So wohnt die 10-Millionen-Schweiz

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Themenheft von Hochparterre, März 2021

So wohnt die 10-Millionen-Schweiz

Wie die Megatrends Globalisierung, Digitalisierung, Individualisierung, Migration, Demografie und Klimawandel das Wohnen verändern werden.

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Todesgefahr mit dem Elektroblitz droht dem, der sein Einfamilienhaus nicht nach allen Regeln der Baukunst verdichtet.

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Editorial

Inhalt

4 So wohnt die Schweiz Soziologische, statistische und typologische Erkenntnisse zum Wohnen in der Schweiz.

8 Sechs Megatrends Welche Kräfte den Raum Schweiz in den nächsten Jahrzehnten wie verändern werden.

10 Aussichten in den vier Raumtypen Ein Blick auf die urbanen Gebiete, die ländlich geprägten Räume mit mittelgrossen Städten, auf Jura / Voralpen und den Alpenraum.

12 Richtungsweisende Projekte Gemeinschaftshaus St. Ursula in Brig, Projet Soubeyran, ein Genossenschaftshaus in Genf.

14 Allmende, Partizipation, Landschaft und Eigentum Antworten von Planerinnen und Politikern auf die Mega­trends der Wohnzukunft.

18 Richtungsweisende Projekte Grossüberbauung Oassis in Crissier VD, Wohngebäude mit Kinderkrippe in Auvernier / Milvignes bei Neuenburg.

2 0 Heidi mag die Stadt nicht Wie die Raumplanung in den letzten hundert Jahren das Wohnen in der Schweiz gesteuert hat.

2 4 Richtungsweisende Projekte Uptown Mels in der alten Textilfabrik Stoffel in Mels, Siedlung Burggarta in Valendas.

2 6 Arbeit an der Zone 5 Genf hat grosse Zonen für Einfamilienhäuser. Da soll verdichtet werden, ohne die Landschaft zu gefährden.

Wie die Schweiz wohnen wird Die Zahlensammler des Bundesamtes für Statistik im hohen Glashaus beim Bahnhof Neuenburg haben berechnet, dass die Bevölkerung der Schweiz bis ins Jahr 2040 auf zehn Millionen wachsen wird. Heute sind wir 8,6 Millionen Personen. Diese Zahl ist einflussreich, denn sie leitet die Raum- und andere Planung im Bund, in den Kantonen und in den Gemeinden an. Der Bundesrat hat bei seinem Rat für Raumordnung ( ROR ) auch qualitative Vorstellungen in Auftrag gegeben. Im Bericht über die ‹ Megatrends und Raumentwicklung Schweiz › hat dieser als raumrelevante Megatrends die Globalisierung, die Digitalisierung, die Individualisierung, die Demografie mit der Migration und der Alterung sowie den Klimawandel ausgemacht. Hans-Georg Bächtold, einst Kantonsplaner in Basel­ land, dann lange Jahre Geschäftsführer des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins ( SIA ), war Mit­­glied des ROR. Er regte an, nun zu fragen, wie die Mega­ trends das Wohnen in der Schweiz verändern werden, was Wohnen in der Schweiz heute ist und was Wohnen morgen heissen kann – das Coronajahr hat uns ja eindrücklich vor Augen geführt, wie nötig Veränderungen in der Raum- und Wohnpolitik sind. Und so machten sich der Raumplaner Bächtold und der Soziologe Gantenbein auf zu einer Reise in die Zukunft der Schweiz. Wir hatten viel Vergnügen, weil wir seit vierzig Jahren befreundet sind und in Freundschaftsschönheit dieses Heft geschrieben haben. Raumplanungs-, Wohnungs- und Kulturämter des Bundes, der Kantone und Städte, Genossenschaften und Immobilienfirmen und an Raumplanung interessierte Leute haben es in einer deutschen und französischen Version ermöglicht siehe Rückseite. Ich danke ihnen herzlich für die Grosszügigkeit und ich danke Jaromir Kreiliger für die Fotografien der sechs Orte, an denen in vielfältiger Art Wohnzukunft in der Schweiz aufscheint.  Köbi Gantenbein

Impressum Verlag Hochparterre AG  Adressen  Ausstellungsstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41 44 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag @ hochparterre.ch, redaktion @ hochparterre.ch Verleger  Köbi Gantenbein  Geschäftsleitung  Andres Herzog, Werner Huber, Agnes Schmid  Verlagsleiterin  Susanne von Arx  Konzept und Redaktion  Hans-Georg Bächtold und Köbi Gantenbein  Fotografie  Jaromir Kreiliger, www.jaromirkreiliger.ch  Art Direction  Antje Reineck  Layout  Barbara Schrag  Produktion  Thomas Müller  Korrektorat  Lorena Nipkow, Dominik Süess  Lithografie  Team media, Gurtnellen  Druck  Stämpfli AG, Bern  Herausgeber  Hochparterre, Zürich Bestellen  shop.hochparterre.ch, Fr. 15.—, € 12.—

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So wohnt die Schweiz

Soziologische, statistische und typologische Erkenntnisse zum Wohnen in der Schweiz. Was die Raumplanung daraus ableiten kann, zeigen drei Spekulationen.

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Text: Hans-Georg Bächtold und Köbi Gantenbein

Wer über den Wandel von Lebensstilen und von Wohnbedürfnissen mutmasst, muss zuerst wissen: Raumstrukturen sind über lange Zeit gewachsen. Er muss bedenken, dass Bauten und Anlagen unbeweglich sind. Und er soll beherzigen, dass die Prozesse der Raumplanung mit den gegen­s eitigen Abhängigkeiten und der nötigen Mitwirkung vieler träge sind. Und so muss, wer ins Jahr 2040 schaut, sich der Gegenwart bewusst werden siehe Grafik 1. Wie viel Bauzone, wie viel Siedlungsfläche, wie viele Gebäude gibt es, in denen in den nächsten zwanzig Jahren die Zukunft eingerichtet werden wird ? Fakten studierend wird er feststellen, dass er es – obwohl sich die Lebensund Arbeitsformen aktuell in bisher unbekanntem Tempo verändern – mit einer Stabilität zu tun hat, die nur ein Erdbeben zerstören kann. Die demokratisch beschlossenen Raumstrukturen sind massiv gebaut und in den Köpfen verankert. Wer sie ändern will, braucht einen langen Atem. Genügend Bauzonen Fast die Hälfte der total 232 038 Hektaren Bauzonen sind Wohnzonen – 46 Prozent. Die Fläche blieb von 2012 bis 2017 praktisch unverändert. Gewohnt wird auch in gemischten Zonen, Kernzonen und geringfügig in Arbeitszonen. 2017 lebten rund 8 von 8,4 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern der Schweiz innerhalb der Bauzonen. Die gute Nachricht: Von den 232 038 Hektaren Bauzonen in der Schweiz sind je nach Berechnungsmethode zwischen 25 700 und 40 500 Hektaren noch nicht überbaut. Angenommen, diese Flächen werden vollständig und mit der gleichen Dichte wie bisher überbaut und die Zahl der wohnenden Menschen ausserhalb der B ­ auzone nimmt nicht zu, so bieten sie Platz für 1 bis 1,7 Millionen weitere Menschen. Die Bauzonenfläche pro Person sinkt dann von heute 291 auf 242 Quadratmeter ; eine Fläche, die heute in den Stadtkantonen weit unterschritten wird siehe Grafik 2. Berücksichtigt man neben der Wohnbevölkerung auch die Beschäftigten in den Bauzonen, ergibt sich ein Wert von 181 Quadratmetern Bauzonenfläche pro Person. Die zweite gute Nachricht: 93 Prozent der Bauzonen liegen in Städten, Agglomerationen, Zentrumsgemeinden und zentral gelegenen Gemeinden siehe Grafik 3. Ums Wohnen im Jahr 2040 bekümmert heisst das: Es gibt genug unbebaute Bauzonen, um die zehn Millionen Menschen, die dann in der Schweiz leben werden, gut unterzubringen. Die Verdichtung und der Wandel vom zweiten zum dritten, weniger raumintensiven Wirtschaftssektor vergrössern den Handlungsspielraum. Ein Blick auf die Gemeindetypen zeigt: Die grössten unbebauten Flächen liegen in den städtischen und in den periurba­ nen Gemeinden mittlerer Dichte. Die Umsetzung der ersten Etappe des revidierten Raumplanungsgesetzes von 2014 ist von Carouge GE bis ins Val Müstair GR in vollem Gang. Dem Widerstand gegen die Verdichtung können nur kluge Projekte etwas entgegensetzen, die genügend Freiräume vorsehen und partizipativ eingerichtet werden. Die Innenentwicklung gelingt, wenn es nicht zu viele Verliererinnen und Verlierer gibt, seien die Verluste real oder gefühlt. Und die Umsetzung braucht Zeit und Geduld. Wert und Eigentum Geschätzte 1200 Milliarden Franken waren Ende 2019 in Wohnliegenschaften angelegt. Allein die Pensionskassen investierten von 2004 bis 2017 Altersspargelder von 97 Milliarden Franken in Immobilien. Im Durchschnitt

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1  Wachstum 1995 – 2018 Bevölkerung Stromverbrauch Anzahl Autos Gefahrene Autokilometer 0

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4  Wachstum 2000 – 2018 ( Wohn- und Siedlungsfläche geschätzt. Quelle: BFS / Republik ) Bevölkerung Siedlungsfläche Anzahl Wohnungen Wohnfläche 0

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5  Anzahl Wohnungen, 2019 ( Nach Anzahl der Zimmer, total 4 582 272 ) 1 Zimmer 2 Zimmer 3 Zimmer 4 Zimmer 5 Zimmer 6 und mehr Zimmer 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0 1,1

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6  Zunahme nach Wohnungsgrösse 2000 – 2018 unter 60 m2 60 – 79 m

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verbuchten sie in Basel, Bern und Genf eine jährliche Rendite von rund 6,5 Prozent, in Zürich von fast 8 Prozent. Zwar ist rund die Hälfte damit erklärbar, dass der Wert des Hauses gestiegen ist. Doch im Vergleich zu fast allen anderen Anlagen sind das hohe, beständig fliessende Erträge. Nicht allein der hohe Standard von der Plättlifuge bis zur virtuos betonierten Tiefgarage, sondern vor allem der Bodenpreis und der private Profit sind die Treiber der hohen Wohnkosten. Das Bundesamt für Wohnungswesen stellt in einem Bericht von 2020 fest: « Fast ein Viertel der Haushalte in der Schweiz lebt in einer unbefriedigenden Wohnsituation, ( … ) weil die Wohnkosten sie zu arg belasten oder weil die Wohnung Defizite aufweist. » Werfen wir also noch einen Blick auf aktuelle Eigentumsverhältnisse. Rund 57 Prozent aller Wohnungen in der Schweiz gehörten im Jahr 2019 Privatpersonen. Ein Drittel der Mietwohnungen war im Besitz von institutionellen Investoren, gefolgt von Genossenschaften ( 8 Prozent ) und klassischen Immobilienfirmen ( 7 Prozent ) – 49 Prozent aber gehören Privatleuten. Es gibt also keine Dominanz der professionellen Investoren. Allerdings erhöhten sie ihren Anteil seit dem Jahr 2000 von 23 Prozent auf 33 Prozent. Die Schweiz ist ein Mietervolk; nur 38 Prozent haben Wohneigentum. Gemäss Umfragen will ein grosser Anteil (73 Prozent ) der Mieter Eigentum, aber nur 12 Prozent sparen auf dieses Ziel. Ende 2017 befanden sich in der Schweiz 2,2 Millionen Haushalte ( 59 Prozent ) in einer Mietwohnung. Die städtischen Kantone Basel-Stadt ( 84 Prozent ) und Genf ( 78 Prozent ) weisen den höchsten Anteil an Mietwohnungen auf, die Kantone Wallis ( 39 Prozent ) und Jura ( 42 Prozent ) hingegen die tiefsten. Betrachtet man die Wohnkosten, stösst man auf Ungleichheit. Seit 1998 ist ihr Anteil am Haushaltsbudget der einkommensschwächsten Haushalte gestiegen, ab 2006 hat er sich stabilisiert. 2012 / 14 betrug der Wohnkostenanteil für diese Haushalte 31 Prozent, bei den einkommensstärksten hingegen waren es nur gerade 10 Prozent des verfügbaren Budgets. 46 Quadratmeter Wohnfläche pro Person Zwischen 1985 und 2009 haben die ­Siedlungsflächen noch um 584 Quadratkilometer zugenommen ; die Wohnfläche stieg im Vergleich zum Bevölkerungswachstum überproportional siehe Grafik 4. Langsam aber wird in der Schweiz dichter gewohnt. Von 2012 bis 2017 sank die durchschnittliche Bauzonenfläche pro Einwohnerin von 309 auf 291 Quadratmeter. In der Schweiz gab es Ende 2019 rund 4,6 Millionen Wohnungen siehe Grafik 5. Im Durchschnitt waren diese Wohnungen 102,3 Quadratmeter gross und verfügten über 3,7 Zimmer. Die Wohnfläche pro Person betrug durchschnittlich 46 Quadratmeter. Enger leben die Genfer mit bloss 41,8 Quadratmetern. In der Genferseeregion sind die bewohnten Wohnungen mit durchschnittlich 95 Quadratmetern signifikant kleiner als im Schweizer Durchschnitt. In diese kleinen Wohnungen müssen sich auch mehr Menschen drängen: Während gesamtschweizerisch im Durchschnitt 1,9 Personen auf eine 3-Zimmer-Wohnung kommen, sind es in Genf 2,4. Die Deutschschweizer Regionen Nordwestschweiz ( 106 Quadratmeter ), Zentralschweiz ( 108,8 Quadratmeter ) und Ostschweiz ( 109,6 Quadratmeter ) weisen die höchsten Durchschnittsflächen pro bewohnte Wohnung auf. In den letzten zwanzig Jahren sind anteilsmässig mehr grosse Wohnungen entstanden siehe Grafik 6. Dabei zeigt sich: Je grösser die Wohnung, desto grösser fällt auch die Wohnfläche pro Person aus. →

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Zweite Spekulation: Familie als zähes Auslaufmodell Für das Wohnen im Jahr 2040 heisst das für die Raumplanung: Das Einfamilienhaus bleibt in den ländlichen und periurbanen Raumtypen strukturbildend. Es ist wohl von einer Abflachung des Booms, nicht aber von einem Ende auszugehen – trotz der hohen individuellen und gesellschaftlichen Kosten dieser Wohnform. Stark wachsen

7  Art der Wohngebäude, 2019 ( Total 1 756 927 ) Einfamilienhäuser Mehrfamilienhäuser Wohngebäude mit Nebennutzung Gebäude mit teilweiser Wohnnutzung 0 0,1

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9  Geschosszahlen der Wohngebäude, 2019 ( Total 1 756 927 ) 0,9 Mio. 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0

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4 5 und mehr Geschosse

10  Haushaltsgrössen, 2019 ( Total 3 833 594 ) 1 Person 2 Personen 3 Personen 4 Personen 5 Personen 6 und mehr Personen 0

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8  Bestehende Wohngebäude nach Baujahr E FH ( total 1 000 700 = 100 % ) MFH ( total 475 801 = 100 % )

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Erste Spekulation: Vielwohnerei fordert heraus Für das Wohnen im Jahr 2040 heisst das für die Raumplanung: Es ist davon auszugehen, dass die erste Etappe der Revision des Raumplanungsgesetzes ( RPG 1, in Kraft seit 2014 ) von den Kantonen mit Druck auf die Gemeinden umgesetzt wird. Das bedeutet, es entstehen nur noch wenige neue Bauzonen an zentralen Lagen und mit besonderen Anforderungen an das Bauen und an die Freiflächen. Die begrenzten Bauzonen und die steigenden Immobilienpreise infolge knapper werdenden Angebots, aber auch neue Wohnbedürfnisse und -formen lassen die Wohnfläche pro Person in Zukunft bei 45 Quadratmetern stagnieren. Auch eine verbesserte Erreichbarkeit dank ausgebauter bekannter und neuer Mobilität verhindert eine zusätzliche Zersiedelung. Trotz wachsender Bevölkerung wird das Wachstum der Siedlungsfläche und Wohnareale weiter abflachen. Zu beachten ist aber die Entwicklung des multilokalen Wohnens – des Lebensstils mit Wohnen und Arbeiten an mehreren Orten. 28 Prozent der Schweizer Bevölkerung haben mindestens einen zweiten Wohnsitz, und viele arbeiten an verschiedenen Orten und immer mehr unterwegs. Diese verschwenderische Lebensweise hat Auswirkungen auf die Raum- und Verkehrsplanung, auf die Siedlungsentwicklung und die Architektur. Die Corona­ pandemie zeigt, dass Zweitwohnen ausserhalb der Städte an Attraktivität gewinnt. Die Boden- und Wohnungspreise in den Berggebieten haben 2020 merklich angezogen. Rund achtzig Prozent der existierenden Gebäude werden wohl auch 2040 noch zum Bestand gehören. Ende 2019 wurden in der Schweiz 1,76 Millionen Gebäude mit Wohnnutzung gezählt siehe Grafik 7. Die Schweiz ist ein Einfamilienhausland: 57 Prozent der Häuser sind Einfamilienhäuser. Darin wohnen rund 28 Prozent der Menschen. Der Bestand an Einfamilien­ häusern übertraf erstmals eine Million ( 1 000 700 ). In knapp der Hälfte ( 46 Prozent ) wohnte aber nur eine oder zwei Personen. Anteilsmässig am wenigsten Einfamili­ enhäuser stehen im Kanton Zug ( rund 33 Prozent ). In Basel-Stadt ist der Anteil der Menschen in Einfamilienhäusern mit etwa 12 Prozent am kleinsten. Der Stadtkanton Genf bildet mit 57 Prozent Anteil Einfamilienhäusern den Schweizer Durchschnitt ab. Untersuchungen zu den Wünschen ans Wohnen geben dem Einfamilienhaus konstant hohe Werte. Diese Wohnform hat die Schweiz im 20. Jahrhundert denn auch strukturell und mental weitaus am stärksten geprägt. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte der bis heute mehr oder weniger ungebrochene Boom ein siehe Grafik 8. Besonders Familien mit Kindern bevorzugen ein Einfamilienhaus. So wachsen knapp 37 Prozent aller Kinder in dieser Wohnform auf. Betrachten wir noch die Gebäudehöhen. 88 Prozent der Einfamilienhäuser und 77 Prozent aller Gebäude mit Wohnnutzung haben nur zwei oder drei Geschosse. Bei den Mehrfamilienhäusern und den Gebäuden mit Nebennutzung weisen mehr als zwei Drittel ( 71 Prozent ) drei und mehr Stockwerke auf. Über 90 Prozent der Wohnhäuser sind aber weniger als fünf Geschosse hoch siehe Grafik 9. Seit 2000 ist der Anteil von Gebäuden mit zwei und drei Geschossen gestiegen. In der Erhöhung der Geschosszahl steckt denn auch ein grosses Potenzial zur Verdichtung.

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wird der Sanierungsbedarf der Einfamilienhäuser. Deren grosse Menge ist in den Siebziger- und Neunzigerjahren realisiert worden und hat einen wachsenden Bedarf an neuem Komfort und energetischer Sanierung. Einfamilienhäuser und Umschwung sind grosse Bauzonenreserven. Es ist aber falsch, jeden Garten als Verdichtungsort zu sehen. Das Verdichten von Einfamilienhausquartieren heisst zu oft bauliche Verunstaltung und Verschwinden von Frei- und Zwischenraum. Und es schafft eine höhere Mobilität mit zunehmender Zahl von Autoabstellplätzen. Raumplanerisch nötig ist, Möglichkeiten des Anbauens auf der Grenze zum Nachbarn zu testen, damit grössere Freiflächen entstehen. Und es sind Quartierzentren zu erstellen mit attraktiven, altersgerechten Wohnungen und quartierbezogenen, sozialen Infrastrukturen. In sich verdichtenden Einfamilienhausquartieren verlangt die zunehmende Mobilität und Parkierung nach klugen Lösungen, zum Beispiel mit Sammelgaragen. Und sie verlangt vor allem, dass der öffentliche Verkehr mit neuen, flexiblen Formen ausgebaut und das Privatauto entschiedener aus dem Raum und den Köpfen der Menschen verdrängt wird. Es ist unhaltbar, wie die Vorzüge des Einfamilienhauses mit dem Privatauto verknüpft sind. Ende 2019 gab es in der Schweiz rund 3,8 Millionen Privathaushalte. Die durchschnittliche Haushaltsgrösse beträgt 2,21 Personen. Mit über 1,3 Millionen ist aber der Solohaushalt die grösste Einheit. Zunehmend wird diese Wohnform bewusst gewählt – auch von Paaren, oder sie ergibt sich durch den Tod des Partners oder der Partnerin. Hervorstechend: Basel-Stadt mit einem Anteil von 47 Prozent, gefolgt von den Kantonen Tessin und Neuenburg mit 40 Prozent. Appenzell Innerrhoden, Freiburg und Genf zählen mit 24 und 22 Prozent die meisten Grosshaushalte ( Haushalte mit vier oder mehr Personen ). In gut einem Drittel aller Haushalte lebt nur eine Person ; 16 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung leben so. In knapp einem Drittel der Haushalte wohnen zwei Personen, 30 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung siehe Grafik 10. Die Veränderung der herkömmlichen Familie lässt sich an der Statistik der letzten fünfzig Jahre ablesen: Es gibt heute dreimal mehr Einpersonenhaushalte und mehr als doppelt so viele Einelternhaushalte mit Kindern als 1970. Die klassische Familie ist zwar ein Auslaufmodell, aber es ist zäh: Noch 72 Prozent der Familienhaushalte in der Schweiz bestehen aus Verheirateten mit Kindern. Dieser Anteil ist konstant geblieben. Die zweithäufigste Familienform ist mit 15,5 Prozent der Einelternhaushalt. Dahinter folgen mit 6,5 Prozent die Erstfamilien, gefolgt von Fortsetzungsfamilien ( 2,6 Prozent ). Gleichgeschlechtliche Paare bilden mit 0,1 Prozent eine verschwindende Minderheit. Eine wohnsoziologisch markante Eigenart und zugleich wohl eine der eindrücklichsten Erfolgsgeschichten der Schweiz – sie gilt auch für ähnlich reiche Länder vorab in Mittel- und Nordeuropa und Japan – sind die Lebensformen der alten Menschen: Sie pflegen wohl erstmals in der Menschheitsgeschichte ihren ganz eigenen Lebensstil. Lapidar heisst das: Die Wohnsituation und der Alltag alter Menschen unterscheidet sich kaum noch von denjenigen der Jüngeren, ausser dass sie über mehr freie Zeit verfügen und sich mit Gebresten plagen müssen, bei denen ihnen aber ein stetig wachsendes Gesundheitsgewerbe hilft. Immer mehr Alte bleiben in Teilzeit werktätig. Sie wollen weiterhin dort leben und wohnen, wo sie es gewohnt sind. Die Wohnfläche der Menschen über achtzig Jahren nimmt pro Kopf am stärksten zu. Und sie wohnen typischerweise in eigenen Einfamilienhäusern, solange es irgendwie geht. Das heisst denn auch: Insgesamt leben weniger als

zehn Prozent aller Menschen über 65 Jahren in einer institutionellen Wohnform. Selbst bei den Menschen ab achtzig Jahren beträgt der Anteil nur knapp 16 Prozent. Was aber auch zu beobachten ist: Wie nie zuvor in der Geschichte der Schweiz können Menschen über sechzig selbstbestimmt ein neues Kapitel ihrer Wohnbiografie aufschlagen: Sie zügeln in eine andere Stadt oder aufs Land. Allerdings ist es erst eine kleine Minderheit, die ihre gewohnte Wohnform im grossen Einfamilienhaus verlässt und in eine Geschosswohnung zieht. Dritte Spekulation: Überalterung als Chance Für das Wohnen im Jahr 2040 heisst das für die Raumplanung: Die alternde Gesellschaft wird im Jahr 2040 die Schweiz prägen. Der Anteil der über 64-Jährigen wird mit 25,6 Prozent ein Viertel der Bevölkerung ausmachen. Personen über achtzig werden rund 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen, das sind doppelt so viel wie 2015. Ab und zu als Last beschrieben, ist die Alterung eine grosse Chance für die Gesellschaft. Zahlreiche Erfindungen für den komfortablen Betrieb und die Assistenz alter Personen werden die Grundrisse der Wohnungen verändern. Neue Lebensstile, Ichbezogenheit, Individualismus, der starke Einzug der Frauen in die Berufswelt verlangen nach neuen Wohnformen: ‹ Gemeinschaft auf Zeit › wird die individuelle Kleinwohnung im anonymen Block ablösen. Das gemeinschaftlich ausgerichtete Wohnen setzt sich bei einem wachsenden Teil der Bevölkerung durch, auch die intergenerationelle Zuneigung wächst. Ein Anzeichen dafür ist zurzeit ja die Solidarität, mit der sich die junge Generation den Lebensstil einschränken lässt, um die stärker vom Corona-Tod bedrohten Alten schützen zu helfen. Neue Wohnform heisst: Es ist möglich, allein zu wohnen und doch nachbarschaftlich vernetzt zu sein. Lebensqualität wird dank gemeinschaftlich genutzter Räume und Zusammenleben mit Austausch geschaffen. Mehrgenerationenhäuser mit Ausstrahlung ins Quartier wirken belebend auf ihre Umgebung. Altersheime und reine Alterssiedlungen aber werden langsam verschwinden – es wird bald ein Thema sein, wie sie geschickt umgenutzt werden könnten, für Grosshaushalte zum Beispiel. Die raumplanerischen Antworten auf diese Entwicklungen werden in zwei Richtungen weisen: Erstens müssen Instrumente greifen, die den Wohnungsmarkt verflüssigen, indem sie alternden Menschen wirtschaftlich und sozial attraktive Angebote bereitstellen, zum Beispiel in Form von Quartierzentren oder von Mehrgenerationenhäusern, damit sie den Konsum von Wohnfläche verringern. Dafür müssen Gemeinden eine zielführende Bodenpolitik wagen und in die Zuteilung von Wohnraum eingreifen. Und das heisst zweitens, dass das Umfeld der Wohnungen in viel stärkerem Mass geplant werden muss. Dafür ist die Freiraumplanung das richtige Instrument. Die bisherige Ortsplanung mit periodischen Gesamtrevisionen wird, weil die Zonen in den Gemeinden im Grundsatz zugeteilt und kaum noch vergrössert oder massgeblich verändert werden können, ersetzt durch ein Raummanagement. Die Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten werden pro Quartier analysiert und mit der Grundeigentümerschaft besprochen. Das Instrument dafür ist die Testplanung. Nötig ist dann aber, die Erkenntnisse in den Rahmennutzungsplan einzufügen, je nach Ort auch mit Bau- und Strassenlinien ; nötig ist es, Grundstücke abzutauschen und der Gemeinde Land für attraktive Frei­ flächen abzugeben, und nötig wird auf jeden Fall, dass die Gemeinden Planer nicht nur als Zukunftszeichner, sondern als versierte und handfeste ‹ Kümmerer › einsetzen.

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Sechs Megatrends Der Rat für Raumordnung ( ROR ) sagt, welche Kräfte den Raum Schweiz in den nächsten Jahrzehnten wie ver­ändern werden.

Individualisierung Die Individualisierung ist ein gesellschaftlicher, von demografischen und ökonomischen Veränderungen ab­ hängiger Mega­trend. Er verstärkt die Multioptionsge­sell­ schaft. Tradierte gesellschaftliche Zuordnungen wie etwa die Religion oder das ­G eschlecht verlieren an Bedeutung. Dazu kommt die volle Integration der Frau in die Arbeits­ welt. Die traditionelle Familie wird zunehmend durch Part­ nerschaften und durch Haushaltsformen auf Zeit ersetzt. Verpflichtungen, die früher die Familie übernommen hat, werden an die Gesellschaft und an den Staat aus­gelagert – Kinderbetreuung, Alterspflege und Sicherung der Subsis­ ­ ateriellen und sozialen Überlebens. Vor tenz, also des m allem in den urbanen Zentren wachsen die Dienste und Räume dafür. Immer mehr Menschen bevorzugen es, trotz einer Paarbeziehung ganz oder teilweise in einer eigenen Wohnung zu leben. Die Gemeinschaftlichkeit, die Nach­ barschaft und das lokale Engagement werden dennoch an Bedeutung gewinnen. Migration In der Schweiz wächst die Bevölkerung trotz einer ­tiefen Geburtenrate seit ­Jahrzehnten konstant dank Im­ migration und wird dadurch heterogener. 37 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren haben einen Migrationshintergrund. Etwas mehr als ein Drittel dieser Bevölkerungsgruppe ( 958 000 Personen ) verfügt über die Schweizer Staats­angehörigkeit. Globalisierung und Bevölkerungswachstum Seit 1865 hat die Wohnbevölkerung in der Schweiz ste­ tig zugenommen und sich seit 1945 praktisch verdoppelt. 2019 lebten 8,6 Millionen Menschen in der Schweiz. Das Bundesamt für Statistik ( BfS ) rechnet damit, dass 2050 bereits 10,4 Millionen Menschen im Land wohnen wer­ den. Man kann das bekämpfen, man kann es bestreiten, die Datenreihen der Forscher sagen: Es wird so werden. Vorab um den Genfersee und im nordöstlichen Mittelland, in einem Gürtel, der vom Kanton Aargau bis nach St. Gal­ len reicht, werden wesentlich mehr Menschen leben als jetzt. Setzen Genf, Waadt, Zürich, Schaffhausen, Zug, St. Gallen und Aargau ihr Wachstum fort, so leben dort in dreissig Jahren gut 650 000 Menschen mehr als im Rest der Schweiz. Dagegen werden weniger Menschen als heu­ te südlich und östlich des Alpenkamms leben. Auch im zentralen Mittelland, im Kanton Bern, wird die Einwohner­ zahl unterdurchschnittlich ansteigen. Das Bevölkerungswachstum hat entscheidend mit dem Megatrend Globalisierung zu tun. Er beschert der Schweiz Wachstumsgewinne und er sorgt für das Wachs­ tum der Bevölkerung dank Ein­wanderung. Als Reaktion auf die Globalisierung und auf das Wachstum der Bevölkerung, so der ROR-­B ericht, gewinnen Werte wie ‹ Heimat › und ‹ Identität › an Bedeutung. Das manifestiert sich am wach­ senden Stellenwert von lokaler ­Baukultur, von schützens­ werten Orts­bildern und intakten Landschaften.

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Klimawandel Der Klimawandel trifft mit Hitzeperioden und extre­ men Wetterereignissen die Schweiz und vor allem auch ihre städtischen Räume in bisher unbekannter Art. In den Bergen kommt es vermehrt zu Felsstürzen, Rutschungen und Steinschlägen. Wo der Schutz der Menschen nicht mehr möglich ist, werden dauerhaft bewohnte Siedlun­ gen aufgegeben. Die Auswertungen der Gefahrenkarten der 26 Kantone zeigen, dass 25 Prozent der Bauzonen und über 30 Prozent der Verkehrsinfrastruktur in der Schweiz durch Hochwasser gefährdet sind. Zieht man noch die Ge­ fährdung durch Oberflächenabfluss in Betracht, so sind mehr als zwei Drittel aller Gebäude und damit die Woh­ nungen von rund einer Million Menschen von Hochwas­ ser bedroht. In den gefährlichsten Gebieten stehen unter ­anderem 100 Schulen und zehn Kliniken.  Digitalisierung Die Digitalisierung schafft die Grundlagen für die Industrie 4.0. Sie wird Arbeitsplätze, die in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich aus der Schweiz fortgezogen sind, zurückbringen. Sie wird die Mobilität verändern und neue Geschäfts- und Arbeitsmodelle bedingen. Für den ­Alltag bringt die Digitalisierung Vereinfachung und Hilfe. Es gibt neue Arbeits- und Arbeitszeitmodelle. Arbeit kann dank Vernetzung der Arbeitsplätze an beliebigen Orten getan werden. Die Arbeitgeber werden weniger Kapital an fixe Arbeitsplätze binden. Der Raumbedarf für Arbeit wird flexibler ; die Mobilität wird sich über den Tag vertei­ len. Peripheren Orten bietet die Digitalisierung und die mit ihr ver­bundene Abnahme der Bedeutung von Distanz neue Chancen ; sie gewinnen als Rückzugs- und Ferienorte an Bedeutung – das Leben wird dank der Digitalisierung raum­unabhängiger. Demografie Die Schweizer Bevölkerung ist im Lauf des 20. Jahr­ hunderts deutlich älter ­geworden. Die Zuwanderung von vor­wiegend jüngeren Menschen hat die Alterung der Be­ völkerung in den vergangenen Jahren statistisch jedoch etwas kompensiert. Heute gelten als Lebenserwartung der Männer 81,9 Jahre und der Frauen 85,6 Jahre. Der An­ teil der über 64-Jährigen ist von 5,8 Prozent im Jahr 1900 auf 18,1 Prozent im Jahr 2017 angestiegen und wird laut den Bevölkerungsszenarien des Bundesamts für Statistik im Jahr 2040 über einen Viertel der Bevöl­kerung ausma­ chen ( 25,6 Prozent ). Personen über 80 Jahre machen rund 10 Prozent der Bevölkerung aus, das ist gegenüber 2015 eine Verdoppelung. Die städtischen Kantone sind weniger stark gealtert, da stets junge Erwachsene zuwandern und ältere abwandern. Dagegen leben in den Kan­tonen Uri, Tessin, Obwalden und Nidwalden deutlich mehr Personen im Renten­alter, was auf die Abwanderung der jungen Er­ wachsenen und die Zuwanderung von älteren, gut situier­ ten Personen zurückzuführen ist. Regional wird sich die Altersstruktur unterschiedlich entwickeln: In den Kanto­ nen Schwyz, Freiburg, Thurgau, Obwalden und Aargau ist mit einer Verdoppelung der Anzahl Personen über 65 Jah­ re zu rechnen.  Lesestoff Rat für Raumordnung, Megatrends und Raumentwicklung Schweiz, Bern 2019. 812.117.d; Bundesamt für Raumentwicklung, Trends und Herausforderungen – Zahlen und ­Hintergründe zum Raumkonzept Schweiz, Bern 2018, 812.110.d; www.bundespublikationen.admin.ch

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Das Gemeinschaftshaus St. Ursula in Brig ist auch das Haus der Kinder, die in einem Garten ohne Zaun unterwegs sein können siehe Seite 12. Themenheft von Hochparterre, März 2021 —  So wohnt die 10-Millionen-Schweiz — Sechs Megatrends

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Aussichten in den vier Raumtypen Zwei Grossstädte sind 2040 Wachstumsmotor. Ländliche Räume mit Kleinstädten erblühen, Voralpen erwachen und der Jura schläft. Die Alpen leben auf und werden Wildnis. Text: Hans-Georg Bächtold

2040 haben sich zwei zusammenhängende Grossstädte – Zürich-Basel und Lausanne-Genf – ausgebildet und ihre Agglomerationen mit den fragmentierten städtischen und ländlichen Merkmalen eingebunden. Sie sind die Wachstumsmotoren der schweizerischen Wirtschaft. Im urbanen Raumtyp konzentrieren sich auch die Standorte des Wissens, der Forschung und Entwicklung und der Arbeitsplätze. Drei Viertel der Schweizer Bevölkerung leben dann in diesen beiden Räumen und in der Hauptstadtregion Bern. Die bestehenden und an zentralen Orten geringfügig ergänzten Bauzonen sind aufgebraucht. Die noch vorhandenen, nicht mehr benötigten reinen Arbeitszonen sind umgenutzt – für Wohnen und Erholung ; ebenso nicht mehr im vollen Umfang benötigte Verkehrsflächen wie die Rangierbahnhöfe Limmattal ZH oder Muttenz BL. Die kantonalen Raumplanungen haben die Zentren gestärkt. In den Gemeinden sind Quartierzentren entstanden. Mit einer Wohnraumpolitik, die auch ins private Eigentum eingreift, sind allmählich Umzüge aus den Einfamilienhauszonen realisiert worden. Zu den zentralen Herausforderungen gehören erstens die hohen Boden- und Immobilienpreise, die bewirken, dass es auf längere Sicht zu wenig zahlbare Wohnungen gibt. Zweitens die wachsende Ungleichheit. Drittens die heisser werdenden Sommer. Viertens der Dichtestress, der, wenn auch subjektiv geprägt, den politischen Diskurs bestimmen wird. Die Kumulation dieser Faktoren kann dazu führen, dass die Attraktivität der Zentren abnimmt.

ung wird ihm stark zusetzen, einzelne Kleinstädte werden im uniformen Einerlei untergehen. Andere werden das Wachstum mit urbaner Qualität verbinden: Innen- statt Aussenentwicklung mit attraktiven Wohngebieten ; hochwertige Baukultur und vielfältige Freiräume, entschiedener Ausbau des öffentlichen und Langsamverkehrs und massiver Abbau des Autoverkehrs. Die raumplanerischen Bemühungen um städtische Dichte im Mittelland und in peripheren Räumen wie dem Wallis, dem Reusstal oder dem Tessin tragen Früchte. Zwar prägen immer noch kleinparzellierte Einfamilienhauszonen die kleineren Ortschaften. Es gibt aber schon etliche Beispiele, wie deren Eigentümer sich zusammengefunden und gemeinsam Ideen für eine sinnvolle und angepasste Verdichtung realisiert haben, mit der sie den Charakter ihres Quartiers erhalten konnten. Die traditionellen Stadt- und Dorfkerne erweisen sich für diese Gemeinden als identitätsstiftend. Das ISOS – das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung – ist auch 2040 noch ein weltweit einzigartiges Instrument der Raumplanung für die Siedlungsentwicklung. Geraten ist das Miteinander der Bauerei des ungemeinen Booms der letzten zwanzig Jahre mit Planungen und Bauten, die auf die Anforderungen von Eigenart, Spielraum und Flexibilität antworten konnten.

Schlaf im Jurabogen, Erwachen in den Voralpen Kommen wir zum dritten Raumtyp. Das Wachstum der Bevölkerung ist im Kanton Jura in den Jahren 2010 bis 2018 mit 4,8 Prozent unterdurchschnittlich ( S chweiz 8,6 Prozent ). Der Jura bleibt geprägt von den Einfamilien­ häusern. Sie machen zwei Drittel des Hausbestands aus, und fast die Hälfte der Menschen wohnt in ihnen. Der Wohnungsleerstand 2020 ist mit 2,5 Prozent überdurchDie Blüte der kleinen Stadt im Mittelland Am Rande der Ballungszentren gibt es 2040 als zwei- schnittlich hoch. Zwar hat es die Uhrenindustrie im Juraten Raumtyp den noch weitgehend ländlich geprägten bogen geschafft, die Krise der Achtzigerjahre zu überRaum mit mittleren und kleineren Ortschaften und klei- winden, und produziert heute unter erfolgreichen Labels neren Städten, etwa im Mittelland oder im Tessin. Dieser wieder für den Weltmarkt. Die Stärke und die Schwäche Raumtyp verfügt über grosse Baulandreserven. Die Bebau- bleibt aber die ökonomische Struktur, die stark von der

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Spezialisierung geprägt ist. Ihre Kehrseite hält sich hartnäckig: Eine residenzielle Ökonomie, die von lokalen Einkommen und ausgabefreudigen Neuzuzügern getragen wird, wird kaum gefördert. Trotz herausragender Standortgunst dank Autobahnen und Schnellzughalten haben sich die Gemeinden im Jura als Wohnstandorte nur langsam entfalten können. Das Gebiet zwischen den Metropolen und den Bandstädten am Jurasüdfuss bleibt eine Region, die den Megatrends wenig entspricht. Mit den attraktiven Landschaften wird der Jurabogen das Naherholungsgebiet für das Mittelland. Voraussetzung ist die raumplanerische Koordination über die Kantonsgrenzen hinweg und das Überwinden der institutionellen Zerstückelung. Die Voralpen profitieren von der guten Erreichbarkeit aus den Grossstädten im Mittelland und von der sinkenden Bedeutung herkömmlicher Standortgunst – Beispiele sind Obwalden oder das Glarnerland. Wie im Jura dominieren auch da weiterhin die Einfamilienhauslandschaften. Die Frage nach dem Sinn urbaner Wohnformen auf dem Land hat noch keine Antwort gefunden. Das Entlebuch und Emmental, das Toggenburg und das Appenzell etablieren sich als entlegener Wohn- und Freiraum für die angrenzenden dichten städtischen Regionen. Renaissance des Dorfs – Wildnis in den Alpen Zu den alpinen Räumen als viertem Raumtyp zählen die Kantone Uri, Obwalden, Nidwalden, Glarus, Graubün­ den, das Wallis sowie Teile der Kantone Tessin, Bern und Waadt. Die Fläche dieser Kantone entspricht einem Anteil von nahezu fünfzig Prozent der Gesamtfläche der Schweiz. In den Kantonen der inneren Alpen lebten 2014 aber nur zwölf Prozent der Schweizer Bevölkerung – 2040 werden es noch acht Prozent sein. Ein grosser Erfolg der Raumpolitik in der Schweiz war im 20. Jahrhundert die gesellschaftliche Integration der alpinen Räume in die Wohlstandsschweiz. Doch auch in den Alpen werden die Disparitäten zwischen peripheren Tälern und den Wachstumsregionen in den Talkesseln zunehmen. So wird sich zwischen Domat / Ems GR und dem Bodensee 2040 eine trinationale Bandstadt ausgebildet haben. Im unteren Reusstal rund um Altdorf entwickelt sich die Neustadt Uri, und im Wallis im Rahmen der dritten Rhonekorrektur werden die beiden Alpenstädte Brig-Visp sowie Sierre-­Sitten den Kanton noch stärker prägen als heute. Im Tessin strahlt die Dreistadt Bellinzona-Lugano-Locarno über Biasca weit in die alpinen Täler aus. Mit grossen städtebaulichen Anstrengungen wird es gelingen, die Defizite der Bandstadt – die geringere Dichte, das Fehlen eines städtischen Kerns und dichter wirtschaftlicher Clusterstrukturen – auszugleichen. Die Digitalisierung und die damit verbundene Abnahme der Bedeutung von Distanz eröffnen den peripheren Rückzugsgebieten Möglichkeiten. Auch als Folge des Klimawandels gewinnen Gemeinden in den Bergen in den Sommermonaten als Rückzugs- oder Ferienorte vermehrt an Bedeutung. Es gibt eine Renaissance des Dorfes, deren Bedingung allerdings ein substanzieller Transfer von Wissens-, sozialem und materiellem Kapital bleibt. Und es braucht vor allem Menschen, Kümmerer, die vorhandene Spielräume erkennen und etwas damit anstellen. Und nötig bleibt der konstante Ausgleich der Finanzen zwischen den Kantonen und auch innerhalb der Alpenkantone. Trotzdem: Einige Gebiete im Urnerland, im Tessin und in Graubünden werden – auch wegen der Klimafolgen – zu Wildnis­gebieten, in denen der Wolf, der Bär, der Luchs den Hirsch und das Reh jagen, während der Uhu zuschaut, der Waldgeist herumirrlichtert und das Gestrüpp die Kulturlandschaft zudeckt.

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Wohnraum für die 10-Millionen-Schweiz Gemäss dem Referenzszenario des Bundesamts für Statistik wird die Schweizer Bevölkerung im Jahr 2040 die 10-Millionengrenze überschritten haben. Damit einher geht eine zunehmende Nachfrage nach Wohnraum. Was bedeutet dies für die Wohnraumpolitik? Ich plädiere dafür, dass die Wohnraumpolitik bei sich selbst beginnt. Sie muss sich fragen, wie sie zu einer breit akzeptierten und nachhaltigen Siedlungsentwicklung beitragen kann. Dazu fünf Thesen: – 1. Bezahlbares Wohnen: Wohnen ist und bleibt für viele Menschen einer der grössten Posten im Haushaltsbudget. 15,5 Prozent der Haushalte müssen mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für das Wohnen einsetzen. Die Verfügbarkeit von preisgünstigem Wohnraum bleibt ein wichtiges Ziel der Schweizer Wohnraumpolitik. Dies umso mehr, als der Anteil der gemeinnützigen Wohnungen am Wohnungsangebot eher rückläufig ist. – 2. Identitätsstiftendes Wohnen: Wohnen ist dort, wo sich die Menschen zu Hause fühlen. In einer globalisierten Welt suchen viele Menschen nach einer Umgebung, die ihnen Identität und Geborgenheit vermittelt. In der Wohnung ist dies ihre Aufgabe. Im Aussenraum und an den Gebäuden sind dafür Architektinnen und Stadtund Gemeindeplaner zuständig. Dazu gehört auch das Schaffen der richtigen Rahmenbedingungen und Mitwirkungsprozesse. – 3. Quartierorientiertes Wohnen: Wohnen hört nicht an der Wohnungstüre auf. Zu einem guten Wohnumfeld gehört auch die unmittelbare und weitere Umgebung. Eine Umgebung, in der die Dinge des täglichen Bedarfs, Begegnungsorte und Treffpunkte in Geh- oder Velodistanz erreichbar sind. Mit der wachsenden Bedeutung von Homeoffice gehören auch die Verpflegungsmöglichkeiten – mobil und stationär – dazu. Das Quartier wird zum Lebens- und Begegnungsraum. – 4. Flexibles Wohnen: Wohl wie kaum je zuvor prägen unterschiedliche Lebensstile die Gesellschaft – auch auf­ grund der demografischen Entwicklung und der Migration. Wohnformen sollen Individualität und Zusammengehörigkeit verbinden. Arbeiten und Wohnen suchen ein neues Verhältnis. Die Wohnbedürfnisse sind nicht in jeder Lebensphase gleich. Diese Feststellungen rufen nach einer Überprüfung derzeitiger Wohnungsgrundrisse, nach flexiblen Wohnformen und Experimentierfeldern. – 5. Klimaverträgliches Wohnen: Der Klimawandel bleibt eine der grössten Herausforderungen. Trotz Fortschritten stammt rund ein Viertel des CO2-Ausstosses aus Gebäuden. Das Ziel einer erneuerbaren Energieversorgung im Bestand bleibt von hoher Priorität. Hinzu kommt der Umgang mit Hitzewellen: Wohnquartiere sind so zu planen, dass sie gut durchlüftet sind und genügend Grünflächen und Bäume aufweisen. Martin Tschirren, Direktor des Bundesamtes für Wohnungswesen ( BWO )

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Gemeinschaftshaus

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Das Gemeinschaftshaus St. Ursula mit zehn Woh­ nungen für Menschen in verschiedenen Lebens­ lagen steht auf einer Wiese am Stadtrand von Brig. Es hebt sich deutlich von den monotonen Blöcken der Umgebung ab. Ein Treppenhaus und zwei Seitenwände aus Beton halten das Holzhaus aufrecht und beieinander. Der Grundriss mit offe­ nen Treppenhäusern, grossen Gängen, gemein­ samer Waschküche und Gemeinschaftsraum im Dachgeschoss ist auf Beziehungen, Gleichge­ wichte und Begegnungen hin ausgerichtet, die Schönheit des Innenausbaus, der Garten, die grossen Küchen und Gänge in den Wohnungen bieten eine Alternative zum Wohnen im Einfa­ milienhaus. Ein Parkhaus musste sein, es steht weitgehend leer. Dafür stehen zahlreiche Velos herum. Die Schwestern von St. Ursula haben in diesem Projekt einen Teil des Geldes angelegt, das sie mit dem Verkauf ihrer Schulanlagen an den Kanton Wallis verdient haben. Es soll nicht Rendite bringen, sondern kostengünstigen, schö­ nen Wohnraum schaffen. Die Zukunftswerte sind: Grundrisse auf Ge­ meinschaft und Nachbarschaft hin entwickelt, Mietwohnung als Alternative zum das Wallis be­ stimmenden Einfamilien- und Eigentumswoh­ nungsbau, hohe bauhandwerkliche Qualität, Ge­ brauchs- und Kostenmiete. Grosse, gemeinsam genutzte Aussenräume. Gemeinschaftshaus St. Ursula, 2019 Riedbachstrasse 26, Brig Bauherrschaft:  Schwestern von St. Ursula, Brig Architektur:  Walliser Architekten, Brig ; Architekturbüro Sona, Porto / PT ; Leentje Walliser Holzbauingenieure:  Makiol Wiederkehr, Beinwil am See Investition:  Fr. 5,6 Mio.

Genossenschaftshaus

Weihnachten 2017 war es so weit: Die Genos­ senschaften Équilibre und Luciole konnten mit dem Projet Soubeyran in Genf Servette ihr Gross­ wohnhaus einweihen. Ein Block mit 38 Woh­ nungen für gut 120 Personen, Geschäftsräume im Erdgeschoss, Gemeinschaftsraum, eine ge­ meinsame Waschküche, Gästezimmer, Räume, die einzeln gemietet werden können, eine Dach­ terrasse, Pflanzbeete für alle und 160 Fahrrad­ stellplätze, aber nur ein paar wenige Plätze für Autos im Pflichtparkhaus, das zum Gewerbehaus geworden ist. Die Konstruktion erfüllt die Normen des Kantons Genf für ‹ sehr hohe Energieleis­ tung ›. Eine Besonderheit ist die Ausfachung und Dämmung der Konstruktion mit Senkkästen, ge­ füllt mit Stroh. Eine weitere der hohe Anteil Ei­ genleistung der Bewohner. Die Balkone vor den Wohnräumen an der Südfassade sind über einen Korridor gestaffelt, der alle Wohnungen in jedem Stockwerk miteinander verbindet. Auch die inter­ nen Verbindungen sind mit Gängen und Plätzen auf Begegnung und Beziehung hin eingerichtet. Zukunftswerte sind: Renaissance der Ge­ nossenschaftsbewegung, tiefe Wohnkosten, die Mi­nimierung des Wohnraums pro Person, eine hohe Dichte an sozialen Kontakten, abgebildet im Grundriss, den Architekten und Bewohnerin­ nen miteinander entwickelt haben, Selbstbau als Baukostensenker. Wesentlich ist die soziale und kulturelle Verknüpfung des Wohnhauses mit dem Quartier und der Geschichte der Wohngenossen­ schaften in Genf.  Projet Soubeyran, 2017 7 rue Soubeyran, Genf Bauherrschaft:  Coopérative Équilibre, Coopérative Luciole, Genf Architektur:  Atba architecture + énergie, Genf, Stéphane Fuchs Investition:  Fr. 15,8 Mio.

1  Gemeinschaftshaus St. Ursula in Brig, Erdgeschoss.

2  Projet Soubeyran in Genf, Erdgeschoss.

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1  Die Schwestern von St. Ursula in Brig bauten mit Blick auf Gemeinschaft und Nachbarschaft.

2  Ein Grosswohnhaus für 120 Personen bietet das Projet Soubeyran der Genossenschaften Équilibre und Luciole in Genf-Servette. Themenheft von Hochparterre, März 2021 —  So wohnt die 10-Millionen-Schweiz — Richtungsweisende Projekte

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Allmende, Landschaft, Eigentum und Partizipation Die Antworten von Planerinnen und Politikern auf die Mega­trends der Wohnzukunft heissen Allmende und Landschaft. Es bleibt die Frage: Wem gehört der Boden ?

Prozesse verbessern

Wohnungsbau ist kein Thema

« Raumplanung hat wenig zu sagen zur Wohnzukunft. Sie hat auf Ebene der Gemeinde ausser gut zureden kein grif­ figes Instrument, um auf Megatrends zu antworten. Es ist Sache der privaten und öffentlichen Bauträger, mit ihren Projekten darauf zu reagieren. Die Raumplanung kann mit strategischen Instrumenten wie kommunalen Richt­ plänen einen Rahmen vorgeben. Wohnqualität kann mit städte­baulichen Vorgaben unterstützt werden. Nötig aber ist, die Planungsprozesse zu verbessern. Bisher wurde die Wohnnachfrage auf der grünen Wiese gelöst. Mit der ersten Etappe der Revision des Raumplanungsgesetzes ( RPG 1 ) ist nun die Wohnzukunft mit der Innenentwicklung verknüpft. Das erhöht den Koordinationsaufwand und sorgt für Konflikte. Projekte kommen nur mit Kooperation der Grundeigentümer und der Partizipation der Bevölke­ rung voran. Diese zu lenken, ist eine zentrale Aufgabe der Raumplanung. Nötig ist auch Wohnpolitik. Und das heisst Bodenpolitik, die der öffentlichen Hand zum Beispiel mit Vorkaufsrechten genügend Boden sichert. »  Frank Argast lei-

« Wenn wir über Nachhaltigkeit, Zukunftsfähigkeit und Technologie sprechen, gerät unser Tun im und für den Wohnungsbau ganzheitlich in den Fokus: Was machen wir eigentlich, wie gestalten wir unser Leben ? Die Schweiz wird da zur Blase. Im Hintergrund schaffen Banken Wohl­ stand, dessen Quellen wir nicht im Detail kennen wollen, die Gebrüder Freitag bauen eine Fabrik, die PVC-Blachen verarbeitet, in Basel gibt es Chemie und im Mittelland den einen oder anderen hochspezialisierten Betrieb der Elek­ tro- oder Maschinentechnik. Wir publizieren, gestalten, eröffnen Szenerestaurants, sind unglaublich kreativ und kritisch. Das alles mit einem Mehrfachen des uns zuste­ henden CO2-Budgets und in völliger Ignoranz der Lebens­ verhältnisse der Restwelt. Wir können doch nicht Wohnflä­ chen verdreifachen, Multiplexkinos und Einkaufs­zentren bauen, ohne die Frage nach dem Gegenwert, dem Wert, zu stellen. Vermutlich entsteht der längst nicht mehr im han­ delnden Austausch von Produkten, sondern als jährliche Aufblähung von Bilanzen mit immateriellen Werten, insbe­ sondere einer Inflation der Bodenpreise. Und so fordere ich: Hört auf, über Wohnungsbau zu reden ! Die Grundris­ se des schweizerischen Wohnungsbaus sind auf einem Niveau ziseliert, das weltweit einmalig ist. Es sind auch schon einige Überlegungen zu demografischem Wandel, Sharing, Allmenden und zu neuer Gemeinschaftlichkeit eingeflossen, von denen andere lernen können. Jetzt geht es um die entscheidende Frage: Weshalb und wozu woh­ nen wir ? Was machen wir mit unserer Lebenszeit, wie tra­ gen wir koloniale und ausbeuterische Schulden ab, und welchen Beitrag leisten wir zu Technologien, die zukunfts­ fähig sind ? Meine Hoffnung: Wenn in der Schweiz wieder über Forschung und materielle Produktion gesprochen wird, die digitalisiert und höchst spezialisiert sein muss, aber auch so banale Dinge wie Handwerk und Landwirt­ schaft relokalisiert, finden wir auch wieder eine gegensei­ tige Wertschätzung über soziale und räumliche Gräben hinweg, können wir die ungeliebte ‹ Gebrauchsschweiz › als Teil des Landes qualifizieren und wertschätzen und un­ seren Wohlstand in eine zukunftsfähige Bescheidenheit überführen.»  Andreas Hofer ist Architekt, er leitet die Internationale

tet die Raumentwicklung & Planung im Amt für Städtebau der Stadt Zürich und präsidiert den Fachverband Schweizer Raumplaner ( FSU ).

Weg mit dem Rechenschieber

« Zwischen Olten und Oensingen ist einer der dynamisch­s­ ten Räume der Schweiz. Die gesellschaftlichen, ökonomi­ schen und ökologischen V ­ eränderungen treffen hier auf einen Raum, der ohnehin schon seit Jahrzehnten in Bewe­ gung ist. Wird hier die von Experten des Bundes zitierte ‹ attraktive Städtekette › zur Entlastung der Grosszentren Zürich, Basel und Bern in der 10-Millionen-Schweiz Reali­ tät ? Zunächst ist festzuhalten: Raumplanung ist keine ex­ akte Wissenschaft. Deshalb weg mit dem Rechenschieber. Experimentierfreude darf sein ! Raumplanerinnen sollen Bauausstellung IBA ’27 Stuttgart. genau hinschauen und die vorhandenen Raumstrukturen ‹ lesen ›. Genau hinhören, welche Bedürfnisse Bevölkerung und Beschäftigte haben und was sie als ‹ qualitätsvoll › an­ sehen. Und sie sollen die Gemeinden als für die Raumpla­ nung tragende Staatsebene tatkräftig dabei unterstützen, Orientierung auf dem Weg in die Zukunft zu finden. Und der Bund ? Er ist eingeladen, seine Verkehrskarten bald auf den Tisch zu legen. Denn der Verkehr ist und bleibt eine zentrale Grösse. »  Sacha Peter ist Kantonsplaner von Solothurn.

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Das Eigentum ist der Hebel

Wo bleibt die Stadtplanung ?

« Die Bevölkerung der Schweiz soll in den nächsten Jah­ ren um 18 Prozent wachsen. Wir wollen darauf mit der Verdichtung nach innen antworten. Wie das gehen soll, überlässt der Staat aber weitgehend den Bauträgern. Sie entscheiden, ob sie mittels politisch riskanter Verfahren verdichten oder ihre Vorhaben lieber nach Regelbauweise realisieren. Ihre Planungshoheit erstreckt sich bis zur Par­ zellengrenze. Vieles hinter dieser Grenze bleibt dem Zufall überlassen. Es entstehen weder kraftvolle Zentren noch guter und nützlicher öffentlicher Raum. Beides ist aber der Schlüssel zu gutem Städtebau. Statt flächendeckend Ausnützungsziffern zu erhöhen, braucht es endlich wie­ der Stadtplanung. Dies ist Aufgabe der öffentlichen Hand und übergeordneter Verfahren, in denen eine abschlies­ sende Güterabwägung erfolgt. Wir Bauenden erwarten dafür mehr Rechts- und Planungssicherheit, mehr Spiel­ raum in der Parzelle und städtebauliches Können der Raumplanung, was mehr ist als virtuoses Abwägen von Interessen. So können wir den Bedenken vieler Menschen, dass nun überall alles verdichtet werden soll, etwas ent­ gegensetzen. Das macht ihnen Angst und blockiert jeden Karin Schulte ist Präsidentin der gemeinnützigen Familienheim-Genos- Spielraum. Antworten auf die Megatrends erwarte ich da­ gegen von den Bauträgern, weniger von der Raumplanung. senschaft in Zürich. Ausnahmen gibt es immer, aber die Immobilienwirtschaft hat bewiesen, dass sie auf veränderte Bedürfnisse und auf Anforderungen wie etwa den vernünftigen Umgang mit Energie antworten kann. Wir können in diesem Fall dem Markt vertrauen. »  Balz Halter ist Verwaltungsratspräsident der

« Wohnen hat viel mit Stabilität zu tun. Verdichtung führt oft zu Verdrängung, weil das Wohnen auf dem neu bebau­ ten Terrain teurer wird. Logisch wehren sich die Men­ schen. Verdichten wird nur gelingen, wenn verbindliche Regeln gelten, damit sie Sicherheit und Geborgenheit nicht verlieren. Die Genossenschaften zeigen, wie es geht: Bei Neubauprojekten bestimmen die Genossenschafter massgebend mit. Sie haben Gewähr, dass die Kostenmie­ te für günstigen Wohnraum sorgt und die Mieterinnen vor einem Abbruch umziehen können. Ein weiteres Problem sind die Einfamilienhäuser und Grosswohnungen. Sie sind unternutzt, wenn die Menschen älter werden und die Kin­ der ausziehen. Genossenschaften kennen gut eingespiel­ te Verfahren, um Wohnraum angemessen zu nutzen, Un­ terbelegung zu vermeiden und den Menschen dennoch Sicherheit zu geben. Raumplanung und andere Politiken, die das Wohnen steuern, müssen solche Errungenschaf­ ten übernehmen, um zukunftsfähig zu werden. Und ver­ gessen wir den stärksten Hebel nicht: die Boden- und Ei­ gentumsfrage. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob der Boden in gemeinnützigem oder privatem Eigentum ist. »

Firma Halter, einer der führenden Schweizer Bau- und Immobilienfirmen.

Nutzungsvielfalt vorgeben « Am stärksten wird der Megatrend Klimawandel das Woh­ nen in der Stadt prägen. Die Hitze wird uns zusetzen. Der Wandel geht schnell, weitreichende Massnahmen sind zeitnah nötig. Besser gesagt, sie wären nötig. Denn die Raumplanung sucht Lösungen mit Interessenausgleich und Güterabwägung. Das ist langsam und kompliziert. Eine Errungenschaft der Raumplanung ist, dass vom Bund bis in die Gemeinden nun verbindlich der Konsens gilt: Die Siedlungsentwicklung ist begrenzt. Der Kanton Zürich hat denn auch so gut wie keinen Quadratmeter neue Bauzone bewilligt. Der Nutzungsdruck geht nicht nur nach innen, sondern auch in die Landschaft. Wir sind weit weg von verbindlichen, gleichen Regeln fürs ganze Land im Um­ gang mit diesen Nichtbauzonen. Für das Verdichten sind die Zonenpläne nicht mehr zeitgemäss. Sie bestimmen, was auf Parzellen möglich ist, ihnen fehlt aber der grosse Massstab und eine städtebauliche Idee. Und die anein­ andergereihten Gestaltungspläne sind auch kein gros­ ses Ganzes – für das Denken und Planen in Landschaften fehlen der Raumplanung Erfahrungen und Instrumente. Verdichten ist mehr als Wohnungen hineinstopfen. Als Antwort auf die Mega­trends ist es gut, vielfältige Räume und Nutzungen zu fördern. Das Siedlungsgebiet soll nicht durchwegs in gleicher Art verdichtet werden. Um eine Nutzungsvielfalt zu erreichen, braucht es verbindlichere Nutzungszuweisungen und städtebauliche Leitlinien. »  Wilhelm Natrup ist Kantonsplaner von Zürich.

Zukunft im Einfamilienhauskanton « Die Richtplanrevision 2015 hat 21 Wohnschwerpunkte im Kanton Aargau festgelegt. Da soll Wachstum konzent­ riert Platz finden. Daneben gibt der Richtplan Dichtewer­ te für bestehende Bauzonen vor. Die Gemeinden müssen aufzeigen, dass sie diese bis 2040 erreichen können. Die Wohnraumpolitik wird so mit der Raumentwicklung ko­ ordiniert. Die Gemeinden können die Entwicklung des Wohnens lenken. Ob sie es tun, hängt vom politischen Willen ab. Sie sind frei, das Wohnen auch mit Bodenpoli­ tik zu steuern. Die eine oder andere hat gemerkt, dass sie als Grundeigentümerin ganz anders auftreten und, eben, gestalten kann. Der Kanton macht keine Vorgaben, er selbst hat kaum Landreserven für Wohnnutzungen. Kein Thema ist derzeit, das Wachstum in neuen Grosssiedlun­ gen aufzunehmen. Als Einfamilienhauskanton – jedes zehnte Hüsli steht im Aargau – thematisieren wir, wie man die Nutzungsdichte erhöhen könnte. Dies kann gelingen, wenn man älteren Personen attraktive, finanzierbare Woh­ nungen nahe beim ursprünglichen Wohnsitz anbietet. Da sind die Grenzen der raumplanerischen Instrumente er­ reicht. »  Daniel Kolb ist Kantonsplaner im Aargau.

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Labore in der ländlichen Schweiz

Verdichtung lernen

« Trümpfe für die Zukunft ? Die meisten Menschen kön­ nen wählen, wo und wie sie leben und arbeiten und wie viel Mobilität sie dafür beanspruchen wollen. Der Kan­ ton Thurgau packt die Chance, sich als Wohnstandort zu definieren. Die aktuellen, auch pandemiebedingten Veränderungen führen zur Bereitschaft, miteinander die Funktions- und Rollenverteilungen bis hin zu gesellschaft­ lichen Bildern offen zu überdenken. Unseren Lebensraum zukunftsfähig gestalten, optimal abgestimmt und auf Au­ genhöhe mit dem Metropolitanraum Zürich, ist prioritär. An Qualität interessierte Investoren suchen nun auch in kleineren Zentren Standorte für neue Wohnformen und Lebensstile. Im Verbund von Kanton und Gemeinden stos­ sen wir dafür nicht nur Testplanungen und Entwurfslabo­ re an, die Erkenntnisse aus den Megatrends aufnehmen und so Wohnzukunft erfinden wollen. Wir engagieren uns auch dafür, dass ihnen die bauliche Umsetzung folgt – als Gehäuse für zukunftsfähige Nutzungskombinationen in verschiedenen Massstäben an unterschiedlichen Orten. »

« Kam vor Jahren noch kaum jemand an Versammlungen, die Raumplanung behandelt haben, so sind diese heute gut besucht. Die Menschen kümmert die Zukunft des Woh­ nens. In der Planung aber hat das Einzelobjekt zu viel Ge­ wicht gegenüber dem strategischen Entscheid über die Parzellengrenze hinaus. Dazu kommt: Dichte ist für viele Menschen ein Schreckwort. Im Widerspruch dazu stehen die Altstädte mit rekordverdächtigen Nutzungsziffern, wo Höchstpreise bezahlt werden, weil subjektiv Qualität wahrgenommen wird. Die Frage ist: Wie schaffen wir es, die Qualität urbaner Dichte auch in die Neubaugebiete zu übertragen ? Da bietet die heutige Raumplanung zu we­ nig. Wenn wir nicht aufpassen, verstärkt die Verdichtung den Druck auf Nichtbauzonen. Im Kanton Freiburg fanden in den Jahren 2000 bis 2015 rund 15 Prozent des starken Bevölkerungswachstums ausserhalb der Bauzone statt. Das führt nicht nur zu Schäden in der Landschaft. Wir produzieren gewaltige Folgekosten für die Erschliessung, und jede in einen Stall eingebaute Wohnung impliziert drei Autos. Das ist ein Widerspruch zur Dringlichkeit, et­ was gegen den Klimawandel zu tun. Die Instrumente zur Steuerung, die uns zur Verfügung stehen, sind unzurei­ chend. Wir haben stattdessen mit Milliarden die Infra­ strukturen des öffentlichen Verkehrs ausgebaut, ohne den Modalsplit zu verbessern. Eine visionäre Verkehrs­ politik wie die vom Bund geforderte Verdoppelung des Anteils des öffentlichen Verkehrs bis 2050 beginnt mit einer auf hohe Lebensqualität orientierten Konzentration von Wohnen und Arbeiten – sonst investieren wir für wenig nützliche Verkehrsinfrastrukturen. »  Jean-François Steiert ist

Andrea Näf-Clasen ist Kantonsplanerin im Thurgau.

Bedeutung von Freiraum

« Wenn wir über die Zukunft des Wohnens reden, sind als Staatsrat des Kantons Freiburg zuständig für die Raumplanung und Postulate wie ‹ preisgünstig › oder ‹ altersgerecht › sicher amtet als Präsident von EspaceSuisse. nötig. In der Raumplanung aber müssen wir vor allem das Bedürfnis der Menschen nach Landschaft besser mit der Stadtentwicklung verknüpfen. Tun wir es nicht, wer­ den wir keine grösseren Bebauungskonzepte für welche Wohnzukunft auch immer realisieren können. Der Kanton Zug hat bereits entsprechende Erfahrungen gesammelt: Eine Gebietsplanung, obwohl Resultat eines Architektur­ Agenda Raum Schweiz 2040 wettbewerbs, fiel in der Urnenabstimmung durch. Darauf­ Die Postulate und Denkanstösse der hin legte man zunächst die Grundstrukturen des neuen Raum­planerinnen, Investoren und Politiker Quartiers mit der Bevölkerung fest: Begegnungsorte pla­ belegen: Die Raumplanung soll sich nicht nur um den haushälterischen Bodennen, Grünräume erhalten und schaffen. Auf dieser Basis verbrauch kümmern, sondern muss ein folgt nun die Entwicklung der einzelnen Baufelder. Die kluges Raummanagement mit Blick auf dafür nötige Zonenplanänderung passierte im zweiten die Lebensqualität aufbauen, die ZusamAnlauf problemlos. Landschaft heisst, dass wir über das menarbeit mit der Immobilien­branche, den Wohnungsämtern und der ArchitekGesamte denken und planen. Und vor allem, dass Frei­ tur suchen und das Wachstum ­sowie raum gesichert und für eine gemeinschaftliche Nutzung den Wandel der Wohn- und Arbeitswelt gestaltet werden kann. Die ‹ Allmende › in zeitgenössischer an­ti­zipieren. Dafür braucht es die ‹ Agenda Form ist dafür ein spannender Ansatz. Die wachsende Be­ Raum Schweiz 2040 ›. Liebe Leserin, lieber Leser, Hochparterre gründet sie und deutung von Landschaft stösst aber mit dem Megatrend lädt Sie ein, die Agenda mit­zu­ge­stalten. Individualisierung zusammen. Landschaft als Gemeingut Mit dem Erscheinen ­dieses Heftes wird die ist ja ihr Gegenteil. Wie die Raumplanung diesen Wider­ Debatte online eröffnet. spruch auflösen soll, weiss ich nicht. Was ich aber weiss: www.hochparterre.ch Die Raumplanung unterschätzt die Bedeutung von Frei­ raum und Landschaft. Wenn sie eine Linderung der Fol­ gen des Klimawandels will, muss sie dafür sorgen, dass in den Siedlungen genügend grosse Bäume gedeihen können. Das ist wegen der immer intensiveren Nutzung des Unter­ grunds bald nicht mehr gegeben. »  Martina Brennecke ist stellvertretende Kantonsplanerin von Zug.

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Haus – Laube – Garten: Projet Soubeyran der Genossenschaften Équilibre und Luciole in Genf-Servette siehe Seite 12. Themenheft von Hochparterre, März 2021 —  So wohnt die 10-Millionen-Schweiz — Allmende, Partizipation, Landschaft und Eigentum

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Stadtteil

Wohnzukunft wird im grossen Massstab im Niemandsland der Agglomerationen eingerichtet. Immobilienfirmen wie Patrimonium, die das Geld von Dutzenden Pensionskassen anlegen, ­bauen dabei auf den Erkenntnissen von Technik-, Wohnund Architekturpio­nieren auf: Nutzungsvielfalt, Gemeinschaftlichkeit, ziselierte Grundrisse, Gärten mit Hochstammbäumen und Solaranlagen auf den Dächern, die einen Teil der Energie besorgen, die der Stadtteil verbraucht. Die sieben Grossbauten um und in drei Landschaftsinseln haben mit vier Geschossen einen angenehmen, einen menschlichen Massstab. Es gibt viel Aussenraum, einen Park, fünf Restaurants, Läden, ein Quartierzentrum mit Bibliothek und ein Gemeinschaftshaus, das die Siedlung mit dem grossen, werdenden Quartier verbindet. Oassis steht als Ergebnis eines Wettbewerbs auf einer Industriebrache von Coop in Lausanne Ouest, einem der ambitionierteren Entwicklungsgebie­te in der Schweiz: 454 Miet- und 56 Eigentumswohnungen, 100 Wohnungen für betreutes Wohnen, Büros, Läden, ein medizinisches Zentrum, Kindergarten. 2500 Menschen werden hier leben, sozial durchmischt, per Express-Buslinie mit Lausannes Zentrum verbunden. Die Zukunftswerte sind: hohe Dichte im grossen Massstab in vielfältiger Landschaft mit Hochstammbäumen – Gärten, Zwischen- und Transiträume –, geworden aus einer Industrie­ brache ; Nutzungsvielfalt ; breiter Einsatz von energiesparender und produzierender Technik ; Bauher­renkooperation der Gemeinde mit einem Immobilien­tanker. Gerne stellt man sich vor, Oassis wäre in Holz konstruiert. Grossüberbauung Oassis, 2020 Chemin des Lentillières, Crissier VD Bauherrschaft:  Patrimonium / Gemeinde Crissier Architektur:  Bauart Architekten, Bern / Neuenburg /  Zürich ; KCAP, Rotterdam / Zürich Investition:  ca. Fr. 200 Mio.

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Gemeindehaus

Auvernier ist seit 2012 Teil der Gemeinde Milvi­ gnes in der Agglomeration der Stadt Neuenburg. Hohe Standortgunst am See, Residenzort des Mittelstandes mit vielen und grossen Einfamilienhäusern sind ihre Kennzeichen. Das Architekturbüro frundgallina gewann den Wettbewerb für einen kommunalen Wohnungsbau mit zehn Wohnungen, einem Gemeinschaftsraum und einer Kinderkrippe. Die Architekten schichteten das Programm in einen plastisch markanten Turm, die Krippe kam in den Sockel, der Gemeinschaftsraum als eigenes Häuschen nebenan. Sie gewannen so einen gros­sen Garten als Freiraum. Die Pflichtparkplätze verhandelten sie so weit weg, dass die Autos heute auf ein paar oberirdischen Stellplätzen im Hof ruhen können. Die Zukunftswerte sind: Gemeinde als Bauherr für Wohnraum für ältere Menschen, die in ihrer gewohnten Umgebung eine attraktive Alternative zum Wohnen im Einfamilienhaus finden, Mischung von öffentlichem und privatem Nutzen, Landschaft und Garten als Grundlage der Architektur. Zurückdrängen des Autos dank Verzicht auf Parkplätze und in unmittelbarer Nähe die Tram- und Busstation.  Wohngebäude ‹ Maison, murs, cour et jardin ›, 2017 Auvernier / Milvignes NE Bauherrschaft:  Gemeinde Auvernier / Milvignes Architektur:  frundgallina, Neuenburg Investition:  Fr. 5,6 Mio.

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3  Grossüberbauung Oassis in Crissier, Situation

4  Wohngebäude in Auvernier, Erdgeschoss: Velogarage 1, Gemeinschaftshaus 2, Wohnhaus 3 und Kinderkrippe 4.

3 Regelgeschoss des grössten der fünf Teile von Oassis.

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3  Stadtteil Oassis von Crissier: Häuser, Aussen- und Zwischenräume brauchen eine stimmige Balance.

4  Das Mehrfamilienhaus von Auvernier kombiniert Wohnraum für ältere Menschen mit einer Kinderkrippe. Themenheft von Hochparterre, März 2021 —  So wohnt die 10-Millionen-Schweiz — Richtungsweisende Projekte

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Heidi mag die Stadt nicht In den letzten hundert Jahren hat Raumplanung das Wohnen mit vielen Hoffnungen gesteuert. Ein Querschnitt von Heidi bis zum Sondernutzungsplan. Text: Martina Schretzenmayr

Wohnt die Schweiz grossstädtisch ? Nein ! Heidi wird in der Stadt krank. Auch Heidis Freundin, das Stadtkind Clara, lernt erst beim Alpöhi in den Bergen wieder gehen. Die Botschaft ist deutlich: Stadt ist schlecht, Land ist gut. Mit Heidi eng verbunden sind die Ziele der schweizerischen Landesplanung: Grossstadtwachstum verhindern, Landschaft schützen. Dazu passt auch, dass Städte in der Schweiz vor dem Jahr 2000 in der Verfassung noch gar nicht existierten. Hoffen auf die Hüsli-Schweiz In den 1930er-Jahren propagiert Armin Meili, Raumplanungspionier, Direktor der Landi 39 und Nationalrat, die « weit dezentralisierte Grossstadt Schweiz ». Gewohnt werden solle in überschaubaren, voneinander durch Grün getrennten Siedlungseinheiten. Die Zeitschrift der 1943 gegründeten Vereinigung Landesplanung Schweiz hält bereits in ihrem zweiten Heft fest: « Im Altertum lehrt uns u. a. der Werdegang der vier Weltstädte Babylon, Athen, Karthago und Rom, welches Schicksal überdimensionierten Stadtgebilden zuteil wird. » Es folgt die Forderung, « das schicksalhafte Anschwellen der Städte durch sichtbare Verselbständigung von Satellitenorten zu steuern ».

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Der Weg von Babylon nach Sodom und Gomorrha ist nicht weit, und er führt über die Mietskaserne, deren Wohnungselend mit Seuchengefahr, Sittenverfall und Angst vor sozialen Unruhen assoziiert wird. Bereits 1894 wettert die ‹ Illustrierte schweizerische Handwerker-Zeitung › gegen « Zürichs Bausünde »: « Teile der Stadt … leiden neuerdings stark unter miserablen Mietskasernen im Berliner Mietskasernenstil. Eine Revision des Baugesetzes thäte in dieser Beziehung wahrlich Not. » Der Kampf für « Licht, Luft und Sonne » und gegen die mit Bodenspekulation und rücksichtslosem Renditestreben verbundenen Mietskasernen wird Mitte der 1890er-Jahre auch in der Schweiz eröffnet. Es ist die Zeit, in der Ebenezer Howard ( 1898 ) sein Buch ‹ Garden Cities of Tomorrow › veröffentlicht und den Bau überschaubarer Gartenstädte vorschlägt. Das Buch erscheint 1907 in deutscher Sprache und regt an, das Verhältnis von Stadt und Land neu zu denken. Als Grundeinheit seiner Gartenstadt betrachtete Howard das Einfamilienhaus mit Garten. Die erste Genossenschaft der Schweiz, das 1921 im Baselbiet erbaute Freidorf Muttenz mit 150 Reihenhäusern, übernimmt diese Grundidee. Auch Alexander Isler, Stadtrat in Winterthur und Schöpfer der ersten städtischen Zonenordnung in der Schweiz, fordert 1903 im Kampf gegen die Mietskaserne: « Wenn wir als Ideal der städtischen Behausung ( … ) das Einfamilienhaus bezeichnen, so wollen wir damit grundsätzlich feststellen, dass nicht das Übereinander-, son-

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dern das Nebeneinanderwohnen diejenige Wohnweise ist, welche überall da, wo es noch möglich ist, erstrebt werden sollte. » Und nach den Hungerjahren des Ersten Weltkriegs organisiert Hans Bernhard mit seiner Innenkolonisation nicht nur das « industrielle Pflanzwerk », sondern widmet sich auch Siedlungsfragen. Er verfasst 1920 den Entwurf eines Siedlungsgesetzes, fordert einen nationalen Siedlungsplan und fördert die Ansiedlung nicht landwirtschaftlicher Kleinheimwesen sowie die Aussiedlung von Stadt- und Industriebevölkerung zur Dezentralisation des Wachstums weg von den grossen Orten. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der von Hans Bernhards Innenkolonisation vorbereiteten Anbauschlacht erscheint 1949 das Buch ‹ Städte, wie wir sie wünschen ›. Die Städte seien durch ungeordnete Konzentration charakterisiert und sollten mit Regionalzentren in eine geordnete Dezentralisation umgelenkt werden. Die präsentierten Vorschläge für schweizerische Grossstadtgebiete gehen vom Postulat des Familienheims für jeden aus. Das Einfamilienhaus mit Garten sei für Städte, wie wir sie wünschen, « vom persönlichen und sozialen Standpunkt aus die richtige Wohnform ». Kurz – das Postulat des Wohnens war und ist: die Hüsli-Schweiz, dezentral ! Hoffen auf die Macher Das Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg ist nicht ohne die Wohnungsnot zu haben. Im Schlepptau haben die beiden einen gewaltigen Bauboom. Im Kanton Zürich setzt man in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre auf die Idee der Regionalzentren – mit einer Oberlandstadt um Wetzikon und einer Unterlandstadt um Bülach. Damit will man das Wachstum weg von Zürich lenken. Aber der Regierungsrat geht auf Distanz, und die Regionalzentren scheitern. Angesichts der hohen Nachfrage nach Wohnungen nehmen Promotoren aus der Bauwirtschaft die Sache jetzt selbst in die Hand und schaffen räumliche Tatsachen: Statt der Oberlandstadt entsteht die Glattalstadt. 1965 reagiert der Bundesrat, um künftig planungspolitische Unfälle zu vermeiden, und beruft den Unternehmer Fritz Berger als Delegierten für Wohnungsbau. Bergers Aufgabe ist es fortan, für genügend Wohnungen von guter Qualität und zu vertretbaren Kosten am richtigen Ort zu sorgen. Für das « am richtigen Ort » braucht Berger die Raumplanung. Er erteilt der ETH Zürich den Auftrag, landesplanerische Leitbilder zu erarbeiten, die der Privatwirtschaft sagen, wo die offizielle Planung Wohnungen haben möchte. Aber der Bund hat die Rechnung ohne die Kantone gemacht: Das Destillat der landesplanerischen Leitbilder verschwindet 1973 mit der Etikette ‹ zentralistische Planung › in der Schublade. Mehr Erfolg ist den ‹ Grundzügen Raumordnung Schweiz › ( 1996 ) beschieden. Sie setzen auf die Vernetzung starker Städte. Ade, Heidi ! Hoffen auf den Zonenplan In den Zeiten stürmischen Wandels und hektischen Bauens nach dem Zweiten Weltkrieg reicht ‹ das A und O der bestehenden Baurechte ›, also Baulinien, Gebäudeabstände und Gebäudehöhen, nicht mehr aus. Eine Ortsplanung verlangt mehr als feuerpolizeiliche Vorschriften und Wohnhygiene. In den Gemeinden müssen Bauordnungen her – und Zonenpläne. Mit ihnen operieren wir bis heute. Stellen wir also die Ricola-Frage: Wer hat’s erfunden ? In diesem Fall nicht die Schweizer. Die Idee der Zonenbauordnung erblickte 1891 in Frankfurt am Main das Licht der Welt und erwies sich bald als Exportschlager. In Bayern erlässt die Stadt München 1904 Theodor Fischers Staffelbauplan, die Amerikaner übernehmen das Frankfurter ‹ zoning › erstmals 1908 in Los Angeles, 1909 folgt die Schweiz

mit Winterthur. Bereits 1903 hatte sich der Winterthurer Stadtrat Alexander Isler in seinen Thesen des Schweizerischen Städtetags in Basel mit einem expliziten Verweis auf die Frankfurter Zonenbauordnung für das neue Planungsinstrument stark gemacht. Nach Islers Einschätzung schneide dieses neue Instrument zwar « scharf in die Eigentumsrechte ein », doch lasse sich der Kampf gegen die Auswüchse der Bodenspekulation und die « schädliche Ausnutzung der Bauflächen » kaum anders führen als mit einer Zonenbauordnung nach Frankfurter Vorbild. Nur auf diese Weise könne man « den geldgierigen Besitzern » und dem Bau von Mietskasernen, in denen die Bevölkerung « eingepfercht wird, in denen die Heimatliebe ( … ) ersterben muss », beikommen. Es ging bei der Zonenbauordnung um mehr als die bisherige ‹ Kardinalforderung der Hygiene › oder Baupolizeivorschriften zur Gefahrenabwehr. Es ging darum, den Stadtraum hinsichtlich Bauhöhe und baulicher Dichte, also nach dem Mass der baulichen Nutzung und ebenso funktional nach der Art der Nutzung zu differenzieren. Mit den Zonenbauordnungen verfolgte man die Idee der abgestuften und nach aussen aufgelockerten Stadt: im Zentrum geschlossene Bauweise mit hoher Dichte und am Rand das Einfamilienhaus in offener Bauweise. Während Bauordnungen bislang einheitlich für das gesamte Stadtgebiet gegolten hatten, konnte mittels Zonenplänen auf die Verschiedenartigkeit der Verhältnisse und auf Eigenheiten einzelner Quartiere reagiert werden. Mit Zonenplänen, so war man überzeugt, war « der erste Schritt zur Durchbrechung der Schablone getan », war der Spekulation der Boden entzogen. Zu Beginn der Nachkriegszeit hatte der Zonenplan von den Städten ausgehend in der Schweiz bereits Fuss gefasst, aber noch in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre hatten erst dreissig Prozent der Schweizer Gemeinden eine Bauordnung. Hoffen auf die Ausnützungsziffer Der praktische Einsatz der Zonenbauordnungen führt bei den Fachleuten mit der Zeit zur Erkenntnis, dass auch dieses planerische Instrument seine Tücken hat. Kritisiert werden der mangelnde gestalterische Spielraum und die uniforme Höhe innerhalb einer Zone. Gefordert wird « freies Disponieren » der Baumassen auch in der Höhe. Die Antwort auf den Zonen-Schematismus wird die Ausnützungsziffer, die ebenfalls keine Schweizer Erfindung ist. Sie wurde erstmals in der Berliner Bauordnung von 1925 eingeführt. Die Eleganz dieser trockenen Verhältniszahl und die Möglichkeit, so die Weiträumigkeit im Städtebau zu kontrollieren, begriff aber erst der Kölner Baurat Anton Hoenig. Aufbauend auf Hoenigs theoretischen Überlegungen experimentierte Walter Gropius bei der Grosssiedlung Berlin-Haselhorst mit der neuen Verhältniszahl und forderte an den zweiten Congrès Internationaux d’Architecture Moderne ( CIAM ) in Brüssel 1930, die Siedlungsdichte künftig über die Ausnützungsziffer statt über die Geschosszahl zu kontrollieren. In der Ausnützungsziffer erkannte er eine Kontrolle der baulichen Dichte, dank der Hochbau und Flachbau nebeneinander in ein und derselben Zone realisiert werden konnten. 1931 wiederholt Walter Gropius seinen Brüsseler Vortrag in Zürich, und seine Idee, den in der Bauhöhe starren Zonenschematismus mit der Ausnützungsziffer als Werkzeug « geschmeidiger Differenzierungsmöglichkeiten » zu durchbrechen, springt auf die Schweiz über. Die Begeisterung weicht in der Hüsli-Schweiz jedoch rasch der Ernüchterung. Was Walter Gropius für grosse zusammenhängende Siedlungen erdacht hatte, scheitert auf kleinen Parzellen. Und die Schweiz ist klein. Während →

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→ die einen fordern, es sei für jedes Gebiet als erste und wichtigste Norm eine obere Grenze der Ausnutzungsmöglichkeit, also eine Ausnützungsziffer, festzusetzen, rufen andere schon in den 1930er-Jahren nach Stockwerk­ begrenzungen in den einzelnen Zonen als Norm – wobei eine andere Stockwerkzahl gemäss Ausnützungsziffer möglich bleiben soll, falls gewisse städtebauliche Bedingungen erfüllt würden. Der Kampf entscheidet sich erst 1966, als die Richtlinien zur Orts-, Regional- und Landesplanung festlegen: « Die Ausnützungsziffer erfüllt lediglich eine Hilfsfunktion. » Hoffen auf den Ausnutzungsbonus Die Idee, den Zonenschematismus mit der Ausnützungsziffer zu durchbrechen, ist gescheitert. Trotz der Kritik seit den 1920er-Jahren wird das System der Zonenpläne beibehalten. In den 1960er-Jahren herrscht dann Not – Wohnungsnot. Not macht bekanntlich erfinderisch, was uns zu den Sondernutzungsplänen und zum Anreizsystem des Ausnutzungsbonus führt. Wohnungsbau kann nur « in Form von Gesamtüberbauungen rationell erfüllt werden », ist der Fachausschuss Wohnen 1966 überzeugt. Mit dem Zonenplan legt man die Regelbauweise fest und geht dabei, wie der spätere Bundesrichter Alfred Kuttler 1963 berichtet, davon aus, « dass die höhere, von der einheitlichen Zonenordnung abweichende Bebauung Ausnahme bleiben soll ». Für Bauaufgaben, die sich nicht über die Regelbauweise lösen liessen, etabliert sich die Ausnahme von der Regel. Neu sind diese Sonderlösungen, die bald Arealüberbauung, Sonderbauvorschriften, Gestaltungs- oder Quartierplan heissen, nicht. Im Kanton Bern beispielsweise kannte man seit Langem den Alignements­ plan mit Sonderbauvorschriften, im Kanton Basel-Stadt die ‹ Speziellen Überbauungspläne ›. In den 1940er-Jahren hatte Albert Heinrich Steiner in Zürich Grosssiedlungen mit Überbauungsplänen aufgezäumt und mit Subventionen gestalterisch auf Kurs gehalten. Ab 1950 blieben die Subventionen aus. Da erwies sich als günstig, dass auf die Ausnahme von der Regel, sprich auf den Sondernutzungsplan, kein Rechtsanspruch besteht – die Ausnahme muss verdient und gewährt werden. Hier kam der Ausnutzungsbonus ins Spiel, der bereits in den 1930er-Jahren diskutiert worden war und mit dem sich nicht nur Subventionsberechtigte disziplinieren liessen, sondern alle Bauwilligen. Ihn erhält, wer Qualität liefert.

und Mieter, müssen mithelfen – auch im Kleinen –, in der unmittelbaren Umgebung der Wohnung den verloren gegangenen Lebensraum zurückzugewinnen. » Hoffen auf den Sondernutzungsplan In den 1970er-Jahren entsteht auch das Bundesgesetz über die Raumplanung. Diese ist Sache der Kantone, der Bund aber regelt wichtige Fragen, etwa, dass inner- und nicht ausserhalb der Bauzone gebaut werden soll. Zur Planung in den Gemeinden finden wir auch heute nur den knappen Hinweis: « Nutzungspläne ordnen die zulässige Nutzung des Bodens. » Eine Rahmennutzungsplanung gibt flächendeckend die Grundordnung vor, und gebietsbezogene Sondernutzungspläne schaffen davon abweichende Regelungen. Letztere müssen aber mit langen Planungsprozessen und höherer Regeldichte erkauft werden. Damit soll punktuell auf besondere Verhältnisse reagiert werden. Punktuell ! Während die Sondernutzungsplanung in der Ära der grünen Wiesen als Ausnahme gedacht war, ist sie im Zeitalter der Innenentwicklung zur Regel geworden. Und so finden wir heute Gemeinden mit 10 000 Bewohnerinnen und Bewohnern, die fast vierzig Sondernutzungspläne aufstellen, um das gemeinsame Planen, Bauen und Wohnen zu regeln. Heidi, hilf ! Hoffen auf Kooperation Der Sonderweg wird uns beim Verdichten wenig nützen, denn sobald es um Verdichtung, um das Bauen im Siedlungsgebiet, geht, ist – anders als auf der grünen Wiese – plötzlich alles ein Sonderfall. Der Sonderfall wird zum Normalfall. Es braucht jetzt neue Ansätze, um nicht nur haushälterisch mit dem Boden umzugehen, sondern auch ordnend und gestaltend. Die Sondernutzungspläne wollen städtebauliche Qualität schaffen und können dafür von der Regelbauweise abweichen, sie belohnen planerische Anstrengung mit höherer Ausnutzung, und sie sind meist das Ergebnis einer kooperativen Planung. Diesem Ansatz steht auch ausserhalb der Sondernutzungsplanung nichts entgegen. Verbunden mit behördenverbindlichen kommunalen Richtplänen zeigt das einen Weg, wie Staat und Grundeigentümer mehr Qualität beim Wohnen erreichen können. Heidi, es ist Zeit zu reden !  Martina Schretzenmayr ist Raumplanerin ETH / NDS, Senior Researcher am Netzwerk Stadt und Landschaft der ETH Zürich und leitet die Redaktion der Zeitschrift ‹ Disp – The Planning Review ›.

Hoffen auf den Wohnraumschutz Anfang der 1970er-Jahre spitzt sich die Wohnungs­ not zu, weil die Zuwanderung in Städte und Agglomerationen ungebremst anhält und der Dienstleistungssektor in die Innenstädte hineinwächst. Aus Wohnungen werden profitablere Büros. Mit den verdrängten Bewohnern und der Wohnungsnot im Nacken werden jetzt die raumpolitischen Ziele um den Wohnraumschutz erweitert. Dafür greift Bern 1974 zum Nutzungszonenplan, und Zürich reagiert im selben Jahr mit dem Wohnerhaltungsgesetz. Es folgt in den 1980er-Jahren der Wohnanteilplan für die Stadt Zürich, der in allen Zonen – ausser der Industriezone – den minimalen Wohnanteil in Prozenten festsetzt. Mit dem Wohnanteilplan werden die Grundeigentümer weiter eingeschränkt, und die Stadt erhält neue raumplanerische Möglichkeiten. Jetzt kann sie die Nutzungsmischung stärker beeinflussen, um die « verhängnisvolle Entwicklung in den Quartieren » zu stoppen. Den Planern ist aber klar, dass die « lebendige, wohnliche Stadt » nicht per Gesetz zu bekommen ist. Daher appelliert das Zürcher Hochbaudepartement 1978: « Behördliche Anstrengungen allein genügen nicht. Die Quartierbewohner selber, Hauseigentümer

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Der nicht mehr gebrauchte Weiher der Textilfabrik Stoffel wird zum Schwimmbad für die Bewohner der Überbauung Uptown in Mels siehe Seite 24. Themenheft von Hochparterre, März 2021 —  So wohnt die 10-Millionen-Schweiz — Heidi mag die Stadt nicht

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Brachenburg

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Vor zwanzig Jahren zogen die letzten Besitzer den Stecker. Seither steht die Textilfabrik wie eine Burgruine auf einem Felsen über Mels. Eine Gruppe um David Trümpler und Marco Brunner, die seit vielen Jahren Fabriken in Wohnanlagen umbauen, übernahm die nicht mehr gebrauchten Spinnerei- und Webereihäuser samt Fabrikantenvilla. Meier Hug Architekten haben den Wettbewerb für den Um- und Weiterbau gewonnen, in den Alt- und Neubauten entstehen gut 200 Mietund Eigentumswohnungen, Büros, Ateliers, Läden, ein Restaurant, öffentliche Nutzungen wie Kinderkrippe und -garten, dazu ein Seilbähnchen zum Dorf und eine grosse Gartenanlage, gestaltet von Rita Illien. Die Zukunftswerte sind: hohe Dichte in einer Landschaft zwischen Dorf, Wald und Wiesen und neuem Park ; Verwendung von möglichst viel alter Substanz ; Gemeinschaftsräume ; Verknüpfung von öffentlichen mit privaten Nutzungen und Räumen, CO2-neutrale Energieversorgung mit Holz und Wasserkraft. Markante Veränderung eines Dorfs in der Alpenrheintal-Stadt mit offenem Ausgang des Experiments.  Uptown Mels, 2021 Fabrikstrasse, Mels Bauherrschaft:  Alte Textilfabrik Stoffel, Geschäftsleitung: David Trümpler Architektur:  Meier Hug Architekten, Zürich Investition:  Fr. 120 Mio.

Dorfensemble

Vor 15 Jahren war Valendas in der Surselva ein langsam auströpfelndes Dorf in den Alpen. Einheimische und Auswärtige stellten dem die Idee ‹ Valendas Impuls › entgegen. Baufällige Häuser wurden zu Ferienwohnungen im Baudenkmal, das alte Schulhaus zu einem Museum mit Wohnung. Es entstanden das Gasthaus am Brunnen und schliesslich der Burggarten, eine Siedlung am Dorfeingang mit sieben Wohnungen, Werkstätten und einem Gemeinderaum – er heisst ‹ Erlihus ›, in Reverenz an die Gemeinde Erlenbach, die das Projekt substanziell unterstützt. Architekt ist Gion Caminada, der hier den Grundriss für die Klimawohnung entwickelt hat. Wichtigster und wärmster Raum in der Mitte die Küche, darum herum ein Zimmerkranz und nicht geheizte Aussenräume als Lauben, von denen aus es unterschiedliche Wege zu den Wohnungen gibt. Zugemietet werden kann ein Zimmer mit eigenem Bad /WC. Zwischen Haus, Erlihus und Strasse ein weiter Innenhof, der die Wohnungen markant erweitert. Die Zukunftswerte sind: auf den Wandel der Jahreszeiten hin konzipierter Grundriss ; Kontinuum Landschaft, Aussen-, Innenraum ; Bauherrschaft, Architekt, Gewerke aus der unmittelbaren Nachbarschaft ; dauerhafte, leicht reparier- und flexibel anpassbare Bauweisen ; namhafte Unterstützungen aus dem Unterland. Renaissance des Dorfs als Wohn- und Lebensraum mit einem starken architektonischen Auftritt. Siedlung Burggarta, 2020 Valendas Bauherrschaft:  Stiftung Valendas Impuls Architektur:  Gion A. Caminada, Vrin-Cons Investition:  Fr. 5,1 Mio.

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6  Siedlung Burggarta in Valendas, Erdgeschoss: Wohnungen mit der Küche als Hausmitte 1, Innenhof 2, Remisen und ‹ Erlihus 3 ›.

5  Uptown Mels, Erdgeschoss: Weberei 1, Spinnerei 2 und Neubauten 3, Seilbahn 4, Fabrikantenvilla 5. Im Plan ist die zweite Etappe der Spinnerei vorgelagert 6.

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5  Die ‹ Stofflerei ›: Statt Baumwolle rüsten, spinnen und weben wohnen in der Textilburg über Mels.

6  Die Laubengänge, der Innenhof und rechts die Remisen des Klimawohnhauses Burggarta von Valendas. Themenheft von Hochparterre, März 2021 —  So wohnt die 10-Millionen-Schweiz — Richtungsweisende Projekte

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Arbeit an der Zone 5 Genf hat mit der ‹ Zone 5 › grosse Zonen für Einfamilienhäuser. Hier soll verdichtet werden, ohne die­landschaftliche Schönheit zu gefährden.

Seit über einem Jahrhundert fördert der Kanton Genf die Stadterweiterung im Bewusstsein, dass das Territorium begrenzt und sein landschaftlicher Reichtum zu erhalten ist. Die Gartenviertel, die daraus entstanden sind, fügten sich einst in die Schönheit der Landschaft ein. Aber das Bevölkerungswachstum in der dynamischen Wirtschaftsregion und der Wandel der Lebensstile haben sie fragmentiert – ein Teppich aus uniformen Einfamilienhäusern wächst und wächst –, mit erheblichen Belastungen der Umwelt. Die Raumplanung sucht Mittel, diese Bauzonen an ökologische und gesellschaftliche Ansprüche anzupassen, sie zu verdichten, ohne die Landschaft zu zerstören. Genf als Stadtkanton ist nach Basel der am dichtesten besiedelte Kanton der Schweiz. Eine Person belegt durchschnittlich nur 37 Quadratmeter Wohnfläche, im Thurgau sind es 52 Quadratmeter. Diese Dichte macht Genf urban. Sie ist aber ungleichmässig über den Kanton verteilt. Und die ‹ Zone 5 › nimmt fast die Hälfte der Fläche ( 45 Prozent ) der für den Wohnungsbau vorgesehenen Bauzonen ein. Darin leben aber nur 13 Prozent der Bevölkerung. Das Genfer Baugesetz teilte 1929 den Kanton in fünf Zonen ein – von innen nach aussen. In der ‹ Zone 5 ›, der Zone der ‹ ländlichen Wohnhäuser ›, ist die Dichte besonders niedrig und darf, mit wenigen Ausnahmen, eine Ausnützungsziffer von 0,25 bis 0,3 nicht überschreiten. In einigen Gemeinden am linken Seeufer besetzt diese Zone bis zu 95 Prozent der für den Wohnungsbau vorgesehenen Fläche. Das Ungleichgewicht zwischen den dichten, gemischten und also urbanen Stadtteilen und dem monofunktionalen, autoabhängigen Wohngebiet widerspiegelt sich in der territorialen Verteilung: Das rechte Seeufer beherbergt die wichtigsten Strassen-, Eisenbahn-, Industrieund Flughafeninfrastrukturen ; das linke Ufer ist von den grossen Infrastrukturen weitgehend unberührt geblieben. Der aktuelle kantonale Richtplan von Genf liefert die Grundlagen, um den monotonen und wenig dichten Charakter der ‹ Zone 5 › zu verändern. Er sieht die Verdichtung von Teilgebieten vor, die mit dem öffentlichen Verkehr gut erreichbar sind. Sie umfassen etwa ein Viertel der Fläche. Der Richtplan verankert diese Förderung der « Ausdehnung der verdichteten Stadt durch Erhöhung der Ausnützungsziffer » und eine « gemischte Nutzung der Stadt durch Bevorzugung von gruppierten Mehrfamilienhäusern ». Er hat zum Ziel, so allmählich « neue, dichte Wohngebiete oder Gebiete mit gemischter Nutzung zu schaffen » und den Bedürfnissen der Allgemeinheit gerecht zu werden. In der Folge hat der Kanton das Baugesetz 2013 angepasst. Abhängig von Kriterien wie der Qualität eines Projekts, der Wohntypologie, der Grösse der Parzelle und der zustimmenden Stellungnahme der Gemeinde können Ausnahmen für Ausnützungsziffern von 0,4 bis 0,6 bewilligt werden. In rund fünf Jahren entstanden so mehr als 4000 neue Wohnungen. Das neue Gesetz hat das Potenzial zur Umgestaltung der bestehenden Bebauung aufgezeigt. Aus Fehlern lernen Allerdings wurden die negativen Folgen zu wenig bedacht. Parzellen werden zerstückelt, Landschaft wird beeinträchtigt, Ökosysteme werden bedrängt, und der Au­ toverkehr nimmt zu. Vor allem ist es nicht gelungen, das öffentliche Interesse zulasten des individuellen zu stär-

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ken. Auch hat man versäumt, das Experimentieren mit Bebauungstypologien zu fördern, um so für neue, gemischte und kollektive Lebensweisen Raum zu schaffen. Diese Erkenntnisse haben den Kanton Genf veranlasst, die Gesetzesänderung von 2013 auszusetzen. Die Zukunft der ‹ Zone 5 › und des Wohnbaus ist eine Baustelle, die mit der nächsten Revision des Raumkonzepts und des kantonalen Richtplans anzugehen ist. Der Verdichtungsprozess muss künftig mit anspruchsvolleren Regeln verbunden werden. Ich nenne fünf. Erstens: Differenzieren der Verdichtung Zone ist nicht gleich Zone. Einige befinden sich unter den Start- und Landebahnen des Flughafens Cointrin, andere sind als Zeugen einer früheren Epoche von dichten Stadtteilen umschlossene ‹ Widerstandsflächen ›. Manche sind Teil grandioser Landschaften, aber den lauten Emissionen unpassierbarer Strassen ausgesetzt. Es wird zurzeit untersucht, wie man sich die Transformation der verschiedenen Gebiete vorstellen kann. Nötig ist, die Qualitäten der Landschaft und des Kulturerbes sowie die natürlichen Werte zu erhalten. Mit diesem Verständnis gilt es dann, gemeinsam den Lebensraum zu gestalten. Zweitens: Durchwegung fördern Die Einfamilienhausviertel kennen kaum ein Gesamtprojekt oder eine Planung, die das öffentliche Interesse berücksichtigt und so Nachbarschaftskonflikte löst. Von aussen erscheinen sie als Inseln ohne Verbindung zu Nachbarquartieren. Von innen betrachtet sind sie abgeschlossen und gleichen einem Labyrinth. Jede Bewegung zu Fuss oder per Velo ist ein Hindernislauf. Es ist nötig, diesen Irrgarten mit Wegen und Strassen überschaubar zu machen. Es braucht den Mut, über Parzellengrenzen nachzudenken und funktionale Zusammenlegungen zu prüfen. Drittens: Fürs Kollektiv planen Um die immer feinere Zerstückelung des Gebiets abzuwenden, muss den Bauvorhaben kollektives Denken vorangehen. Es braucht Massnahmen, die zu gemeinschaftlichem Leben beitragen und die soziale, funktionale und intergenerationelle Viel­falt fördern, zum Beispiel günstige und kollektive Wohnungen, Nachbarschaftszentren, soziale Einrichtungen und passende Dienstleistungen. Viertens: An den Untergrund denken Um das oberirdische Bauvolumen zu reduzieren, haben die Bauten in der ‹ Zone 5 › in der Regel grosse Kellergeschosse, die weit in den Garten hineinreichen mit Tiefgaragen, Spielzimmern, halb eingedeckten Ateliers und Schwimmbädern. Oft sind die ausgebaggerten Volumina grösser als die oberirdischen Bauten. Sie bilden Hindernisse im Bodenökosystem, verhindern Wasserfluss und Wurzelwachstum. Für imposante Bäume, ein Mehrwert für Wohnquartiere, lassen sich keine Standorte finden. Fünftens: Keine grösstmögliche Distanz mehr Im Villenviertel gilt, dass das Haus so weit wie möglich von den Nachbarn entfernt sein soll. Diesem Wunsch hilft der gesetzliche Mindestabstand. Ein Verzicht darauf wird einen Paradigmenwechsel ermöglichen: Neue Bau­ typologien werden die Gruppierung und gemeinsame Nutzung von Gebäuden und die Erhaltung von Grünflächen erleichtern. Sie werden die praktisch irreversible Zerstückelung von Parzellen vermeiden und öffnen die Tür zu einem kontinuierlichen Wandel, der eine Anpassung an die zeitgenössischen Lebensstile erleichtert.  Ariane Widmer Pham ist Kantonsplanerin in Genf.

Themenheft von Hochparterre, März 2021 —  So wohnt die 10-Millionen-Schweiz — Arbeit an der Zone 5

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Sicherheit mit elektronischem Hund und Idylle mit Grün in der Zone 5 von Genf. Themenheft von Hochparterre, März 2021 —  So wohnt die 10-Millionen-Schweiz — Arbeit an der Zone 5

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So wohnt die 10Millionen-Schweiz Der Bundesrat hat beim Rat für Raumordnung ( ROR ) einen Bericht über die ‹ Mega­trends und Raumentwicklung Schweiz › bestellt. Sie ­heissen Globalisierung, Digitalisierung, Indi­ vidualisierung, Alterung und Klimawandel. Die­ ses Themenheft fragt, wie diese Megatrends das Wohnen in der Schweiz von 2040 verändert ­haben werden und in welchen Wohnbauten in den unterschiedli­chen Regionen der Schweiz schon heute die Zukunft aufscheint. Eine Reise mit Start in Brig VS über Genf, Crissier VD, Milvignes NE, Mels SG bis nach Valendas GR, mit Spekula­tionen und Postulaten zu Raum­­pla­nung, Wohnpolitik und Architektur und mit einem Foto­essay von ­Jaromir Kreiliger. Mit freundlicher Unterstützung von: – Bundesamt für Kultur ( BAK ) – Bundesamt für Raumentwicklung ( ARE ) – Bundesamt für Wohnungswesen ( BWO ) – Amt für Raum und Wald, Kanton Appenzell Ausserrhoden – Amt für Raumplanung, Kanton Basel-Landschaft – Office de l’urbanisme, République et canton de Genève  – Raum­entwicklung und Geoinformation, Kanton Glarus – Amt für Raumentwicklung, Kanton Graubünden – Planungs- und Naturschutzamt, Kanton Schaffhausen – Amt für Raum­entwicklung, Kanton Schwyz  – Amt für Raumentwicklung und Geoinformation, Kanton St. Gallen – Amt für Raumplanung, Kanton Solothurn – Amt für Raumentwicklung, Kanton Thurgau  – Amt für Raumentwicklung, Kanton Uri  – Direction générale du territoire et du logement, Canton de Vaud – Amt für Raumentwicklung, Kanton Zürich – Amt für Raum und Verkehr, Kanton Zug – Amt für Bau und Infrastruktur, Raumentwicklung und Baubewilligungen, Fürstentum Liechtenstein – Stadtbauamt, Stadt Aarau – Stadtplanung, Stadt Luzern  – Stadtplanung, Stadt Schaff­h ausen – Stadtplanung, Stadt St. Gallen – Espace Suisse, Verband für Raumplanung – Fachverband Schweizer Raumplaner ( FSU ) – Hansueli Baier, Chur – Bahoge Wohnbaugenossenschaft, Zürich – Logis Suisse, Baden – Pensimo Management, Zürich  – Swiss Life Asset Management, Zürich – Swiss Real Estate Institut, Hochschule für Wirtschaft Zürich ( HWZ )

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