Themenheft von Hochparterre, Juni 2023
Befragung eines Materials
Seit 120 Jahren stellt Swisspearl Faserzement her. Nun erforscht die Firma Möglichkeiten, die Herstellung und den Einsatz des populären Baumaterials klimaverträglicher zu machen.
Ein Baumaterial, das in vielen Farben und Formaten daherkommt: Faserzement.4 Herausforderung Zement
Eine klimakompatible Alternative zum Baustoff Zement ist gefragt.
8 Ein Werkdorf im Dorf
Das Firmenareal in Niederurnen erzählt eine 120-jährige Geschichte.
1 2 Alte Bekannte und neue Entdeckungen
Wie Faserzement in Berlin, Paris und Zürich Häuser neu bekleidet.
Die Bilder in diesem Heft Über die Jahrzehnte ist auf dem Stammareal der Firma Swisspearl in Niederurnen eine Faserzement-Werksausstellung herangewachsen – ohne dass sie jemand kuratiert hätte. An den Fassaden der Produktions- und Lagerhallen treffen Generationen von Formaten und Farben zufällig und ästhetisch bestechend aufeinander. Diesen ausdrucksstarken All tagshintergrund hat der Fotograf Lorenz Cugini bei seinem Besuch auf dem Areal sofort erkannt und ihn zur Kulisse für die Bilder in diesem Themenheft gemacht.
Editorial
Die Zukunft des Faserzements
Eternit heisst seit April 2023 Swisspearl. Nicht nur sich selbst hat die Firma auf diese Weise umgetauft, sondern auch ihr Produkt, den Faserzement. Und dies, obwohl der frühere Name ‹ Eternit › zumindest umgangssprachlich längst als Gattungsbegriff durchging. Eine solche Umtaufe ist also keine Bagatelle, aber es gibt Gründe dafür. Lesen Sie mehr darüber auf Seite 10.
Seit 1903 produziert die Glarner Firma das formbare, robuste und vergleichsweise günstige Baumaterial. Doch künftig will sie dabei anders vorgehen. Denn Faserzement trägt das Klimaproblem im Namen. Im ersten Beitrag berichtet Armin Scharf deshalb aus den Swisspearl-Laboren. Ergänzend dazu schildert Mirjam Kupferschmid ab Seite 12, woran es liegt, dass sie an den Bauten junger Architekturbüros im In- und Ausland wieder Faserzement-Fassaden entdeckt. Und weil neben dem Namen und dem Produkt auch der Standort die Identität einer Firma prägt, fasse ich ab Seite 8 zusammen, warum Swisspearl, obschon nach einem Zukauf aufs Doppelte gewachsen, an ihrem erstaunlichen Stammareal im glarnerischen Niederurnen festhält. Rahel Marti
Impressum Verlag Hochparterre AG Adressen Ausstellungsstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41 44 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag @ hochparterre.ch, redaktion @ hochparterre.ch Geschäftsleitung Andres Herzog, Werner Huber, Agnes Schmid Verlagsleiterin Susanne von Arx Konzept und Redaktion Rahel Marti Fotografie Lorenz Cugini, www.lorenzcugini.ch Art Direction Antje Reineck Layout Barbara Schrag Produktion Nathalie Bursać Korrektorat Rieke Krüger Lithografie Team media, Gurtnellen Druck Stämpfli AG, Bern Herausgeber Hochparterre in Zusammenarbeit mit Swisspearl hochparterre.ch / faserzement Heft in Deutsch oder Französisch bestellen ( Fr 15.—, € 12.— ) und E -Paper lesen
Herausforderung Zement
Faserzement ist langlebig und vielseitig. Doch es gibt einen grossen Kritikpunkt: den Zement. Die intensive Suche nach einer zeitgemässen und damit klimakompatiblen Alternative läuft.
Im Kanton Glarus in Niederurnen wird ein nahezu perfektes Bauprodukt hergestellt: Es ist langlebig, witterungsbeständig, einfach zu verarbeiten, vielfältig in Formaten und Farben, während Jahrzehnten erprobt, sowohl für Fassaden wie Dächer geeignet und zu guter Letzt auch noch vergleichsweise wirtschaftlich. Was nach einem Wundermaterial eines innovativen Start-ups klingt, ist tatsächlich altbekannt. 1894 erfand Ludwig Hatschek im österreichischen Vöcklabruck ein Baumaterial und taufte es Eternit. Er produzierte es selbst und begann weltweit Lizenzen für Material und Marke zu vergeben, unter anderem 1903 an die damalige Schweizerische Eternit-Werke AG. Zu Beginn lediglich ein Markenname, wurde Eternit über die Jahrzehnte zum Synonym, zum Gattungsbegriff für Faserzementplatten schlechthin – und zu einem begehrten Bauprodukt, trotz des « Asb estknicks » in den 1970er-Jahren. Damals brauchte es grosse Anstrengungen in Forschung und Entwicklung, um die krebserregende Asbestfaser durch Zellulose- und Polymer-Armierungsfasern ersetzen zu können, was den Eternit-Fachleuten in der Schweiz letztlich auch gelang. Heute sehen sie sich erneut mit einem substanziellen Problem konfrontiert: Diesmal steht der klimaproblematische Zement im Fokus, der den Kern der Platten bildet. Es geht also ums Ganze.
Faserzementplatten bestehen, wie es der Name bereits sagt, primär aus Zement, das war schon immer so. Die Produktion der Platten ähnelt der Papierherstellung siehe ‹ Aus flüssig wird fest ›. Faserzementplatten, wie sie in Niederurnen produziert werden, bestehen zum einen zu rund 51 Prozent aus Zement, zum anderen aus Luft und viel Wasser, aus einigen Prozenten Zellulose- und Polymerfasern sowie allenfalls Farbe. Je nach visueller Anforderung folgt eine organische, manuell oder per Sprühroboter applizierte Deckbeschichtung. Der Faseranteil verstärkt die spröde Zementmatrix, verbessert also die Zug-, Biege- und Bruchfestigkeit der dünnen Platten. Lange war die Asbestfaser die ideale Partnerin in der Matrix, weil sie leicht, preiswert und zudem unbrennbar ist. Gelangt die Faser in die Atemwege, kann sie allerdings Asbestose auslösen, eine unheilbare und tödliche Lungenkrankheit. Anfang der 1990erJahre war die Produktpalette der damaligen Eternit AG komplett asbestfrei und das Problem zumindest bei den Neuprodukten gelöst. Heute geht es nicht mehr nur um Gesundheitsschutz, sondern um Klimaschutz.
Herausforderung Scope 3
Die Herstellung von Zementklinker ist zum einen energieintensiv, zum anderen setzt dieser durch die notwendige Reduktion von Calciumcarbonat zu Calciumoxid grosse Mengen Kohlenstoffdioxid frei. Klimatechnisch betrachtet, gehört die Produktion von Faserzementplatten – ungeachtet ihrer Langlebigkeit – also zu den Sorgenkindern in der Bauwirtschaft. Während Swisspearl an seinen Standorten Prozesse optimiert, in Photovoltaik investiert, den Energiebedarf, wo möglich, reduziert und die Rohstoffe per Bahn anliefern lässt, sind die vom Zement verursachten Scope-3-Emissionen die eigentliche Herausforderung. Umso mehr, da es für Faserzementplatten hochwertigen Zement benötigt, der besonders emissionsintensiv ist. « Es ist absehbar, dass Zementhersteller ihr Produktportfolio so schnell wie möglich CO 2-freundlicher gestalten werden und manche Zementtypen nicht mehr verfügbar sein werden », s o Carsten Zanders, Leiter der Forschung und Entwicklung bei Swisspearl Schweiz. Daher werden gemäss Zanders bis 2024 die neun Swisspearl-Werke auf CO2-ärmere Zementarten umstellen. Was sich einfach anhört, ist eine komplexe Aufgabe, da die Eigenschaften der Faserzementprodukte durch den
Aus flüssig wird fest
In Niederurnen stehen zwei grosse Maschinen, mit denen Swisspearl-Mitarb eitende – je nach Auftragsbestand auch rund um die Uhr – Faserzementplatten herstellen. Ausgangsprodukt ist eine wässrige Suspension aus Zement, Fasern und Zusatzstoffen. Durch dieses wässrige Bad läuft eine Endlos-Filzbahn. Auf der Filzbahn lagern sich die Feststoffe in dünnen Schichten ab, die eine Walze abnimmt. Ist die Soll-Stärke der Platte erreicht, werden die addierten S chichten von der Walze abgeschält, als weiche Rohplatte auf einem planen Werktisch abgelegt und grob zugeschnitten. Der so allmählich entstehende Plattenstapel geht dann in eine Presse, die den Grossteil des noch enthaltenen Wassers abtrennt. Anschliessend durchlaufen die Rohplatten eine Prüfung und gelangen in die Trocknungsanlage. Danach erhalten sie, falls gewünscht, eine Beschichtung, trocknen weiter und kommen schliesslich in die Konfektionierung, sprich werden auf die verschiedenen Formate zugeschnitten. Die Produktion der wellenförmigen Platten und der Dachprodukte erfolgt nach dem gleichen Prinzip.
Wechsel des Bindemittels auf keinen Fall leiden dürfen. Der Zement ist nicht die einzige Baustelle. « Wir arbeiten parallel an verschiedenen Nachhaltigkeits-Themen, jedes für sich ist fordernd, aber auch spannend », so Zanders. Swisspearl hat 2030 zum sogenannten Fokusjahr erklärt. Bis dahin will die Firma in Sachen Klimaeffizienz, Recyc ling, Kreislauf- und Prozessoptimierung entscheidende Schritte weitergekommen sein. Derzeit werden die Ziele auf Konzernebene neu definiert. Treiber sind dabei die nordischen Cembrit-Gesellschaften, die Swisspearl 2022 übernommen hat.
Internationale Forschung und Entwicklung
An den Standorten in der Schweiz, in Österreich, Slowenien, Tschechien und Dänemark beschäftigt Swisspearl im Bereich Forschung und Entwicklung insgesamt 53 Personen. Dieser war bislang nach Standorten strukturiert, künftig soll kompetenzorientiert in ländergemischten Teams gearbeitet werden. Das Kompetenzzentrum Matrix-Technology unter der Leitung von Carsten Zanders wird sich dann primär der Zementfrage widmen, Surface-Technology wird sich auf neue Oberflächen-Features konzentrieren, New Product Development wird ganz neue Produktkonzepte angehen. Diese drei Abteilungen zählen insgesamt 21 Beschäftigte, in den Servicelabors arbeiten 32 Personen. Letztere unterstützen sowohl die Kollegen und Kolleginnen in der Forschung als auch in der Produktion, sie prüfen und testen, zertifizieren und stehen dem Produktmanagement zur Seite. Diese Struktur soll das Innovationspotenzial besser ausschöpfen, Parallelentwicklungen vermeiden und die Übertragung von Konzepten innerhalb der Gruppe erleichtern.
So verfolgt man in Dänemark gerade ein Verfahren für die Rückführung von Baustellen-Abfällen. Wie sich das Verbundmaterial stofflich wiederverwenden lässt, zeichnet sich erst in Ansätzen ab. « Wir können Abfälle aus der Produktion aufarbeiten, zum jetzigen Stand allerdings nicht zu 100 Prozent wieder in den Kreislauf geben », sagt Carsten Zanders. « Eine Lösung wäre, unsere Abfälle aus der Herstellung oder jene unserer Kundschaft zu reaktivieren. Die Versuche in kleinem Massstab sehen nicht schlecht aus », mehr will Zanders mit Blick auf laufende Patentverfahren derzeit nicht preisgeben. « Unser Ziel ist es, grosse Mengen des Bindemittels Zement zu substituieren, idealerweise sogar komplett. » Zanders’ Team arbeitet eng mit den Rohstoff-Lieferfirmen zusammen, aber auch projektweise mit externen Forschenden. Zum Beispiel lotete eine Kooperation mit dem Karlsruher Institut für Technologie ( KIT ) in der Theorie den Einsatz von zementfreien Bindemitteln aus.
Und die Fasern? Während sich die Zellulosefaser in der Platte mit der Zeit abbaut, bleibt der Anteil der synthetischen Armierungsfaser von zwei Prozent erhalten. Böten hier biobasierte Fasern einen Ersatz? « Das ist generell eine Herausforderung, weil unsere zementäre, alkalische Matrix mit einem pH-Wert von über 9 keine beständige Umgebung für solche Fasern bildet », erläutert Zanders. « Aber wenn wir die Fasern modifizieren und die Zementmatrix verändern, könnte die Bewertung eine andere sein. Seit man vor 40 Jahren auf die asbestfreie Technologie umstellte, hat sich die technische und chemische Situation weiterentwickelt und bietet neue interessante Möglichkeiten. » Auf dem Gebiet der Oberflächenbearbeitung ist man schon weiter. Für die Polymer-Bindemittel der farbigen Beschichtungen stehen Alternativen bereit, in deren Herstellungsprozess Biomasse einfliesst, was den petrochemischen Masseanteil reduziert. Gäbe es einen Countdown bis zum Fokusjahr, dann befände man sich
aktuell in der Phase « irgendwo zwischen 9 und 4 », sagt Zanders. Noch bei 8 stehe man in Sachen CO2-Reduktion im Scope 3 – kein Wunder, denn das dürfte die komplexeste Aufgabe sein.
Wenn Faserzement auf Photovoltaik trifft
Während es bei den Faserzementprodukten darum geht, diese ökologisch zukunftsfähig zu machen, arbeitet man an anderer Stelle in der Firma an neuen, energieaktiven Systemen für Dach und Fassaden. Und das nicht erst seit Kurzem. Bereits in den 1990er-Jahren begann Swisspearl damit, sich mit Photovoltaik ( PV ) zu beschäftigen –mit dem immensen Erfahrungsschatz der bisherigen VHFund Dachsysteme. Gerade rechtzeitig zur Neuregelung der Solarstrom-Einspeisevergütung waren 2010 die ersten, eigenentwickelten Pilotanlagen installiert. Der Markt begann zu wachsen, die PV-Abteilung wurde zu einer Art Firma in der Firma. Das Entwicklungsteam rund um Rolf Hefti, Leiter der Solarsparte, erkannte damals jedoch, dass man mit den Aufdach-Modellen aus Fernost nicht konkurrieren konnte und wollte. 2014 entschied man, sich allein auf die Entwicklung gebäudeintegrierter Photovoltaik mit hochwertigen Glas-Glas-Modulen und komplexeren Systemkonstruktionen zu konzentrieren.
Seitdem ist Swisspearl mit seinen Solarsystemen in der Schweiz und Österreich präsent, unterstützt Planer und Verarbeiterinnen mit detaillierten Verlege- und Verschaltungsplänen, kümmert sich um bautechnische wie elektrische Details. Indach-Systeme ersparen die konventionelle Dacheindeckung und sind besonders interessant bei Steildächern, die neu erstellt oder saniert werden.
Und die Fassade ? Nun, damit, so Hefti, würden Architekten und Bauherren noch fremdeln. Auch Swisspearl selbst ist noch dabei, die Systeme so zu optimieren, dass man mit wenigen Standardmodulen möglichst alle individuell proportionierten Fassaden aktivieren kann. Dies würde die Wirtschaftlichkeit deutlich steigern. Spätestens da kommt die Faserzementplatte wieder ins Spiel: Sie kann immer dort vermitteln, wo Fassaden- und PV-Raster nicht ganz kompatibel sind und aufwendig zu füllende Lücken entstünden. Um diese Vermittlung möglich zu machen, soll die optische Angleichung von PV-Modulen und Faserzementplatten perfektioniert werden, vor allem hinsichtlich Farbigkeit. Allerdings weisen farbige Module tiefere Leistungen auf als Standardzellen; je nach Technologie und Verfahren entstehen Unterschiede. Aber « auch dann fliesst noch Strom, selbst während der Winterlücke ».
Faserzementplatten hier und Solartechnik da – es ist eine Symbiose zweier Entwicklungen, die grosses Potenzial haben – und unterschiedliche Geschwindigkeiten: Die Solartechnik ist von starken Innovationsschüben geprägt, während die Faserzementsparte allgemeinhin als ausentwickelt gilt. Das aber ändert sich gerade. ●
Ein Werkdorf im Dorf
Die Firma Swisspearl ist stark mit ihrem Areal in Niederurnen verwachsen. Warum hält sie an ihrem Standort fest und welche Fragen stellen sich zur Zukunft des Areals?
Firma, Ware, Standort: Im ehemaligen Namen Eternit waren diese unternehmerischen Zutaten zu einer Identität amalgamiert, die man heute im Kanton Glarus wohl keinem mehr erklären muss: Die Dörfer hier sind quasi eine Freiluft-Ausstellung des Faserzements. Das Material galt in der Nachkriegszeit als modern und vor allem als geeignet, um alte wie neue Gebäude in eine wetterfeste Pelerine zu hüllen und Schäden durch Niederschläge abzuwenden. Egal, ob Schieferplatten auf den Dächern oder Holzschindeln an den Fassaden: das zwar nicht lokale, aber lokal hergestellte Material ersetzte sie. Bald schon war es mit dem vertrauten baulichen Inventar verschmolzen, als wäre es schon immer da gewesen – und das suggeriert auch der Name, der geschickt vom lateinischen Wort ‹ aeternitas ›, auf D eutsch Ewigkeit, abgeleitet ist.
Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte der Österreicher Ludwig Hatschek den Faserzement und meldete ihn zur Jahrhundertwende zum Patent an. Eine der Lizenzen, die Hatscheck ins Ausland verkaufte, erwarb der Zürcher Unternehmer Alois Steinbrunner. Im noblen Hotel Glarnerhof in Glarus gründete dieser 1903 mit Gleichgesinnten die Schweizerische Eternit-Werke AG, die er kurze Zeit später auf dem Areal der früheren Baumwolldruckerei der Gebrüder Tschudi in Niederurnen ansiedelte.
Der Architekturszene verbunden
Während 120 Jahren ist das Areal zu einem Werkdorf mit verschiedenartigsten und teils würdig gealterten Produktions- und Lagerhallen aus allen Epochen herangewachsen. Mehrere Gebäude mit denkmalpflegerischem Wert zeugen vom Interesse, das die Firma der Architektur und den Architektinnen einst entgegenbrachte.
Die Lage der Hallen geht wesentlich auf den Herstellungsablauf zurück, er war sozusagen der Ortsplaner des Areals. Erst spät, 2000 und 2001, analysierten das Aarauer Büro Frei Architekten und das Badener Landschaftsarchitekturbüro Zulauf Seippel Schweingruber das Areal hinsichtlich der künftigen räumlichen Entwicklung und zeichneten einen Richtplan. Dabei ging es nicht nur um den Erhalt der architektonisch wertvollen Gebäude, sondern auch um den Erhalt der bemerkenswerten Freiräume. Da ein Teil des Areals zwischen zwei Bächen auf einer Insel liegt, sollte das Wasser spürbarer werden – eine
wesentliche Ressource für die Herstellung des Faserzements wie auch im Hinblick auf eine eigene Stromerzeugung. Die räumlich-baulichen Qualitätsbestrebungen aus der Zeit, als die Firma ihr 100-Jahr-Jubiläum feierte, gingen später wieder vergessen; nicht jede Eigentümerschaft und Geschäftsleitung interessierte sich gleich stark dafür. Der Entwicklungsrichtplan wurde nur in Teilen beachtet und nicht mehr aktualisiert, auf architektonische Qualität legte man weniger Wert. Zwischenzeitlich pochte das Unternehmen auf eine Erweiterung des Areals jenseits der Bahngleise in das hochwertige Landwirtschaftsland der Linthebene hinein, was ihm aus raumplanerischen Gründen verwehrt blieb. Immerhin ist das Areal zwischen Bahnhof und Dorf bis heute öffentlich durchlässig und damit selbstverständlicher Teil von Niederurnen.
Areal mit hoher Arbeitsplatzdichte
2010 begann Swisspearl in Niederurnen mit dem Aufbau einer Abteilung für Photovoltaik-Forschung und -Entwicklung. Der Bereich Photovoltaik dürfte zukünftig stark wachsen. Bedeutsam ist die Solartechnik auch für den Betrieb des Areals: Wären alle dafür geeigneten Dächer mit PV-Anlagen ausgerüstet, könnte die Firma 40 Prozent ihres Strombedarfs decken. Noch lässt sie die in Niederurnen entwickelten Module in Österreich herstellen. Doch der Aufbau einer Solarproduktion in Niederurnen wäre denkbar, sagt Marco Wenger, CEO der Swisspearl Group. Südlich des Verwaltungsgebäudes der Architekten Haefeli Moser Steiger gelegen, dient der « Eternitplatz » heute als Parkplatz. Für den Ausbau der Faserzement-Produktion eignet sich die Baulandreserve kaum, da sie von den übrigen Hallen und damit vom Herstellungsablauf abgeschnitten liegt. Hingegen ist die Lage ideal für eine autonome Produktion.
Mit rund 400 Angestellten ist Swisspearl zwar nicht mehr die grösste Arbeitgeberin im Kanton – 1992 war sie es noch mit 655 Beschäftigten –, zu den Grossen zählt sie aber immer noch. Entsprechend erleichtert werden Kanton und Gemeinde sein, dass der Standort Niederurnen trotz des Zukaufs der grossen dänischen Cembrit und des Namenswechsels nicht in Frage gestellt ist. Wie sich die Fusion mit der dänischen Cembrit auf das Stammareal auswirkt, ob zum Beispiel Fachkräfte aus Dänemark zuwandern, ist noch unklar. Forschung, Entwicklung und Stabsfunktionen sollen aber hier bleiben. « Das Herz der Firma schlägt in Niederurnen », sagt Marco Wenger. Die Lage im auf den ersten Blick unscheinbaren Nieder -
Gebäude und Freiräume
1 Wohnsiedlung Im Amerika, 1945
Architektur: Richner & Anliker, Aarau
2 Testgarten
3 B earbeitung / Beschichtung, 1947
Architektur: Locher & Cie, Zürich
4 Bahnhof Niederurnen-Oberurnen
5 I njektion / Warenannahme / Lager, 1928, Architektur: unbekannt; 1942 Erweiterung: Locher & C ie, Zürich
6 Schonplattenlager, 1976
Architektur: Hans Aschmann
7 H etzer-Halle, Lager Rohmaterial mit Heizzentrale, 1916
Architektur: Terner & Chopard, Zürich
8 Rohmaterialhalle Bahnhofstrasse, 1914
Architektur: Terner & Chopard, Zürich
9 Neutralisationsanlage, 1975
Architektur: Kropf + Morgenthaler
Ingenieure, Zürich
10 Plattenfabrikation, 1949
Architektur: Locher & Cie, Zürich
11 Betriebsmittelhalle, 1958
Architektur: Locher & Cie, Zürich
12 Faser-Aufbereitung
13 Werkstattgebäude Altbau, 1958
Architektur: Locher & Cie, Zürich
14 B ürohochhaus Turm, 1976
Architektur: Hans Frehner, St. G allen
15 Verwaltungsgebäude, 1954 – 1955, Erweiterung 1963 – 1964
Architektur: Haefeli Moser Steiger, Zürich; Sanierung 2003: Elisabeth und Martin Bösch, Zürich
16 S portplatz
17 Eternitplatz
18 Direktionshaus, 1903
Architektur: unbekannt
19 E hemalige technische Verwaltung, 1903, Einbau neue Kantine 2003
Architektur: Cadosch und Zimmermann, Zürich
20 Wellplattenhalle, 1969 / 70
Architektur: Hans Aschmann, Ingenieur, Glarus
21 Stutzereigebäude, 1955
Architektur: Locher & Cie, Zürich
22 Beschichtungsanlage
Fassadenschiefer, 1997
Architektur: Hans Aschmann, Glarus
23 Trocknungsanlage, 1980, Ersatzn eubau: 2008
Architektur: Hans Aschmann, Ingenieur, Glarus
24 Beschichtungsanlage für Form stücke, 1911 – 1912
Architektur: Terner & Chopard, Zürich
25 Z entrales Farbenlager, 1968
Architektur: Huber + Bracher, Ingenieure, Zürich
26 Zementförderanlage
27 Ausladehalle, 1976
Architektur: Hans Aschmann, Ingenieur, Glarus
28 Rohmateriallager
29 Aufbereitung
30 GF-Plattenlager, 1938
Architektur: Bell & Cie.;
Erweiterung 1968: Huber + Bracher
Ingenieure, Zürich;
1973: Hans Aschmann, Glarus
31 Speditionshalle, 1971
Architektur: Hans Aschmann, Ingenieur, Glarus
32 Forschungslabor, 1960
Architektur: Thomas Schmid, Zürich
33 L abor für Anwendungstechnik und Versuche, 1990
Architektur: Hans Aschmann, Ingenieur, Glarus
34 Lagerhalle, 2009
Architektur: Feusi und Peyer, Schmerikon
35 B earbeitung / Zuschnitt, 2023
36 Beschichtungsanlage, 2023
Architektur: Stähli Architekten, Lachen
37 L agerhalle Linthsteg, 1965
Architektur: Locher & Cie, Zürich
A Hauptstrasse
B E ternitstrasse
C B ahnhofstrasse
D M ühlebach
E Rau tibrunnen
P Parkplätze
Luftbild: Swisstopo
urnen eigne sich nach wie vor: « Wir b efinden uns am Rand des Metropolitanraums Zürich, sind gut erreichbar und dank eines Bahnanschlusses direkt an das Firmengelände mit unseren anderen Produktionsstätten verbunden. Wir transportieren alles per Bahn », s o Wenger. Doch just der Bahnanschluss bereitet Sorgen. Für die Cargo-Züge wird ihn Swisspearl weiterhin nutzen können. Doch ausgerechnet den Halt der S 25, des direkten Zugs von und nach Zürich, hat die SBB eingestellt. Das ist ein herber Schlag für das Areal, wo erst 2022 die Postfinance mit 200 Angestellten als Mieterin eingezogen ist.
Die Frage, wie die 600 auf dem Areal arbeitenden Personen künftig anreisen sollen, treibt auch die Gemeinde Glarus Nord um. Gemäss der Leiterin des Bereichs Bau und Umwelt, Agnes Heller, soll das zukünftige Gesamtverkehrskonzept Anregungen zu diesem Thema machen. « Die ÖV-Güteklasse nimmt nun ab », sagt Heller. « Wir versuchen, die Busverbindungen zu verbessern. » Ideal wäre ein Viertelstundentakt auf der Kantonsstrasse. Das Swisspearl-Areal müsste aber besser angebunden werden, was im Moment zu teuer sei. « G emeinsam mit der Firma könnte die Gemeinde das Velofahren attraktiver machen, der Veloweg führt direkt zum Areal », s o Heller. Dieses habe für Glarus Nord eine aussergewöhnlich hohe Arbeitsplatzdichte. « Dass die Firma nicht nur ihre Forschung und Entwicklung, sondern auch die Produktion mitten im Siedlungsgebiet aufrechterhält, ist für uns wertvoll. » Die s ermögliche Wohnen und Arbeiten in Gehdistanz für unterschiedliche Gruppen von Angestellten.
Die Frage der Erschliessung
Marco Wenger beschäftigt die Frage der Erschliessung ebenso, denn ein grosser Teil der Angestellten fährt mit dem Auto zur Arbeit. Das passt nicht zu den Nachhaltigkeitszielen. Mittlerweile wurden Ladestationen für Elektroautos eingerichtet. Wenger signalisiert Offenheit und scheint sich der Rolle bewusst, die das Unternehmen in diesem Bereich spielt. Er fühlt sich auch für die Baukultur verantwortlich: « Wir kennen unser architektonisches Erbe, und wir wollen die Architekturqualität auf dem Areal wieder stärken. » B ald stehe die erneute Sanierung des Verwaltungsgebäudes von Haefeli Moser Steiger an. Wenger will sie mit Umsicht angehen.
Seit März prangt nun auf dem Bürohochhaus von 1976 der neue Name. Englisch ist zur Firmensprache geworden, und der Austausch mit den Teams der früheren Cembrit wird die Firmenkultur verändern. Ob der Glarner Volksmund bald ‹ Swisspöörl › statt ‹ Eternit › sagen wird ? Vermutlich lässt er sich damit noch etwas Zeit. Die Akzeptanz in der Bevölkerung und der Fortbestand der stark verankerten Firmenidentität hängen weniger von einem Namen ab als vielmehr von den sozialen, ökologischen und ökonomischen Werten sowie der Baukultur, die eine Firma wie Swisspearl zu pflegen bereit ist.
In Etappen
zur Namenswende
Welches Unternehmen gibt seinen Namen her, der nicht nur ein Produkt bezeichnet, sondern auch zum übergreifenden Material-Gattungsbegriff schlechthin geworden ist? Aus freien Stücken hat Swisspearl die eigene Umtaufe 120 Jahre nach der Gründung nicht vollzogen. Doch die Dinge liegen kompliziert: Eternit-Erfinder Ludwig Hatschek hatte seine Herstellungs-Lizenzen unter der Bedingung verkauft, dass Eternit dort, wo die Lizenz geografisch gültig ist, als Firmenname geführt wird. Das hat mit der Zeit dazu geführt, dass sich Produkte unter dem Markennamen Eternit kaum noch exportieren lassen, weil in anderen Ländern gleichnamige Firmen geschäften. Dies, obwohl die Lizenzen zum Teil längst erloschen sind.
Die Eternit ( S chweiz ) AG führte deshalb 2002 für den Export den Markennamen Swisspearl ein und wollte diesen ab 2015 auch in der Schweiz für die Firma und die Marke etablieren. Und warum Swisspearl? Der Name lässt zum einen den Werkplatz Schweiz anklingen und zum anderen das Herstellungsverfahren, in dem der Faserzement Schicht um Schicht auf eine Walze gewickelt wird, bis er die gewünschte Stärke erreicht – ähnlich einer Perle, die ihre Hülle aus Perlmutt erhält siehe ‹ Herausforderung Zement ›, Seite 4. Doch der Name wurde in den eigenen Reihen ebenso wie ausserhalb der Firma schlecht akzeptiert und kaum bekannt, sodass er abgesehen vom Exportgeschäft für mehrere Jahre in der Schublade verschwand.
2022 übernahm die Swisspearl Group die dänische Konkurrentin Cembrit Holding und wuchs mit den zusätzlichen 1300 Angestellten auf die doppelte Grösse an. Schon davor erwirtschaftete die Swisspearl Group mit ihren damaligen drei Eternit-Werken in der Schweiz, Österreich und Slowenien gemäss eigenen Angaben zwei Drittel des Umsatzes im Exportgeschäft. Mit dem Kauf wuchs das Exportgeschäft noch einmal deutlich.
Mehrere Firmen- und Warennamen im internationalen Handel zu führen, wurde dem Unternehmen zu aufwendig und auch zu riskant, etwa wegen der Anfälligkeit für Missverständnisse im Vertrieb. Daher entschied man sich, sämtliche Firmen und Marken unter dem alt-neuen Namen Swisspearl zu vereinheitlichen; dieser Schritt sei juristisch einfacher und finanziell günstiger als eine komplett neue Markenbezeichnung. In Österreich und der Schweiz soll die bewährte Bezeichnung Eternit für ausgewählte Produkte bestehen bleiben. ●
Namen und Zahlen
Die Swisspearl Group beschäftigt rund
2400 Angestellte und betreibt neun Produktionswerke in sieben Ländern ( Österreich, Slowenien, Finnland, Tschechische Republik, Ungarn, Polen und Schweiz ); der Hauptsitz befindet sich in Niederurnen. In der Schweiz arbeiten rund
100 Personen in Payerne sowie 370 in Niederurnen für die Firma. Zu den Meilensteinen nach der Gründung 1903 zählt etwa das Jahr 1957, als die damalige Eter-
nit AG ihr Zweigwerk in Payerne eröffnete. Teil dieser erfolgreichen Jahrzehnte waren die Debatten um die gefährliche Seite der Asbestfaser, die schwer krank machen kann. Als der Unternehmer Stephan Schmidheiny 1978 Verwaltungsratspräsident wurde – die Firma gehörte der Familie Schmidheiny seit den 1920er-Jahren –, entschied er, künftig auf Asbest in der Zusammensetzung des Faserzements zu verzichten. Bis Ende der 1980er-Jahre war die Umstellung weitgehendst vollzogen.
Seit 2003 gehört Eternit und nun Swisspearl der BA Holding und ihrem Besitzer Bernhard Alpstaeg. 2022 kaufte Swisspearl die dänische Konkurrentin Cembrit Holding und wurde zur zweitgrössten Herstellerin von Faserzement in Europa.
Seit April 2023 ist Marco Wenger CEO der Swisspearl Group. www.swisspearl-group.com
Faserzement in verschiedensten Formen in der Musterausstellung in Niederurnen.
Alte Bekannte und neue Entdeckungen
Ein Atelier in Berlin, eine Fassadensanierung in Paris, ein Wohnhaus in Zürich: Zeitgenössische Bauten erzählen von der Architekturgeschichte des Faserzements.
Text: Mirjam KupferschmidSie begegnen einem hierzulande fast auf Schritt und Tritt, die Schindeln, Platten und Wellen aus Faserzement. Seltener in den Städten vielleicht, dafür umso öfter landauf, landab, in den unterschiedlichsten Formaten, die Farben manchmal mehr, manchmal weniger von Sonne und Regen gebleicht. Besonders in den 1970er-Jahren, als das überaus robuste und dabei vergleichsweise günstige Material namens Eternit als modern galt, erhielten rationelle neue Wohnsiedlungen genauso wie in die Jahre gekommene Strickbauten ein wetterfestes Faserzementkleid. Doch auch wer in die Schweizer Architekturgeschichte eintaucht, stösst immer wieder auf Faserzement; gerade im Kanton Glarus arbeitete der von der Akademie als « pragmatisch modern » charakterisierte Architekt Hans Leuzinger gerne mit dem lokal produzierten Material, das Ortstockhaus oberhalb von Braunwald etwa zeugt davon. Ursprünglich war Eternit als hochwertiger Ersatz für hölzerne Rundschindeln oder Naturschiefer- und Blechdächer konzipiert worden, daher rühren auch die anfänglich verwendeten Formate. Doch die entwerfenden Architektinnen und Designer lösten das Material bald von dieser reinen Imitation und begannen, seine Spielräume auszuloten – und sie tun es heute wieder verstärkt.
Eine Form wird zum Material
Wie so manches überzeugende Material geriet auch Eternit nach seinem Höhenflug für eine geraume Zeit in architektonische Vergessenheit. Doch nun haben junge Architekturbüros damit begonnen, es wieder einzusetzen. Das Zürcher Büro Lütjens Padmanabhan gehört zu denen, die Faserzement mit historischem Bezug anwenden. Beim Wohnhaus am Waldmeisterweg in Zürch-Schwamendingen setzt ihn das Architekturbüro in Form von grossformatigen Platten als leichte Hülle ein. « Wir b egannen, uns mit dem Schichten und Zusammensetzen der Bauelemente zu beschäftigen. » Neb en der Leichtigkeit gefiel ihnen
die Bedeutung, die das Material durch seine Verknüpfung mit dem ländlichen Bauen in der Schweizer Moderne hat. Lütjens Padmanabhan orientierte sich zwar nicht direkt an Referenzen wie dem Ortstockhaus, fanden darin aber einen zweiten Erzählstrang, der das Projekt stärkt. Industriecharme suchten sie übrigens nicht. Für das Zürcher Architekturbüro ist Swisspearl, wie das Material heute heisst, alltäglich und zugleich edel: « S obald wir es mit einem natürlichen Material wie Holz verwenden, verliert es seine industrielle Schärfe. »
Spitzenkleid für Hauswände
Auch Croixmariebourdon werteten das Material als wertvoll. Das Pariser Büro verkleidete damit die Fassaden von bestehenden Sozialwohnungsbauten in der französischen Hauptstadt. Beim Entwurf liess es sich vom Wunsch leiten, dem Gebäudeensemble ein neues Selbstbewusstsein zu geben. Zu den Schindeln aus Faserzement gelangten die Architekten aber erst über einen Umweg. Sie suchten eine Verkleidung, die sowohl für neue wie bestehende Häuser auf dem Areal passte, und wurden fündig beim Faserzement, da dieser verschiedenfarbige Platten ermöglicht. Allerdings setzte die Stadtverwaltung als Bauherrschaft dem Spiel mit den Farben noch während der Planung ein Ende. Die Architekten beschlossen stattdessen, die weisse Fassadenverkleidung mit unterschiedlichen Schindelformaten zu strukturieren. Diese sind erst auf den zweiten Blick erkennbar. So fügt sich das Pariser Wohnhaus geschickt zwischen die flächigen Fassaden seiner Nachbarn ein. Mit den Lichtverhältnissen verändern sich auch die Schatten der kleinen Schindeln, die sich wie ein Spitzenkleid über die Hauswände legen.
Umgekehrt suchte das Berliner Architekturbüro Pasztori Simons einen gewissen Pragmatismus im Ausdruck, als es ein Künstleratelier in einem Berliner Hinterhof plante. Wegen des Brandschutzes war eine Holzverkleidung der flächigen Fassaden untersagt, und Blech schien den Architekten für das Hofgebäude zu vorhersehbar. « Die Bescheidenheit des Faserzements dagegen hat uns gefallen, und mit dieser Zurückhaltung wollten wir arbei-
Auf Referenzen gebaut
Um ein Grundstück in Zürich-Schwamendingen dichter zu bebauen, schrieb die Stiftung PWG einen Wettbewerb aus. Lütjens Padmanabhan Architekt*innen gewannen ihn mit einem Baukörper, der sich mit einem ausscherenden Dreieck weit in die Parzelle hineinzieht und so den Bestand zusammenbindet. Die stark von der Gebäudeform geprägten Grundrisse liessen sich schwer in ein Fassadenbild übersetzen. Also begleitete fortan Brunelleschis Findelhaus in Florenz die Architekten in der Gestaltung der Fassade. Als ein Kollege mit einem Blick auf das Modell zu den Architekten sagte: « Ihr baut das doch Lieb Beach House von Venturi und Rauch! », war klar: Die Gliederung der Flächen mit Lisenen, die bei Brunelleschis Findelhaus so faszinierten, bedeuten nicht zwingend schwere Materialien.
Wohngebäude Waldmeisterweg, 2018 Waldmeisterweg 3 + 5, Zürich
Bauherrschaft: Stiftung PWG, Zürich
Architektur: Lütjens Padmanabhan, Zürich
Bauleitung: Vollenweider Baurealisation, Schlieren
Bauingenieur: SJB Kempter Fitze
Heizung und Lüftung:
Waldhauser + Hermann, Münchenstein
Baumeister: Robert Spleiss, Küsnacht
Auftragsart: Wettbewerb, 2013
Bruttogeschossfläche: 3024 m2
Baukosten ( BKP 2 ): Fr 9,9 Mio.
Der Neubau vermittelt mit seiner Form zwischen dem Waldmeisterweg und dem Bestand.
ten », erzählt Martin Pasztori. Ihn faszinierte die Irritation, die die Rundschindeln an diesem versteckten urbanen Ort fernab jedes ländlichen Kontexts auslösen. Besonders angetan waren die Berliner von der wolkigen Grundstruktur des Faserzementes, die allerdings nur auf der Rückseite einer Platte sichtbar wird. Mit der Herstellerin Swisspearl in Niederurnen handelten Pasztori Simons aus, dass Swissp earl für dieses Projekt das unbeschichtete Material mit einem UV-Schutz zur Verfügung stellte. Nun macht die Fassade nicht nur den Herstellungsprozess sichtbar, sondern beeinflusst wohl auch den Alterungsprozess.
Nahe an den Architekturbüros
Das Zürcher Büro Lütjens Padmanabhan nutzt die Vielfalt des Faserzements zurzeit in vier laufenden Projekten, die von einer Seewasserzentrale über ein Wohnhaus bis zu einem Pavillon reichen. « Wir glauben an die Offenheit und Heterogenität, in der Verschiedenes zu einem
Lisenen und Platten sind unabhängig verbaut und können unterschiedlich altern.
Die grosse Halle verdichtet den Berliner Blockrand.
Auf den zweiten Blick
Das Büro Pasztori Simons hat ein Künstl eratelier in das Innere eines Blockrands gefügt. Die grosse Kastanie und der S-Bahn-Tunnel, der unter dem Grundstück verläuft, erschwerten die Fundierung der grossen Halle. Man entschied, den Tunnel mit einer Stahlkonstruktion zu überspannen. Aus der Ferne zeigt sich der Leichtbau massiv, und die flächigen Fassaden erscheinen wie hermetische Wände. Erst wer den Durchgang passiert und auf das Gebäude zugeht, erkennt, dass die Fassadenverkleidung aus vielen kleinen Rundschindeln besteht. Aus der Nähe betrachtet, wirkt die Wandoberfläche deshalb lebhaft und beinahe textil.
Kunstatelier Studio D., Berlin, 2021
Berlin-Mitte
Architektur: Pasztori Simons
Bauherrschaft: Privat
Baukosten: Keine Angaben
Ganzen zusammenkommt. Uns gefällt aber auch, wie Faserzement altert », s agen Oliver Lütjens und Thomas Padmanabhan. Am Wohnhaus am Waldmeisterweg planten sie die hölzernen Lisenen so, dass sie von den Faserzementplatten getrennt ersetzt werden und die Materialien damit unabhängig altern können.
Dass der frühere Produktname ‹ Eternit › – abgeleitet vom lateinischen Wort für Ewigkeit – kein leeres Versprechen war, zeigen zum Beispiel die Schindelhäuser in Zürich-Wipkingen. Die Doppelbünder mit rund 150 Wohnungen waren 1918 von den Architekten Pfleghard und Häfeli geplant und bereits 1922 mit einer Faserzement-Fassade verkleidet worden. Während der vergangenen 100 Jahre hat sich eine teils starke Patina auf die namensgebenden kleinen Schindeln gelegt, die das Material bereichert. Wie leichte Schatten hängen die Verfärbungen unter den Schindelrändern und geben ihnen Tiefe. Die Baugeschichte von Swisspearl ist auch die Geschichte bekannter
Architektinnen und Architekten. Neben den Schindelhäusern zeigen dies etwa auch Lux Guyers Wohnhaus für die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit Saffa von 1958 – es steht heute in Stäfa am Zürichsee –, das firmeneigene Verwaltungsgebäude der Swisspearl in Niederurnen von Haefeli Moser Steiger oder das Ricola-Lagerhaus von Herzog de Meuron bei Laufen. In der Schweiz ist das Material nicht nur deshalb fest verankert, weil es weitläufig angewendet wurde, sondern weil die Herstellerin seit ihrer Gründung eine enge Beziehung zur Architektur und zu Architektinnen und Architekten pflegt.
Aktuelle Fragen an das Material
Diese Zusammenarbeit geht über einzelne Projekte hinaus und betrifft auch die Weiterentwicklung von Material und Anwendungsmöglichkeiten. So organisierte Swisspearl vor einiger Zeit einen Workshop, um mit Architekten neue Produkte abseits der Standardformate zu
für die Schindeln geplanten Farben sind nun beim Sonnenschutz eingeflossen.
Das Sonnenlicht spielt auf den kleinen Schindeln und bringt sie in Bewegung.
Schindeln in Paris
Im 11. Pariser Arrondissement hat das Architekturbüro Croix marieb ourdon ein neues Kleid für ein Ensemble aus zwei Häusern mit preisgünstigen Wohnungen geschneidert. Zwischen den Häusern liegt ein Garten, in dem die Stadt ursprünglich einen Neubau geplant hatte. Die Architekten suchten nach einer Fassade, die sich für Bestand und Neubau gleichermassen eignete, und schlugen kleine Platten aus Faserzement in verschiedenen Farben vor. Die Stadt strich zwar den Neubau und entschied sich auch gegen eine farbige Fassade – die kleinen Schindeln aber blieben.
Sanierung Wohnhaus, Paris 2021 5-5bis rue de Vaucouleurs und 8 rue Morand
Bauherrschaft: Habitat Social Français
Architektur: Croixmariebourdon, Paris
Baukosten: € 2,07 Mio.
Zwischen den beiden Wohnhäusern liegt ein grosszügiger Garten.
entwickeln. Lütjens Padmanabhan waren zusammen mit Künstlern, Designerinnen und dem Produktionsleiter eingeladen, neue Varianten für die Wellplatten zu erproben. Während des Workshops stellte die Gruppe fest, dass stark oder eben zu stark gestaltete Wellen am wenigsten breit angewendet werden können und, als umgekehrte Erkenntnis, dass gerade in der Standardisierung der Formate eine grosse Stärke liegt. Denn nur die standardisierten Formate erlauben es, dass verschiedene Architekturbüros ganz Unterschiedliches entwerfen.
Auf eine aktuelle Frage an das Material weist Thomas Bourdon vom Pariser Büro Croixmariebourdon hin. Er verspüre im Büro eine gewisse Zurückhaltung: « Wenn wir mit einem Material arbeiten, dann fragen wir – besonders die jüngeren Mitarbeitenden –, woraus es besteht und wie es hergestellt wird. Gegenüber dem Zement sind wir eher skeptisch eingestellt. » In seiner Vielfalt, Effizienz und Logik überzeugt ihn das Material wiederum. Immerhin hat
es etwas Besonderes geschafft: Die Formen und Formate aus Faserzement, die ursprünglich andere Baumaterialien imitierten – Schindel, Platte, Welle – sind heute untrennbar mit dem Material verbunden. ●
Zeitreise in Buchform
Zum 100-Jahr-Jubiläum arbeitete das Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der ETH Zürich ( GTA ) auf, wie sich die Firma Eternit sowie die Pro duktion und Anwendung von Faserzement in Architektur und Design entwickelt haben:
‹ Eternit Schweiz, Architektur und Firmenkultur seit 1903. Dokumentation von 49 aus gewählten Bauten ›. GTA-Verlag. Philippe Carrard ( Hg. ). Zürich 2003.
Befragung eines Materials
Wie gelingt es einem 120-jährigen Unternehmen, sich und seine Produkte der Zeit und den neuen Anforderungen anzupassen? Dieses Themenheft nimmt den Namenswechsel von ‹ Eternit › zu ‹ Swisspearl › zum Anlass, das Material Faserzement genauer zu betrachten – und über die Firma zu berichten, die es seit ihrer Gründung in der Schweiz herstellt und die Produktion hierzulande sogar ausbauen will. www.swisspearl.ch