Stadtbahn für zwei Kantone

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Stadtbahn für zwei Kantone

Die Limmattalbahn verbindet Zürich-Altstetten mit dem Bahnhof Killwangen-Spreitenbach. Dabei überwindet sie mehrere Gemeindegrenzen und eine Kantonsgrenze. Eine starke Gestaltung macht aus der Agglomeration Stadt.
Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022

Inhalt

4 Ein dichtes Tal

Euphorie, Niedergang, Aufstieg: Siedlungsentwicklung im Limmattal.

8 In den grossen Plan eingeb ettet

Vom ersten Strich zum Schienenstrang der Limmattalbahn.

12 Die Kantonsplaner haben das Wort

Wilhelm Natrup ( Zürich ) und Daniel Kolb ( Aargau ) äussern sich.

14 Mit der Stadtbahn durch das Limmattal

Die Strecke vom Bahnhof Altstetten bis Killwangen-Spreitenbach.

18 Kunstbauten und Siedlungsraum

Übersichtsplan mit Linienführung und sechs wichtigen Kunstbauten.

20 Die Bahn als Stadtmacherin

Die Bahnlinie ist als zusammenhängendes Ganzes gestaltet.

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Werkstatt und Nachtlager

Die Fahrzeuge werden in einem neuen Depot abgestellt und gewartet.

28 Politik und Organisation

Wie die Limmattalbahn erfolgreich aufgegleist und realisiert wurde.

32 « Jede Disziplin hat ihre eigenen Verantwortlichkeiten »

Gesamtprojektleiter, Ingenieur und Architekt im Gespräch.

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Inhalt Zürich, Bahnhof Altstetten: Die Limmattalbahn ist angekommen und steht bereit zur Abfahrt Richtung Killwangen-Spreitenbach. ↦

Editorial

Grenzen überschreiten, Massstäbe setzen

Der Flusslauf der Limmat, die erste Eisenbahnlinie der Schweiz, die Kantonsstrasse und die Autobahn – diese Verkehrsadern zwischen Zürich und Baden haben das Lim mattal im Lauf der vergangenen Jahrhunderte zu dem ge macht, was es heute ist: eine dynamische Region in der Agglomeration Zürich. Mit der Limmattalbahn erhält das Tal zwischen den Bahnhöfen Zürich-Altstetten und Kill wangen-Spreitenbach einen weiteren Schienenstrang. Die neue Stadtbahn trägt dazu bei, die Verkehrsprobleme im dicht bebauten Raum zu lösen und das erwartete Wachs tum des Verkehrs aufzunehmen.

Doch die Limmattalbahn ist mehr als ein Verkehrsmit tel. Sie ist eine Stadtmacherin, die dafür sorgt, dass die gewucherte Agglomeration ein städtebauliches Rückgrat erhält. Diese Rolle kann die Stadtbahn übernehmen, weil

dem Projekt ein starkes gestalterisches Konzept von Li nie, Haltestellen und Kunstbauten zugrunde liegt. Dieses wiederum liess sich nur dank der engen Zusammenarbeit über die Gemeinde- und über die Kantonsgrenzen hinweg umsetzen. Dafür gründeten die Kantone Zürich und Aar gau eigens die Limmattalbahn AG, die die Rolle der Bau herrs chaft übernommen hat.

Gut 20 Jahre dauerte der Planungs- und Bauprozess von den ersten Überlegungen bis zur Einweihung der Bahn im Dezember 2022. Dieses Heft stellt die neue Stadtbahn vor. Es beleuchtet die Bedeutung des neuen Verkehrsmit tels im öffentlichen Raum, lenkt den Blick auf die gestal terischen Prinzipien und thematisiert die Herausforde rungen, die dieses umfangreiche Projekt an Planer und Ausführende stellte. In einer ausführlichen Fotostrecke mit eindrücklichen Aufnahmen hat Damaris Betancourt das Trassee der Limmattalbahn als Reise von Zürich-Alt stetten bis nach Killwangen- Spreitenbach festgehalten.

Am Horizont zeichnet sich bereits die Verlängerung der Stadtbahn bis nach Baden ab. Dann wird die Limmat talbahn ihrem Namen vollends gerecht werden. Werner Huber

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Editorial Impressum Verlag Hochparterre AG Adressen Ausstellungsstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41 44 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag@hochparterre.ch, redaktion@hochparterre.ch Geschäftsleitung Andres Herzog, Werner Huber, Agnes Schmid Verlagsleiterin Susanne von Arx Konzept und Redaktion Werner Huber Fotografie Damaris Betancourt, https://damarisbetancourt.com Art Direction Antje Reineck Layout Barbara Schrag Produktion Linda Malzacher Korrektorat Dominik Süess Lithografie Team media, Gurtnellen Druck Stämpfli AG, Bern Herausgeber Hochparterre in Zusammenarbeit mit der Limmattalbahn AG Bestellen shop.hochparterre.ch, Fr. 15.—, € 12.— Zürich: Die Prellböcke am Bahnhof Altstetten markieren die Endhaltestelle. Wird das Trassee hier dereinst weitergeführt ? Wer weiss ! →

Ein dichtes Tal

Das Tal der Limmat konnte immer wieder von seinen Stand ortvorteilen profitieren. Doch bei allem Wachstum und trotz der industriellen Entwicklung gab es auch Rückschläge.

Der Begriff ‹ Limmattal › wird heute s chnell mit Infrastruk turen in Verbindung gebracht. Es gibt den Stau am Lim mattaler Kreuz, den Rangierbahnhof Limmattal und nun auch die Limmattalbahn. Das Tal beidseits des namens gebenden Flusses ist eine wirtschaftlich starke Region, und in den Thermen in Baden lädt sie sogar zum Kuren ein. Umgekehrt proportional zur Stärke des Begriffs ist die

Länge des Tals: Gerade mal 36 Kilometer legt der Fluss zwischen der Quaibrücke in Zürich und der Mündung in die Aare in Lauffohr bei Brugg zurück. Zehnmal länger ist der Schweizer Abschnitt des Rheins, achtmal länger die Aare. Dafür müssen die Zürcher ‹ ihre › Limmat nur mit einem Kanton teilen, dem Aargau. Die Kantonsgrenze hat ihren heutigen Verlauf erst seit der Gründung des Kantons Aargau 1803. Zuvor hatte sogar für kurze Zeit ein Kanton Baden existiert, zu dem auch Dietikon, Schlieren und Hüt tikon gehörten. Mit dem Ende der Helvetischen Republik kamen diese Gemeinden zum Kanton Zürich.

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Ein dichtes Tal Text: Werner Huber Zürich: Von den Prellböcken aus geht der Blick Richtung Westen ins zunächst städtisch geprägte Limmattal. →

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Das Limmattal 1 Ba den 2 Kill wangen 3 Spreitenbach 4 Dietikon 5 Ur dorf 6 Schlieren 7 Zürich

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S iedlungsgebiet 1900

S iedlungsgebiet 1950

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S iedlungsgebiet 2022 L immattalbahn geplante Verlängerung Richtung Baden E isenbahn Autobahn 7

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Ein dichtes Tal Zürich: An der Haltestelle Seidelhof dominieren klare Kanten – die der Wartehalle und die der Bauten im Hintergrund. →

Wie so oft in breiten Tälern hat die Besiedlung nicht in der Ebene, sondern hauptsächlich an deren Rändern stattgefunden. Die Limmat war ein mäandrierender Fluss, und weite Teile des Talgrunds waren sumpfig. Zunächst schienen die Ortschaften an der rechten Talseite im Vor teil: Sie sind gut besonnt, sodass zahlreiche Rebberge angelegt wurden. Doch ab Mitte des 19. Jahrhunderts än derten die Vorzeichen. 1847 fuhr der erste Zug der Schwei zerischen Nordbahn von Zürich nach Baden, die legendäre Spanisch-Brötli-Bahn als erstes Stück eines bald schnell wachsenden Schienennetzes. Ingenieur Alois Negrelli leg te das Bahntrassee in die Limmatebene, und zwar links des Flusses. Obwohl die Bahn und die Bahnhöfe teilwei se in beträchtlicher Entfernung zu den Ortschaften an gelegt wurden, hatten die linksufrigen Gemeinden fortan die besseren Karten – in einer Entwicklung, die sie damals noch nicht erahnen konnten. Die Bahn beflügelte nicht nur die industrielle Entwicklung in den Städten Zürich und Baden, sondern auch in den Ortschaften dazwischen.

Wachstumseuphorie

Die Arbeitsplätze und die gute Verkehrsanbindung führten zu einem Wachstum der Bevölkerung, das wie de rum einen Ausbau der Verkehrswege nach sich zog. 1897 erhielt die Limmattal-Strassenbahn ( LSB ) eine Konzession für den Bau einer Tramlinie vom Letzigraben in Zürich via Altstetten und Schlieren nach Dietikon mit einem Abzwei ger von Schlieren via Unterengstringen nach Weiningen. Das ‹ Lisbethli › ging drei Jahre später in Betrieb. Nach fi nanziellen Schwierigkeiten übernahm die Städtische Stras senbahn Zürich die LSB und reduzierte den Trambetrieb auf den Abschnitt bis Schlieren. 1956 war auch damit

Schluss: Fortan wendeten die Trams der Linie 2 am Farb hof in Altstetten. Die Zukunft gehörte dem Trolley- und dem Autobus und beinahe auch der Untergrundbahn. Doch das Projekt für eine U-Bahn mit Endstation in Dietikon scheiterte 1973 an der Urne.

Die neue Zeit kündigte sich auch in Form eines mehr spurigen Asphaltbandes an. Im Oktober 1970 erreichte die von Westen her kommende Autobahn via Bareggtun nel die Gemeinde Neuenhof, im Jahr darauf war sie durch gehend bis Altstetten befahrbar. 1972 war die ikonische Raststätte Würenlos, der ‹ Fressbalken ›, fertiggestellt. Auf die automobile Kundschaft war auch das Shoppingcen ter Spreitenbach ausgerichtet, das im Frühjahr 1970 seine Tore ( und Parkplätze ) geöffnet hatte. Spreitenbach galt da mals als planerisches Musterbeispiel, und das erste Ein kaufszentrum der Schweiz sollte als veritables Dorfzen trum funktionieren. Für viele Zürcherinnen und Zürcher war eine Wohnung in einer Spreitenbacher Siedlung zu dem die einzige Möglichkeit, unverheiratet zusammen zuleben – im zwinglianischen Kanton Zürich galt damals no ch das Konkubinatsverbot.

Niedergang und Aufstieg

Nach dem Shoppingcenter wollten die Investoren in Spreitenbach mit dem Tivoli noch höher hinaus. Es sollte mehr sein als ein Einkaufszentrum: ein Komplex mit viel fältigen städtischen Funktionen, einem Hotel und Wohnun gen, einem Kongresszentrum und einem Mehrzwecksaal. Doch kaum war 1974 das erste Fragment des Tivoli – ausge rechnet das Einkaufszentrum – eröffnet, ging die Bauherr schaft in Konkurs. Die Ölkrise hinterliess ihre Spuren. Die Wachstumseuphorie war dahin, und Grosssiedlungen wie

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Zürich: Zwischen Seidelhof und Farbhof überragen die Türme der Überbauung Vulcano das Trassee. Hier verkehrt auch der Trolleybus, weshalb es nicht begrünt ist. →

in Spreitenbach wurden nun kritischer beurteilt, auch weil sich in ihnen die vielschichtigen Probleme einer ethnisch immer stärker durchmischten Bevölkerung zeigten.

Auch der Industriestandort Limmattal geriet unter Druck. Die Schliessung der traditionsreichen Wagonsund Aufzügefabrik Schlieren 1985 war ein Schock über den Ort hinaus – und es blieb nicht der einzige: Geistlichs Leim- und Düngerfabrik ‹ Lymi ›, die Stückfärb erei ‹ Färbi › und das Gaswerk ‹ Gasi › machten ebenfalls dicht. Es be gann eine Abwärtsspirale, die 2003 ihren Tiefpunkt er reichte. ‹ Leben im Abfallkübel des Kantons › betitelte der ‹ Tages-Anzeiger › einen Beitrag über Schlieren. Die Be hörden hatten die Zeichen der Zeit bereits erkannt und die Zukunft des Orts in die Hand genommen. Leitbild und Stadtentwicklungskonzept waren Stationen auf dem Weg zur Besserung. Am augenfälligsten – und für das städti sche Selbstverständnis am wichtigsten – ist die Umgestal tung des Zentrums. Dabei nutzten die Stadtentwicklerin und die Planer geschickt – und s o konsequent wie nirgend wo sonst – die Dynamik, die die Planung der neuen Bahn ins Limmattal mit sich brachte. ●

Zürich: Die Haltestelle Micafil zeugt von einem ehemaligen Industriebetrieb. In der Verglasung des Wartebereichs erzeugt die Sonne ein Lichtspiel. →

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In den grossen Plan eingebettet

se administrative Welt eingetaucht ist, weiss, was das be deutet. Es braucht einen langen Atem und kluge Prozesse, damit ein solches Vorhaben innerhalb von zwei Jahrzehn ten von der ersten Skizze bis zur Fertigstellung gelingt.

Irgendwann muss jemand den Strich gezeichnet haben –den Strich, der zum Schienenstrang der Limmattalbahn wurde. Ende der 1990er-Jahre wurden erste Varianten durchgespielt: Soll es eine Hochbahn oder eine Tiefbahn werden, soll sie links oder rechts der Limmat verlaufen ? Etwas mehr als 20 Jahre später ist das Werk vollendet, eine in der Raumplanung ziemlich durchschnittliche Zeitdauer.

Bei genauerer Betrachtung muss konstatiert werden, dass es sogar recht zügig voranging. Immerhin fährt dieses Tram – oder korrekt: diese Stadtbahn – durch zwei Kantone. Von Kanton zu Kanton unterschiedlich: Wer einmal in die

Zunächst einmal braucht es den politischen Willen, etwas zu tun. Sonst geht gar nichts. Und ohne Zusammen arbeit erst recht nicht. Grosse Infrastrukturprojekte sind äusserst komplex, betreffen viele Stakeholder und müs sen fast immer in den bestehenden Siedlungsraum gelegt werden. Eine solche Gemengelage bietet immer Angriffs punkte, und irgendjemand ist bestimmt dagegen. Plau sible Gründe für ein Nein finden sich überall, umso wich tiger ist das beherzte Ja. Oder anders formuliert: Neben dem politischen Willen braucht es Überzeugungskraft und Durchhaltevermögen siehe Seite 29.

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Frühzeitige raumplanerische Überlegungen und die Ein bettung in das Agglomerationsprogramm des Bundes le gten den Grundstein für die Limmattalbahn.
Schlieren: Auf dem Areal der einstigen Wagons- und Aufzügefabrik Schlieren sind neue Gewerbebauten entstanden. Früher wurden hier auch Trams gebaut. →

Die sechs Limmattaler Gemeinden und vor allem auch die beiden beteiligten Kantone Aargau und Zürich brachten den politischen Willen und die Überzeugungskraft in das Projekt Limmattalbahn mit ein. Anfang der 2000er-Jahre machten die Kantone vorwärts und liessen Studien erstel len. 2005 lag ein regionales Verkehrskonzept vor, in dem die Limmattalbahn bereits vorkam. 2007 folgte der Ein trag in die Richtpläne der beiden Kantone – ein wichtiger Meilenstein, manifestiert sich mit der Festlegung in die sem zentralen Steuerungsinstrument der Raumplanung doch der politische Wille in einem konkreten Projekt. Der Strich auf dem Plan schaffte den Sprung vom inoffiziellen auf das offizielle, amtliche Papier.

Mit einem Richtplaneintrag ist schon einiges geschafft, aber längst nicht alles. In sämtlichen 26 kantonalen Richt plänen ist allerlei eingetragen, eb enfalls mit politischem Willen dahinter, etwa Autobahnanschlüsse, Bahnhöfe oder Deponien. Im Zürcher Richtplan etwa schlummert seit Jahrzehnten ein riesiges unterirdisches Parkhaus auf dem Kasernenareal mitten in der Stadt. Vermutlich will heute kein Mensch dieses Parkhaus bauen, aber der politische Wille der 1960er-Jahre hat es dort den nachfolgenden Ge nerationen hinterlassen. Natürlich lassen sich solche Ein träge auch wieder löschen, aber dafür muss zunächst eine entsprechende politische Mehrheit organisiert werden.

Das Agglomerationsprogramm als Katalysator

Dem raschen Vorankommen der Limmattalbahn half das Agglomerationsprogramm, ein damals – Mitte der 2000er-Jahre – neues Raumplanungsinstrument. Agglo merationsprogramme sind Projekt- und vor allem Finan zierungsinstrumente für Infrastrukturmassnahmen. Sie

entsprangen einer Krisensituation in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre, als in der Schweiz einiges nicht so rund lief. Neben einer zähen Rezession im Nachgang des Im mobiliencrashs von 1991 manifestierte sich auch eine tief greifende institutionelle Krise: Die Politik erkannte, dass das mangelnde Zusammenspiel der verschiedenen föde ralen Ebenen Probleme eher befördert als löst. Man hält es heute kaum für möglich, aber um die Jahrtausendwen de packte die Schweizer Politik einige grosse Reformen an und versuchte, den Staat wenigstens ein bisschen besser zu organisieren.

Ein Aspekt dieser breit angelegten Reformwelle war die Anerkennung der Agglomerationen als tatsächlich vorhandene Realität. In den 1990er-Jahren wurden Städ te und Agglomerationen als eigentliche Krisenherde be trachtet. Die ‹ Drogenhölle › am Bahnhof L etten in Zürich war nur das offensichtlichste und sichtbarste Symptom des Niedergangs der Städte. Hinzu kamen gravierende Verkehrsprobleme, insbesondere beim motorisierten In dividualverkehr. Das zeigte sich nicht nur in den Stadtzen tren, sondern zunehmend auch in den Vorortsgemeinden, eben der Agglomeration.

Ganz am Anfang der Agglomerationsprogramme steht denn auch die Lösung der Verkehrsprobleme. Im Grunde sind sie einfach gut ausgestattete Anreizsysteme. Der Bund bietet Geld zur Mitfinanzierung von Infrastruktur projekten ( zunächst aus einem Infrastrukturfonds, spä ter aus dem Nationalstrassen- und Agglomerationsfonds ), stellt aber zwei Bedingungen: Die Projekte müssen mit der Siedlungsentwicklung abgestimmt sein, und – fast noch wichtiger – sie können nur von Trägerschaften eingereicht werden, in denen sich mehrere Akteure zusammentun. →

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Schlieren: Bei der Haltestelle Gasometerbrücke dominieren die für Ausfallachsen typischen Nutzungen das Bild. Die Limmattalbahn setzt einen Gegenakzent. →

Eine einzelne Stadt oder eine einzelne Gemeinde kann also kein Geld beantragen. In der Regel stellen Kantone oder regionale Organisationen die Anträge. Somit sind Agglomerationsprogramme Vernetzungsmaschinen: Sie bringen verschiedene Staatsebenen an einen Tisch und tragen zu Abstimmung und Koordinierung unterschiedli cher Sachpolitiken bei.

Der Realisierung einen Schritt näher Agglomerationsprogramme werden alle vier Jahre neu ausgeschrieben ; die Zyklen werden ‹ Generationen › ge nannt. Die erste Generation ging 2007 an den Start, zum Zeitpunkt des Richtplaneintrags der Limmattalbahn. Der Kanton Zürich erarbeitete für das ganze Kantonsgebiet ein Agglomerationsprogramm, während der Kanton Aargau gleich mehrere einreichte, darunter eines für die Region Aargau Ost. Beide Programme erwähnten die Limmattal bahn und deuteten eine Linienführung an. Ihr Trassee war so gewählt, dass die Bahn parallel zur S-Bahn als Mittel verteiler sowohl die bereits bevölkerungsreichen Zentren und Quartiere als auch die dynamisch wachsenden Neu baugebiete erschliesst. Der Kanton Zürich beschrieb so gar bereits eine Etappierung. Damit war die Limmattalbahn ihrer Realisierung einen Schritt näher gekommen: Sie war nun mehr als eine Absichtserklärung und hatte neben der etwas konkreter gewordenen Linienführung auch ein Preis schild: 515 Millionen Franken für die gesamte Strecke von Altstetten bis zum Bahnhof Killwangen-Spreitenbach. Pa rallel zu dieser raumplanerischen Entwicklung artikulier te sich der politische Wille immer deutlicher: 2007 be stärkten die Limmattaler Gemeinden ihren Wunsch nach der Limmattalbahn mit einem ‹ Letter of Intent › siehe Seite 29.

In der zweiten Generation der Agglomerationsprogram me 2011 / 12 rückte die Limmattalbahn ins Zentrum. Ein Jahr zuvor hatten die Kantone Aargau und Zürich die Lim mattalbahn AG gegründet. Es ist deshalb nur folgerichtig, dass sie für das Limmattal ein eigenes, kantonsübergrei fendes Agglomerationsprogramm erarbeiteten. Das Doku ment umfasst mit Anhängen 400 Seiten und beschreibt den Raum Limmattal detailliert und aus den verschiedenen Perspektiven Siedlung, Landschaft und Verkehr. Schwä chen werden genauso benannt wie der Handlungsbedarf. Mittlerweile war klar, dass das Bevölkerungs- und Wirt schaftswachstum möglichst nicht mit dem motorisier ten Individualverkehr bewältigt, sondern eine « ambitiös e Verschiebung der Modalsplit-Anteile vom MIV zum ÖV an gestrebt » werden s ollte, gar eine « Ver doppelung der ÖVFahrten innert 20 Jahren ».

Siedlungsentwicklung und Verkehr verbinden Neu an den Agglomerationsprogrammen war die aus drückliche Verbindung von Siedlungsentwicklung und Ver kehr. Das war zwar keine wirklich neue Erkenntnis, wurde nun aber in einem wirkungsmächtigen raumplanerischen Instrument ernst genommen. So heisst es im Agglomera tionsprogramm Limmattal: « Es ist künftig weiterhin eine erhebliche Beeinträchtigung der Siedlungs-, Verkehrs- und generell der Lebensqualität im Limmattal zu erwarten, so fern die Verkehrs- und Siedlungsentwicklung nicht stär ker aufeinander abgestimmt und dabei dem öffentlichen Verkehr eine zentrale Funktion zugewiesen wird. » Die Lim mattalbahn ist also nichts weniger als eine Voraussetzung, damit das Leben im Limmattal lebenswert bleibt. Im Ag glomerationsprogramm der zweiten Generation wurde ein

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Schlieren: Bei der Haltestelle Wagonsfabrik schafft ein kleiner Park einen öffentlichen Freiraum. →

ganzer Strauss von aufeinander bezogenen Massnahmen und Projekten vorgeschlagen, insgesamt 900 Millionen Franken schwer. Der Löwenanteil mit neu 670 Millionen Franken entfiel auf die Limmattalbahn.

Der Bund erteilte dem Limmattaler Agglomerations programm in seinem Prüfbericht von 2014 gute Noten. Er beantragte beim Parlament einen Beitragssatz des Bun des zur Mitfinanzierung im Umfang von 35 Prozent über alle Projekte. Das Projekt wurde zwar sehr gelobt, aber auch auf seine Schwächen wurde hingewiesen, etwa dass die Begrenzung des Siedlungsgebiets zu wenig konsequent angegangen würde.

Kritik und Zustimmung

Während sich die raumplanerische Maschine langsam, aber unablässig in Richtung Realisierung bewegte, mel dete sich zwischenzeitlich nochmals der politische Wille zu Wort. Im November 2015 genehmigten fast zwei Drittel der Zürcher Stimmberechtigten den Projektkredit für die Limmattalbahn. Allerdings lehnte der Bezirk Dietikon die Vorlage ab. Die Kritiker der Bahn, mehrheitlich aus Dieti kon, sammelten erfolgreich Unterschriften für eine zwei te Abstimmung – die dann ab er noch deutlicher ausfiel: Nun befürworteten 83 Prozent das Projekt, und auch im Bezirk Dietikon kippte die Ablehnung in mehrheitliche Zu stimmung. Die zweite Etappe von Schlieren bis zum Bahn hof Killwangen-Spreitenbach konnte also in Angriff ge nommen werden. Dieser Streckenabschnitt stand denn auch im Zentrum der dritten Generation des Agglomera tionsprogramms. Wiederum beteiligte sich der Bund zu 35 Prozent an den Baukosten, wies aber erneut auf die be reits genannten Schwächen hin.

Geht es jetzt erst richtig los ?

Etwa zeitgleich kam es auf informeller Ebene zu Zu sammenschlüssen. Die 2007 gegründete ‹ Standortförde rung Limmattal › verschmolz 2019 mit der Organisation ‹ Limmatstadt ›, die auf eine Initiative der Halter AG zurück geht, einem im Limmattal verwurzelten Bau- und Immo bilienunternehmen. ‹ Limmatstadt › betr eibt eine aktive Standortförderung und vereint zahlreiche lokale Unter nehmen als Aktionäre und Mitglieder. Eher soziokulturell geprägt ist die 2015 gegründete ‹ Regionale Projekts chau Limmattal ›. Der Trägerverein bringt Ideen aller Art zu sammen und will zu neuen Projekten anspornen. Mehr als 50 Projekte sind bisher zusammengekommen ; 2025 soll eine Auswahl davon im Rahmen einer grossen Ausstellung im ganzen Limmattal gezeigt werden.

Im jüngsten Agglomerationsprogramm von 2021 rückt die Limmattalbahn etwas in den Hintergrund ; sie gehört nun gewiss ermassen zum Bestand, an dem sich die nächs ten raumplanerischen Massnahmen orientieren. Aus dem Strich auf den Plänen sind Schienen im Strassenraum ge worden, die wie fast alles im Limmattal parallel zum Fluss verlaufen – der G eografie entkommt man nicht. Das Agglo merationsprogramm der vierten Generation versucht nun, diese dominante Linearität mit mehr und vor allem mit qualitätsvollen Querverbindungen zu ergänzen und die Quartiere zwischen Zürich und Killwangen endlich besser zu verweben. Insofern beginnt das Projekt Limmattalbahn vielleicht sogar erst jetzt so richtig. ●

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone In den grossen Plan eingebettet Schlieren: Der Stadtplatz ist Schlierens neue Mitte, markiert durch eine grosse rote Dachskulptur. Die Haltestelle gehorcht jedoch den Gestaltungsprinzipien der Limmattalbahn. →

Die Kantonsplaner haben das Wort

Der Diplom-Ingenieur Stadt- und Regio nalplanung ( TU Berlin ) arbeitet s eit 2009 bei der Baudirektion des Kantons Zürich und leitet das Amt für Raumentwicklung. Er war lange in der Privatwirtschaft tätig, wo er sich mit den Themenkreisen Raum planung sowie Raum- und Standort entwicklung befasst hat.

« Ein Gewinn für das Limmattal »

Welche Auswirkungen die Limmattalbahn auf die Raum entwicklung haben wird, konnten wir aufgrund der Erfah rungen, die wir mit der Glattalbahn gemacht hatten, er ahnen. Die Bahn ist ein Verkehrsmittel. Sie ist aber auch eine wichtige Impulsgeberin für die städtebauliche Ent wicklung ihres Umfelds. Die Limmattalbahn fährt durch die Zentren von Schlieren, Dietikon und Spreitenbach. Bereits vor und während ihrer Bauphase wurden weitere Bauvorhaben und neue Nutzungen, die zur Stärkung der Zentren beitragen, realisiert und somit die bauliche Dich te erhöht. Ausgelöst durch die Limmattalbahn konnte das

gesamte Verkehrssystem neu ausgerichtet und in weiten Bereichen Verbesserungen für Fussgänger und Velofah rerinnen erreicht werden, da der Durchgangsverkehr auf andere Achsen verlagert wird. Diese Massnahmen tragen insgesamt zu mehr Aufenthalts- und Erlebnisqualität im Limmattal bei. Teile der Bevölkerung beurteilten die Ver änderungen aber auch kritisch. So gab es etwa Bedenken, dass es noch mehr Bautätigkeit geben würde, man fürch tete, dass die Limmattalbahn die Erreichbarkeit der Zen tren mit dem Individualverkehr einschränkt oder sie ein Fremdkörper in den Strassen sei. Das nun fertiggestellte Projekt wird aber bald als Bereicherung der Gemeinden gesehen werden – das zeigen die Erfahrungen mit frühe ren Tram- und Stadtbahnprojekten im Raum Zürich. Den noch dürfen wir nicht darüber hinwegsehen, dass noch Verbesserungen möglich sind, die wir anpacken wollen. Heute wissen wir, dass urbane Räume so gestaltet werden müssen, dass möglichst wenig Fläche versiegelt wird und keine Hitzeinseln entstehen. Das muss noch konsequen ter in die Planung einfliessen. Der Standort des Depots im Gebiet Müsli wurde aus raum- und landschaftsplaneri scher Sicht kritisch beurteilt, auch wenn er aus betrieb lichen Gründen richtig ist und die Architektur als gelun gen angesehen wird siehe Seite 24. Der weiteren Entwicklung zwischen Dietikon und Spreitenbach müssen wir grosse Beachtung schenken ; insbe sondere ist die Siedlungszä sur zu schützen. Bei einem Vorhaben wie der Limmattal bahn müssen Interessen abgewogen und Kompromisse gefunden werden. Die Bahn ist ein Gewinn für das Lim mattal und hat das Potenzial, seine Identität als gemein samer Raum von Zürich bis Killwangen – und hoffentlich mit der nächsten Etappe bis nach Baden – zu stärken.

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Die Kantonsplaner haben das Wort Wilhelm Natrup Schlieren: Kurz vor dem Portal des Färberhüslitunnels liegt die Haltestelle Reitmen, die die gleichnamige Siedlung erschliesst. →

Der Jurist und Raumplaner ETH / NDS hat längere Zeit in einem Planungsbüro gearbeitet. Seit 2001 führte er diverse Ge setzgebungsprojekte im Kanton Aargau. 2012 übernahm er die Leitung der Abteilung Raumentwicklung im Aargau.

« Es braucht Weitsicht »

Auf Kantonsstrassen ist manchmal spürbar, wo die Kan tonsgrenzen liegen. Beim Schienenverkehr ist das zum Glück nicht so. Er überwindet Kantonsgrenzen ohne Quali tätsunterschiede, mit einer gewissen Leichtigkeit und fah rend, da keine Haltestellen mitten auf eine Kantonsgren ze gebaut werden. Dass Kantonsgrenzen ausserhalb der Bahn oft spür- oder sogar sichtbar sind, gilt auch im Lim mattal – zumindest noch. Spreitenbachs Zentrum bietet zwar einen urbanen Auftakt im Kanton Aargau, das eigent liche Grenzgebiet aber ist noch grüne Wiese oder ein Ort mit Nutzungen, die sich gern an peripheren Lagen ansie deln. Dabei befinden wir uns dort mitten im Limmattal, einem der dynamischsten Gebiete der Schweiz ! Die ses Paradox ist zumindest teilweise durch die Grenzlage be gründet. Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Der Freiraum zwischen Dietikon und Spreitenbach ist eine

willkommene Zäsur. Wir sollten diese Lücke nicht mit Bau ten schliessen, im Gegenteil. Die langfristige Sicherung dieses Korridors ist für die Natur und die Landwirtschaft, für Erholungssuchende und auch für das Raumerlebnis der Durchreisenden wichtig. Mit dem grenzübergreifen den Projekt der Landschaftsspange Hüttikerberg-Sand bühl sind wichtige Arbeiten aufgegleist. Dass die Limmat talbahn die Kantonsgrenze zwischen Zürich und Aargau im Bereich ihres Trassees scheinbar spielerisch auflöst, hat alle Beteiligten stark gefordert. Lange vor meiner Zeit brauchte es Fachleute mit Weitsicht, um dieses Projekt zu lancieren, und es brauchte Politikerinnen und Politiker, die nicht mit der Vierjahres-Brille unterwegs sind. Dass das gelungen ist, stimmt hoffnungsvoll. Weitsicht war auch unter dem Aspekt der Abstimmung von Siedlung und Verkehr nötig. Ich erinnere mich an ein Prüfgespräch beim Bund vor zehn Jahren. Es ging um das Agglomerationspro gramm der zweiten Generation siehe Seite 10. Der Aargauer Delegation wurde tatsächlich die Frage gestellt, ob es die Limmattalbahn auf der Aargauer Seite wirklich brauche, die Bahn fahre ja zum Teil noch entlang grüner Wiesen. Unsere Gegenfrage lautete, ob wir denn zuerst die Ver kehrsüberlastung abwarten sollten, um anschliessend die Bahn im dannzumal überbauten Siedlungsgebiet zu pla nen. Das Thema war erledigt und der Tatbeweis für die Ab stimmung von Siedlung und Verkehr erbracht. Eine solche Bahn im bereits intensiv bebauten Gebiet zu bauen, war eine Meisterleistung. Sie über die Kantonsgrenze fahren zu lassen, zeugt von Weitsicht. Und der Aargauer Job ist klar: Planung und Bau der Fortführung nach Baden – mit der gleichen Sorgfalt und der Überzeugung, etwas Gutes für die Siedlungsqualität zu tun. ●

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Die Kantonsplaner haben das Wort Daniel Kolb Schlieren: Nach der Haltestelle Reitmen zweigt das Trassee von der Badenerstrasse ab und mündet in den Färberhüslitunnel. →

Mit der Stadtbahn durch das Limmattal

gen-Spreitenbach. In den sechs angefahrenen Gemein den erschliesst sie ein Einzugsgebiet mit rund 50 000 Ein wohnern und ebenso vielen Arbeitsplätzen. Im Schnitt alle 515 Meter befindet sich eine ihrer 27 Haltestellen.

Mal heisst sie Badenerstrasse, dann Zürcherstrasse oder einfach Landstrasse – die Hauptstrasse von Zürich durch das Limmattal nach Baden trägt zwar abschnittsweise unterschiedliche Namen, aber eines ist der ganzen Stre cke gemein: Sie ist das Rückgrat der Entwicklung auf der linken Talseite. Entlang dieser Achse wuchsen die Ge meinden, entstanden Industriebetriebe, Gewerbebauten und Wohnsiedlungen. Über weite Strecken verläuft hier nun auch die neue, rund 13 Kilometer lange Stadtbahnlinie vom Bahnhof Zürich-Altstetten bis zum Bahnhof Killwan

Mittig in der Strasse

Startpunkt am östlichen Ende der Strecke ist der SBahnhof Zürich-Altstetten. Die Fahrzeuge der Limmattal bahn halten in der Hohlstrasse direkt am Bahnhofplatz, den das vom SBB-Hausarchitekten Max Vogt 1968 erstell te Bahnhofsgebäude dominiert. Dank Zweirichtungsfahr zeugen siehe Seite 27 braucht es keine Wendeschleife – die Gleise können stumpf enden. Von der heutigen Endhalte stelle her könnte die Bahn dereinst weiter Richtung Stadt

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Mit der Stadtbahn durch das Limmattal Die Limmattalbahn erschliesst Wohn- und Gewerbegebiete, vier S-Bahnhöfe, ein Spital, eine Kantonsschule und ein Shoppingcenter. Eine 13 Kilometer lange virtuelle Reise. Text: Reto Westermann Schlieren: Auf der Südseite des Färberhüslitunnels ragen die Neubauten des Spitals Limmattal empor, das nun einen direkten Stadtbahnanschluss hat. →

führen. Vom Bahnhof Altstetten folgt die Limmattalbahn in einem sanften Bogen Richtung Westen dem Verlauf der Hohlstrasse. Auf diesem Abschnitt teilt sie sich das Tras see mit den Trolleybussen der Linie 31. Am Farbhof kom men die Gleise der Stadtbahn mit denen der Tramlinie 2 zusammen und schwenken dann nach rechts in die Bade nerstrasse. Bis nach Schlieren teilt sich die Limmattal bahn das Trassee mit dem 2er-Tram. Der Querschnitt mit den mittig in der Strasse liegenden Gleisen ist der Stan dard der neuen Stadtbahn siehe Seite 21.

Gut einen Kilometer nach dem Bahnhof Altstetten füh ren die Fahrleitungen des Trolleybusses rechts in das Ge werbegebiet, während sich das Bahntrassee als grünes Band durch das Limmattal zieht. Die Haltestellen Mülligen und Gasometerbrücke erschliessen Industrie- und Gewer begebiete, das Briefzentrum der Post auf der rechten und Wohnquartiere auf der linken Strassenseite. Mit der Hal testelle Wagonsfabrik, die an die Wagons- und Aufzügefab rik Schlieren erinnert, sind die zahlreichen Medizinal- und Pharmafirmen auf dem einstigen Industrieareal und die in den Hallen der ehemaligen NZZ-Druckerei eingemieteten Firmen gleich daneben an die Stadtbahn angeschlossen.

Wohnungen statt Occasionen

500 Meter weiter erreicht die Limmattalbahn das Zen trum von Schlieren. Die Stadt nutzte den Bau der Bahn als Katalysator für ihre eigene Entwicklung. Bis vor weni gen Jahren prägten vielspurige Strassen und Brachland das Bild. Heute führt der Autoverkehr auf lediglich einer Spur um den neuen Stadtplatz herum, akzentuiert von einer knallroten Dachskulptur über der Haltestelle. Ein paar Meter daneben sind auf einer dem Velo- und Fuss

verkehr vorbehaltenen Fläche noch die alten Strassen markierungen sichtbar – eine Erinnerung an die einstige Dominanz des Strassenverkehrs. Vom Stadtplatz sind es nur wenige Schritte zum Bahnhof Schlieren. Die Limmat talbahn fährt jedoch geradeaus und schwenkt im Gebiet Geissweid leicht nach links. Auch hier ist ein öffentlicher Freiraum entstanden, um den herum die Trams der Linie 2 für die Rückfahrt nach Zürich wenden. Nun wechseln die Fahrzeuge der Limmattalbahn die Stromspannung: von 600 Volt ( wie das Zürcher Tramnetz ) auf 1200 Volt Gleich strom ( wie die Bremgarten-Dietikon-Bahn, mit der sich die Limmattalbahn im späteren Verlauf der Strecke einen kur zen Abschnitt beim Bahnhof Dietikon teilt ).

Von der Geissweid fährt die Limmattalbahn weiter in der Mitte der Badenerstrasse. Die Haltestellen Kesslerplatz und Reitmen erschliessen die älteren Wohnquartiere auf der linken Seite und die seit 2008 neu entstandenen Sied lungen im Gebiet Schlieren West. Hier, rechts der Strasse, hat sich das Bild in den letzten Jahren erheblich gewandelt: Wo sich einst ein Gebrauchtwagenhändler an den anderen reihte und sich die halbe Schweiz nach günstigen Occasio nen umschaute, stehen heute ein Schulhaus und neue Wohn siedlungen wie etwa Reitmen, Wagonlits mit Kleinstwoh nungen oder Futura mit Fokussierung auf Nachhaltigkeit.

Durch den Tunnel zum Spital

Nach der Haltestelle Reitmen führen die Gleise scharf nach links, verlassen die Hauptstrasse und verschwinden im Färberhüslitunnel. Nach knapp 250 Metern taucht die Bahn direkt vor dem 2018 eingeweihten Neubau des Spi tals Limmattal wieder auf. Danach verläuft das Trassee wei ter zum Gewerbe- und Industriegebiet Luberzen in der →

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Mit der Stadtbahn durch das Limmattal Dietikon: Das äusserste Perron folgt den Gestaltungsprinzipien der Limmattalbahn, die beiden grossen Dächer wurden davon abgeleitet. →

Gemeinde Urdorf. Rechts der Strasse prägen Gewerbe bauten aus den 1980er- und 1990er-Jahren das Bild, auf der linken Seite wächst derzeit der Erweiterungsbau der Kan tonsschule Limmattal in die Höhe. Die Limmattalbahn be dient sie mit der Haltestelle Kantiallee. Gut hundert Me ter weiter fährt die Bahn durch einen Kreisel und gelangt nach einem leichten Gefälle zu einer grossen Kreuzung. Hier dominiert der Autoverkehr: Zahlreiche Spuren sortie ren die Fahrzeuge in die verschiedensten Richtungen ein, nehmen den Verkehr von der tiefer liegenden Autobahn A3 auf oder leiten die Autos dorthin. Die Limmattalbahn quert die A3 auf einer Brücke und taucht dann in eine kom plett andere Szenerie ein: Der nun folgende Abschnitt der Birmensdorferstrasse ist eine Tempo-30-Zone, mehrheit lich gesäumt von Mehrfamilienhäusern und neu gepflanz ten Kirschbäumen. Nach der Haltestelle schwenken die Gleise nach links, zurück in die Hauptstrasse Richtung Ba den. Parallel zu den Gleisen der SBB führt das Trassee über die Haltestelle Schäflibach in das Zentrum von Dietikon. Über eine kurze Stichstrecke nach rechts und eine schar fe Linkskurve erreicht die Limmattalbahn den Verkehrs knotenpunkt am Bahnhof Dietikon, wo eine weitere Bahn nach Bremgarten fährt und Anschluss an das S-Bahnnetz besteht. Während gut 300 Metern teilen sich Limmattal bahn und Bremgarten-Dietikon-Bahn die Gleise, bevor die Stadtbahn nach rechts zur Haltestelle Zentrum abzweigt.

Bunkerknoten und Phänomena

Es folgt ein 300 Meter langer Abschnitt, auf dem die Limmattalbahn die Fahrspur mit dem Autoverkehr teilt –der einzige längere Streckenteil mit Mischverkehr, weil die engen Platzverhältnisse hier keine andere Lösung er

laubten. Auf den restlichen 92 Prozent der Strecke fährt die Bahn auf einem eigenen Trassee oder teilt sich die ses mit Bussen. Entlang der Badenerstrasse geht die Fahrt weiter bis zum Bunkerknoten, dessen Name an eine Be festigung im Zweiten Weltkrieg erinnert. Eine neue Unter führung für die Strasse entflechtet hier Stadtbahn und Autoverkehr. Die Haltestelle Maienweg direkt nach der Kreuzung befindet sich schon ausserhalb des derzeiti gen Siedlungsrands. Dahinter folgen nur noch Felder, und die Stadtbahn braust ( zurzeit noch ) mitten durchs Grün, vorbei an der bereits vorbereiteten, aber noch nicht be dienten Haltestelle Niderfeld und über die hier neu eben falls in Tieflage verlaufende Mutschellenstrasse. Im zur Gemeinde Dietikon gehörenden Entwicklungsgebiet Ni derfeld soll im Sommer 2024 die Wissens- und Erlebnis ausstellung Phänomena stattfinden. Später ist ein neu es Quartier mit Wohnungen, Gewerbebauten und einem Park geplant. Dann soll auch die Haltestelle in Betrieb ge nommen werden. Rechts taucht nun – direkt neben den Gleisen des Rangierbahnhofs – die neue Depotanlage der Limmattalbahn auf siehe Seite 24. Eine 500 Meter lange, ein spurige Stichstrecke, die knapp hinter der Kantonsgrenze in das Stadtbahntrassee mündet, erschliesst das Depot.

Unter den Häusern hindurch

Nach dem Niderfeld ist es vorbei mit der ländlichen Idylle. Gewerbebauten dominieren das Bild, etwa die IkeaFiliale, die der Haltestelle direkt davor ihren Namen gab. Der folgende Kilometer ist urban und dicht. Bereits sind die Wohntürme beim Shoppingcenter zu sehen. Die Lim mattalbahn fährt unter einem Gebäudeflügel der Über bauung Limmatspot hindurch und taucht ein in eine kurze

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Mit der Stadtbahn durch das Limmattal
Dietikon: Am Bahnhof Dietikon treffen sich die Züge der SBB, der Bremgarten-Dietikon-Bahn und der Limmattalbahn. →

Galerie, die unter der Überbauung Tivoli Garten – zur zeit noch eine Baustelle – hindurch zur Haltestelle Shoppi Tivoli führt. Sie hat als einzige ein Mittelperron, von dem die Fahrgäste via Rolltreppe direkt nach oben zum Einkau fen oder in die neu erstellten Wohnungen gelangen. Nach der Galerie kommt ein schnurgerader Abschnitt durch die neu gestaltete Landstrasse. Die Schnellstrasse aus der autophilen Nachkriegszeit hat sich in eine Allee mit mitti gem Gleistrassee verwandelt. Dicht an dicht folgen rechts das Ausstellungsgebäude der Umweltarena, Gewerbebau ten und Möbelhäuser, links die Wohntürme von Sprei tenbach. Gut einen Kilometer nach dem Tivoli biegt die Strasse bei der Haltestelle Spreitenbach West leicht an steigend nach links ab. Die Limmattalbahn unterquert sie und erreicht nach einem kurzen Gefälle den Bahnhof Kill wangen-Spreitenbach. Die Gleise liegen hier seitlich der Strasse und enden ebenfalls stumpf. Eines Tages könnte die Bahn nach Neuenhof, Wettingen und Baden weiterfüh ren. Bis dahin pausieren die Stadtbahnwagen bis zur Rück fahrt direkt vor dem Bahnhofsgebäude, das wie der Bahn hof Altstetten aus der Feder von Max Vogt stammt. ●

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Mit der Stadtbahn durch das Limmattal Dietikon: Die Perrons der drei Bahnen sind durch eine neue Unterführung verbunden, die auch einen Zugang zur Limmat bietet. →

Endstation Bahnhof Killwangen

Analog zum Streckenbeginn in Altstetten endet die Limmattalbahn vor dem Bahnhof Killwangen Spreitenbach stumpf in einer zweigleisigen Haltestelle mit überdachten Seitenperrons. Parallel dazu sind die Bus haltestellen angeordnet. Um Platz für die Haltestellen zu schaffen, wurde der Quer schnitt der Bahnhofstrasse aufgeweitet. Auf rund 100 Metern wurde der steile Hang gegenüber dem Bahnhof abgetragen und mit einer bis zu vier Meter hohen Stütz mauer aus Sichtbeton abgefangen. Wie alle Kunstbauten entlang der Strecke ist auch die Stützmauer nach den Vorgaben des Ge staltungskatalogs für die Limmattalbahn mit einer versetzten Anordnung der Schal bretter strukturiert. Drei parallel zueinan der stehende Dächer schützen die Stadt bahn und die Bushaltestelle und wirken als Filter auf dem Platz.

Überwerfung Zürcherstrasse

Kurz vor dem Bahnhof Killwangen-Sprei tenbach biegt die Limmattalbahn nach rechts ab. Für die niveaufreie Ausfädelung aus der Zürcherstrasse wurde ein aufwendiges Überwerfungsbauwerk erstellt, damit Autoverkehr und Stadtbahn ein ander nicht in die Quere kommen. In der Mitte der Zürcherstrasse sinkt das Bahn trassee leicht ab, während die beiden flan kierenden Fahrspuren des Autoverkehrs ansteigen. Nach gut 200 Metern unterquert die Stadtbahn in einer Rechtskurve die eine Spur der Zürcherstrasse und fährt zum Bahnhof. Zusammen mit der Bahn unter quert auch die Bahnhof die Zürcherstrasse. Dadurch entsteht im Überwerfungsbau werk ein doppeltes, für beide Verkehrsmit tel einheitlich gestaltetes Portal.

Killwangen Bahnhof Killwangen-Spreitenbach Spreitenbach West
Shoppi Tivoli Kunstbauten Texte: Reto Westermann
Ikea Umweltarena Spreitenbach

Mutschellenknoten Dietikon

Die vierspurige Mutschellenstrasse ist die wichtigste Verbindung zwischen der Autobahn A1 und dem Industriegebiet Sil bern sowie den Siedlungsgebieten von Dietikon und Spreitenbach. In einem lan gen Tunnel führt die Strasse unter dem Gleisfeld des Rangierbahnhofs Limmattal hindurch. Die Limmattalbahn quert auf ihrem Weg durch das Entwicklungsgebiet Niderfeld auch die Mutschellenstrasse.

Das hohe Verkehrsaufkommen und Sicher heitsüberlegungen erforderten eine Ent flechtung dieses Verkehrsknotens, und die Strasse wurde auf einer Länge von rund 400 Metern abgesenkt. Eine neue Brücke für die Limmattalbahn und den parallel zum Trassee verlaufenden Veloweg er schliesst auch das Niderfeld.

Bunkerknoten Dietikon

Damit künftig weniger Verkehr durch Dieti kon rollt, wurde die Umfahrung aus gebaut. Ein wichtiger Ort ist der Bunker knoten an der Kreuzung von Badenerund Ueberlandstrasse im Westen der Stadt. Eine mitsamt Rampen rund 400 Meter lange Unterführung entflechtet die Ver kehrsströme: Lokalverkehr und Trams fahren oberirdisch, der Durchgangsverkehr unterquert den Kreuzungsbereich. Beidseits der Unterführung verknüpfen Ein- und Ausfahrten die Ueberlandmit der Badenerstrasse. Ampeln und Ab biegespuren sortieren und sichern den Verkehr und sorgen für eine freie Fahrt der Limmattalbahn über die Kreuzung. Die Gestaltung von Stützmauern, Lärmschutz elementen und Absturzsicherungen folgt den Vorgaben für den gesamten Kor ridor der Limmattalbahn.

Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Kunstbauten und Siedlungsraum

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Dietikon
Oetwilerstrasse Zentrum Bahnhof Dietikon Schäflibach
Niderfeld Maienweg
Kreuzäcker Depot

Umsteigebauwerk Bahnhof Dietikon

Die Verknüpfung mit den Regionalbussen, den Zügen der SBB und der BremgartenDietikon-Bahn macht den Bahnhof Dietikon zum wichtigsten Umsteigeknoten der Limmattalbahn. Ein neues Bauwerk schafft kurze Wege zwischen den drei Schienen verkehrsmitteln. Parallel zur Haltestelle der Limmattalbahn wurde der Endbahnhof der Bremgarten-Dietikon-Bahn neu gebaut. Eine komfortable Personenunterführung verbindet die drei Haltestellen und bietet einen direkten Zugang zum Limmatufer. Treppen und gläserne Aufzüge erschlies sen alle Perrons. Die Gestaltung der neuen Perrons entspricht den Vorgaben für die Limmattalbahn, diejenige der Unterfüh rung dem aktuellen Standard der SBB mit Wänden aus Sichtbeton, Natursteinboden und verglasten Aufzugsschächten.

Färberhüslitunnel

Die Linienführung zum Spital Limmattal wurde lange diskutiert. Ursprünglich sollte die Stadtbahn in der relativ steilen Kesslerstrasse fahren, was aufwendige Ge ländeanpassungen erfordert hätte. Die städtebaulich verträglichere Lösung ist der 245 Meter lange Färberhüslitunnel, der von der Badenerstrasse unter der Grünan lage einer Wohnsiedlung hindurchführt und kurz vor der Haltestelle Spital Limmat tal endet und die Bahn wieder ans Tages licht bringt. Die Haltestelle liegt direkt beim Eingang des Spitals. Durch diese Linienfüh rung erhielten auch die neuen Siedlun gen an der Badenerstrasse eine Stadtbahn haltestelle, wie es die Verkehrskommission Schlieren gewünscht hatte. Die Tunnelportale sind sorgfältig in die Umgebung ein gebettet, integrierte Lavabetonsteine reduzieren die Lärmemissionen.

Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Kunstbauten und Siedlungsraum

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Urdorf Birmensdorferstrasse Spital Limmattal Kesslerplatz Geissweid Schlieren, Zentrum / Bahnhof Wagonsfabrik Urdorf Nord Kantiallee Reitmen Schlieren

Siedlungsraum

Beim Projektstart 2010 setzten die drei Planungsbüros des Querschnittsmandats Gestaltung einen Übersichtsplan im Massstab 1 : 5000 auf. Er bildet die Linien führung der Limmattalbahn im Kontext des Siedlungsgefüges ab. Neben dem Tras see, den Haltestellen als Ankerpunkten im Stadtraum und dem Alleenkonzept zeigt der Plan realisierte und geplante bau liche Veränderungen im Einzugsgebiet der Stadtbahn. Die im Plan eingetragenen Querverbindungen und Grünräume il lus trieren die Einbindung der Limmattalbahn in ihre Umgebung. Darüber hinaus ver weist der Plan auf das Entwicklungspoten zial der Gemeinden. Die Überlegungen des Querschnittsmandats ergänzten die Leitbilder der Gemeinden. Der Über sichtsplan war während der Planungs und Bauzeit ein Arbeitsinstrument und wurde laufend aktualisiert.

Linienführung Limmattalbahn ( LTB ) mögliche Weiterführung LTB Einzugsgebiet Haltestellen ( Radius 400 m )

Anbindung Veloverkehr primäre Querverbindungen Begleitmassnahmen Strassenverkehr Entwicklung gemäss Leitbild Gemeinden Entwicklung vorgeschlagen durch LTB / QSM Gestaltung

Umstrukturierung vorgeschlagen durch LTB / QSM Gestaltung Hochhäuser bestehend / im Bau Hochhäuser geplant

Bahnhof Altstetten

Micafil

Seidelhof Gasometerbrücke Mülligen

Farbhof

Zürich Altstetten

0 250 500 m
Text: Werner Huber

Die Bahn als Stadtmacherin

Der Bau einer Stadtbahn ist eine wichtige architektonische Aufgabe. 10 : 8 Architekten haben eine Reihe von Gestaltungsprinzipien für den ganzen Bahnkorridor entwickelt.

Eine Bahn ist in erster Linie ein Verkehrsmittel. Das gilt für die Limmattalbahn genauso wie für ein städtisches Tram, eine U-Bahn oder die Bundesbahnen. Eine Bahn kann aber auch ein Gestaltungsmittel für den öffentlichen Raum sein. Historische Bahnhofsgebäude prägen unsere Städte, das Erscheinungsbild der SBB bindet die Schweiz zusammen. Die einheitliche ‹ Architecture de ligne › verleiht der Metro linie M2 in Lausanne eine ebenso starke Identität wie Jean Nouvels Architektur der Bahnstrecke CEVA in Genf.

Eine besondere gestalterische Wirkung können Tram- und Stadtbahnlinien in Agglomerationen entfalten. Beispielhaft war die Renaissance des Trams in Frankreich. In Strassburg etwa wertete die 1994 eröffnete Tramlinie den öffentlichen Raum mit einem durchgehenden Gestaltungskonzept auf –vom Zentrum bis an die Peripherie. Auf französischen Pfa den wandelte auch Genf, das sein Tramnetz ab Mitte der 1990er-Jahre kräftig ausbaute. In der automobilen Stadt brauchte es einige Überzeugungsarbeit, den Verkehrsraum zugunsten des Trams neu aufzuteilen ; die Gestaltung spiel te dabei eine wichtige Rolle. Einheitliche, wenn auch we niger ausgeprägte Gestaltungsprinzipien liegen auch den Projekten Tram Bern West und Tram Zürich West zugrunde.

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Die Bahn als Stadtmacherin Text: Werner Huber Dietikon: Der Bunkerknoten entflechtet die Strassen von Durchgangs- und Lokalverkehr und gewährt der Limmattalbahn freie Fahrt. →

Ein grosses Thema war die Linienarchitektur bei der äl teren Schwester der Limmattalbahn, der Glattalbahn. Sie fährt um die Stadt Zürich herum und knüpft ein Verkehrs netz, das es bislang so nicht gegeben hat. Die Bahn sollte die an der Linie gelegenen Orte nicht nur verkehrstech nisch verbinden, sondern sie auch in den Köpfen der Men schen enger miteinander verflechten – aus Agglomeration wird Stadt. Die neue Bahn im Limmattal führt parallel zu bereits vorhandenen, stark belasteten Verkehrsachsen von der Kernstadt weg. Aber auch sie fährt durch eine Ag glomeration mit wenig ausgeprägten öffentlichen Räumen. Im Glatt- wie im Limmattal verkehren die Bahnen weitge hend auf einem eigenen Trassee mit höherer Geschwin digkeit und grösseren Abständen zwischen den Haltestel len als bei innerstädtischen Tramlinien.

Trassee mit drei Dimensionen

Die Gestaltung von Bauwerken an der Schnittstelle von Stadt und öffentlichem Verkehr gehört zu den Kern kompetenzen von 10 : 8 Architekten. Vor bald 20 Jahren realisierte das Büro die Haltestellen der Zuger S-Bahn mit der charakteristischen roten Leitmauer. Der Umbau des Bahnhofs Zürich-Oerlikon und die Unterführung Nord am Bahnhof Winterthur sind weitere Beispiele für ihr Werk, das einen gemeinsamen Nenner hat: Mit wenigen präzisen Elementen werden selbstbewusste und selbstverständli che Orte geschaffen. Bei der Gestaltung der Limmattal bahn waren 10 : 8 Architekten im Rahmen des Querschnitts mandats Gestaltung federführend. Als Spezialisten für Fuss- und Veloverkehr war das Büro Stadt Raum Verkehr beteiligt, die Aspekte der Landschaftsarchitektur betreu te Andreas Geser mit seinem Team.

Das Trassee der Limmattalbahn folgt hauptsächlich den alten Hauptstrassen, die im Zeitalter des Autos zu Ausfall achsen geworden waren. Um aus dieser Hauptachse das Rückgrat der künftigen Limmattalstadt zu machen, setz ten die Architekten auf einen streng symmetrischen Stras senquerschnitt. In der Mitte fährt die Bahn, beidseits flan kiert von den Fahrbahnen für den Autoverkehr und den Velospuren. Das Bahntrassee ist über weite Strecken als Grüntrassee ausgebildet. Einzig auf den Abschnitten in der Stadt Zürich und im Zentrum von Schlieren, auf denen auch ein Linienbus verkehrt, sowie auf dem kurzen Stück mit Mischverkehr in Dietikon ist das Trassee asphaltiert.

Wo immer möglich machen Baumreihen auf beiden Seiten ein dreidimensionales, stadtraumprägendes grü nes Band aus der zweidimensionalen Verkehrsachse. Qua si als Vorinvestition erhält die Strasse so den Charakter eines innerstädtischen Boulevards – auch wenn die Be bauung diesem Bild vielerorts noch nicht entspricht. Ins besondere auf den räumlich wenig oder gar nicht gefass ten Abschnitten ausserhalb der Zentren ist das wichtig. Weil Bäume Zeit brauchen, um zu wachsen, ist das heu te erst im Ansatz zu sehen. In die dritte Dimension grei fen auch die Masten, an denen die Fahrleitung und die Beleuchtung abgehängt ist. Sie stehen in der Regel in der gleichen Achse wie die Bäume, sodass Masten und Bäume den Strassenraum vom Trottoir abtrennen. Im Abschnitt Niderfeld, zwischen dem Bunkerknoten in Dietikon und dem Shoppi-Tivoli in Spreitenbach, liegen die Gleise aus verkehrstechnischen Gründen nicht in der Mitte, sondern am Rand. Baumallee und Fahrleitungsmasten sind aber nach dem gleichen Prinzip angeordnet wie an der übrigen Strecke. Bestimmend für die Auswahl der Baumsorten →

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Die Bahn als Stadtmacherin Dietikon: Zwischen den Haltestellen Maienweg und Niderfeld führt eine Strasse ins noch unbebaute Niderfeld. →

waren die Eigenschaften der Strassenräume und der angrenzenden Bebauung. Zudem stimmten die Planer der Limmattalbahn ihr Konzept auf die Alleenkonzepte der Gemeinden ab.

Perlen am Schienenstrang

Das im öffentlichen Raum sichtbarste Zeichen der neuen Bahn sind ihre Haltestellen. Neben den passieren den Fahrzeugen sind sie die konstanten Visitenkarten der Limmattalbahn. Sie sollen den wartenden Passagieren ein angenehmes Umfeld bieten, prägen als Perlen am Schie nenstrang aber auch das Erscheinungsbild der Bahn ent lang der ganzen Strecke. In dicht bebauten Innenstädten sollen sich Tramhaltestellen möglichst unauffällig ein fügen. Dort ist der Raum knapp, und historische Bauten dürfen in ihrer Wirkung nicht beeinträchtigt werden. Weil die Limmattalbahn aber nicht bloss ein Verkehrsmittel, sondern auch ein Motor für die Stadtentwicklung und die Gestaltung des öffentlichen Raums ist, sollen ihre Halte stellen in der bisher weitgehend ungestalteten Agglome rationslandschaft ein Zeichen setzen.

Für die insgesamt 27 Haltestellen haben die Architek ten einen Standardtypus entwickelt, der – an die jeweili ge Situation angepasst – über den gesamten Streckenver lauf eingesetzt wird. Ein schmales Randelement aus Beton bildet das Rückgrat der Haltestelle. Im Bereich der Warte halle erweitert es sich zu einem Sockel, der die Stahlkons truktion des Dachs und den Block mit dem Billettautoma ten, der Werbung und technischen Einrichtungen trägt. Auf dem Sockel liegt auch die von Beton gefasste, hölzer ne Sitzbank. Eine Glashaut umschliesst diesen Bereich auf drei Seiten als Windschutz. Zum Schutz der Vögel ist

das Glas mit einem Muster bedruckt, das so aufgebracht ist, dass die dreidimensionale Wirkung eines Vorhangs entsteht. Ein Geländer schirmt die Haltestelle zur Strasse hin ab. Die beiden Haltekanten sind 45 Meter lang und lie gen einander exakt gegenüber. Das breite Natursteinband der Kante ist das Gegenstück zum schmalen Rückgrat aus Beton. Auf der Fläche dazwischen liegt Asphalt.

Die Haltestellen erfüllen alle Kriterien des Behinder tengleichstellungsgesetzes. Mit Übergängen an beiden Enden sind sie auch Querungspunkte für den Langsam verkehr. Einzelne Stationen sind mit Veloständern ausge stattet, sodass sie auch zu Umsteigeknoten werden.

Mehr als ein notwendiges Übel Masten, Fahrleitungen, Abspannungen, Ampeln und Beleuchtungskandelaber gehören vielleicht zu den meist unterschätzten und daher oft vernachlässigten Objek ten im Stadtraum. Sie sind Dienstleister, die dafür sorgen, dass die Trams mit Strom versorgt sind, dass der Verkehr geregelt ist und dass es auch nachts hell ist. Man mag die se Elemente als notwendiges Übel betrachten – das heisst jedoch nicht, dass ihre Erscheinung uns nicht kümmern soll. In Innenstädten lassen sich Fahrleitungen und Be leuchtung kaum wahrnehmbar an zwischen den Häusern gespannten Drähten aufhängen. Weil das Trassee der Lim mattalbahn auch durch wenig dicht bebaute Gebiete führt, braucht es dafür Masten.

10 : 8 Architekten entwarfen einen schlichten, sich nach oben verjüngenden Mast mit rechteckigem Quer schnitt, der entlang der ganzen Strecke eingesetzt wird. Im Abstand von 25 bis 28 Metern stehen die Masten je weils paarweise an der Bahnlinie und übernehmen ver

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Die Bahn als Stadtmacherin
Dietikon: Zwischen dem Trassee der Limmattalbahn und ihrem neuen Depot liegt ein Sonnenblumenfeld. →

schiedene Aufgaben: Sie tragen die Aufhängung und die Abspannung der Fahrleitung, an ihnen ist die Strassenund allenfalls die Trottoirbeleuchtung befestigt, und sie sind auch die Träger der Ampeln. Um zu funktionieren, ha ben die Masten ein reiches Innenleben, in dem sämtliche Kabel versorgt sind.

Perfektes Schalungsbild

Eine Spezialität von 10 : 8 Architekten ist das Scha lungsbild des Betons. Bereits beim Umbau des Bahnhofs Oerlikon hatten sie grossen Wert auf die präzise geplante Lage der Schaltafeln gelegt. Auch in der Bahnhofsunter führung in Winterthur zeigt der Beton das für 10 : 8 typi sche Bild der gegeneinander versetzten Schaltafeln. Für die Kunstbauten entlang der Strecke der Limmattalbahn haben die Architekten Gestaltungsrichtlinien entwickelt, die die Qualität, das Schalungsbild, die Bindelöcher, die Eckausbildungen, die Oberflächenbehandlung und weite re Parameter definieren.

Der sorgfältige Umgang mit dem Beton zeigt sich etwa an den Portalen des Färberhüslitunnels, an den Bauwerken beim Bunkerknoten und an der Abzweigung zum Bahnhof Killwangen-Spreitenbach. Viertelkreise geben den Brüs tungen ihre charakteristische Form, und die Schaltafeln sind – selbstverständlich – gegeneinander versetzt. Ein De tail ? Gewiss, aber eines mit Wirkung. Denn das versetzte Schalungsbild verstärkt die flächige Erscheinung des Be tons, es verwischt allfällige Ungenauigkeiten, und es kann flexibler auf spezielle Situationen reagieren. Der Baumeis ter mag manchmal schimpfen über diese Architektenideen. Aber wenn man bedenkt, wie lange eine Betonwand hält, lohnt sich der planerische und bauliche Aufwand allemal.

Ein zusammenhängendes Ganzes

Die Limmattalbahn fügt sich selbstbewusst in die Rei he ähnlicher Bauwerke ein. Im Vergleich zu den Tram- und Stadtbahnlinien in Frankreich ist die Gestaltung zurückhal tender, dafür aber auch langlebiger als das Design ‹ à la fran çaise ›. Dort sind zudem die Fahrzeuge meist wahre Design objekte mit ausgefallenen Schnauzen und futuristischem Interieur. In der Schweiz herrscht ein traditionelleres Ver ständnis von der Gestaltung eines Schienenfahrzeugs. Doch die Fahrgäste der Limmattalbahn werden feststellen, dass sie auf einer Strecke unterwegs sind, die als zusam menhängendes Ganzes, von A bis Z, vom Aargau bis Zürich, gestaltet ist. Die Kantonsgrenzen verwischen. Einzig der Agglowanderer kann ablesen, ob er im Kanton Zürich oder im Kanton Aargau spazieren geht: Die Zürcher Fussgänger ampeln sind mit Rot, Orange und Grün dreiteilig, die Aar gauer Ampeln beschränken sich auf Rot und gegebenen falls blinkendes Grün. Föderalismus der subtilen Art. ●

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Die Bahn als Stadtmacherin Dietikon: Die Rückseite des Depots schmiegt sich an den Rangierbahnhof Limmattal. →

Werkstatt und Nachtlager

Die Fahrzeuge der Limmattalbahn werden in einem neuen Depot abgestellt, gereinigt und unterhalten. Nahtlos fügt sich die Anlage in das Gestaltungskonzept der Stadtbahn ein.

Wer mit der Limmattalbahn unterwegs ist, interessiert sich in erster Linie für die Standorte der Haltestellen, den Fahrplan und den Komfort der Fahrzeuge. Die Anlagen für den Unterhalt und die Reinigung der Fahrzeuge oder die Abstellanlagen für die nächtliche Betriebspause sind in der Regel kein Thema. Kaum ein Fahrgast nimmt denn auch die neu erstellte Depotanlage wahr, die zwischen Die tikon und Spreitenbach an der Kantonsgrenze steht, gut 500 Meter vom Trassee der Limmattalbahn entfernt.

Was die Reisenden ebenfalls nicht wissen: wie schwie rig die Evaluation dieses Standorts war. Denn eine sol che Anlage muss viele Anforderungen erfüllen. Idealer weise liegt ein Bahndepot nahe an der Strecke, damit die Fahrzeuge frühmorgens rasch an den Startpunkten und spätabends für den nächtlichen Unterhalt schnell zurück sind. Um den Bau nicht unnötig zu verteuern, braucht es ein genügend grosses, möglichst ebenes Grundstück. Er schwerend kam hinzu, dass das Limmattal bereits dicht bebaut ist und das Depot möglichst weit von lärmempfind lichen Wohngebieten entfernt zu stehen kommen sollte. Denn rangiert und gearbeitet wird vor allem in der Nacht. Auch politisch gab die Standortsuche zu reden, da zwei

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Werkstatt und Nachtlager Text: Reto Westermann Dietikon: Hinter der dunklen Fassade des Depots verbirgt sich ein heller, klar strukturierter Raum. →

Längsschnitt durch die Wartungshalle.

Erdgeschoss von Wartungshalle und Abstellanlage.

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Werkstatt und Nachtlager
Grundriss
Längsschnitt
1:500
1:250 Plangrösse: 651,9 x 284,3 mm 0 10 20 m
Dietikon: Im Depot können auch kleinere Wartungsarbeiten an den Fahrzeugen ausgeführt werden. →

Kantone und sechs Gemeinden involviert waren. Der schliesslich ausgewählte Platz ist durch seine Lage direkt neben dem SBB-Rangierbahnhof optimal. Die nächsten Wohnbauten sind weit entfernt und der nächtliche Ran gierbetrieb der SBB lauter als der Betrieb im Depot der Limmattalbahn.

Für den täglichen Unterhalt Entworfen haben das Gebäude 10 : 8 Architekten, die auch die Gestaltung der gesamten Stadtbahnanlage ver antworten. Sie entwickelten die Form des Bauwerks aus seiner Funktion heraus. Es besteht aus einem Baukörper mit modulierender Volumetrie. Direkt neben den Gleisen des SBB-Rangierbahnhofs liegt die siebengleisige, gröss tenteils überdachte und an den Enden offene Abstellan lage. Aktuell bietet sie Platz für 14 Fahrzeuge mit einer Länge von je 45 Metern. Die Gleis e können später für zu sätzliche Fahrzeuge verlängert werden. Daneben steht das Herzstück des Depots: die 145 Meter lange, 17 Meter breite und bis zu 11 Meter hohe Wartungshalle mit zwei Gleisen, einer Grube für Arbeiten an der Unterseite der Fahrzeuge, Podesten für die Wartung der Aggregate auf dem Fahrzeugdach und einer vollautomatischen Wasch anlage. Oberleitungen wie in Tramdepots sonst üblich hat es in der Wartungshalle der Limmattalbahn keine: Die Fahrzeuge haben eine kleine Batterie und können ohne Stromzufuhr in der Halle rangieren oder in die Waschan lage fahren. Ein Laufkran vereinfacht den Ein- und Ausbau schwerer Komponenten wie den Klimageräten auf dem Dach. Die Infrastruktur ist für den täglichen Unterhalt der Fahrzeuge, kleine Reparaturen, die innere und äussere Reinigung sowie das sichere Abstellen über Nacht ausge

legt. Stehen grössere Arbeiten an, etwa das Abdrehen der Radsätze oder die Behebung eines Schadens, fahren die Fahrzeuge via Dietikon über den Mutschellen nach Brem garten in das Depot der Aargau Verkehr AG.

Industrielle Architektur

Seitliche Fensterbänder im oberen Wandbereich der Wartungshalle sorgen für viel Tageslicht, ebenso die vier verglasten, rund vier Meter hohen Hauben auf dem Dach, die den langen Baukörper rhythmisieren. Als weitere Ge bäudeschicht schliesst ein eingeschossiger Bereich mit Werkstätten, Büros, Lagerflächen und Aufenthaltsräumen für das Personal an die Halle an. Die grossen Fenster öff nen sich hier direkt zum Grünraum.

Konstruktion und Gestaltung des Depots der Limmat talbahn orientieren sich an industriellen Bauten. Als Trag struktur dient eine teilweise mit Sichtbetonwänden aus gesteifte, innen sichtbare Stahlkonstruktion. Einheitlich breite Fenster strukturieren die mit anthrazitfarbenem Trapezblech verkleidete Fassade. Mit seiner dunklen Farbe fügt sich der Neubau ganz selbstverständlich in die Land schaft ein. Die Innenräume sind in hellem Lichtgrau gehal ten und bieten ideale Arbeitsbedingungen für die Mitarbei tenden des Depots. Die Räume sind schlicht und funktional. Eine Solaranlage auf dem extensiv begrünten Dach liefert einen Grossteil des Stroms für den Betrieb des Depots. Die hauseigene Kläranlage sorgt dafür, dass das bei der Reini gung der Fahrzeuge anfallende Wasser wiederverwendet werden kann. Und die durch den Bau verloren gegangenen Fruchtfolgeflächen wurden durch die Wiederherstellung einstiger Landwirtschaftsflächen andernorts sowie die Auffüllung einer Kiesgrube kompensiert.

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Werkstatt und Nachtlager
Grenze Dietikon Spreitenbach: Vom Niderfeld her kommend überquert die Limmattalbahn beim Mutschellenknoten die Mutschellenstrasse. →

Fahrzeuge ‹ Tramlink ›

Hersteller: Stadler Rail, Valencia ( E )

Besteller: Aargau

Verkehr AG, Aarau

Fahrzeugtyp: Zweirichtungsfahrzeug

Tramlink Be 6 / 8 ‹ Rubin ›

Spurweite: 1000 mm Gewicht: 58,9 t

Die neuen Fahrzeuge

Stromsystem: 600 / 1200 V DC

Anzahl Motoren: 6

Leistung: 600 kW

Theoretische Höchstgeschwindigkeit: 80 km / h

Gefahrene Höchstgeschwindigkeit: 60 km / h

Durchschnittliche

Geschwindigkeit: 22 km / h

Sitzplätze: 84

Stehplätze: 178

Länge: 44,1 m Breite: 2,4 m Höhe: 3,61 m Anzahl Fahrzeuge: 8

Weisse Grundfarbe, ein dunkelblau abgesetztes Fenster band und eine freundliche Front: Die acht neuen Fahrzeu ge für die Limmattalbahn kommen elegant und gefällig da her. Das Design ist zurückhaltend und eigenständig und nimmt die Farben der beiden Standortkantone auf. Besit zerin der Stadtbahnwagen ist die Aargau Verkehr AG ( AVA ), die auch die Linie von Dietikon nach Bremgarten betreibt. Die Fahrzeuge der Limmattalbahn sind Teil einer Gemein schaftsbestellung mit Baselland Transport und wurden von Stadler Rail im spanischen Valencia gefertigt. Sie ge hören zur Fahrzeugfamilie ‹ Tramlink ›. Ähnliche Trams ver kehren seit 2021 zwis chen Lugano und Ponte Tresa. Basis für die Fahrzeuge der Limmattalbahn sind die ab 2016 ge lieferten Tramlinks für die Traunseetram und die Atter seebahn in Gmunden in Österreich. Deren Design stammt vom Wiener Büro Döllmann.

Die äussere Optik der Zweirichtungsfahrzeuge der Limmattalbahn wurde von Stadler Rail weiterentwickelt, weicht vom originalen Design aber nur wenig ab. Die 44,1 Meter Fahrzeuglänge verteilen sich auf sieben Wa

genkästen von 2,4 Metern Breite. Sechs der acht Ach sen sind angetrieben und sorgen für eine gute Beschleu nigung. Auf beiden Seiten sind fünf doppelflüglige und zwei einflüglige Türen angeordnet, die zusammen mit den Schiebetritten einen ebenerdigen Einstieg ermöglichen. Auch der Boden der Fahrzeuge ist stufenlos, lediglich im Bereich der Achsen gibt es sanfte Rampen. Im schlicht gestalteten Innern mit weissen Wänden, hellgrauem Bo den und dunkelblau bezogenen Sitzen finden 262 Fahr gäste Platz, 84 davon sitzend. Für den 15-Minutentakt werden jeweils sechs Fahrzeuge benötigt, die anderen beiden bilden die Reserve.

Die Tramlinks der Limmattalbahn sind sowohl für den Betrieb unter 600 Volt als auch unter 1200 Volt Gleichstrom ausgelegt. Das ist nötig, weil der Streckenab schnitt zwischen Altstetten und Schlieren-Geissweid mit 600 Volt elektrifiziert ist, der Spannung der dort eben falls verkehrenden Trams der Verkehrsbetriebe Zürich ( VBZ ). Die restliche Strecke wird analog zur Bahnstrecke Dietikon Bremgarten mit 1200 Volt betrieben. So können die neuen Fahrzeuge auch in die Werkstatt der AVA nach Bremgarten fahren. ●

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Werkstatt und Nachtlager Spreitenbach: Inspektion eines Fahrzeugs der Limmattalbahn an der Haltestelle Kreuzäcker. →

Politik und Organisation

Zwei Kantone, sechs Gemeinden, Hunderte Grundstückbesitzer, Investitionen von 755 Millionen Franken. Wie die Limmattalbahn erfolgreich aufgegleist und realisiert wurde.

Der zunehmende Verkehr im Limmattal führte um die Jahrtausendwende zu ersten Gedanken, eine Stadtbahn zu bauen. Treiber waren die Plattform Zürich-Aargau – ein Gremium, in dem sich die Regierungen der beiden Kanto ne über gemeinsame Themen austauschen – und die Zür cher Planungsgruppe Limmattal ( ZPL ), in der die Zürcher Talgemeinden ihre Planungsthemen koordinieren. 2003 er stellten die Kantone Zürich und Aargau eine Machbarkeits studie, die verschiedene Linienführungen prüfte. Damit

aus der Idee innert gut 20 Jahren Realität werden konn te, brauchte es neben Unterstützern auch politischen Wil len, Durchhaltevermögen, den frühzeitigen Einbezug aller Stakeholder, eine schlanke Projektorganisation und eine kluge Aufteilung der Arbeiten in der Umsetzungsphase.

Die Unterstützer

Mit den Resultaten der Machbarkeitsstudie lagen die Karten auf dem Tisch. Was noch fehlte, war eine Empfeh lung der ZPL an den Regierungsrat. Vor allem der dama lige ZPL-Präsident Willy Haderer engagierte sich stark dafür. Der langjährige Gemeindepräsident von Unterengs tringen und SVP-Kantonsrat machte seinen Kolleginnen

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Politik und Organisation Text: Reto Westermann Spreitenbach: Die Limmattalbahn hält an der Station Kreuzäcker, die die gleichnamige Überbauung erschliesst. →

und Kollegen klar, dass es ein klares Votum braucht. 2007 unterzeichneten 19 Städte und Gemeinden des Limmat tals einen ‹ Letter of Intent ›, eine Absichts erklärung, zu handen des Zürcher Regierungsrats. Haderer gilt deshalb als einer der beiden Väter der Limmattalbahn. Der ande re ist Franz Kagerbauer, bis 2020 Direktor des Zürcher Verkehrsverbunds. Er erkannte schon früh, dass die Ver kehrsprobleme im Limmattal nur mit einem neuen leis tungsfähigen Verkehrsmittel bewältigt werden können, und weibelte unermüdlich für die Idee einer Stadtbahn.

Der politische Wille

Der ‹ Letter of Intent › war eine klare Forderung der Ge meinden an die Regierungen in Zürich und Aarau. Beide Kantone trieben das Projekt voran und schlossen 2008 eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit. Zu den poli tischen Meilensteinen zählte die Zustimmung der Kan tonsräte zum Eintrag in die kantonalen Richtpläne und die Aufnahme des Vorhabens in das Agglomerationspro gramm des Bundes siehe Seite 9.

Die Aktiengesellschaft erhielt von den Kantonen jeweils phasenweise einen Leistungsauftrag und trieb die Arbei ten voran. « Das erste wichtige Ziel war die Erstellung eines realisierbaren Projekts samt Kostenvoranschlag », so Iss ler. Das dauerte bis 2014. Danach stimmten die Regie rungen beider Kantone sowohl dem Projekt als auch dem Kredit zu und überwiesen das Geschäft an die Räte, die Projekt und Kredit 2015 bewilligten. Bereits zwei Jahre zu vor war mit der Erteilung der Konzession durch den Bun desrat das politische Okay aus Bern eingetroffen.

Das Durchhaltevermögen

Im Kanton Zürich wurde gegen den Beschluss das Re ferendum ergriffen. Nachdem die Zürcher Stimmberech tigten das Vorhaben im November 2015 mit 64,5 Prozent Ja-Stimmen bewilligt hatten, konnten 2017 die Arbeiten an der ersten Etappe wie geplant beginnen. Die Ablehnung des Projekts im Bezirk Dietikon motivierte die Gegner der Limmattalbahn zur Volksinitiative ‹ Stoppt die Limmattal bahn – ab S chlieren ›. Mit nur einer Gegenstimme lehnte der Kantonsrat die Initiative ab, und auch das Verdikt des Zürcher Stimmvolks war klar: Mit 83 Prozent Nein schick te es das Anliegen 2018 bachab – s elbst der Bezirk Dieti kon stand nun mit fast 64 Pr ozent Nein hinter der Bahn. Damit war sie politisch endgültig legitimiert.

Der Einbezug der Stakeholder

Mit einem Sitz im Lenkungsausschuss und durch Be gleitgruppen für spezifische Fragestellungen wurden die Stakeholder ab 2010 aktiv in die Projektierung einbezogen. Früh stand man auch mit Organisationen wie Pro Velo, dem Verein Fussverkehr Schweiz, der Behindertenkonferenz

Ein weiterer wichtiger politischer Schritt war 2010 die Gründung der Limmattalbahn AG als gemeinsame Aktien gesellschaft der beiden Kantone. Die Aufgabe der AG war es, die Infrastruktur zu planen und zu realisieren. « Eine über geordnete Organisation für Grossprojekte hatte sich etwa beim Tunnelbau am Lötschberg oder am Gotthard bewährt », sagt Daniel Issler. Der Bauingenieur hatte nach der Grün dung der AG deren Geschäftsführung übernommen. Der Vorteil einer externen Aktiengesellschaft: Alle Mitarbei tenden sind ausschliesslich für das Projekt tätig und haben nicht noch andere Aufgaben zu bewältigen, wie das der Fall wäre, wenn ein kantonales Departement die Führung hätte. →

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Politik und Organisation Spreitenbach: Bei der Haltestelle Ikea setzen das Gelb und das Blau im Hintergrund der Wartehalle einen schwedischen Akzent. →

oder dem Verkehrsclub der Schweiz im Austausch. « Uns war es wichtig, alle Stakeholder mit an Bord zu haben, um späteren Einsprachen vorzubeugen », s o Daniel Issler. Mit den Gemeinden wurden beispielsweise Details der Linien führung oder der Gestaltung des Strassenraums disku tiert. Im Rahmen der Begleitgruppen konnten die Stake holder auch eigene Projekte einbringen, die parallel zum Bau der Stadtbahn realisiert wurden. So liess etwa der Fernwärmeverbund Limeco zahlreiche neue Leitungen verlegen. Andernorts wurden Strassen angepasst oder es entstanden neue Grünanlagen.

Zu den wichtigen Stakeholdern gehörten auch die rund 400 vom Projekt betroffenen Grundeigentümer. « Wir haben uns mit jedem von ihnen frühzeitig vor Ort getrof fen, das Vorhaben vorgestellt und nach Lösungen gesucht, die seine Interessen möglichst wenig tangieren », erzählt Issler. Dank diesem Vorgehen hielt sich die Zahl der Ein sprachen in Grenzen. Insgesamt mussten für das Projekt 550 Landstücke erworben werden. Die grosse Zahl hängt damit zusammen, dass nicht nur ein Trassee für die Stadt bahn angelegt, sondern der gesamte Strassenraum neu or ganisiert und gestaltet wurde.

Die Projektorganisation

Schlank und agil – so lässt sich die Projektorganisation der Limmattalbahn kurz umschreiben. Die Aktiengesell schaft kam trotz des grossen Bauvolumens mit lediglich drei bis vier Mitarbeitenden aus. Diverse Aufgaben wur den an Dritte delegiert. Dazu gehörten externe Stabsstel len in den Bereichen Bauherrenunterstützung, Recht und Kommunikation sowie Planungsbüros mit Querschnitts mandaten für die Gestaltung des Bahnkorridors siehe Sei

te 20, die damit verbundenen Umweltfragen sowie die Er hebung der Raumdaten. Für die Umsetzung des Projekts wurde je ein Mandat für die Leitung der Bereiche Tiefbau und Bahntechnik vergeben. « Durch diese Form der Orga nisation hatten wir in jeder Phase die richtigen Personen zur Verfügung, ohne den eigenen Apparat unnötig aufzu blasen », sagt G esamtprojektleiter Daniel Issler.

Die Arbeitsaufteilung

Die Planungs- und Bauarbeiten umfassten eine Bau stelle von gut 13 Kilometern Länge. Dazu gehörten auch grössere Bauwerke wie der Färberhüslitunnel und neue Unterführungen für den Strassenverkehr siehe Seite 18. In der ersten Bauphase standen die Planung und Umsetzung von Tiefbau- und Strassenarbeiten an: das Umlegen und Neuverlegen von Leitungen, die Vorbereitung des Unter grunds für das Trassee und der Rohbau der Haltestellen. Diese Arbeiten wurden in sieben Lose unterteilt, wodurch die Aufträge überschaubar blieben.

Der eigentliche Bau der Limmattalbahn folgte in einem zweiten Schritt. Da dafür nur wenige spezialisierte Firmen infrage kamen, wurden die Planung und die Um setzung einzelner Gewerke und der Gesamtstrecke an insgesamt vier Totalunternehmen vergeben. Diese Man date umfassten den Gleisoberbau, den Bau der Haltestel leninfrastruktur, die Erstellung der gesamten Bahnstrom versorgung sowie die Montage der Fahrleitung. In zwei weiteren speziellen Losen wurden Planung und Erstellung von Lichtsignalanlagen und Verkehrssteuerung sowie die Planung und Umsetzung des Depots siehe Seite 24 vergeben. Für dieses erhielten mehrere Einzelunternehmer die Auf träge für die Bauarbeiten. ●

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Politik und Organisation
Spreitenbach: Zurzeit wächst über dem Bahntrassee der Tivoli Garten empor. →

Limmattalbahn

Zahlen und Fakten

Streckenlänge: 13,4 km

Haltestellen: 27 Eigentrassee: 92 %

Durchschnittlicher Haltestellenabstand: 515 m Bahnsystem: Meterspur ( analog Tram ) Kosten: Fr. 755 Mio

Finanzierung: Kantone Zürich und Aargau, Bund Bauherrschaft: Limmattalbahn AG

Stabsstellen

Bauherrenunterstützung: TBF + Partner

Recht: Brüngger Mattenberger ; Scherler + Siegenthaler Kommunikation: C-Matrix ; Tatin Design Enterprises

Querschnittsmandate

Gestaltung: 10 : 8 Architek ten ; Stadt Raum Verkehr ; Andreas Geser Land schaftsarchitekten

Raumdaten: Acht Grad Ost Umwelt: SC + P Sieber Cassina + Partner ; Grolimund + Partner

Planer Tiefbau

Projektleitung ( Oberbauleitung ): Jauslin Stebler

Los 1 ( Altstetten ): Basler & Hofmann ; Gruner Wepf ; SNZ

Los 2 ( Schlieren ): Heierli ; B + S ; WKP ; Preisig

Los 3 ( Zentrum Schlieren ): Basler & Hofmann ; Gruner Wepf ; SNZ

Los 4 ( Schlieren / Urdorf ): Gruner Wepf

Los 5 ( Dietikon Ost ): Basler & Hofmann

Los 6 ( Dietikon West ): dsp ; EBP ; Rapp Infra

Los 7 ( Spreitenbach / Kill wangen ): Gähler und Partner ; SNZ ; ACS Partner

Planer Bahntechnik

Projektleitung ( Oberbauleitung ): Emch + Berger ; Ingenta ; Enotrac ; Signon Verkehr / Kreuzung Schiene Strasse: EBP ; Rudolf Keller & Partner ; Tribus

Planer Depot

Generalplaner: Gähler und Partner ; SNZ ; 10 : 8 Architekten

Unternehmer Tiefbau

Los 1 ( Altstetten ): Implenia

Los 2 ( Schlieren ):

Walo Bertschinger ; Keller-Frei ; Kibag

Los 3 ( Zentrum Schlieren ): Walo Bertschinger ; Keller-Frei ; Kibag

Los 4 ( Schlieren / Urdorf ): Specogna ; Jak. Scheifele ; Kibag ; Meier + Jäggi

Los 5 ( Dietikon Ost ): Specogna ; Jak. Scheifele ; Kibag ; Meier + Jäggi

Los 6 ( Dietikon West ): Strabag ; Cellere

Los 7 ( Spreitenbach / Killwangen ): Aarvia ; H. Graf ; Hubschmid Erdbau ; Rothpletz, Lienhard + Cie Baumlieferung und Pflanz arbeiten: Graf Gartenbau Rodungen: Baum und Garten ; Fällag Verkehrsdienst: Kroo Security Installation öffentliche Beleuchtung: Letech; Kummler + Matter Fertigbetonelemente: Element AG Schweiz

Unternehmer Bahntechnik

TU Gleisoberbau: Walo Bertschinger ; Carlo Vanoli

TU Haltestelleninfrastruktur: Burri Public Elements

TU Fahrleitung: Furrer + Frey TU Energieversorgung: Arnold

Perronüberdachungen Dietikon: Wüst ; mmcité Seilleuchten: Burri Public Elements

Definitive Markierungen: Karl Morf ; Trauffer Lichtsignalanlagen: Bergauer ; VR ; Yunex

Signalisation: Signal ; Robert Wild

Unternehmer Depot

Baumeister Hoch und Tiefbau: Anliker ; Richi Stahlbau / Gebäude hülle: H. Wetter ; Surber

Elektroanlagen: Jaisli-Xamax Heizungsanlagen: Engie Services Lüftungs und Sanitär anlagen: Bouygues ; E & S Intec

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone Politik und Organisation Spreitenbach: Die Haltestelle Shoppi Tivoli liegt unter der Überbauung Tivoli Garten und atmet etwas U-Bahn-Geist. →

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Jede Disziplin hat ihr e eigenen Verantwortlichkeiten »

Drei führende Beteiligte am Grossprojekt Limmattalbahn sprechen über Schlüsselmomente, gegenseitigen Respekt und die grössten Herausforderungen.

Interview: Werner Huber

Die Limmattalbahn ist ein Projekt, an dem zwei Kantone beteiligt sind. Was ist daran speziell ?

Daniel Issler: Wir haben die Limmattalbahn als 13 Kilome ter langes Gesamtprojekt behandelt. In den Sitzungen mit den Vertretern der sechs beteiligten Städte und Gemein den haben wir nicht zwischen Aargauern und Zürchern unterschieden. Politisch und bei der Finanzierung muss ten die beiden Kantone an einem Strang ziehen.

Jürg Senn: Bei der Gestaltung hat uns die Kantonsgren ze nicht interessiert. Wir hatten den Auftrag, eine Linie über die ganze Strecke zu bauen. Die dadurch entstehen de Identität war ein wichtiger Aspekt. Die Gemeinden wur den plötzlich Teil eines grossen Ganzen.

Welches waren die Schlüsselmomente im Planungsprozess ?

Jürg Senn: Die gemeinsame Bestimmung der Lage des Fär berhüslitunnels vor Ort war ein sehr spezieller Moment. Und wie unsere Haltestellen nach Inbetriebnahme der ersten Etappe von den Menschen angenommen wurden, war ebenfalls sehr schön.

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone « Jede Disziplin hat ihre eigenen Verantwortlichkeiten Spreitenbach: Standardquerschnitt der Stadtbahn mit Grüntrassee und beidseitiger Baumreihe. →

Daniel Issler: Als die Finanzierung gesichert war, fiel allen Beteiligten ein Stein vom Herzen – auch mir. Das war ein Schlüsselmoment. Die zweite Hürde war die Genehmigung. Wir hatten 237 Einsprachen. Mit 80 Prozent konnten wir uns einigen. Am Ende waren es noch vier Beschwerden. Zum Glück konnten wir auch da Einigungen erzielen.

Stefan Oswald: Für mich war der Schlüsselmoment die Plan genehmigung kurz vor Baubeginn im August 2017. Da wa ren wir schon langsam etwas nervös geworden. Wie haben Sie alle Interessen unter einen Hut gebracht ?

Daniel Issler: Wir haben am Anfang überlegt, welche Stake holder wir einbeziehen. Mit diesen haben wir in periodi schen Begleitgruppensitzungen den Planungsstand offen diskutiert. Dadurch konnten wir sicherstellen, dass mög lichst viele Interessen berücksichtigt werden. Zudem ha ben wir stets alle Pläne online öffentlich gemacht.

Jürg Senn: Dass die Projektorganisation so schlank war, hat die Sache sehr vereinfacht. Die Entscheide fielen schnell und trotzdem fundiert.

Dietikon hat das Projekt an der Urne zunächst abgelehnt. Hat das Ihre Arbeit beeinflusst ?

Daniel Issler: Wir fanden das sehr bedauerlich. Aber bei de Kantonsregierungen standen voll hinter dem Projekt, das war schön. Auch in den beiden Kantonsparlamenten waren praktisch alle dafür. Deshalb gingen wir davon aus, dass es im Kanton eine deutliche Zustimmung geben wür de, was sich in der ersten Abstimmung mit fast zwei Drit tel Ja-Stimmen bewahrheitet hat. In der zweiten Abstim mung war die Zustimmung mit fast 83 Prozent sogar noch deutlicher. Auch die ganze Region sagte Ja.

Daniel Issler: Aus bahnbetrieblicher Sicht war es wichtig, über einen möglichst grossen Anteil Eigentrassee zu ver fügen. Das ist uns gelungen. Auch die fahrplanmässigen Anschlüsse in Dietikon und Killwangen-Spreitenbach sind für den Nutzen der Limmattalbahn entscheidend. Jürg Senn: Die einheitliche Ge staltung ist zentral. Wir ha ben auch die Oberflächenpläne der Ingenieure begutach tet. Damit konnten wir viel erreichen. Bei einem Projekt dieser Grösse lässt sich nicht alles bis ins Detail kontrol lieren, aber doch recht viel. Wichtig war uns auch der Ein bezug der angrenzenden Stadträume. Die Projektleitung zeigte sich immer sehr offen dafür, und auch die Gemein den haben grösstenteils gut mitgezogen. Gibt es Dinge, die Sie heute anders machen würden ?

Jürg Senn: Im Lauf der langen Planungs- und Bauzeit haben sich viele Voraussetzungen geändert. Insbesondere bei Umweltthemen sind wir heute an einem anderen Punkt als zu Projektbeginn. Vielleicht hätte man den einen oder an deren Baum mehr pflanzen können, oder es gibt versiegel te Flächen, die man mehr hätte öffnen können.

Stefan Oswald: Ich finde es s chade, dass es zwischen Bahn hof Altstetten und Hermetschloo kein Grüntrassee gibt.

Daniel Issler: Das haben wir mit dem Zürcher Verkehrsver bund ( ZVV ) und den Verkehrsbetrieben der Stadt Zürich ( VBZ ) diskutiert. Die Buslinie 31 sollte auch vom Eigentras see profitieren können, also musste es Asphalt sein. Viel leicht würde man das heute anders sehen. Damals wurde die Priorität auf den stabilen Busfahrplan gelegt.

Welches waren die baulichen Herausforderungen ?

Stefan Oswald: Aus Ingenieursicht war die Herweg-Brücke über die Autobahn in Urdorf eine sehr grosse Heraus forderung. Wir mussten die bestehende Brücke bei

Welche Aspekte waren Ihnen im Projekt besonders wichtig ? →

hat ihre eigenen

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone « Jede Disziplin Verantwortlichkeiten Killwangen: Bei der Überwerfung Zürcherstrasse unterfahren die Limmattalbahn und die Bahnhofstrasse die Zürcherstrasse. →

laufendem Autobahnbetrieb verbreitern. Auch die Per sonenunterführung unter den SBB-Gleisen in Dietikon war anspruchsvoll. Die Unterführung Bunkerknoten muss ten wir im Grundwasser bauen, mit Spundwänden und einem Bach, der dort hindurchführt. Knifflig war auch das grosse Rampenbauwerk in Killwangen. Die wohl grösste Herausforderung aber waren die Werkleitungsbauten auf der ganzen Strecke. Alles Alte musste in Betrieb bleiben, bis wir das Neue anschliessen konnten. Stellenweise wa ren Provisorien nötig. Und ganz neu dazu kam das Fern wärmenetz der Limeco.

Jürg Senn: Ich habe grossen Respekt vor den Leistungen der Ingenieure. Legt man unsere Pläne neben ihre Werklei tungspläne, ist das bezüglich Komplexität kein Vergleich. Doch jede Disziplin hat ihre eigenen Verantwortlichkeiten.

Stefan Oswald: Bei der Umsetzung waren die Intensivbau stellen anspruchsvoll, insbesondere am Farbhof. Wir wuss ten, wann das letzte Tram fährt und wann das erste wieder kommt. Das war ein Stundenprogramm. Die anderen In tensivbaustellen in Schlieren und Dietikon waren aus mei ner Sicht nicht ganz so heftig.

Konnten Sie aus den Erfahrungen der ersten Bauetappe

Lehren für die zweite Etappe ziehen ?

Daniel Issler: Ja, bereits bei der Organisation. Es war ideal, dass wir eine kleinere erste Etappe hatten, in der wir alle Schnittstellen testen konnten. Bei der dreimal grösseren zweiten Etappe profitierten wir davon, weil wir in den meis ten Fällen mit denselben Firmen zusammenarbeiteten.

Stefan Oswald: Ich war froh, dass wir das so planen konnten. Die Schnittstellen sind ja oft eine grosse Herausforderung. Es war gut, dass wir die in der ersten Etappe einmal durch

spielen konnten. Auch bei Details konnten wir in der zwei ten Etappe auf die Erfahrungen der ersten Etappe zurück greifen, selbst wenn andere Partner beteiligt waren. Die Glattalbahn stand wiederholt wegen Unfällen in den Schlagzeilen.

Wie haben diese Erfahrungen die Limmattalbahn beeinflusst ?

Daniel Issler: Wir hatten Workshops mit der Kantonspolizei Zürich und Vertretern der Glattalbahn zum Thema Sicher heit. Dabei zeigte sich, dass viele Konflikte zwischen der Stadtbahn und Velofahrerinnen oder Fussgängern bei der Trasseeführung in Seitenlage entstehen. Die Limmattal bahn fährt zu rund 80 Prozent in Mittellage. Bei den rest lichen 20 Prozent, wo das Trassee in Seitenlage verläuft, haben wir Barrieren montiert.

Jürg Senn: Die Wahl der Mittellage hat mit dem Raum zu tun, in dem gebaut wird. Das ist ein städtebauliches Thema. Die Situation im Limmattal ist anders als im Glattal. Abschnittsweise teilt die Limmattalbahn das Trassee mit Trams der VBZ und Zügen der AVA. Wie hat sich das auf das Projekt ausgewirkt ?

Daniel Issler: Die VBZ und die AVA haben unterschiedliche Spannungen. Wir haben schnell festgestellt, dass es am einfachsten ist, wenn wir die beiden Stromsysteme belas sen und die neuen Fahrzeuge der Limmattalbahn mit bei den Spannungen einsetzen.

Jürg Senn: Bei der Gestaltung gab es anfänglich Diskussio nen, weil die Stadt Zürich und die VBZ ihre eigenen Stan dardelemente haben. Schliesslich fand die Stadt, dass es sinnvoll ist, die Limmattalbahn als Gesamtkonzept durch zuziehen. Das führte dazu, dass die AVA unsere Masten

ihre eigenen

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone « Jede Disziplin hat Verantwortlichkeiten »
Killwangen: Die Überwerfung Zürcherstrasse zeigt die typischen Gestaltungsmerkmale des Konzepts von 10 : 8 Architekten. →

auch auf ihrem Trassee in Dietikon einsetzte. Auf dem gleis losen Abschnitt zwischen Reitmen und Glanzenberg über nahm der Kanton Zürich unsere Gestaltungsprinzipien. Auch über den Standort des Depots wurde intensiv diskutiert. Was waren die Alternativen ?

Daniel Issler: Aufgrund seiner Grösse war schnell klar, dass das Depot nur im Grenzgebiet zwischen Spreitenbach und Dietikon Platz hat. Ursprünglich sollte das Depot auf dem Standort Asp gebaut werden. Doch das Gebiet Asp ist eine ehemalige Deponie von Dietikon und liegt auf Spreitenba cher Boden, eine ganz unglückliche Konstellation. Nach dem Territorialprinzip hätte nämlich der Kanton Aargau für die Sanierung aufkommen müssen. Dafür standen Kos ten von 50 Millionen Franken im Raum. So ist dieser Stand ort letztlich an der Finanzierung gescheitert. Die zweite Option war der Standort Müsli, wo das Depot heute steht. Jürg Senn: Man hätte auch anders argumentieren können: Wann behebt man das Altlastenproblem, wenn nicht mit einem solchen Projekt ? Ich finde die jetzige Lage des D e pots räumlich durchaus verträglich. Aber es schmerzt na türlich, dass wir dafür Kulturland hergeben mussten.

Daniel Issler: Als Ausgleich haben wir diese Fläche in Masch wanden auf dem Areal einer ehemaligen Kiesgrube kom pensiert. Es ist beeindruckend, was wir mit dem dortigen Bauern realisieren konnten. ●

Daniel Issler

Der Bauingenieur ist seit Beginn der Pro jektierung 2010 dabei. Zusammen mit einem dreiköpfigen Team war er zuständig für die Gesamtprojektleitung der Limmattalbahn, unterstützt von rund 300 am Projekt beteiligten Firmen. Zudem ist er Geschäftsführer der gleichnamigen Ak tiengesellschaft, die den Bau geplant und realisiert hat.

Stefan Oswald

Der Bauingenieur war zuständig für die Oberbauleitung Tiefbau der gesamten Strecke der Limmattalbahn. Er ist Mitglied der Geschäftsleitung beim Ingenieur und Beratungsunter nehmen Jauslin Ste bler mit Sitz in Muttenz und Leiter Ver kehrsinfrastruktur Ost am Standort Zürich.

Jürg Senn

Der Architekt und Raumplaner ist Teilhaber von 10 : 8 Architekten in Zürich. Gemeinsam mit seinem Team leitete er das Querschnittsmandat Gestaltung über alle Projektphasen. Es umfasste sämtliche Gestaltungselemente, Kunstbau ten, die Strassenraumgestaltung sowie das Depot. Unterstützt wurde das Team vom Büro Stadt Raum Verkehr und von Andreas Geser Landschaftsarchitekten.

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Themenheft von Hochparterre, Dezember 2022 Stadtbahn für zwei Kantone « Jede Disziplin hat ihre eigenen Verantwortlichkeiten
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Killwangen: Vor dem Bahnhof Killwangen Spreitenbach – einem Werk von Max Vogt – markieren zwei Prellböcke den vorläufigen Endpunkt der Strecke. ıı

Stadtbahn für zwei Kantone

Gut 20 Jahre dauerte der Planungs- und Bau prozess der Limmattalbahn, die zwischen Zürich-Altstetten und dem Bahnhof KillwangenSpreitenbach im Kanton Aargau fährt. Dieses Heft beleuchtet die Bedeutung des neuen Ver kehrsmittels im öffentlichen Raum, lenkt den Blick auf die gestalterischen Überlegungen und thematisiert die Herausforderungen, die dieses umfangreiche Projekt an Planer und Aus führende stellte. In einer ausführlichen Foto stre cke mit eindrücklichen Aufnahmen hat Damaris Betancourt das Trassee der Stadtbahn festgehalten. www.limmattalbahn.ch

8 Architekten Aarvia Bau AG Burri Public Elements AG Cellere Bau AG Furrer + Frey
H. Graf
Hubschmid
Implenia
Jak.
Kibag
Meier
Rothpletz,
Strabag
10 :
AG
AG
Erdbau AG
Schweiz AG
Scheifele AG
Bauleistungen AG
+ Jäggi AG
Lienhard + Cie AG Specogna Bau AG
AG Walo Bertschinger AG
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