Landschaft lehren

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Themenheft von Hochparterre, November 2020

Landschaft lehren

Das Berufsbild Landschaftsarchitektur verändert sich parallel zu unseren Ansprßchen an die Landschaften. Eine Ausbildung im Umbruch.

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Künstliche Natur: Die Lewa-Savanne im Zoo Zürich haben Vetschpartner Landschaftsarchitekten dem kenianischen Original nachempfunden, inklusive Affenbrotbäume aus Stahl und Beton.

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Editorial

Vom Garten in die Raumund Landschaftsplanung Inhalt

4 Stadt durch Landschaft Freiraumplanungen sind eine der grossen städtebaulichen Herausforderungen der Zukunft.

6 Ausbildung als Schlüssel zum Beruf Besuche an den Fachhochschulen HEPIA in Genf und der OST in Rapperswil.

13 Zwölf Statements Ein bunter Strauss an Stimmen und Einschätzungen zum Stand der Landschaftsarchitekturausbildung.

20 Kümmerer gesucht Weiterbildungen öffnen den Generalisten viele Türen in die weite Berufswelt.

Titelseite  Städtischer Dschungel: Verdichtung fordert neue Bilder von Stadtnatur. Krebs und Herde Landschaftsarchitekten haben aus einer profanen Werkstrasse in Zürich eine üppige Gartenpassage gemacht. Rückseite  Urbaner Freiraum: David & von Arx Landschaftsarchitekten haben das Nachtigallenwäldeli in Basel saniert und in einen linearen Park verwandelt, der Tag und Nacht genutzt wird.

Die Ausbildung der Landschaftsarchitektinnen und -architekten ist im Umbruch. Das Berufsbild verändert sich parallel zu unseren Landschaften. Gefragt sind heute nicht nur Konzepte, Gestaltungen und Umsetzungen von Stadtnatur, sondern Kompetenzen in der Planung und der Entwicklung von Erholungslandschaften, Gewässerräumen, Grün- und Freiraumsystemen sowie Biodiversitätskonzepte. Dieses Themenheft skizziert diese neuen Aufgaben. Es zeigt, welches Wissen und welche Fähigkeiten sich künftige Landschafts- und Freiraum­experten im Studium aneignen müssen und was sie in der Berufspraxis lernen. Das Bachelorstudium bietet eine gute, solide und breite Grundausbildung. Doch wer später auf Augenhöhe mit Architektinnen, Raumplanern, Stadt­entwicklerinnen oder Umweltfachleuten die Stadt- und Landschaftsräume von morgen diskutieren will, muss zusätzliches Wissen oder viel Erfahrung mitbringen. Dieses Themenheft will über die Ausbildungslandschaft in der Schweiz informieren und dabei auch eine Lanze für die Landschaftsarchitektur brechen, etwa mit einem Plädoyer, alte Hierarchien aufzubrechen und die Rollen in Architektur und Planung neu zu verteilen. Ein Schulbesuch in Genf und in Rapperswil zeigt, wo sich die beiden Fachhochschulen in Landschaftsarchitektur positionieren. Auf welche Berufszukunft sich die Studierenden vorbereiten müssen. Welche Rolle dabei Weiterbildung und Masterstudiengänge spielen, kann im Text ‹ Kümmerer gesucht › nachgelesen werden. Eine Statementsammlung trägt einen bunten Strauss an Stimmen und Einschätzungen zusammen. Hochparterre gibt dieses Themenheft zusammen mit den Landschaftsarchitekturabteilungen der OST – Ostschweizer Fachhochschule und der Haute école du paysage, d’ingénierie et d’architecture de Genève HEPIA sowie Jardin Suisse, dem Unternehmerverband der Schweizer Gärtner, und dem Bund Schweizer Landschaftsarchitek­ ten und Landschaftsarchitektinnen heraus. Diese Vierergruppe hat sich zusammengetan, weil jährlich rund hundert Studierende mit dem Bachelor abschliessen, viele davon haben zuvor eine Lehre als Landschaftsgärtner oder -zeichner absolviert und stehen so auch für das duale Bildungssystem der Schweiz. Die Bilder stammen von Markus Frietsch. Er hat auf seiner Tour de Suisse Werke von Absolventinnen und Absolventen der beiden Schulen zusammengetragen.  Roderick Hönig

Projektdaten siehe Seite 22.

Impressum Verlag Hochparterre AG  Adressen  Ausstellungsstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41 44 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag @ hochparterre.ch, redaktion @ hochparterre.ch Verleger  Köbi Gantenbein  Geschäftsleitung  Lilia Glanzmann, Werner Huber, Agnes Schmid  Verlagsleiterin  Susanne von Arx  Konzept und Redaktion  Roderick Hönig  Fotografie  Markus Frietsch, www.markusfrietsch.com  Art Direction  Antje Reineck  Layout  Sara Sidler  Produktion  René Hornung  Korrektorat  Marion Elmer, Lorena Nipkow  Lithografie  Team media, Gurtnellen  Druck  Stämpfli AG, Bern Herausgeber  Hochparterre in Zusammenarbeit mit der OST – Ostschweizer Fachhochschule, der Haute école du paysage, d’ingénierie et d’architecture de Genève HEPIA, mit Jardin Suisse, dem Unternehmerverband der Schweizer Gärtner, und mit dem Bund Schweizer Landschaftsarchitekten und Landschaftsarchitektinnen BSLA Bestellen  shop.hochparterre.ch, Fr. 15.—, € 12.—

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Stadt durch Landschaft Freiraumplanungen sind eine der grossen städtebaulichen Herausforderungen der Zukunft. Nötig sind neue Denkweisen, die breite Zusammenhänge berücksichtigen. Text: Stefan Rotzler

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und Bewilligungsbehörden stützen können. Diese gibt es zurzeit erst in Ansätzen: So wird beispielsweise im Kanton Zürich auf gesetzgeberischer Stufe erwogen, eine Unterbauungsziffer einzuführen. Diese würde das Mass Die Profession der Landschaftsarchitektur hat sich durch an unterbauter Grundstücksfläche beschränken und die den Baukünstler Architekt – der vieles weiss und fast al- Anpflanzung von grosskronigen Bäumen fördern. les kontrolliert – unverständlicherweise aus dem ihr angestammten Paradiesgarten vertreiben lassen. Hinaus in In grossen Dimensionen denken und planen das, was landläufig und ziemlich despektierlich ‹ Umge« Wir müssen Denkweisen erarbeiten, die auch Zubung › heisst. Was für ein fürchterliches Unwort ! sammenhänge von Menschen mit Nichtmenschen, also Auch der von Architekten gern verwendete Begriff Pflanzen, Tieren, Böden, berücksichtigen », sagt Teresa Aussenraum ist für alle, denen landschaftliche Inhalte Galí-Izard, die neue Professorin für Landschaftsarchinahe und wichtig sind, eigentlich eine Zumutung. Denn tektur an der ETH Zürich. Dazu gehören komplette neue ‹ aussen › erschliesst sich nur aus dem ( architektonischen ) Vegetationsbilder: strukturreich, durchlässig und von hoBlick von ‹ innen ›. Landschaftsarchitektinnen sprechen her Biodiversität. Auch gilt es, den ganzen Wasserzyklus deshalb lieber von Freiraum und betonen damit nicht nur, von Niederschlag über den Wasserrückhalt bis zur Versidass der Raum frei und offen sein soll, sondern genauso, ckerung neu zu denken. Deshalb wird der Ruf nach einer dass er soziale Aspekte aller Couleur beinhalten muss. ganz anderen Rolle der Landschaftsarchitektinnen und In Ballungsgebieten werden die verfügbaren Freiräu- -architekten im städtebaulichen Kontext laut: Sie sind Geme generell enger. Deshalb sind umsichtige Freiraumpla- neralisten, die in vier Dimensionen denken können ; die nungen eine der ganz grossen städtebaulichen Herausfor- Programmierungs- und Wachstumsprozesse begreifen, inderungen der Zukunft. Der Schweizer Heimatschutz ruft itiieren und steuern können. Es sind Fachleute, die Raum zur Verdichtung mit Qualität auf: Räume werden enger, nicht nur als Bauparzelle, sondern als weiträumiges Teraber ihre Qualität muss gesteigert werden. Damit rücken ritorium verstehen und auch entsprechend agieren und wir ganz nahe an die Essenz dessen, was der dänische kommunizieren können. Nicht zu vergessen ist die Stadt als Lebensraum für Architekt und Stadtplaner Jan Gehl in seinem bahnbrechenden Buch ‹ Life Between Buildings › schon 1971 heraus- Tiere: Unter dem verführerischen Titel ‹ Animal-Aided Dedestilliert hat, dass nämlich die planerischen Paradigmen sign › ( AAD ) hat derzeit eine Bewegung Aufwind, die Raumumgedreht werden müssen: zuerst das Leben, dann der und Habitat-Anforderungen einzelner Tierarten in die Raum, dann die Architektur. Stadtentwicklung integriert. Diese leiten sich aus den spezifischen Lebenszyklen der Arten ab: Der Igel benötigt offene Flächen, gut strukturiertes Untergehölz und verKlimawandel stellt neue Fragen Das ist an sich nichts Neues, enthält aber noch immer kehrsberuhigte Räume. Dann ist es ihm wohl. Gleiches gilt gehörig Zündstoff. Doch jetzt, mit der ins Rampenlicht analog für Schmetterlinge, Mauersegler oder Eidechsen. drängenden Thematik des Klimawandels, ist alles noch- Solcherart tierbezogene Vorgaben haben grossen Einmals ganz anders geworden. Eine Flut von komplett neu- fluss auf den planerischen Entwurf des Freiraums. So wächst in den turbulenten Zeiten des Klimawanartigen Fragestellungen stellt Paradigmen des Städtebaus infrage: etwa die Winddurchlässigkeit unserer Städte, die dels an vielen Orten ein ganz neues, radikales Bewusstsein auf dem Prüfstand steht. Ebenso ihr viel zu hoher Versie- von Stadtlandschaft. Es rückt landschaftliche Parameter gelungsgrad. Der Mangel an Durchgrünung wird lautstark und Kompetenzen in den Mittelpunkt stadtplanerischer und zu Recht kritisiert. Verdurstende Bäume müssen mit Überlegungen und macht sie zum Identitätsträger, zum klimatauglichen Arten ersetzt werden. Brand. Wie etwa in der Seestadt Aspern am Rand von Wien, Die meisten der neuen Fragestellungen lassen sich einem Vorzeigebeispiel der Internationalen Bauausstelmit herkömmlichen Denkweisen nicht beantworten: Wir lung Wien 2022. Da, wo nicht viel mehr vorhanden war benötigen Planende, die kompetent sind, die Umwelt po- als die leere Donauebene, ist zuerst ein See ausgehoben sitiv zu modifizieren und die nicht nur drei, sondern dreis- und dann ein Seepark geschaffen worden. Sie sind das sig Jahre in die Zukunft denken können. Sie müssen sich zentrale Kapital der Stadt, die ringförmig um den See heaber auch auf vorausschauende gesetzliche Grundlagen ranwächst. Auch die Strassenentwässerung wurde neu er-

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funden: Vor Ort versickerndes Strassenwasser reduziert die Meteorwasserfracht ganzer Strassenzüge, lässt Sammelleitungen in ihren Durchmessern schrumpfen und ist kostengünstiger zu realisieren. Und: Die ( schwarze ) Stras­ senfläche ist mehrheitlich von Bäumen beschattet. Vorbilder existieren Nach historischen Referenzen für eine weit in die Zukunft vorausdenkende Rolle der Landschaftsarchitektur muss man nicht lange suchen: Frederick Law Olmsted ( 1822 – 1903 ) hat mit dem Central Park in Manhattan und der Emerald Necklace, einem Zusammenschluss von Parks in Boston, zwei Vorlagen für eine freiräumliche Denkweise geliefert, die ganze Stadtteile antizipiert und initiiert haben. Sie waren und sind identitätsstiftend, stadtstrukturell relevant und weit in die Zukunft blickend. In Berlin hat Peter Joseph Lenné ( 1789 – 1866 ) im ähnlichen Sinne mit Tiergarten, Sanssouci und vielfältigen Alleen das typische Stadtbild zu einem Zeitpunkt geformt, als Berlin noch gar nicht da war. Gefragt sind in Zeiten des Klimawandels aber nicht nur vorausschauende räumliche Stadtkonzepte, sondern auch radikale und neue Naturbilder. Bilder, die hoffnungsvoll und zukunftsgerichtet sind und den beschaulichen Rousseau’schen Zopf des ‹ retour à la nature › umdrehen in ein beherztes ‹ Vorwärts zur Natur ›. So wird das ureige­ ne Metier der Landschaftsarchitekten – Pflanzplan und Pflanzliste – ganz selbstverständlich zu einem Nachforschen über Pflanzenarten, die auch unter garstigen klimatischen Verhältnissen überleben. Die öffentlich verfügbare Strassenbaumliste der deutschen Gartenämter stellt einen solchen Versuch dar, Arten zusammenzutragen, die auch im heisser, trockener und windiger werdenden Klima überleben können. Bereits gibt es Baumschulen, die sich die Tauglichkeit von Pflanzen für den Klimawandel zuoberst auf die Fahnen geschrieben haben. Es sind aber nicht nur angepasste Arten gefragt, sondern ganz neue und robuste Pflanzenbilder, die weniger nach Eigenschaften der Schönheit als der Klimatauglichkeit und der Biodiversität komponiert sind. In diesen neuen Projekten spielen Aneignung und Fürsorge eine ganz wesentliche Rolle: Fürsorge bedeutet im Kern, dass immer auch die guten Kräfte mitgedacht werden müssen, die zu Freiräumen die notwendige Sorge tragen. Gefordert sind zukunftstaugliche Narrative, die den fürsorglichen Aspekt des Beschützens und der Pflege einschliessen. Jorn de Précy ( 1837 – 1916 ), der englische Gartenphilosoph, hat das auf überraschende Weise zum Ausdruck gebracht: « D er Garten hat den Menschen gemacht. » Die zarten Pflänzchen und Pflanzen haben aus der Bestie Mensch ein fürsorgliches Wesen gemacht, eines, das Sorge tragen und Fürsorge ausüben kann. Dieses Hegen und Pflegen ist eigentlich der Kern unseres Kulturbegriffs – in einem zutiefst menschlichen Sinn. Er ist aus der Landwirtschaft abgeleitet, die ganz nach dem Rhythmus von säen, heranwachsen, pflegen und ernten funktioniert. In diesem Sinne ist auch die vehemente Forderung von chinesischen Eliteuniversitäten zu verstehen, dass städtische Landschaften und Freiräume weniger dekorativ als vielmehr produktiv sein müssen. Gemeint ist, dass auch Stadtgrün einen wichtigen Beitrag zur Ernährung der Städter zu leisten hat. Die ‹ essbare Stadt › ist auch hierzulande ein bekannter Begriff – bisher aber nur in den Kochbuchregalen der Buchläden. Stefan Rotzler hat sein Studium 1978 am

« Wir haben die Berge, wir haben die Natur – alles ist gut. Was aber, wenn plötzlich nicht mehr ‹ alles gut › ist ? Wenn wir Städte neu gestalten müssen, damit sie kühler werden ? Damit sie für die Menschen gesünder werden ? » Christophe Girot, Professor für Landschaftsarchitektur an der ETH Zürich, Leiter des Instituts für Landschaftsarchitektur und Inhaber des Ateliers Girot, Zürich.

« Im Anthropozän lassen sich Natur und Artefakt nicht mehr trennen. Landschaftsarchitektonische Planungen und Projekte müssen ökologische Anliegen mit gestalterischer Kraft verbinden und dabei die sozialen Prozesse sorgfältig im Auge behalten. » Hansjörg Gadient, Professor für Planung und Entwurf urbaner Freiräume im Studiengang Landschaftsarchitektur der OST – Fachhochschule Ostschweiz.

Interkantonalen Technikum Rapperswil abgeschlossen, dem Vorläufer der OST. Bis 2014 führte er das Büro Rotzler Krebs Partner Landschaftsarchitekten ( mit Matthias Krebs und Stephan Herde ) in Winterthur. Heute ist er selbstständiger Berater und Landschaftsarchitekt.

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Zwei Schulbesuche: An der OST – Ostschweizer Fachhochschule in Rapperswil und an der Haute école du paysage, d’ingénierie et d’architecture HEPIA in Genf.

Ausbildung als Schlüssel zum Beruf

Text: Karin Salm

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Der Tag hat sie heute gehörig gefordert. Etwas erschöpft sitzen Marlène ( 20 ), Christophe ( 22 ) und Jules ( 24 ) unter den schattigen Bäumen auf dem gemeinsamen Campus des Berufsbildungszentrums für Natur und Umwelt und der HEPIA in Lullier. Die drei studieren Landschaftsarchitektur an der Haute école du paysage, d’ingénierie et d’architecture HEPIA in Genf. Vier Tage arbeiten die Studierenden im Hochschulgebäude mitten in der Stadt, an einem Tag sind sie in Lullier und beschäftigen sich hier mit Botanik und der Pflanzenverwendung. Die Schule liegt eingebettet in eine weitläufige Anlage, hier machen Floristen und Gärtner eine Lehre, und hier werden auch Blumen, Gemüse und Obst produziert. Heute wurden die Pflanzenkenntnisse von Christophe, Jules und Marlène geprüft. Trotz Erschöpfung sind die drei überzeugt, dass sie die Prüfungen geschafft haben, und sie freuen sich, dass sie draussen mit herzlichem Applaus der Landschaftsarchitekturprofessorinnen Natacha Guillaumont und Laurence Crémel begrüsst werden. Denn: Diese wichtigen Prüfungen müssen gefeiert werden, erst recht nach dem Corona-Lockdown, während dessen auch an der HEPIA Fernunterricht angesagt war. Natacha Guillaumont, die sowohl für den Bachelorstudiengang an der HEPIA als auch für den Masterstudiengang in Landschaftsarchitektur an der HES-SO ( Fachhochschule Westschweiz, zu der die HEPIA gehört ) zuständig ist, unterstreicht die grosse Bedeutung der Pflanzenkunde: « Die Pflanze bestimmt den Raum. Ohne profunde Kenntnisse kann ein Landschaftsarchitekt nicht arbeiten. » Fachhochschule statt Universität Christophe hat das Gymnasium mit der Matura abgeschlossen. Während des Zivildienstes hat er die Arbeit in und mit der Natur kennengelernt und dann in Lullier eine Lehre als Landschaftsgärtner absolviert. Bereits im ersten Semester des Studiums der Landschaftsarchitektur hat der junge Mann klare Vorstellungen. « Mich interessieren grosse Parkanlagen und nicht die privaten Gärten », sagt er und ergänzt, dass er als Landschaftsarchitekt mithelfen möchte, angenehme Orte zu gestalten, an denen sich die Menschen wohlfühlen. Marlène ist in Paris aufgewachsen. Eigentlich wollte sie in Versailles studieren, ist dann aber mit den Eltern nach Genf gezogen. Mit Freude stellte sie fest, dass sie in der Schweiz einen Bachelor in ‹ Architecture du paysage › machen kann. « In Frankreich laufen die Architekten bei dieser Berufsbezeichnung Sturm und fühlen sich auf den Schlips getreten. Die Landschaftsarchitektur ist höchstens eine Unterkategorie der Architektur. » Im Land, wo André Le Nôtre Grandioses geschaffen hat und das gleiche Ansehen genoss wie Molière und der Komponist Lully, ist der Landschaftsarchitekt eigentlich bloss Gärtner, ein ‹ Paysagiste › eben. Jules hat vier Semester lang an der Universität Lau­ sanne Biologie und Chemie studiert. Das habe ihm auf die Länge nicht gefallen. « Die Kombination von Natur und Kreativität hat mir gefehlt. » Diese Kombination hat er während eines Praktikums entdeckt, und zwar bei einem Landschaftsarchitekten, der selbst an der HEPIA studiert hatte. Jules bedauert, dass den Maturanden nur die Möglichkeit aufgezeigt wird, an den Universitäten zu studieren. Über die Fachhochschulen spreche kaum jemand. Das Trio Christophe, Jules und Marlène repräsentiert die 110 Landschaftsarchitekturstudierenden an der HEPIA recht gut. Das war nicht immer so, erklärt Dozent →

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Land-Art: Vor über zwanzig Jahren hat der Landschaftsarchitekt Paolo Bürgi hundert Pappeln spiralförmig in die Magadino-Ebene gepflanzt. Heute bilden sie das grüne Zentrum eines Industrieparks.

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→ Michaël Tranchellini. Bevor die Ingenieurschulen von Genf und Lullier 2009 zur HEPIA zusammengelegt wurden, stammten bis Anfang der 2000er-Jahre bis zu achzig Prozent der Landschaftsarchitekturstudierenden aus Frankreich. Aus finanziellen Gründen hat der Bund eine ausgeglichenere Verteilung verlangt. Die Landschaftsarchitektur ist eines der neun Bachelorprogramme an der HEPIA. Und sie ist nach Architektur und Informationstechnologie zahlenmässig der drittstärkste Studiengang. « Allerdings sind wir keine Exoten. Wenn an der Hochschule irgendetwas Spezielles oder ein Fest geplant ist, sind immer unsere Studierenden gefragt », betont Tranchellini. Stolz erwähnt er das Rock- und PopFestival Paléo in Nyon. Hier sind die Landschaftsarchitektur-Studierenden seit 2005 verantwortlich für eine fussballfeldgrosse Installation, die als Podest für alle Studiengänge der HES-SO dienen soll. Von der Idee über den Entwurf zum Budget, der Präsentation und Umsetzung – alles kann hier konkret erprobt werden. Tranchellini zeigt auch auf den Platz zwischen den Schulgebäuden der HEPIA in Genf: eine veritable Hitzeinsel mitten in der Stadt. Hier tüfteln die Studierenden mit Gemüsebeeten und Pflanzkübeln an Massnahmen zur Verbesserung im Dienst der rund tausend Studierenden. Beweis für das duale Bildungssystem « Hier in Rapperswil sind wir Landschaftsarchitek­ tinnen eindeutig Exoten », sagt die 22-jährige Flavia. Sie ist Feuer und Flamme für das Studium. Als Floristin habe sie keine Weiterbildungsmöglichkeiten gehabt, das Studium biete ihr bereits im ersten Semester Grossartiges: Kulturgeschichte, Entwurf, Bodenkunde, Botanik. Aktuell ist Freihandzeichnen angesagt. Was altmodisch anmutet, erachtet Flavia als unerlässlich. « Zeichnen hat mit Wahrnehmung zu tun. Um einen Baum zu zeichnen, muss ich seinen Charakter, seinen Wuchs richtig erfassen. » Im gros­s en Arbeitssaal, in dem kreatives Chaos erwünscht ist, zeigt die Studentin auf ihre Materialsammlungen und ein Modell. Beides ist im Rahmen ihrer Entwurfsarbeit entstanden. Nach der Matura und einer Lehre in Gartenund Landschaftsbau möchte sich auch der 25-jährige Matthias gestalterisch und im Entwurf fit machen, um bald in einem Büro einsteigen zu können. Ihn interessieren aber mehr Planung und Ausführung als die Ökologie. Schon im ersten Semester in Rapperswil ist für ihn klar: « Ich bin überzeugt, dass ich hier eine gute Ausbildung erhalte. » Diese Aussage hört Dominik Siegrist gerne. Er leitet das Institut für Landschaft und Freiraum ILF an der OST – Ostschweizer Fachhochschule. « Nach dem dreijährigen Landschaftsarchitekturstudium sind unsere Abgänger zum Beruf befähigt, im Büro erwerben sie sich dann weitere Praxiserfahrungen », sagt Siegrist. Vierzig Prozent der Studierenden kommen mit einer Matura und einem einjährigen Praktikum nach Rapperswil, die Hälfte hat eine Lehre im Gartenbau oder Bauwesen und eine Berufsmatur hinter sich, und zehn Prozent sind Quereinsteiger. Dieser Mix beweise, dass das duale Bildungssystem in der Schweiz gut funktioniere, findet auch Peter Petschek, Studiengangleiter Landschaftsarchitektur. Dass die Lehre keine Sackgasse ist, ist auch für die Gärtnereibetriebe wichtig. Ihr Verband Jardin Suisse stellt fest, dass wieder mehr junge Menschen in die Branche einsteigen. Viele absolvieren später die Berufsmatura und können damit Landschaftsarchitektur studieren. Während drei intensiver Jahre eignen sich die angehenden Landschaftsarchitekten nicht nur gestalterisches, konzeptionell-planerisches, ökologisches und bautechnisches Wissen an, sie lernen auch, im landschaftlichen

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Kontext grossräumlich zu entwerfen und planen. Sie trainieren vernetztes Denken und wissenschaftliches Argu­ mentieren, um dann in sämtlichen Teilbereichen der Landschaftsarchitektur tätig zu sein. Dabei dienen ihnen die Grünräume auf dem Rapperswiler Campus am Zürichsee als vielfältige und inspirierende Pflanzensammlung. Hier werden Pflanzen bestimmt und ökologische Zusammenhänge beobachtet. Gerade weil sich die Klimakrise und das Artensterben zu Brennpunkten entwickelt haben, setzen sich Fachleute wie Jasmin Joshi, Professorin für Landschaftsökologie, und Christoph Küffer, Professor für Siedlungsökologie, besonders dafür ein, dass Themen wie Ökologie und Biodiversität im Rahmen der Landschaftsarchitektur weiterentwickelt und gestärkt werden. Grosse Areale vom Freiraum her denken Die Arbeitsräume der Landschaftsarchitekturstudenten an der OST sind vor allem grosse Ateliers. Die Wege zu den Professorinnen und Professoren sind kurz. Im Keller lagert zudem seit 1982 das landschaftsarchitektonische Gewissen der Schweiz: Das Archiv für Schweizer Landschaftsarchitektur ASLA umfasst unter anderem die Nachlässe von Ernst Cramer, Verena Dubach, Leberecht Migge und Willi Neukom. Wer in Rapperswil Landschaftsarchitektur studiert hat, hat am Schluss viel gelernt: Parks und Strassenräume entwerfen und Bepflanzungen planen, Freiraumkonzepte für Quartiere und Städte entwickeln, Renaturierungsmassnahmen planen und realisieren, historische Anlagen erhalten, Bauleitungen übernehmen, Grünflächen in Städten verwalten oder Grossprojekte hinsichtlich Erholung, Landschaftsästhetik und ökologischen Ausgleichs beurteilen. « Für die Zukunft wünschen wir uns, dass in der Praxis Landschaftsarchitektinnen und -architekten vermehrt Gesamtprojektleitungen übernehmen, da man die Entwicklung von grossen Arealen immer vom Freiraum her denken muss », sagt Dominik Siegrist. Die Landschaftsarchitektin Natacha Guillaumont nickt: Wer drei Jahre in Genf studiert hat und zwischen dem Hauptgebäude in der Stadt und dem Campus in Lullier hin- und hergependelt ist, verfügt über dasselbe Rüst­zeug. An der HEPIA wird zudem grossen Wert darauf gelegt, dass die Studierenden regelmässig und auch semester- oder lehrgangübergreifend an Projekten arbeiten. Das fördert von Anfang an den Austausch, und es werden wichtige Kompetenzen wie Kommunikation und Vermittlung gestärkt. Die Studierenden feilen so auch an der eigenständigen Denkart. Erst recht, wenn sie die Projektarbeiten dann vor den anderen Studierenden, den Dozierenden und manchmal sogar vor den offiziellen Vertretungen von Gemeinden vorstellen. Klimawandel und Digitalisierung Tatsache ist: Wer einen Bachelor in Landschaftsarchitektur bestanden hat, findet – jedenfalls in der Deutschschweiz – problemlos einen Job. Gesamtschweizerisch sind bis zu 150 Landschaftsarchitekturstellen offen. Die beiden Schulen in Genf und Rapperswil bilden jährlich rund hundert Bachelors aus. Die Berufsaussichten für die Studierenden waren aber nicht immer so gut. Professor Christian Graf hat vor zwanzig Jahren selbst in Rapperswil Landschaftsarchitektur studiert. Sie waren erst dreissig Studierende, aber auf jede ausgeschriebene Stelle gab es zehn Bewerbungen. Die bis zu sechzig Bachelors, die die OST heute jedes Jahr verlassen, haben dagegen bei den ausgeschriebenen Stellen manchmal die Qual der Wahl. Viele haben schon eine Stelle, bevor sie das Studium überhaupt abgeschlossen haben. Christian Graf erinnert →

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Fünfzig Jahre Ausbildung in der Schweiz

Kienast und der neue Abteilungsvorstand Bernd Schubert das Programm und führten ein System mit projekt­ orientierten Tages-, Wochen- und Mehrwochenblöcken ein. Gleichzeitig kam das Archiv für Schweizer LandWer vor 1970 in der Schweiz Landschaftsarchitekt oder schaftsarchitektur ASLA nach Rapperswil. Besteht das -architektin werden wollte, musste in Deutschland, Frank- Kollegium heute aus elf Professuren, genügte vor fünfzig reich oder Österreich studieren. In der Schweiz gab es nur Jahren eine Professur mit einigen Lehrbeauftragten. Im Gartenbauschulen. Auf Hochschulniveau war weit und Rahmen des Bologna-Prozesses kam seit 1999 für die breit nichts in Sicht, denn das Engagement des unabhän- Fachhochschulen die Verpflichtung zur angewandten Forgigen ‹ Komitees für gärtnerische Hochschulbildung › und schung dazu, 2006 wurde das Institut für Landschaft und alle Entwürfe für ein Studienprogramm an der ETH oder Freiraum ( ILF ) gegründet, in dem die Professoren und einer der damaligen technischen Hochschulen waren rund zwanzig Mitarbeitende tätig sind. Wichtig ist dabei erfolglos geblieben. Am Schluss hatte die Romandie die nicht zuletzt die Kooperation mit der HEPIA. 2020 wurde Nase vorn: 1970 etablierte die Gartenschule in Châtelaine, beispielsweise eine gemeinsame Studie zum Stellenwert die Gärtner, Landschaftsgärtner und Baumschulgärtner von Frei- und Grünräumen in Zeiten der Coronakrise erarausbildete, den ersten Ausbildungslehrgang für Land- beitet. Seit 2018 betreibt die Schule in Rapperswil den Forschaftsarchitektur. Später zog diese 1887 gegründete Gar- schungsentwicklungsplan ‹ Reallabor Raum & Landschaft tenschule nach Lullier auf ein 45 Hektar grosses Gelände, Schweiz ›. Hier werden grundlegende Zukunftsfragen bearum sich zu einem eigentlichen Ausbildungszentrum mit beitet. Die Ergebnisse der angewandten Forschung im ILF eindrücklicher Gemüse- und Blumenproduktion zu entwi- werden auch in einer eigenen Schriftenreihe veröffentckeln. 2009 fusionierten die Ingenieurschule Lullier und licht. Die Grünräume des Campus in Rapperswil wurden die Genfer Ingenieurschule ( 1901 als Technicum de Genè- in den letzten Jahren als eigentliches Lernlabor gestaltet. ve gegründet ) zur Haute école du paysage, d’ingénierie et Das zeigt, dass Themen wie Ökologie und Biodiversität in d’architecture de Genève HEPIA. Heute bietet sie neun der Lehre verankert sind. In Rapperswil schliessen pro Jahr 50 bis 60 LandBachelor-Studiengänge an, davon einen in Landschaftsarchitektur in Genf. 2014 fanden die HEPIA und die Uni- schaftsarchitektinnen und -architekten mit einem Bacheversität Genf zusammen, um gemeinsam im Rahmen des lor ab und 15 bis 20 mit einem Master in ‹ Raumentwickneuen Raumplanungs-Masterstudiums eine Vertiefung lung und Landschaftsarchitektur ›. An der HEPIA in Genf in Landschaftsarchitektur anzubieten. Seit Herbst 2019 schliessen pro Jahr 35 bis 40 Studierende mit einem Bakönnen französischsprechende Landschaftsarchitektur-­ chelor in Landschaftsarchitektur ab. Jeweils ein Dutzend Studierende der HEPIA an der HES-SO ihre Ausbildung davon macht den Master in Raumentwicklung, den die mit einem Master auf universitärem Niveau abschliessen. HES-SO und die Universität Genf gemeinsam anbieten. Die Deutschschweiz schloss kurze Zeit später auf: Seit Herbst 2020 bietet auch die ETH Zürich einen Master 1972 öffnete das Interkantonale Technikum Rapperswil, in Landschaftsarchitektur an. Seit September 2020 ist der die spätere Hochschule für Technik Rapperswil HSR, Standort Rapperswil Teil der neuen OST – Ostschweizer seine Türen. Das Studienprogramm der ‹ Abteilung für Fachhochschule. Der Studiengang LandschaftsarchitekGrünplanung, Landschafts- und Gartenarchitektur › wirk- tur und das Institut für Landschaft und Freiraum bilden te recht überladen und heterogen, sogar das Fach Ma- den grössten Bereich im neuen Departement Architektur, thematik wurde unterrichtet. 1981 / 82 strafften Dieter Bau, Planung und Raum.

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Grünes Refugium: Der Privatgarten in St-Gingolph am Genfersee zeugt von der Pflanzenlust und -kompetenz des Ateliers Grept Landschaftsarchitekten.

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→ daran, dass in der Ausbildung neben dem Wissen über den Klimawandel auch die vertieften Kenntnisse der Digitalisierung im Berufsalltag an Bedeutung gewinnen: « Haben wir früher von Hand gezeichnete Pläne eingereicht, müssen auch Landschaftsarchitektinnen und -architekten heute zusehends auf BIM, auf Building Information Modeling, setzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. » Hier gebe es einen enormen Nach- und Aufholbedarf. Die Landschaft im Rücken Auch an der HEPIA wird das Digitale grossgeschrieben. « BIM ist für die Landschaftsarchitektur eine riesige Herausforderung », bestätigt Dozent Michaël Tranchellini. Professor Olivier Donzé ist zusammen mit Alain Dubois dafür zuständig, den Computer mit Daten zu füttern, um daraus raffinierte und animierte 3-D-Visualisierungen der Landschaft zu generieren. Donzé und Dubois arbeiten an einer virtuellen Zeitreise durch Genf, bei der sie auch Projekte der Studierenden aufnehmen. Dazu verwenden sie auch Daten des Projekts ‹ D os au paysage ›. Es handelt sich um eine Art räumliches Wahrnehmungsprotokoll, an dem sich seit 2018 alle Studierenden beteiligen. Sie wählen eine Position mit Ausblick in eine ( Stadt- )Landschaft, halten den Ausschnitt zeichnerisch, fotografisch und in Worten fest und machen dann eine 180-Grad-Drehung. Dann beginnt das ganze Wahrnehmungsprozedere von vorn. Durch die Drehung wird die ganze Umgebung, gleichsam der gesamte Raum ausgemessen. Donzé und Dubois erhalten so georeferenzierte Protokolle, die Studierenden eine gemeinsame Basis an Erfahrungen. 2017 haben Thibault und Kenzo an der HEPIA ihr Studium mit einem Bachelor abgeschlossen. Beide blicken zufrieden auf die drei Jahre zurück. « Das würden wir sofort noch einmal machen ! » Im Unterschied zu den Bachelor­kollegen aus der Deutschschweiz sind die beiden aber noch nicht ins Berufsleben eingestiegen, sondern machen nun den Master in Landschaftsarchitektur und sind gleichzeitig auch als Assistenten an der HEPIA tätig. Das hat vier Gründe. Erstens sei man nach drei Jahren Studium zwar ein guter Generalist, aber für Vertiefungen habe die Zeit nicht gereicht. Zweitens fehle noch die Übung, in ganz grossen Räumen zu denken und zu entwerfen. Drittens sei der Master unerlässlich, um sich international an Wettbewerben zu beteiligen. Und viertens sei der Stellenmarkt in der Romandie gesättigt, und die Löhne seien schlechter als in der Deutschschweiz. « Darum nutzen wir die Dynamik der HEPIA und machen den Master », lacht Thibault. « Mit dem Master weiss ich, dass ich mein Metier wirklich kann », ergänzt Kenzo. Universität ohne Dünkel Mit ihrem Entscheid für den Masterstudiengang sind Kenzo und Thibault in der Minderheit. Nur dreissig Prozent der Bachelors der HEPIA entscheiden sich für das weitere Studium. Laurence Crémel, die als Professorin im Masterstudiengang unterrichtet, wünscht sich, dass die Hälfte der Bachelors weiterstudieren würde, denn in Genf werde dieses Masterstudium auf universitärem Niveau angeboten. Selbstbewusst weisen die beiden Professorinnen Crémel und Guillaumont darauf hin, dass die HESSO und die Universität Genf bereits seit 2014 im Rahmen des Masterstudiums in Raumplanung zusammenarbeiten. Im Herbst 2019 startete der Studiengang ‹ D éveloppement territorial › neu, diesmal offiziell als gemeinsamer Master der Universität Genf und der Fachhochschule Westschweiz. Dabei bringt jede Schule mit, was sie am besten kann: die Universität Genf die theoretischen Grundlagen, die Fachhochschule das angewandte Projektdenken.

Dass die ETH Zürich nach jahrelangem Ringen ab Herbst 2020 einen Landschaftsarchitektur-Master anbietet, für den allerdings ein universitäres Bachelordiplom in Architektur Voraussetzung ist, löst bei den beiden Professorinnen in Genf leisen Ärger und Kopfschütteln aus. « Wir erwarten zumindest einen kollegialen Austausch und die Möglichkeit, dass Genfer und Rapperswiler Bachelors an der ETH einen Zugang finden. » Michaël Tranchellini erinnert daran, dass die beiden Fachhochschulen einst einen gemeinsamen Master in Landschaftsarchitektur auf die Beine stellen wollten. Das Projekt versandete aber und scheiterte an der Sprachbarriere. Weder die Fachhochschulen noch die Branche unterstützten das Anliegen stark genug, erinnert sich die Rapperswiler Landschaftsarchitekturprofessorin Andrea Cejka. Sie betont die gute Zusammenarbeit der beiden Fachhochschulen, unter anderem mit gemeinsamen Ausland­ exkursionen. Lehr- und Forschungsprojekte werden immer wieder gemeinsam umgesetzt, Synergien zwischen den beiden Schulen damit optimal genutzt. Im Frühjahr und Sommer 2020 erarbeiteten Studierende aus Genf und Rapperswil gemeinsam Pilotprojekte für das Landesausstellungsprojekt NEXPO. « Für die Landschaftsarchitektur haben eine Universität ohne Dünkel und die HEPIA gemeinsam wirklich etwas Grossartiges geschafft », anerkennt Peter Petschek, Professor der OST. Raumplanung schreckt Landschaftsarchitekten ab Während in Genf rund ein Drittel der Bachelors weiterstudieren, sind es in Rapperswil pro Jahr nur zwei bis fünf Studierende. Das habe nicht nur damit zu tun, dass man als Bachelor einfach eine gut bezahlte Stelle finde, sondern auch damit, dass die Schule in Rapperswil klein sei und man nach drei Jahren alle Professoren kenne, vermutet Markus Gasser. Er leitet den Masterstudiengang Raumentwicklung und Landschaftsarchitektur. Gasser bedauert, dass zu wenig bekannt sei, dass die Studierenden beim Masterstudium die attraktive Möglichkeit hätten, ein, zwei Semester im Austausch an beinahe allen europäischen Universitäten zu studieren. Lea Michelon hat in Rapperswil Landschaftsarchitektur studiert und ist eine der wenigen, die nun auch den Master machen. Parallel dazu ist sie in Teilzeit am Institut für Landschaft und Freiraum tätig und bearbeitet dort Forschungsprojekte. « Dass die Raum-, Stadt- und Verkehrs­ planung im Masterstudiengang ein gewisses Gewicht hat, schreckt wahrscheinlich viele Studierende ab », vermutet sie. Aber genau das hatte sie selbst vermisst: Während des Bachelorstudiums habe ihr die Zeit für eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang von Landschaftsarchitektur und Raumplanung gefehlt. Seit 2008 haben insgesamt rund 120 Masterabgänger Rapperswil verlassen, rechnet Markus Gasser vor. Der Masterstudiengang wird beliebter. Anfänglich hatten ihn sechs bis zehn Studierende begonnen, jetzt sind es bis zu zwanzig. Und die Aussichten im Berufsleben sind gut. Es ist anzunehmen, dass alle Studierenden in Landschaftsarchitektur in Rapperswil einmal einen Blick auf das grosse Schwarz-Weiss-Porträt von Dieter Kienast ge­. worfen haben. Peter Petschek hat es neben seinem Büro prominent aufgehängt. Der bekannte Schweizer Landschaftsarchitekt, der selbst von 1979 bis 1992 in Rapperswil unterrichtete und für eine Professur für Landschaftsarchitektur an der ETH gekämpft hatte, hat eindrücklich vorgemacht, wie der Weg in die Landschaftsarchitektur aussehen kann: Nach der Gärtnerlehre studierte Kienast an der Gesamthochschule Kassel Landschaftsplanung und promovierte dort.

Themenheft von Hochparterre, November 2020 —  Landschaft lehren — Ausbildung als Schlüssel zum Beruf

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Kindergerechte Bildungslandschaft: Auf dem Dach der Primarschule in Mont-sur-Lausanne haben MAP Landschaftsarchitekten einen Pausenplatz mit atemberaubendem Ausblick entstehen lassen.

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Zwölf Statements

Gefragt sind Menschen, die etwas bewirken wollen

Es braucht einen gut gefüllten Rucksack

Landschaftsprojekte als Prozesse

« Richtig spannend ist der Beruf des Landschafts­ architekten dort, wo es um die Arbeit in grossen Räumen geht, also in der Raumplanung oder im Landschaftsschutz. Da lässt sich viel errei­ chen. Ich denke zum Beispiel an die neue Tes­ siner Richtlinie, die von den Gemeinden nun ein Leitbild für die kommunale Entwicklung verlangt. Das Echo aus anderen Landesteilen zeigt, dass das Tessin bei diesem strategischen Planungs­in­strument sehr viel mehr Wert auf Grün- und Freiraumstrukturen legt als andere Kantone. An der Erarbeitung der Richtlinie wirkten bei uns im Amt auch zwei Landschaftsarchitekten mit. Für solche Querschnittthemen bringt eine Land­ schaftsarchitektin die richtigen Kompetenzen mit: vertiefte Kenntnisse in den einzelnen Teilge­ bieten wie Botanik, Ökologie, Grünplanung oder Siedlungsentwicklung – zugleich aber die Fähig­ keit, eine kohärente Gesamtsicht zu entwickeln. Ein weiteres Beispiel ist der fast elf Kilometer lange Park der Magadino-Ebene zwischen Bellin­ zona und Locarno, dessen Basis eine kantonale Nutzungsplanung gelegt hat. Auch bei diesem komplexen Projekt mit vielen Akteuren und un­ terschiedlichen Interessen war das Wissen aus der Landschaftsarchitektur, das unser Amt ein­ brachte, sehr hilfreich. In der Raumentwicklung sind Menschen gefragt, die etwas bewirken wol­ len. Nebst klassischen Raumplanern können das Landschaftsarchitekten sein, Geografinnen oder Architekten. » Paolo Poggiati hat an der HSR ( Vorläufe-

« Der Rucksack der Landschaftsarchitektin muss heute gut gefüllt sein: Sie braucht kulturelle, ge­ sellschaftliche und gestalterische Kompetenzen, sie muss Landschaften lesen und Vorschläge für ihre Weiterentwicklung machen können. Sie braucht aber auch soziale und kommunikative Fähigkeiten, etwa wenn sie Bauherrschaften be­ rät oder Planungsprozesse moderiert. Als Drittes braucht es naturwissenschaftliches und techni­ sches Wissen, zum Beispiel über Pflanzen und deren Verwendung, über ökologische Zusammen­ hänge, Boden und Klima, aber auch eine Ahnung von Betriebswirtschaft und Baurecht ist hilfreich. All diese Fähigkeiten in einem dreijährigen Ba­ chelorstudium zu erwerben, ist kaum möglich. Wer aber in der Praxis auf Augenhöhe mit Vertre­ tern anderer Disziplinen verhandeln will, braucht viel Erfahrung oder eine Vertiefung, am besten in Form eines Masterstudiums. In der Schweiz gibt es derzeit drei Masterstudiengänge in Land­ schaftsarchitektur, zwei davon stehen Fachhoch­ schulabsolventen offen. In meinen Augen ist das zu wenig. Hinzu kommt, dass der fehlende Zu­ gang zur universitären Stufe die wissenschaft­ liche Forschung behindert. Diese kommt in der Schweiz im Bereich der Landschaftsarchitektur zu kurz. Darin gilt es genauso zu investieren wie in eine stetige Weiterentwicklung der Qualität der Ausbildung. Im Sinne einer Vision kann ich mir auch eine andere Art von Ausbildung vor­ stellen: Ein Grundstudium ‹ Territorium › könnten angehende Architektinnen, Landschaftsarchi­ tekten und Raumplanerinnen gemeinsam besuchen und sich danach in ihrem Fach spezi­ alisieren. Das würde bereits in der Ausbildung die interdisziplinäre Zusammenarbeit, das ge­ genseitige Verständnis und nicht zuletzt das Netzwerk fördern. » Claudia Moll hat in Rapperswil

« Die angewandte Forschung auf dem Gebiet der Landschaftsarchitektur fördert die Interdiszipli­ narität an der Fachhochschule HEPIA in Genf. Die Forschungsprojekte, an denen meine Gruppe ‹ Paysage Projet Vivant › teilnimmt, profitieren von der Expertise des Instituts ‹ inPACT ›, das unter­ schiedlichste Kompetenzen aus den Bereichen Architektur, Landschaftsarchitektur, Bauingeni­ eurwesen und Gebäudetechnik zusammenbringt. Hier wird versucht, die Beziehung zwischen der Natur, der Tier- und Pflanzenwelt und der Ge­ sellschaft weiterzuentwickeln. Es stellen sich Fragen: Wie verteidigt man die Rolle der Land­ schaft ? Wie lässt sich ihr Wert festlegen ? In welchem Verhältnis stehen Raum und Nutzung zueinander ? Wie können wir das Bewusstsein der Öffentlichkeit und der Partner schärfen ? Der An­ satz unserer forschenden Dozentinnen und Do­ zenten ist iterativ. Wir konzentrieren uns auf Flora und Fauna, den Ort und dessen Kontext. Unsere Forschung versteht die Landschaft als Matrix für das Gefüge von Stadt und Land. So haben wir beispielsweise in Partnerschaft mit dem Kanton Genf eine Monitoring- und Kommunikationsme­ thode für die Umsetzung der kantonalen Land­ schaftsplanung erarbeitet. Die Schlussfolgerun­ gen und Ergebnisse werden den zuständigen Stellen präsentiert, das stellt den Wissenstrans­ fer in die Praxis sicher. Die Resultate werden aber auch direkt und schnell in den Klassenraum übermittelt, sodass die Studierenden von einer praktischen und dynamischen Ausbildung pro­ fitieren. Wir fokussieren in unserer Arbeit auch auf das Thema Raumplanung und Zukunft der Landwirtschaft und erfinden diese heikle Be­ ziehung neu. » Laurence Crémel ist Professorin an der

Landschaftsarchitektur studiert und an der ETH Zürich

tektur und in Versailles Landschaftsarchitektur studiert.

rin der OST ) Landschaftsarchitektur studiert und leitet seit 2011 das Amt für Raumentwicklung des Kantons Tessin.

HES-SO, Abteilung Landschaftsarchitektur und Projektleiterin ‹ Paysage Projet Vivant ›. Sie hat in Nancy Archi-

promoviert. Sie arbeitet beim BAFU und ist Co-Präsidentin des Bundes Schweizer Landschaftsarchitekten und Landschaftsarchitektinnen ( BSLA ).

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Bodenständig und baukundig « Jährlich schliessen gut 800 junge Menschen den Landschaftsgärtner EFZ ab. Gut achtzig Pro­ zent sind Männer, zwanzig Prozent Frauen. Sie kommen aus allen schulischen Vorbildungen, von der Sekundarschule bis zu Studierenden, die genug haben von der Theorie der Universi­ tät. Nach drei Jahren Lehre machen gut vierzig Prozent etwas anderes. Dreissig Prozent bleiben als Gärtner in den Betrieben, und weitere dreis­ sig Prozent bilden sich weiter, werden nach ein paar Jahren Technikerinnen, Meister oder Bau­ leiterinnen. Jährlich um die zehn Prozent absol­ vieren – meist nach der Lehre – die Berufsmit­ telschule und studieren dann an der HSR oder HEPIA. Der Verband Jardin Suisse und die Un­ ternehmer fördern diese Karrieren, denn es ist wichtig, dass alle jungen Menschen wissen, wel­ che Perspektive sie haben, wenn sie eine Lehre machen. An der Fachhochschule kommt den ehemaligen Lernenden das praktische Wissen zugut. Sie können bauen, was sie nun planen und gestalten lernen. Sie wissen, was es heisst, eine Betonplatte von einem mal einem Meter zu verlegen oder mit Maschinen zu arbeiten. Und sie wissen auch, wie ein Gartenbaubetrieb un­ ternehmerisch funktioniert. Etliche kämpfen aber mit den schriftlichen, theoretischen Arbeiten. Auch gestalterisch müssen sie viel lernen. Von den Absolventen erwarte ich, dass sie mehr wis­ sen über die grossen Fragen, zum Beispiel über Biodiversität oder Wasserkreisläufe. Ich möchte aber, dass sie da nicht nur die Theorie kennen, sondern auch die nötigen Voraussetzungen ha­ ben, um planen und bauen zu können. Boden­ ständig und praktisch. » Barbara Jenni hat in Rapperswil Landschaftsarchitektur studiert ( an der Vorläuferin der

Eine Ausbildung, die mich auf die Praxis vorbereitet

Neugier, Bescheidenheit und Leidenschaft

Ich bin zwar auf dem Land aufgewachsen und wurde naturnah erzogen, Landschaftsarchitek­ tin zu werden, war für mich aber trotzdem kein Kindheitstraum. Ich habe den Beruf erst kurz vor Studienbeginn kennengelernt. Ein Landwirt, für den ich temporär gearbeitet habe, hat mich auf die Landschaftsarchitekturspur gebracht. Meine Erwartungen bei Studienbeginn an der HEPIA ? Ganz einfach: die beste Ausbildung für dieses komplexe und facettenreiche Metier. Ich erwar­ tete, eine eigene Vision für die Landschaftsar­ chitektur entwickeln zu können und gleichzeitig eine breite Vorbereitung aufs Berufsleben zu bekommen. Kurz: eine Ausbildung, die mich auf die Praxis vorbereitet und mir alle Türen in die Berufswelt öffnet. Diese Erwartungen haben sich erfüllt. Die Dozierenden sind Spezialisten ihres Fachs. Sie geben ihr Wissen mit Leidenschaft und Sorgfalt weiter, was sich wiederum positiv auf die Entwicklung des Berufsstands und auf die kommende Generation auswirkt. Verbessern könnte man die Ausbildung an der HEPIA allen­ falls, indem man mehr Kurse auf den privaten Sektor ausrichtet. Ich habe mich gegen einen Masterabschluss entschieden, weil ich schon jetzt Berufsluft schnuppern wollte. Derzeit berei­ te ich mich auf den Eintritt in ein multidisziplinä­ res Team in einem Waadtländer Unternehmen vor. Vielleicht hänge ich den Master ja in ein paar Jahren an. Isaline Cherbuin, Bachelorabschluss in

« Landschaft ist schwer erfassbar: konzeptionell oder gestalterisch, kulturell oder ökologisch. Ent­ sprechend hat unser Beruf viele Facetten. Die­ se Komplexität kann logischerweise in einem dreijährigen Studium nicht erfasst werden, das braucht viel Zeit. Um als Studentin oder Mitar­ beiter diesen langen Horizont vor sich zu sehen, sollte man Neugier und Bescheidenheit bewah­ ren. Und es ist durchaus sinnvoll, dass in der Ausbildung Schwerpunkte gesetzt werden. Als erster Zugang zum Beruf hilft es, die eigene Lei­ denschaft auszubauen. Ein solcher kleiner Kom­ petenzbereich ist auch für ein Büro wertvoll. Ne­ ben der Basisausbildung sollte eine Hochschule die Studierenden dazu animieren, ihren eigenen Ambitionen nachzugehen, an ihre Leidenschaft anzudocken. So erfassen sie die Komplexität schneller. Die drei Studienjahre sind kurz, ein Praktikum dafür umso wichtiger. Es fördert das Gespür für die Weitläufigkeit, den Zusammen­ hang und die Bedeutung der Themenfelder. Zur­ zeit lehre ich an der Harvard Graduate School of Design. In den oberen zwei Jahren laufen dort die Studiengänge interdisziplinär: Land­scape Archi­ tecture, Urban Design, Architecture and Urban Planning. Das stellt die Berufe auf eine Ebene, auch in den Köpfen der Studierenden und spä­ teren Kollegen. Eine solche Interdisziplinarität spiegelt die gebaute Welt viel besser als Schub­ ladendenken. » Robin Winogrond ist Landschafts-

Landschaftsarchitektur HEPIA, 2020

architektin und Urban Designerin. 2014 gründete sie das Studio Vulkan Landschaftsarchitektur in Zürich mit, in dem sie bis 2020 Partnerin war. Sie lehrte an der HSR in Rapperswil, der ZHAW in Winterthur, und seit 2016 lehrt sie an der Harvard Graduate School of Design in Cam-

OST ) und führt seit 15 Jahren ihr Gartenarchitekturbüro in

bridge MA. Neben der Projektarbeit hält sie regelmässig

Lachen. Als Vizepräsidentin von Jardin Suisse, dem Unter-

Vorträge und beteiligt sich an Jurys im In- und Ausland.

nehmerverband der Gärtnerinnen und Gärtner, betreut sie

Sie hat 1989 an der Louisiana State University mit einem

das Dossier Berufsbildung.

Master of Landscape Architecture abgeschlossen.

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Funktionale Stadtnatur: Auf der Schüssinsel in Biel von Fontana Landschaftsarchitekten gehen Parkgestaltung, Städtebau, Renaturierung und Ökologie Hand in Hand.

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Pflanzenlust im Asphaltbett: Der Mediengarten des Schweizer Radio und Fernsehens in Zürich von Krebs und Herde Landschaftsarchitekten ist eine modellhafte Vereinigung von Gartenkultur und Stadtnatur.

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Den interdisziplinären Ansatz aktiv leben

Einen Platz am Tisch beanspruchen

« Ob Klimawandel, digitale Transformation oder Urbanisierung der Schweiz: Kluge Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit kombinieren Wissen aus verschiedenen Fachgebieten. Schon in der Vergangenheit hat die Hochschule für Technik Rapperswil den interdisziplinären An­ satz aktiv gelebt. In der Landschaftsarchitektur zum Beispiel in gemeinsamen Modulen mit der Raum­entwicklung und in der Stadt-, Verkehrsund Raumplanung – in der angewandten For­ schung – mit der sozialen Arbeit. Solche Kolla­ borationen können wir nun ausbauen. Durch den Zusammenschluss mit den Standorten Buchs und St. Gallen zur OST – Ostschweizer Fachhoch­ schule sind seit September 2020 Architektur, Bauingenieurwesen, Landschaftsarchitektur sowie Stadt-, Verkehrs- und Raumplanung unter demselben Dach. Die neue Struktur setzt Im­ pulse für eine multidisziplinäre Lehre und For­ schung. Wie eng die Disziplinen verzahnt sind, zeigt sich auch in der Digitalisierung. Zur Pro­ fessur für Building Information Modeling in der Landschaftsarchitektur kommt nun eine zweite im Bauingenieurwesen. Den neuen ETH-Master in Landschaftsarchitektur sehe ich übrigens als sinnvolle Ergänzung zum Fachhochschulmaster in Science mit Vertiefung in Raumentwicklung und Landschaftsarchitektur. Mir scheint wichtig, dass der ETH-Master nicht nur Architekten, son­ dern auch Landschaftsarchitekten Zugang bietet und ihre bereits erworbenen Kenntnisse im Cur­ riculum berücksichtigt. » Margit Mönnecke ist Leiterin

« Bei Peter Walker in Berkeley, wo ich 2009 mein Praktikum machte, wussten sie bereits, dass man die Studenten der HSR aktiv an Projekten mitarbeiten lassen kann. Auch bei späteren An­ stellungen im Ausland war die gute technische und strukturelle Ausbildung ein entscheidender Faktor: Ich habe gelernt, wie man Fachpläne er­ stellt, mit Materialien und Pflanzen umgeht und wie man nachhaltig baut. Die Ausbildung in den USA legt mehr Gewicht auf Analyse und Metho­ de. Wer sie beherrscht, kann sich schnell in neue Themen und Kontexte einarbeiten und konzep­ tionell argumentieren. Der Landschaftsarchitekt wird hier mehr als Generalist verstanden, die Grenze zwischen Theorie und Praxis ist fliessend. Anfänglich fehlten mir dazu die theoretischen Re­ ferenzen und das Wissen an den Schnittstellen zu anderen Disziplinen. Im Rahmen des Masters an der Graduate School of Design in Harvard habe ich diese Lücke für mich geschlossen. Will die Schweizer Landschaftsarchitektur territoria­ le Prozesse mitbestimmen, muss sie einen Platz am runden Tisch beanspruchen, wo die grossen Themen verhandelt und geplant werden. In der Schweiz denken wir oft zu wenig grossräumig und geben uns zu schnell zufrieden: ein bisschen Abstandsgrün, ein paar Bäume pflanzen, viel­ leicht mal einen Park bauen – das Business läuft ja. Wir sollten die Landschaft mehr als System betrachten und an den grossen gesellschaftli­ chen Themen mitarbeiten: Verkehr, Klima oder Energiewende zum Beispiel. Das sind grosse des Departements Architektur, Bau, Landschaft, Raum an Infrastrukturprojekte, die in der Kulturlandschaft der OST – Ostschweizer Fachhochschule und Standort- umgesetzt werden und uns als Disziplin direkt leiterin des OST-Campus Rapperswil. Sie hat Landes- betreffen. Die Ausbildung sollte die Lücke zwi­ pflege an der Universität Hannover studiert und im Fach- schen der projektbezogenen Praxis und dem bereich Landschaftsarchitektur und Umweltentwicklung grossräumigen Planungskonzept schliessen. For­ schungsprojekte für Bund und Kantone können promoviert. diese Themen in die Gesellschaft und die Politik tragen und aufzeigen, was die Landschaftsarchi­ tektinnen und Landschaftsarchitekten beizutra­ gen haben. » Thomas Nideroest hat nach einer Gärt-

Vielschichtige und ehrgeizige Entwürfe « Das zweijährige ETH-Masterprogramm Land­ schaftsarchitektur hat den Anspruch, neue Fra­ gen zu stellen, in neuen Szenarien über die Zu­ kunft nachzudenken und neue Perspektiven in Bezug auf unseren Platz als Menschen in einer sich im Niedergang begriffenen Umwelt aufzu­ zeigen. Es will ethische Fragen prüfen und die Art und Weise hinterfragen, wie wir den Planeten be­ wohnen – und es will der Landschaftsarchitektur den Stellenwert geben, der ihr im Hinblick auf die Herausforderungen dieses Jahrhunderts gebührt. Die Absolventinnen und Absolventen sollen Pio­ niere, kritische Denkerinnen und Persönlich­ keiten des öffentlichen Lebens sein, die neue Wege zur Bewältigung der Umweltkrise finden. Als privilegierte Bewohner Europas haben wir die Verantwortung, Antworten auf globaler Ebene zu suchen. Notwendig sind andere Formen, viel­ schichtigere und anspruchsvollere Entwürfe im Umgang mit unserem Lebensraum. Wir haben das Wissen, die Information und die Technolo­ gie, diese Wege zu finden. Als Landschaftsarchi­ tekten sind wir Teil der Lösung. Der ETH-Master in Landschaftsarchitektur ist grundsätzlich auf Architektinnen und Architekten zugeschnitten, die an der ETH ihren Bachelor erworben haben. Doch ich muss sagen: Ich liebe Ausnahmen. Wir sollten offen sein und alle Möglichkeiten prü­ fen, um ein vielseitiges, überzeugendes und in­ klusives Masterprogramm zu schaffen. » Teresa Galí-Izard ist Professorin für Landschaftsarchitektur an der ETH Zürich. Sie leitet den neuen ETH-Master Landschaftsarchitektur. Sie hat Agronomie an der Polytechnischen Universität von Barcelona studiert.

nerlehre sein Studium 2011 an der HSR ( Vorläuferin der OST ) abgeschlossen und danach an der GSD Graduate School of Design in Harvard seinen Master of Landscape Architecture erhalten. Er verantwortet heute die landschaftsarchitektonische Leitung internationaler Projekte bei Sasaki Associates in Boston.

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Es braucht andere Programme

Ein spezieller Lehrgang

« In unserem Departement brauchen die Land­ schaftsarchitektinnen und -architekten drei Ar­ ten von Fachwissen: erstens in der Raumplanung, damit sie Landschaftsstrukturen auf der Ebene der Agglomeration berücksichtigen. Zweitens in der Gestaltung städtischer öffentlicher Räume und drittens auch Kenntnisse zu Verwaltung und zu technischen Aspekten, damit sie die ausfüh­ renden Teams und die Unterhaltsdienste anleiten und unterstützen können. Gerade diese Aufga­ ben erfordern vielfältige Fähigkeiten, und sie ge­ lingen nur in der Zusammenarbeit mit anderen Akteuren. Für mich ist Interdisziplinarität einer der Schlüssel zum Erfolg bei der Entwicklung der Stadt von morgen. Um die Probleme zu lösen, müssen alle Fachgebiete, die sich mit der Land­ schaft beschäftigen, zusammenarbeiten. Zusätz­ lich zum erwähnten beruflichen Wissen erfordert dies seitens der Fachleute auch Aufgeschlossen­ heit, Fähigkeiten in der Kommunikation und im Umgang mit den neuen Technologien. Einer der Hauptunterschiede zwischen Landschafts­ architektinnen und -architekten und anderen Akteuren auf dem Gebiet der Planung ist insbe­ sondere ihre Kenntnis der Pflanzenwelt. Für die meisten Architektinnen und Ingenieure ist Natur, die Tier- und Pflanzenwelt eher etwas Abstraktes. Ich bin mir bewusst, dass all diese Fähigkeiten nicht in drei Studienjahren bis zum Bachelor­ abschluss in Landschaftsarchitektur erworben werden können. Deshalb ist es notwendig, wei­ tere Programme – eine Masterausbildung – für die Vertiefung zu entwickeln. » Vincent Desprez ist

« Die Fachhochschule HEPIA in Genf ist die Schwester der OST – Ostschweizer Fachhoch­ schule in Rapperswil und die einzige in der Romandie, die eine Landschaftsarchitekturausbildung im Hochschul­bereich anbietet. Die beiden Schulen verbindet fünfzig Jahre des jeweiligen Bestehens, Kenntnisse unserer Disziplinen und die dynamische Entwicklung der Praxis, um da­ mit den Ausbildungsbedürfnissen gerecht zu werden. Die hohe Qualität der Betreuung durch anspruchsvolle, aber wohlwollende professionelle Landschaftsarchitektinnen und -architekten ist das Markenzeichen der Fachhochschule HEPIA. Der Bachelorabschluss ist eine Wissensbasis in der Tier- und Pflanzenwelt und zu den Techniken der Landschaftsarchitektur. Dieses Wissen wird in einer Projektwerkstatt vermittelt, in der Raum­ entwicklung, Austausch und Kultur wichtig sind. HEPIA bietet als Teil der HES-SO ( Fachhoch­ schule Westschweiz ) und zusammen mit der Universität Genf im Rahmen eines französisch­ sprachigen Ausbildungskurses in Stadt- und Raumplanung auch einen Masterabschluss in Landschaftsarchitektur an. Dieser Kurs bringt Studierende aus den Fächern Politikwissenschaft, Geografie, Soziologie, Architektur, Landschafts­ architektur und Vermessung zusammen, die die Zusammenarbeit in konkreten Projekten üben. HEPIA bildet damit Fachleute aus, die dank ei­ ner Vielzahl von vermittelten Kenntnissen mit der Komplexität des Alltags umgehen können – eine Qualifikation, die in der Praxis notwendig ist. Die Absolventinnen und Absolventen entwickeln ihre seit 2016 Leiter der Abteilung Parks und Promenaden der Fähigkeiten je nach Begabung und Leidenschaft. Stadt Neuenburg. Davor war er während 22 Jahren Lei- Die einen spezialisieren sich als Konstrukteure ter der Abteilung Landschaftsarchitektur an der HEPIA. oder Ingenieure, die die Natur, Tier- und Pflan­ Er schloss 1987 sein Studium als Landschaftsarchitekt zenwelt im Fokus haben. Andere haben in einer an der damaligen Ingenieurschule in Lullier ab. Verwaltung oder im Projektmanagement die Rolle von Vermittlerinnen und Vermittlern und achten auf Nutzung und Menschen. » Natacha

Breites Grundwissen « Die Absolventinnen und Absolventen der Fach­ hochschulen sind in den Bereichen der Un­ ternehmensführung und der Kalkulation nicht sehr stark. Aber die frühere HSR und heutige OST – Ostschweizer Fachhochschule hat da seit meinem Abschluss 2015 einiges an Bo­ den gutgemacht. Mir ist aber klar, dass es gar nicht möglich ist, während der Studienzeit alles für den Beruf Nötige zu lernen. Wichtig bleibt ein breites Grundwissen. Ein Betrieb will sich darauf verlassen, dass er Abgänger von Fach­ hochschulen nicht in allem anlernen muss. Hat eine Absolventin vor ihrem Studium eine Lehre als Landschaftsgärtnerin gemacht, kann sie sich viel schneller ins tägliche Geschäft integrieren. Mir selbst kommen aus meinem Studium vor allem die Pflanzenkenntnisse und das konzep­ tuelle Denken zugut. Auch die Ausführungspla­ nung brauche ich täglich. Die Projekte sollen ja technisch funktionieren und nicht nur auf dem Papier gut aussehen. Aber die Unterneh­ mensführung behält hohes Gewicht. Hat eine Landschaftsarchitektin fünf Jahre in einer Gar­ tenbaufirma gearbeitet, wäre ein Master in Unternehmensführung eine gute Weiterbildung. » Tobias Berger ist Mitbesitzer von Widmer Gartenbau in Zollikon und Berger Garten­bau in Kilchberg. Er ist für Kalkulation und Planung zuständig. Nach dem Gymnasium lernte er Landschaftsgärtner und studierte an der HSR ( Vorläuferin der OST ) Landschaftsarchitektur mit Schwerpunkt Ausführung.

Guillaumont leitet die Bachelorausbildung in Landschaftsarchitektur an der HEPIA und ist Co-Leiterin des gemeinsamen Masterkurses der HES-SO und der Universität Genf. Sie hat 1996 ihr Studium an der École nationale supérieure de paysage ENSP in Versailles mit dem Landschaftsarchitekturdiplom abgeschlossen.

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Verkehrsinfrastruktur schafft Landschaft: Die weiten Landschaftsräume entlang der Nordumfahrung Zürich haben die Jardin-Suisse-Gartenbauer mit satellitengesteuerten Planierraupen nach den Gestaltungsvorgaben von Lorenz Eugster Landschaftsarchitektur und Städtebau geformt.

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Nicht alle beruflichen Kompetenzen lassen sich im Studium erwerben. Vertiefungen und Weiterbildungen öffnen den Generalisten viele Türen in die weite Berufswelt.

Kümmerer gesucht

Text: Roderick Hönig

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« Landschaftsarchitekten beschäftigen sich mit der Planung und Gestaltung von nicht bebautem Raum auf verschiedenen Massstabsebenen. ›› So offen und einfach skizziert der Bund Schweizer Landschaftsarchitekten ( BSLA ) das Berufsbild in seinen Grundsätzen. Dieser Definition liegt der ganzheitliche Landschaftsbegriff des Europäischen Landschaftsübereinkommens aus dem Jahr 2000 zugrunde, das die Schweiz 2013 ratifiziert hat. Ihr Clou: Sie schliesst das Alltägliche ein. Sie unterscheidet nicht mehr – wie etwa das Schweizer Natur- und Heimatschutzgesetz – zwischen Schön- und Gebrauchslandschaft, zwischen schützenswert und minderwertig, sondern definiert Landschaft als kulturellen, sozialen und ökologischen Raum. Entsprechend haben sich auch die Aufgabenfelder der Landschaftsarchitektur geweitet. So wie die Grenzen zwischen Stadt und Land verschwinden, so werden auch die Grenzen zwischen Landschaftsarchitektur, Raumplanung, Architektur und Städte­bau unschärfer. Entsprechend passen die Hochschulen ihre Angebote an: Die Architekturabteilung der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW in Winterthur lanciert 2021 ein CAS ‹ Stadtraum Landschaft ›, die Hochschule Luzern HSLU denkt über einen Master mit dem Arbeitstitel ‹ Collaborative Spatial Development › nach, die OST – Ostschweizer Fachhochschule hat Fachleute der Landschafts- und Siedlungsökologie nach Rapperswil geholt. Die Abteilung Life Sciences der ZHAW in Wädenswil bietet ein CAS in ‹ Gewässerrenaturierung › an, die Haute école du paysage, d’ingénierie et d’architecture HEPIA in Genf ein CAS zur ‹ Natur in der Stadt ›. Und was in der Szene wohl für die grösste Aufregung gesorgt hat: Ab 2020 kann man erstmals an der ETH Zürich ein Masterstudium in Landschaftsarchitektur absolvieren. Mehr Fachleute sind gefragt Die neuen Angebote zeigen eine klare Tendenz: Nicht mehr nur Gärten, Parks oder öffentliche Räume sollen Landschaftsarchitektinnen konzipieren, gestalten und realisieren, sondern sie sollen ihr Wissen auch in die Planung und die Entwicklung von Erholungslandschaften, Gewässerräumen, Grün- und Freiraumsystemen, Biodiversitätsförderung in der Stadt, auf dem Land und immer mehr auch dazwischen einbringen. Die Herausforderung bei dieser Öffnung der Disziplin ist der Spagat zwischen breitem Wissen und spezifischen Fachkenntnissen – für Bildungsinstitutionen genauso wie für Berufsleute. Doch Fachleute schätzen das Potenzial von Landschaftsarchitektinnen und -architekten in den Bereichen Stadtraum und Landschaft als sehr gross ein. Es brauche viel mehr Spezialisten, die diese Räume weiterentwickeln und nicht nur schützen, glaubt etwa die Stadtplanerin Sabine Wolf. Sie hat für das Institut Urban Landscape der ZHAW eine Studie zur Ausbildungssituation im Themenfeld Landschaft erstellt. Heute reiche es längst nicht mehr, zu eng fachspezifisch zu studieren, erwartet werde eine interdisziplinäre Allgemeinbildung mit Bausteinen aus Ökologie, Biologie, Materialwissenschaften, Nachhaltigkeit, Klimaforschung, Kommunikation und Moderation. Weil Klimafragen den Umbau unserer Städte radikal vorantreiben, werden Wind, Wasser und Landschaft die prägenden Themen des Stadtumbaus von morgen, ist Wolf überzeugt. « Im nahen Ausland wird städtischer Raum bereits heute nur noch von der Landschaft und →

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Denkmalpflegerische Sanierung: Beglinger + Bryan Landschaftsarchitektur haben den historischen Garten des Klosters St. Avgin in Arth aufgeräumt und durch kleine Eingriffe wiederbelebt.

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nen es in der Schweiz rund 300 gibt. Nur wenige hängen einen Master an, weil sie aufgrund des ausgetrockneten Marktes schnell eine Stelle finden. « Die Bachelorausbildung der Fachhochschulen ist anwendungsorientiert. Ihre Absolventen bringen zwar meistens keine Berufs- und Arbeitserfahrung mit, aber sie arbeiten in unserem Büro ab dem ersten Tag, je nach Fachwissen und Fähigkeiten, an den Projekten mit », erklärt Brigitte Nyffenegger. Die Landschaftsarchitektin ist Gründerin des Büros Umland in Zürich mit drei bis vier Mitarbeitenden, und sie ist Dozentin für Freiraumentwurf und -entwicklung an der OST – Ostschweizer Fachhochschule. Der breite Blickwinkel Landschaftsarchitektinnen und -architekten könnten « Wir wollen den gesamtheitlichen Blickwinkel bei den sich in Verwaltungen, Verkehrs-, Raum- und Landschaftszukünftigen Abgängern unseres CAS ‹ Stadtraum Land- planung noch mehr einbringen, ist auch Nyf­f enegger überschaft › schärfen », erklärt die Landschaftsarchitektin zeugt: « Jemand muss beim Nachverdichten für die QualiAnke Domschky, die für die ZHAW das neue Weiterbil- tät der Freiräume sorgen, es stellen sich dabei auch viele dungsangebot konzipiert hat. Ihre Studenten sollen im Gestaltungs- und Nutzungsfragen. Gute Freiräume entsteKurs lernen, integral und interdisziplinär zu denken und hen nicht, indem in Excel-Tabellen Biodiversitätspunkte zu agieren. Als aktuelle und konkrete Themenfelder nennt zusammengestellt werden. » sie unter anderem den Verlust an Biodiversität und das Gute Berufsaussichten Stadtklima. Beides schafft Probleme im urbanen Raum, Das sieht auch Peter Lehmann so. Er hat Ende 2019 die nur mit multidisziplinären Strategien erfolgreich gelöst werden können, bei denen Ökosystem- und Ingenieur- im Rahmen des ‹ Forums Früherkennung und Biodiverleistungen kombiniert werden. sität › im Auftrag des Bundesamts für Umwelt, der KonfeBraucht es dafür noch ein CAS mehr ? Ja, ist Anke renz der Beauftragten für Natur- und Landschaftsschutz Domschky überzeugt: Der Markt an aufbauenden Kur- und des Forums Biodiversität einen Workshop konzipiert sen im Themenbereich Landschaft sei noch lange nicht und moderiert. Es war dem Thema ‹ Entwicklungen in der gesättigt, auch wenn derzeit Bewegung in der Schweizer Hochschullandschaft der Schweiz und ihr Beitrag zur AusWeiterbildungslandschaft festgestellt werden könne. Es bildung notwendiger Kompetenzen in der Landschaftspobrauche mehr Expertinnen und Experten, die in der Lage litik › gewidmet. In seinem Bericht skizziert Lehmann eine sind, unsere urbanen Landschaften zu lesen und zu inter- Nachfrage an gut ausgebildeten Fachleuten, stellt aber pretieren, und die zugleich mit aktuellen Fragestellungen, gleichzeitig einen Mangel von Landschaftsfachleuten fest, den erforderlichen Instrumenten wie auch mit den An- die Gemeinden und Kantone beraten können. Das bisheforderungen an Prozessgestaltungen und Planungszielen rige Angebot decke nicht alle Bedürfnisse ab, es brauche vertraut sind, so die Dozentin. Noch zieht es allerdings die mehr Kompetenzen für Arbeiten in grossen Räumen oder meisten der rund hundert jährlichen Bachelorabgänger in der Analyse von komplexen Aufgaben, so Lehmann. der OST – Ostschweizer Fachhochschule und der HEPIA Die Anforderungen an Landschaftsfachleute seien hoch, Genf direkt in die Landschaftsarchitekturbüros, von de- « weil das Thema ausserordentlich interdisziplinär ist, von → vom Freiraum her gedacht und entwickelt. In Frankreich oder Holland haben bei Projekten, bei denen es um die sogenannte blaugrüne Infrastruktur geht, sinnvollerweise auch die Landschaftsarchitekten den Lead. Sie können solche komplexen und multi­disziplinären Stadtumbauprojekte zwar nicht alleine stemmen, sind aber prädestiniert, die Fäden zusammenzuhalten und den Überblick zu wahren .» Die Zeiten seien gut, um aus den traditionellen Grenzen der Landschaftsarchitektur auszubrechen – auch weil die grünen Themen die politische Agenda prägten, so Wolf.

Mediengarten SRF, Zürich, 2020 Landschaftsarchitektur:  Krebs und Herde, Winter­thur Bauherrschaft: SRF Schweizer Radio und Fernsehen, Zürich Ausführung: GartenbauGenossenschaft, Zürich (Cover und Seite 16)

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Lewa-Sawanne im Zoo, Zürich, 2020 Landschaftsarchitektur und Gesamtleitung:  Vetschpartner, Zürich Bauherrschaft:  Zoo Zürich, Ausführung: Lüscher Gartenbau, Zürich ; Berger Gartenbau, Kilchberg ZH

Spirale verde, Sant’Antonino TI, 1989 Landschaftsarchitektur:  Studio Bürgi, Camorino TI Bauherrschaft: Gnosis Bioresearch, Sant’Antonino Ausführung:  Studio Bürgi, Camorino

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gestalterischen bis hin zu instrumentellen und kommunikativen Fragen reicht und einen sehr breiten Kreis von landschaftsrelevanten Akteuren betrifft », fasst der Bericht zusammen. Für diese Arbeit brauche es eine fundierte gestalterische und raumplanerische Grundausbildung und eine sehr hohe Sozialkompetenz. Auch Lehmann ist klar, dass solche Landschaft-Cracks nicht direkt aus den Schulen kommen. Es fehle den breit und gut ausgebildeten Bachelorabgängern vor allem an Praxiserfahrung. « Handlungskompetenz kann nicht im Hörsaal gelernt werden. Wie man einen partizipativen Planungsprozess leitet, muss man in der Praxis lernen », sagt Lehmann. Entspannung könne eine Aufwertung der Aus- und Weiterbildungsangebote und eine Optimierung des Bildungsangebots bringen, empfiehlt er in seinem Bericht. « Eine schmerzliche Lücke klafft etwa zwischen den Landschaftsausbildungen der OST in Rapperswil, der HEPIA Genf und der ETH Zürich.» Eine Passerelle zum neuen Landschaftsarchitekturmaster der ETH Zürich würde sie teilweise schliessen. Aus der Sicht des Biologen hätte es in der Schweiz aber durchaus für weitere universitäre Masterstudiengänge im Bereich Landschaft Platz. Als flankierende Massnahmen formuliert der Bericht, die Besetzung von Fachstellen bei Bund und Kantonen mit entsprechenden Spezialisten und eine Lenkung durch die Vergabepraxis der öffentlichen Hand – also Aufträge so vergeben, dass die jeweiligen Landschaftsaspekte zwingend integriert sind und von kompetenten Fachleuten bearbeitet werden müssen.

Basler Büro Bryum ‹ für urbane Interventionen und Landschaftsarchitektur ›. Heute sei die Situation allerdings anders: « Landschaftsarchitektur ist zuerst Teil der Stadtentwicklung und erst dann Teil des Bauens .» Oser versteht sich und sein Team eher als ‹ Kümmerer des öffentlichen Raums › denn als Landschaftsarchitekten.

Viele Bausteine sind vorhanden Den einen Ort, an dem alle Themen rund um Landschaft und Stadt studiert werden können, gibt es in der Schweiz nicht. Die aktuelle Situation zeigt kein Ausbildungs-, sondern ein Nachwuchsproblem. Denn die hiesige Aus- und Weiterbildungslandschaft bietet genug und auch genug differenzierte Bausteine für Spezialisierungen und Vertiefungen. Für die skizzierten Schnittstellen-Berufsbilder sind die Fachhochschulen in Genf und Rapperswil mit ihren interdisziplinären Masterstudiengängen gut aufgestellt: Beide verheiraten Landschaftsarchitektur mit Raum­entwicklung, verbinden das interdisziplinäre Arbeiten am Objekt und in grossen Räumen. Zusätzlich befeuert wird die fächerübergreifende Zusammenarbeit durch die Fusion zur OST – Ostschweizer Fachhochschule. Im neuen Departement Architektur, Bau, Landschaft, Raum sind alle Disziplinen, die Schnittstellen zur Landschaft haben, unter einem Dach vereint. Die neue Organisation schafft ein Synergiepotenzial in den Studiengängen und Möglichkeiten, schon als Studentin interdisziplinäre Zusammenarbeit zu üben. « Landschaft, Raumplanung und Ingenieurwesen waren ja schon vorher in Rapperswil angesiedelt, auch gemeinsame Projektmodule der verschiedenen Lehrgänge gab es », erklärt Peter Stimmt die Berufsbezeichnung noch ? Man kann sich fragen, ob bei all diesen Ansprüchen Petschek, Studiengangleiter Landschaftsarchitektur der und Erwartungen an Kompetenzen und Wissen die Be- OST. Neu kommt die Architektur dazu. Doch weil die Arzeichnung Landschaftsarchitekt und Landschaftsarchi- chitekturwerkstatt in ihren Räumen in der Hauptpost in tektin noch stimmt. « Diese Diskussion haben wir schon St. Gallen bleiben wird, muss der Austausch aktiv geförin den 2000er-Jahren geführt. Damals ging es noch um dert werden. Petschek ist überzeugt, dass dabei die wähdie klare Unterscheidung von Stadt und Land und ent- rend Coronazeiten gesammelten E-Learning-Erfahrungen sprechend um die Zuständigkeiten von Architekt und helfen. Die Brücke von Rapperswil nach St. Gallen wird diLandschaftsarchitekt », erinnert sich Michael Oser vom gital geschlagen.

Privatgarten, St-Gingolph VS, 2016 Landschaftsarchitektur:  Atelier Grept, St-Gingolph Bauherrschaft: privat Ausführung:  Atelier Grept, St-Gingolph

Umgebung Primarschule, Mont-sur-Lausanne, 2019 Landschaftsarchitektur:  Monnier architecture du paysage, Lausanne Bauherrschaft: Gemeinde Mont-sur-Lausanne Ausführung:  Mathis Parcs & Jardins, Chavannes-prèsRenens VD

Schüssinsel, Biel-Bienne, 2015 Landschaftsarchitektur und Gesamtleitung Park:  Fontana Landschaftsarchitektur, Basel Bauherrschaft:  Stadt Biel Ausführung: Fankhauser Tiefbau, Lyss BE ; Hirt, BielBienne ; Aemmer Gartenbau, Lyss

Nordumfahrung Zürich, seit 2008 Gestalterische Beratung:  Lorenz Eugster Landschaftsarchitektur und Städtebau, Zürich Bauherrschaft: Bundesamt für Strassen ASTRA, Bern Planung:  SKK Landschaftsarchitekten, Wettingen Ausführung:  Matter Garten, Buchs ZH

Klosteranlage St. Avgin, Arth SZ, 2013 Landschaftsarchitektur:  Beglinger + Bryan, Zürich Bauherrschaft: Stiftung Antioch, Biel ; Kloster St. Avgin, Arth Ausführung:  Ernst Zweifel, Lachen SZ

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Nachtigallenwäldeli, Basel, 2017 Landschaftsarchitektur:  David & von Arx, Solothurn Bauherrschaft:  Stadt Basel Ausführung: Frutiger Tiefbau, Thun ; Albin Borer, Basel und Stadtgärtnerei Basel

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Landschaft lehren

Das Berufsbild der Landschaftsarchitektinnen und -architekten ist im Umbruch. Auch ihre Ausbildung verändert sich mit unseren Ansprüchen an Landschaften und Freiräume. Schul­ besuche in Genf und in Rapperswil zeigen, wie Landschaftsarchitektur gelehrt wird und wo sich die beiden Fachhochschulen positionieren. Das Heft skizziert neue Einsatzbereiche von Landschaftsarchitektur und versammelt ein Dutzend Stimmen aus Schule und Praxis zu aktuellen Entwicklungen. Ein Heft, das dafür plädiert, alte Hierarchien aufzubrechen und die Rollen in Architektur und Planung neu zu verteilen. www.ost.ch, www.hepia.ch, www.jardinsuisse.ch, www.bsla.ch

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