Sonja Locher, Dokumentation «SUPER SONIC TEXTURES», BA Textildesign 2023

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SUPER SONIC TEXTURES

2023

SUPER SONIC TEXTURES

Sonja Locher

Dokumentation Bachelor-Arbeit

Hochschule Luzern D&K

Textildesign

Mentorin : Franziska Born

in diesem Projekt geht es um vieles. Um Sensoren und Sensorik, um Interaktion, Herausforderungen, um Schnittstellen, Raum nehmen und Raum bieten, Materialität, Körper, um Lust, Bewegung, Multidimensionalität. Um Grenzen sprengen wollen, um bedacht und unbedacht zu sein

& dies ist der Versuch, einen Prozess ohne Zeitplan aber vielen Post-its zu illustrieren. Danke an meine Mentorin Franziska Born, die mich kritisch und unterstützend durch diesen Prozess begleitet hat.

2023

1 KONZEPT 2 SOUND 3 TEXTILES 4 SPACE 5 LOOKBOOK

LOOKBOOK

KONZEPT

1

a body-in-textilein-space-experience

Um Dinge zu erfahren, müssen wir mit ihnen in Resonanz treten. Das sagt der deutsche Soziologe Hartmut Rosa in seiner Resonanztheorie. Lässt sich das auch auf unsere Beziehung zum Textil anwenden? Mich interessiert, wie sich die bewusste physische Interaktion mit unseren Textilien gestaltet und wie dies ihre Wertigkeit in unserem Alltag beeinflusst. Sybille Wiescholek beschreibt 2018 das gesellschaftliche Phänomen der textilen Omnipräsenz und textilen Exteriorisierung und erläutert: «Dem Textilen, obwohl omnipräsent im Alltag der Menschen vorhanden, dementsprechend für sie bedeutsam und mit ihnen eng verbunden, haftet eine Selbstverständlichkeit und eine daraus resultierende Unsichtbarkeit an»

Als Textildesignerin habe ich gelernt, Textilien mit allen Sinnen zu untersuchen. Sie zu dehnen, zerknüllen, ihrem Klang zu lauschen, den Duft einzuordnen, sie wortwörtlich unter die Lupe zu nehmen. Ich weiss, welche Fasern wie mit meinem Körper interagieren; ich trete in eine aktive Konversation mit ihnen. Die Arbeit befasst sich mit der Frage, mit welchen Mitteln ich eine solche Konversation schaffen kann, wie sich eine Intimität zwischen dem Ich und dem Raum herstellen lässt, wie die Betrachter:in für einen Moment bewusst in Konversation mit Textil und Umgebung treten kann. Für die Erarbeitung dieses Textils setzte ich mir ein paar Rahmenbedingungen

// es soll verständlich sein

// es soll einfach anzuziehen sein

// es soll Bewegungen triggern

// es soll visuell und haptisch neugierig machen

// es soll für ein Spektrum von Personen tragbar sein

Mich interessierte aber auch besonders stark die Schnittstelle zwischen Textil und Sound. Klang ist eine Sinneswelt, die im Textilbereich selten angesprochen wird, für mich aber unendliche Welten bedeutet. Entstanden ist dadurch die Vision einer Installation, die aktiv auf die Akteur:in reagiert, dafür jedoch nach einer aktiven Interaktion fragt. Das erarbeitete Textil ist akustisch und haptisch vielfältig. Durch die Integration von verschiedenen Mikrofonen konnte eine solche Schnittstelle geschaffen und ein neues Klangerlebnis kreiert werden, das im Zusammenspiel mit Raum einen intimen Moment des neugierigen Erforschens ermöglicht. Denn erst durch das haptische Untersuchen und den Einsatz des Körpers entfaltet sich die akustische Ebene für die Interakteur:in.

arduino, ableton, max&co

Mich interessierten grundlegend zwei Themenbereiche, um welche sich das Projekt aufbaut

// Smart-Textiles im künstlerischen Bereich

// Textilien und Klang

Smart-Textiles sind aktuell ‚the Thing‘ - wer recherchiert findet jede Menge Projekte im Bereich Health-Monitoring oder mit leuchtenden Textilien. Mit viel Musik aufgewachsen und immer wieder versuchend, Klang in meine Projekte einfliessen zulassen, interessierten mich hingegen die Möglichkeiten, welche die Technik für das Zusammenbringen von Klang und Textil bringt.

Durch Recherchen auf Kobakant und im Austausch mit der Künstlerin Victoria Manganiello entstand die Idee, Stretch-Sensoren als Schnittstelle zwischen Mensch, Textil und Raum einzusetzen. Dafür experimentierte ich mit dem Verstricken von leitfähigen Garnen, um zugsensiblen Strick herzustellen. Verbunden mit einem Minicontroller (Arduino), werden so Bewegungen zu Zahlenwerten. Diese Zahlen können in ein Programm (MAX MSP) eingespiesen werden, um damit den Pitch eines Tons zu beeinflussen - das heisst beispielsweise

// viel Zug = hoher Zahlenwert = Ton wird höher // wenig Zug = tiefer Zahlenwert = Ton wird tiefer

Im Verlauf des Projekts musste ich feststellen, dass diese Umsetzung viel mehr Zeit und Recherche benötigt. An diesem Punkt stellte ich auch fest, dass es für mein Anliegen vielleicht gar nicht diese Art von Technik braucht, denn es ging mir grundlegend um das Ansprechen des akustischen Sinnes, um das neugierige Untersuchen des Textils.

2 SOUND

Das führte zur Entscheidung, mit der existierenden Akustik des Textils zu arbeiten - ich wählte Kontaktmikrofone, welche Körperschall übertragen, und Interview-Mikrofone, welche die tatsächlichen Geräusche des Textils einfangen. Angeschlossen an ein Audio-Interface, werden die Klänge so in eine Musiksoftware gespiesen, in der die Klänge mit Effekten leicht verzerrt werden. So taucht die Interakteur:in mit dem kompletten Eintreten in die Installation in zwei Klangwelten ein: die, die sie mit ihrem eigenen Sein im Textil schafft und die, welche ich als Künstlerin aus der Interaktion mitgestalte.

Danke an Alexandra Pfammatter, Mediadock HSLU D&K

Simon Hafner, Musiker & Producer, Luzern

David Haas, Spatial Design HSLU D&K

Juli Poltera, Sound Arts HKB

Christof Steinmann, Sounddesigner und Dozent HSLU D&K

Simon Lanz, Künstler und Designer, Bern

Luc Gut, Oszilot

neugierig machen

Für die Erarbeitung hatte ich die im Konzept erwähnten Punkte festgelegt und wollte mit textilen und nicht-textilen Materialien arbeiten. Sie sollten rascheln, klingeln und knacken, kratzen und streicheln - sie sollten Neugierde wecken.

Während des Studiums konnte ich mich nicht intensiv mit der Technik des Tuftens beschäftigen - aber ähnlich wie bei den Smart-Textiles wollte ich herausfinden, was abseits der schweren Wollteppiche mit dieser Technik möglich ist. Im Materialbrockenhaus OffCut in Luzern stiess ich auf farbigen Bast, Plastik, Kabel, Drähte, Schrauben, Bänder und Stoffe. Sie liessen sich einfach zu tuftbaren Materialien verwerten und zu haptisch, visuell und akustisch interessanten Flächen verarbeiten. Einige Versuche am Webstuhl und der Strickmaschine brachten weitere Ideen für die Adaption im Tufting und ich entschied mich dazu, ausschliesslich mit dieser Technik zu arbeiten. Aufgrund der Kriterien für die Form des Textils, entschied ich mich in der Formfindung für eine Jacke. Tufting birgt jedoch klassischerweise einige Tücken

// hohes Gewicht durch die Materialmenge und das Verleimen // steif // Prototyping und Fitting ist schwierig

Die Arbeit mit Bast und Plastik stellte sich nicht nur als interessant für die Sinne heraus, sondern wirkte auch dem Gewichtsproblem entgegen. Ich verwendete jeweils nur ein Strang Material, ausser bei der Kombination zweier Materialien. Dadurch , wurden die Flächen weniger Dicht und die Transparenz erlaubt einen Blick auf den Trägerstoff, welcher dadurch ebenfalls flexibler bleibt. Das klassische Verleimen von getufteten Textilien fügt nicht nur Gewicht hinzu, sondern führt auch zu einer steifen, stacheligen Oberfläche. Ich experimentierte deshalb mit Latex und verdünntem Leim sowie unverleimten Samples. Latex lässt sich gut auftragen und bleibt flexibel & weich. Dies führte zur Entscheidung, stark beanspruchte Teile mit abgestimmtem Latex zu fixieren, die anderen Stellen jedoch so zu belassen. Optimal ist die Lösung nicht, denn der Latex ist hitzeempfindlich, hat einen starken Geruch und bleibt klebrig. Die unverleimten Partien verlieren beim Gebrauch stetig Material und

3
TEXTILES

ich muss mich damit abfinden, dass irgendwann eher ein gerupftes Huhn anstatt einer Jacke übrig bleiben wird. Dafür bleibt aber auch die abwechslungsreiche Innenseite Teil der Gestaltung und nimmt Einfluss auf das Empfinden während des Tragens.

Die Form mit einem getufteten Textil zu testen würde einen hohen Materialverschleiss bedeuten. Ich versuchte daher anhand unterschiedlich steifer Textilien abzuschätzen, wie sich das getuftete Kleidungsstück verhalten könnte. Gerade mit der Platzierung der Zeichnung hätte ich mich mehr auseinandersetzten können. Das Narrativ ist eine spielerische Illustration der verschiedenen Sinne: Berühren, Hören, Schmecken, und Sehen. Erkennbar aber nicht plakativ, soll die Gestaltung die Akteur:in zum Nähertreten anregen. Durch die nicht miteinberechneten Wellungen der Jacke erhalten einige Partien viel Präsenz, andere gehen im Vergleich unter.

Danke an Jennifer von Känel, Tuftinglove Suhr Florina, Petra, Carmen und Dorothea, Textilwerkstatt HSLU D&K
4
SPACE

eintauchen

Einer der Grundpfeiler in der Herangehensweise formulierte ich auf den ersten Seiten meines Prozessbuches so

// ein Gesamtes, Abgeschlossenes machen

In meinen Arbeiten ist der Raum immer mitgedacht. Der Raum umrahmt eine Aussage, leitet sie in die eine oder andere Richtung, bietet eine Bühne, schafft Neugierde. Während meinen Auseinandersetzungen fragte ich mich, was braucht es, damit ein interaktives Ausstellungsstück tatsächlich erforscht und getragen wird. Was braucht es, damit die Interakteur:in sich dabei wohl fühlt? Ein wichtiger Punkt scheint mir zu sein, eine Intimität zu schaffen. Ausgehend von der Grundidee, ein im Raum hängendes und mit ihm verbundenes Kleidungsstück zu kreieren, entstand die Vision einer Kabine. Sie ist, wie auch die Jacke, vertraut. In einer Kabine schaut man sich an, dreht sich um sich selbst, untersucht sich und das Kleidungsstück auf eine spezifische Art und Weise - man tritt in Konversation.

Während des Prozesses trennte ich die Jacke vom Raum. Trotzdem wollte ich die Möglichkeit des völligen physischen Eintauchens in die Sinneswelt beibehalten, was durch das Eintreten in die Kabine herbeigeführt werden soll. Durch die Lücken zwischen den Latten bietet sich von aussen die Möglichkeit, hinein zu spähen, ohne das Ganze erfassen zu können. Im Raum hingegen entsteht durch die Verspiegelung ein Wechselspiel zwischen dem Blick auf sich selbst und dem Aussen. Das ganze akustische Erlebnis wird zudem erst Hörbar, wenn die Interakteur:in sich zum Eintreten entscheidet. Dies geschieht durch einen Sensor, der anhand von Signalen das Volumen im Musikprogramm ansteuert und wird unterstützt durch die Ausrichtung der Lautsprecher gegen die Kabine.

Danke an

André Schuler, Metallwerkstatt HSLU D&K

Bigna Sutter, Streichassistenz und Folienprofi Tim Frank und Valentin Küng, Holzwerkstatt HSLU D&K Spandex AG, Sponsoring Spiegelfolie

LOOKBOOK

5

Konzept : Sonja Locher

Fotos : Elena Völkle, @elenavoelkle.ch

Model : Rahel Ruppen, @mountaintofu

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