Hörnerdörfer Aktuell - September 2021

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Seite 5 es nicht mit einem flüchtigen Blick getan ist. Jedes Tier wird ganz genau angeschaut und erst wenn’s sicher ist, dass es dem Rind gut geht, wird sein Name in einem kleinen Heft, dem Viehbiachle, abgehakt. Bemerkt er jedoch ein Übel, holt er das Tier in den Stall und kuriert die Malaise – neben vielem anderem, ist man auf der Alpe nämlich auch Doktor für die kleinen Gebrechen. Wir Zweibeiner rufen gern nach schneller Medizin, anstatt genau hinzusehen, anstatt wirklich zuzuhören. Manchmal braucht der Mensch neben uns ganz einfach ein freundliches Wort und wir selbst brauchen keine Therapie, sondern etwas Ruhe, frische Luft und ein gemächliches „Überseahe“ unserer Seele. 5. Viehscheidgedanke: Wenn der Schuh passt, ist der Weg leicht Vor dem Viehscheidtag wird jede Hand gebraucht. Denn die Weidschellen müssen gegen die Zugschellen getauscht werden. Weidschellen sind klein, aus Schwarzblech getrieben und nur an einem einfachen Lederband befestigt, während die Scheidschellen größer und wahre Kunstwerke sind, an bestickten und mit Ziernägeln bestückten, breiten Schellenriemen. Zum Scheid machen sich Mensch und Tier hübsch: Tracht für die Älpler, auf Hochglanz polierte Schellen für die Rinder. Für jedes Tier muss die richtige Schelle herausgesucht werden, schließlich muss der Schmuck „satt anliegen“, also passen wie angegossen. Nur wenn er in Größe und Gewicht dem Tier entspricht, unterstützt er den oft langen Weg von der Alpe ins Tal. Wäre es nicht mal wieder an der Zeit, den eigenen „Kopfputz“ zu vermessen? Könnte es sein, dass die vermeintliche Krönung der Karriere drückt und der Trägtman-jetzt-so-Schuh zu groß ist? Der Weg kann nur leichter werden. 6. Viehscheidgedanke: Die Komfortzone erweitern Wolken ziehen auf, ein Platzregen geht nieder und die Rinder stehen kreuzbrav auf der Wiese und lassen sich vom

Thema des Monats prasselnden Sommerregen den Rücken massieren. Sengende Mittagshitze, der Wind macht Pause und die Rinder liegen kreuzbrav auf der Wiese und wiederkäuen ihr Frühstück. Schafskälte im Juni und die Rinder stehen kreuzbrav im Nebel und wackeln mit den Ohren. Die Sömmerung oben in den Bergen bringt viel Wetter, aber auch Zeit, sich daran zu gewöhnen. Keine Frage, im Großen und Ganzen bevorzugen Rinder schon ein „Viehwetter“. Soll heißen nicht zu heiß, nicht zu kalt und nicht zu viele Mücken, aber der akzeptierte Spielraum ist groß. Größer als unserer. Wir haben uns – nicht nur beim Wetter, versteht sich – so sehr auf eine Wohlfühltemperatur geeicht, dass kleinste Schwankungen zur Störung werden. Dabei weiß man doch spätestens seit Kneipp, dass ein kalter Guss belebend wirkt. Wir sollten hinaus, uns Sonne und Regen stellen und vielleicht einer Meinung, die nicht unsere eigene ist – möglicherweise ist unsere Komfortzone größer als wir dachten.

September 2021 | Ausgabe 5

Auch nach dem Viehscheid schmeckt es auf den Alpen.

Späte Bergsommertage brauchen kein „Like“.

7. Viehscheidgedanke: Der Sommer geht. Genuss bleibt Viele Alpen werden auch nach dem Viehscheid noch bewirtschaftet. Die Älpler müssen zwar nicht mehr auf den Viehgang, aber auf die Weiden müssen sie doch: Der Hag, also die Weidezäune, werden niedergelegt, der Stall und das Käsegeschirr werden geputzt und keine Dachschindel noch ein Fensterladen dürfen lose sein. Denn der Winter wird kommen. Nicht gleich, gottseidank, aber er kommt. Ab dem Viehscheid vergrößert er seine Schritte durch den goldenen Herbst. Bis in den Oktober hinein gewährt er meist noch genug warme Stunden für eine Bergwanderung und eine genussvolle Rast auf der Alpe. Danach vertreibt er uns zwar stürmisch aus der Höhe, aber er lässt uns den Geschmack der hellen Tage im Käse. Und beim Anblick der aufgereihten Weidschellen unter dem Giebel genießen wir die Vorfreude auf den nächsten Alpsommer in den Hörnerdörfern.

Scheidschellen. Jede ein Kunstwerk aber nur eine passt.

Der Bergsommer verabschiedet sich leise. Und bunt.


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