1UP N°13 DE (11.2016)

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ICF BASEL ISSUE N°13 – NOV 2016

MIT TABLETS, DROHNEN UND SMARTPHONES LEID LINDERN

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SICH INSPIRIEREN LASSEN NEUE WEGE GEHEN

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SCHWEISSEN, OPERIEREN UND CHAI TEE UNTERM STERNENHIMMEL

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POSITIONIERUNG KANN ECHT GEFÄHRLICH WERDEN… Der folgende Funkverkehr hat tatsächlich und real am 16. Oktober 1997 stattgefunden – zwischen Galiziern und Nordamerikanern – und wurde auf der Frequenz des spanischen maritimen Notrufs, Kanal 106, mitgeschnitten. Er wurde allerdings erst im März 2005 von den spanischen Militärbehörden zur Veröffentlichung freigegeben, woraufhin er sofort von allen spanischen Zeitungen gedruckt wurde. Mittlerweile lacht sich ganz Spanien darüber kaputt:


Editorial — 03

Galizier (Geräusch im Hintergrund): Hier spricht A-853 zu ihnen, bitte ändern sie ihren Kurs um 15 Grad nach Süden, um eine Kollision zu vermeiden. Sie fahren direkt auf uns zu, Entfernung 25 nautische Meilen. Amerikaner (Geräusch im Hintergrund): Wir raten IHNEN, ihren Kurs um 15 Grad nach Norden zu ändern, um eine Kollision zu vermeiden. Galizier: Negative Antwort. Wir wiederholen: ändern sie ihren Kurs um 15 Grad nach Süden, um eine Kollision zu vermeiden. Amerikaner (eine andere Stimme): Hier spricht der Kapitän eines Schiffes der Marine der Vereinigten Staaten von Amerika zu ihnen. Wir beharren darauf: ändern sie sofort ihren Kurs um 15 Grad nach Norden, um eine Kollision zu vermeiden. Galizier: Dies sehen wir weder als machbar noch erforderlich an, wir empfehlen ihnen ihren Kurs um 15 Grad nach Süden zu ändern, um eine Kollision zu vermeiden. Amerikaner (stark erregt, befehlend): HIER SPRICHT KAPITÄN RICHARD JAMES HOWARD, KOMMANDANT DES FLUGZEUGTRÄGERS „USS LINCOLN“ DER MARINE DER VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA, DES ZWEITGRÖSSTEN KRIEGSSCHIFFS DER NORDAMERIKANISCHEN FLOTTE. UNS GELEITEN ZWEI PANZERKREUZER, SECHS ZERSTÖRER, FÜNF KREUZSCHIFFE, VIER U-BOOTE UND MEHRERE SCHIFFE, DIE UNS JEDERZEIT UNTERSTÜTZEN KÖNNEN. WIR SIND IN KURSRICHTUNG PERSISCHER GOLF, UM DORT EIN MILITÄRMANÖVER VORZUBEREITEN UND IM HINBLICK AUF EINE OFFENSIVE DES IRAKS AUCH DURCHZUFÜHREN. ICH RATE IHNEN NICHT… ICH BEFEHLE IHNEN, IHREN KURS UM 15 GRAD NACH NORDEN ZU ÄNDERN!!! SOLLTEN SIE SICH NICHT DARAN HALTEN, SO SEHEN WIR UNS GEZWUNGEN, DIE NOTWENDIGEN SCHRITTE EINZU-

LEITEN, UM DIE SICHERHEIT DIESES FLUGZEUGTRÄGERS UND AUCH DIE DIESER MILITÄRISCHEN STREITMACHT ZU GARANTIEREN. SIE SIND MITGLIED EINES ALLIIERTEN STAATES, MITGLIED DER NATO UND SOMIT DIESER MILITÄRISCHEN STREITMACHT. BITTE GEHORCHEN SIE UNVERZÜGLICH UND GEHEN SIE UNS AUS DEM WEG!!!

tet mich seitdem. Und je älter ich werde, desto häufiger erinnere ich mich daran! Bleibe nicht bei deinen Vorstellungen, bei deinen Positionen, bei deinen Erkenntnissen stehen, Ralf. Sei bereit zum Lernen! Manchmal kann es überlebensnotwendig sein, seine Position zu ändern.

Galizier: Hier spricht Juan Manuel Salas Alcantara. Wir sind zwei Personen. Uns geleiten unser Hund, unser Essen, zwei Bier und ein Mann von den Kanaren, der gerade schläft. Wir haben die Unterstützung der Sender Cadena Dial von La Coruna und Kanal 106 als Maritimer Notruf. Wir fahren nirgendwo hin, da wir mit ihnen vom Festland aus reden. Wir befinden uns im Leuchtturm A-853 Finisterra an der Küste von Galizien. Wir haben null Ahnung, welche Stelle wir im Ranking der spanischen Leuchttürme einnehmen. Und sie können die Schritte einleiten, die sie für notwendig halten, um die Sicherheit ihres Flugzeugträgers zu garantieren, zumal er gleich an den Küstenfelsen Galiziens zerschellen wird, und aus diesem Grund müssen wir darauf beharren und möchten es ihnen nochmals ans Herz legen, dass es das Beste, das Gesündeste und das Klügste für sie und ihre Leute ist, ihren Kurs um 15 Grad nach Süden zu ändern, um eine Kollision zu vermeiden…“

Als wir als Office Staff vor einiger Zeit das ICF München besucht haben, ermutigte uns Tobi Teichen (der dortige Senior Pastor) zu einer Team- und Kirchenkultur, die sich immer wieder aufmacht, Neues zu entdecken und auch auszuprobieren! Das beinhaltet aber auch, dass man Bestehendes hinterfragen muss: Dient es noch unserer Vision? Was muss man anpassen? Was sollten wir neu integrieren? Solche ehrlichen Fragen halten uns wach! Ich bin enorm dankbar, Teil einer Kirche zu sein, die immer wieder den Mut und die Flexibilität im Geist hat und innovative Wege gehen will, damit „Kirche neu erleben“ nicht nur ein netter Satz ist. Ich freue mich auf die nächsten innovativen Schritte, die wir als Gesamtkirche gehen: ICF Lörrach ist am Start! Das wird grossartig und uns alle herausfordern, grenzüberschreitend im Dreiländereck tätig zu sein.

(Quelle: COACHINGAcademie® Bielefeld)

Als ich vor Kurzem diesen Artikel las, erinnerte ich mich wieder an meinen ehemaligen Mentor. Kurz nachdem ich Christ geworden war, ermutigte und ermahnte er mich sinngemäss mit folgenden Worten: „Ralf, sei beständig in deinem Leben bereit, Neues zu lernen; setze dich geistlich nicht zur Ruhe, sondern sei offen für neue und auch fremde Erfahrungen. Auf dem Weg wirst du neue und segensreiche Erlebnisse mit Gott machen.“ Dieser Rat meines damaligen geistlichen „Ziehvaters“ beglei-

Ralf Dörpfeld (Senior Pastor ICF Basel)


04 — Mit Tablets, Smartphones und Drohnen Leid lindern

MIT TABLETS, SMARTPHONES UND DROHNEN LEID LINDERN Wie schmeckt Wasser, das zuvor eine mit Abfall übersäte Strasse passiert hat? Wie lässt sich schwerkrank überleben, wenn das nächste Spital meilenweit entfernt liegt? Wie fühlt es sich an, wenn man durch Waffengewalt aus seinem Zuhause gezwungen wird und dieses in Flammen aufgeht? Wie hält man es aus, mit Kind und Kegel, hungrig, ohne Hab und Gut und vielleicht hochschwanger auf der Flucht zu sein – ständiger Lebensgefahr ausgesetzt, vor allem in der Nacht?



06 — Mit Tablets, Smartphones und Drohnen Leid lindern

Wir in der wohlhabenden, behüteten Schweiz können uns derlei nicht vorstellen. Doch für viel zu viele Menschen auf dieser Welt ist dies traurige Realität. Ich arbeite bei Medair, weil ich nicht länger zusehen kann. Ich setze mich dafür ein, dass diesem unsagbaren Leid ein Ende bereitet wird, dass Menschen wieder hoffen können. Medair sorgt in den Krisenregionen dieser Welt für Zugang zu sauberem Trinkwasser, sichere Unterkünfte und medizinische Hilfe. Die Mitarbeitenden betreiben auch Aufklärung, etwa im Bereich Hygiene. Dass die Notleidenden ein Minimum an Wohlgefühl, an Würde zurückerhalten und mit Respekt behandelt werden, ist der Organisation ein Herzensanliegen.

empfänger und die empfangene Hilfe zu registrieren. Heute läuft dies per Tablet und damit fehlerarm und viel effizienter ab. Die Daten werden in Clouds gespeichert und als Grafiken dargestellt. Dringende Not kann so schneller erkannt und den Menschen besser geholfen werden. „Späher am Himmel“ Auch sogenannte Unbenannte Luftfahrzeuge (ugs. Drohnen) kommen im Katastrophenfall zum Einsatz. Nach dem Erdbeben in Nepal und dem Taifun Haiyan auf den Philippinen etwa lieferten diese einen detaillierten Überblick bezüglich Ausmass und Art der Schäden.

Hilfeempfänger werden mittels eines Mobilgerätes registriert und erhalten eine Karte, mit welcher Hilfeleistungen bezogen werden können. Fotos: © Medair Vertrieben und traumatisiert Im Juni hatte ich Gelegenheit, unser Einsatzgebiet im Südsudan zu besuchen. Unvergessen bleiben die Eindrücke und Erlebnisse in den Flüchtlingslagern. Unter primitivsten Bedingungen leben hier über 40‘000 Menschen, viele von ihnen traumatisiert. Gibt es Wege, der grossen Not weltweit effizienter zu begegnen mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln? Wie lässt sich aus dem Spenderfranken mehr herausholen – ohne qualitativ Abstriche zu machen? Die Antwort lautet: mit innovativer Technologie! Medair ist in der humanitären Hilfe auf diesem Gebiet führend. Ende der Zettelwirtschaft In städtisch geprägten Gebieten wie dem Libanon und Jordanien besitzt fast jeder Flüchtling ein Mobiltelefon. Sogar in entlegenen Dörfern der Subsahara steigt die Zahl an Handys. Diese mobilen Geräte, inklusive passender Apps, erleichtern die humanitäre Arbeit enorm. Beispielsweise gibt es Hotlines, über die Notleidende Hilfe anfordern können. Bisher war sehr viel Papier und Geduld notwendig, um Hilfe-

Zerstörte Strassen und Brücken sowie Aufenthaltsorte und Zustand von Überlebenden werden durch Drohnen sichtbar. Hilfe kann so rasch an den richtigen Ort gelangen. Eine Herausforderung beim Einsatz innovativer Technologien besteht darin, dass es in vielen Orten des globalen Südens an einer zuverlässigen Stromversorgung fehlt. Der Einsatz innovativer Technologien ist deshalb beschränkt. Dennoch begeistert mich das Tun und Denken von Medair. Und ich hoffe, Sie auch. Über Ihre Unterstützung freuen wir uns sehr. Vielen herzlichen Dank!

Nach seinem Studium als Wirtschaftsingenieur und fünf Jahren Tätigkeit in der Industrie, wechselte Dominic Bürgi vor gut einem Jahr in den humanitären Bereich. Dort arbeitet er für die internationale Organisation Medair im Bereich Kommunikation. Er ist 30 Jahre alt, verheiratet mit Mia und wohnhaft in Basel.


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Für das Bekaa-Tal im Libanon stellt Medair mittels neuer Technologien Übersichten über die Flüchtlingssituation her. Diese werden an die EU als Partnerin und anderen Hilfswerken zur Verfügung gestellt.

Umfragen zur Evaluierung der Hilfeleistungen werden basierend auf einer App mittels eines Tablets erhoben. Dies ist nur ein Beispiel für den technischen Fortschritt in der humanitären Nothilfe.

Nähere Informationen finden Sie unter www.medair.org


08 — Café Aliena

Das „Café Aliena“ ist vielen ICF-lern mittlerweile ein Begriff. Die meisten wissen, dass Séline Stäheli - Mitarbeiterin bei Soziale Initiativen - und andere Frauen aus dem ICF als freiwillige Mitarbeiterinnen im Café aushelfen und dienstags dort mit Frauen aus dem Sexgewerbe Kaffee trinken, plaudern oder ihnen eine Maniküre machen. Rückzugsort So einfach und doch so wichtig. Nicht jeder kann sich eben mal zurückziehen und entspannen. Obwohl dies so wichtig ist für das innere Gleichgewicht und die körperliche wie auch psychische Erholung. In den Räumlichkeiten von Aliena finden die Frauen aus dem Sexgewerbe genau das. Hier können sie sich im Ruheraum hinlegen und endlich schlafen, ohne gestört zu werden, oder in Ruhe einen Kaffee trinken, in einer Zeitschrift blättern, Musik hören. Dass sie diese Möglichkeit haben, die für viele von uns eine Selbstverständlichkeit ist, haben die Frauen der Organisation „Aliena“ zu verdanken. Beratung und Hilfe Für die Frauen im Rotlichtmilieu ist es sehr wichtig, dass sie

einen geschützten Ort haben, an dem sie sich Informationen, Hilfe und Kontaktadressen holen können. Bei Bedarf bekommen sie ärztliche Begleitung und rechtliche Unterstützung. In einem Deutschkurs können sie die Sprache lernen, um in der Schweiz eine Stimme zu bekommen und für sich selbst eintreten zu können. Mit kleinen Schritten vorwärtskommen Als vor 15 Jahren die Beratungsstelle startete, die vom Verein „Compagna Sektion Basel-Stadt“ getragen wird, gab es keine ähnliche Dienstleistung in der Umgebung. In kleinen Schritten baute das Team diese grossartige Arbeit auf, die bereits zwei Mal ausgezeichnet wurde: 2008 mit dem 10. Basler Integrationspreis und dem Chancengleichheitspreis beider Basel namens „Das heisse Eisen“. Am 3. November 2016 findet anlässlich des 15-jährigen Jubiläums ein Tag der offenen Tür statt. Dann kann man sich selbst davon überzeugen, was passieren kann, wenn man an den Erfolg eines Projektes glaubt und als Team gemeinsam für eine Vision arbeitet.


Café Aliena — 09

Den grössten Nutzen ziehen die Frauen aus... ... den Gesprächen im Café und dass sie im Aliena immer auf ein offenes Ohr und wohlwollende Unterstützung stossen. Die häufigsten Probleme der Frauen sind... ... Krankheiten, Gewalt, Ausbeutung, fehlende Sprachkenntnisse. Die grösste Problematik momentan ist... ... dass sehr junge Frauen die Prostitution als letzte Erwerbsmöglichkeit sehen, da sie im Herkunftsland keine Chancen auf Bildung haben. Oftmals erkennen sie auch das volle Ausmass nicht und lassen sich vom „einfach“ und schnell verdienten Geld blenden. Aliena braucht am meisten Hilfe in Form von... ... Finanzen. Geld bedeutet Ressourcen. Ressourcen bedeuten umfänglichere Hilfe für mehr Frauen. In Zukunft müsste... ... sich die Einstellung der Gesellschaft ändern. Das Sexgewerbe lebt nur, weil Nachfrage da ist. Eine Nachfrage, die aus unserer Mitte kommt. Doch gleichzeitig grenzen wir diese Frauen aus und wenden den Blick ab. Aliena hält dagegen.

Alejandra MartinezJordan, 36, Mutter zweier Jungs, Pflegemutter eines minderjährigen Asylsuchenden aus Syrien. Alejandra arbeitet als Migrationsbetreuerin und engagiert sich im ICF auch als Sängerin und beim simultanen Übersetzen von Predigten ins Spanische.

Beratungsstelle für Frauen im Sexgewerbe Webergasse 15 4058 Basel Tel/Fax 061 681 24 14 aliena@compagna-bs.ch www.aliena.ch


10 — Interview Philipp Roggensinger

INTERVIEW PHILIPP ROGGENSINGER


Interview Philipp Roggensinger — 11

DASBREITEHOTEL ist ein modernes Stadthotel mit 36 Zimmern in Basel. Es bietet Geschäftsleuten, Familien und Städtereisenden unter dem Motto „Ganz schön anders“ aufmerksamen Service und zeitgemässen Komfort. www.dasbreitehotel.ch

DASBREITEHOTEL ist ein Integrationsbetrieb von Weizenkorn. Das Unternehmen Weizenkorn umfasst weitere Betriebe im Bereich Gastronomie, Schreinerei, Küchenbau, Holzspielwaren und Qualitätskerzen. www.weizenkorn.ch

Hallo Philipp, herzlichen Dank, dürfen wir heute zu Gast sein bei dir im Hotel Breite! Du bist hier der Hoteldirektor. Wie wird man eigentlich Hoteldirektor? Der typische Hotelier würde sicherlich sagen, man sollte – neben der Hotelfachschule – mal in allen Stationen eines Hotels gearbeitet haben: Service, Hauswirtschaft, Küche, Rezeption usw. Daneben gibt es aber sicher auch noch andere Wege: Ich habe Wirtschaft studiert. Ein Hotel ist ein Unternehmen wie jedes andere auch. Einzig die Bran-

che ist dahingehend speziell, dass eine enorm hohe Transparenz und Kundennähe vorhanden ist. Inwiefern? Nun, die Kunden haben mittels Internet, TripAdvisor etc. jederzeit die Möglichkeit, einen Hotelaufenthalt zu bewerten. Und die meisten nutzen dieses Angebot auch. Das ist auf der einen Seite schön, auf der anderen Seite aber auch eine permanente Herausforderung. Man stellt sich einen Hoteldirektor vor allem als Gastgeber vor. Wenn ich mich nun aber in deinem Büro umschaue, stapeln sich hier vor al-

lem viele Unterlagen – ein klassisches Büro eben. Wie viel hast du selbst mit dem «Gast» zu tun? Grundsätzlich kommt es sehr auf das Hotel drauf an. Einen Unterschied macht sicher, ob es ein Ferien- oder Businesshotel ist; eines in der Stadt oder auf dem Land. In der klassischen Ferienhotellerie ist die Direktion während der Saison oft ein 24-Stunden Job, 7 Tage die Woche. Gleichzeitig ist der Hoteldirektor dann auch Gastgeber und kennt insbesondere die Stammkunden persönlich. Die Gastgeberrolle kommt auch eher in den 4 bis 5-Sterne-Hotels zum Tragen. Das ist im Stadthotel meistens an-


12 — Interview Philipp Roggensinger

ders. Du hast viel kürzere Aufenthalte, selten bleibt ein Gast eine oder sogar zwei Wochen. Die Gäste sind vor allem auf Geschäftsreise zur Roche, Novartis, SAP usw. Geschäftsleute haben andere Bedürfnisse als einfach nur auszuspannen und zu geniessen. Sie wollen auch Effizienz. Daher unterscheidet sich mein Aufgabengebiet vom klassischen Gastgeber, der jeden mit Händedruck empfängt. Es geht mehr um Marketing, Administration und Führung. Im Zentrum steht dabei die mittel- und langfristige Entwicklung des Hotels. Es geht um Projekte wie das Redesign der Zimmer oder technische Innovationen, z.B. im Buchungswesen, zu evaluieren und einzuführen. Letztendlich dreht sich alles ums Marketing und eine dedizierte Ausrichtung des Unternehmens an den Kundenbedürfnissen. Wie bist du organisatorisch aufgestellt? Bist du mehr als Einzelkämpfer und Allrounder unterwegs

oder hast du ein Geschäftsleitungsteam um dich herum? Jede der drei Abteilungen hat eine Abteilungsleitung: Leitung Réception, Restauration und Hauswirtschaft. Die bilden mit mir zusammen das Führungsteam. Jede Abteilung hat dann wieder ihr eigenes Team, das für das «Daily Business» verantwortlich ist – da braucht es mich eigentlich nicht dafür. In einem Hotel sind alle Prozesse gut strukturiert und standardisiert – jeder weiss, was zu tun ist. So kann ich mich als «Mädchen-füralles» um die mittel- und langfristigen Dinge kümmern. Wie wichtig ist bei dir die Führung von Mitarbeitern? Wie stark kommt dabei auch das Zwischenmenschliche zum Tragen? Das ist sicherlich eine meiner wichtigsten Aufgaben. Primär habe ich mit den Abteilungsleiterinnen zu tun. Mit diesen arbeite ich am engsten zusammen. Natürlich gibt es dabei Unterschiede. So ist der

Tätigkeitsbereich Réception viel näher an meinem eigenen Aufgabengebiet, sprich der Kundenansprache und dem Verkauf. Entsprechend involviere ich mich hier auch stärker. Der Bereich Hauswirtschaft läuft relativ autonom und hinter den Kulissen. Hier geht es mehr darum, ein gutes Team zusammenzustellen und Abgänge durch passende neue Mitarbeiter zu ersetzen. Was ist in diesem breiten Spektrum an Aufgaben für dich die grösste Herausforderung – was macht dir am meisten Freude? Wir sind ein sehr spezielles Unternehmen. Grundsätzlich sind wir ein Nicht-Gewinnorientiertes-Unternehmen, das sich nicht dem Geld bzw. der monetären Gewinnoptimierung verschrieben hat. Unser primäres Ziel ist es, Arbeitsplätze für Menschen am Rande der Gesellschaft zu schaffen. Dies sind z.B. Menschen, die keinen Job finden aufgrund irgendeiner Beeinträchtigung. Wir machen das, indem wir


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ein Hotel betreiben und dabei diese Leute miteinbeziehen. Der Vorteil ist: Diese Personen sind finanziell versorgt, meist durch eine IV-Rente. Wir bezahlen zusätzlich einen kleinen Lohn – oder eher ein Taschengeld. Unsere wichtigste Währung, in der wir unsere Mitarbeitenden bezahlen, ist aber nicht der Schweizer Franken, sondern es ist Anerkennung und Wertschätzung. Die grosse Herausforderung liegt nun darin, dass wir auf der einen Seite «lieb» sein wollen zu unseren Mitarbeitern, gleichzeitig muss beispielsweise ein Zimmer dennoch picobello sauber gereinigt werden. Ansonsten können wir das Hotel nicht nachhaltig profitabel führen. Es ist genau dieses Spannungsfeld, was mir am meisten Freude macht und persönlich viel zurückgibt. Meine aktuelle Tätigkeit ist der sinnvollste Job, den ich bisher in meinem Leben machen durfte.

Foto: © Larghi & Stula Architekten Basel

Ist der christliche Glaube etwas, das im Hotel gegenüber Gästen und Mitarbeitern aktiv angesprochen wird oder schwingt dieser mehr im von dir soeben skizzierten sozialen Grundauftrag mit? Wir gehören einem diakonischen Werk an, der Stiftung Weizenkorn [vgl. Kasten]. Wir wollen nicht evangelisieren, sondern ein verantwortungsvoller und fairer Arbeitgeber sein. Ich stelle mir oft vor, wie Jesus in dieser Situation handeln würde, wie er das Hotel führen würde. Unser Ziel ist es, die Mitarbeitenden da abzuholen, wo sie gerade stehen und sie weiter zu bringen. So versuche ich, die Werte der Bibel vorzuleben und hoffe, dass das multipliziert wird. Wir verteilen keine Traktate oder versuchen auch nicht, Mitarbeiter spezifisch zu bekehren. Gleichzeitig machen wir kein Geheimnis daraus, dass die Eigentümerin [Stiftung Weizenkorn] und auch einige

Personen im Führungsteam gläubig sind. Oder anders gesagt: gläubige Mitarbeiter müssen auch nicht "aufs Maul sitzen" und es herrscht eine offene und tolerante Arbeitsatmosphäre. Insofern steht im Vordergrund, den eigenen Glauben authentisch zu leben. Auf diesem Hintergrund haben sich auch schon Leute im Betrieb bekehrt. Herzlichen Dank für das Interview!

Raphael Branger arbeitet als beratender Wirtschaftsinformatiker und Unternehmer bei der Firma ITLogix AG. Er ist verheiratet, hat zwei Töchter und lebt mit seiner Familie in Rheinfelden.


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Gewinnspiel – gewinne einen Gutschein für 2 Personen zum legendären Samstag- oder Sonntagsbrunch im DASBREITEHOTEL in Basel. Du musst nur die folgenden Fragen über den Link wettbewerb.dasbreitehotel.ch richtig beantworten, und schon nimmst du an der Verlosung teil: Welchem Zweck hat sich DASBREITEHOTEL u.a. verschrieben? a) dem Zweck der monetären Gewinnoptimierung b) der Schaffung von Arbeitsplätzen für Menschen mit einer Beeinträchtigung c) der Evangelisation von Geschäftsreisenden Wer ist Eigentümer/-in des DASBREITEHOTEL? a) der Basler Bebbi b) die Stiftung Weizenkorn c) Gault Millau d) der Verein Birsköpfli


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Foto: © Larghi & Stula Architekten Basel


16 — 6 Alben für 6 Jahre im ICF

Mit 16 zum ersten Mal mit schrecklich pinker E-Gitarre im ICF Basel, bin ich – Bruce Klöti – viele Jahre später immer noch und liebend gerne hier, mach’ Musik und beantworte dank meiner Job Description als Leiter Worship Ministries zahlreiche „könnten wir nicht mal XY singen“ - Emails, jedoch meistens sehr spät (sorry!).

6 ALBEN FÜR 6 JAHRE IM ICF

Auch ausserhalb der Kirche füllen sich meine Tage mit Jesus & Musik, als Produzent im Studio oder als Gitarrist in meiner Band „We Invented Paris“. Meine Frau Bridey kommt aus Neuseeland und zu meiner Freude oft an unsere Konzerte.

Niki & The Dove Instinct Mein persönlicher heiliger Gral, vielleicht das beste Album EVER. Das schwedische Duo erscheint aus dem Nichts mit einem SynthPop Wunderwerk, geballt mit unglaublicher Kreativität, epischen SoundTraum-Welten und einer Sängerin, der du trotz ihrem emotionalen 80s-Pathos jedes Wort abnimmst und es auf deiner eigenen Seele glühen spürst. Langweilig wird’s dir hier nie, unbedingt drauf einlassen – riesen Songs. > Anspieltipp: Tomorrow

Chvrches The Bones Of What You Believe Musik zum Autofahren. Mr. Dominic Bürgi (Artikel über Medair in diesem 1UP; Anm. d. Red.) hat mir die schon gut ein halbes Jahr empfohlen, bevor ich sie dann endlich selbst entdeckte. Der GeschmacksPionier sollte eigentlich die Rezensionen hier schreiben. Apropos Pionier, das Trio aus Glasgow hat viel zum Revival der 80s Synthesizer im Mainstream beigetragen, gerade auch im Bereich Worship hört man seither überall klirrend verstimmte Arpeggio Synthesizer und fette Drum Machines. > Anspieltipp: Gun

Bilderbuch Schick Schock Die vier Jungs aus Österreich haben ironische Coolness zum Frühstück runtergespült und den Kasperli mitverschluckt. Sicher nicht uninspiriert vom grossen Falco rappt Frontsänger Maurice gekünstelt Nonsense über die gesammelten Werke der musikalischen NoGo’s im Rockgewand – da ist wirklich alles dabei, was man so unter Musikern nicht macht, und gerade darum ist das so mutig und soooooo cool. Wenn du mal die erste Befremdlichkeit überwunden hast, ist dir der Hüftschwung und das Dauergrinsen garantiert. > Anspieltipp: OM


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Als Kind hab ich schon mit Kopfhörern als Mikrofon Mixtapes aufgenommen und stundenlang vor dem Radio gewartet, um meine Lieblingssongs auf Kassette aufzunehmen. Mein unausschaltbares Unterbewusstsein analysiert jeden Beat, jeden Klang, der aus der kleinen Box in der Ecke des Cafés säuselt oder im Lift mitsummt. Täglich hörst du mich x-beliebigen Sound mit meinem Mund imitieren und bemerkst die schrägen Blicke von links und rechts, die ich übersehe. Ich hatte zehn Jahre Instrumentalunterricht, studierte vier Jahre Popmusik, arbeite seit Jahren jeden Tag viele Stunden im Studio und auf der Bühne. Trotzdem bleibt die Musik ein Geheimnis für mich. Darum liebe ich sie. Eigentlich ist sie strenge Mathematik, aber sie ist gefüllt mit etwas Magischem, das einen direkten Weg in unser Herz bahnt. Ich bezeichne dieses gewisse Etwas, dieses Magische, als Gott. Die Schönheit der Musik widerspiegelt die seine. Er findet einen Weg in mein Innerstes durch die Musik.

Kings Kaleidoscope Becoming Who We Are Vor ein paar Monaten wurde Bono mit dem kontroversen Satz „Christliche Musik muss ehrlicher werden“ zitiert. Weil ich einverstanden bin, macht es mich umso glücklicher, wenn ich im christlichen Kuchen so was wie Kings Kaleidoscope finde. Die Jungs aus Seattle malen mit farbigster Instrumentierung ein Bild würdig der umfassenden Breite Gottes. Es lebt, es schwirrt, es trauert, es kämpft, es liebt. BandKopf Gardner nimmt man jedes Wort ab und jauchzt diese noch so gerne mit ihm zum Himmel. > Anspieltipp: I Know

Darum ist es für mich nicht zwingend relevant, ob ich auf der Rückseite der CD-Hülle einen Fischlisticker finde. Die Schönheit Gottes widerspiegelt sich so oder so in der Energie, dem Sturm, der Spannung, der Sanftheit, der Ruhe, dem Frieden von Musik. Seit sechs Jahren arbeite ich nun als Worshipper im ICF Basel. In diesen sechs Jahren hab ich viel Musik gehört und gemacht. Als Leiter des Worship Ministries stehen mir gewisse verantwortungsvolle Privilegien zu, wie z.B. das Festlegen unserer Repertoires und auch die Richtung unserer eigenen Songs & Sounds. Alles was wir als Musik-Team tun, hat als Ziel, der Gemeinde zu dienen, und das ist auch das erste Kriterium bei der Auswahl unserer Musik. Gleichzeitig werden wir alle - ich natürlich auch - immer wieder inspiriert von dem, was im eigenen Leben passiert. Darum, stellvertretend für meine sechs Jahre im ICF, die sechs für mich einflussreichsten Alben, die sich wahrscheinlich auch auf die eine oder andere Weise in die Musik unserer Kirche reingeschlichen haben:

Barcelona Love You EP Befreundet mit den Kings Kaleidoscope, setzen die 3 geleckten Jungs eher die zwischenmenschliche Liebe in ihren Fokus. Alles in ihrem minimalistischen Synthgewand balanciert auf einer extrem schmalen Linie zwischen Boyband und Genialität, zwischen Kitsch & Ironie. Kollege Brian Fenell brilliert mit glasklarer Stimme im SlowMotion-Schlafzimmerbeat, nicht immer ganz jugendfrei. Und ja, meine Frau kann diese Jungs nicht ausstehen. > Anspieltipp: Touch

Tame Impala Currents Da bist du direkt in einem anderen, sehr sehr alten, farbigen und sich im Kreis drehenden Film. Eigentlich gar nicht mein stilistisches Zuhause, aber unglaublich charaktervolle Sounds & starke Songs. Die fünf Australier gehen mit ihrem Psychadelic Rock völlig gegen jeden Trend, doch weil sie’s so gut machen, haben sie zuhause gleich Mal alle grossen Musikpreise abgestaubt. > Anspieltipp: The Less I Know...

Und weil ich nicht aufhören kann... Sizarr: Psycho Boy Happy, Frida Sundemo: Indigo, M83: Hurry Up We’re Dreaming, St. Lucia: When The Night, Friendly Fires: Pala, Washed Out: Paracsom, Beach House: Bloom, Young The Giant: Mind Over Matter, Darwin Deez: Darwin Deez, Lorde: Heroine, Bon Iver: Bon Iver, James Gruntz: Belvedere...


18 — Sich inspirieren lassen – neue Wege gehen

SICH INSPIRIEREN LASSEN NEUE WEGE GEHEN


Sich inspirieren lassen – neue Wege gehen — 19


20 — Sich inspirieren lassen – neue Wege gehen

In diesem Sommer hatte ich die Möglichkeit, für drei Monate dem Alltag zu entfliehen, und neue Wege zu gehen. Ein Besuch der „Iona Community“ im Nordwesten von Schottland stand schon lange auf meiner Wunschliste. Obwohl ich schon viele Personen getroffen hatte, die Iona kannten, hatte ich noch keinen getroffen, der auch wirklich dort war. Das machte die Sache zusätzlich spannend. Die Anmeldung auf der Webseite der Community tat das ihrige hinzu. Der Aufenthalt in der Gemeinschaft sei kein „Hotelbetrieb“, las ich dort. Mitarbeit in der Küche wird vorausgesetzt. Gut, das bin ich gewöhnt. Dass die Unterbringung in Mehrbettzimmern erfolgt, erinnerte mich an meine Wohngemeinschaftsjahre und schreckte mich auch nicht wirklich ab. Ohne Internet? Das haben die ersten zwanzig meiner Lebensjahre ebenfalls überlebt. Viel Spannung versprach allerdings die Anreise. Iona ist eine kleine Insel und nur über diverse Fähren und einspurige Strassen auf kleinen Nachbarinseln zu erreichen. Man kann Iona unmöglich „einfach mal schnell“ besuchen, die Anreise ist bereits ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird und stellt schon einen Teil der Inspiration dar. Der Aufenthalt auf Iona hat mir viele neue Impulse auf meiner geistlichen Reise gegeben. Die Gemeinschaft ist in einem alten Kloster, das die Wiege der europäischen Mission darstellt, untergebracht. Man versucht dort, eine gesunde Spiritualität mit dem Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit zu verbinden. Geistliches Leben und Anbetung gehen Hand in Hand mit dem Einsatz für die Armen, den Kampf gegen Nuklearwaffen und die Bewahrung der Schöpfung. Die Gemeinschaft ist ökumenisch ausgerichtet, aber lose mit der „Church of Scotland“ verbunden. Die Community auf Iona organisiert von April bis Oktober Einkehrwochen, die jeweils unter einem spezifischen Thema

stehen. Pro Jahr besuchen mehr als zehntausend Personen diese Einkehrwochen. Es werden dabei spezielle Programme für Familien und Jugendliche angeboten. Als ich am ersten Abend die Besuchergruppe der Woche kennenlernte, war ich zunächst ein wenig irritiert. Zusammen mit einigen anderen Teilnehmern war ich eher einer der Jüngeren und drückte den Altersdurchschnitt. Das ist mir bei Anlässen im ICF selten passiert. Im Laufe der Woche habe ich aber so viel

Für die „Nerds“ Iona gehört zu der Inselgruppe der Hebriden und liegt im Nordwesten von Schottland. Die kleine Insel ist der Mutterschoss der irisch-schottischen Mönchsbewegung aus dem 6. Jahrhundert. Der irische Adelige und Mönch Columban (der Ältere) gründete auf Iona das erste Kloster und trieb von dort die Mission nach Europa voran. Als die Germanen noch vom „ewigen Walhalla“ träumten, versuchten die keltischen Mönche, das Evangelium in Kontinentaleuropa zu verkünden. Das Kloster auf Iona durchlebte in seiner Geschichte wechselhafte Zeiten. Geplündert von den Wikingern und wieder aufgebaut durch die Benediktiner, wurde es nach der Reformation aufgegeben. Erst viele Jahre später (1938) hatte der schottische Geistliche George MacLeod die Vision, mit einer Gruppe von jungen Pfarrern und arbeitslosen Handwerkern eine „Lebensgemeinschaft“ auf Iona zu gründen. Nach und nach wurde das Kloster wieder aufgebaut und dient heute als Begegnungszentrum der „Iona Community“.


Sich inspirieren lassen – neue Wege gehen — 21

von der Lebenserfahrung dieser Teilnehmer profitiert, dass ich mit einem Schmunzeln an die erste Vorstellungsrunde zurückblicke. Die Woche stand unter dem Thema „lessons from the margin“ und wurde von dem verantwortlichen Leiter der Armutsarbeit von Schottland geleitet. Damit wir nicht zu viel „über“ Armut reden, hatte Martin (der Leiter) einige Randständige miteingeladen. Sie berichteten, wie sich Armut im täglichen Leben anfühlt und was der tägliche Überlebenskampf bedeutet. Diese Gespräche waren sehr inspirierend. Ihr Motto war „ Nothing about us - without us - is for us“ (Motto der Befreiungsbewegung aus Südafrika). Um dies in der gesellschaftlichen Praxis zu verankern, wurde eine „Poverty Truth Commission“ gegründet. Ziel der Commission ist es, jeder parlamentarischen Kommission in Schottland, welche über Sozialpolitik zu entscheiden hat, eine Gruppe von Randständigen als Berater zur Seite zu stellen. Zusätzlich wird jeder Parlamentarier in Schottland durch einen Randständigen „beraten“, wenn es um Fragen der Armutsbekämpfung und sozialer Gerechtigkeit geht. Das Motto „ nothing about us- without us-is for us“ gibt den Randständigen eine Stimme und ihre Würde zurück. Das Programm wurde vor 15 Jahren gestartet und ist heute fester Bestandteil der schottischen Politik. Der Aufenthalt auf Iona war aber nicht nur durch dieses Thema prägend. Ein typischer Tag begann nach dem Frühstück mit einem gemeinsamen Morgengottesdienst in der alten und ehrwürdigen Klosterkirche. Die gemeinsame Anbetung und das Nachdenken über die Bibel standen im Vordergrund. Die Gemeinschaft hat diverse Bücher, CD´s und Liturgien zur Anbetung erarbeitet und viele christliche Gemeinschaften damit inspiriert. Nach dem Gottesdienst standen verschiedene praktische Tätigkeiten (kein Hotelbetrieb eben) wie Putzen, Abwaschen und Kochen auf dem Programm. Danach

traf man sich für die Diskussion über ein Thema. Falls man die Einsamkeit vorzog, war dies jederzeit eine Option. Nach dem Mittagessen war der Nachmittag meistens zur freien Verfügung. Am Abend traf man sich wieder zu einer Diskussion über ein bestimmtes Thema oder zu offenen Gesprächsrunden. Der Tag wurde mit einem gemeinsamen Gottesdienst am Abend abgeschlossen. Themen der Abendgottesdienste waren u.a. Gebet für den Frieden, Gebet gegen Massenvernichtungswaffen, Gebet für Heilung und Gebet für soziale Gerechtigkeit. Im Kerzenlicht der uralten keltischen Klosterkirche wurde mir die Vielfältigkeit des Glaubens neu bewusst. Beeindruckt hat mich auch der Reichtum der Tradition, den die christliche Kirche beinhaltet. Tradition wird meistens negativ gedeutet und mit überholt, verstaubt und ‚nicht relevant’ gleichgesetzt. Tradition kann aber auch Reichtum, Kontinuität und Tiefgang ausstrahlen. Wir sollten die Tradition(en) der christlichen Gemeinschaften offen begrüssen und die Differenzen innerhalb der Konfessionen akzeptieren, ohne sie permanent zu bewerten. Der Aufenthalt auf Iona hat mir viele neue Ideen vermittelt und den Horizont geöffnet. Es lohnt sich, neue Wege zu gehen. Ein persönliches Gespräch mit meinem Zimmergenossen werde ich nicht vergessen. Nennen wir ihn Bill. Es war schon spät in der Nacht, oder früh am Morgen. Wir sprachen über dies und das und Bill (Anfang 70) erzählte mir von seinem neuen Leben als Witwer und wie sich das anfühlt (nicht gut). Plötzlich nahm er meine Hand und sagte mir sehr bestimmt: „Please, please, enjoy every day of your marriage, it´s just too short“. Das war das richtige Motto für den Heimweg.

Herbert Kumbartzki, verheiratet, Vater zweier Söhne, arbeitet in der Finanzindustrie.


22 — Eine digitale Bibel für unterwegs

EINE DIGITALE

BIBEL

Mehr Infos zu dieser App unter www.youversion.com

FÜR UNTERWEGS

Ein Smartphone dabei zu haben, ist für viele Leute heute so selbstverständlich wie eine Uhr oder eine Brille zu tragen. Das Smartphone ist zum täglichen Begleiter geworden und unsere Kinder wachsen ganz selbstverständlich mit Tablets & Co. auf. Toll, dass es auch «christliche» Apps gibt. In diesem Artikel stelle ich eine Bibelapp für Erwachsene vor. Die App für Erwachsene heisst einfach «Bibel» und steht für fast alle erdenklichen Gerätetypen kostenlos zur Verfügung.

Der Name der App ist hier Programm – im wahrsten Sinne des Wortes. Es stehen knapp 1400 Bibelübersetzungen in rund 1000 Sprachen zur Verfügung. Während einige Übersetzungen nur mit einer Internetverbindung gelesen werden können, lassen sich andere auf das Smartphone herunterladen. Das ist praktisch, um die Bibel auch offline lesen zu können.


Eine digitale Bibel für unterwegs — 23

Raphael Branger arbeitet als beratender Wirtschaftsinformatiker und Unternehmer bei der Firma ITLogix AG. Er ist verheiratet, hat zwei Töchter und lebt mit seiner Familie in Rheinfelden.

Zum Lesen der Bibel kann man bequem zum gewünschten Buch, Kapitel und Vers navigieren oder mittels einer Volltextsuche nach bestimmten Begriffen Ausschau halten. Verse lassen sich in verschiedenen Farben markieren und mit Notizen versehen.

Optional kann man sich ein persönliches Konto einrichten und auf dieser Basis seine Markierungen und Notizen mit der Cloud synchronisieren. Das bietet zahlreiche Vorteile, z.B. wenn man das Smartphone wechselt oder gleichzeitig mehrere Geräte nutzt. Auch steht ein Community-Feature zur Verfügung, so dass man Bibeltexte und Kommentare dazu mit anderen teilen kann. Für mich persönlich die wichtigste Zusatzfunktion neben dem Bibeltext an sich sind die Vielzahl an Leseplänen, welche man kostenlos nutzen kann. Ein Leseplan definiert jeweils auf Tagesbasis, welche Verse oder Kapitel es zu lesen gilt. Einige Lesepläne beinhalten dazu auch einen Andachtsteil. Ein kleiner Wermutstropfen ist, dass diese Andachtstexte fast ausschliesslich nur in Englisch vorhanden sind.



Fotos: Renzo Bettiol Berlin 2016


26 — Hans. Franz. Menschen halt.

HANS. FRANZ. MENSCHEN HALT. Hans war kein Mensch knallharter Prinzipien. Er war der letzte, der der Meinung wäre, alle Knöpfe einer Hose müssten geschlossen sein. Wenn es nach ihm ging, bräuchte es gar keine Knöpfe, ja sogar die Notwendigkeit einer Hose liesse sich mit Hans diskutieren. Hans lebte nicht schlecht. Das Niveau seiner Existenz gut zu nennen, wäre zwar auch keiner gesund funktionierenden Menschenseele in den Sinn gekommen, doch schlecht war es definitiv nicht, was er da so zusammenlebte. Hans war Platzanweiser in einem Kino. Keiner der grossen Filmpaläste, versteht sich; eher so ein kleiner Schuppen im Hinterhof, so ein Laden, der abends um 9 mit seinen Vorstellungen beginnt und der hauptsächlich von einsamen Männern frequentiert wird. Und das Anweisen der Plätze war ehrlich betrachtet auch nicht die grösste Herausforderung an Hans Arbeitsplatz. Natürlich sagte Hans das nie, wenn er nach seiner beruflichen Tätigkeit gefragt wurde. Er war stolz auf den Platzanweiser Hans, genauso wie er stolz war auf seine Zweizimmerwohnung, ohne gleich jedem von Lage, Zustand und nachbarlicher Harmonie zu erzählen. Auch auf seine Freunde war Hans stolz. Sie gingen mit ihm durch dick und dünn, immer in der Hoffnung, dass für sie etwas abfiele in der Gegenwart des beruflich erfolgreichen Hans. Und das tat es; wohldosierte Brocken alkoholseliger Zuwendung, platziert zwischen drohender Entlarvung der beiderseitigen Armseligkeit.

Natürlich war Hans bereits in den Genuss sämtlicher Formen christlicher Nächstenliebe geraten, und hey, warum sollte er sich nicht nächstenlieben lassen, wenn dabei eine Gratismahlzeit heraussprang. Nie war ihm in den Sinn gekommen, sich zu überlegen, warum die das machten, was sie da machten. Selten in seinem Leben hatte er weiter gedacht als bis zum nächsten Essen, und wenn, dann war es das nächste Besäufnis gewesen. Heute hatte Hans Besuch. Es war das erste Mal in seinem Leben, und wenn er ehrlich war, behagte ihm der düstere Kapuzentyp mit seiner albernen Sense überhaupt nicht. Der hatte sämtliche Etikette ignoriert (nicht dass Hans besonders viel davon hatte, aber tat die Missachtung des wenigen, was er hatte, nicht viel mehr weh?), hatte etwas von ‚es sei Zeit’ und ‚mitkommen’ genuschelt und stand seitdem spürbar gereizt zwischen Hans und dem Fluchtweg zur Tür. Die Panik, die sich in Hans breitmachte, war von einer deutlich panischeren Substanz als jede Panik, die er bisher durchgestanden hatte, und einer wie Hans hat Erfahrung mit Panik. Die besondere Qualität dieser Panik war, dass sie keinerlei Hinweise auf einen potentiellen, wenn auch noch so unwahrscheinlichen Ausweg enthielt. Hans spürte: was jetzt kam, darauf hatte er Zeit seines Lebens Einfluss gehabt, doch nun hatte er keinen mehr. Er war auf jemand anders angewiesen, und diesen Typen kannte er nicht.


Hans. Franz. Menschen halt. — 27

Franz war ein Mensch mit Prinzipien. Er war sich treu, handelte stets nach der Maxime, keinem anderen etwas zuzufügen, was er selbst nicht gerne hätte und hatte zu allen wichtigen Fragen des Lebens eine feste Meinung. Franz lebte nicht schlecht. Meist war er erfüllt von einer durch das Wissen ‚es richtig zu machen’ bestätigten Zufriedenheit, und er brauchte ausser sich selbst niemanden, der ihm das sagte. Franz war Vorarbeiter in einem mittelständischen Metallbaubetrieb. Keiner von den grossen Läden, das nicht, aber ein kleines, weltweit durch Innovation und harte Arbeit erfolgreiches Unternehmen. Er war von seinen Untergebenen bewundert, angesehen unter den Kollegen und von seinen Vorgesetzten geschätzt. Seine Tätigkeit war nicht einfach, doch konnte er ohne Zweifel eine lange Geschichte guter Führungsqualitäten nachweisen. Er war stolz, ein erfolgreicher Teil eines erfolgreichen Unternehmens zu sein. Franz Privatleben war eher langweilig. Vielleicht ein wenig vorhersehbar. Doch daran störte er sich nicht. Auch wenn er mit 41 noch nicht die Frau fürs Leben gefunden hatte, war er doch dankbar für seine Freunde. Dienstags die Jasser am Stammtisch, Donnerstags der Hauskreis, Freitags traf er sich mit seinem engsten Freund, um über Gott, die Welt und sich zu reden. Franz war Mitglied einer kleinen christlichen Gemeinde. Seit er denken konnte, gehörte er dazu – Kinderkirche, Jugendgruppe, Hauskreis. Er fühlte sich wohl dort. Jedes der Mitglieder tat sein bestes, Freude und Freundlichkeit auszustrahlen, und Franz gab dazu, was er zu geben hatte. Er engagierte sich in der Verwaltung der Gemeindefinanzen. Ab und zu wurde er eingeladen, sich an den diakonischen Aufgaben der Gemeinde zu beteiligen, konnte sich aber nicht dazu durchringen, da er ehrlich gesagt nicht so recht verstand, wozu der ganze Hype um die „Armen“ gemacht wurde. Sollte doch ein jeder arbeiten, dann hätten alle zu Essen, war seine Meinung. Natürlich eine Meinung, die er nicht offen aussprach, wusste er doch, dass das mehrheitlich anders gesehen wurde. Heute hatte Franz Besuch. Es war das erste Mal in seinem Leben, und wenn er ehrlich war, behagte ihm der düstere Kapuzentyp mit seiner albernen Sense überhaupt nicht. Der hatte sämtliche Etikette ignoriert (und davon hatte Franz genug und war der Meinung, darauf bestehen zu können, dass sich in seiner Wohnung ein jeder daran hielt), hatte etwas von ‚es sei Zeit’ und ‚mitkommen’ genuschelt und stand seitdem spürbar gereizt zwischen Franz und dem Fluchtweg zur Tür.

Die Panik, die sich in Franz breitmachte, war von einer deutlich panischeren Substanz als jede Panik, die er bisher durchgestanden hatte, was kein Wunder war, denn mit Panik hatte er kaum bewusste Erfahrung. Die besondere Qualität dieser Panik war, dass sie keinerlei Hinweise auf einen potentiellen, wenn auch noch so unwahrscheinlichen Ausweg enthielt. Franz spürte: was jetzt kam, darauf hatte er Zeit seines Lebens Einfluss gehabt, doch nun hatte er keinen mehr. Er war auf jemand anders angewiesen, und diesen Typen kannte er nicht. Nein. Jetzt kommt nicht die Geschichte der grossen Abrechnung. Es geht weder bei Hans noch bei Franz darum, dass sie nun vor ihren zornigen Schöpfer treten müssen und wegen Versagens im Jesuskennen in die Hölle geworfen werden, wo sie ewig brennen. Das ist so nicht wahr, und deswegen mag ich es auch nicht verbreiten. Nein. Worum geht es dann? Hans und Franz sind zwei Typen, die ihr Leben so leben, wie Menschen es nun mal tun. Sie suchen sich ihren Platz, richten sich ein und versuchen, auf der Leiter der unmittelbaren Anerkennung so hoch wie möglich zu kommen. Typen wie du und ich. Menschen halt. Was fehlt ihnen? Warum endet ihr Leben in Panik? Ist es kein freundlich gesonnener Jesus, der ihnen begegnen wird? Doch. Voll. Aber das muss man wissen, und gewusst haben sies nicht, weder Hans noch Franz, und wissen tut man sowas über jemand, wenn man ihn kennt, und das haben sie nun mal beide nicht, nicht so, wie man wirklich jemand kennt. Und damit haben sie, genau an ihrem Platz, ohne dass sich gross was ändern musste, eine Chance verpasst. Nicht die auf die Ewigkeit im Paradies, sondern die auf den Typen an ihrer Seite, der mit ihnen geht und die letzte grosse Panik nimmt. Und du? Hans? Franz? Oder Leben?

Axxl Brandhorst ist 43, verheiratet und Vater einer zauberhaften Tochter. Er lebt in Basel und ist als psychologischer Berater und therapeutischer Mitarbeiter in einer Drogentherapieeinrichtung tätig. Sein Herz schlägt dafür, Menschen zu befähigen, eine gute Beziehung mit sich selbst, ihrem Schöpfer und anderen Menschen leben zu können. www.axelbrandhorst.org


28 — ReThink

RETHINK

WENN JESUS UNSER GOTTESBILD KREUZIGT…

»Das Kreuz widerlegt die traditionelle Auffassung, dass Allmacht gleichbedeutend damit ist, dass Gott sich immer durchsetzt. Stattdessen enthüllt das Kreuz Gottes Allmacht als eine Macht, die andere ermächtigt – sogar soweit, dass sie fähig werden, ihn ans Kreuz zu nageln, wenn sie dies wollen. Das Kreuz verrät uns, dass Gottes Allmacht sich gerade in seiner selbstaufopfernden Liebe offenbart, und nicht in blosser Gewaltausübung. Gott besiegt die Sünde und den Teufel nicht durch ein hoheitliches Urteil, sondern indem er sich weise und demütig der Kreuzigung hingibt. Gerade durch das Kreuz wird klar, dass es bei Gottes Allmacht nicht primär um Kontrolle sondern um überzeugende Liebe geht. Gott besiegt das Böse und gewinnt die Herzen der Menschen durch seine selbstaufopfernde Liebe, nicht durch zwingende Gewalt. Das Kreuz enthüllt uns den unübertroffenen Charakter der ewigen Liebe Gottes. Es lässt uns erkennen, wie weit Gott bereit ist zu gehen, um seine unverdiente Liebe den Menschen zu bringen. Es gibt uns einen Einblick in Gottes Herzensanliegen für jeden Menschen (1Tim 2:4-6; 1Joh 2:2). Aber es fällt schwer, dieses Bild von Gott mit der Vorstellung zu vereinbaren, dass Gott die Gräueltaten der Menschen lächelnd beobachtet. Vielmehr offenbart gerade das Kreuz, dass Gott gegen solche lieblosen Taten steht – und nicht hinter ihnen.

Das traditionelle, griechische Modell der göttlichen Vollkommenheit stellt sich Gott in jeder Hinsicht unveränderlich vor. Aber dieser Grundsatz ist nicht kompatibel mit dem, was uns das Kreuz von Gott erkennen lässt. Wie können wir festhalten, dass Gott sich nicht ändert, wenn wir in Christus beobachten, wie die zweite Person der Trinität Mensch wurde? »Und das Wort wurde Fleisch« (Joh 1:14). In der Tat, wie können wir behaupten, Gott sei unveränderlich, wenn das Kreuz uns erkennen lässt, dass der Heilige für uns zur Sünde wurde (2 Kor 5:21; vgl. Jes. 53:4-6)? Wenn Gott bereit ist, an etwas teilzuhaben, das seinem heiligen Wesen so entgegengesetzt ist, dann ist er offensichtlich fähig zur Veränderung. Aus demselben Grund ist es auch nicht verständlich, warum wir annehmen sollten, dass Gott zeitlos ist – denn in Christus entdecken wir, wie Gott an unserer Zeit teilhat und in ihr Erfahrungen macht. Sollte die biblische Erzählung nicht ausreichen, uns davon zu überzeugen, dass Gott echte »vorher«- und »nachher«Erfahrungen macht – obwohl die ganze Geschichte Gottes mit seinem Volk dies voraussetzt – dann sollte Gottes Menschwerdung auf jeden Fall genügen. Gott wurde nicht Mensch, bevor Jesus geboren wurde. In ihm wurde das Wort Gottes ein menschliches Baby, wuchs zu einem erwachsenen Menschen heran, trat in seine Leidensgeschichte ein und nahm unsere Sünden


ReThink — 29

Manuel Schmid, verheiratet, Vater einer Tochter und eines Sohnes, Teaching Pastor des ICF Movements.

auf sich. Gottes Erfahrung der Zeit anzuzweifeln und zu behaupten, Gott erlebe in Wirklichkeit die ganze Geschichte aus einer zeitlosen Distanz, bedeutet letztlich, die Echtheit der Menschwerdung Gottes zu bestreiten. Wenn wir unser Bild von Gott an Jesus Christus definieren lassen, ist es völlig unverständlich, warum wir uns Gott als zeitlos oder leidensunfähig vorstellen sollen. Im Unterschied zu einer statischen, kontrollierenden, »souveränen« Sicht Gottes wird uns in Christus offenbart, dass Gott von uns tief bewegt wird, dass er sich leidenschaftlich auf uns einlässt und bereit ist, für und wegen uns unerträglich zu leiden. Unsere Sünde hat Gott derart betroffen, dass er sie auf sich genommen und deren Strafe selbst getragen hat, um uns davon zu befreien. Er reagiert auf unseren verzweifelten, gefallenen Zustand, indem er Mensch wird und für uns stirbt. Er leidet für und wegen uns. An unserer Stelle erträgt er das Gericht und er steht wieder von den Toten auf. Die Annahme, Gott sei »zu erhaben«, um von uns wirklich berührt zu werden und auf uns zu reagieren, muss als nicht genügend »Christuszentriert« verworfen werden. Wir müssen Christus erlauben, für uns zu definieren, was die Erhabenheit Gottes bedeutet. Und im Zentrum der Offenbarung Gottes in Jesus Christus steht das Kreuz. Gott ist erhaben, wenn er am Kreuz ermordet

wird. Gottes Souveränität kommt darin zum Ausdruck, dass er sich ans Kreuz schlagen lässt. Gottes Heiligkeit wird offenbart in seiner Bereitschaft, unsere Sünde auf sich zu nehmen. Gottes Herrlichkeit zeigt sich in seiner Schande am Kreuz. Gottes unveränderlicher Charakter offenbart sich in seiner Fähigkeit und in seinem Willen, zu werden, was er vorher nicht war, und auf sich zu nehmen, was ihm eigentlich fremd ist. Das Kreuz offenbart, dass Gottes Gottheit nicht in der Abwesenheit von Veränderung besteht, sondern in der Vollkommenheit von Veränderung, motiviert durch seine Liebe. Gott steht nicht »über« dem Leiden, dem Berührtwerden oder Angesprochenwerden. Gott ist Gott genau in seiner Bereitschaft, um seiner Liebe willen von den Menschen beeinflusst zu werden, auf sie zu reagieren und für sie zu leiden.«

übersetzt aus: Gregory A. Boyd: Is God to Blame? Moving Beyond Pat Answers to the Problem of Evil, Downers Grove, 2003, Seiten 49-51.


FAMILY CAMP

1.-8.10.2016 SÜDFRANKREICH





34 — Gedenkstätte für Flüchtlinge Riehen

GEDENKSTÄTTE FÜR FLÜCHTLINGE RIEHEN Seit meiner Kindheit begleitet mich die Trauer über das Schicksal jener Menschen, die durch den Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden – nicht zuletzt, weil ich selbst jüdisch bin. In der Israelitischen Kultusgemeinde Lörrach feierte ich im Jahre 2004 meine „Bar Mitzwa“ (welche der christlichen Konfirmation entspricht) als erster Jude nach der Zerstörung der Lörracher Synagoge während den Novemberpogromen 1938. Das war für mich ein eindrücklicher und bewegender Moment, sinnbildlich für die wieder aufblühende jüdische Kultur. Ein gleichwertiges Gefühl der Freude überkam mich bei meinem ersten Besuch in der Gedenkstätte. Sie wurde für mich ein Ort der Erinnerung im Gedenken an die Opfer, welcher auch zur Aufarbeitung und Versöhnung aufruft. Als ich den Gründer Johannes Czwalina kennenlernte, begann mein Engagement in der Gedenkstätte sowie eine wertvolle Freundschaft. So erhielt ich die Möglichkeit, Führungen für Gruppen oder Schulklassen anbieten zu können, aber auch Zeitzeugen zu begegnen und deren Lebensgeschichten aufzuzeichnen, um diese in der Dauerausstellung und in weiteren Publikationen der Öffentlichkeit vorzustellen. Ein jiddisches Sprichwort besagt: »Solange du dich an die Verstorbenen erinnerst, leben sie im Herzen weiter«. Auf diese Art und Weise können wir den Opfern des Nationalsozialismus eine Stimme des Nichtvergessens schenken. Meines Erachtens müssen wir stets den Blick ins Vergangene bewahren, damit wir für das Gegenwärtige geistig gewappnet sind. Die Vergangenheit belehrt meist die Gegenwart.

Zur Geschichte und Intention Von den rund 60.000 sog. Zivilpersonen, die in der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges aufgenommen wurden, waren etwas weniger als die Hälfte Juden. Über die genaue Zahl der abgewiesenen jüdischen Flüchtlinge gehen die Forschungsergebnisse auseinander. Diesen Schicksalen einen Stein der Erinnerung zu setzen, war im Jahre 2010 der Grundgedanke des Initiators Johannes Czwalina zur Errichtung einer Gedenkstätte. Der ganze Schienenstrang durch Riehen gehörte – obwohl auf Schweizer Boden gelegen – zusammen mit dem Bahnhaus der Deutschen Reichsbahn. Das gab dem Fluchtweg Riehen eine besondere Bedeutung. Nach dem Erwerb des 1902 erbauten »Weichenstellerhauses« wurde das Haus saniert und dient heute als einzige Holocaustgedenkstätte der Schweiz. Diese möchte die historischen Fakten darstellen und die persönliche Verarbeitung der Geschehnisse unterstützen. Im Mittelpunkt der Dauerausstellung stehen Hintergrundinformationen zur Flüchtlingspolitik der Schweiz, authentische Berichte von Zeitzeugen und die Darstellung der besonderen Situation Riehens als Ort an der Grenze. Besonders eindrucksvoll ist der Stallanbau mit seinen Kunstwerken des kanadisch-israelischen Künstlers Rick Wienecke. Eine Bibliothek, Cafeteria sowie ein Leseraum laden zum Verweilen, Besinnen und zur Vertiefung des Wissens ein. Es werden Veranstaltungen zum Thema und Momente der Begegnung organisiert. Nebenbei ergänzen Sonderausstellungen den Strauss der Vielfalt.


Gedenkstätte für Flüchtlinge Riehen — 35

Gedenkstätte für Flüchtlinge Inzlingerstrasse 44 | 4125 Riehen | Schweiz Tel. 0041 61 645 96 50 www.gedenkstaetteriehen.ch Täglich geöffnet von 9 - 17 Uhr | Freier Zutritt Auf Anfrage führen wir Gruppen oder Schulklassen durch die Gedenkstätte.

Dan Shambicco Leitungsmitglied der Gedenkstätte Riehen Geboren in Basel


36 — Herbstzeit ist Lesezeit!

HERBSTZEIT IST LESEZEIT! Nicht nur die reifen, samtig glänzenden Trauben werden im Herbst von den Rebstöcken gelesen, es beginnt auch die Zeit der lesefreudigen Lektürebegeisterten, im volkstümlichen Jargon Bücherwürmer genannt, die sich nun wieder mit einer warmen Decke gemütlich auf dem Sofa einkuscheln, ein neues Buch öffnen, einmal tief durchatmen - um dann für einige Zeit in imaginäre Welten abzutauchen. Und was für Welten! Inspirierende, Witzige, Lehrreiche, Tragische, Spannende und Bewusstseinserweiternde. Alberne, Romantische, Ernüchternde, Spirituelle und Appetitanregende. Kopfschüttelwelten und Essprichtmirausderseelewelten. Wenn Du zur Gattung der Bücherwürmer gehörst (es soll ja übrigens auch welche geben, die sich als eReader begeistern lassen), hast Du vielleicht im Laufe der Zeit lesenderweise noch ganz andere Welten entdecken können. Themenwechsel. Im Frühsommer dieses Jahres musste ich aufgrund eines Ellenbogenbruches eine mehrwöchige Auszeit in Anspruch nehmen. Genauer gesagt war mein Radiusköpfchen gebrochen, und mit dem Bruch desselben schränkte sich urplötzlich auch mein persönlicher Lebensradius im Hinblick auf Aktivität, Mobilität und Agilität ein, da der Arm für einige Zeit ruhig gestellt und nicht zu gebrauchen war. Somit ging alles langsamer vonstatten.

Ich hatte plötzlich sehr viel Zeit und die Bezeichnungen "Müssiggang" und "Schleichweg" bekamen eine ganz neue Bedeutung. In der Folge • auferlegte ich mir zum ersten Mal in meinem Leben die Geduldsprobe, den Stadtplan von Rom - in winzig kleinen Teilen - einhändig zusammenzupuzzeln (wer spätestens nach dieser Erfahrung nicht mit Geduld gesegnet ist, ist ein hoffnungsloser Fall) • kannte mich jeder Baum im Stadtpark nach einigen Tagen persönlich (endlich kann ich nun auch Pappeln von Espen unterscheiden) • lernte ich, um Hilfe zu bitten und diese auch anzunehmen; dabei stellte ich wieder einmal fest, wie wunderbar meine Familie und Freunde (mich be-)kochen können, auch dafür liebe ich sie Um wieder zum Punkt zu kommen: natürlich war dies auch eine Art Lese-Auszeit für mich, denn ich las viele viele Bücher. So hatten diese zwangsentschleunigten Wochen, rundum betrachtet, durchaus auch ihre guten Seiten. Drei ganz unterschiedliche Schmöker möchte ich euch für die kommenden Herbst- und Wintertage ans Herz legen. Vielleicht ist etwas dabei, was eure Seele erwärmt und inspiriert, wenn vor dem Fenster die Temperaturen sinken. Eine gemütliche Lesezeit wünscht euch Ninette


Herbstzeit ist Lesezeit! — 37


38 — Herbstzeit ist Lesezeit!

Flüchtlinge nicht sehr erfreut, nimmt diese jedoch bei sich auf. 'Wieviele kommen denn noch von Euch Polacken?', fragt sie, deren einziger Sohn Karl noch immer weit weg vom Hof an der Front ist. Es stellt sich rasch heraus, dass sich die ehemalige ostpreussische Gutsbesitzerin von Kamcke nicht für die Opferrolle eignet. Als der zukünftige Hoferbe Karl schwer traumatisiert aus dem Krieg zurückkehrt, spitzt sich der Kampf um die weibliche Vorherrschaft zu - und fordert letztendlich einen hohen Preis.

Altes Land Dörte Hansen Erstveröffentlichung Feb. 2015, stand einige Monate auf der deutschen Bestsellerliste

Das Haus ist mein und doch nicht mein, der nach mir kommt, nennt's auch noch sein. In plattdeutscher Schrift steht dieser Satz am verwitterten Giebel eines 300 Jahre alten reetgedeckten Hofes im 'Alten Land', dem bäuerlichen Landstrich an der Elbmarsch, vor den Toren Hamburgs. Nach der Flucht aus Ostpreussen kommt die fünfjährige Vera im Winter 1945 mit ihrer Mutter Hildegard von Kamcke auf ebendiesen Hof, welcher der verwitweten Bäuerin Ida Eckhoff gehört. Ida ist über das Auftauchen der beiden

In mehreren Erzählsträngen, die sich über sieben Jahrzehnte und fünf Generationen hinweg bis in die heutige Zeit hinein erstrecken, zieht sich das Thema Vertreibung, Flucht und Heimatlosigkeit wie ein roter Faden durch das Erstlingswerk von Dörte Hansen. In atmosphärisch dichten und intensiven Bildern beschreibt sie das Leben der weiblichen Protagonistinnen, ihre starken Charaktere und zugleich ihre verletzten Seelen ebenso haarscharf und eindrücklich, wie die rauen, unangepassten aber dennoch liebenswerten Charaktere, die das Alte Land sonst noch bevölkern. 'Altes Land' ist ein vorzüglich geschriebener Roman, den man in einem Rutsch durchlesen möchte, der zum Erinnern, Mitfühlen und Nachdenken aber auch sehr oft zum Schmunzeln anregt, da die Autorin es schafft, Ironie und viel trockenen Humor in ihre Texte einzuarbeiten, die dem Roman das allzu Schwere nehmen.

Hast du selbst ein aussergewöhnliches Buch gelesen, dass du in einigen Sätzen beschreiben und weiterempfehlen möchtet? Dann poste uns doch auf unserer Facebook Seite „1UP Magazin – ICF Basel“ etwas dazu.

'Ich und kein Handy - von einem, der auszog, die Welt zu erfahren' Benjamin Neukirch Erstveröffentlichung 2016


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Der Kämpfer im Vatikan Andreas Englisch Erstveröffentlichung 2015

„Die Anbetung des Goldenen Kalbs hat eine neue und erbarmungslose Form gefunden im Fetischismus des Geldes und in der Diktatur einer Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel. (...) Die Armen und die ärmsten Bevölkerungen werden der Gewalt beschuldigt, aber ohne Chancengleichheit finden die verschiedenen Formen von Aggressionen und Krieg einen fruchtbaren Boden, der früher oder später die Explosion verursacht.“ (Evangelii Gaudium, Papst Franziskus)

"Ist man heutzutage ein richtig armes Schwein, wenn man kein Handy hat?", fragt sich der zwölfjährige Benjamin Neukirch, dessen Eltern ihm Kauf und Besitz solch einer 'Stressbox' bisher verweigert haben. Mit einer eher ungewöhnlichen kindlichen Weisheit philosophiert der 5.-Klässler in seinem selbst geschriebenen Buch 'Ich und kein Handy - von einem, der auszog, die Welt zu erfahren' über Sinn und Unsinn ständiger Erreichbarkeit und digitaler Horizonterweiterung. Er hinterfragt den galoppierenden Wahnsinn des stetigen Mediennutzungszwanges genauso wie das kritiklose Folgen von Trends. Der junge Autor, der sich für das alte Zippo-Feuerzeug seines Grossvaters mehr begeistern kann, als für das Mobiltelefon der neuesten Generation, macht sich kluge und witzige Gedanken über die pausenlose Kommunikation seiner Freunde und Schulkameraden in der virtuellen WhatsApp-Welt, deren nervöses Abgelenktsein und die damit oft einhergehende kollektive Verstummung im täglichen Miteinander. Benjamin findet immer weniger Freunde, die mit ihm reelles Erleben in der wirklichen Welt teilen möchten, indem sie mit ihm auf dem Longboard die Hügel runtersausen, Lagerfeuer entzünden oder abenteuerlustig durch den Wald streifen. Wer sich nicht davon irritieren lässt, dass in dem im Synergia-Verlag erschienenen Buch bisweilen anthroposophische Gedanken aufblitzen, wird mit einer sehr inspirierenden Lektüre belohnt, die sich auch gut zum Lesen in einer Schulklasse eignet. Rein optisch besticht das Büchlein durch ein kreatives Erscheinungsbild, ergänzt mit phantasievollen Zeichnungen.

Äusserst informativ und spannend wie ein Thriller kommt das Sachbuch von Andreas Englisch über Papst Franziskus daher. Der Autor und Vertraute des Vatikans nimmt darin kein Blatt vor den Mund und bringt uns einen Mann näher, dem es mehr um Inhalte als um Formen geht. Wer ist dieser argentinische, aus einem Jesuitenorden stammende Jorge Mario Bergoglio, der in lateinamerikanischen Kreisen als Revoluzzer und rebellischer Aussenseiter galt, bevor man ihn 2013 überraschenderweise zum 266. Nachfolger des Heiligen Petrus wählte? Zu einem Nachfolger, der es wagt, christliche Dogmen in Frage zu stellen, der die päpstlichen Kurienkardinäle öffentlich kritisiert, jahrhundertealte Regeln des Vatikans einfach über den Haufen wirft, weitreichende Reformen anstrebt und es auch sonst „so richtig krachen lässt“ in einer „Kirche von Bürokraten, die Christus vergessen haben“. Ich musste das Buch gleich zwei Mal hintereinander lesen und schloss die letzte Seite jeweils mit dem gleichen Gedanken: Möge Gott diesen Jorge Mario Bergoglio mit Weisheit segnen und behüten... und den Autor des Buches dazu! Für mich eines der spannendsten Sachbücher der letzten Monate.

Ninette Guida, 46 Jahre alt, ist Lektorin und Redaktionsmitglied des ICF 1UP-Magazins. Sie arbeitet als Assistentin in einem globalen Forschungsunternehmen im Raum Basel. Ninette hat einen längst erwachsenen Sohn und in Kürze auch eine bezaubernde Schwiegertochter.


40 — Schweissen, operieren und Chai Tee unterm Sternenhimmel

SCHWEISSEN, OPERIEREN UND CHAI TEE UNTERM STERNENHIMMEL Autoren: Hanna und Simon Burkhalter

Wer sie sind und woher sie kamen Als junge Teenager hatte es Hanna und Simon kurz nach dem Millenium ins frisch gegründete ICF Basel verschlagen. Hanna, aus einer zerbrochenen Scheidungsfamilie stammend und etwas unsicher im Leben stehend, hatte dazumal erst vor Kurzem zum Glauben gefunden. Diese frische und innovative Kirche wurde bald zur zweiten Familie, wo sie gute Freunde fand und Prägendes über sich, Gott und die Welt kennenlernte. Da loderte etwas in ihr, denn an dem besagten Millenium hatte Gott ihr im Alter von 14 Jahren eine Berufung gegeben. Sie solle Ärztin werden! Trotz ihrer Einwände und Zweifel wurde sie von Gott immer wieder ermutigt. Mit seiner Hilfe würde sie das schaffen. Und er hielt Wort. 2010 absolvierte Hanna ihr Staatsexamen und macht nun eine Weiterbildung zur Fachärztin für Gynäkologie. Simon wiederum war zu besagter Zeit gerade am Auftauchen aus einer rebellischen Phase, in der er sich von

allerlei frommen Erwartungen seiner Kindheit zurückgezogen hatte. Er steckte in der Lehre zum Glasapparatebauer, liebte es vor allem, mit seinen Freunden durch Muttenz zu ziehen, Parties zu schmeissen und beim Kiffen in Traumwelten abzutauchen. Unter seinen Freunden war er als Rasta bekannt, und so schlug er manchmal auch über die Stränge. Bis ihn seine Eltern eines Tages zur Rede stellten und mit der Frage herausforderten, was er überhaupt mit seinem Leben anstellen wolle. Da erwachte sein Glauben an einen Gott, der ihm als Freund stets zur Seite gestanden hatte; und damit verbunden die Leidenschaft, dies in Gemeinschaft mit Anderen zu teilen. Im ICF fand er eine lebendige Kirche, wo er herzliche Gemeinschaft und authentischen Glauben erlebte und später selbst als Leiter Vorbild für viele Jugendliche wurde. So kam es, dass Hanna und Simon sich trotz ihrer Unterschiedlichkeit im Youth Planet (heutiges NextGen) kennenlernten. 2011 heirateten die beiden.


Fünf Monate in Niger Hanna „Sannu! Ina kwana?“. Endlich wieder diese strahlenden afrikanischen Gesichter sehen, ihre herzliche Gastfreundschaft erleben, durch den bunten Markt schlendern und nachts den atemberaubenden Sternenhimmel bewundern. Wie sehr hab ich mich gefreut, wieder in Afrika zu sein, und diesmal mit Simon an meiner Seite. Im Sommer 2015 sind wir mit der Missionsgesellschaft SIM, serving in mission, nach Galmi gereist, einem kleinen Städtchen im Süden von Niger, um dort in einem Missionsspital mitzuarbeiten und Land und Leute kennenzulernen. Simon In unserer Vorbereitungszeit für Afrika war ich eher skeptisch und von ambivalenter Stimmung geprägt. Eine der Herausforderungen, denen ich mich vorab stellen musste, war die Sprachbarriere, die mich in Niger erwartete: Französisch als Landessprache, zudem Englisch und Haussa. Heimgesucht von üblen Vorstellungen wie ohnmächtiger Hitze, einem Mangel an Essen, überall Sand und Menschen, die mich garantiert nur „ausnehmen“ wollen, schwankte ich gedanklich ins schwärmerische Gegenteil, dass ich dort leben würde wie ein König, nur tolle Menschen antreffe und ausschliesslich Inspirationsferien geniessen würde. In Niger angekommen, war die Hitze doch erträglicher als angenommen, die Menschen waren zuvorkommend und sehr hilfsbereit. Wir hatten immer genügend zu Essen und fühlten uns nie ernsthaft bedroht. In Galmi arbeitete ich in der Spitalwerkstatt mit. Als Handwerker konnte ich durch Agwarma, meinen Chef und einem langjährigen lokalen Mitarbeiter der Werkstatt, das Schweissen erlernen und gleich umsetzen. Wir bauten Sicherheitstüren und erledigten andere kleinere Metallschweissarbeiten im Spital. Durch meine Arbeit konnte ich den Spitalunterhalt und die anderen Missionare in ihrem Einsatz unterstützen. Hierbei knüpfte ich auch Freundschaften mit den anderen Handwerkern und konnte mit ihnen eine Smallgroup starten. Dort erlebten wir interessante und persönliche Diskussionen über den Glauben und das Leben als Christ in der muslimischen Kultur. Hanna „Docteur, il y a une césarienne!“. So wurde ich oft nachts von den Hebammen gerufen, wenn eine Frau Komplikationen unter der Geburt hatte. Ich arbeitete als Assistenzärztin in der Frauenklinik. Von den Langzeit-SIM-Ärztinnen und den lokalen Hebammen konnte ich enorm viel über Geburtshilfe in einem Entwicklungsland lernen. Es galt, die häufigsten Krankheitsbilder zu kennen, mit einfachen Mitteln abzuklären und schnell zu handeln.

Die grösstenteils muslimischen Frauen - in meist fern entlegenen Dörfern und selbstgebauten Lehmhäusern wohnhaft - genossen leider selten eine Schwangerschaftsvorsorge, wie wir das hier in der Schweiz gewohnt sind. Viele kamen erst sehr spät mit Komplikationen ins Spital, die mit unseren limitierten technischen und medikamentösen Möglichkeiten nur schwer zu behandeln waren. Viele der Frauen waren ohne Schulausbildung, im zarten Teenageralter verheiratet und körperlich wie auch seelisch noch nicht bereit für eine Schwangerschaft. Mit meinen simplen Haussa Sätzen wie "Wo hast du Schmerzen?" oder "Spürst du noch Kindsbewegungen?" habe ich versucht, mich mit den Frauen zu verständigen. Zum Glück hatten wir meistens Dolmetscher zur Verfügung. Das Tagesprogramm war voll mit Visite auf der Station, Operationsprogramm und Sprechstunde. Und dazwischen immer wieder Notfälle, z.B. Schwangere mit blutender Plazentalösung, was erforderte, dass wir so rasch wie möglich mit ihnen in den OP fahren mussten, um Mutter und Kind per Kaiserschnitt zu retten. Auch die Malaria-Saison machte das Leben der Leute dort schwierig. Wir hatten viele Frühgeborene, darunter einige, die den schweren Start nicht überlebten. Manchmal verloren wir auch, trotz aller Bemühungen, die Mütter durch Geburtskomplikationen. Es gab immer wieder Momente, in denen ich mich ohnmächtig und überfordert fühlte. Oft konnte ich nur noch sagen: 'Hier bin ich mit dem, was ich kann. Für den Rest musst du, Gott, schauen.' Die Unterstützung durch das Ärzteteam war aber auch sehr gut. Und wie froh war ich, mich mit Simon über all die verrückten Erlebnisse austauschen zu können. Und darüber, dass er immer so gut und fürsorglich für mich Mittagessen kochte in all der Hektik. Trotz aller Herausforderungen war es immer wieder erstaunlich, wie Gott unsere Arbeit segnete und eine Freude, wenn wir Mutter und Kind nach schwieriger Krankheit mit strahlenden Gesichtern wieder zu ihrer Familie nach Hause entlassen konnten. Es war mein tägliches Gebet, dass sie durch unseren Dienst der Liebe und Wertschätzung Gottes begegnen können. Simon Ich dachte, es würde eine spartanische Zeit werden und hatte auch wenig Kleider dabei. Nach zwei Wochen aber fühlte ich mich komisch, immer mit den gleichen Kleidern aufzutauchen, während die lokalen Mitarbeiter jeden Tag mit schönen Hosen und Hemden zur Arbeit kamen. Einer meiner Kollegen nahm mich dann mit auf den Markt, um dort passende Kleider zu kaufen. Die Leute dort waren auch sehr reinlich und wuschen sich und ihre Kleidung täglich. In der Schweiz gilt un-


42 — Schweissen, operieren und Chai Tee unterm Sternenhimmel

ter den Handwerkern, dass nur einer, der schmutzige Kleider trägt, wirklich arbeitet. Selbst in Bezug auf das Klischee, Afrikaner nähmen es nicht so streng mit der Pünktlichkeit, wurde ich von meinem Patron eines Besseren belehrt, wenn es mir passierte, dass ich fünf Minuten zu spät zur Arbeit kam.

Nach unserem fünfmonatigen Aufenthalt erlebten wir einen sehr eindrücklichen Abschied, den wir nie mehr vergessen werden. Um die fünfzig Freunde aus dem Dorf und Mitarbeiter aus dem Spital kamen zur Sandpiste, wo unsere Cessna wartete, um sich zu bedanken und uns mit guten Wünschen zu verabschieden. Zurück in der Schweiz begann für mich eine berufliche Neuorientierung. Meinen Job als Glasbläser liess ich zurück und organisierte nun meinen Einstieg in die Sozialarbeit. Ich hoffte auf ein bisschen Konstanz und Vertrautes. Diese Hoffnung zerplatzte, als wir erfuhren, dass Hanna ihren Traumjob im Kantonsspital Luzern angeboten bekam. Inzwischen steht unser Umzug und Neustart bevor. Wieder heisst es nun, loszulassen und sich auf Neues einzulassen; zwar nicht weit weg von zu Hause, aber dafür längerfristig. Mittlerweile wissen wir, wo wir wohnen werden und ich habe ein sozialpädagogisches Praktikum in einem Wohnheim in Luzern bekommen. Diesmal werde ich aber mehr Kleider mitnehmen und ich glaube, so etwas wie Migros oder Coop haben die dort auch.

Nach drei Monaten erlitt ich aber einen schleichenden Kulturschock. Ich war oft krank, vertrug die Malaria-Prophylaxe nicht, hatte keine Vision mehr und die Sprachbarriere machte mir immer noch Mühe. Wer mich kennt, der weiss, wie ich normalerweise in der Gemeinschaft aufgehe und tiefe „Eins-zu-EinsGespräche“ schätze. Ich erlitt emotionale Tiefgänge und hatte starkes Heimweh. Trotzdem versuchte ich immer wieder, mich zu überwinden und auf die Strasse zu gehen, mit Freunden zu „hangen“ oder mit ihnen einen Chai zu trinken.


Mach mit! — 43

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Lisa Foreman träumte schon während ihres Tierarzt-Studiums in Australien davon, mal einige Jahre in Europa zu wohnen und die Welt zu erkunden. Sie wohnt heute mit ihrem Mann Chris und ihren 3 Mädchen in Bubendorf und liebt es, Menschen aus aller Welt kennenzulernen.

Nicci Vaughan, wohnhaft z.Zt. in England; mein Herz schlägt dafür, dass Menschen durch Jesus freigesetzt werden und in ihrer wahren, Gott-gegebenen Identität laufen können. Ich liebe ICF Basel und vermisse die lieben, leidenschaftlichen Menschen dort!!

IMPRESSUM Redaktion: Ninette Guida, Manuel Schmid, Roman Albertini, Ralf Dörpfeld Grafik: Roman Albertini Lektorat: Ninette Guida Übersetzung: Lisa Foreman, Nicci Vaughan Sponsoring: Denova ICF Basel Lehenmattstrasse 353 CH-4052 Basel Web: www.icf-basel.ch Kontoverbindung: UBS AG Basel IBAN: CH82 0023 3233 5672 1540T

Ninette Guida, 46 Jahre alt, ist Lektorin und Redaktionsmitglied des ICF 1UPMagazins. Sie arbeitet als Assistentin in einem globalen Forschungs-unternehmen im Raum Basel. Ninette hat einen längst erwachsenen Sohn und in Kürze auch eine bezaubernde Schwiegertochter.

Roman Albertini (31) Architekt. Grafiker. Ästhet. Arbeitet teilzeit bei ICF Basel und hat ein eigenes Atelier für Grafikdesign. www.visuellefabrik.ch


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