Brüstung. Wir haben das dann aufgrund von Fotos rekonstruiert und nur leicht angepasst wegen der Sicherheit. Manchmal ist die Sprache eines architektonischen Entwurfs nicht die vorrangige Frage, sondern die konkrete räumlich Situation. Mona Farag:  Über diesen zentralen Raum haben wir lange und oft gesprochen, auch über seine Decke. Geometrisch ist er schwierig. Beim Entwerfen habe ich Gull verstanden. Der Raum tut so, als sei er zentral, aber das Oberlicht liegt gar nicht in der Mitte. Und je abstrakter man alles formt, desto mehr fällt es auf. Der Dekor überspielt das, darum haben wir auch die Stuckatur rekonstruiert, allerdings weiss gelassen, ursprünglich war sie farbig. Es gibt heute im ganzen Landesmuseum keine Decke mit mehr Stuck als diese. Als wir den Sinn dieser Form erkannt haben, haben wir uns Gustav Gull anvertraut. Zuerst bei der Decke, dann auch beim Geländer. Das bestätigt die Aussage der Jury vor 17 Jahren, Ihr Entwurf sei eine « vorbehaltlose, beinahe zärtliche Identifikation » mit dem Bau von Gull. Welche Rolle spielte dabei die Bauherrschaft ? Benjamin Beck:  Die hat Mut und Ausdauer bewiesen und ist den oft intensiven Weg bis ins Detail mitgegangen. Das war spannend, lehrreich und alles andere als die Norm. Mona Farag:  So etwas gelingt nur, wenn Bauherr, Nutzer, Planer und Unternehmer eng zusammenarbeiten. Hanspeter Winkler vom Bundesamt für Bauten und Logistik hat den Rahmen dafür geschaffen, zeitlich, finanziell, aber auch kulturell. Er konnte den architektonischen Wert des Umbaus ermessen. Es ist eine riesige Freude, an diesem Gebäude zu arbeiten. Bei der Sanierung des Bahnhofflügels haben Sie eine Stelle sehr zeitgenössisch gestaltet und per digitalem Verfahren ein abstrakt-organisches Relief in die Innenraumtüren gefräst. Was hat sich zwischen den Türen und der rekonstruierten Brüstung im West­ flügel verändert: die Aufgabe oder Ihre Haltung ? Christoph Gantenbein:  Beides. Die Türen sind für uns immer noch gültig. Es sind Objekte, die sich in ihrer Sprache dezidiert vom Bestand unterscheiden. Das ist möglich, weil das Haus nicht klassizistisch ist, in Typologie und Sprache nicht in einem kohärenten System formuliert ist. Es ist ein sehr fragmentiertes, collagiertes Haus. Gull nimmt da die Moderne vorweg. →

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Christoph Gantenbein * 1971, studierte an der ETH Zürich und gründete 1998 zusammen mit Emanuel Christ das Archi­ tekturbüro Christ & Ganten­ bein in Basel. Nach Gastprofessuren in Mendrisio und Oslo sowie an der ETH und in Harvard ist er seit 2018 Professor für Architektur und Entwurf an der ETH Zürich.

Mona Farag * 1974, arbeitet seit 2002 bei Christ & Gantenbein und ist seit 2017 Partnerin. Im Projekt Landesmuseum war sie Gesamtleiterin Planung ( Entwurf, Aus­ führungsplanung ). Sie studierte an der Techni­schen Hochschule Karls­ ruhe und an der Escuela Técnica Superior de Arquitectura de A Coruna, Spanien. Sie diplomierte 2000 in Karlsruhe.

Benjamin Beck * 1980, ist Architekt bei Proplaning und war im Pro­jekt Gesamtleiter Ausführung ( Bauleitung, Kostenund Termincontrolling ). Er studierte an der Bauhaus-Universität Weimar und arbeitet seit 2010 bei Proplaning, seit 2015 in der Funktion als Prokurist. Proplaning, Basel, wurde 1977 gegründet und ist sowohl Architektur- wie Bauingenieurbüro.

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C Schnitt durch den Westflügel

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Stilzimmer 6 K reuzgang 7 Unterer Kreuzgang 8 Untere Kapelle 10 Haus zum Loch 7

B

Historische Zimmer 3 Fraumünsterabtei, Amtsstube 4 Fraumünsterabtei, Privatstube 5 Fraumünsterabtei, Helfensteinstube 9 Rathaus Mellingen

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Weitere Räume 1 Korridor mit Decke ‹ Lindau › 2 Loggia 11 Korridor mit Teil­kopie der Kirchen­ decke ‹ Zillis ›

Schnitte B Section B 1

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Erdgeschoss

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Stilzimmer 1 Silberkammer

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Sanierung Landesmuseum A 2005  –  09 Bahnhof ­fl ü­gel B 2012 – 1 5 Erweiterungsbau C 2013 – 14 Flügel Kunstgewerb­eschule D 2014 – 1 6 Hofflügel E 2016 – 1 9 Westflügel F 2019 – 20 Ostflügel

A F

C

2. Obergeschoss

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B

Historische Zimmer 2 K loster Oetenbach 3 Palazzo Pestalozzi 4 Rosenburg 5 Schloss Wiggen 6 Seidenhof, Prunkstube  8 Lochmannsaal

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Stilzimmer 10 Obere Kapelle Weitere Räume 1 Korridor mit Decke ‹ Arbon › 7 Lichthof mit Decke ‹ Neunkirch › 9 Vorraum

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1. Obergeschoss Themenheft von Hochparterre, Oktober 2019 —  Spuren der Zeit — « Wir haben uns Gustav Gull anvertraut »

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Wenn der Beton zwischen den Fingern zerbröselt Text:  Werner Huber

Als im Herbst 1892 die Bauarbeiten für das Landesmuseum begannen, sah der Terminplan die Eröffnung für das Jahr 1895 vor. Dem engen Programm entsprechend teilte Architekt Gustav Gull die Arbeiten in acht Abschnitte auf, die parallel liefen. Entsprechend waren bis zu acht Baumeister am Werk, mit unterschiedlichen Tragsystemen für die Decken und vor allem mit unterschiedlicher Materialqualität. Neben einzelnen Tonhourdis- und Holzbalkendecken besteht der Bau weitgehend aus einer Verbund­ konstruktion aus Stahl und Beton: Auf einer stählernen Primärkonstruktion liegen sekundäre Stahlträger – gewölbe- oder kappenförmig mit Beton ausgegossen. In diesem Beton gibt es keine Bewehrung, er ist ausschliesslich auf Druck belastet. Seine Qualität ist teils gut, teils sehr schlecht. Der Zement­anteil ist niedrig, sodass der poröse und nicht verdichtete Beton stellenweise zerbröselt oder rissig ist. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Konstruktionsart und der Beton als Baumaterial vor gut 120 Jahren noch relativ neu waren. Nicht nur die Sekundärträger sind problematisch. Auch die Primärträger weisen nicht überall die erforderliche Traglast auf, erklärt Ergin Telli vom zuständigen Ingenieurbüro APT. Eine Standardlösung Mit der Sanierung mussten die Decken nun für die Zukunft gerüstet werden. Dies bedeutete nicht allein, die bestehenden Konstruktionen zu sanieren, sondern auch, sie für grössere Nutzlasten von bis zu 500 Kilogramm pro Quadratmeter tragfähig und erdbebensicher zu machen. Ausserdem waren zusätzliche Elektroleitungen vorzusehen, und es mussten Durchbrüche für Lüftungsschächte und für einen weiteren Liftschacht gemacht werden. Bestimmend waren zudem die Normen für den Brandschutz, und über allem liegt der Anspruch der Denkmalpflege, die Originalsubstanz zu erhalten. Die Historischen Zimmer mussten wieder eins zu eins in die sanierte Tragstruktur eingebaut werden. Bei den übrigen Räumen einigten

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sich Planer und Denkmalpflege darauf, dass die verstärkten und also dickeren Decken nirgends in das Lichtprofil der Fenster ragen dürfen. « Dieser Grundsatz war höher zu gewichten als der Erhalt der Substanz », sagt Mona Farag von Christ & Gantenbein. Innerhalb dieser Randbedingungen evaluierten die Ingenieure das Unterbetonieren der bestehenden Struktur als beste Lösung. Dabei wird eine rund 12 Zentimeter dicke, armierte Schicht aus selbstverdichtendem Beton von unten an die vorhandene Decke aufgebracht. Kopfbolzendübel, die vorgängig an die alten Stahlträger angeschweisst wurden, sorgen für einen kraftschlüssigen Verbund. Diese Methode löst gleich mehrere Probleme: Die vorhandene Decke wird stabilisiert, die Tragkraft auf die verlangten Werte erhöht, Erdbebensicherheit und Brandschutz sind gewährleistet. Zudem liessen sich auch die Elektroleitungen und die Stahlschienen für die Befestigung der Decken in den Historischen Zimmern einlegen. Ausnahmen für Sonderfälle Neben diesem Normalfall gab es etliche Decken, für die eine andere Lösung gefunden werden musste. So war in einem Fall der 120-jährige Beton von so schlechter Qualität, dass man die Decke abbrechen und komplett neu betonieren musste. An anderen Stellen reichte für das Unterbetonieren der Platz nicht aus, weil dann die historische Zimmerdecke nicht mehr hineingepasst hätte. Da verstärkte man die vorhandene Decke mit einem Betonkranz. In der Kapelle konnte man das Kreuzrippengewölbe der Decke nicht entfernen, sodass man sich hier mit punktuellen Massnahmen zur Gewährleistung der Erdbebensicherheit beschränken musste. Die knapp bemessene Bauzeit hatte Ende des 19. Jahrhunderts dazu geführt, dass die vielen beteiligten Baumeister unterschiedliche Konstruktionen hinterliessen. Genützt hat der Zeitdruck damals wenig: Ein harter Winter, Projektänderungen und Materialanpassungen verzö­ gerten die Eröffnung um drei Jahre bis 1898. Auch die aktuelle Sanierung des Altbaus und der Neubautrakt wurden in Etappen ausgeführt. Diesmal steht am Ende zwar immer noch ein Patchwork der Konstruktionen, aber neu ein Gebäude, das in all seinen Teilen weitgehend identische Bedingungen für den Museumsbetrieb ermöglicht.

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Die Sanierung brachte manche Ăœberraschung ans Licht.

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Schon Gustav Gull hatte mit der Stuckatur gearbeitet. Jetzt ist sie rekonstruiert, aber nicht mehr farbig.

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Der wieder offene Vorraum des Lochmannsaals. Die Stuckatur überspielt die Asymmetrie, darüber das rekonstruierte Geländer.

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Stück für Stück wurden die Historischen Zimmer ausgebaut. Für die Äbtissinnen-Zimmer des Fraumünsterklosters waren die Berliner Lars Geissler und Knut Lewandrowski zuständig.

Historische Zimmer als Herzstück Für die Sanierung wurden die teils 500 Jahre alten Stuben ausgebaut, restauriert und wieder eingebaut. Komplizierte, aber auch schöne Aufgaben für die Holzspezialisten. Text: Meret Ernst

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« Elf getäfelte Stuben, wertvolle Decken und Vorräume gibt es im Landesmuseum Zürich », erklärt Gaby Petrak. Die Konservatorin-Restauratorin hat das Projekt geleitet, bei dem alle Historischen Zimmer aus dem Westflügel ausgebaut, im Sammlungszentrum in Affoltern am Albis restauriert und am alten Ort wieder eingebaut wurden. Der Ausbau wurde nötig, damit die Gebäudehülle saniert werden konnte. Ein vergleichbares Projekt kenne sie nicht, sagt Petrak, darum wurde der Prozess mit einem Pilotprojekt getestet: « 2005 demontierten wir ein Historisches Zimmer, zwei Jahre später bauten wir erstmals einige Decken aus. So lernten wir, welche Problemen auf uns zukommen. » Mit diesem Wissen wurde die WTO-Ausschreibung aufgesetzt, für die Petrak den Anforderungskatalog formulierte, den restauratorisch korrekten Umgang mit den Räumen definierte und den Aufwand einschätzte. Vier Restaurierungsteams erhielten den Zuschlag – drei aus der Schweiz, eines aus Berlin.

Die Historischen Zimmer bilden das Herzstück des Westflügels – ideologisch und architektonisch. Der Architekt Gustav Gull hatte in seinem Entwurf Ende des 19. Jahrhunderts sechs Stuben mit eingeplant, die das Museum bereits angekauft hatte. Historische Zimmer zu zeigen, war zu dieser Zeit der letzte Schrei. Alpine und voralpine Holzausstattungen, die seit dem Spätmittelalter von Wohlstand, handwerklichem Können, Holz- und Hölzerreichtum kündeten, wurden teuer gehandelt und fanden den Weg in die Museen – bis nach Berlin oder New York. Sie dienten als Vorbild für das Kunstgewerbe und als Ansporn, mit gut gestalteten Produkten im internationalen Handelswettstreit mitzuhalten. Zugleich lieferten die Zimmer die passende Szenografie für die Sammlungsstücke. Bei der Äbtissin zu Gast Die historischen Räume führen bis heute auch kulturelle Herkunft vor – etwa mit der gotischen Flachschnitzerei, die vor allem im Alpenraum zu finden ist. Besonders schön ist sie in den drei Äbtissinnen-Zimmern des Fraumünsters Zürich zu sehen. Diese Stuben wurden denn auch als Pluspunkte in der Bewerbung angeführt, mit →

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Hinter den Paneelen mit gotischer Flachschnitzerei wird die sanierungsbedĂźrftige Konstruktion sichtbar.

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→ der sich Zürich 1890 als Standort für das Landesmuseum empfohlen hatte. Als die Klosteranlagen den städtischen Verwaltungsgebäuden weichen mussten, konnten die Stuben gesichert werden. Gustav Gull zeichnete sie in seinem Entwurf mit ein. Die adlige Äbtissin Katharina von Zimmern liess mit den Flachschnitzereien ihren Amts- und Wohnkomplex schmücken, der ab 1506 erbaut wurde. Die Bildgeschichten auf den Wandfeldern aus Tannenholz vertrieben den Wartenden im Vorzimmer mit moralischen Hinweisen die Zeit. In der Privatstube überraschen weltliche Motive elegant gekleideter Damen oder von Liebespaaren. Für die Restaurierung der Stuben war das Team um Lars Geissler und Knut Lewandrowski zuständig. Im Atelier in Berlin-Weissensee wussten sie bis ins kleinste Detail, was sie Hunderte Kilometer weiter südlich erwartete. Das Bundesamt für Bauten und Logistik hatte sämtliche Räume und Decken photogrammetrisch aufnehmen lassen und stellte diese Daten allen vier Teams zur Verfügung. « Wir konnten bis aufs kleinste Astloch heranzoomen ! », so Lars Geissler. « Damit bereiteten wir eine Kartierung vor, was uns vor Ort viel Zeit einsparte. » Mit den hochaufgelösten, entzerrten und mass­stabgetreuen Aufnahmen wurden am Computer Tausende, auch kleinste Teile vermasst, nummeriert, katalogisiert. Die Dokumentation garantierte auch, dass beim Einbau jedes Element wieder seinen angestammten Platz erhielt.

Die Stube mit integriertem Bett und Buffet, einem Kachelofen und Glasgemälden aus dem Schlösschen Wiggen wurde von Michael Kaufmann und seinem Team restauriert.

Überraschende Entdeckungen Die Realität hielt trotzdem Überraschungen bereit. Vor 120 Jahren, kurz nach dem Einbau ins Museum, hatte es im grossen Fraumünsterzimmer gebrannt. Jetzt zeigte sich vor Ort, wie delikat die beschädigten Stellen waren. Die verrussten Teile der geschnitzten Balkenköpfe waren damals lediglich mit einer deckenden Farbe übermalt worden. Nun musste ein sieben Meter langer und 150 Kilogramm schwerer Eichenbalken von vier Personen vorsichtig demontiert werden. « An der geschwächten Stelle konnten wir ihn nicht anfassen, ohne sie einzudrücken. Also setzten wir in der Mitte an – trotz des ungünstigen Hebels », erinnert sich Geissler. In der Wandvertäfelung gab es keine Brandspuren – ein Hinweis darauf, dass Teile davon nach dem Feuer ausgetauscht worden waren. « Diese Elemente stammten nicht aus dem 16. Jahrhundert, sondern wurden beim Einbau ins Museum angefertigt. » Die zeitliche Zuordnung in der Kartierung zeigt, dass höchstens zehn Prozent der Türen, Friese mit den gefassten Flachschnitzereien und der Deckenbalken in diesem Raum original sind. Die gefassten Stellen wurden mit Tensiden und Wasser gereinigt und was fehlte mit reversiblen Retuschen optisch angepasst. « Das gehört zum ABC des Restaurators », sagt Geissler. Die Fassungen auf den verbrannten Stellen waren abgeplatzt und wurden speziell behandelt: « Wir injizierten grossflächig ein Holzfestigungsmittel unter die Fassung, um die russige Schicht zu festigen. Anschliessend wurde sie mit einer Gouache ausretuschiert. So etwas geht über die reine Konservierung hinaus. » Was die Teams sorgfältig in eigens hergestellten Kisten verpackt und akkurat nummeriert hatten, wurde in den Innenhof verbracht, mittels Baukran über das Museumsgebäude gehoben und abtransportiert. « Ohne jeden Schaden », ist Gaby Petrak hochzufrieden. Die in Einzelteile zerlegten Ausstattungen wurden in einen neu errichteten Pavillon im Innenhof des Sammlungszentrums in Affoltern am Albis gebracht. « Wir stellten 900 Quadratmeter Lagerflächen und 300 Quadratmeter Werkstätten zur Verfügung », schildert sie. Bezogen wurde er ab Som-

Alle Teile der multifunktional genutzten Stube Wiggen fanden wieder ihren Platz.

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mer 2017. Das verkürzte die Transportwege, und alle profitierten vom engen Austausch – zwischen den Restaurierungsteams, aber auch mit den Expertinnen vor Ort. « Wir mussten nur über den Hof gehen und konnten uns direkt absprechen », sagt Petrak. Die multifunktionale Stube Die meisten Zimmer wurden ohne originale Ausstattung ins Museum eingebaut. Nicht so die Stube mit integriertem Bett und Buffet, einem Kachelofen und Glasgemälden aus dem Schlösschen Wiggen. Das Zimmer stammt aus dem Ende des 16. Jahrhunderts, als sich der Bauherr Johann Schlapprizi auf seinem Gut ein Lustschlösschen bauen liess. Die handgehobelte, gotisch getäferte Stube enthalte am meisten originale Substanz, hiess es in der verfügbaren Literatur. Michael Kaufmann, der das Zimmer mit seinem Team restaurierte, relativiert. Er entdeckte beim Ausbau gekürzte und ergänzte Partien. « Hinter dem Buffet kam eine frische Rückwand hervor, und wir fanden Spuren von maschineller Holzbearbeitung, wie sie erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts eingesetzt wurde. » Kaufmanns Team demontierte den Boden, der um das Bett und das Buffet verlegt worden war. « Die Konstruktion gab uns vor, was wir zuerst aus dem Verbund lösen mussten. » Das Buffet besteht aus einem Waschschrank mit Zinnbecken und einem Schauschrank aus edlen Einlegehölzern. Im Rest der Stube dominiert Tannenholz. Profilleisten strukturieren die einfach gehaltenen Flächen. Das Zimmer besticht weniger durch Schmuck als durch die Kompaktheit der verschiedenen Funktionen. « Die Arbeit ist sauber gemacht. Es war aber nicht gerade ein Ebenist am Werk – eher ein guter Bauschreiner », meint Kaufmann. Nach der Demontage reinigte das Team die Teile und behob kleine, beim Ausbau entstandene Schäden. Die Restaurierungsarbeiten bewegten sich im üblichen Rahmen, doch der Wiedereinbau erwies sich als kompliziert. Michael Kaufmann musste auf geringe Massveränderungen reagieren, die trotz präziser Planung durch die Sanierung der Gebäudehülle entstanden waren. Dabei war untersagt, was den Schreinern 1896 noch möglich war: Statt Originalsubstanz wegzuschneiden, versteckte er die notwendigen Anpassungen, etwa im Innenleben der Fensterbänke oder in der Unterkonstruktion der Decke. Die Vorgabe lautete, dass so wenig wie möglich an der Unterkonstruktion verändert werden durfte. « D enn auch sie wird bereits als Original behandelt », erklärt Gaby Petrak, die alle paar Tage auf der Baustelle war: « Natürlich war das nicht in allen Fällen ohne Anpassungen möglich. Diese haben wir situativ besprochen und das Vorgehen definiert. » Das dreidimensionale Puzzle Besonders kompliziert im Aufbau ist das RenaissancePrunkzimmer aus dem Palazzo Pestalozzi Castelvetro. Es stammt als Einziges nicht aus der Schweiz, sondern aus dem italienischen Chiavenna. Das auf 1585 datierte Zimmer zeigt den damals typischen Aufbau einer Architekturfassade: Sockel, Hauptzone mit Säulen oder Pilastern mit Gebälk und einem Attikaaufsatz. Zwei Prunkportale und eine Tür gliedern die Fassade. Das eine Portal ist mit einem intarsierten Bild der Susanna im Bade geschmückt siehe Umschlagfoto und führte ursprünglich ins Schlafzimmer des Bauherrn und seiner Gattin. Eine stark kassettierte Decke schliesst den Raum nach oben ab. Das Parkett wurde beim Einbau neu aus Fichtenbohlen und Nussbaumfriesen erstellt. Hier wird deutlich, wie knifflig ein solches Raumpuzzle zu knacken ist. Restaurator Jörg Magener hat die Konstruktion mit seinen sechs Mitarbeitenden intensiv analysiert und sich in die Denkweise der damaligen →

Im Sammlungszentrum in Affoltern am Albis wurden Teile wie etwa diese neu angefertigte Rosette des Pestalozzi-Zimmers vergoldet.

Gelöste Rahmenteile und Holzverbindungen wurden neu verleimt und wo nötig verstärkt.

Als Erstes mussten die Teile grob vom Staub gereinigt werden.

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→ Handwerker hineinversetzt. Als Erstes hatten sie die Decke eingebaut, darauf folgten die Wandverkleidungen. « Um ein solches Gefüge zu demontieren, muss man den Anfang finden », erklärt Magener: « Man beginnt mit den zuletzt eingefügten Teilen, dann wird der Ausbau logisch. » Auf Pläne konnte er sich, wie alle anderen Teams, nicht verlassen. Umso mehr half dem Restaurator das Wissen um die historischen Konstruktionen: « Die aufwendigen Verzinkungen waren ursprünglich verleimt. Beim ersten Ausbau der Zimmer hatte man sie einfach abgesägt und nagelte sie beim Einbau ins Museum 1896 schnell wieder zusammen. » Für den erneuten Ausbau musste Mageners Team Hunderte nicht originale Nägel absägen oder herausziehen, die Ausbrüche restaurieren und beim Wiedereinbau durch Schrauben ersetzen. Täuschendes Rechteck Der Raumeindruck im wieder eingebauten Prunkzimmer ist gewaltig. Doch wer meint, in einem rechtwinkligen Raum zu stehen, täuscht sich. Der Grundriss folgt einem Parallelogramm, eingebaut in einem rechtwinkligen Raum. Dadurch entstehen an den kurzen Seiten zwei Zwickel. Der eine enthält einen Wandschrank, hinter dem anderen entstand eine zuvor als Putzraum genutzte Nische. Hier haben neu die Steigleitungen und die Beleuchtungselektronik für das gesamte Stockwerk ihren Platz gefunden siehe ‹ Nichts ab Stange ›, Seite 21. « Die spitzen Winkel haben den Ein- und Ausbau nicht gerade erleichtert », sagt Restaurator Jörg Magener. Für die von den Architekten Christ & Gantenbein entworfenen Deckenleuchter brauchte es eine neue Aufhängung. Die von oben geführten Leitungen waren wesentlich dicker als die Löcher für die Drähte aus der Bauzeit. Entsprechend wurde eine Aufhängung entwickelt, die Magener vorab in der Unterkonstruktion integrieren konnte. Weil dadurch aber dickere Bohrungen durch die histori­ sche Decke notwendig wurden, entschloss man sich, die mittig platzierte Rosette einzulagern und eine Replik herzustellen. Die Grundformen hat der Restaurator auf der Drechselbank gedreht, anschliessend originalgetreu ge­ schnitzt, gefasst, blattvergoldet und wieder eingebaut – für ungeübte Augen sieht die Replik genau gleich aus wie das Original. Während der Arbeit fanden sich viele Spuren der Baugeschichte des Landesmuseums. So kam unter dem Buffet im Pestalozzi-Zimmer eine mit Bleistift gemachte Notiz zum Vorschein. Sie zeigte, wann das Möbel eingebaut wurde: 9. Februar 1897. Und wer es angefertigt hatte: Schreinermeister Hartmann aus Chur. Bauschutt und Zementstaub hinter der edlen Wand Im Jahr 1660 leistete sich Heinrich Lochmann, Oberst in französischen Diensten, einen barocken Fest­saal von über 90 Quadratmetern. Er erweiterte damit sein prächtiges Haus ‹ Zum langen Stadelhof › in Zürich. Die Seitenwände aus dunklem Nussbaum schliessen mit einem Fries aus 54 schwarz gerahmten Porträts von Staatsmännern und Mitgliedern der französischen Königsfamilie ab. An der Decke ziehen Szenen aus der griechischen Mythologie die Aufmerksamkeit auf sich, mittendrin das Familienwappen. Die Deckengemälde erwiesen sich als Knacknuss, erzählt Rolf Michel. Im Team mit Philipp Räber und der Gemälderestauratorin Aline Jahn war er für den Lochmannsaal zuständig. « D er Zustand war unklar, es gab kaum Informationen über die Eingriffe an den Tafeln. » Entsprechend vorsichtig gingen sie zugange. Zuerst lösten sie die Blenden und Zierleisten. Dann demontierten sie die Verankerungen der rund 2,5 auf 1,8 Meter grossen Tafeln und stellten sie auf einen Hebelift. Kleine

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Tyvek-Kissen stützten die Gemälde und glichen die unterschiedlichen Niveaus aus. « In situ verpackten wir sie in vorgefertigte Rahmenelemente und versteiften sie. So gesichert hoben wir sie von den Kissen und transportierten sie nach Affoltern. » Das Täfer war mit alten Nägeln und Keilen auf eine Holzkonstruktion montiert. « Ein Raum im Raum, gefertigt aus sägerohen Bohlen, die an die Wand montiert waren », erinnert sich Rolf Michel. Dazwischen fanden sie viel Bauschutt, und Zementstaub rieselte von der mit Beton ausgespritzten Kappendecke auf die Gemälde. Hinter dem Täfer kamen eine Holzleiter und ein Lösch­wasserkessel aus Leder zum Vorschein: « Er stand in einer Nische, zu der es einst einen Zugang gab. » Der Blick hinter die Ausstattung bot auch einen Blick zurück in die Bauzeit des Landesmuseums. Gustav Gull hatte offenbar Entscheidungen unter hohem Zeitdruck getroffen. Ursprünglich geplante Enfiladen schloss er kurzfristig mit zusätzlichen Mauern. Die Innenmauer auf der Eingangsseite des Lochmannsaals gehörte auch dazu. Rolf Michel erklärt die Bauweise: « Aus Zement und Bachkiesel wurden kleine Steinblöcke gefertigt, die offenbar nicht gemörtelt, sondern einfach zwischen Holzständern aufgeschichtet wurden. Ein späterer Eingriff hatte die Mauer zusätzlich so geschwächt, dass man sie beinahe von Hand hätte umstossen können. » « In den Porträts steckt viel Arbeit », stellt die Restauratorin Aline Jahn fest. 1936 wurden sie retuschiert und mit einem Überzug versehen. In den 1960er-Jahren doublierte man die Gemälde auf ein Polyestergewebe, ein heute kaum mehr verwendetes Verfahren, das auf Wärme, Druck und einer Harzwachsmasse basiert. « Die Temperaturen waren sehr hoch, sodass die Malschicht Blasen geworfen hat und die Farbe verpresst wurde. » Auf Streiflichtaufnahmen aus der Zeit sehe man, dass die Malschicht stark krakeliert war. Aline Jahn hat diesen Eingriff nicht rückgängig gemacht, sondern die Deformationen nivelliert, lockere Malschichten konsolidiert und Fehlstellen geschlossen. « Ausserdem habe ich mit Retuschen die Malschicht farblich der Umgebung angepasst. » Solche Eingriffe, die nicht auf die Rekonstruktion eines Originalzustands abzielen, sind für sie alltäglich. Und was hält sie vom malerischen Niveau ? « Einige Porträts sind von sehr hoher Qualität, bei anderen bekomme ich das Gruseln », lacht Aline Jahn. Allerdings liessen die Überarbeitungen kaum ein fundiertes Urteil zu. Trotzdem ist ihr der Lochmannsaal ans Herz gewachsen. Gerne erinnert sie sich an das Porträt eines Herrn mit einem besonders verschmitzten Ausdruck. Wieder eingebaut Im Sommer 2019 waren bis auf die Walliser Stube alle Historischen Zimmer wieder eingebaut: Kein Puzzleteil ging verloren, die Oberflächen wirken gepflegt und sind ins beste Licht gerückt. Hört man sich bei den Unternehmen um, erfährt man Lob für die umsichtige Projekt- und Bauleitung. Gaby Petrak ist stolz und glücklich, dass alles reibungslos klappte. « Ein Quäntchen Glück ist sicher auch dabei, dass nichts danebenging », sagt sie. Befördert wurde dieses Glück allerdings durch die enge Begleitung bei der Ausschreibung und die klare Kommunikation, welcher Standard erwartet wird. Beim Aus- und Wiedereinbau liess das Museum auch Zuschreibungen und Datierungen überprüfen: « Wir sahen genauer, welche Teile beim Einbau in den 1890er-Jahren ergänzt wurden, und erfuhren von den Signaturen, wer die Teile eingebaut hatte », sagt Petrak. All dies ist nun in den Dokumentationen festgehalten, die von den Restauratorenteams geliefert werden. Damit das gewonnene Wissen für künftige Eingriffe und die Forschung verfügbar bleibt.  →

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Im Lochmannsaal montiert das Team von Räber /  Michel die restaurierten Gemälde an die Decke.

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Das Pestalozzi-Prunkzimmer ist besonders kompliziert gebaut. Jรถrg Mageners Team nimmt es vorsichtig auseinander.

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Bildlegende randabfallende Bilder, nur im Themenheft

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Hinter der Wandverkleidung des Pestalozzi-Zimmers liegt der Verteilkasten fĂźr die Elektrik des ganzen Geschosses.

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Nichts ab Stange Text:  Urs Honegger

Ein Gebäude aus dem 19. Jahrhundert mit noch älteren Historischen Zimmern braucht für Sicherheit, Heizung und Lüftung modernste Elektroanlagen. Eine Herausforderung für Planung und Montage. « Es lief super », bekommen die Elektriker von Architektin Mona Farag ein dickes Lob für ihre Arbeit. Die Planung und Montage der elektrischen und elektronischen Anlagen waren alles andere als gewöhnlich. « Es gab extrem wenig Platz für Anpassungen, weil in den Historischen Zimmern auch die Unterkonstruktion geschützt ist », erklärt Farag. Zum Glück habe die Bauherrschaft und das Museum die eine oder andere Ausnahme bewilligt. Aufgrund der speziellen Ausgangslage zeichneten die Elektroplaner der Firma Pro Engineering alle Leitungen massstäblich im Schnitt und im Grundriss ein. Ihr Chef Anton Häcki erklärt das Vorgehen: Für jede elektrische Anlage wurde noch vor dem Ausbau der Historischen Zimmer ein Konzept erstellt. Auf Fotos und Plänen sei überprüft worden, wo es Öffnungen und Wölbungen gibt, durch die man die Leitungen führen könne. Herzstück des Plans ist die Steigzone, in der 250 Rohre zusammengeführt wurden. Die Montage der Elektroanlagen hat die Firma Elektro Compagnoni übernommen. « Für uns war vor allem speziell, dass wir so oft bei den Architekten rückfragen mussten », sagt Projektleiter Peter Herzog. « Alles, was sichtbar ist, musste abgesegnet werden. » Für seine Mitarbeiter sei die Arbeit aber lehrreich gewesen, auch « weil sozusagen nichts ab Stange war ». Was montiert wurde, sei zwar unscheinbar, aber Hightech. Die eingebauten Systeme für Wertschutz, Sicherheit, Heizung oder Kühlung entsprechen dem höchsten Ausbaustandard. Auch Herzog berichtet von den engen Verhältnissen. Wo immer eine kleine Nische oder ein Hohlraum zu finden war, wurden das WLAN oder der Rauchabzug installiert. Mit der Architektin und dem Denkmalschutz sei abgeklärt worden, was machbar sei und was nicht. Den fehlenden Platz haben die Monteure anderswo kompensiert: « Dachgeschoss und Keller sind mit Elektroanlagen überfüllt », lacht Herzog. « Dann kamen die Historischen Zimmer wieder rein, und es zeigte sich, ob alles am richtigen Ort war », schildert Anton Häcki. « Grosse Anpassungen gab es zum Glück nicht, wir hätten ja auch nicht bohren dürfen. » Er erinnert sich gerne an die anspruchsvolle Aufgabe und die spannenden Arbeiten für seine Mitarbeiter. Mit Hinblick auf die Wiedereröffnung des Westflügels meint er: « Wenn die Besucher nicht über die Installationen stolpern, haben wir gut gearbeitet. »

Auch die Stromkabel für die Beleuchtung werden, wie hier im Seidenhof-Zimmer, hinter den historischen Ausstattungen untergebracht.

Das restaurierte Pestalozzi-Zimmer zeigt sich im perfekten Glanz. Themenheft von Hochparterre, Oktober 2019 —  Spuren der Zeit — Nichts ab Stange

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Die Originalbemalung in der Unteren Kapelle war nur auf einer einzigen Farbaufnahme von 1905 erhalten, auf die sich die Rekonstruktion teilweise abstützen konnte.

Nobilitierte Farbigkeit Vor der Sanierung waren die Untere und die Obere Kapelle nüchterne, helle Räume ohne Bemalungen. Jetzt erstrahlen sie in neuer Farbigkeit. Text: René Hornung

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Wer restauriert, wägt ab: Gibt es noch genug Originalsubstanz, die gerettet werden kann ? Was lässt sich aus den Fragmenten ablesen ? Rechtfertigt ein Befund eine Ergänzung ? Oder wagt man eine Rekonstruktion und Neuinterpretation ? In den beiden Kapellen des Westflügels war die Ausgangslage unterschiedlich. Zwar waren in beiden Räumen die Decken weiss überstrichen. Immerhin gab es für die Untere Kapelle Fotos, die die Deckenbemalungen und Quaderzeichnungen an den Wänden zeigen. Doch zur konkreten Farbigkeit existiert nur eine einzige Farbaufnahme aus dem Jahr 1905. Die Voruntersuchungen von Fontana & Fontana, Rapperswil, waren ernüchternd: In der Unteren Kapelle fanden sich an der Decke keine konkreten Farbspuren mehr. Auch die Nachuntersuchungen von Christian Marty von Ars Artis, Küsnacht, brachten kaum neue Resultate. « Auf den alten Fotos sind zwar Blumen- und Arabesken-Motive zu erkennen. Auch plastische Ornamente sieht man, aber die waren alle abgeschlagen », schildert Marty. Von den Quadermotiven an den Wänden war ebenfalls nichts mehr zu finden. Lediglich an den Schlusssteinen gab es minimale Farbreste in Form eines roten Ritterkreuzes mit blauer Fassung.

In der Oberen Kapelle ergaben die Sondierungen mehr. Dort stiess Christian Marty bei den Untersuchungen der Rippen auf dekorative Motive und einzelne, allerdings winzige vergoldete Reste. Ob die Obere Kapelle aber je wirklich überall vergoldete Ornamente hatte oder ob die gefundenen Stellen nur Probeflächen beim Bau des Landesmuseums waren, liess sich nicht ermitteln. Bald war klar: Die beiden Kapellen können nicht gleich behandelt werden. In der Unteren Kapelle entschied man sich für eine interpretierende Rekonstruktion, in der Oberen für eine Restaurierung. Untere Kapelle: Neogotik neu interpretiert Die Fachfrauen Anja Kraft vom Zürcher Unternehmen Mona Lisa, Malerhandwerk aus Frauenhand, sowie Johanna Vogelsang und Sara Ambühl aus Rapperswil wurden mit der Rekonstruktion der Unteren Kapelle beauftragt. Johanna Vogelsang war es, die umfangreiche Recherchen unternahm, um der neogotischen Kapelle jene Farbigkeit zu geben, die sie heute hat. « Wir wissen, dass Gustav Gull beim Bau von der gotischen Michaelskapelle in Schwyz inspiriert war. » Vogelsang suchte deshalb nach Stil-Par­ allelen « im Wissen darum, dass Neogotik viel farbiger ist, weil auch eine viel breitere Palette an Pigmenten erhältlich war als zur Zeit der Gotik ». Anregungen fand sie unter anderem in der neogotischen Schlosskirche in Rapperswil und in der katholischen Kirche von Lommis im Thurgau →

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Die Untere Kapelle im neogotischen Stil – auch ein Lehrstück für die Handwerkerinnen.

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überzog, fanden sich hellockerfarbene Ornamente in einer leimgebundenen Farbe auf einem grauen Untergrund. Dieser besteht aus Gussmörtel und Werg, einem Abdichtungsmaterial aus Flachsfasern, wie es damals verwendet wurde. Einige Teile der Ornamente waren in dunklerem Goldocker gefasst. Für die Restaurierung wurden alle Rippen von den Übermalungen befreit, die Decke und die Wände beliess man allerdings mangels Befund in neutralem Weiss. Hier war auch das Rapperswiler Unternehmen Fontana & Fontana an der Arbeit. Nach Beendigung der Freilegungen stellte man aller­ dings fest, dass im Bereich der Rippenbögen das Erscheinungsbild der Farboberflächen wenig kontrastreich und uneinheitlich wirkte. Ein Problem waren auch grosse Be­reiche mit gelockerter Farbschicht. Um nicht jede lockere Farbscholle einzeln festigen zu müssen, wurde beschlossen, eine Gesamtfestigung an den freigelegten Oberflächen vorzunehmen. Dieses Vorgehen hatte den zusätzlichen Vorteil, dass die Farboberflächen wieder etwas kräftiger und damit auch kontrastreicher gegenüber dem hellen Hintergrund wirkten. In einem nächsten Schritt wurden die Fehlstellen im Weiss und Goldocker ergänzt. Das Material besteht aus Pigmenten, die in Cellulose gebunden sind. Allerdings musste aus Kostengründen darauf verzichtet werden, jede Fehlstelle einzeln zu retuschieren. Trotzdem ist das Resultat ein Rippengewölbe, das mit seinem Goldglanz überrascht. Christian Marty stieg für diese Arbeiten selbst aufs Gerüst. Nach Jahren in der Theoriearbeit habe es ihn gereizt, wieder mit Pinsel und Farbe zu arbeiten. Es seien zwar eher unangenehme Arbeiten über Kopf gewesen, doch mit dem Resultat ist auch er sehr zufrieden: « Die Farbe bringt die Kapelle wieder zum Schwingen. » Der Raum wirkt elegant, ja nobilitiert. Weniger spektakulär als bei den Deckenbemalungen in den Kapellen waren die Arbeiten für das Zürcher Unternehmen Malerhandwerk Herbert Mäder, das die Verbindungsgänge in der Hausfarbe, einem neutralen Grau, auffrischte. Wände, Sockel, Schränke – alle Durchgangsräume im ganzen Museum präsentieren sich gleich. Die Hausfarbe war mit dem Erweiterungsbau von den Architekten so definiert worden. Auch für diese Arbeiten wurden mineralische Farben verwendet – Material, das jeweils vor der Anwendung geprüft und zertifiziert wurde. Mäders Team arbeitete aber nicht mit der Spritzpistole. Die Farbe auf den Wänden wurde mit Roller aufgetragen, das Holzwerk mit dem Pinsel gestrichen. Lupenrein traditionell war dieses Vorgehen allerdings nicht. Zur Bauzeit Die Nobilitierung der Oberen Kapelle des Landesmuseums seien grosse Flächen noch mit Farbe Anders zeigte sich die Ausgangslage in der Oberen ‹ gebürstet › worden, und Holzwerk wurde mit Ölfarbe geKapelle, wo Christian Marty die Originalbemalung restau- strichen. Ölfarbe wurde bei Renovationen vor zehn Jahren rierte. Zwar weiss man nicht, ob Gustav Gull auch dafür noch verwendet – in Hochglanzqualität, wie sich Mäder ein Vorbild hatte wie für die Untere Kapelle, doch hier erinnert. Jetzt wurde aber eine ökozertifizierte Qualität gab es restauratorische Befunde an den Kreuzrippen: Un- auf Wasserbasis eingesetzt. Die Denkmalpflege war mit ter der weissen Dispersionsfarbe, die Wände und Decke diesem Vorgehen einverstanden.

→ sowie in Fachbüchern. Auch an der Dachuntersicht des Landesmuseums fanden sich Farbspuren, die in die Bemusterung miteinbezogen wurden. « Aus all diesen verschiedenen Vorbildern entstand ein intuitiver Vorschlag für die nun realisierte Deckenbemalung », erklärt sie. Der anschliessenden Bemusterung konnten alle Beteiligten zustimmen, wobei klar war, dass die Untere Kapelle ohne eine künstliche Patina erscheinen soll. So blieb auch ein Freiraum für die handwerkliche Handschrift. Weniger gestalterische Freiheit boten die Wände. Auf den vorhandenen Fotos ist ersichtlich, wie schon Architekt Gustav Gull beim Bau des Landesmuseums die Wände ‹ entmaterialisierte › und dafür mit Quader-Illusionsmalerei arbeitete. Dieses Element – so war sich das Team rasch einig – wollte man als ein Stück Zeitgeschichte zurückholen. Die Grösse der Quader liess sich aus den alten Fotos herausmessen. Auch diese Illusionsmalerei sei letztlich aus Gulls Zeiten, betonen die Beteiligten. So zolle man einem Gebäude wie dem Landesmuseum Respekt « und schreibt selbst ein Stück Geschichte mit », zieht Anja Kraft Bilanz. Gustav Gull habe damals seine Kapelle erfunden, jetzt habe eine neue Generation diesen Schritt noch einmal gewagt und führe das Haus in die Zukunft. Die Neuerfindung arbeitete allerdings technisch mit weitgehend klassischen Materialien. Als Erstes mussten Kunststoffputze und Dispersionsfarben entfernt werden. Die Malerinnen arbeiteten dann an der Decke mit einer mineralischen Zweikomponentenfarbe, an den Wänden mit einem Organosilikat. Im Fachjargon spricht man von Wasserglas-Farben oder von Purkristalat. Diese Qualitä­ ten gehören zu den Keim’schen Farben, die um 1850 in Deutschland entwickelt wurden. Und weil zur Bauzeit des Landesmuseums diese Farben bekannt waren und möglicherweise auch wirklich verwendet wurden, entschied man sich für diese Qualitäten. Die Organosilikatfarben enthalten allerdings einen geringen Kunststoffanteil, der die Haftung auf den alten und unterschiedlichen Untergründen verbessert. Trotz neuer Farbigkeit konnte der sakrale Charakter der Unteren Kapelle bewahrt werden. « Das Resultat regt die Fantasie an », ist Johanna Vogelsang zufrieden. Die Konzeption habe sie zwar herausgefordert, die Arbeit habe aber grossen Spass gemacht, denn solche Rekonstruktionen seien rar. Solche Aufträge seien gerade auch für die Handwerkerinnen wichtig. « S o können Techniken geübt und weitergegeben werden », alte Handwerkskunst, die im heutigen Alltag sonst kaum mehr eingesetzt werde.

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Die restaurierten Malereien an den Rippen in der Oberen Kapelle.

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Aussehen wie damals, produziert für heute Die historischen Böden wurden mit Fliesen ergänzt, die in traditionellen Verfahren hergestellt wurden. Sie müssen aber modernen Anforderungen genügen. Text: Urs Honegger

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« Gegenüber den früheren Jahren sind besonders die Ausgaben für Keramik sehr gestiegen », steht im ‹ Fünften Jahresbericht 1896 › des Landesmuseums. Das gilt auch für die Restaurierung 122 Jahre später. Die Böden des 1898 fertiggestellten Gebäudes stammen aus Schlössern, Klöstern und Kirchen. Einige wurden damals an den Originalschauplätzen aus- und ins neue Museum eingebaut, die meisten aufgrund historischer Vorlagen rekonstruiert. Die aktuelle Restaurierung hatte zum Ziel, diese Böden dem Publikum wieder zu zeigen, und der dafür betriebene Aufwand ist beträchtlich. In manchen Räumen konnten die historischen Böden mit neu produzierten Fliesen ergänzt werden, in anderen wurden sie komplett ersetzt. Oft waren die Originale seit Jahrzehnten unter Teppichen versteckt oder von den vielen Museumsbesucherinnen und -besuchern abgelaufen. Neue ‹ Plättli › wurden aufgrund historischer Referenzen wie alten Fotografien oder Kacheln aus dem Museumsdepot rekonstruiert. Dabei müssen alle Böden die heutigen Vorgaben des Bauherrn erfüllen: Abriebfestigkeit für den Unterhalt und Rutschfestigkeit für die Sicherheit. « Die Fliesen sehen aus wie damals, sind aber produziert für heute », erklärt Mona Farag, Projektleiterin bei Christ & Gantenbein. « Es war gar nicht so einfach, Handwerker zu finden, die das können. » Farags Favorit ist der Boden mit Blattrelief in der Unteren Kapelle. Dieser lehnt sich an das Vorbild aus der Kirche des Klosters Königsfelden bei Windisch an. Das Original stammt aus dem 14. Jahrhundert, der Boden im Landesmuseum entstand aber während der Bauzeit des Museums und war vor der aktuellen Restaurierung zerstört. Es war aber noch eine Fliese aus dem Jahr 1898 vorhanden. Diese nahm der Keramiker Karsten Blättermann als Vorlage. Analog entstand auch der Boden im Lochmannsaal. Dort liegt eine quadratische Fliese und ein rekonstruiertes Randfries, dessen florales Muster nach

Fotos neu entworfen wurde. Diese Fliesen hatte damals die Hafnerei Keiser in Zug hergestellt. Als Vorlage dienten ausserdem Schwarz-Weiss-Fotos aus der Zeit nach der Eröffnung des Landesmuseums. Bemalt wurden die Replikate in der spanischen Provinz Málaga – von Hand. « Die Herausforderung sind die Glasuren », sagt Lucian Kainz, der bei Ganz Baukeramik die Entwicklung leitet. « Sie sollen nicht nur aussehen wie damals, sondern auch gleich gefertigt sein. » Zwei Jahre lang tüftelte er an der Farbigkeit der verschiedenen Böden. Die Recherche war nicht einfach, denn das Handwerk wurde vor allem mündlich überliefert. « Und früher standen oft nur unreine Rohstoffe zur Verfügung, was das Resultat prägte », weiss Kainz. Auch die Tatsache, dass das Material damals vorwiegend in Holzöfen gebrannt wurde, sieht man den Originalen an. « Das gibt Schattierungen und lebhafte Farben. » Den Boden in der Oberen Kapelle fertigte einst der Winter­thurer Hafner Alban Erhardt um das Jahr 1600 für das Winkelriedhaus in Stans an. Bei seiner Restaurierung war abzuwägen, ob der ganze Boden ersetzt werden soll. « Wir haben uns dafür eingesetzt, dass nur die stark beschädigten Fliesen ausgetauscht werden », sagt Lucian Kainz. In der Manufaktur bei Ganz Baukeramik wurden die Replikate von Hand geformt, getrocknet, glasiert und 76 Stunden bei 1100 Grad gebrannt. Noch ein anderes Verfahren drängte sich im Korridor mit der Decke aus dem Schloss Arbon auf. Dort sind die Fliesen ‹ patroniert ›. Kainz und sein Team liessen dieses alte Verfahren wieder aufleben: Eine dünne Schicht Ton wird mithilfe einer Schablone aus Ziegenleder auf die Fliese übertragen. Für das zweifarbige Muster sorgt dann eine grüne transparente Glasur. Das Verfahren sei für die Gegend typisch, auf einen Boden angewandt allerdings speziell, sagt Keramiker Kainz. « Die spezielle Farbigkeit ist aufwendig und war schon damals teuer. Leisten konnten sich das nur Fürstenhäuser oder Pfarreien. » Für die Besucherinnen und Besucher des Landesmu­ se­ums hat sich der Aufwand für die Restaurierung der Keramikböden gelohnt. Sie erstrahlen in neuem Glanz und erzählen die Geschichte des Hauses.

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Patronierte Fliesen im Korridor mit der Decke aus dem Schloss Arbon: vorne rekonstruiert, hinten original.

Das Blattrelief auf dem Boden der Unteren Kapelle.

Im Lichthof: links die neuen Fliesen im alten Handwerk hergestellt, rechts der Originalboden.

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Replikate auf dem Boden des Lochmannsaals mit Randfries, nach einer Vorlage aus dem Jahr 1898.

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Die Lösung im Gespräch gesucht Koordination war das A und O: Der Bauherrenvertreter Hans ­p eter Winkler, der Nutzervertreter Luigi Razzano und die restauratorische Leiterin Gaby Petrak ziehen Bilanz. Text: Urs Honegger

Die logistischen Herausforderungen bei der Sanierung der historischen Flügel des Landesmuseums erforderten ein spezielles Baumanagement. Im Dreieck eines übergeordneten Projektmanagements arbeiteten Bauherrenvertreter Hanspeter Winkler vom Bundesamt für Bauten und Logistik, Gesamtprojektleiter Benjamin Beck vom Architekten- / Planer-Team und der Nutzervertreter Luigi Razzano zusammen. « Das P von Projektmanagement steht für People », sagt Razzano und erklärt: Projektmanagement sei vor allem People Management, also Umgang mit Menschen. Diese Erfahrung hat sich für den Bauingenieur und Betriebsökonom im Laufe des langen Sanierungsprojekts bestätigt. Razzano vertritt seit 2007 den Nutzer des Gebäudes, das Schweizerische Nationalmuseum. Die Arbeit zwischen Neubau, Altbau und Historischen Zimmern sei eine spezielle Herausforderung gewesen. Razzanos Motto: « Wenn es vor fünfzig Jahren möglich war, auf den Mond und zurück zu fliegen, werden wir diese Sanierung auch schaffen. » Als Nutzervertreter stand er an den Schnittstellen. « Noch nie habe ich so viel mit den Handwerkern geredet », erinnert er sich. Das Resultat überzeugt ihn: « Die Restauratorenteams haben sensationelle Arbeit geleistet. » Oft sei die Lösung für ein Problem von den Handwerkern gekommen. « Im Gespräch haben wir immer eine Lösung gefunden, manchmal halt erst im fünften Anlauf. » Für das Gelingen sei nicht nur die Kompetenz aller Beteiligten notwendig. Dem Team des Baumanagements attestiert Razzano auch andere wichtige Eigenschaften. Er erwähnt die Willenskraft von Gaby Petrak, Projektleiterin Konservierung-Restaurierung beim Schweizerischen Nationalmuseum, die Grosszügigkeit und die vorausschauende Erfahrung des Bauherrenvertreters Hanspeter Winkler und die Zurückhaltung der Architekten: « D er Neubau ist ganz Christ & Gantenbein und wird ihnen als Referenz dienen. Bei den Sanierungen der Flügel des Altbaus haben sie sich zurückgenommen und Lösungen für die unterschiedlichen Ansprüche ermöglicht. » Ganz genau erinnert

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sich Razzano an einen Moment Ende 2018. Nach vielen Tests wurde in der Stube aus dem Palazzo Pestalozzi der endlich fertige Lüster montiert: « Als er in seiner ganzen Pracht diesen wunderschönen Raum beleuchtete, habe ich verstanden, dass sich all die Arbeit gelohnt hat. » Diese fünf Minuten hätten die zum Teil harten Auseinandersetzungen der vergangenen drei Jahre weggewischt und ihn gleichzeitig für die weiteren Arbeiten motiviert. Warm ums Herz wird es Razzano auch, wenn er an die Eröffnung der beiden neuen Dauerausstellungen denkt: « Ich freue mich auf die glänzenden Augen der Besucherinnen und Besucher, wenn sie die restaurierten Zimmer sehen, und auf das Lachen der Kinder in der eigens für sie gestalteten Ausstellung. Am 11. Oktober 2019 ist Zahltag. » Auf der Baustelle und im Sammlungszentrum Eine wichtige Rolle an der Schnittstelle zwischen Restaurierung, Architektur und Museum hatte Gaby Petrak. « Man muss sich schon finden », sagt die Projektleiterin der Konservierungs- und Restaurierungsmassnahmen mit Blick auf die unterschiedlichen Interessen. Bei den Historischen Zimmern habe es « null Spielraum » gegeben. Und auch nach der Sanierung mussten die historischen Elemente in die Gebäudestruktur passen – « nicht umgekehrt ! » Gaby Petrak traf sich jede Woche mit Luigi Razzano, Benjamin Beck vom Planerteam und den Leitern der vier Restaurierungsteams zur Bausitzung. Nicht immer lag die gute Lösung auf der Hand. Sehr lange haben Architekten, Bauleitung und Restauratoren zum Beispiel über die Montage der historischen Decken diskutiert. Nach dem Ausbau der Zimmer war klar, dass sie nach der Restaurierung nicht wieder gleich aufgehängt werden können. Von den Architekten kam der Vorschlag, Ankerschienen einzubetonieren, sogenannte Halfenschienen. « Eine sehr gute Lösung », lobt Gaby Petrak. Die Restauratoren haben danach die genauen Positionen der Schienen festgelegt. « Sie wussten am besten, wo es in der Unterkonstruktion Schwachstellen gibt oder wo die Statik überprüft werden muss. » Petrak war nicht nur auf der Baustelle im Landesmuseum engagiert, auch zwanzig Kilometer weiter südlich, im Sammlungszentrum in Affoltern am Albis, koordinierte sie die Arbeiten. Hier waren die Werkstätten

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der vier Restaurierungsteams eingerichtet. « Sie waren ein ganzes Jahr lang vor Ort, und ich ging zweimal täglich in die Werkstätten », erinnert sie sich. « Nur so war der geplante Ablauf umsetzbar. » Die Grundlage dafür wurde bereits 2015 gelegt, als die restauratorischen Arbeiten ausgeschrieben wurden. Im Austausch mit Luigi Razzano und Benjamin Beck von Proplaning erarbeitete sie Vorgaben für die Teams. « Vom Pilotprojekt Mellingerstube 2005 wussten wir, wie die Abläufe funktionieren und wie viel Zeit Ausbau, Restaurierung und Wiedereinbau brauchen. » Ein Highlight sind für Gaby Petrak die zwei rekonstruierten Decken im Lichthof des Westflügels. Von der oberen Decke gab es nur alte Schwarz-Weiss-Fotografien. Darauf war zu sehen, dass die Deckenleisten eine hell- dunkle Facettierung hatten, doch in welchen Farben ? Der Zufall half mit: Im Depot in Affoltern fand sich eine Originalleiste, deren Farbpigmente analysiert und zugeordnet werden konnten. « Dieser Prozess hat mir gefallen: die Quellensuche, die Bemusterung vor Ort und jetzt das wunderbare Resultat, das wieder im Landesmuseum hängt. » Bauen unter laufendem Betrieb Nicht alltäglich war das Projekt auch für Hanspeter Winkler, Leiter Projektmanagement im Bundesamt für Bauten und Logistik: « Wir haben das Landesmuseum fünfzehn Jahre lang unter laufendem Betrieb umgebaut und restauriert. » Zwei frühe Entscheide seien für das Gelingen entscheidend gewesen. Zum einen habe man die zwei letzten Sanierungsetappen nach der Eröffnung des Neubaus eingeplant. « S o konnten wir den Nutzungsdruck von den historischen Ausstellungsflächen nehmen. » Zum anderen hatte man beschlossen, die Restaurierung der Historischen Zimmer in Eigenregie und unter fachlicher Leitung der Spezialistinnen des Nationalmuseums durchzuführen. « Dass wir in Affoltern eine Manufaktur für die vier Holzbauteams eingerichtet haben, hat sich sowohl in der Qualität der Arbeit als auch beim Preis ausbezahlt. » Die Historischen Zimmer sorgfältig aus- und wieder rechtzeitig einzubauen war logistisch eine immense Herausforderung. Ohne enge Zusammenarbeit hätte das nicht geklappt. Gleichzeitig hatte für Winkler auch die Zusammenarbeit mit den Architekten und der Denkmalpflege eine besondere Bedeutung. Um das Landesmuseum auf seinen ursprünglichen Bestand zurückzuführen, hat sich der Bauherrenvertreter laufend mit Mona Farag von Christ & Gantenbein, Lukas Knörr von der Denkmalpflege des Kantons Zürich und Heidi Amrein, Chefkuratorin des Schweizerischen Nationalmuseums, ausgetauscht. « Was ist schutzwürdig ? », stand als Leitfrage im Raum. Immer wieder sei es darum gegangen, die verschiedenen Interessen von Architektur, Denkmalschutz und Museum auszutarieren. « Wie sich diese Entscheide bewähren, wird sich in den kommenden Jahrzehnten zeigen », sagt Winkler. Beim Einbau der technischen Komponenten habe man nicht hundert Prozent erreicht. Die Grenzen des Möglichen seien zwar ausgelotet, doch habe er auch mal gesagt: « Lasst es gut sein, mehr geht nicht. » Diese Zusammenarbeit nennt Winkler « eine Bereicherung fürs Leben ». Ausschlaggebend für den Erfolg seien die Motivation, etwas richtig zu machen, die Expertise aller Beteiligten und ihre Fähigkeit, einander zuzuhören. Winkler betreut das Gesamtprojekt seit 2001 und bleibt bis zum Schluss im Jahr 2020 – das ist nachhaltige Projektleitung. Seine Erfahrungen will er weitergeben, und er hält auch die Architekten und Spezialistinnen dazu an zu vermitteln, was sie gelernt haben. « Die wertvollen Erkenntnisse aus diesem speziellen Projekt sollen nicht verloren gehen. »

Sanierung und Restaurierung, Landesmuseum Zürich, Westflügel, 2016 – 2019 Bauherr:  Schweizerische Eidge­ nossenschaft / Bundesamt für Bauten und Logistik BBL, Hanspeter Winkler ( Abteilingsleiter Projektmanagement ) Generalplaner:  ARGE Generalplaner SLM Proplaning / Christ & Gantenbein Schweizerisches Nationalmuseum:  Andreas Spillmann ( Direktor ), Luigi Razzano ( Nutzervertreter ), Gaby Petrak ( Projektleiterin Konser­vie­rung-Restaurierung  ) Architektur:  Christ & Gantenbein, Basel Emanuel Christ, Christoph Gantenbein; Mona Farag, Tabea Lachenmann (Gesamt­ projektleitung); Diana Zenklusen, Kristin Vullriede, Ute Burdelski ( Projektleitung ) Matthias Dexheimer, Cloé Gattigo, Regula Joss, Guido Kappius, Christina Köchling, Diogo Fonseca Lopes, Andrew Mackintosh, Federico Mazzolini, Julian Meisen, Elisa Levi Minzi, Francisco Moura Veiga, Sever Petroy, Mathias Pfalz, Maurijn Rouwet, Anette Schick, Jonas Schöpfer, AnneKatharina Schulze, Jan Holger Stucken, Qian Sun, Guido Tesio. Bauleitung und Baumanagement:  Proplaning, Basel, Benjamin Beck, Stephan Huber ( Bauleitung ) ; Stephan Huber, Florian Hassler, Martin Thierer, Maik Sütter­lin, Hermann Dietz, Fabio Fiorot, Antonio Vorrano Landschaftsarchitektur:  Vogt Landschafts­ architekten, Zürich, Lars Ruge Tragwerksplanung:  APT Ingenieure, Zürich, Ergin Telli Elektroplanung:  Proengineering, Basel; Andras Kromek Lichtplanung:  d-lite Lichtdesign, Zürich; Guido Grünhage; RSL Schweiz, Horgen; Gregor Rajic

Haustechnik:  Stokar & Partner, Basel; Oliver Orbuljevic; Bouygues inTec, Zürich Brandschutz:  AFC Air Flow Consulting, Basel; René Wölfl und Christian Kohler Bauphysik / Akustik: Bakus Bauphysik & Akustik, Zürich; Michael Hermann Baumeister:  Robert Spleiss, Küsnacht Fenster:  Huber Fenster, Herisau ; Holz­manufaktur, Hunzenschwil ; Glasatelier Aline Dold, Seuzach Elektromontage:  Elektro Compagnoni, Zürich ; Jaisli-Xamax, Dietikon ; Restauratorenteams:  Geissler &  Lewandrowski, Berlin ; Restaurierung Michel Räber, Luzern ; Atelier Jörg Magener, Zürich  ; Restau­rie­rungs­atelier Michael Kaufmann, Muri ; Kunstgerecht, Aline Jahn, Luzern Arbeiten in Holz:  Strabag Holzbau, Lindau ; Glaeser Wogg, Baden-Dättwil ; A. Steiner Zimmerei & Schreinerei, Zürich Naturstein:  Müller Naturstein am Bau, Hinwil ; Abraxas Natur­steine, Uerzlikon Keramik / Böden:  Ganz Baukeramik, Embrach ; Frauenfelder Ziswiler, Marthalen ; Terracotta Scheune Karsten Blättermann, Velez Málaga ( E ) ; Intera Bodenbeläge, Zürich ; Walo Bertschinger, Zürich ; Brun del Re Terrazzo, Fällanden Farbe:  Ars Artis, Küsnacht ; Mona Lisa, Malerhandwerk aus Frauenhand, Zürich, mit Ambühl & Vogelsang, Rapperswil ; Malerhandwerk Herbert Mäder, Zürich ; Fontana & Fontana, Rapperswil ; Agosti, Zürich Metallarbeiten:  Moritz Haeberling, Uerzlikon ; Oppikofer Metallbau, Frauen­ feld ; Surber Metallbau, Dietikon Kosten:  Fr. 30 Mio. ( Gesamtsanierung Westflügel. Kostenanteil Konservie­rung und Restaurierung der Historischen Zimmer: 6 % )

Period Rooms Die Historischen Zimmer im Landesmuseum Zürich Die in diesem Heft vorgestellten Histo­ rischen Zimmer, die sogenannten Period Rooms, bekommen ein eigenes Buch. Diese Raumarchitekturen gehörten näm­ lich von der zweiten Hälfte des 19. Jahr­ hunderts bis ins frühe 20. Jahrhundert zum Repertoire kulturhistorischer Museen. Das Landesmuseum in Zürich war mit sei­ nen Räumen weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Die aus öffentlichen und privaten Bauten stammenden Raum­ ausstattungen sind Zeugnisse vergange­ ner Wohnformen und höchster Hand­ werkskunst. Das Buch beleuchtet den Umgang mit den Ensembles in den vergangenen 120 Jahren und schildert das nun abgeschlossene Renovationskon­ zept. Die reich illustrierten Raumporträts verschiedener Autorinnen und Autoren schildern die Entstehungsgeschichte der einzelnen Zimmer an ihren ursprüngli­ chen Standorten und ihren Umzug ins Museum. Das Buch erscheint im Oktober im Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich Preis: ca. Fr. 49.—

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Spuren der Zeit

Wer heute durch den Westflügel des Landes­mu­seums in Zürich geht, kann sich kaum vorstellen, was hier in den vergangenen drei Jahren alles geschehen ist. Die Räume, vor allem die bis zu 500 Jahre alten Historischen Zimmer, wurden restauriert gleichzeitig wurde dieser Teil des gut 120 Jahre alten Gebäudes saniert. Decken, Wände und Böden erstrahlen, als wären sie neu. Die Sanierung lässt die Atmo­ sphäre aus der Bauzeit des Museums wieder aufleben. Nur an wenigen Stellen zeigen sich die Spuren der Zeit. Das Projekt erforderte eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Bauherrn – dem Bundesamt für Bauten und Logistik –, den Nutzern – dem Schweizerischen Nationalmuseum –, den Architekten und Planern – der Arbeits­gemeinschaft Christ & Gantenbein und Proplaning – sowie den zahlreichen Handwer­ kerinnen und Handwerkern. www.nationalmuseum.ch

Ambühl und Vogelsang, Vergoldungen, Auftragsund Dekorationsmalerei Atelier Kaufmann, Konservierung und Restaurierung Fontana & Fontana, Werkstätten für Malerei Geissler & Lewandrowski, Restaurierung

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