Themenheft von Hochparterre, Oktober 2023
Räume atmen
Die Gebäudetechnik ist entscheidend für die Dekarbonisierung des Bauens. Waldhauser + Hermann denkt unkonventionell und entwickelt dialogisch.
Wallrüti in Winterthur: ein Schulhaus, fast ohne Technik.Cover: frische Luft für das Stadtcasino Basel.
Rückseite: Nachtauskühlung im Amt für Umwelt und Energie Basel-Stadt.
Inhalt
4 « Wir müssen lernen, auf Augenhöhe zu diskutieren »
Roger Boltshauser, Monika Jauch-Stolz und Marco Waldhauser über gemeinsames Entwerfen und den Stellenwert der Technik.
8 Freie Luft im Schulhaus
Schulhaus Wallrüti, Winterthur
10 Kühlende Nächte im Amtshaus
Bürohaus Amt für Umwelt und Energie, Basel
12 « Nach dem Bau verhalten sich alle wie Fahnenflüchtige »
Annette Gigon, Lukas Senn und Roman Hermann über verlässliche Planung und die Frage, wer die Welt retten soll.
16 Verlässliche Planung für die Kunst
Kunstmuseum Chur
18 Frische Luft fürs Stadtcasino
Stadtcasino Basel
22 « Es ist wichtig, Dinge auszuhandeln »
Anna Jessen , Andrea Klinge und Stefan Waldhauser über das Lehren von Gebäudetechnik und Erwartungen aneinander.
26 Ein Labor braucht Technik
Swiss Tropical and Public Health Institute, Allschwil
28 Erneuerbare Wärme im Verbund
Energiezentrale Wärmeverbund Oberwil-Therwil, Therwil
30 Die Unkonventionellen
Seit der Gründung 1973 arbeitet Waldhauser + Hermann daran, den Einsatz von Technik zu reduzieren.
Editorial
Nur das, was nötig ist
Man könnte sagen: Waldhauser + Hermann versucht, sich seit 50 Jahren abzus chaffen. Seit den 1970er-Jahren entwickelt die Firma einfache Heizungslösungen und sucht nach Tricks, mit denen sie die Lüftungstechnik – wenn möglich – einsparen kann. Heute, im scharfen Licht der Klimadebatte, sehen wir diese suffiziente Haltung als das, was sie war: hellsichtig und wegweisend. Von Münchenstein bei Basel aus erarbeitet ein 50-köpfiges Team Konzepte rund um Heizung, Lüftung, Klima, Kälte – und dies zusammen mit Architektinnen und im besten Fall schon auf dem weissen Papier.
Dieses Themenheft befasst sich mit der Haltung des Basler Unternehmens und schildert den Stand von Diskussion und Technik. Den Kern bilden drei Gespräche, an denen je einer der drei Geschäftsführer teilnimmt: Sie sprechen mit Architektinnen und einem Immobilienentwickler, mit Spezialistinnen in Sachen Wettbewerb und zirkuläres Bauen. Sie diskutieren über Werte und interdisziplinäre Zusammenarbeit, über Kompetenzen und Tendenzen, und darüber, welche Rolle die Technik bei der Rettung der Welt spielt.
Sechs ausgewählte Projekte zeigen das anhand konkreter Beispiele: vom Schulhaus fast ohne Technik bis zur effizienten Labormaschine, vom lautlos belüfteten Konzertsaal bis zum natürlich gekühlten Amtshaus. Mal spielt die Technik – wie so oft – eine eher schadensbegrenzende Rolle, mal ist sie aber auch wegweisend. Die Projekte zeigen: Gemeinsam können Ingenieurin und Architekt die Gebäudetechnik zwar nicht abschaffen, aber doch intelligenter und kleiner machen. Axel Simon
Die Bilder in diesem Heft Räume sollen behaglich sein. Das Kunst-Duo Gen Atem und Miriam Bossard hat Bilder der ausgewählten Projekte so bearbeitet, dass Wärme, Luft und Klima sichtbar werden.
Originalfotos:
Roman Weyeneth ( Cover, Seite 20 ), Dirk Podbielski ( Seite 2 und 7 ), Ralph Feiner ( Seite 15 ), Mark Niedermann ( Seite 25 ), Michael Kunz ( Seite 31 ), Daisuke Hirabayashi ( Rückseite ).
Impressum
Verlag Hochparterre AG Adressen Ausstellungsstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41 44 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag@hochparterre.ch, redaktion@hochparterre.ch Geschäftsleitung Andres Herzog, Werner Huber, Agnes Schmid Verlagsleiterin Susanne von Arx Konzept und Redaktion Axel Simon Bilderserie Gen Atem / Miriam Bossard, www.bossardwettstein.com Art Direction Antje Reineck Layout Jenny Jey Heinicke Produktion Nathalie Bursać Korrektorat Rieke Krüger Lithografie Team media, Gurtnellen Druck Stämpfli AG, Bern Herausgeber Hochparterre in Zusammenarbeit mit Waldhauser + Hermann AG hochparterre.ch / waldhauserhermann Themenheft bestellen ( Fr. 15.—, € 12.— ) und als E-Paper lesen
Augenhöhe zu diskutieren »
Was wünschen Sie sich von Gebäudetechnikern?
Roger Boltshauser: Sie sollen kreativ und unabhängig sein, sich von Anfang an einbringen und auch mal SIA-Normen hinterfragen. Sie sollten Teamplayer sein und bereit, in die Themen der Zeit zu investieren: das Klima oder die Frage, wie man mit möglichst wenig Technik auskommt. Die Zusammenarbeit ist wichtiger geworden, sogar entscheidend. Unsere letzten Wettbewerbserfolge, wie denjenigen für das Zentrum für Zahnmedizin in Zürich, gäbe es ohne sie nicht. Marco Waldhauser und andere Ingenieure waren dort von Anfang an mit uns im Dialog. Es waren zeitweise bis zu 40 Planerinnen mit an Bord.
Monika Jauch-Stolz: Ich kann nicht euphorisch von solch einer gegenseitigen Befruchtung berichten. Vielleicht auch deshalb, weil ich in einer anderen Region daheim bin. Ich wünsche mir mehr Inputs von den Ingenieuren. Wir Architektinnen und Architekten müssen die Initiative ergreifen und mehr Innovation, mehr Dialog und Widerspruch einfordern. Von den Landschaftsarchitekten und Bauingenieurinnen kommen diese Inputs.
Marco Waldhauser: Es wird generell geschätzt, wenn wir bei Wettbewerbsprojekten mitreden und mitgestalten. Wir müssen aber auch feststellen, dass wir da fast die Einzigen sind. Warum ist das so? Warum sind eine Landschaftsarchitektin und ein Bauingenieur bereit mitzugestalten und eine Gebäudetechnikerin nicht? Einer der Gründe liegt in der Geschichte der Disziplin: Haustechnik wurde immer schon ‹ reingeflickt ›, und der Architekt kannte die Eckpfeiler. Früher funktionierte das gut. Und bei der Planung vieler Gebäudetypen tut es das auch heute noch. Warum redet ihr Ingenieure also nicht mit?
Marco Waldhauser: Zum einen werden wir zu wenig herausgefordert. Bei der Beurteilung eines Projekts geht es nicht darum, wo die Schächte liegen – es geht um Gesamtheitliches, Interdisziplinäres. Die besten Gebäude sind die, die wir im Team mit der Architektin und dem Bauingenieur auf dem weissen Papier erarbeitet haben. Schon allein deshalb, weil ein Projekt so von drei verschiedenen Seiten angegangen wird. Das Thema Nachhaltigkeit wird mehrfach beleuchtet und es entsteht ein anderes Projekt.
« Wir müssen lernen, auf
Roger Boltshauser gründete 1996 ein Architekturbüro in Zürich. Bekannt wurde er mit Gebäuden aus Stampflehm. Heute arbeitet sein Team von rund
75 Mitarbeitenden an Projekten, die oft Nachhaltigkeit zum Entwurfsthema haben. Seit 2018 ist er Dozent an der ETH Zürich.
Monika Jauch-Stolz ist Architektin und führt seit 1980 zusammen mit Martin Jauch das Architekturbüro MMJS in Luzern. Neben Jurytätigkeit, Bauberatung und Wettbewerbsmanagement ist sie seit 2017 Präsidentin der SIA-Wettbewerbskommission 142/143.
Marco Waldhauser ist Mitinhaber, Verwaltungsrat und Geschäftsführer von Waldhauser + Hermann. Der HLK-Ingenieur setzt sich in diversen Gremien für die Stärkung des Berufsstandes ein und ist Vorstandsmitglied von SIA Schweiz und ‹ Bauen digital Schweiz ›.
Ein Projekt mit 40 Leuten zu erarbeiten, zeigt auch den absurd grossen Aufwand von heutigen Wettbewerben. Früher reichte eine Idee, heute muss es ein fertiges Projekt sein. Vergrössert es den Aufwand nicht zusätzlich, wenn alle Disziplinen vertreten sind?
Roger Boltshauser: Je nach Aufgabenstellung müssen nicht immer so viele Fachplaner mitreden. Momentan bewegen uns diese Nachhaltigkeitsfragen sehr. Das Thema hat bei uns einen Wandel ausgelöst. Und, ja, auch zu einem grösseren Aufwand geführt, nicht nur bei Wettbewerben, sondern auch weil wir uns generell ins Thema einarbeiten müssen. Wir haben uns viel Wissen erarbeitet, wenden dieses nun an und gewinnen damit grosse Wettbewerbe. Jetzt ist es wieder etwas ruhiger geworden.
Monika Jauch-Stolz: Als Leiterin der SIA-Wettbewerbskommission bin ich eine vehemente Verfechterin von schlanken Verfahren. Diese müssen aber nicht auf Kosten einzelner Gewerke gehen. Man kann multidisziplinär und schlank arbeiten. Das ist sehr aufgabenspezifisch: Es gibt Verfahren, bei denen Haustechnik wichtiger ist, die aber vielleicht nicht zwingend Landschaftsarchitektur brauchen, da der Perimeter sehr klein ist. Für die meisten Aufgaben benötigt es kein riesiges Team. Die Architektin sollte von Fall zu Fall entscheiden, wer mit im Boot sitzt.
Marco Waldhauser: Schlanke Verfahren finde ich auch wichtig. Die Zusammensetzung des Teams ist eine Frage des Mindsets, insbesondere desjenigen der Architekten. Qualitätvolle Architektur, Dauerhaftigkeit und Behaglichkeit definieren ein zukunftsfähiges Bauwerk. Das ist noch nicht so angekommen. Architektinnen sehen sich immer noch als Generalisten: Erst wenn sie nicht mehr weiterkommen, holen sie jemanden dazu. Dieses Denken ist hoffentlich bald Geschichte.
Verändert sich dieses Denken nicht gerade sehr stark?
Roger Boltshauser: An der ETH schon. Es gibt jetzt interdisziplinäre Diplomstudiengänge, die das Dialogische ins Zentrum stellen. Auch die Klimafragen sind angekommen.
Marco Waldhauser: Es wäre schön, wenn sich die Erwar -
tungshaltung der jungen Architektinnen wandelt. Dann kommt der Wandel auch bei uns an. Einer der Gründe, warum viele Gebäudetechniker nicht besonders innovativ oder kooperativ sind, ist, dass sie es bisher nicht sein mussten. Wir brauchen die Erwartungshaltung. Und: Es braucht eine Ingenieurin aus dem Nachhaltigkeits- und Energie-Bereich in jeder Jury, damit die Wettbewerbsentscheide diese Themen transportieren.
Monika Jauch-Stolz: Die Jury ist wichtig. Sie sollte ausgewogen sein und offen. Aber auch hier: Nicht jeder Ingenieur kann eine Lösung erkennen und die Bauherrschaft von ihr überzeugen. Vielleicht müsste man auch bei der Ausbildung ansetzen, um den 08 / 15-Haustechniker abzuholen.
Marco Waldhauser: Wir müssen lernen, auf Augenhöhe zu diskutieren. Die Pandemie hat uns diesbezüglich geholfen: An den Zoom-Sitzungen mit 40 Beteiligten hast du, Roger, nicht, wie sonst, den Raum eingenommen. Du warst nämlich genau gleich flach auf dem Bildschirm zu sehen wie der Fachplaner. Dieser traute sich vielleicht auch gerade deswegen, etwas zu sagen.
Trotz Wettbewerbssieg hat die Ingenieurin den Auftrag nicht immer auf sicher. Was heisst das für die Verfahren?
Roger Boltshauser: Gerade junge Architekten haben Probleme, eine Haustechnikerin ins Team zu holen, wenn der Auftrag nicht garantiert ist. Im Verfahren muss man die Teams ernst nehmen. Der SIA sollte die Möglichkeit schaffen, das ganze Team mit der Umsetzung zu betrauen. Büros für Gebäudetechnik dürfen in mehreren Wettbewerbsteams mitmischen, Landschaftsarchitektinnen oder Tragwerksplaner nicht. Warum?
Monika Jauch-Stolz: Weil gewiefte Haustechniker nicht so zahlreich sind. Und viele Architekturbüros hätten das Nachsehen, gerade die jüngeren. Deshalb wollen wir diesbezüglich nicht so stark einschränken.
Marco Waldhauser: Es lässt sich mathematisch b egründen: Ein Hochbauprojekt benötigt bis zu zehn Mal mehr Architektinnen als Gebäudetechniker. Zudem gibt es viel mehr grosse Ingenieurbüros als grosse Architekturbüros. →
Wie sieht es aus, wenn Sie an mehreren Wettbewerbsprojekten gleichzeitig arbeiten?
Marco Waldhauser: Wir haben klare Regeln: Bei Präqualifikationen machen wir auch schon mal in 20 Teams mit. Ab dem vierten Büro kommunizieren wir, dass wir womöglich im Wettbewerb nicht mehr dabei sein werden können. Wir betreuen nämlich nur maximal vier Projekte parallel, weil bei uns vier Mitarbeitende die Wettbewerbe begleiten. So kommen wir auf rund 70 Wettbewerbe im Jahr, teils mit mehreren Projekten. Das gab noch nie ein Problem. Mit rund 30 Prozent ist die Gebäudetechnik nach der Tragstruktur der zweitgrösste Posten in der Treibhausgasbilanz eines Gebäudes. Was bedeutet das? Schlankere Technik? Weniger Technik? Möglichst gar keine Technik?
Monika Jauch-Stolz: Eine schwierige Frage. Wir sollten immer breit denken, möglichst alle Aspekte berücksichtigen. Das Thema lässt sich nicht mehr umschiffen. Die Frage ist, wie wir die Treibhausgase reduzieren können. Und damit sind wir wieder bei der Teamarbeit.
Roger Boltshauser: Natürlich versuchen wir wegzulassen. Je weniger Technik, desto weniger graue Energie. Aber bei einem Labor geht das nur bedingt. Für Spitzenforschung brauchst du hohe Luftwechsel und Kühlung. Zu sagen, wir bauen keine Labore mehr, sondern nur noch Wohnungen und Bürohäuser ohne Heizung, ist keine Lösung. Ich will mich den Aufgaben der Zeit stellen. Deshalb versuche ich, einen sinnvollen Entwurf hinzukriegen und die Technik passiv zu unterstützen. Die Suffizienz kann man dann bei anderen Aufgaben auf die Spitze treiben – auch, wenn das Honorar uns alle nicht dafür belohnt, wenn wir passiver, lokaler, schlauer planen.
Marco Waldhauser: Üblicherweise geben wir im Vorprojekt eine Pauschale basierend auf dem geschätzten Aufwand an. Wenn das Konzept einfach ist, haben wir dann ja in der Regel auch weniger Aufwand – bis auf die Überzeugungsarbeit. Ein Projekt auf dem Basler Dreispitz-Areal zeigt, wie eine vorbildliche Bauherrschaft damit umgehen kann: Müller Sigrist Architekten baute ein altes Lager -
haus zu einem Hochschulgebäude um. Der Kanton beauftragte uns, eine mechanische Lüftung einzuplanen. Kurz vor Abgabe des Vorprojektes sagten wir uns: Wenn wir ein Haus ohne Lüftung hinkriegen, dann dieses! Der Kanton liess es uns dann so planen – und b ezahlte uns trotzdem gleich viel Honorar. Das war vor 15 Jahren. Die Studierenden arbeiten heute übrigens lieber in diesem Altbau statt im klimatisierten Glashochhaus daneben. In der Schweiz arbeiten Architektin und Tragwerksplaner im Entwurf eng zusammen. Müssten Letztere ein Stück des Kuchens abgeben, wenn die Haustechnikerinnen stärker mitreden?
Monika Jauch-Stolz: Man sollte das eine nicht gegen das andere ausspielen. Der Idealfall ist, dass sie sich gegenseitig befruchten. Im Team ist jeder gleichwertig, redet von seinem Feld, und am Schluss fügt die Architektin als eine Art Regisseurin die Ingredienzien zusammen.
Marco Waldhauser: Ich wünsche mir, dass wir in Zukunft die Klima-Robustheit so stark in den Köpfen haben wie das Tragwerk. So wie ihr Architektinnen die Bauingenieure herausfordert, weil ihr einen Raum stützenfrei möchtet, so solltet ihr uns herausfordern.
Roger Boltshauser: Bei uns wird die Technik sichtbarer, das bedeutet jedoch nicht, dass das Tragwerk weniger wichtig wird. Der beste Entwurf ist der, bei dem alles zusammenkommt und sich gegenseitig hilft. Wir sind an einem Wendepunkt angelangt und müssen noch viel lernen, bis wir den richtigen Umgang mit der Klimafrage finden. Das Schlimmste wäre, wenn wir aufhören würden zu bauen. Diese Diskussionen führen wir mit den Studierenden an der ETH. Es braucht Zuversicht. ●
Freie Luft im Schulhaus
Ein Ort der Offenheit und des transparenten Unterrichts soll das Schulhaus Wallrüti in Winterthur sein. Eine wolkenförmige Laube umschliesst das Gebäude sowie Bäume und Kletterpflanzen. Diese Laube ist der Zugang zu allen Klassenräumen und zugleich Fluchtweg. Sie ist aber auch ein grüner Aufenthaltsort und die Erweiterung der Schulzimmer nach aussen. Diese sind alle miteinander verbunden, denn innere Erschliessungsräume braucht es nicht. Flügeltüren und Schiebefenster stehen in den warmen Monaten offen und ein Arbeitssims ist von innen und aussen nutzbar. Eine solch enge Beziehung zwischen Innen- und Aussenraum schafft Herausforderungen für Klima und Wärmehaushalt. Die Architektinnen und Gebäudetechniker haben sie möglichst einfach und mit so wenig Technik wie möglich gemeistert.
Die Schulzimmer werden natürlich belüftet. Ein Mindestluftwechsel erfolgt über die normale Nutzung der Türen. Ausserdem sorgen gesteuerte Lüftungsflügel und die Nutzenden mit manuellem Öffnen und Schliessen der Fenster für zusätzlichen Luftaustausch. Die grossen Lüftungsflügel in der Fassade öffnen sich zudem automatisch für die Nachtauskühlung. Von Hand geöffnet, lässt sich über sie auch tagsüber der Raum lüften. Nur die drei Schulküchen, die WCs und die Nebenräume werden von separaten Lüftungsanlagen nach Bedarf be- und entlüftet. Für den sommerlichen Wärmeschutz sorgen die grosse Auskragung der Lauben, die Bäume und Kletterpflanzen sowie die vertikalen Stoffmarkisen. Die dicken Betondecken sorgen für relativ konstante Raumtemperaturen und machen eine zusätzliche Trittschalldämmung überflüssig. Eine Erdsonden-Wärmepumpenanlage liefert die Wärme. Abgegeben wird diese von Bodenkonvektoren mit Gebläsen entlang der Glasfassade, gesteuert durch die Raumfühler einer Regelung. Dank den Erdsonden können die Bodenkonvektoren im Sommer mit geringem Aufwand auch kühlen. ●
Schulhaus Wallrüti, 2022 Guggenbühlstrasse 140, Winterthur
Bauherrschaft: Stadt
Winterthur
Architektur und Baumanagement: Arge Schneider
Studer Primas, Zürich, und BGS & Partner, Rapperswil
Auftragsart: Wettbewerb im selektiven Verfahren, 2016 Kosten ( BKP 1 – 9 ): Fr. 28 Mio.
Baukosten ( BKP 2 / m3 ): Fr. 1 109.—
Baukosten HLK: Fr. 1,47 Mio.
Leistungen
Waldhauser + Hermann:
– Wettbewerb
– Planung HLK
– Planung passive Auskühlung
– Fachkoordination
Aussenansicht Fensterfront Schulzimmer.
Fortluft Küche
Glossar
Aussenluft: Unbehandelte Luft, die das Lüftungsgerät aussen ansaugt, vorzugsweise an einem kühlen Ort mit der bestmöglichen Luftqualität.
Zuluft: Luft, die je nach Anforderungen erwärmt, gekühlt, be- oder entfeuchtet ist und die das Lüftungsgerät in die Räume befördert.
Abluft: Luft, die das Lüftungsgerät aus den Räumen absaugt und ihr Wärme, Kälte oder Feuchte entzieht.
Fortluft: Luft, die das Lüftungsgerät in den Aussenraum befördert.
Natürliche Lüftung: Luftaustausch, angetrieben durch Wind oder thermische Kräfte.
Mechanische Lüftung / kontrollierte
Lüftung: Luftaustausch via Lüftungsgerät. Passive Nachtauskühlung: Während der warmen Jahreszeit wird das Gebäude über Lüftungsöffnungen so lange mit Aussenluft durchströmt, bis dessen thermische Masse abgekühlt ist.
Free-Cooling: Kühlung ohne Kältemaschine, dafür über eine natürliche Wärmesenke ( Aussenluft, Grund-, See-, Flusswasser oder Erdreich )
Lichteinfall im Sommer
raumhohe und mechanisch betätigte Lüftungsflügel pro Zimmer
Heizung und Kühlung mit Bodenkonvektoren
Lichteinfall im Winter Wärmepumpe
Erdsondenfeld für Heizung und Free-Cooling
Lüftungsgeräte für Schulküchen und Toiletten
Lüftungsstrategie
– Der motorisierte Lüftungsflügel ( 1 ) öffnet sich automatisch, sobald der CO2-Gehalt im Schulzimmer zu hoch ist.
– Die Eingangstüren ( 2 ) werden in den Pausen jeweils für 5 bis 10 Minuten manuell geöffnet.
– Bei Bedarf können die Eingangstüre ( 2 ), beide Schiebefenster ( 3 ) sowie der Lüftungsflügel ( 1 ) manuell geöffnet werden.
– Die Nachtauskühlung erfolgt über den motorisierten Lüftungsflügel ( 1 ).
Bürohaus Amt für Umwelt und Energie, Basel, 2021
Spiegelgasse 15, Basel
Bauherrschaft: Kanton Basel-Stadt
Architektur und Generalplanung: jessenvollenweider, Basel
Auftragsart: Wettbewerb, 2013
Baumanagement: b + p Baurealisation, Zürich
Kosten ( BKP 1 – 9 ): Fr. 17,5 Mio.
Baukosten HLK: ca. Fr. 500 000.—
Leistungen
Waldhauser + Hermann:
– Wettbewerb
– Planung Nachhaltigkeit
– Planung HLK ( und passive Auskühlung )
– Planung Gebäudeautomation – Fachkoordination
Kühlende Nächte im Amtshaus
Neu residiert das Amt für Umwelt und Energie des Kantons Basel-Stadt in einem achtstöckigen Neubau mitten in der Stadt. Das Gebäude ersetzt zwei Bauten von 1929 und 1960 an zentraler Lage zwischen Basler Marktplatz und Schifflände. Minergie-A-zertifiziert, produziert es mehr Strom, als es verbraucht. Die Erscheinung des Holzhybrid-Tragwerks prägt die Innenräume mit ihren 74 Arbeitsplätzen und einer Personal-Cafeteria. Für Aufmerksamkeit sorgte die avancierte Photovoltaik-Fassade. Ziel des Energiekonzeptes war es, mit möglichst wenig Technik und Energie einen hohen Komfort zu erreichen. Die Zusammenarbeit zwischen den Architektinnen und den Ingenieuren begann gleich zu Beginn des Wettbewerbs. Auf der Grundlage eines digitalen Modells erstellte Waldhauser + Hermann thermische Simulationen. Um ein möglichst einfaches Gesamtsystem zu entwickeln, wurden mehr als 20 Spannungsfelder aufeinander abgestimmt. So galt es beispielsweise, die Effizienz von Closed-CavityFenstern und die thermische Speicherkapazität von Beton gegen ihre graue Energie aufzuwiegen. Die Hybriddecken aus Stahlbeton und Holz, die die Innenräume des Amtsgebäudes prägen, sind ein Ergebnis davon.
Die Wärme kommt via das städtische Fernwärmenetz. Eine Lüftungsanlage sorgt für den hygienisch mindestnotwendigen Luftvolumenstrom in den Büroräumen. Im Winter wird die Zuluft erwärmt, im Sommer jedoch nicht gekühlt. Den sommerlichen Wärmeschutz erreicht das Haus mit massvollen Fensterflächen und einer automatisierten natürlichen Nachtauskühlung. Letztere spart gegenüber einer konventionellen Kälteanlage rund die Hälfte nicht erneuerbarer Primärenergie ein, graue Energie eingerechnet. Mehr als 60 Lüftungsflügel öffnen sich automatisch und lassen die kühle Nachtluft durch das Gebäude strömen. Dabei unterstützt der Kamineffekt des Treppenhauses mit einer zusätzlichen Abströmung am Treppenhauskopf die nächtliche Auskühlung. Obwohl die Steuerung noch optimiert werden musste, zeigte der Hitzesommer 2022, dass der sommerliche Wärmeschutz auch unter extremen Bedingungen eingehalten werden kann. ●
Erdgeschoss und Obergeschosse. Photovoltaikfassade
Hybriddecke aus Beton und Holz
Regenwassernutzanlage
Gebäudetechnikschema
«
Nach dem Bau verhalten sich alle wie Fahnenflüchtige »
Im Vorgespräch zu diesem Interview fiel der Satz « Es sind die Ingenieure, die die Welt retten müssen ».
Roman Hermann, wie war das gemeint ?
Roman Hermann: In unserem Teil der Welt sind wir abhängig von fossiler Technik. Sie ist die Hauptursache unseres Wohlstandes, aber auch der Klimakrise. Diese fossil angetriebene Technik haben Ingenieure entwickelt und es ist nun ihre Pflicht, das, was sie uns eingebrockt haben, auch zu lösen. Am Schluss betrifft es aber uns alle.
Sind es nicht eher die Eigentümer und Entwicklerinnen, die « die Welt retten müssen » ?
Lukas Senn: Heute gibt es viel Eigennutz und Egoismus Alle möchten maximal profitieren. Da braucht es sicher eine Umstellung. Wir müssen umdenken, etwas zurückgeben. Ohne das geht es nicht.
Annette Gigon: Mit den Gebäuden und ihrer Technik allein können wir die Welt nicht retten. In der Schweiz machen die Gebäude gerade noch circa 15 Prozent der Treibhausgasemissionen aus, Strassen- und Flugverkehr zusammen circa 45 Prozent. An der ETH haben wir in Form einer un-
b equemen Selbstaufklärung damit begonnen, uns in das Thema einzuarbeiten. Für vieles braucht es tatsächlich die Ingenieurinnen, doch wir sind alle in der Verantwortung. Beim Bauen braucht es auch die Hauseigentümer –etwa die Hälfte der Gebäude hierzulande ist immer noch fossil beheizt und nicht gedämmt. Und schliesslich: Unsere Komfortansprüche sind gestiegen. Vor 100 Jahren empfahl man für bürgerliche Esszimmer noch eine Temperatur von 15 Grad, für das S chlafzimmer 11.
Welche Rolle spielt die Gebäudetechnik bei der Weltrettung ?
Annette Gigon: Sie ist Teil davon. Es gibt diese diametralen Ansätze: wenig Technik und viel Material oder mit viel Technik und wenig Material. Das Bürohaus 2226 in Dornbirn von Baumschlager Eberle kommt ohne Heizung aus, kalkuliert die Abwärme der Beleuchtung, Computer und Menschen ein und lüftet via sich automatisch öffnende Fensterklappen. Es betreibt mit 75 Zentimeter dicken Wänden aber auch mehr Materialaufwand. Das HightechPrinzip von Hansjürg Leibundgut mit Erdsonden-Wärme -
Annette Gigon führt seit 1989 zusammen mit Mike Guyer das Zürcher Architekturbüro Gigon / Guyer. An der ETH Zürich is t sie seit 2012 ordentliche Professorin für Architektur und Konstruktion.
Lukas Senn ist Geschäftsleitungsmitglied von Senn, dem Entwickler, Planer und Bauer von Immobilien. Der Elektromonteur und Bauleiter ist für die digitale Entwicklung des Familienbetriebs aus St. Gallen zuständig.
Roman Hermann ist seit 2001 Mitglied der Geschäftsleitung von Waldhauser + Hermann , seit 2008 ist er auch Mitinhaber. Der gelernte Heizungs- und Sanitärzeichner studierte in Luzern HLK-Ingenieur.
pumpe, Photovoltaik und zugleich weniger Dämmstärke ist ebenso gültig. Die optimale Lösung hängt von vielen Kriterien ab: der Grösse und Kompaktheit der Volumina, Nutzung, Abwärme, Standort, gewählte Technik und wie lange die Bauten stehen bleiben dürfen. Es zählt die Betrachtung des gesamten Lebenszyklus.
Roman Hermann: Wir verstehen Gebäudetechnik als Ergänzung. Sie deckt das ab, was das Gebäude ohne Technik nicht leisten kann. Das System von 2226 zeigt, wie weit man gehen kann. Mit einer klugen Bauweise, hohen Räumen und richtigen Materialien lässt sich viel machen. Die gut gedämmten Häuser von heute haben nur noch Abwesenheitsheizungen. Wir können auch mal etwas weglassen, etwas riskieren. Einfachere Systeme brauchen weniger Material und weniger Energie. Auch bei der Lüftung gehen wir in der Planung gern davon aus, dass sie nicht notwendig ist. Im Laufe der Projektierung zeigt sich dann, was es wirklich braucht.
Welches Credo in Sachen Haustechnik vertritt Senn ?
Lukas Senn: Für uns sind Flexibilität und Funktionalität wichtig, gerade bei Büro- und Gewerbebauten. Dort brauchen wir zum Teil Lüftungen mit hohem Luftwechsel, damit man auch einen grossen Laborteil vorsehen kann, ohne von Anfang an alles auszubauen. Wichtig ist eine klare Systemtrennung zwischen Struktur und Technik. Wichtig sind Gesundheit und Behaglichkeit. Vieles davon lässt sich mit Material und Konstruktion lösen. Die Technik soll robust, langlebig und einfach sein. Je komplizierter sie ist, desto eher wird sie falsch genutzt.
Roman Hermann: Neulich habe ich ein Mo ck-up eures Bürohauses Hortus in Allschwil gesehen. Mich interessierte die Lüftung. Zuerst waren nur simple Nachströmöffnungen in den Fenstern vorgesehen, nun wird es aufwendiger: Ihr baut eine mechanische Lüftung ein. Das finde ich schade. Aus Angst vor Insekten, Pollen oder Fluglärm hat niemand mehr den Mut, Technik zu reduzieren.
Das Projekt Hortus mit Herzog & de Meuron ist das Aushängeschild von Senn. Dort dekliniert ihr in Sachen Nachhaltigkeit alles durch, was geht – und baut dennoch eine Lüftung ein ?
Lukas Senn: Wenn wir uns sicher wären, ohne eine mechanische Lüftung uneingeschränkt vermieten zu können, hätten wir sie weggelassen. Doch wir sind noch auf der Su-
che nach weiteren Nutzern und wissen nicht, worauf diese sich einzulassen bereit sind. Die heutigen Ansprüche sind enorm hoch. Da geht es schnell mal um Mietzinsreduktion, wenn eine Sonnenstore nicht funktioniert. Über die Lüftung haben wir lange diskutiert. Es gibt innenliegende Sitzungszimmer und allenfalls in den Mieteinheiten später abgeteilte Räume, die belüftet werden müssen. Das machen nun Verbundlüfter in den Türen.
Roman Hermann: Das hat auch mit dem SIA zu tun. Die Normen verschärfen sich immer mehr. Das ist ein ungünstiger Kreislauf: Immer höhere Ziele und Ansprüche. Immer das technisch Machbare. Ich bin in einer SIA-Kommission und weiss, wie es funktioniert. Dort den gesunden Menschenverstand reinzubringen, ist sehr schwierig. Im Arbeitsgesetz steht, die Raumtemperatur muss zwischen 21 Grad und 26 Grad betragen. Wie gehen wir damit um ?
Annette Gigon: Die gesteigerte Anspruchshaltung ist eines der Grundprobleme des Aufrüstens beim Bauen. Und sie wird gestützt durch Vorschriften, Normen und Versicherungspraxis. In der Ausbildung kann man Suffizienz diskutieren, aber unsere Ansprüche und auch die gesetzlichen Grundlagen sind gegeben. Das Mietgesetz räumt zum Beispiel ein Rückerstattungsrecht ein, wenn die Räume kälter als 20 Grad sind.
Lukas Senn: Wir konzipierten und simulierten einmal ein Wohnbauprojekt ohne Heizung. Die Raumtemperaturen befanden sich nur an wenigen Tagen im Sommer und im Winter ausserhalb des Bereichs von 22 Grad bis 26 Grad. Wir denken in 365 Tagen und legen uns ere Anlagen darauf aus. Wir verschwenden.
Wie üblich ist nach der Fertigstellung eines Gebäudes die weitere Begleitung der Gebäudetechnik?
Roman Hermann: Kaum. Nach der langen Planungs- und Bauphase verhalten sich alle ein wenig wie Fahnenflüchtige. Sie sind froh, wenn die Abnahme erfolgt ist, und wollen nichts mehr vom Projekt hören. Eigentlich ist das falsch. Beim Kunstmuseum in Chur haben wir eine gute Erfahrung gemacht: Das Gebäude wurde im Januar fertiggestellt und eröffnete im Juni. Dazwischen hatten die Kuratorinnen Zeit, es in Betrieb zu nehmen. Der Kanton beauftragte uns, sie die ersten zwei Jahre zu begleiten. Was ich dabei gelernt habe: Das Personal war so mit dem Hängen der Bilder beschäftigt, dass die Fragen und Sorgen erst später
kamen. Im Rahmen der Betriebsoptimierungen lernen wir dazu und erleben die Akteure meist als sehr lösungsorientiert. Man sollte mit der Auftraggeberin einen Dialog führen, dann wedelt sie später auch nicht mit einem eingeschriebenen Brief.
Lukas Senn: Wir arbeiten oft mit einem Betreiber, der sich um die Anlage kümmert. Das Monitoring der Betriebsdaten ist uns wichtig, auch im Zusammenhang mit der Betriebsoptimierung. Es ist aber auch eine Chance, die Technik zu verstehen und dies in die Entwicklung einfliessen zu lassen. Auch im Bürohaus Hortus bauen wir viele Sensoren ein, um zu sehen, wie das Gebäudeklima ist. Irgendwann müssen wir nachweisen, dass unsere Berechnungen stimmen. Das geht nur durch Messen.
Annette Gigon: Wir haben gute Erfahrungen gemacht, zum Beispiel mit der minimalen Lüftungsinstallation bei der Erweiterung des Kunstmuseums Winterthur, die wir schon Mitte der 1990er-Jahre mit Werner Waldhauser geplant hatten. Weniger gute Erfahrungen gab es auch schon bei einfachen Nutzungen, wie Wohnbauten, wenn das Einstellen Monate dauerte.
Die Differenz zwischen den Zahlen der Planung und der späteren Messung im Betrieb nennt man ‹ Performance Gap ›. Vor einigen Jahren war der in aller Munde. Ist er heute kein Problem mehr?
Roman Hermann: Doch, noch immer. Damals haben wir das diskutiert, auch im SIA – und daraus gelernt. Für viele grössere Gebäude verlangt die Baugenehmigung nun eine Betriebsoptimierung und Begleitung. Was bleibt, ist die Schwierigkeit, das Gerechnete und Gemessene miteinander zu vergleichen, denn die Nutzenden müssen sich auch so verhalten, wie es vorgesehen war.
Lukas Senn: Auch bei institutionellen Anlegern stehen Betriebsoptimierung und zwei Jahre Begleitung mittlerweile in den Verträgen.
Annette Gigon: Daten zum Energieverbrauch unserer Gebäude zu bekommen, ist für uns immer wieder schwierig. Nur von wenigen Projekten haben wir die Zahlen. Dazu gehört der Brunnenhof, eine Siedlung für kinderreiche Familien. Die gemessenen Kennwerte der Heizung waren dort doppelt so hoch wie die projektierten. Vielleicht wegen
der vielen Balkontüren, durch die die Kinder ein und aus gehen? Oder waren die Berechnungen zu optimistisch ?
Unsere Erfahrung ist, dass der Verbrauch fast niemanden mehr interessiert.
Die Gebäudetechnikbranche hält oft am Bewährten fest. Wie wichtig ist das Experimentieren?
Roman Hermann: Es ist wichtig, neugierig zu bleib en. Aber auch hier braucht es alle Akteure: die Architektin und eine Bauherrschaft, die bereit ist, Risiken mitzutragen, und nicht nur auf Normen verweist. Wenn es auch mal 29 Grad sein darf, hat man viele Möglichkeiten. Wenn 26 Grad die Komfortgrenze ist, bedeutet das meistens einen Kühlbedarf. Experimente zeigen, dass es auch anders geht.
Annette Gigon: An der Hochs chule hat man Freude am Experiment, in der Praxis eher nicht. Mittlerweile lassen sich beachtlich viele Pilotprojekte messen und auswerten. Erst Fakten und Zahlen zeigen, was eine Lösung wirklich gebracht hat. Um etwas bewirken zu können, brauchen wir erprobte, günstige Lösungen, die wir breit anwenden können. Experimente sind auf die Risikofreudigkeit der Bauherren, Spezialistinnen und Architekten angewiesen –und auf einen langen Atem über die Erstellung hinaus. Die Verschärfung einer Norm, das nächste Update einer Gerätesoftware, ein Wechsel der Nutzenden oder des FacilityManagements darf nicht alles Errungene neu in Frage stellen. Es braucht dringend Verbesserungen, Wandel und Fortschritt und dabei auch eine Gesamtbetrachtung, damit die Massnahmen in der Summe zu einer wesentlichen Reduktion des CO2-Ausstosses führen – s o rasch wie möglich und über 2050 hinaus. ●
Verlässliche Planung für die Kunst
Erweiterung Bündner
Kunstmuseum, 2016
Bahnhofstrasse 35, Chur
Bauherrschaft: Kanton
Graubünden
Architektur: Barozzi Veiga,
Barcelona
Gesamtkosten ( BKP 1 – 9 ):
Fr 28,5 Mio
Baukosten ( BKP 2 / m3 ):
Fr 920.—
Gesamtkosten Sanierung
Villa Planta ( BKP 1 – 9 ):
Fr 5,3 Mio
Baukosten HLKK:
Fr 1,85 Mio
Leistungen
Waldhauser + Hermann:
– Energiekonzept
– HLK-Planung und Fachkoordination
– Begleitung in den ersten beiden Betriebsjahren ( Phase 61 )
Seit über 100 Jahren befindet sich das Bündner Kunstmuseum in der Villa Planta in Chur. Das spanische Architekturbüro Barozzi Veiga vergrösserte mit seinem 2016 fertiggestellten Neubau die Museumsfläche auf das knapp Dreifache. Um der Villa Raum zu lassen, legte es drei Viertel des Gebäudes unter den Boden. Das Foyer im Neubau ist Eingangshalle, Bücherladen und Laderampe in einem. In den Geschossen darüber befinden sich Ateliers, ein Vermittlungsraum und ein Saal für Sonderschauen. Der Grossteil liegt jedoch unterirdisch: Zwei Ausstellungsgeschosse, die je so viel Platz bieten wie der Altbau. Das erste Untergeschoss ist wie die Villa in Kammern gegliedert, im zweiten befindet sich ein grosser Saal mit zwei Treppenkernen in der Mitte. Sachlich, beinahe steril ist die Atmosphäre. Im starken Kontrast zur reich geschmückten Villa sind die Materialien hier auf Grautöne aus Beton, Metall und Glas beschränkt. Nur wenige Installationen stören die weissen Wände, die ohne Fussleisten auf den makellosen Böden stehen. Eine umlaufende Schicht zwischen den Stützmauern und den Ausstellungswänden sorgt für das unsichtbare Führen der Medien.
Da kein Minergie-P-Standard für Museen definiert ist, war eine vergleichbare Kenngrösse das Ziel. Ein Fernwärmenetz liefert die Wärme. In den Ausstellungsräumen in den Untergeschossen sowie im Foyer dient eine Fussbodenheizung zum Wärmen und Kühlen, in den übrigen Räumen wärmt sie nur. Die Verteilung der Wärme erfolgt durch die Doppelwände und die zentrale Steigzone. Eine Klimaanlage mit möglichst geringem Luftwechsel übernimmt die Konditionierung der Ausstellungsräume. Die Luft wird durch Schlitze, die sich entlang der Lichtdecken befinden, eingeblasen. Weitere Schlitze entlang der Aussenwände saugen die Abluft aus den Räumen. Eine eigene Lüftungsanlage im obersten Geschoss belüftet die oberen Etagen. Dort könnten auch eine Kühlung und eine Befeuchtung nachgerüstet werden, sollten sich die Anforderungen in den Werkstätten erhöhen. Die Kühlung und Klimatisierung übernimmt eine Kältemaschine im untersten Geschoss, die Rückkühlung ein Trockenrückkühler auf dem Dach. Die Abwärme dieser Maschinen wird zurückgewonnen und für die Nachwärmung der Luft und – theoretisch –auch für die Bodenheizung genutzt. ●
Der grosse Saal des Stadtcasinos Basel von 1876 zählt aufgrund seiner hervorragenden Akustik zu den besten Konzertsälen der Welt. Legendär war allerdings auch die schlechte Qualität der Raumluft, denn der Saal war nicht mechanisch belüftet. Der Einbau einer Vollklimaanlage mit Frischluft für knapp 1500 Personen in den denkmalgeschützten und akustisch hochsensiblen Saal war höchst anspruchsvoll: Innenräumlich durfte nichts verändert werden und der Platz für Technik in dieser Grössenordnung war nicht vorhanden. Man fand ihn im Dachstock über dem Musiksaal und in einer neuen Unterkellerung.
Die aufbereitete und gekühlte Zuluft wird über einen Druckboden unterhalb der Saalbestuhlung eingeblasen und über ein grossflächiges Oberlicht abgesaugt. Verschiedene Lösungen wurden vorab im Labor ausgemessen und Akustikfachpersonen begleiteten das Projekt während der gesamten Planungs- und Bauzeit. Dieser Aufwand zahlte sich aus: Die gute Raumakustik blieb erhalten und eine hervorragende Raumluftqualität kam hinzu.
Nun versorgen zwei Vollklimaanlagen den Musiksaal teilredundant mit Frischluft. Die konditionierte Zuluft wird in den Hohlboden geführt und unterhalb der Stühle in den Saal eingeblasen. Die Abluft wird zentral über das Oberlicht gefasst. Weitere Lüftungsanlagen versorgen den kleinen Saal sowie den Erweiterungsbau mit Foyer und Nebenräumen mit aufbereiteter Frischluft. Das Gebäude wird via Fernwärmenetz geheizt, zwei teilre dundante wass ergekühlte Kompaktkältemaschinen übernehmen die Kälteproduktion. Die Rückkühler kühlen zugleich die Elektroräume. Sowohl die Raumlufttemperatur als auch die CO2-Konzentration wird stetig überwacht, um die Klimaanlagen bedarfsgerecht zu betreiben. ●
Erweiterung Stadtcasino Basel, 2020
Konzertgasse 1, Basel
Bauherrschaft: CasinoGesellschaft Basel
Architektur: Herzog & de Meuron, Basel
Auftragsart: Direktauftrag, 2012
Kosten ( BKP 1 – 9 ): Fr. 65,25 Mio.
Baukosten HLKK: Fr. 5 Mio.
Leistungen
Waldhauser + Hermann: – Planung HLKK
– Fachkoordination
– Energetische Betriebsoptimierung
Stadtcasino Basel: Zur guten Akustik ist nun auch eine gute Lüftung hinzugekommen.
« Es ist wichtig, Dinge auszuhandeln »
Anna Jessen, Andrea Klinge und Stefan Waldhauser über das Lehren von Gebäudetechnik und darüber, was die Architekten von den Ingenieurinnen erwarten und umgekehrt.
Sie alle bilden Architekturstudierende aus. Wie haben die Klimaziele Ihre Lehre verändert?
Anna Jessen: Im Rahmen der ArchitekturWerkstatt der OST wählen die Studierenden die Aufgabe ihrer Bachelorthesis selbst und setzen auch selbst ein Team aus Fachplanern zusammen. Bei den Aufgaben lassen wir nun offen, ob gebaut oder weitergebaut wird, wie viel und mit welchen Ressourcen. Es gibt Theorieblöcke, die Lehrstoff vermitteln, doch das Herzstück im Lernbereich Prozess + Ress ource ist die angewandte Gebäudeplanung. Wir versuchen zu vermitteln, dass ein gutes architektonisches Konzept nur dann entstehen kann, wenn es auch aus den Fachdisziplinen heraus gedacht ist. Diese Erfahrung habe ich in der Zusammenarbeit mit Waldhauser + Hermann gemacht. Wir betrachten Entwürfe nun grundsätzlich anders und denken viel prozesshafter.
Andrea Klinge: In der Lehre ist es eine Herausforderung, zu entscheiden, wie stark man diesen Wandel vollziehen möchte. Soll man nur noch mit dem Bestand arbeiten? Anders als in Berlin kommen an der FHNW in Muttenz viele Studierende aus einer Bauzeichnerlehre. Die sagen zu Recht: Jetzt studiere ich endlich Architektur und darf nicht mehr neu bauen? Das Wort Kreislauffähigkeit können manche nicht mehr hören. Aber das ist nicht an allen Hochschulen so. Woanders sagen sie: Wir brauchen endlich eine andere Lehre!
Stefan Waldhauser: Ich denke, an der FHNW ist das Thema dank Dozierenden wie dir, Friederike Kluge oder Axel Schubert seit ein paar Jahren präsenter. Und welche Rolle spielen Klimathemen in Ihrer Praxis?
Andrea Klinge: Es klingt überheblich, ab er wir versuchen seit jeher, nachhaltig zu bauen. Anfangs arbeiteten wir häufig in der Denkmalpflege im Mittleren Osten, da unsere Konzepte zu Hause nicht gefragt waren. Später sind wir aus ökologischen Gründen zurück nach Deutschland gegangen, bauten viel mit Holz und waren so eher auf den Neubau fokussiert. Das waren einfach die Möglichkeiten. Jetzt diskutieren wir, ob wir uns wegen der Ressourcen und der Energie auf den Bestand konzentrieren wollen.
Anna Jessen: Unser Büro hat früh im Sinne eines Weiterbauens gedacht. Beim Wettbewerb für das Staatsarchiv in Frauenfeld haben wir intensiv den Bestand mitgenutzt. Das war 2006, als das noch nicht so im Gespräch war. Beim Berufsbildungszentrum, ebenfalls in Frauenfeld, haben wir das Gebäude aus den 1970er-Jahren weitergebaut. Haushälterisch mit allem umzugehen, sich selbstverständlich in einen Kontext einzupassen, das lag uns schon immer nahe.
Wie integrieren Sie die Gebäudetechnik in die Lehre?
Anna Jessen: Marco Waldhauser hat die ArchitekturWerkstatt mitkonzipiert, jedes Projekt verfügt über ein ausgearbeitetes Haustechnikkonzept. Der Gebäudetechniker
Anna Jessen führt seit 1999 zusammen mit Ingemar Vollenweider das Architekturbüro jessenvollenweider in Basel. Sie lehrt an der von ihr konzipierten ArchitekturWerkstatt der Ostschweizer Fachhochschule OST in St. Gallen sowie am Lehrstuhl Städtebau der TU Dortmund.
Stefan Waldhauser ist Mitinhaber, Verwaltungsrat und Geschäftsleiter von Waldhauser + Hermann Nach praktischen Jahren in London und Neuseeland kam der HLK-Ingenieur in die Firma seines Vaters. An der FHNW bringt er Architekturstudierenden Haustechnik bei. Er ist Verfasser und Herausgeber des Handbuchs ‹ Arbeitshilfe Gebäude+Technik ›.
Andrea Klinge ist geschäftsführende Architektin beim Berliner Planungsbüro ZRS. Bauend, forschend und lehrend setzt sie sich mit kreislaufgerechtem Bauen und natürlichen Baustoffen auseinander, zurzeit an der FHNW in Muttenz sowie am Karlsruher Institut für Technologie KIT.
oder die Bauphysikerin sitzen bei manchen Kritiken und Besprechungen mit am Tisch – so entwerfe ich auch im Büro. Das ist sehr betreuungsintensiv, bringt aber viel.
Andrea Klinge: Ich lehre am Institut für Nachhaltigkeit und Energie am Bau der FHNW und habe keinen Entwurfskurs. Ich würde es aber genauso machen. Die integriert geplanten Entwürfe sind sehr lehrreich. Sicherlich bedeuten sie mehr Betreuungsaufwand, aber es ist wichtig, Dinge miteinander auszuhandeln.
Stefan Waldhauser: Ich bearbeite mit den Studierenden ein Übungsprojekt – in der Regel ein Neubau in der Region –, das belüftet, beheizt und passiv oder aktiv gekühlt wird. Die Studierenden lernen auf eine sehr praktische Weise unterschiedliche Möglichkeiten und Techniken kennen, auch damit sie sich eine Meinung bilden können. Wir können Technik nicht immer vermeiden.
Eine universitäre Ausbildung in Gebäudetechnik gibts nur an der Hochschule Luzern, Studierende beider Disziplinen können dort gemeinsam an Projekten arbeiten. Bedauern Sie das?
Stefan Waldhauser: Dieses Modell überzeugt mich nicht. In der Ausbildung, gerade auch als Quereinsteiger, sollte man zuerst seinen Bereich möglichst gut kennenlernen. Jemand Unerfahrenen aus der Haustechnik sollte man nicht mit Architekturstudierenden zusammenbringen. Wenn wir Letzteren die Gebäudetechnik näherbringen, sollten Studierende der Gebäudetechnik konsequenterweise auch Unterricht in Architektur erhalten!
Andrea Klinge: Könnte das Heranführen an eure Fachdisziplin nicht auch damit b eginnen, ein Gebäude zuerst ohne Technik zu denken? Und wenn ihr ein angenehmes Raumklima mit Architektur nicht mehr hinbekommt, fangen wir Schritt für Schritt damit an, technische Systeme hinzuzuziehen. Wäre das etwas?
Anna Jessen: An der TU Dortmund s ollen die Bauingenieure mit den Architektinnen zusammenarbeiten. An der OST, zu der die ArchitekturWerkstatt gehört, sollen die Landschaftsarchitektinnen mit den Architekten zusammenarbeiten. Das sind grundsätzlich richtige Ideen, aber sie funktionieren an beiden Orten bis heute nur bedingt und unter grossen Kraftanstrengungen. Du kannst nicht einfach die Studierenden zusammen in ein Zimmer stecken und glauben, das werde dann schon. Die Studierenden müssen möglichst früh verstehen, dass Haustechnik
keine nur dienende Disziplin ist – Fachplanenden in der Schweiz fällt das noch immer schwer. Sie nehmen sich komplett aus der Konzeption raus – und damit auch aus der Verantwortung. Die Gebäudetechnik muss sich zu einer konzipierenden Instanz entwickeln, zu einer massgeblichen Akteurin des Entwurfs. Wir wissen ja längst, dass wir nur im Team ein Haus zum Stehen bekommen.
Ist das auf der Architekturseite denn allen so klar?
Anna Jessen: Wir sind gerade dab ei, uns von einer Generation von Architekten zu verabschieden, die der Meinung waren, dass sie diejenigen seien, die entwerfen, und die anderen ihnen zuarbeiten. Der HLK-Unterricht würde zuerst einmal grundsätzlich die physikalischen Grundlagen vermitteln und thematisieren, wie man früher damit umging. So lernt man, in welcher Tiefe man in einen Entwurf technisch eingreifen sollte. Technik wegzulassen, ist intellektuell viel aufwendiger, als sie hineinzuplanen.
Andrea Klinge: Wertschätzung finde ich wichtig. Wir müssen die Ingenieurinnen anders einbinden. Wir arbeiten mit einem tollen Planungsbüro aus München zusammen. Solange es mit im Team ist, ist alles super, aber wir kriegen das nicht immer durch. Wenn dann stattdessen ein anderer Fachplaner dazukommt, der ganz anders tickt, wird es schwierig. Ihm Verantwortung zu geben, ist wichtig und muss schon an der Hochschule anfangen. Was kann der ideale Gebäudetechniker?
Andrea Klinge: Mitdenken. Und sich nicht nur als Dienstleister verstehen, sondern aktiv mitentwerfen. Er sollte auch in der Lage sein, einen Entwurf zu verstehen. Er sollte einer Architektin sagen können: Sorry, aber das geht in eine falsche Richtung. Beim Tragwerk sind wir diesbezüglich weiter: Wenn du mit einer fantastischen Tragwerkingenieurin zusammenarbeitest, verändert das deine Architektur. So sollte es auch mit der Haustechnik sein.
Und was bringt eine ideale Architektin mit?
Stefan Waldhauser: Sie sollte es als Bereicherung sehen, etwas zusammen zu entwickeln. Meinen Studierenden sage ich immer: Euer Ziel sollte ein Gebäude sein, das so gut ist, dass es möglichst wenig Technik benötigt. Es geht darum, dass ihr die Architekten unterstützt.
Anna Jessen: Unterstützen reicht mir nicht. Ich möchte jemanden, der mitkonzipiert, der aufgrund der Lüftungsströmung auf schlüssige Raumzusammenhänge kommt. Ich glaube, das führt zu besseren Entwürfen.
Ist die frühzeitige interdisziplinäre Projektarbeit tatsächlich ein unumstrittenes Credo? Abgrenzungen können einen Prozess auch einfacher machen.
Anna Jessen: Das hat viel mit Per sönlichkeit zu tun. Manche Fachplaner versuchen, uns die Fassade ‹ besser › aufzuzeichnen. Wir haben damit kein Problem, müssen ihnen dann aber manchmal sagen, dass dies wenig Sinn macht. Als Architektinnen müssen wir lernen, dass wir als Choreografinnen der räumlichen Form auch Moderatorinnen eines integrativen Prozesses sind. Unsere Lehrer hätten uns für diese Aussage noch verachtet.
Was macht die Schweiz bei der Gebäudetechnik besser als andere Länder und von wem sollte sie was lernen?
Andrea Klinge: Es gibt viel weniger Normen in der Schweiz. Und die Baukultur ist sehr hochstehend.
Anna Jessen: Die Deutsche Industrienorm wird vornehmlich von Ingenieurinnen gemacht, die Architekten haben sich bis jetzt wenig reingehängt. Die Normen in der Schweiz macht der SIA, also Ingenieurinnen und Architekten zusammen. Das ist entscheidend.
Andrea Klinge: DIN steht für Deutsches Institut für Normung. Diese « Deuts che Industrienorm » ist eine Verballhornung, weil die ganze Industrie da mitmischt. Selbst die Ingenieure reden nicht mehr mit, sondern nur noch die Wirtschaft. Sie schraubt die Standards immer weiter hoch. Gute Gebäudetechnik ist robust, schlank und tolerant. Einverstanden?
Anna Jessen: Vorhin fiel das Wort Angemessenheit. Welche Rollen spielen der Ort und das Programm? Es gilt, vieles zusammenzubringen, zu beurteilen, was in welchem Fall das Richtige ist. Man sollte Methoden lernen, keine Rezepte. Das ist anstrengend. Vor allem für Fachplaner, die es gewohnt sind, Rezepte abzuarbeiten.
Welche Rolle spielt die Gebäudetechnik beim zirkulären Bauen?
Andrea Klinge: Das haben wir noch nicht geknackt. Beim zirkulären Bauen geht es ja um Systemtrennung. Haustechnik hat eine kurze Lebensdauer. Deshalb lautet unser Credo: Je weniger, desto besser. Und auch da wird es helfen, enger und gleichberechtigt mit allen Beteiligten zusammenzuarbeiten. Auch bei uns im Büro waren wir Architekten immer die grossen Zampanos und die Ingenieure standen weniger in der Öffentlichkeit. Ich finde das falsch.
In der von Ihnen publizierten ‹ Arbeitshilfe Gebäude + Technik › danken Sie Ihrem Vater «für das Vorleben des Andersdenkens». Wie sah dieses aus?
Stefan Waldhauser: Mein Vater hat das hinterfragt, was als gesetzt galt. Er versuchte stets so wenig Lüftungen wie möglich einzusetzen und war offen für alternative Lösungen. Das konnte ich nachvollziehen. Jetzt habe ich einige Berufserfahrungen und ein eigenes Haus mit Lüftung und Luftheizung. Darüber bin ich froh – denn ich s ehe die Stellschrauben und kann jetzt mitreden. Um etwas zu verurteilen, musst du wissen, wovon du sprichst.
Anna Jessen: Wir kennen die Lösung unserer Probleme noch nicht wirklich. Das hat dieses Gespräch schön gezeigt. Gott sei Dank ist das so – das kann auch eine Chance sein. Vielleicht haben wir die Lösung nie gekannt, sondern nur so getan. Die Trennungen zwischen Architektur und Landschaftsarchitektur, zwischen Architektur und Gebäudetechnik werden aufbrechen.
Andrea Klinge: Die Herausforderungen sind extrem. Manchmal desillusioniert mich das. Aber beim Bauen haben wir einen riesigen Hebel. Was muss Architektur heute leisten? Die Antwort finden wir, wenn wir uns alle zusammen an den Tisch setzen. ●
Das vor 80 Jahren gegründete S chweizerische Tropeninstitut trägt heute den Namen Swiss Tropical and Public Health Institute ( TPH ). Der Neub au auf dem BaseLinkAreal in Allschwil ermöglichte das Zusammenführen der diversen Standorte und neuen Aufgabenbereiche. Das hiess auch: unterschiedliche Nutzungen und Anforderungen zu einem neuen Ganzen formen, und dies in einem Gebäude mit einer Grundfläche von 94 auf 38,5 Meter. Nach aussen geben horizontale Fassadenbänder aus Sichtbeton den unteren Laborgeschossen und den oberen Büroetagen ein gemeinsames Gesicht. Im Innern verbindet ein zentrales Atrium mit plastischer Wendeltreppe aus Beton die beiden ungleichen Bereiche.
Die Technik eines Laborgebäudes lässt sich kaum reduzieren. Eine möglichst hohe Energieeffizienz erzeugt man hier durch Optimierung aller notwendigen Einrichtungen. Eine gute Grundlage dafür bietet das Arealnetz: Das Gebäude bezieht die benötigte Kälte aus diesem Netz; überschüssige Abwärme aus der Labornutzung wird darüber den anderen Bauten zur Verfügung gestellt. Labore müssen vor allem gekühlt werden. Bei geringeren Lasten schafft das die Lüftung. Bei höherer und konstanter Last unterstützen Kühldecken mit Zuluft. Bei sehr hoher Last kommen gezielt Umluftkühlgeräte zum Einsatz. Die Büroetagen werden konventionell über Decken-Heiz-KühlSysteme beheizt oder gekühlt, oder über eine Fussbodenheizung beheizt. Die Technikzentralen für die Labore befinden sich vor allem im Untergeschoss, diejenigen der Büros vor allem auf dem Dach. Dadurch beeinträchtigen die grossen Schächte der Labore die räumliche Flexibilität der darüber liegenden Bürogeschosse kaum. ●
Swiss Tropical and Public Health Institute, 2022 Kreuzstrasse 2, Allschwil BL Bauherrschaft: Universität Basel, vertreten durch das Swiss TPH Architektur: Kunz und Mösch, Basel
Auftragsart: Eingeladener Wettbewerb 2017
Kosten ( BKP 1 – 9 ):
Fr. 1 14 Mio.
Baukosten ( BKP 2 / m3 ): Fr. 1035.—
Baukosten HLKK: Fr. 15 Mio.
Leistungen
Waldhauser + Hermann:
– Wettbewerb
– Planung HLKK
– Fachkoordination HLKSE
– Organisation und Durchführung von integrierten Tests
Erneuerung Energiezentrale Wärmeverbund
Oberwil-Therwil, 2019
Erlenstrasse 60, Therwil BL
Bauherrschaft: Wärmeverbund Oberwil-Therwil AG
Architektur: Brüg-
ger + Schwarz, Münchenstein
Gesamtkosten:
Fr 6,2 Mio
Baukosten HLKK:
Fr 3,5 Mio
Leistungen
Waldhauser + Hermann: – Gesamtleitung
– Planung Energiezentrale
Die Gemeinden Oberwil und Therwil gründeten 1994 zusammen mit der Firma Primeo Energie, damals EBM, den Wärmeverbund Oberwil-Therwil. Mit zwei Energiezentralen versorgt dieser heute rund 250 öffentliche und private Liegenschaften, darunter Schulhäuser, ein Einkaufscenter oder die Gemeindeverwaltung. Für die Modernisierung und den Ausbau der Heizzentrale auf dem Areal der Abwasserreinigungsanlage ( ARA ) Birsig schlug Waldhauser + Hermann verschiedene Varianten vor. Mit dem Einsatz von erneuerbaren Energien kann der Wärmeverbund nun effizienter und umweltfreundlicher betrieben werden. Der Eingriff war grundlegend: Nach dem Demontieren und Neubauen der Anlagetechnik erzeugen nun eine Abwasser-Wärmepumpe ( 1,6 Megawatt ), zwei Holzschnitzelkessel ( je 0,9 Megawatt ) und ein Ölheizkessel ( 4,2 Megawatt ) die Wärme. Der Ölheizkessel deckt lediglich Spitzenlasten ab. Die Wärmepumpe nutzt verschiedene Wärmequellen: gereinigtes Abwasser, Rauchgase der Holzkessel – sogenannte Abgaskondensation – und die Raumluft der Heizzentrale. Da das gesamte ARA-Areal unterkellert ist, musste das neue Silo für die Holzschnitzel oberirdisch gebaut werden, was die Brennstofflogistik komplex machte. Die Heizzentrale konnte nur für vier Monate ausser Betrieb genommen werden. Mit dem Ausbau erhöhte sich der Anteil der erneuerbaren Energie am Gesamtwärmemix von 10 Prozent auf bis zu 90 Prozent. Immer wieder finden hier Führungen für Interessierte statt. ●
Die Unkonventionellen
Arbeitsbereiche
– Energiekonzepte
– HLKK ( Heizung/Lüftung/ Klima/Kälte )
– technische und räumliche Fachkoordination
– BIM-Koordination
– Gebäudeautomation
– Fachplanung von Wärmeund Kältezentralen
– Energie - und Nachhaltigkeitsberatung
– Energetische Betriebsoptimierung
– BIM 2 FM
– Viele Vorstandstätigkeiten, Kommissionsarbeit sowie Lehrtätigkeiten
« So viel Klima wie möglich, s o wenig Technik wie nötig. » S o lautete das Inserat, das Waldhauser + Hermann vor einigen Jahren in hiesigen Fachmagazinen schaltete.
Seit 50 Jahren entwickelt die Basler Firma einfache und zugleich überzeugende Konzepte: Im Jahr 1973 gründete Werner Waldhauser zusammen mit seinem ehemaligen Lehrmeister Dieter Studer das Ingenieurbüro für Installationstechnik Studer + Waldhaus er. Ab 1985 führte Werner Waldhauser es mit sechs Mitarbeitenden unter dem Namen Ingenieurbüro für Haustechnik Werner Waldhauser weiter und entwickelte es zu einem der führenden Ingenieurbüros für Haustechnik in der Region Nordwestschweiz. Bekannt wurde das Büro vor allem durch seine unkonventionelle Denkweise: Es sieht den Verzicht auf Technik – wo immer und soweit sinnvoll und möglich – als Herausforderung und Bereicherung.
2001 wurde das Unternehmen in Waldhauser Haustechnik umbenannt und im Hinblick auf die Nachfolgelösung in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Im Jahr 2008 schied Werner Waldhauser aus der Geschäftsleitung aus und übergab die Firma an den mittleren seiner drei Söhne, Marco Waldhauser, und an den langjährigen Mitarbeiter Roman Hermann. Seit 2013 heisst die Firma Waldhauser + Hermann AG. 2016 wurden die langjährigen Mitarbeitenden Margot Matiz, Mario Regis, Christoph Borer und Pascal Emhardt zu Partnern ernannt, 2017 kam Stefan Waldhauser in die Geschäftsleitung.
2023 folgte ein weiterer bedeutender Schritt, als Christoph Borer, Gabriel Borer, Pascal Emhardt und Lars Köppke, nebst den drei Geschäftsführern, zu gleichberechtigten Mitinhabern wurden. ●
Gleichberechtigte
Mitinhaber
Christoph Borer
Gabriel Borer
Pascal Emhardt
Lars Köppke
Roman Hermann
Marco Waldhauser
Stefan Waldhauser
Partner:innen
Mario Regis
Margot Matiz
Geschäftsleitung
Marco Waldhauser ( CEO )
Stefan Waldhauser
Roman Hermann
Mitarbeitende
Albin Luta
Antje Weiss
Az Damdinsuren
Berke Kiris
Bodo Schwarze
Cedric Tschopp
Christoph Borer
Christoph Hagen
David Bitterli
Dilcem Dogan
Dominique Peter
Emanuele Rosamilia
Eva Weidlich
Felix Yanez
Flavio Meier
Gabriel Borer
Gabriel Völlmin
Goran Petkovic
Heinz Umiker
Jan Ehlert
Jana Mleczek
Joël Rieder
Klaus-Peter Jost
Laurin Rothen
Larissa Oeschger
Lars Köppke
Leo Baumstark
Margot Matiz
Mario Regis
Markus Stöckli
Martin Imhof
Maximilian Jositz
Mike Krammer
Pascal Emhardt
Patric Bärtschi
Patrik Werdenberg
Peter Hiller
Philippe Stalder
Philipp Reher
Philipp Speyer
Piero Carpesio
Renato Rui
Sebaudin Kolukaj
Sovannaryn Neth
Stefan Sigwart
Stefanie Bolliger
Tanja Seiler
Thomas Huwiler
Tim Brahaj
Torsten Bartelt
Ugur Citlak
Urs Langhinrichs
Energiezentrale Wärmeverbund Oberwil-Therwil.
Räume atmen
Waldhauser + Hermann plant Konzepte rund um Heizung, Lüftung, Klima und Kälte. Die Basler Firma tut dies zusammen mit Architekten und am liebsten schon in der Entwurfsskizze. Das Ziel: möglichst wenig Technik, möglichst viel Gewinn fürs Klima. In diesem Heft reden Fachpersonen über die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Disziplinen, über Werte und die Rolle der Gebäudetechnik. Es zeigt sechs Beispiele –vom Schulhaus, das fast ohne Technik auskommt, bis zur effizienten Labormaschine. Und das Heft soll ermutigen: zu radikal einfachen Lösungen, zum Mitreden der Gebäudetechniker im Entwurf, und zu einer engen Zusammenarbeit von Ingenieurinnen und Architekten.
www.waldhauser-hermann.ch
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