Synapse 55

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Ausgabe 55 // Mai 2011

Zeitschrift der Medizinstudierenden M端nchens

Medizin der Extreme


Inhalt & Impressum

Editorial

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Synapse 55

Das ist in wahrster Weise eine Synapse der Extreme: Das erste Mal in Farbe! Und mit dem bisher größten Redaktionsteam, dem größten Zeitaufwand, und der besten Organisation der neueren Synapse-Geschichte wie ich sie kenne. Was natürlich nicht heißt, dass wir uns auf unseren Lorbeeren ausruhen (wo sie dazu noch so stachelig sein können!), sondern bereits neue, erhabene Ziele in Angriff nehmen: die nächste Synapse (Das Gehirn) ist schon in Planung, und wir haben uns

fest vorgenommen zum Anfang des Wintersemesters zu erscheinen. Auch mit der Homepage haben wir große Pläne: sie soll, wie bei einer DVD, zu den Artikeln „Bonus-Features" anbieten. Beispielsweise werden wir zu dem Afrika-Artikel von Ivo noch mehr Bilder online stellen, Termine die hier keinen Platz gefunden haben auf der Webseite verfügbar machen, und und und ... Große Pläne machen kann jeder, aber um sie durchzuführen ist eine wirklich engagierte Mannschaft not-

wendig, auf die man sich verlassen kann. Ich bin stolz sagen zu können, wir haben das gemeinsam gepackt, und sind auf dem besten Weg dazu, wieder zweimal pro Jahr zu erscheinen. Jede zusätzliche Hand ist uns willkommen! Unsere Sitzungen sind jetzt jeden Dienstag ab 18:00 in der Fachschaftswohnung der BLG. Ich freue mich auf neue Gesichter,

Chefredakteur

Extras zu den Artikeln & alle Infos zur Redaktion auf:

  www.synapse-redaktion.de

Inhalt

Thema 4 6 11 12 15 16

Medizin der Extreme „Der Teufel steckt in dir“ Notfall in der Luft Tatort am Mittwoch Die Zukunft der Medizin Universities Allied for Essential Medicines 18 L'afrique en miniature 28 (Über-) Leben in der Wildnis 30 Refugio

Studium und Arbeit 33 Zwei Jahre Moodle 34 Interview mit Frau Prof. Müller-Gerbl 35 Doktamed 36 Krank aber glücklich 38 Berufseinstieg oder der Wahnsinn der Bürokratie 39 Umfrage OP-Säle Großhadern 40 Es waren einmal ... allgemeine Studiengebühren 41 Kein Pharmabuch im herkömmlichen Sinn 42 Erasmus in Strasbourg 49 Termine

Leben und Kultur 44 Die Knoblauchzehe oder die Suche nach der Liebesgöttin 50 Welche Farbe ist das? 52 Freak out, because it's GAGA 53 Eckert von Hirschhausen lädt zum Vortrag ein 54 Die wahre Geschichte Autokauf

Hinweis: aus Gründen der Lesbarkeit wurde in manchen Artikeln die männliche Form verwendet (bspw. „Student"). Es sind selbstverständlich durchgehend beide Geschlechter gemeint.

Weil die Nacht am produktivsten ist Ein Tribut an alle die arbeiten während der Rest der Welt schläft. Die meisten Bilder ohne Quellenangabe kommen von absolutvision.com. Ihr seid genial, danke!


Feedback

Bitte sag uns Deine Meinung! Gefallen Dir unsere Themen, das Layout, und unsere Erscheinungszyklen (naja ... scratch the last one. Wir bessern uns.)? Oder sind wir komplett auf dem falschen Dampfer? Die Synapse lebt von Dir, dem Leser. Ja, wir werden alle in MeCuM mit Evaluationen gequält. Aber das hier ist gar keine Evaluation. Nennen wir es lieber ... Feedback. Dann klingt es doch gleich viel besser.

Dinge die ich im PJ gelernt habe:

 Raphael Kunisch

Eine klitzekleine e-Mail ist alles, um was wir bitten. Mit Vorschlägen, was für Themen Du besonders spannend finden würdest (für die nächste Ausgabe „Das Gehirn"), ob wir wieder mal ein Puzzle einführen sollen ... und was Du uns sonst noch gerne sagen würdest. Sprich Dich aus!

Wenn man im Schwesternwohnheim auf dem Weg zur Gemeinschaftsdusche nur mit einem Handtuch um die Hüften einem hübschem Mädchen begegnet, sollte man nicht den Bauch einziehen. Oder Unterwäsche tragen.

Gerne nehmen wir auch Leserbriefe zu den Themen dieser Synapse entgegen, die dann ggf. abgedruckt werden.

feedback@synapse-redaktion.de

Wie man einen Beamer mit Hilfe einer Schaufel, eines Klapptisches, eines Pflanzenkübels, einer Kommode, zweier Moltons, dreier resorbierbarer Fäden und einer Rolle Leukoplast zum Freilichtkino umwandelt.

 Man sollte sicher Stellen, seinen Schlüssel aus der Tasche der OP-Kleidung zu nehmen, bevor man diese auszieht. Oder einen Metalldetektor für das durchsuchen von Wäschesäcken bereit halten.

Gutschein zum Ausschneiden KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN

DOKTA MED DOKTORARBEITSTAGE MEDIZIN

Impressum Redaktion Andreas Albrecht, Louise Füeßl, Elena Kindsvater, Maximilian Batz, Ivo Straßer, Lena Sperl, Katharina Biersack Gastbeiträge Carmen Astra, Marie-Claire O'Hara, Sarah Kohler, Iwona Pelczar, Bernd Uhl, Michaela Hurmer, Natalie Grisin, Nadine Ponsel, Raphael Kunisch, Vera Linckh Herausgeber Breite Liste Gesundheit Pettenkoferstraße 11 80336 München Tel.: (089) 51 60 89 20 Fax: (089) 51 60 89 20

infos@fachschaft-medizin.de Bildnachweis absolutvision.com, bazaardesigns.com, CIA, Herbert Management, pd-eff.de, Prof. MüllerGerbl, openclipart.com, sxc.hu, Wikimedia Commons, eigene Werke. Quelle: www.pd-eff.de

fun fact: 43 a.d. – The Roman Conquest of Britain begins

Auflage: 3.500 Exemplare Druck: Druckerei Miller, Traunstein Satz: Maximilian Batz

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am 14. Mai 2011 um 9:00 Uhr


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Medizin der Extreme

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Im öffentlichen Leben gibt es viele Beispiele von Extremfällen, die mit Medizin zu tun haben. Seien es die „Ärzte ohne Grenzen", die in fremden Ländern unter Einsatz ihres (Privat-) Lebens arbeiten, oder Unfallchirurgen, die in stundenlangen Not-OPs mit allen Mitteln versuchen Menschen zu retten. Keine Frage, sie alle machen einen extremen Job, der oft das gesamte Leben ausfüllt.Doch die persönliche Erfahrung zeigt, wer sich mit der Medizin näher beschäftigt, der kommt um die Extreme nicht herum und wird immer wieder erneut an seine Grenzen gestoßen. Und es beginnt bereits im Studium.

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Jeden Morgen in deinem Spiegel

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Medizin der Extreme

Jeden Morgen im Spiegel

 Lena Sperl

Als Medizinstudent/in muss man nicht lange nach einem Extrembeispiel suchen – es schaut einem jeden Morgen aus dem Spiegel entgegen und begnet einem in der Vorlesung in hundertfacher Ausgabe wieder. Nehmen wir die Vorklinik als Beispiel: Im ersten Semester geht es gleich ans Eingemachte im Präpsaal. Wer Probleme mit dem Formalingeruch, der Kälte oder gar toten Menschen hat, der hat Pech gehabt oder überwindet seine Hemmungen am besten ganz schnell, denn die ersten Prüfungen lassen nicht lange auf sich warten. In mehreren Hochgeschwindigkeits-Parcours wird das Wissen der Studenten abgefragt und viele Prüflinge scheitern an dem Zeit- und Leistungsdruck. Doch Durchfallen kann man sich fast nicht leisten, denn der Zeitplan des Semesters ist straff, und sobald sich nachzuholende Prüfungen anstauen, kommt man aus dem Lernstress nicht mehr raus. Vom Präptisch geht es nämlich weiter ans Mikroskop und zwischendurch in die Termi-Vorlesung. Irgendwann schwirrt einem der Kopf von zu viel Nervus vagus, Meissnerschem Plexus und der richtigen Deklination von Corpus ossis pubis. Bekanntlich hat alles aber ein Ende und jedes Jahr gibt es eine Reihe von glücklichen Post-Erstsemestern, die mit anatomischem Fachwissen vollgestopft sind.

Semesterferien? Na ja ... Doch weit gefehlt, wer sich jetzt auf zwei Monate Semesterferien freut. Die wenigsten haben zu diesem Zeitpunkt ihr Pflegepraktikum schon hinter sich, sondern starten erst in drei erfüllte Monate. Ach ja, erfüllt von Schränke aufräumen, Krankenbetten schieben, Toilettenschüsseln leeren und im besten Fall einer live miterlebten OP. Das Praktikum ist natürlich sinnvoll, denn hier lernen die angehenden Ärzte, wie anstrengend die Arbeit des Pflegeperso-


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nals ist und wie wichtig es ist, für eben dieses angestrengte Pflegepersonal Verständnis zu haben. Denn im späteren Klinikalltag ist man auf eine funktinierende Zusammenarbeit angewiesen, nicht nur zum Wohle der Patienten. Damit einem in den Ferien auch ja nicht langweilig wird, gibt es noch sowohl ein Biologieals auch ein Chemie-Praktikum zu absolvieren ... natürlich mit anschließender Prüfung! Oft reicht auch die Zeit während des Semesters nicht aus, um sich auf jedes Fach umfassend vorzubereiten, so dass in den Semesterferien nachgeholt oder vorgearbeitet werden muss. Wenn man wollte, könnte man also immer irgendetwas lernen.

Die Anforderungen steigen Mit dem Physikum ändern sich zwar die Schwerpunkte des Studiums, aber nicht dessen „Schwere": die Fächer werden praxisbezogener und man lernt konkrete Krankheitstherapien, das Pflegepraktikum wird zur Famulatur, und es gibt die Möglichkeit seine Zeit in eine Doktorarbeit zu investieren. Doch der Aufwand wird nicht geringer, sondern die Anforderungen steigen stetig an. Man findet also immer und überall junge und immer weniger junge Menschen, die dieses zeitaufwändige, oft anstrengende und komplizierte Studium auf sich nehmen und dadurch manchmal mit leicht panischen Gesichtsausdrücken durch die Gegend hetzen.

Der Sinn dahinter Ob dieser Stress gut für die Gesundheit ist sei an dieser Stelle mal beiseite gelassen. Hinter dem Ganzen steckt allerdings ein Sinn: die medizinische Arbeit ist komplex, Patienten sind keine Maschinen und Mediziner müssen weit mehr können, als die richtigen Schalter umzulegen. Um die verschiedenen Krankheitsbilder verstehen und therapieren zu können, muss man nun mal erst deren Hintergründe bis in die Grundlagen verstehen. In den Praktika im Krankenhaus können Medizinstudenten über das rein Naturwissenschaftliche hinaus viel über das Menschliche hinter dem Patienten und auch hinter dem Arzt in seiner Rolle lernen. Denn so wichtig es auch sein mag, ein Röntgenbild richtig zu interpretieren oder die exakte Dosis eines Medikaments zu verschreiben, die psychologi-

sche Komponente des Arztberufs sollte nicht vernachlässigt werden. Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient spielt eine große Rolle dafür, dass der Patient dem Arzt alle wichtigen Informationen gibt, und sich auch an die verordnete Therapie hält. Ärzte tragen insofern eine spezielle Verantwortung, da sie oft mit den intimsten Geheimnissen ihrer Patienten konfrontiert werden und diese diskret und verständnisvoll behandeln müssen. Im späteren Berufsleben, sei es als Arzt im Krankenhaus oder einer Praxis, im Ausland oder in der Provinz, ist der Arzt mit die wichtigste Bezugsperson für kranke Menschen. Diese Verantwortung kann manchmal auch belastend sein, doch sie gibt dem Arzt die Kraft zum Bewältigen stressiger Situationen und die Bestätigung, dass seine Arbeit wichtig ist. Letzten Endes bereitet einen der Stress im Studium sicherlich teilweise auf den Alltag eines Arztes vor. Außerdem ist der Stoff sehr interessant und praktisch, wenn erst das große Ganze ersichtlich wird. Es macht Spaß, wenn man auf einmal versteht, wie der eigene Körper funktioniert und wie man die Beschwerden von Mitmenschen lindern kann.

Es bleibt extrem, und geht doch anders Nun könnte man also sagen, der Stress gehört wohl unweigerlich zum Medizinerleben dazu und sich in dieses Schicksal

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fügen. Doch es geht auch anders. Betrachtet man nur die Masse der Studenten, dann machen sich gerne alle gegenseitig verrückt und jeder weiß eine neue Schreckengeschichte über einen Prof oder eine Prüfung zu berichten, die er oder sie aus einer ganz sicheren Quelle hat ... Aber bleibt es nicht jedem selbst überlassen sich das anzuhören und zu glauben? Jeder Student hat seinen eigenen Lernrhythmus und zu einem Zeitpunkt, an dem der eine schon alles fertig gelernt hat, fängt der andere nun mal erst an – und beide können ans Ziel kommen! Das Wichtigste ist, sein eigenes Limit zu kennen und auch mal abzuschalten. Wer sich nämlich zwischendurch auch mal entspannt und dann kein schlechtes Gewissen hat, der ist wieder bereit neues Wissen aufzunehmen und verliert auf Dauer nicht die Lust am Lernen. Das Medizinstudium bleibt extrem, die Belastung ist groß und der Lernstoff wird durch eine Lernpause nicht weniger. Aber ein Urlaub, die WG-Party oder ein regelmäßiges Hobby regenerieren Körper und Geist und verleihen neue Energie. Für das Wichtige muss man sich eben auch die Zeit nehmen. Das würde ein guter Arzt wohl auch seinem überarbeiteten Patienten raten ...


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„Der Teufel steckt in dir“

 Andreas Albrecht

wenn auch die Kirche nicht mehr helfen kann …

So oder solch ähnliche Aussagen mag man wohl aus längst vergangenen Zeiten, Historienfilmen oder Geschichtsbüchern kennen, vielleicht noch in der ein oder anderen theatralischen Darbietung. Doch auch wenn man kaum glauben mag, dass dieser Satz weder ein Lockspruch für ein Geisterschloss auf dem Oktoberfest oder einer alten Hexe auf einem Mittelaltermarkt ist, so ist er ernstgemeint doch noch nicht aus unserer Sprache verschwunden.

Aus medizinischer Sicht ergeben sich dabei besondere Probleme. Im Grunde beginnt die Diskussion schon damit, ob Behinderungen, d.h. Transsexuelle empfinden sich nicht als „geisteskrank“, als Krankheiten anzusehen sind oder nicht. Der tief empfundene Leidensdruck führt nicht selten zu meist psychosomatischen Erkrankungen wie Depression, Alkoholismus, Drogenabusus, Selbstverstümmelung

Und genau das bekam Nikolas, dessen Geschichte ihr in unserem Kurzinterview (siehe Kasten nächste Seite) lesen könnt, zu hören. Wenn man jeden Tag aufs Neue aufwacht und sich seines Körpers nicht sicher ist, geschweige denn ihn annehmen kann oder sich gar vor ihm ekelt, kann es lange dauern, bis man weiß, was mit einem los sein könnte. Nach einem schier endlosen Martyrium landen solch fühlende Menschen, ermutigt durch Zeitschriftenartikel, Internetforen, Fernsehberichte, oder von Psychologen und Therapeuten empfohlen, letztendlich bei uns, den Ärzten. So auch Nikolas, und das bringt selbst in der heutigen Zeit der hochmodernen, technisierten Medizin immer noch Probleme mit sich und stellt die chirurgisch tätigen Ärzte vor teils große Schwierigkeiten. Um ein wenig Licht ins Dunkel der Transsexualität zu bringen, wird im Folgenden ein Einblick in die für die Betroffenen erlösende Geschlechtsumwandlung gewährt, die in Deutschland mittlerweile an ca. 35 Kliniken durchgeführt wird.

Und obwohl ein einziger Monat in einer psychiatrischen Klinik als Folge der psychosomatischen Krankheiten im Durchschnitt umgerechnet mehr kostet als eine geschlechtsangleichende OP, haben viele Betroffene noch mit der Kostenübernahme durch die Krankenkassen mit erheblichem bürokratischem Aufwand zu kämpfen.

Ein Blick zurück

Das Transsexuellengesetz und die Medizin Die Grundlage für solche sog. geschlechtsangleichenden Operationen stellt das seit 1980 in der BRD existierende Transsexuellengesetz dar, das deren Behandlung weitgehend regelt. Hierbei wird eine Änderung des Personenstands beantragt und zwischen der „kleinen Lösung“ und der „großen Lösung“ unterschieden. Die kleine Lösung beinhaltet die Vornamensänderung, das Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht, ein mindestens seit drei Jahren bestehender Zwang, dem anderen Geschlecht entsprechend zu leben und eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich das Zugehehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird. Bei der großen Lösung war bis Ende 2010 zudem die dauerhafte Fortpflanzungsunfähigkeit mit erfolgtem operativem Eingriff zur Veränderung der äußeren Geschlechtsmerkmale, „durch den eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht worden ist“ erforderlich.

Wir Ärzte stehen dabei gewissermaßen vor einem Dilemma. Immer mehr Jugendliche und gar Kinder drängen auf medizinisch-therapeutische Maßnahmen. Auf der einen Seite muss so früh wie möglich gehandelt werden (unumkehrbare Pubertät), auf der anderen aber kann gerade ein Jugendlicher noch nicht sichere Aussagen zu einer eventuellen Transsexualität machen, da ebenso eine seelische Störung, Anzeichen einer Homosexualität oder aber sexueller Missbrauch vorliegen können. Die Pubertät kann dabei nur bis zu einem gewissen Grad hinausgezögert werden und derartig weitreichende Maßnahmen dürfen in Deutschland bei unter 18-Jährigen nur in Ausnahmefällen erfolgen.

oder gar Suizidgedanken. Am gefährlichsten ist hierbei letztendlich der Suizid als Ursache der inneren Zerrissenheit über die eigene Persönlichkeit. Der Betrachtung des Bundessozialgerichts liegt eine Krankheit dann vor, „wenn der Körperzustand eines Versicherten vom Leitbild eines körperlich gesunden Menschen abweicht oder wenn seine Psyche nicht dem Leitbild eines psychisch gesunden Menschen entspricht, sondern weitgehend auch dann, wenn bei einem Versicherten das Verhältnis des seelischen Zustandes zum körperlichen Zustand nicht dem bei einem gesunden Menschen bestehenden Verhältnis des seelischen Zustandes zum Körperzustand entspricht. In diesem Sinne ist die Transsexualität eine Krankheit.“

Das Problem der Geschlechtsidentität, wobei es hierbei weder um die Lust am Verkleiden, noch um Homosexualität oder genereller sexueller Präferenz handelt (siehe Infokasten), existiert allerdings nicht erst seit heute. Dass dieses als inneres Problem des Menschen schon mit ersten Hinweisen in der Literatur der Antike auftaucht, leuchtet ein, aber erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die medizinische Behandlung. Deswegen wurde damals auch noch nicht zwischen Transsexualismus und Transvestitismus unterschieden. Einen interessanten Punkt stellt die Geschichte der geschlechtsangleichenden OP dar. Kastrationsverfahren sind schon aus der Antike oder von anderen Naturvölkern bekannt. Die Sumerer aus Kleinasien frönten einem ekstatisch-rituellen Fruchtbarkeitskult, festgehalten auf sumerischen Keilschrifttafeln, ebenso belegen Zeugnisse aus dem römischen Reich Kastrationen zu Ehren der Göttin Diana. Stellten diese „Operationen“ noch ein hierarchisch, religiöses Denken, für Haremsbewacher oder als entehrende Strafe dar, so wandelte sich die Auffassung in der Zeit der Renaissance. Frauen erfuhren eine Maskulinisierung, weil sie beispielsweise Machtpositionen erlangten, wohingegen die Männer feminisiert wurden. Die ersten Ärzte wagten sich wohl, ausgehend von der barocken Vorstellung der Geschlechterangleichung in Habitus und


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Mode, im 17./18. Jh. an erste einfache Operationen heran. Die Ärzte nutzen die gesellschaftliche Akzeptanz, um eigene experimentelle Erweiterungen in wissenschaftlicher Hinsicht und weniger zum Wohle des Patienten durchzuführen. Mit der Entdeckung und chemischen Isolierung der Sexualhormone um 1900 begann eine weitere Möglichkeit für die chirurgisch tätigen Ärzte zu ihrem Ziel zu gelangen. 1918 wurden Hoden- und Eierstockextrakte eingespritzt und mit Beginn der 20er Jahre erste weitreichendere operative Maßnahmen im Sinne einer eigentlichen Geschlechtsangleichung in Dresden und Berlin durchgeführt. So ließ sich in Dresden der dänische Maler Einar Wegener operieren. Der erste Weltkrieg bescherte den Ärzten nämlich ein gewisses Maß an Vorwissen im Bereich von Genitaloperationen, da viele Soldaten durch die martialischen Handlungen verstümmelt wurden. 1910 begann das Thema öffentlich zu werden, hauptsächlich durch den deutschen Sexualforscher Magnus Hirschfeld. Er führte den Begriff des Transvestiten ein und für Menschen, die sich auch körperlich anzupassen versuchen, erfand er 1923 den Begriff des „seelischen Transsexualismus“. Einen weiteren Meilenstein legte der Deutsch-Amerikaner Harry 1966 mit dem Buch „The Transsexual Phenomenon“ in der Sexualmedizin, wobei er sich auf Hirschfeld berief. Hirschfeld und sein 1918 gegründetes Institut für Sexualwissenschaft, die erste Einrichtung für Sexualforschung, waren maßgeblich an der Ausführung der OPs, psychologischen Begutachtung und Vorbereitung beteiligt, nicht zuletzt auch durch die Erkenntnis, dass ein Versuch zur Veränderung eines homosexuellen Verhaltens zwecklos ist. 1931 berichtet Felix Abraham als Abteilungsleiter im Institut für Sexualwissenschaft in seiner Niederschrift „Geschlechtsumwandlung an zwei männlichen Transvestiten“ von der ersten vollständigen geschlechtsangleichenden OP. Hirschfeld lieferte als Arzt und Sexualwissenschaftler bedeutende Erkenntnisse. Die Begriffe Homosexualität, Transvestismus und Transsexualität wurden von ihm formuliert. Mit Hilfe des Instituts für Sexualwissenschaft, das im Mai 1933 von den Nazis geplündert und zerstört wurde, ermöglichte er in Berlin erste Identitätswechsel, Namensänderungen und „Transvestitenscheine“ bereits in den 20er Jahren. In den 50er Jahren erhielten in den USA die ersten Transsexuellen, die Harry betreute, eine Hormontherapie. Eine der ersten Operationen auf diesem Gebiete erhielt   Christine Jorgensen (Mann-zu-Frau), was   von großem Medieninteresse begleitet wurde. Aufgrund der Bedrohung religiöser Gruppen fanden die ersten Anpassungen in Casablanca (durch den französischen Arzt Georges Burou)

oder Mexiko statt. Die allgemein durchgeführte Therapie der „Psychotiker“ bestand damals nämlich noch primär in der Zwangshospitalisierung, Aversionstherapie und Gabe von Elektroschocks. Erst 1966 richtete das Johns Hopkins Medical Center in Baltimore eine Gender Identity Clinic ein, in der geschlechtsangleichende Operationen durchgeführt wurden. Ab 1969 folgten dann weitere Kliniken in den USA. Natürlich erfuhr die Medizin in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts rasante Fortschritte, so dass trotzdem bereits in den 50er Jahren in den USA routinemäßige Eingriffe, teilweise schon im Kindesalter, durchgeführt wurden. Im Vergleich zu damals haben sich auch die Nebenwirkungen in der konservativen Medizin, so beispielsweise in der Hormonbehandlung extrem reduziert. Einen Zwischenschritt erlebten einige Spitzensportlerinnen in der DDR in den 70er Jahren, die sich mit Androgenen dopen ließen und aufgrund von bleibenden psychischen und physischen Schäden nicht selten nach der sportlichen Laufbahn sich für eine Genitaloperation entschieden. Erst in den 90er Jahren wurde der Begriff Transsexualismus aus dem Handbuch Psychischer Störungen (DSM-IV) entfernt und durch Geschlechtsidentitätsstörung ersetzt. Die WHO verwendet Geschlechtsidentitätsstörung und Transsexualismus noch synonym und lässt sie deshalb in der Klasse F, Psychische Störungen und Verhaltensstörungen (F64.0), im ICD10 finden. Wie viele Menschen an Transidentität leiden ist ungewiss. Die Prävalenz lässt sich nur abschätzen, und die Angaben schwanken hier zum Teil immens. 1:10.000-1:4.500 bei Männern und 1:30.000-8.000 bei Frauen. Es wird aber ebenso von einer globalen Prävalenz von 1:500 gesprochen, was in Deutschland der Größe Leverkusens entsprechen würde. Gemäß Experten steigt die Prävalenz um ungefähr 14 % jährlich rapide an. Genaue Angaben kann man wohl nicht machen, es lässt sich lediglich an der Zahl der durchgeführten Operationen ausmachen, wobei auch hier schwierig zu beurteilen ist, ob die steigende Anzahl aus der Möglichkeit des Operierens, d.h. auch immer mehr Operateure, oder der allgemeinen Verbesserung der Akzeptanz in der Bevölkerung und des im Vergleich zu früher erleichterten Coming-Outs ist.

Ursachen der Transsexualität Über die Ursachen der Identitätsstörung ist man sich bis heute ebenso uneinig wie bei den Prävalenzzahlen. Es existieren verschiedene Hypothesen. Die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung in Hamburg oder die International Academy for Sex Research bezeichnet Transsexualismus als eine Störung der Ge-

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 Transgender Pride Flag

Interview mit Nikolas Obmann Transmann Austria, 30 Jahre alt Wie fing alles an? Wann hast du gemerkt, dass irgendwas nicht stimmt? Angefangen hat alles bereits im Kindergarten, es war ein Gräuel für mich ein Kleid zu tragen oder lange Haare zu haben. Als ich eingeschult wurde, ist meine Mutter mit mir zu unserem Hausarzt, weil sie dachte, ich wäre ein Zwitter, wegen meinem jungenhaften Verhalten. Dieser beruhigte meine Mutter, dass sich dies wieder legen würde und ich ein ganz normales Mädchen wäre. Was hast du dann gemacht? Ich habe bis zu meinem 22. Lebensjahr gar nichts gemacht, ich habe mich wie ein Junge gekleidet, jedoch war das Thema Transidentität mir nicht bekannt. Darauf gekommen bin ich durch eine Talkshow im TV, wo mich Transidentität eher schockiert hat, wegen der Paradiesvögel, die bei der Sendung eingeladen waren. Jedoch sprachen mir diese irgendwie aus dem Herzen. Als ich mich mit 22 bei meiner Familie und Freunden geoutet habe, war ich nicht transident, sondern ein Mann im falschen Körper. Für jemanden, der es sich nicht vorstellen kann: Wie sah deine Jugendzeit aus? Es war alles andere als einfach, die weibliche Pubertät war ein Horror für mich, mein Körper entwickelte sich zu einer Frau, obwohl ich doch wie ein Junge fühlte und auch so aussah. Ich gehörte nicht zu den Jungs und auch nicht zu den Mädels. Meistens wurde ich von meinen Mitschülern als Zwitter beschimpft, weil auch diese spürten, dass mit mir etwas nicht stimmt. Schon immer fühlte ich mich zum weiblichen Geschlecht hingezogen, jedoch bin ich sehr konservativ erzogen worden und eine Beziehung zu einer Frau wäre für mich in meiner Jungend niemals in Frage gekommen, auch nicht zu Jungs. Wie hast du dich geoutet und wie reagierte dein Umfeld (Familie, Freunde)? Mit 22 habe ich mich bei meiner Familie und meinen Freunden geoutet, es wurde durchwegs verstanden und endlich konnte ich der sein, der ich immer war, seit ich denken kann.


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Wie ging es weiter? Mein erster Weg war zu meinem damaligen Hausarzt, um eine Überweisung für die 50 Stunden Psychotherapie zu bekommen. Die Antwort meines damaligen Hausarztes, der nebenher noch Pfarrer bei einer Religiösen Gemeinde ist, war: „Dies ist abnormal, komm zu mir und ich werde dich Bekehren, in dir ist der Teufel“. Dass ich ein kleiner Teufel bin, war mir schon immer klar, jedoch nicht wegen meiner Transidentität *gg*. Ich habe 3 Jahre lang versucht einen geeigneten Psychologen zu finden, insgesamt 4. Mein erster Besuch bei einem Psychotherapeuten war ein Desaster, dieser meinte wortwörtlich zu mir: „Leider kann ich für Transidentität kein Gutachten schreiben, jedoch können wir ja sonst irgendwas Therapieren“. Bis heute frage ich mich, was dieser Arzt sonst therapieren wollte, ich bin ansonsten ganz normal und nicht wie es in diesem Krankheitscode steht, ICD 10 F64.0 Störung der Geschlechtsidentität, im wahrsten Sinne des Wortes, geistesgestört. Auf der anderen Seite ist diese Klassifizierung für Transidente Menschen lebensnotwendig, da ansonsten die Krankenkasse unsere Kosten für die Hormontherapie und die Geschlechtsangleichenden Operationen nicht mehr bezahlen müssten. Mit 25 endlich fand ich eine geeignete Psychotherapeutin, die mir gleich in der ersten Stunde sagte, wie meine weiteren Schritte aussehen sollten. Ich absolvierte insgesamt 58 Stunden bei ihr. Und wie groß ist oder war der bürokratische Aufwand? Vielleicht beschreibst du auch kurz die Voraussetzungen zu einer OP. In Österreich sieht die Sachlage etwas anders aus als in Deutschland. Es gibt sozusagen eine Empfehlung zur Behandlung von Transidentität, ich benenne es nicht Transsexualität, weil es mit Sexualität nichts zu tun hat, sondern mit Identität, denn ob ich homo- oder heterosexuell bin, ist wieder eine andere Sache. Vor der Hormontherapie: •

50 Stunden Psychotherapie 1. psychotherapeutisches Gutachten

1. psychiatrisches Gutachten (IQ-Test, Freiburger Persönlichkeitsinventar)

gynäkologische Untersuchung und Gutachten

endokrinologisches Gutachten

Chromosomenanalyse

Dann ist eine Testosterontherapie möglich, sowie eine Personenstands- und Vornamensänderung. Vor der OP: •

2. psychotherapeutisches Gutachten

2. psychiatrisches Gutachten

zusammenfassendes Gutachten der Gerichtsmedizin in Wien

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schlechtsidentität, deren Ursache unbekannt sei. Begonnen wurde in den 70er Jahren mit der Theorie der psychischen Ursache. Zwischenzeitlich existieren aber Studien, die belegen, dass ebenso auf körperliche Ursachen oder Prädispositionen geschlossen werden kann. In der pränatalen Entwicklungsphase spielen wohl dieselben Sexualhormone bei der Entwicklung der Genitalien und des Gehirns eine Rolle. Eine Kombination aus sozialen, physischen und psychischen Ursachen wird für möglich gehalten. Forscher am Institut für Hirnforschung in Amsterdam untersuchten 1995 sechs Gehirne von verstorbenen Mannzu-Frau-Transsexuellen und fanden den sogenannten Bed Nucleus der Stria Terminalis, der bei Ratten zumindest das Sexualverhalten koordiniert, eher weiblicher Anatomie zuordnend vor. Beweisend ist dies allerdings nicht. Australische Forscher wollen 2008 ein überlanges Gen für die Ausbildung der Testosteronrezeptoren entdeckt haben. Dieses lange Gen könnte durch eine bereits im Mutterleib reduzierte Testosteronbildung eine Transsexualität begünstigen. Allerdings ist auch dies eine sogar von den Wissenschaftlern vage Hypothese.

chenden Operation (früher Geschlechtsumwandlung) die einzige Chance. In Deutschland wird diese Art der OP hauptsächlich von Plastischen Chirurgen oder Urologen durchgeführt, wobei das Ergebnis der OP selbst heutzutage teilweise noch recht unbefriedigend in Bezug auf Optik, Funktionalität oder Schmerzhaftigkeit ausfällt und sehr vom Können und der Erfahrung des Operateurs abhängt. Die Operationstechniken gleichen hierbei den Maßnahmen, die bei der Wiederherstellung der Geschlechtsmerkmale nach Krankheit oder Unfall gelten. Eine begleitende bzw. vorausgehende Hormonbehandlung ist lebenslang notwendig, weil hierbei nach Entfernung der Keimdrüsen Hormonmangelerscheinungen auftreten. Ebenso ist die Hormontherapie notwendig für die Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale des anderen Geschlechts. Die Wirkung auf die primären ist hierbei gering bis gar nicht vorhanden.

Nebenbei wird aber auch ein hormonelles Ungleichgewicht, bzw. ein erniedrigter Spiegel von Androgenen als der Durchschnitt während der Embryonalentwicklung diskutiert. Das wurde in einer Studie von Günter Stalla, Neuroendokrinologe am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München, anhand einer Studie ermittelt. Hierbei wurde die ZeigeRingfingerlänge bei mehr als 100 Transsexuellen untersucht. Die Differenz im Vergleich zu Männern, die sich auch als solche fühlen, war umso größer, je weniger Androgene (Testosteron) in der Embryonalentwicklung auf das Kind einwirkten.

Um sich allerdings solch einer Operation unterziehen zu dürfen, sind einige Voraussetzungen zu erfüllen: zwei Gutachten zur Diagnosesicherung mit OP-Indikation, mindestens einjährige kontrollierte Hormontherapie, abgeschlossene Namensänderung nach dem TSG, eine Kostenübernahme des Kostenträgers. Zahlen schwanken hier teils erheblich, im Durchschnitt werden 4 Operationen pro Monat und Klinik ausgeführt. Wartezeiten bestehen je nach Klinik und können durchaus 6 Monate betragen. GAO sind von dem DRG-System ausgeschlossen, was bedeutet, dass Sonderentgelte mit den Kassen vereinbart werden.

Operationen und Hormone Um dem Leidensdruck endlich ein Ende zu setzen, sehen viele, jedoch nicht alle Transsexuellen, in der sogenannten geschlechtsanglei-

Begriffe erklärt

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Generell wird zwischen einer Frau-zu-MannOperation bei sog. Transmännern und einer

Transgender:

Transsexualität:

Oberbegriff für den Ausbruch aus der klassischen Rollenzuordnung. Abweichung von der sozialen Geschlechtsrolle und den Geschlechtsmerkmalen. Es fehlt die Identifikation mit dem Geschlecht. Darunter fallen auch Drag Queens/Kings. Es wird von der sexuellen Stimulation oder nur zeitweiligen Rollenwechsel (Travestie) abgegrenzt. Ist ein nicht-klinischer Begriff. Man lehnt Geschlechtskategorisierung ab und konzentriert sich auf die soziale Rolle.

ist nach ICD-10 (WHO) eine Geschlechtsidentitätsstörung, das heißt: körperlich eindeutig zuordbar, aber das Gefühl zum anderen Geschlecht gehörend, es herrscht das Streben sich diesem anzugleichen, medizinlastiger Begriff TSG: Transsexuellengesetz. Regelt die rechtlichen Voraussetzungen für einen Geschlechtsrollenwechsel (medizinische und juristische Maßnahmen),


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Mann-zu-Frau-OP bei Transfrauen unterschieden. Die Techniken differieren hierbei.

Die Frau-zu-Mann OP Bei einer Frau-zu-Mann (FzM)-OP wird zunächst eine Mastektomie unter Erhaltung der Mamille und einem Hautteil durchgeführt. Um ein optimales, nicht sichtbares Ergebnis zu erzielen sind eventuell zwei Eingriffe im Abstand von sechs Monaten bis einem Jahr notwendig. Danach oder gleichzeitig werden die inneren weiblichen Organe in einer Hysterektomie und Adnexektomie entfernt, nicht zuletzt auch wegen des erhöhten Krebsrisikos bei der Hormontherapie und der Voraussetzung für die Personenstandsänderung nach dem TSG. Der schwierigste Teil steht anschließend in der eigentlichen genitalangleichenden OP bevor, denn nun muss der Chirurg aus körpereigenem Material einen „Penis“ erschaffen. Dieser Eingriff erfordert sehr hohe Kenntnis und Erfahrung des Chirurgen und endet nicht selten in problematischen Wundheilungsstörungen, unbefriedigenden Ergebnissen oder sogar Nekrosen, wobei Stücke des sog. Penoids

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(künstlich aufgebauten Penis) abgetragen müssen und somit nur noch ein kleiner Rest oder Stumpf übrigbleiben. Trotz hochtechnisierter Mikrochirurgie bleiben die großen Gefahren wie Durchblutungsstörungen, Vernarbungen, Verwachsungen oder Fistelbildungen nicht aus und verlangen vom Operateur extremes Feingefühl und Genauigkeit, von den Patienten eine hohe postoperative Compliance sowie von den mitarbeitenden Pflegekräften hohe fachliche Kompetenz und Sorgfalt im Umgang mit den Patienten.

Damit ist es möglich ein Attest bei einem Chirurgen einzuholen. Da in Österreich die Fallzahlen zur Angleichung von Transmännern sehr niedrig sind, gibt es leider keine Chirurgen, die einen Penoidaufbau ohne Komplikationen chirurgisch verwirklichen können. Aus diesem Grund fiel meine Wahl auf Dr. med. Jürgen Schaff aus München, ein Chirurg der einen großen Erfahrungsschatz auf diesem Gebiet hat. Leider hat mir meine Krankenkasse die Kosten in Deutschland nicht übernommen, so dass ich die Kosten von € 37.000.- selbst tragen musste.

Erste Möglichkeit ist die sog. Metaidoioplastik, bei der die Klitoris freipräpariert und eine Harnröhre aus den kleinen Schamlippen geformt wird. Die Sensibilität bleibt dadurch erhalten und ein Geschlechtsverkehr wird möglich. Hierfür bleibt der Patient ein bis zwei Wochen stationär. Das Ergebnis ist relativ komplikationsarm, aber in der Regel zu klein für die Patienten. In der zweiten Möglichkeit, der Unterarm-Plastik, werden aus dem nichtdominanten Unterarm Haut, Gefäße und Nerven entnommen und anschließend ein Penoid daraus geformt. Die Harnröhre wird bei dieser Technik bis zur Penoidspitze geführt und die Gefäße und Nerven in der Leiste angeschlossen, damit Durchblutung und Sensibilität erhalten bleiben. Nachteil hierbei sind die relativ häufigen Komplikationen, sowie Narbenentstehung an der Entnahmestelle. Die Größe des Penoids beträgt zwischen 10 und 12 cm, aber je nach Dicke des Unterarms ein unterschiedlicher Umfang. In einer zweiten OP werden dann Hoden in Form von Silikonimplantaten und ein Versteifungsimplantat (Pumpe, die im Hodensack liegt, von außen nicht sichtbar ist und Wasser aus einem Ballon im Bauchraum in die künstlichen Schwelllkörper pumpt) eingebaut, um eine Erektion zu ermöglichen. Häufige Korrekturen sind dabei postoperativ nötig und die Liegedauer kann bis zu sechs Wochen benötigen. Durch die Risiken wird diese Technik, vor kurzem noch Standard, zunehmend nicht mehr empfohlen, ebenso die Bauchmuskelplastik, wobei hier ein Teil des Rectus

Transvestitismus:

Aversionstherapie:

Kritikpunkt: Transgender, die die Transsexuellenkriterien nicht erfüllen, können juristische und medizinische Maßnahmen schlechter und schwerer erhalten, obwohl sie sie bräuchten

eigene Geschlechtsidentität wird durch Tragen andersgeschlechtlicher Kleidung untermauert, unabhängig von der sexuellen Orientierung, 1910 von Hirschfeld geprägt

Transidentität:

Intersexualität:

Synonym der Transsexualität, weniger für Transgender. Geschlechtsidentität weicht vom Geburtsgeschlecht ab, Hervorheben der sozialen Anerkennung, da „Transsexualität“ eher mit Sexualität assoziiert wird

Hermaphroditismus, Mensch kann genetisch, anatomisch und hormonell nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden, Diagnostik u.a. durch Chromosomenanalyse

Anwendung negativer Reize im Behaviorismus als Form der Konditionierung. Diese Verhaltenstherapie wird v.a. bei Suchtverhalten angewandt, um Aversionen gegen das Suchtmittel zu erzeugen. Als aversive Reize dienen emetische Medikamente und Elektroschocks.

Wie viele OPs hattest du und was ist das für eine Last all die Schmerzen, OPs, Komplikationen auf sich zu nehmen? Wie fühltest du dich dabei? Es gibt ja auch noch unterschiedliche OP-Techniken... Ich hatte nun insgesamt vier chirurgische Eingriffe und bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Die Schmerzen waren nicht immer sehr angenehm, jedoch erbaute ich mir meinen Grundstock von meinem Leben und deshalb waren die Schmerzen erträglich. Ich habe mich für die Variante aus dem Unterschenkel entschieden „Fibula Flap“ jedoch ohne Fibula. Was hat sich verbessert, was verschlechtert? Wie sieht dein berufliches und soziales Leben jetzt aus? Es hat sich eigentlich durchwegs alles verbessert, ich arbeite als normaler Mann in einer europaweit tätigen Firma. Es ist zur Normalität geworden, jedoch weiß mein soziales Umfeld von meiner Angleichung und natürlich stehe ich in der Öffentlichkeit durch die Vereinsarbeit. Gibt es eine begleitende medizinische oder psychologische Betreuung für dich? Musst du regelmäßig Medikamente nehmen oder zu Nachuntersuchungen? Ich bin nach wie vor in endokrinologischer, medizinischer Behandlung wegen der Hormontherapie, die ich wahrscheinlich ein Leben lang nehmen muss. Übrigens werde ich mit Nebido von Bayer behandelt [Anmerkung der Redaktion: Nebido® ist ein Testosteronprodukt]. Ich fahre auch regelmäßig zu Dr. Schaff nach München, zu Nachuntersuchungen. In psychotherapeutischer Behandlung befinde ich mich schon lange nicht mehr, dies war nur ein Mittel zum Zweck. Was geschah nach der Fertigstellung? Spricht man über seine frühere körperliche Identität? Ich habe im Jahr 2009 einen Verein zusammen mit anderen österreichischen Transmännern gegründet,   www.transmann.or.at, um auf das Problem mit den Krankenkassen aufmerksam zu machen. Ich stehe zu meiner Transidentität und gehe offen damit um, jedoch sage ich immer „ich war nie eine Frau, nur körperlich“.


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Medizin der Extreme

Wie sieht die Zukunft für dich aus oder was wünschst du dir? Ich habe vor nächstes Jahr neben meinem Beruf ein Studium zum akademischen Versicherungsmakler zu beginnen. Ich möchte, dass die Wissenschaft und die Medizin unsere Krankheit endlich als normal sieht und uns nicht als Geistesgestörte klassifizieren. Ist Sexualität ein Problem für dich? Wie reagieren neue Partner? Nein ist es seit meinen OPs nicht mehr, ich führe ein normales Sexualleben, jedoch muss ich meine richtige Pubertät nachholen ;o) Es gibt einige Hypothesen zur Entstehung der Transsexualität. Welche liegt dir am persönlichsten? Meiner Meinung nach ist durch einen falschen Hormonschauer, pränatal, mein Körper gegengeschlechtlich zu meinem Gehirn entstanden. Eventuell leichte Form von Intersexualität. Gibt es etwas, das du Studenten und Jungmedizinern mitteilen möchtest? Transidente sind nicht geistesgestört oder pervers, sondern wollen einfach in ihrem richtigen Geschlecht wahrgenommen werden und leben. Lieber Nikolas wir wünschen dir alles Gute für dein weiteres Leben! Vielen Dank für das Interview!

  www.transmann.or.at vorstand@transmann.or.at

Abdominis abgelöst, aufgerollt und nach unten geklappt wurde, um daraus ein Penoid zu formen. Die Latissimus-Dorsi-Plastik hat sich hierbei als neuen Standard behaupten können und wird zunehmend weltweit empfohlen. Bei dieser Peniskonstruktion bestechen Risikominimierung und geringer Penoidfunktionsausfall, zudem gleicht der Penoid nach Abheilen einem originären Penis am weitesten. Zur Stabilisierung werden teilweise die Fibula entfernt und der Knochen in den Penoid eingebaut.

Die Mann-zu-Frau OP Bei Transfrauen, also Mann-zu-Frau, wird ein Teil der Eichel, deren Nerven und Gefäße herausgelöst und an entsprechender Stelle wieder eingefügt. Eine neue, sexuell empfindliche, Klitoris ist dabei entstanden. Die Harnröhre wird

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ebenfalls aus dem Penis gelöst und gekürzt, die Penishaut wird invertiert (umgestülpt), um einen Hohlraum zwischen Rectum, Blase und Darm zu schaffen und diesen damit auszukleiden, dabei ist die sog. Neovagina entstanden. Der Eingriff beinhaltet eine Kastration und die Entfernung der Schwellkörper. Eine weitere Möglichkeit ist die Ausformung eines präpubischen Hügels, da trotz Hormontherapie kein Fettgewebe im Sinne eines Mons Pubis ensteht. Der Hodensack dient anschließend der Formung von Schamlippen. In der Regel bleiben diese Patienten für eine Dauer von 14 Tagen in der Klinik, manchmal muss auch noch nachkorrigiert werden, z.B. wenn der Vaginalkanal zugewachsen ist. Die Patientinnen müssen regelmäßig den Vaginalkanal durch sog., oft schmerzhaftes, Bougieren mit Luftkissen und später Dildos aufdehnen. Die natürliche Sekretion bleibt allerdings aus und muss dann mit Gleitmitteln ersetzt werden. Probleme bei der Kostenerstattung bereiten noch einige Krankenkassen, da eine Klitoris als zwingend notwendige medizinische Maßnahme, wie die Anlage einer Neovagina, sowohl in der Rechtsprechung als auch bei manchen Ärzten als Extramaßnahme noch nicht gänzlich akzeptiert wird, weil man sich hier über die weibliche Anatomie noch streitet ... Brustvergrößerungen werden dann durchgeführt, wenn sie durch Hormonbehandlung zu klein geraten und die Dauer dabei zu langwierig wird. Wichtiger allerdings erscheint die Operation am Stimmapparat, wobei auch hier schon verschiedene Techniken zur Verweiblichung der Stimme beitragen. Dies ist ein nicht ganz risikoarmer Eingriff, denn hierbei muss der Chirurg auf einen möglichen reduzierten Stimmumfang oder im Extremfall auf völligen Stimmverlust achten. Stimmband-OPs sind trotz verbesserter OP-Techniken noch selten, vielmehr entscheidet man sich zwischen einer Straffungsmethode und der Verkürzungsmethode (Glottoplastik). Sollte der Adamsapfel ursprünglich zu groß sein, muss auch dieser verkleinert werden, was generell eher unproblematisch ist. FFS sind sogenannte facial feminization surgeries,

die meist selbst bezahlt werden müssen, da sie nicht zwingend medizinisch erforderlich sind und den Patientinnen zu einem weiblicheren Gesicht verhelfen, indem Nase, Kinn, Stirnwülste und/oder Wangenknochen verkleinert werden und bei Bedarf die Hüften zusätzlich gepolstert werden können.

Talente sind gefordert Trotz der durchaus interdisziplinären Zusammenarbeit bleibt das Gros den Chirurgen. Wer gerne sein chirurgisches Talent ausleben möchte und zudem überaus fein arbeiten kann, ist in diesem herausfordernden Fach gut aufgehoben. Denn unbestritten ist, dass sich die Möglichkeiten für die Betroffenen heute sowohl aus medizinischer als auch sozial-psychologischen Sicht in letzter Zeit extrem verbessert haben, wie man im Januar 2011 gesehen hat. Hierbei hat das Bundesverfassungsgericht wichtige Paragrafen des TSG mit sofortiger Wirkung für rechtsunwirksam erklärt, weil sie unvereinbar mit dem Grundgesetz sind. Dies bedeutet nun ab 2011, dass die Voraussetzungen der ehemaligen Fortpflanzungsunfähigkeit und der operative Eingriff für die Änderung des Geschlechtseintrages, nicht mehr nötig sind.

Foto: Wilhelm von Gloeden (1856-1931)


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Notfall in der Luft Welche Möglichkeiten haben Ärzte an Bord?

 Elena Kindsvater

nen ist sicherlich die BA, bei der Lufthansa zum Beispiel wird es schon schwieriger, die Information zu recherchieren.

Nicht selten kommt es vor, dass Flugbegleiter oder sich zufällig an Bord befindliche Ärzte einem echten Notfall oder häufiger plötzlich auftretenden gesundheitlichen Störungen der Passagiere gegenüberstehen. Einer Internet-Quelle nach sterben ca. 2500 Menschen jedes Jahr an Bord eines Flugzeugs – drei Viertel davon an akutem Herz-Kreislauf-Versagen.

rungsbehörden gibt, die die gesetzlichen Mindestempfehlungen für die Bordausrüstungen aufzeigen. Auf der einen Seite die Federal Aviation Administration in den USA und auf der anderen die Joint Aviation Authority in Europa, die erhebliche Unterschiede bei ihren Empfehlungen vorweisen.

Die Ausbildungsstandards Genauso wichtig wie die medizinische Ausstattung, ist auch die Ausbildung der Flugcrew, die sie auf solche Notfälle optimal vorbereiten soll, denn man kann sich nicht immer darauf verlassen, dass sich ein Arzt an Bord befindet oder sich beim Ausrufen freiwillig meldet.

Als bisheriger Standard gilt ein zwei Tage Normalerweise findet man aber an Bord langer Grundkurs und sich jährlich wiederhoViel häufiger kommt es aber zu medizini- mehr als nur die Mindestempfehlung. So ha- lende Recurrent-Kurse, die das Wissen auffrischen Zwischenfällen ohne Todesfolge, wie ben zum Beispiel Lufthansa, British Airways schen und trainieren sollen. Aber auch in der abdominellen Beschwerden, Schmerzen in der (BA), Condor und Germanwings neben Intu- Ausbildung der Flugbegleiter finden sich von Brust, Kreislaufzusammenbrüchen, Atembe- bationszubehör (inklusive Beatmungsbeutel Fluglinie zu Fluglinie gravierende Unterschieschwerden oder Asthmaanfällen oder zu Kopf- und Absauggerät) mehrere Infusionslösungen de. Eines haben sie aber alle gleich und zwar, verletzungen durch z.B. schwere Notebooks. und ein umfangreiches Medikamentensorti- dass für diese Schulungen viel zu wenig Zeit Genauso können auch psychische Probleme, ment. Ein großes Probzur Verfügung steht, so endokrine Erkrankungen wie Diabetes oder lem ist aber eine nicht Für die Schulungen der Flugbegleiter steht auch nicht genug, um sehr selten eine Geburt dem Flugpersonal er- einheitliche, oft unlogidem Flugpersonal das viel zu wenig Zeit zur Verfügung. hebliche Schwierigkeiten während des Fluges sche und unübersichtliFunktionieren und die che Verpackungsweise, sowie keine eindeutige Bedienung eines AEDs ordnungsgemäß nahe bereiten. Anwendungsanleitung der technischen und zu bringen. Was natürlich die Prognose solcher Da das Durchschnittsalter der Reisenden im- medizinischen Ausrüstung im Flugzeug. Dies Patienten entscheidend verbessern würde, mer weiter ansteigt und es somit wahrschein- erschwert natürlich die schnelle und erfolgrei- wenn man bedenkt, dass bei einem plötzlilicher wird, dass Vorerkrankungen und eine che Behandlung der Reisenden durch das oft chen Herzstillstand in 60 % der Fälle pulslose unzureichend geschulte Kammertachykardien oder Kammerflimmern geringere Belastung bei die Ursache sind. Im Gegensatz dazu gehören Passagieren vorhanden Weil die Reisenden älter werden werden Bordpersonal. Injektionen und das Anhängen von Infusionen sind, werden die Zwi- die Zwischenfälle in Zukunft zunehmen. Manche Airlines haben nicht zu den Aufgaben der Flugcrew im Rahschenfälle wohl in Zukunft zunehmen. Auch weil sich der Trend sogar AEDs (= Automatisierte Externe Defib- men medizinischer Notfallhilfe. Richtung Großraumflugzeug mit zunehmen- rillatoren) und EKG ‑ Geräte, die einen Datenden Reichweiten ohne Zwischenlandung be- Transfer zu Bodenstationen und somit eine Arzt am Apparat funktechnische Diagnose durch Spezialisten wegt. möglich machen. Weitere Unterstützung vom Boden können ärztlich besetzte Callcenter, wie etwa von MeDeutliche Unterschiede ... Diese Ausstattungsunterschiede erschweren daire, SOS International oder MASH, bieten. Die medizinische Ausstattung der Flugzeuge es aber den Ärzten, sich bereits vor Beginn Diese sind über Funk oder Satellitentelefon ist von der Fluglinie abhängig und weist deutli- einer Flugreise auf das Handhaben eines me- erreichbar. Zu ihrem Service gehört, geeignete che Unterschiede auf. Alle europäischen Flug- dizinischen Notfalls vorzubereiten, denn man Orte zur Zwischenlandung vorzuschlagen, an gesellschaften statten ihre Flugzeuge mit einem weiß ja nicht genau, was man alles an Bord denen eine adäquate Übernahme und WeiterErste-Hilfe-Koffer aus, aber nur etwa 82 % zur Hand hat. Denn nicht jede Fluggesellschaft betreuung des Patienten möglich ist, und die verfügen über einen Ärztkoffer. Diese starken stellt die gesamte zur Verfügung stehende me- Beratung von zufällig an Bord anwesendem Unterschiede lassen sich unter anderem da- dizinische Ausstattung als schnell zu findende medizinischem Fachpersonal. durch erklären, dass es zwei wichtige Regulie- Information ins Internet. Als Vorbild zu nen-


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Stockholm - Es war ihre allererste Autopsieübung und endete mit einem Schock: Schwedische Medizinstudenten haben ein bekanntes Gesicht auf dem Seziertisch vorgefunden. Im Hörsaal des renommierten Karolinska-Instituts lag ihr verstorbener Dozent. „Die erste Autopsie ist wirklich sehr emotional und wir haben jemanden autopsiert, den wir kannten“, sagte einer der entsetzten Studenten am Freitag der schwedischen Nachrichtenagentur TT. Chefärztin Birgitta Sundelin nannte den Vorfall „außerordentlich unglücklich“. Sundelin gab an, dass die Studenten normalerweise rechtzeitig informiert würden, wessen Leiche sie bei der Autopsie begutachten. Dies sei auch dieses Mal so gewesen. Ein Student sagte dagegen, die Klasse habe den Namen erst über das Schild erfahren, das am Zeh der Leiche baumelte. Auch die Professorin Tina Dalianis bedauerte den Vorfall. „Es ist schrecklich, aber das ist manchmal Teil der Ausbildung“, sagte sie. Damit müssten die Studenten umgehen können.

mit freundlicher Genehmigung der AFP

Medizinstudenten mussten toten Dozenten obduzieren

Das Blut tropft noch von den Haaren auf das Gesicht herunter, der blanke Schädel ist gesprungen. Die Szenerie ist einem Krimi am Sonntagabend tatsächlich gar nicht so unähnlich… Die Rechtsmedizin ist mit einer der spektakulärsten Fachbereiche der Medizin. Laien verbinden damit vor allem Mord, Totschlag und Gewalttaten mit tragischen Hintergründen, dabei ist sie vor allem eins: ein facettenreicher Knochenjob.

 Louise Füeßl

© Xerto / Wikimedia Commons

Ein Besuch im Institut für Rechtsmedizin

Tatort am Mittwoch

jdl/AFP

Wir warten an der Pforte des Instituts für des is scho wieder so a Brockn“, und zerrt ein Rechtsmedizin in der Nußbaumstraße, vier Bein noch nach. Jetzt liegt ein etwa 40-jähriger Studenten, um abgeholt zu werden. Das Ge- Mann unbekleidet vor mir. Lediglich der ZVK bäude sieht hell und freundlich aus. Im Erd- hängt noch aus der Vena jugularis heraus, ein geschoss erinnert so gar nichts an Leichen. Im Gruß aus dem Krankenhaus Rechts der Isar. Keller dann schon eher: Dort ziehen wir uns Kopf und Hals ruhen auf einer Stütze. Fast könnte man den Eindruck weiße Kittel an und biner schlafe einfach den Plastikschürzen um. Fast könnte man den Eindruck be- bekommen, nur. Denn je frischer und unEine Famulantin drückt kommen, er schlafe einfach nur. versehrter die Körper noch mir blaue Überziehschusind, umso lebendiger wirken he in die Hand: „An meinem ersten Tag hatte ich Wildlederstiefel an, sie – was man von der „Nachbarleiche“ am die sehen jetzt nicht mehr so schön aus.“ Wird Tisch nebenan jetzt nicht unbedingt behaupten kann. Aus dem offenen Mund ragen noch ein es tatsächlich so eine Sauerei werden? paar vereinzelte Zähne heraus, der Körper ist Im Flur zu den Obduktionsräumen stehen übersät mit Flecken in den abenteuerlichsten Wägen mit Planen darüber, Zehen lugen her- Farben: knalliges Grün, Blau, Rot. Eine Assisaus. Ein strenger Geruch hängt in der Luft, den tenzärztin erklärt, dass es sich dabei um Fäulich nicht ganz zuordnen kann. Gelbe Fliesen nisprozesse handelt. In mir regt sich eher die Assoziation zu den buntgesprayten Brücken an am Boden, typische Kelleratmosphäre. der Isar. „Schlimmer als das Äußere ist jedoch Wir verteilen uns auf drei Räume, die durch oft der Geruch“, meint Sebastian, ebenfalls gläserne Wände voneinander abgetrennt sind. Assistenzarzt im rechtsmedizinischen Institut. In der Mitte steht ein Metalltisch mit Abfluss, Und tatsächlich, ich trete näher heran und am Fußende ist ein Tablett mit Instrumenten, würde am liebsten gleich wieder drei Schritte eine Waage und ein Brausekopf mit Abflussbe- zurückgehen. Das ist also der undefinierbare cken angebracht. Wie gerät eine Leiche über- Geruch, der hier in der Luft hängt. haupt an einen Ort wie diesen? Gibt ein Arzt auf dem Totenschein „Todesursache unklar“ Die Todesursache an, muss der Kriminaldauerdienst (KDD) verständigt werden. Der wiederum informiert die Zurück an meinem Tisch erläutert ein BeStaatsanwaltschaft, die dann schlussendlich amter mit Goldohrring vom Landeskrimidem rechtsmedizinischen Institut den Obduk- nalamt kaugummikauend dem Professor und tionsauftrag erteilt. Das ganze Prozedere darf den beiden Assistenzärzten die Todesursache: allerdings nicht zu lange dauern, schließlich Klaus L., seines Zeichens Bauarbeiter, wurde muss eine Leiche nach bayerischem Gesetz gestern um 14.30 Uhr von einer Leiter, auf spätestens 96 Stunden post mortem bestattet der ein zusammengerolltes Metalltor lag, aus werden. zwei Metern Höhe erschlagen. Er wedelt unterstreichend mit ein paar Fotos vom Unfallort Noch ist es jedoch nicht so weit. Die Präpa- in der Luft herum. Der Professor will es ganz ratorin, eine junge Dame in Blau, schiebt ei- genau wissen: „Also, wie jetzt genau… Was für nen Wagen herein. Die Plane wird zurückge- eine Leiter denn eigentlich? Eine zum Stehen, schlagen, der Körper auf den Obduktionstisch oder eine zum Anlegen, oder …“ Ein Student gehievt, sie schafft es nicht auf einmal: „Mei, erlaubt sich ein Grinsen, das sofort registriert


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wird: „Ja, es gibt ja alle möglichen Arten von Leitern! Das muss ich mir schon vorstellen können!“ Nachdem sich schließlich jeder einzelne das Ereignis vorstellen konnte, beginnt die eigentliche Obduktion. Dabei sind immer mindestens zwei Ärzte und ein Präparator anwesend. Der Professor diktiert in ein Aufnahmegerät: „Der 43-jährige Klaus L., ein Bauarbeiter, wurde am … “, während eine Assistenzärztin die körperliche Untersuchung durchführt: Ist der Tote verletzt, sind Leichenflecken sichtbar, gibt es sonstige äußere Auffälligkeiten? Bei nicht mehr ganz „frischen“ Leichen haben sich manchmal bereits Maden eingenistet, dann muss das genaue Stadium im Labor bestimmt werden.

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Während sich die Assistenzärztin um die inneren Organe kümmert, bearbeitet die Präparatorin Laura den Schädel. Dabei wird die Haut am Hinterkopf horizontal eingeschnitten und nach vorne übers Gesicht gestülpt.

Außergewöhnliche Berufswahl

Bisher hatte ich beim Gedanken an Präparatoren ja eher einen älteren grobschlächtigen Metzger im Sinn, aber an jungem Nachwuchs mangelt es hier anscheinend nicht. Wie man auf so eine außergewöhnliche Berufswahl kommt? „Ich war in der Ausstellung ‚Körper- noch an den Haaren auf das Gesicht herunter. welten‘ und fand das wahnsinnig spannend“, Die Szenerie wirkt irgendwie skurril. Eben ist erzählt Laura. „Danach hab ich ein Praktikum noch das Gesicht eines Menschen zu sehen, in der anatomischen Anstalt in München ge- tritt man jedoch einen Schritt weiter nach oben macht und mich an der Berufsschule in Bo- am Tisch, eröffnen sich einem bilderbuchartige chum beworben.“ Die Ausbildung dauert drei Schädelstrukturen, ganz wie im Anatomieatlas. Besondere Aufmerksamkeit wird den Augen Jahre, man muss dafür mindestens 18 Jahre alt Genauso wie die Bauchorgane wird das Gegeschenkt. Sebastian erklärt mir später, dass sein. Ob sie am Anfang Ekel oder Hemmunman schon allein anhand des gen verspürt hat? „Nee. In der hirn herausgenommen und in Scheiben geBindehautzustandes allerlei sehen die Leichen ja schnitten. Als Todesursache wurden bei Klaus Für mich ist das einfach Anatomie Hinweise auf Krankheitsbilder nicht mehr so menschlich aus. L. schließlich die Schädelverletzungen festgeein ganz normaler Job. Für mich ist das einfach ein stellt. sammeln könne. Manchmal wird auch Flüssigkeit direkt aus ganz normaler Job.“ Und Reakdem Glaskörper entnommen. Die Famulan- tionen aus dem Umfeld? „Naja, viele finden‘s 35 Minuten tin Anna erzählt, dass sie es dabei immer ein schon komisch, was ich mache. Die meisten bisschen graust: „Da kommen die mit so einer ekeln sich davor, wollen aber trotzdem alles Am Schluss legt Laura die Organe wieder dicken Nadel an einer Spritze an und rammen darüber wissen.“ in den Bauchraum, das Gehirn kommt auch die einfach direkt ins Auge rein.“ noch dazu. Den Kopf stopft sie mit – immerhin Ekel und Faszination zugleich – eine häufige – Zeitungspapier aus und näht schließlich die Reaktion unter Nicht-Medizinern. Verständ- Häute mit einer dicken Nadel und einem speIm Inneren des Körpers lich, beim menschlichen Körper handelt es ziellen Stich, den sie wahrscheinlich nicht im Ist die Untersuchung des Äußeren abge- sich schließlich um eine Angelegenheit, die Handarbeitsunterricht gelernt hat, wieder zu. schlossen, wird der Körper vom Kinn abwärts jeden betrifft. Und es grenzt an ein Wunder, 35 Minuten hat die Obduktion gerade mal gein der Mitte einmal aufgeschnitten. Als Erstes dass die komplexen Vorgänge in vielen Fäl- dauert, der nächste Wagen steht schon vor der wird das Herz freipräpariert und gewogen. len jahrzehntelang reibungslos funktionieren. Tür bereit. Das ist Durchschnitt, doch nicht Das Blut, das sich darin befindet, wird aufge- Trotzdem muss man sich erst an den Anblick bei allen Fällen geht es so schnell: Ist die Lage fangen und abgemessen. Anna dokumentiert gewöhnen, wenn die zierliche Frau die Kopf- kompliziert, kann man schon mal vier, fünf das Gewicht an einer Wandtafel und gleicht haut nach vorne über das Gesicht zieht und Stunden an einer Leiche arbeiten. es mit physiologischen Werten ab. Dann geht danach den Schädel auf sägt. Das Blut tropft alles ganz schnell. Das „Lungenpaket“: Zun Obduktionssaal der Charité Berlin ge, Ösophagus und Trachea zusammen mit der Lunge raus. Magen, Blase, Leber ebenso. Ab auf die Waage. Zack, Doku an der Tafel. Reine Routine.

Die meisten Organe werden eingeschnitten, um die Struktur genauer zu betrachten. Vor allem bei Herz und Leber können so rasch Diagnosen gestellt werden. Die häufigste Todesursache bei tot aufgefundenen Personen? Meistens handelt es sich tatsächlich um einen natürlichen Tod, Herzinfarkt zum Beispiel. Um sicher zu gehen, werden aber Gewebeproben zur „Histo“ geschickt; bei Verdacht auf Suizid bei Tablettenüberdosis dagegen geht der Mageninhalt „ab in die Tox“.

© Ralf Roletschek // MediaWiki Commons

Die Leber weist dann ein paar schwarze Flecken auf und schon wieder steigt mir ein übler Geruch in die Nase: Noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden tot und schon faulig.


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Für Interessierte Medizinstudenten dürfen Obduktionen jederzeit beiwohnen. Einfach morgens an der Institutspforte anrufen und fragen, ob noch Plätze frei sind. Es empfiehlt sich, an einem Mittwoch, Donnerstag oder Freitag hinzugehen, da Montags und Dienstags üblicherweise Stress wegen der liegengebliebenen Leichen vom Wochenende herrscht.

 Rembrandt, die Anatomie des Dr. Tulp

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sig, die nächsten Institute gibt’s erst in Erlangen und Ulm – immer noch nicht genug, kann man auch noch ein bisschen forschen. Kugelsichere Westen werden getestet und die Vitalitätsreaktionen des Herzens von Schweinen, wenn auf sie geschossen wird. Außerdem wird in Zusammenarbeit mit anderen EU-Ländern Unfallforschung mit Airbags und Helmen betrieben und Versuchsreihen aus dem Alltagsleben durchgeführt, mit Alkohol zum Beispiel, fürs Verständnis: Wie fühlen sich 1,8 Promille Anna ist noch nicht so abgehärtet. Bei Was- im Blut an? Kann man tatsächlich jemanden serleichen verspürt sie ein wenig Ekel. Und ein mit einem Wiesn-Maßkrug erschlagen? Interessant dabei ist übrigens, Vorfall hat sie besonders mitgenommen: Drei jun- Kann man tatsächlich jemanden mit dass gebrauchte Krüge ge Männer, etwa in ihrem aufweisen einem Wiesn-Maßkrug erschlagen ? Mikrorisse Alter, wurden nach eiund damit zerbrechlicher nem tödlichen Autounfall ins Institut gebracht. sind, als sie tatsächlich aussehen. Sollte man Während der Obduktion klingelte plötzlich also mal jemandem am Biertisch eins überbradas Handy in der Tasche von einem der drei, ten wollen, ist es empfehlenswert, sich nach etauf dem Display war zu lesen: „Mama“. was Handfesterem umzusehen, sonst schneidet man sich am Ende nur ins eigene Fleisch. Anna kann sich trotzdem gut vorstellen, später auch einmal in der Gerichtsmedizin zu arHäufig fragen auch Filmteams an, wie groß beiten. Für manche Studenten ist eine Haupt- denn das Blutbad bei einem Schuss sein darf, motivation fürs Studium der Patientenkontakt, um es realitätsgetreu darzustellen. Was sie den brauche sie aber nicht unbedingt. In re- letztlich dann aber sowieso nicht tun, denn duzierter Form findet man ihn hier aber doch: sonst könnten wohl selbst die zartbesaitetsten Es gibt eine Ambulanz für Frauen und Kinder, Seelen ihre Augen offen behalten. die Opfer körperlicher Gewalt wurden. Nicht immer führt dies jedoch zu einer Anzeige, oft Geschmackssache werden die Verletzungen nur dokumentiert, für den Fall, dass doch jemand zur Polizei gehen Trotzdem – Obduktionen sind Geschmackswill. sache, genauso wie üble Gerüche und kalte Keller. Und, das stellt auch Sebastian fest, die Dankbarkeit eines Patienten, dem geholfen Im Gericht werden konnte, fällt vollkommen weg. Mit ToAuch Sebastian ist sehr zufrieden mit seiner ten lässt sich keine gute Unterhaltung führen. Berufswahl. Abwechslungsreich ist sie in je- Irgendwie tragen sie aber dann trotzdem dazu dem Fall. Um 7.45 Uhr beginnt die Frühbespre- bei, nicht umsonst sagt man Rechtsmedizinern chung, vormittags geht’s dann ins Gericht und einen schwarzen Humor nach. ab eins wird obduziert. Gerichtstermine sind In Padua war es im 18. Jahrhundert üblich, beliebt, denn dafür wird man extra bezahlt. Dabei handelt es sich eher selten um spektaku- dass der verstorbene Leiter des Anatomischen läre Morde, so häufig passieren die schließlich Instituts vom Nachfolger obduziert und das nur sonntags im Ersten, sondern meistens um Gehirn aufbewahrt wurde. Ob auch schon alkoholisierte Autofahrten, Drogenmissbrauch einmal ein Mitarbeiter von der Rechtsmedizin oder tödliche Unfälle mit mehreren Beteilig- in München auf dem Tisch gelandet ist? Dazu ten. Dort muss dann die genaue Todesreihen- müsste die Todesursache ja ungeklärt sein, entgegnet der Professor. Zum Beispiel Mord aus folge rekonstruiert werden. Karrieregründen. Nach kurzem Überlegen fügt Etwa ein Jahr sollte man vor Gericht als Zu- er dann hinzu: „Naja, das Potential dazu wäre hörer dabei sein, bevor man selbst ans Werk hier durchaus vorhanden." darf. Wichtig ist, dass die Vorfälle korrekt darSpäter, auf dem Weg zur U-Bahn, laufen gestellt werden, denn viele Rechtsanwälte versuchen, die Gutachten zugunsten ihres Man- wir an einem Zeitungsstand der „tz“ vorbei. danten auszunutzen – notfalls auch mit einem Schlagzeile: „Schwangere Frau (8. Monat) bruhöchst inkorrekten „Haben Sie überhaupt eine tal erstochen“. Ach guck mal, sagt Anna, die Ahnung von dem, was Sie da reden ?!“. Spä- war gestern bei uns. testens dann lernt man, schlagfertig zu antworten. Hin und wieder geht’s also doch ein bisschen spektakulär und tragisch zu. Wie geht man mit so einem Job um? Sebastian sagt, dass er sich nicht einmal daran erinnern könne, wen er vorgestern obduziert hat – Schutzmechanismus. Eine Kollegin hat letztens ein Baby bekommen, die will im Moment keine Kinder obduzieren. Schlucken muss man manchmal bei unvorhergesehenen Ereignissen: „Wenn wir zum Beispiel eine Frau aufmachen und erst dann entdecken, dass sie schwanger war.“

Die Forschung Hat man nach einem Arbeitstag von zehn bis zwölf Stunden – denn das Einzugsgebiet ist rie-


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Die Zukunft der Medizin Technologische Extreme beginnen schon jetzt! „Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben"

Kein Blutvergießen mehr 1971 demonstrierte der Nobelpreisträger Linus Pauling, dass die ausgeatmetete Luft des Menschen über 200 verschiedene organische Komponenten (sogenannte VOCs) enthält.

– Albert Einstein

© Mohamad Sawan // WikiMedia Commons

Mittlerweile ist die Technologie soweit ausgereift, dass man diese teils winzigen Konzentrationen auch messen kann. Es gibt vielversprechende Forschungen zu Tumormarkern, und Ansätze in Richtung Pharmako-Überwachung (wie schnell metabolisiert der Patient das Medikament?) Die Vorteile der Methode liegen klar auf der Hand: keine Schmerzen mehr für den Patienten. Probleme die es momentan noch zu überwinden gilt sind die nicht standarisierten Messverfahren verschiedener Arbeitsgruppen, die hohe Abhängigkeit der Konzentrationen der VOCs von physiologischen Parametern, bspw. dem Herzminutenvolumen, und den Atemmustern des Patienten.

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Das Projekt von Dr. Sawan ist nur einer der vielen Ansätze, um Blinden das Sehlicht wieder zu schenken.

– Arthur Schopenhauer

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Das System besteht aus dem implantierten Teil und einem batteriebetriebenen externen Controller, der es drahtlos mit Energie und den Bilddaten versorgt.

„Es gibt tausend Krankheiten, aber nur eine Gesundheit"

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Bild: Charité Universitätsklinik

Cochlea-Implantate um Gehörlosen das Hören zu ermöglichen sind heutzutage bereits Standard. So werden sogar Kleinkinder mit angeborener Schwerhörigkeit damit versorgt, und es wird auch von den meisten Eltern angenommen. Warum dann nicht auch Implantate im visuellen Kortex für Blinde? Dr. Mohamad Sawan, an der Ecole Polytechnique de Montreal, arbeitet an einem Mikrochip, der durch ein Netzwerk von biokompatiblen Elektroden Strömflüsse injiziert. Dadurch entstehen leuchtende Punkte im Sichtfeld der sehbehinderten Person.

 Maximilian Batz

Haut aus dem Drucker? Wissenschaftler haben einen ganz normalen InkJet Drucker auseinander genommen, und in die Kartusche statt Tinte Zellen getan. Die Idee ist, mit Hilfe des Druckers Haut bei Verbrennungsopfern (und Soldaten) regenerieren zu können. Dazu wird zunächst ein wenig Haut – die Hälfte einer Postmarke groß – vom Patienten entnommen, die Zellen werden voneinander separiert und zum Teilen gebracht. Anschließend werden die Zellen auf die zu behandelnden Stellen des Patienten mit dem Drucker aufgebracht. Dabei berührt der Druckkopf den Patienten nicht. Die Zellen reifen nun aus, und formen neue Haut. Der Druck-Prozess dauert von wenigen Minuten bis hin zu Stunden, je nach Größe der Wundfläche.

Erste Geburt in einem MRT An der Charité gelang im Dezember 2010 eine Weltpremiere – die Geburt eines Kindes in einem offenen MRT. Vorangegangen war eine zweiährige Gorschungs-und Entwicklungsarbeit um ein neuartiges MRT Gerät („offenes HochfeldMRT") zu konstruieren, das den Geburtshelfern einen besseren Zugang zur Mutter und Kind erlaubt. Das Ziel der Forschungen ist es unter anderem besser zu verstehen, warum bei 15 % der Schwangeren im Geburtsverlauf aufgrund eines Geburtsstillstandes eine Sectio notwendig wird.


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Universities Allied for Essential Medicines Was können Universitäten für die Medizin in Entwicklungsländern tun? 90/10 Forschungslücke

Neglected tropical diseases

60

1. Buruli-Ulkus

50

2. Chagas-Krankheit

Jährliche 40 Ausgaben für Forschung in 30 Billionen US20 Dollar

Jährliche Ausgaben

10 0

90%

10%

Anteil an der weltweiten Krankheitslast

Grafik). Dies wird auch deutlich bei Betrachtung der Zahlen der entwickelten Wirkstoffe: Nach Angaben der WHO hat ein Drittel So waren von 1556 zwischen 1975 und 2004 der Weltbevölkerung keinen ausreichenden entwickelten neuen Wirkstoffen lediglich Zugang zu lebens21 zur Behandlung wichtigen Medi- Jährlich sterben ca. 10 Millionen Menschen an „vernachlässigter“ kamenten und DiKrankheiten einagnostika, daher Krankheiten, die mit Medikamenten behandelbar setzbar. sterben jährlich ca. wären, oder durch Impfungen vermeidbar wären. 10 Millionen MenFür die mangelnschen an Krankheiten, die eigentlich mit Medi- de Forschung an diesen „vernachlässigten“ kamenten behandelbar oder durch Impfungen Krankheiten gibt es zahlreiche Beispiele. So vermeidbar wären1. Wie kommt es zu diesen zählt die WHO 18 Krankheiten, von denen gravierenden Zahlen? Wo liegen die Proble- über eine Milliarde Menschen bedroht sind und me und Ursachen? Was könnten mögliche an denen jährlich mehr als 500.000 Menschen Lösungsansätze der Problematik sein? Und – sterben, zu dieser Gruppe (siehe Kasten). Oft was geht uns Studenten das an, was können mangelt es an Neuerungen in der medikamentösen Behandlung, da Resistenzentwicklungen wir tun? gegen die bestehenden Therapien, die zudem häufig langwierig und in ärmeren Ländern Die Probleme schwierig anzuwenden sind, zunehmen. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur VerbesFür die Chagas-Krankheit, von der ca. 14 Milserung der Gesundheit in ärmeren Ländern ist selbstverständlich die Bekämpfung der Armut, lionen Menschen betroffen sind, gibt es im fortda zum Beispiel Unterernähung und schlechte geschrittenen Stadium überhaupt keine ausreihygienische Bedingungen zu Krankheiten füh- chend wirksame Therapie2. ren. Neben einer Besserung der allgemeinen Lebensbedingungen bleibt eine ausreichende Ein Beispiel für die Lücke in der ProdukVersorgung mit Medikamenten, Impfstoffen tion stellt der Wirkstoff Elfornithin dar, der und Präventionsmaßnahmen jedoch unver- ursprünglich gegen Krebs entwickelt worden zichtbar. war. Obwohl sich herausstellte, dass es sich um ein gut wirksames Mittel gegen die SchlafDie Gründe für die Versorgungsprobleme in krankheit handelte, konnte das Medikament einkommensschwachen Ländern sind vielfäl- auf Grund hoher Preise in Afrika nicht eingetig. Es lassen sich jedoch zwei grundlegende setzt werden, und der Hersteller stellte die ProPunkte herausarbeiten: duktion wegen mangelnder Rentabilität ein. Die Rechte wurden zwar einige Jahre später der WHO übertragen, es gelang jedoch nicht, Fehlende Forschung und Produktion einen Hersteller zu finden. Kurze Zeit später Krankheiten, die vor allem arme Menschen wurde Elfornithin von einem anderen Herstelbetreffen, sind kommerziell nicht interessant, ler als kosmetisches Mittel gegen Damenbärte so dass Forschung gar nicht erst stattfindet auf den Markt gebracht. Nach heftigen Protesoder die Herstellung der profitschwachen Pro- ten von NGOs ist heute eine Herstellung als dukte eingestellt wird. Weltweit werden nur Medikament wieder gegeben.3 10 % der Forschungsgelder für den Kampf gegen jene Krankheiten eingesetzt, die 90 % der globalen Krankheitslast entsprechen (siehe 1 K. Ahmad, Access denied to essential medicines in developing world, The Lancet Infectious Diseases, 2002

2 DNDi. (2010) Chagas. DNDi newsletter No 19. March 3 WHO (2001) New lease of life for resurrection drug. TDR press release 6.2.2001

  http://www.who.int/neglected_diseases/diseases/en/index.html

An unserer Uniklinik erleben wir fast täglich die enormen Fortschritte in der Medizin: Neue Medikamente, neue Diagnosemethoden, neue Präventionsmaßnahmen. Für einen großen Teil der Weltbevölkerung bleiben diese Innovationen und Entwicklungen jedoch immer noch unerreichbar. Das ist eine Tatsache, die im Grunde jedem von uns bewusst ist, schließlich hat jeder schon einmal Bilder und Berichte von Krankenstationen in Entwicklungsländern gesehen.

 Marie-Claire O'Hara

3. Zystizerkose 4. Dengue-Fieber 5. Dracunculiasis (Guineawurmerkrankung) 6. Echinokokkose 7. Fascioliasis 8. Schlafkrankheit 9. Lepra 10. Filariose 11. Onchozerkose (Flussblindheit) 12. Tollwut 13. Schistosomiasis / Bilharziose 14. Durch Erdkontakt übertragene Helminthen (Würmer) 15. Trachom 16. Frambösie 17. Elefantiasis 18. Schlangenbisse

Fehlender Zugang zu vorhandenen Medikamenten Zu den Problemen bei der Versorgung mit eigentlich existierenden Wirkstoffen und Behandlungsmethoden zählt zum einen die schlechte Infrastruktur der einkommensschwachen Länder wie Schwierigkeiten bei der Lagerung, Kühlung und Verteilung der Produkte. Nicht unerheblich sind zum anderen hohe Preise der Medikamente, die auf Grund der Patentierung und daraus resultierenden Monopolstellungen einzelner Hersteller entstehen. Auf diese Weise werden viele wichtige neue Medikamente für Menschen in Ländern, deren Regierungen sich die Produkte nicht leisten können, unerreichbar. Einfacher lässt sich sagen, die Verfügbarkeit der Medikamente steigt mit sinkenden Preisen. Am Beispiel der HIV - Therapie lässt sich zeigen, wie Wettbewerb durch Generikaherstellung zu Preissenkungen führen kann. Durch Ausnahmen vom Patentschutz wurde in Entwicklungsländern Konkurrenz durch Generikahersteller möglich. Der Preis der kostengünstigsten HIV-Therapie sank von ca.


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10.500 US-Dollar im Jahr 2001 auf ca. 90 USDollar 2008.4

die Kosten des Medikamentes so hoch waren, dass dieses in Subsahara-Afrika nicht eingesetzt werden konnte, fragte die Organisation Was hat das mit uns / den Universitäten zu tun? Ärzte ohne Grenzen 2001 bei der Universität Yale an, ob es möglich sei, eine Ausnahmelizenz zu vergeben, um eine Behandlung Ein großer Teil pharmazeutischer Grundlader Patienten in Afrika zu ermöglichen. genforschung findet heute an öffentlichen ForDie Universität Yale lehnte jedoch mit schungseinrichtungen, wie zum Beispiel den Verweis auf den Vertrag mit BristolUniversitäten, statt und wird soMyers-Sqibbs ab. Daraufhin mit aus Steuereinnahmen finanbrach eine Welle des Proziert. Medizinische Forschung tests unter Studierenden und und Entwicklung wird Professoren der Universität weltweit zu 41 % aus aus. Gemeinsam mit Ärzöffentlichen Geldern ten ohne Grenzen wurden bezahlt, der Anteil an Proteste und Kampagnen der Forschung an „verorganisiert, bis schließlich nachlässigten“ Krankheiten beBristol-Myers-Squibbs einlenkte und trägt sogar 60 %. Unter anderem einem Verzicht auf die Exklusivlizenz in wurden viele Aids-Medikamente an öffentlichen Einrichtungen ent-  Stavudin (d4T) Afrika zustimmte. Generikaproduktionen und damit Behandlung der Betroffenen wickelt.5 wurden somit möglich. Dies trug nicht unerSomit könnte die Universität eine wichtige heblich zur oben erwähnten Preissenkung der Rolle bei der Lösung der Probleme spielen, Aidstherapie bei. dennoch bleiben viele Wirkstoffe, an deren Durch diesen Erfolg in der Überzeugung geEntwicklungsprozess die Universitäten beteistärkt, dass öffentlich finanzierte Forschung ligt sind, für viele Menschen unerreichbar. auch ihrer sozialen Verantwortung gerecht Dies ist darauf zurückzuführen, dass die werden muss und damit auch ärmeren Menvon den Universitäten patentierten wissen- schen zugänglich sein sollte, gründete eine schaftlichen Errungenschaften entweder als Gruppe von Studenten in Yale schließlich komplettes Patent oder als Lizenz mit Verwer- die Initiative „Universities Allied for Essentungsverträgen an Wirtschaftsunternehmen tial Medicines“, die sich seitdem in der ganzen zur Weiterentwicklung und Durchführung kli- Welt verbreitet. nischer Studien weitergegeben werden. Damit erhält meist ein pharmazeutisches Unterneh- Was können wir tun um den Zugang zu men die Monopolstellung.

Medikamenten zu ermöglichen?

Ein sehr prominentes Beispiel ist die HPVImpfung, die bekanntlich ein Resultat internationaler öffentlich finanzierter Forschung ist. Unter anderem beruht sie auf Forschungsergebnissen des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg. Für diese Ergebnisse erhielt Prof. Dr. Harald zur Hausen 2008 den Nobelpreis für Medizin. Die Vermarktungslizenz erhielten Sanofi und GSK und das Produkt bleibt als eine der teuersten Impfungen überhaupt für viele Menschen unerschwinglich.6

Was können die Universitäten tun? Die Gründung von UAEM – Eine Erfolgsgeschichte Der Wirkstoff d4T zur Aids-Behandlung wurde 1986 von der Universität Yale zum Patent angemeldet. Die Exklusivlizenz zur Weiterentwicklung und Vermarktung des Medikaments erhielt der Konzern Bristol-Myers-Sqibbs. Da 4   www.msfaccess.org 5 Broschüre: Medizinische Forschung: Der www.med4all.org Allgemeinheit verpflichtet,   6 Medizinische Forschung: Der Allgemeinheit www.med4all.org verpflichtet, 

UAEM München Seit April 2009 gibt es auch in München unsere aktive Lokalgruppe von UAEM, die sich jeden zweiten Dienstag um 19.00 Uhr im ZeUS trifft und bisher aus Medizin- und Pharmaziestudenten besteht. Mit Konferenzen halten wir auch den Kontakt zu den anderen europäischen Lokalgruppen. Alle Interessierten sind jederzeit herzlich zur Mitarbeit sowie zu regelmäßig von uns organisierten Vorträgen und Diskussionen eingeladen.

Weitere Informationen online   www.uaem-germany.de   www.essentialmedicines.org

Die Arbeit von UAEM Das internationale Netzwerk UAEM besteht aus Studierenden und Forschenden aller Fachrichtungen. Es gibt mittlerweile fast 100 Lokalgruppen auf der ganzen Welt, unter anderem Yale, Harvard, McGill, University of Toronto, UC Berkeley, Johns Hopkins, MIT und Oxford um nur einige zu nennen. In Deutschland ist UAEM seit 2009 aktiv und arbeitet daran, folgende Ziele an deutschen Universitäten durchzusetzen: •

Medizinische Innovationen, die auf öffentlicher Forschung beruhen, müssen zugänglich gemacht werden.

Forschung zu „vernachlässigten“ Krankheiten muss einen höheren Stellenwert an öffentlichen Forschungseinrichtungen erreichen. Hier haben die Universitäten, die schließlich aus öffentlichen Geldern finanziert sind, eine besondere soziale Verantwortung, da wie oben ausführlich erläutert wenig wirtschaftliches Interesse an Forschung in diesem Bereich besteht.

Forschungsergebnisse müssen stärker nach ihrer Bedeutung für die Gesellschaft beurteilt werden. Überlebenswichtige Medikamente müssen eine höhere Forschungspriorität erhalten als Lifestyleprodukte.

Die Erfahrungen aus den USA zeigen, welchen Einfluss die Universitäten haben können und dass unsere Institute einen Beitrag dazu leisten können, medizinische Fortschritte allen Menschen zugänglich zu machen. So lassen sich neben vielen anderen Modellen sozial gerechte Lizenzierungen durchsetzen. In Lizenzverträgen zwischen öffentlicher Forschungseinrichtung und Wirtschaftsunternehmen könnten Klauseln aufgenommen werden, die den Zugang zum jeweiligen Medikament in Entwicklungsländern sichern. Auf diese Weise wird die privatwirtschaftliche Nutzung der Forschungsergebnisse an Bedingungen geknüpft, die auch ärmeren Patienten eine Behandlung ermöglicht. Eine solche faire Lizenzierung würde dem Unternehmen erlauben, die Preise in Ländern mit hohem Einkommen und zahlungsfähigen Gesundheitssystemen weiterhin höher zu halten, um klinische Studien und Weiterentwicklungen zu finanzieren. Größere finanzielle Verluste würden sich daraus somit weder für Universität noch für das wirtschaftliche Untenehmen ergeben.

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Erste Erfolge Auch in Deutschland kann UAEM schon einige Erfolge verbuchen. Aktiv informieren die Mitglieder über die Thematik und diskutieren mit Entscheidungsträgern. 2010 verpflichtete sich die Charité in Berlin als erste deutsche Forschungseinrichtung, bei der Vermarktung von Universitätspatenten die Belange bedürftiger Menschen zu berücksichtigen.


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L‘afrique en miniature

 Ivo Straßer

Famulatur- und Reiseeindrücke in Kamerun Wir wundern uns ein wenig, dass sich das kleine Flugzeugsymbol auf der Routenkarte des Sitzbildschirms schon etwa eine Stunde über Douala, der grössten Hafenstadt Kameruns, bendet und sich seitdem nicht wirklich vom Fleck bewegt. Hier sollten wir eigentlich landen. Irgendwann kommt eine Durchsage vom Flugkapitän, dass wir nicht landen könnten. Warum? Die Landebahnbeleuchtung sei ausgefallen. Schmunzelnd denke ich mir: ja, das passt irgendwie zu Afrika. Die Reise fängt gut an. Viele weitere Erfahrungen wird sie uns bieten, die von amüsant und sympathisch über aberwitzig bis absolut horrend reichen. Zehn Minuten später meldet sich der Kapitän erneut und gibt durch, dass die Leuchtfeuer an seien. Wenig später setzt das Flugzeug etwas hart aber sicher auf einem für uns neuen Kontinent auf.

Raubmord enden. Wir sind drauf und dran, in Panik aus dem Taxi zu springen. Das Tor wird einen Spalt geönet und jemand tritt heraus, der ein paar Worte mit dem Fahrer wechselt. Daraufhin wendet der Fahrer seinen Wagen und fährt weiter. Er hatte unsere Addresse missverstanden. Ich komme mir vor wie im Film. Als wir in der richtigen Mission ankommen, liegt ein betrunkener Bedienste-

chen und anschliessend den Zustand einer Krankenstation in der Stadt Foumban analysieren. Die verbleibende Zeit werden wir reisen.

Ein neuer Kontinent Als wir aus dem Flugzeug steigen, schlägt uns die feucht-schwüle Luft Kameruns entgegen. Vor dem eigelbfarbenen und in die Jahre gekommenen Flughafen warten hunderte Taxifahrer. Es überrascht mich, dass sie kaum aufdringlich sind. Wir versuchen einen oziellen Fahrer zu finden und scheitern am rasend schnell gesprochenen Französisch der Kameruni, die ihrerseits unser hilfloses Gestammel nicht verstehen. Wir steigen schließlich irgendwo ein und fahren in das nächtliche Douala hinein, das mit seinen spärlichen Lichtern, den Zweckbetonbauten, dem Drähtewirrwarr und all den Palmen einen ersten magisch-schemenhaften Eindruck von diesem Land gibt.

Douala Der Fahrer hält vor einem riesigen, unbeschrifteten Tor und gibt Hupsignale. Wir wollen eigentlich zu einer Mission wo wir übernachten können. Vom Fahrer kriegen wir nicht in Erfahrung, wo wir da sind und wir lesen nichts von einer Mission. Wir können die Situation nicht einschätzen und geraten auf einmal in helle Aufregung. Wir sehen uns schon als unerfahrene Touristen nach wenigen Stunden in Kamerun im

ter in einem Stuhl des Foyers, der uns an den Nachtdiener verweist. Er kommt und gibt uns saubere Zimmer für die erste Nacht in Afrika.

Students for Cameroon Wer ist eigentlich wir? „Wir“ sind alias und ich. Etwa eine Woche später werden noch vier Mädels, und hinzustossen. Gemeinsam wollen wir im Rahmen des gerade erst gegründeten Studentenprojektes „Students for Cameroon“ als erste Generation eine Famulatur in der Hauptstadt Yaoundé ma-

Am nächsten Tag erkunden wir die staubigen, dreckigen und überfüllten Strassen von Douala. überall wimmelt es von Menschen die mehrheitlich ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Unmengen an Waren und Ramsch sowie allerlei Dienstleistungen bestreiten müssen. Wir atmen den Geruch und Rauch von unzähligen Grillständen, Feuerstellen und die dichten Abgase der Fahrzeuge. Der Verkehr ist stark und regellos. Er verlangt den Fahrer Geschick, Erfahrung, Initiave und nicht wenig Rücksichtslosigkeit ab, um voran zu kommen und in den ampellosen Kreuzungen queren zu können. Es dominieren die „Motos“, also Motorräder, die v.a. chinesischer Herkunft sind und in akrobatischer Weise für den Transport aller möglichen Dinge verwendet werden. Die übrigen Fahrzeuge sehen meist so aus, als lägen sie bei uns schon seit 20 Jahren auf dem Schrottplatz und ich frage mich, wie die Achsen all die meterbreiten und ellentiefen Schlaglöcher so lange überleben. Alles wirkt chaotisch und unübersichtlich, aber es hat doch System. Wir amüsieren uns über die fliegenden Händler, die ihr Warenlager oder ihre „Auslage“ auf dem Kopf herumtragen, so z.B. die Schuhverkäufer mit einem Schuh auf ihrem Kopf. Wir genießen die Farbigkeit der Kleider


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all der Frauen und fragen uns, warum derart viele Menschen hier auf der Straße am Tage schlafen, sei es auf Bänken, im Stehen, angelehnt an parkende LKW-Anhänger oder sogar auf ihren Verkaufsständen? Was für uns ein Rausch aus unterschiedlichsten Eindrücken sein mag, ist für so viele dieser Menschen ein ernster Kampf ums Dasein in einem Land, wo es wenig Aufstiegschancen und keine Absicherungen gibt. Auf der internationalen Liste für Transparenz und Korruption rangiert Kamerun im letzten Drittel, wobei gerade das Finanzministerium die höchste interne Korruption aufweist und allgemein v.a. wohlhabende Bürger wie Händler, Unternehmer und Importeure darunter leiden.

Yaoundé Am selben Tag fahren wir durch tiefen Regenwald mit buckligen Hügeln auf einem gut ausgebautem Highway in einem klimatisiertem Luxusbus in die Hauptstadt Yaoundé. Zahlreiche Wracks in den tiefen Strassengräben zeugen von der Gefährlichkeit dieser kurvenreichen Route. Hauptsächlich sehen wir Holzlaster, die die gigantischen, meterbreiten Stämme der Urwaldriesen abtransportieren.

© Sami Keinänen

In Yaoundé empfängt uns der für die Famulatur zuständige Arzt namens Bernard. Er ist Kameruni, der in Deutschland dank eines Austauschprogramms in den 80er während eines grossen wirtschaftlichen Aufschwungs Kameruns Medizin studierte, nun Gynäkologe ist und über freundschaftliche Beziehungen zu einem der Mitorganisatoren des Projektes als Verantwortlicher auf kamerunesischer Seite eingeladen wurde. Er macht bei seiner ersten Begegnung mit uns einen sehr adretten, vertrauenswürdigen und sympathischen Eindruck. Von der ersten Minute an kümmert er sich aufopfernd um uns, will jedem unserer Bedürfnisse nachkommen und uns stets ein

amüsantes Programm bieten. Natürlich gehen wir zu allererst mal Bier trinken. In einer der unzähligen und so beliebten Bars überall in Kamerun, die oft nicht mehr als ein wüster Blechverhau mit einigen Plastikstühlen sind und weithin hörbar sind mit ihrer sehr eigentümlichen afrikanischen Popmusik. Musiker werden hier wie überall zelebriert. Einige der Hits werden quasi auf Repeat gestellt und prägen monatelang den Alltag im ganzen Land.

Bier und die kamerunische Gastfreundschaft Bier hält Kamerun zusammen. Marken wie das landeseigene „33“, das rassig- dunkle „Guinness“ oder das deutsch-koloniale Gastgeschenk „Mützig“ sind die Basis, auf der sich alle Kameruni vielleicht mit Ausnahme der muslimischen Bevölkerung verstehen. Wir werden es in den nächsten Wochen noch oft erleben: am Feierabend gehts in die Bar. Da bleibt es nicht beim gesunden Maß. Vielmehr wird einfach gesoen und wer hier nicht seinen Mann steht, wird zur Zielscheibe immer wieder kehrender Trinkwitze und allgemein zum Gespött unter all den jahrzehntelang erprobten Flaschenhelden. Die Flaschengrössen von mindestens 750 ml, die die gute bayrische Halbe wie einen netten Versuch wirken lässt, unterstreicht die Vorstellung der Kameruni, wie Bier hier zu geniessen ist. Bernard meint es gut mit uns und will uns jeden Abend in eine Bar schleppen. Schon nach wenigen Tagen sinnen wir verzweifelt darüber nach, wie wir uns vor dem sportlichen Rhythmus eines täglichen Trinkgelages fernhalten können. Selbst den hartgesottenen deutschen Bierfreunden unter uns fällt es bald sichtlich schwer, diesem Ausdruck kamerunesischer Gastfreundschaft nachzukommen. Die „33“-Brauerei in Yaoundé ist

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ein Wahrzeichen der Stadt, wobei sie mittlerweile von einem ausländischen Unternehmen übernommen wurde. Es heißt, überall im Land stehe 33 Kilometer vor und nach einer Ortschaft ein Werbeschild von „33“. Auf unserer späteren Reise werden wir das aber nur wenige Male feststellen. Bernard hat bei einer Bekannten eine Unterkunft organisiert. Wir trauen unseren Augen nicht, als wir da ankommen. Es handelt sich um eine der gepflegtesten Villen in der Gegend. Von einem soliden Zaun umgeben steht die Villa inmitten von trostlosen Blechhütten, die sich nahtlos an die hohen Mauern von weiteren kitschigen Villen anschmiegen. Dazwischen Gärten und Wildwuchs. Im Garten um die Villa herum wachsen Ananas, Kakao und andere exotische Früchte, von denen wir reichlich nehmen dürfen. Die Villa selbst ist sehr edel eingerichtet. Das Wohnzimmer mit seinen wuchtigen Holzmöbeln und gemütlichen Sofas lässt uns vergessen dass wir hier eigentlich in Afrika sind, wo wir draussen nur Dreck, Lärm und bittere Armut erleben. Ich komme mir an diesem Ort noch fremder vor als ich mich sowieso schon fühle. Andererseits sind wir erstmal froh, einen derart sicheren und ruhigen Rückzugsort erhalten zu haben.

Monique Wir werden von Monique, der Herrin des Hauses, und einige ihrer Freunde begrüßt. Sie werden sich herzlich um uns kümmern und täglich großartiges einheimisches Essen kochen. Monique war einmal mit einem britischen Piloten verheiratet und so wundert es uns nicht, woher der ganze Reichtum kommt. Jetzt setzt sie sich für soziale Entwicklung im eigenen Land ein, wobei sie durch ihren gehobenen sozialen Stand auf Verbindungen mit


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Ministern und reichen Bekannten zurückgreifen kann. Das sagt sie zumindest. Trotzdem sei es enorm schwierig und depremierend, sich durch den korrupten Bürokratiedschungel zu schlagen um Projekte durchzusetzen und das noch dazu als Frau. In Kamerun spielen die Männer die dominierende Rolle in der Gesellschaft. dieStandard.at zufolge leiden Frauen in Kamerun vor allem unter starker sexueller Ausbeutung bis hin zum alltäglichen Mißbrauch innerhalb der Ehe oder gar der Familie. Zwangsheiraten mit Minderjährigen, Zwangsprostitution und Vergewaltigungen geraten im Leben unzähliger Frauen zu einem auswegslosen Leid, in einem Land, wo es die Gesellschaft seit jeher billigend zulässt und die Politik sowie Behörden kaum Gesetze erlassen und noch viel weniger durchzusetzen. Monique hat ein aussergewöhnlich energisches, entschlossenes und kämpferisches Wesen. Wie sie uns leidenschaftlich über ihre Anstrengungen erzählt, werde ich den Eindruck nicht los, dass sie all dies trotz des sicherlich grossen Gewinns für bedürftige Menschen auch deshalb tut, um sich vor sich selbst und innerhalb dieser Gesellschaft behaupten zu wollen.

Das Krankenhaus und die Geburtsklinik Am nächsten Tag gehts zum Centre Hospitalier d‘Essos, wo wir unsere Famulatur machen werden. Es handelt sich hierbei um ein etwas heruntergekommenes beige-farbenes Krankenhaus an einem Hang, wovon wir einen weiten Rundumblick über einen Teil der Stadt haben. Alle Patienten müssen selber für die Behandlung zahlen.

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den Frauen teilen müssen. So sehen wir oft te auf Installation warten. Erst müssen aber die zwei hochschwangere Frauen in einem Bett Räume renoviert werden. liegen. Bei der ersten Geburt, die wir sehen, Geburten sind selbst in diesem gehobenen bleibt der Bauch der Frau seltsamerweise prall, Krankenhaus ein sehr nachdem das Kind zur Ereignis Welt gebracht worden ist. So sehen wir oft zwei hochschwan- schmerzhaftes im Leben der Frauen. Ein klares Zeichen für die gere Frauen in einem Bett liegen. Die meisten Frauen geGeburtshelfer, dass hier bären ohne Periduralannoch ein zweites oder gar mehrere Geschwisterchen auf Bergung war- ästhesie oder sonstige Erleichterungen, da sie ten. Pränataldiagnostik mit Bestimmung des es sich nicht leisten können. Besonders nerGeschlechts und Anzahl der Föten wird hier venaufreibend und unverständlich ist es, mit anzusehen, dass selbst Eingriffe mit vermeidnämlich kaum vorgenommen. barer Schmerzbelastung wie das Vernähen Die ganze Situation wird dramatisch, als die von Dammrissen oder -schnitten von einigen Mutter nach erfolgreicher Geburt langsam Hebammen bewußt ohne Lokalanästhesie eintrübt und die hinzugerufene Chefärztin ma- vorgenommen werden. Als wir eine der Hebnuell eine Uterusruptur diagnostiziert. Dabei ammen darauf ansprechen, meint sie, dass dies ist nicht nur die Ruptur an sich dramatisch, so sein müsste. Die Mütter, welche mit der sondern vielmehr der Anblick, wie nun viel zu Geburt schon genug Schmerzen erleiden müsviele Helfer plus uns im Weg stehenden Stu- sen, schreien alle wie am Spieß bei der oftmals denten versuchen, die übergewichtige Mutter langwierigen Vernähung. In ihren furchtbaren auf dem Geburtstisch aus dem 4 x 2,5 Meter Schmerz mischt sich spürbare Wut über die messenden „Kreißsaal“ durch die enge Tür zu Kaltblütigkeit dieser Hebammen und vergeblimanövrieren und in den OP-Trakt zu fahren. ches Flehen nach Linderung durch irgendeine Dieser liegt am anderen Ende des Kranken- Maßnahme. Wenig später fragen wir erneut hauses und auf dem Weg müssen lange Korri- eine andere diensthabende Hebamme, die uns von ihrem Wesen allgemein sympathischer ist, und siehe da, sie befürwortet ganz entschieden den Einsatz von Lokalanästhesie - koste es was es wolle.

dore, Rampen und hoffentlich funktionierende Aufzüge passiert werden. Während ich mich wundere, warum das gebäudetechnisch nicht besser gelöst wurde, fällt mein Blick auf einen grossen Raum gegenüber dem Kreissaal, der sich mit seiner OP-Lampe als OP-Saal zu erkennen gibt. Leider ist er aber wohl still gelegt. Die abenteuerlichen Fahrt in den OP gestaltet sich wie ein Boxautorennen, bei dem kaum ein Türstock unversehrt bleibt. Bernard und seine Chefärztin nähen die Ruptur zu, doch letztlich entscheiden sie sich, den Uterus komplett zu entfernen.

Wir erfahren, dass es ein recht teures und im Lande vielleicht das beste Krankenhaus überhaupt ist. Wir verbringen die meiste Zeit in den Kreißsälen, die in Wirklichkeit furchtbar enge, rechteckige Kabuffs sind. Das OP-Material zum einmaliauf den Boden spritzende OP-Material zum einmaligen gen Benutzen gibt es prakBlut und Fruchtwasser wird lediglich mit einem Lappen Benutzen gibt es praktisch nicht. tisch nicht. Es wird mit klassischen chirurgischen verwischt, der so alt zu sein scheint wie das Krankenhaus selbst. Der Ge- Techniken gearbeitet und selbst Elektrokauter ruch von verrottendem Blut steigt vom Boden sind rar. Zahlreiche Flicken auf den ausgewaauf und erfüllt die ganze Geburtsklinik mit schenen OP-Kitteln unterstreichen den Umsolch einem widerlichen Gestank, dass unse- stand, dass hier alles solange benützt wird wie re Motivation, dort etwas zu lernen, auf ihre es geht. Indes sehen wir im ganzen Haus große härteste Probe gestellt wird. Es gibt nur drei Transportkisten aus Holz in den Fluren stehen, Betten, welche sich die in den Wehen liegen- in denen neues Equipment und moderne Gerä-

Die Mütter, welche vielfach noch so jung sind, führen einen einsamen Kampf. Kaum ein freundliches Wort oder anerkennendes Lächeln versüsst die Geburt ihres Kindes. Tuen wir es, so erhalten wir ein so bewegendes „Merci“ zurück, wie es nur Frauen seufzen können, deren Überraschung über diese unerwartete Zuwendung sich mit der einzigartigen Freude, ein Kind auf die Welt gebracht zu haben, vermischt.

Notfall in der Neonatologie Eines Tages sitzen wir im Arztzimmer von Bernard kurz vor Feierabend. Wir reden noch ein paar Worte mit ihm, als mir ein leicht brenzliger Geruch auffällt. Zuerst denke ich an die alte Klimaanlage, die keinen sicheren Eindruck macht, aber da ich am nächsten zur Tür sitze, merke ich, dass es von draussen kommen muss. Momente später hören wir hastige Rufe und Schritte auf dem Gang und wir öffnen die


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ten soll, klagen darüber, dass Vereinbarungen nicht eingehalten werden. Wir bekommen in offenen Auseinandersetzungen mit, wie sehr Monique und Bernard darum konkurrieren, unsere alleinigen Gastgeber zu sein. Wir sind in ein groteskes und undurchsichtiges Geflecht aus persönlichen und finanziellen Interessen, Es brennt aber wir wissen nicht wo. Wir be- Geschlechterkampf und intrigante Anfeindungeben uns nach draussen. Wir gehen zu einer gen geraten, das uns bald sämtliche Nerven rückwärtigen Gasse die an den brennenden kostet und uns dazu bewegt, die Famulatur Trakt grenzt. Weit hinten im Bereich der Neo- nach nur zwei Wochen abzubrechen und vorzeitig mit der Reise natologie tritt Rauch aus den Fenstern. ins Land zu beginnen. Wir Die Helfer sind vor allem damit beschäftigt, werden es nicht bereuen. in der Nähe gelagerte Sauerstofflaschen aus- Am Schluss müssen wir ser Gefahr zu bringen. Dann taucht eine der sogar feststellen, dass leitenden Ärztinnen der Neonatologie auf Monique, die wir als und muss mit Entsetzen feststellen, dass viele mütterlich umsorgende Neugeborene noch in angrenzenden Zimmern Vertrauensperson empliegen und teils wegen perinatalen Atemprob- funden haben, uns die kalte Schulter zeigt, nachdem lemen beatmet werden. sie ihr Geld bekommen hat. Der Keiner hat gemerkt, dass sie dem dichten Aufenthalt in Kamerun hat bei uns also nach kürzester Zeit zu Rauch ausgesetzt sind. Vertrauenskrise beDie Männer schlagen die Keiner hat gemerkt, dass sie dem einer züglich der Menschen hier Fenster ein und reissen dichten Rauch ausgesetzt sind. geführt und wir sind froh, Sicherheitsgitter von der das Heft wieder selbst in Mauer. Von innen werden die Säuglinge herausgereicht und auf die Inten- der Hand zu haben, als wir auf Strecke gehen. siv gebracht. Tür. Da schlägt uns ein pechschwarzer, übel beißender Rauch entgegen, der uns Atem und Sicht raubt. Als wir auf den Gang rennen, sehen wir nichts als Dunkelheit. Sicherheitsleute rennen mit Feuerlöschern an uns vorbei in den Rauch hinein.

der seinerseits einmal Kinderarzt werden will, bekommt ein besonders gefährdetes Neugeborenes in den Arm, mit welchem er auf der Intensiv verschwindet. Mittlerweile ist die Feuerwehr angerückt, die aber nicht mehr viel zu tun braucht, da der Schwelbrand auf einer der Matratzen schon unter Kontrolle ist. Als später von der Intensiv zurückkommt, erzählt er voller Fassungslosigkeit, dass dort keiner auf pädiatrische Notfälle vorbereitet gewesen sei und nur eine Beatmungsmaske für acht schweratmige Neugeborene da gewesen sei. Folglich mussten die völlig unausgebildeten Pfleger von einem Kind zum nächsten gehen und jeweils einige Atemhübe geben. Ob das kleine Neugeborene, welches evakuiert hat, überlebte, haben wir nie erfahren.

Unstimmigkeiten und Vertrauenskrise Nach nur etwa einer Woche müssen wir leider feststellen, dass Bernard mit von uns anvertrautem Geld für Unterkunft u.ä. nicht transparent umgeht. Er ist sehr verärgert, dass wir Auskunft über die Verwendung des Geldes haben wollen, weil uns gewisse Unstimmigkeiten aufgefallen sind. Ob wir damit seine Ehre als Gastgeber kränken oder er tatsächlich Geld veruntreut, können wir bis zuletzt nicht klären. Jedenfalls erzählt er die wildesten Geschichten nur um uns nicht sagen zu müssen, welche Summen für welche Ausgaben geflossen sind. Insbesondere der Taxifahrer als auch Monique, die das Geld für die Unterkunft erhal-

Die Busse fahren erst wenn sie voll sind Unser nächstes Ziel ist Foumban, eine bekannte Stadt im Westen des Landes. Sie ist eines der touristischen Zentren, da hier einer der größten historischen Paläste Kameruns steht, welcher einst von muslimischen Herrschern erbaut wurde. Der Aufenthalt an diesem Ort ist der zweite offizielle Teil des Projektes. Wir wollen dort eine Krankenstation für die Grundversorgung der Bevölkerung besuchen und deren Versorgungszustand analysieren. Wir werden bei christlichen Mönchen unterkommen, die einem kleinen französischen Orden abstammen und sich „Les petits frères de Jesus“ (Die kleinen Brüder Jesu) nennen.

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die vorher noch vor uns gesessen waren, auf einmal nicht mehr da sind. Stattdessen sitzen nun andere an ihren Plätzen. Im Führer lesen wir später, dass die Busse hier mit „Statisten“ besetzt werden, um ihn voller erscheinen zu lassen und Leute anzulocken. Die Busfahrer nähren unsere Hoffnung ständig mit der Zusage, in 15 Minuten loszufahren, aber letztlich warten wir geschlagene 2,5 Stunden. Zwischenzeitlich beobachten wir das umtriebige Strassenleben. Hunderte fliegende Händler mit ihren Auslagen auf dem Kopf kommen vorbei, die sich jeweils auf eine oder wenige Erfordernisse des alltäglichen Lebens spezialisiert haben. Wenn man also eine Zahnbürste braucht, wartet man auf den entsprechenden Händler oder sucht ihn. Was wir ausserdem zu Gesicht bekommen, bringt unsere Meinung von den gesellschaftlichen Zuständen auf einen weiteren Tiefpunkt. Wir sehen mehrmals feine afrikanische Frauen zur Station kommen und müssen mit unfassbarem Entsetzen mit ansehen, wie sich etwa ein dutzend kräftige Werber wie Rugby-Spieler im Knäuel auf die völlig hilflose Frau stürzen und wie wild an ihr herumzerren, bis der eine die Handtasche, der andere den Hut und der Dritte die Frau hat. Die Frauen versuchen sich loszureissen wie als wollten sie vor einer Vergewaltigung fliehen. Es ist einer der Momente auf unserer Reise, wo wir mit einem kaum mehr steigerbaren, barbarischen Verhalten in Kontakt kommen, das hier im Leben vieler Menschen ein scheinbar gewohnter Teil des Alltags ist! Jede noch so kleine Hütte im Land hat einen paradiesisch schönen und vollbehangenen Mangobaum vor der Tür stehen. Das stellen wir fest, während der Fahrer wie ein Wilder die gut ausgebaute Straße entlangjagt. Gut dass wir ganz hinten sitzen – da sehen wir wenigstens kaum, auf welche waghalsigen Manöver sich der Fahrer einlässt.

Zuerst müssen wir aber aus dem Moloch YaEin mit Geflügelkäfigen über und über belaoundé heraus. Wir fahren zu einer Busstation am Rande der Stadt. Unser Taxifahrer Jean dener Bus kommt uns entgegen, der der Befährt uns dorthin. Wir können froh sein, so ex- zeichnung „Chicken-Bus“ alle Ehre macht. In klusiv an der Station anzukommen, denn die einem Dorf sehe ich zum ersten Mal, was der Reiseführer wohl mit „bushWerber für die einzelnen Busse meint: ein rattenähngehen beim Anblick von uns Komischerweise wird der meat“ liches Tier so groß wie ein Weissen derart aggressiv auf unBus aber kaum voller. Katze, das mit seinem langen ser Taxi los, dass wir ohne der Schwanz kopfüber an einer Erfahrung von Jean nur in Stücken im Bus gelandet wären. Wir suchen uns Art Angel am Strassenrand aufgehängt ist, um den Bus mit den meisten Insassen, denn erfah- verkauft zu werden. rungsgemäß fahren die Busse erst, wenn sie voll sind. Mit jedem einsteigenden Passagier Bafoussam steigt unsere Erwartung, dass der Bus gleich losfahren wird. Komischerweise wird der Bus Bafoussam ist die nächstgrößere Provinzstadt aber kaum voller. Als wir genauer hinschauen, wo wir umsteigen. Sie ist an Häßlichkeit und merken wir, dass einige Mitfahrer, v.a. Frauen, Gesichtslosigkeit kaum zu überbieten. In der


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sitzern abgewiesen wird. Er wird überall nur belächelt. Als ich ihm einige Geldscheine gebe, bietet er mir seine Wurzel quasi als Friedenspfeife an. Es ist rührend und er tut mir sehr leid, weil Geisteskranke hier kaum Hoffnung auf Behandlung geschweige denn Heilung haben ( siehe Bericht über Psychiatrie online1 ). Wir sehen noch weitere vermutlich psychisch gestörte Menschen, die sich selbst überlassen auf den Strassen herumirren.

Centre medical de Kueka Die Mönche in Foumban vermitteln uns mit ihrer aufrichtig herzlichen Gastfreundschaft Ferne ragen mehrere stattliche, überwachsene genau das Gegenteil von dem, was wir mit unVulkankrater auf. Fortschritt und Stillstand ge- seren Gastgebern in Yaoundé erlebt haben. Es handelt sich um drei im Ruhen hier Hand in Hand, was am besten in einer liegen gebliebenen Fortschritt und Stillstand hestand stehende Schwarze, und mit Gras bewachsenen Stras- gehen hier Hand in Hand deren vierter Bruder ein weißer Franzose ist. Ihr kleines senwalze zum Ausdruck kommt, welche inmitten der Hauptstrasse steht. Gleich Gehöft ist in gutem Schuss und in den Hügeln daneben wird weiter eifrig gebaut. Es gibt gro- gelegen. Allerlei exotische Kleintiere bevölkern ße Märkte hier, in denen auch viele Tiere ver- den Ort, darunter mächtige Gottesanbeterinkauft werden. Der Umgang mit ihnen ist herz- nen, riesige Spinnen und Skorpione, die sich zereißend. Schweine werden hier in der Hitze gerne an den warmen Wänden anhaften. Letzapathisch hechelnd auf Handkarren herum- tere erwartet ein grausames aber im Rahmen gefahren oder einfach für längere Zeit auf die der Sicherheit notwendiges Schicksal, sobald Straße gelegt, wo sich keiner um sie kümmert. sie entdeckt sind: sie werden mit einer StichIch sehe einmal einen Moto-Fahrer, der eine flamme aus der Spraydose getötet. Die frères riesige, lebende Sau quer über den Gepäckträ- versorgen sich weitestgehend selbst aus Garten ger gelegt hat, wo sie sich unter ihrem eigenen und Kleintierzucht. Sie kochen mit einfachen Gewicht dermassen durchbiegt, dass ihr Rück- Mitteln sehr schmackhaft. Eines Tages sitzen grat bei all den Schlägen durch Bodenlöcher wir auf der Veranda und entspannen, als wir sehen, wie einer der Brüder aus dem Hühnervermutlich gebrochen sein muss. stall kommend ein lebendiges Huhn kopfüber Ein weiteres trauriges Kapitel in diesem Land zur Küche trägt. Etwa eine Stunde später gibt ist die Versorgung geisteskranker Menschen. es Mittagessen ... In Bafoussam wird ein junger Mann auf uns Die Krankenstation „Centre medical de Kueaufmerksam, der in ärmliche aber kunterbunte Fetzen gekleidet ist, eine zerbrochene und ka“ liegt in einem der ärmlichen Viertel Foumgläserlose Brille schief im Gesicht trägt, eine bans. Sie ist von einer italienisch-katholischen verbogene Radioantenne aus der Brusttasche Kongregation geführt und profitiert von Spenragen hat und ein seltsames, gewundenes Wur- den und Vergünstigungen. Zur Zeit unseres zelgewächs als Pfeifenersatz im Mund hat. Wir Aufenthalts wird ein neuer OP-Trakt hochgekommen ihm gerade recht, denn er läuft uns zogen, wobei die Bauarbeiter ohne Sicherunvon nun an durch die ganze Stadt nach und gen halsbrecherische Tätigkeiten im Gerüst verkündet allen Passanten lauthals, dass wir ausüben, sodass man meinen könnte, sie bauseine weißen Freunde seien. Er will uns sogar ten den OP-Trakt zum eigenen Bedarf. in Läden hinein folgen, wo er aber von den BeSchwester Agnes, eine entschlossene und energische Europäerin mittleren Alters, führt die Station und es geht langsam aufwärts. Moderne Laborwerkzeuge halten Einzug und eine ausreichende Medikamentenversorgung ist sichergestellt. Trotzdem kann die Station nicht mehr als die Grundversorgung garantieren, da neben finanziellen und technischen Faktoren auch der niedrige Ausbildungsgrad der Mitarbeiter die Möglichkeiten stark begrenzt.  Ein Markt in Kamerun

 Entspannt durchs Leben

1   http://www.fluechtlingshilfe.ch/herkunftslaender/ africa/kamerun

Um einen Eindruck von der Unzulänglichkeit vieler Behandlungen zu geben, sei der Einsatz von Wasserstoffperoxid erwähnt, dass bekanntlich ein hervorragendes und billiges Antiseptikum ist. Seien es Patienten mit banalen Verletzungen oder mit chronischen Wundheilungsstörungen, dem Wundpfleger bleibt wegen mangelnder Alternativen oder fehlendem Wissen für Wundversorgung keine andere Wahl, als bei jeder Kontrolle den Verband zu wechseln, Debridement vorzunehmen und kräftig H2O2 draufzuschütten. Die Patienten winden sich vor Schmerzen und viele Wunden scheinen nicht mehr zu verheilen. Bei tiefen Fleischwunden streut der Pfleger Amoxicillinpulver in die Wunde. Es gibt nur eine Ärztin hier in der Station, die zwischenzeitlich gar nicht da ist. Den Rest erledigen Pfleger und Krankenschwestern, die im ganzen Land in kleinen Krankenstationen die Primärversorgung gerade auch in entlegeneren Gebieten sicher stellen. Unsere Aufgabe ist es, mit Fragebögen und Kamera die Situation zu klären, jedoch sind die meisten von uns hoffnungslos „lost in translation“. Viele Eindrücke graben sich aber schlicht durchs Zuschauen ins Gemüt. und erleben auf schmerzhafte Weise, was es heisst ein Mann zu sein, als sie bei der Beschneidung muslimischer Jungen zuschauen und assistieren. Das geschieht dort ohne Betäubung und mitunter erst bei älteren Jungen. Die beiden sind an diesem Tag völlig fertig und meint, dass ihm zum ersten Mal während seiner medizinischen Ausbildung richtig schummrig geworden sei und er sich setzen musste.

Volkskrankheiten Währenddessen üben Torsten und ich unser Französisch mit einer spanischen Schwester, die trotz Ruhestand noch weiter die internistische Sprechstunde macht. Die Krankheitsbilder sind ähnlich wie bei uns im Wesentlichen auf eine ungesunde Lebensweise zurückzuführen. Bluthochdruck und Diabetes Typ II sind weit verbreitete Volkskrankheiten, weil neben einer sehr kohlenhydratreichen Ernährung durch Kartoffeln und Couscous auch neuzeitliche Genussmittel wie allerlei Süßigkeiten und Softdrinks hinzugekommen sind. Alkohol und das Kauen der koffeinreichen Cola-Nüsse (früher entscheidende Zutat von Coca-Cola2) stellen ein weiteres Problem dar. Es ist uns bereits aufgefallen, dass viele Menschen ständig irgendwas im Mund haben und häufig stark übergewichtig sind. Medikamente werden v.a. aus Kostengründen eher für schwere Fälle reserviert, während ansonsten eher erfolglos an eine Lebensumstellung appelliert wird. Katastrophale Hygiene, mangelnde Bildung und fragwürdige religiöse Sexualmoral bilden zu2 Mittlerweile verwenden die Hersteller das Koffein aus der Herstellung von entkoffeiniertem Kaffee, weil es billiger ist.


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Grafiken: absolutvision.com & bazaardesigns.com

Einige Tage nach Ankunft in Foum- ban wachen wir morgens in dichtestem Nebel auf, der nur wenige hundert Meter Sicht erlaubt. Wir denken uns erst nicht viel , aber als der NeDie Bewohner beziehen ihr Wasser aus bel über mehrere Tage nicht verziehen will , fragen wir schon mal Bächen und Tümpeln, die gleichzeitig nach . Da erfahren wir, dass Kamerun und umliegende Länder gerade zur Müll- und Fäkalienentsorgung, zum von einem gigantischen Saharasturm überrollt werden , der hier seinen Staub abWaschen ihrer selbst und sogar zum Put- lädt. Faszinierend ist, dass dieser Staub so fein ist, dass man ihn nur in der Ferne zen ihrer Fahrzeuge benutzt werden. Oft sehen kann , aber in der Atemluft und an der Kleidung nichts von ihm mitkriegt. haben wir es gesehen, dass sie ihre Motos oder Autos einfach komplett in das Die Ringroad Gewässer hineinfahren um sie zu waund ich sind die einzigen , die eine Tour zur nahe gelegenen schen. Leider wissen viele nicht, dass zahl„Ringroad“ unter- nehmen wollen , welche eine Gegend erschliesst, reiche Keime durch Abkochen beseitigt die für ihre Ursprünglichkeit, Schönheit, die „witchcrafts“, „chiefdoms“ werden können. Die staatlichen Maß- (Stammesgebiete) und die englischsprachige Bevölkerung berühmt ist. Kaum ein nahmen sind unzureichend. Etwa alle Ausländer kommt dort hin . Die Ringstrasse ist in manchen Abschnitten unbezwei Jahre bricht v.a. in der Trockenzeit fahrbar oder zerstört und so faktisch nur auf der Karte vorhanden . Ich sehne mit einhergehender Verschärfung der mich nach der idyllisch beschriebenen , hügeligen Graslandschaft, aus Wasserversorgung Cholera aus, wobei der der zweithöchste Vulkan des Landes, Mount Oku, mit 3011 Metern diese von den Behörden anscheinend gut aufragt. An seinem Fuss liegt der ruhig-magische Lake Oku, der eingedämmt werden können. Ort von zauberhaften Kräften und Heiligtum ist. Weltweit kam die Gegend zu trauriger Berühmtheit, als 1986 eine riesige sätzlich einen fatalen Nährboden für Infektionskrankheiten.

HIV und TBC

Tbc ist neben HIV eine gefürchtete Krankheit in Kamerun, die zum Ziel staatlicher Programme geworden ist. Diagnostik und Therapie mit 4-fach-Kombi über 6 Monate werden vom Staat komplett übernommen. In der Station gibt es einen Tbc- Beauftragten, den wir eines Tages besuchen um mehr zu erfahren. Wir quetschen jedes kleine Detail für unseren Fragebogen aus ihm heraus um am Schluss zu erfahren, dass er sich eigentlich noch nie Gedanken gemacht hat, ob er denn wenigstens einen Mundschutz tragen sollte, wenn er mit dutzenden potentiell infektiösen Patienten am Tag über den Tisch hinweg kommuniziert. Moment mal, schiesst es mir durch den Kopf: er hat schon Kontakt mit vielleicht hunderten infektiösen Menschen gehabt und wir sitzen ihm einfach so ohne Schutz gegenüber? Mein Puls springt nach oben. Trotzdem kann ich mich einigermassen beruhigen: er sieht gesund aus und hustet kein Blut von sich ...

Karte: CIA

AIDS ist ein wachsendes Problem, das durch religiöse Vorbehalte der Muslime und Christen gegenüber modernen Verhütungsmethoden wie Kondome zusätzlich geschürt wird. Die Gesundheitsberater schlagen gemeinhin natürliche Verhütungsmethoden wie z.B. die Temperaturmethode vor, welche auch von Katholiken akzeptiert werden. Wer AIDS bekommt, kann sich zwar einen Schnelltest in der Station machen und prophylaktische Akutmedikamente wie Cotrimoxazol geben lassen, aber die beste Hilfe bietet nur das italienisch geführte, sehr moderne AIDS-Zentrum namens „Drim“ in der Stadt Tschank. Zum Segen der Kameruni wird dort sogar die HAART (highly active anti-retroviral therapy) kostenlos bereitgestellt, aber der Haken ist für viele, dass die Stadt weit weg liegt und die mehrmalige Anund Rückreise bei sehr strengem Therapieplan selbst zu zahlen ist.


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Medizin der Extreme Kohlenstoffdioxidblase aus einem der zahlreichen und wunderschönen Kraterseen aufstieg und 1800 Menschen tötete .

Mit einem rostigen Taxi stossen wir in dieses abgelegene Gebiet vor. Nach ein paar hundert Metern hält uns schon der erste „Strassenfürst“ an und verlangt Wegzoll , den der Fahrer ihm aber irgendwie ausreden kann . über gewundene Wege , die eher den furchenreichen Sandbetten von Sturzbächen gleichen , gehts vorbei an Ziegenherden , gespenstischen Gerippen verlassener Marktstände , Eukalyptusalleen und Bauerndörfern . Der Blick verliert sich geheimnisvoll in der in Staub gehüllten Landschaft. Kinder warten am Strassenrand und verkaufen Riesenpilze . In einer der ersten Städte an der Ringroad wechseln wir den Wagen . Wir handeln mit dem Fahrer aus, dass wir uns für einen Aufpreis nur zu zweit auf die Rückbank sitzen dürfen . Wir fahren los und halten bald wieder an: es steigt jemand auf dem Beifahrersitz zu. Weiter gehts und da stoppen wir erneut. Der Fahrer verlässt den Wagen und ich denke mir, dass er was besorgen muss. Aber nein , er kommt mit einer Mitfahrerin zurück , die quasi auf der Handbremse Platz nimmt. Ich schmunzle , nicht ahnend , dass es noch besser kommt! Es steigt nämlich noch eine Dame zu und ich traue meinen Augen nicht, als diese praktisch halb über dem Fahrersitz und halb über der Gangschaltung zum sitzen kommt und der Fahrer sich aus Platzmangel mit fast dem ganzen Oberkörper aus seinem Fenster lehnt während er gleichzeitig irgendwie die Pedale drückt und lenkt. Gangschalten geht fast nicht mehr, muss er aber auch selten , weil er auf der teilweise wie ein Flussbett anmutenden Strasse kaum mehr als Schritttempo fahren kann . Mit vier Personen im vorderen Teil des Wagens kommen wir also im Ort Oku am Fusse des Vulkans an und sehen wegen dem Staub aber kein bisschen von ihm. Irgendwo in der Nähe muss er sein , dieser Gigant – wir können ihn irgendwie spüren , aber kein einziges

Mal werden wir ihn zu Gesicht bekommen .

Die Trauerfeier Wir kontaktieren einen Fremdenführer, der uns mitteilt, dass ein Mitglied des hiesigen Palastes gestorben sei und eine mehrtägige Trauerfeier im Ort stattndet. Am Abend bringt uns der Führer zur Hauptstraße , welche tausende Leute mit ausgelassener Stimmung und viel Vorfreude säumen . Als Weisse werden wir sofort zur unerwarteten Auftaktattraktion . Es dauert nicht lange , da sehen wir die Strasse hinab Menschenmengen auseinanderpreschen wie aufgeschreckte Schafe . Sie springen die Böschungen der Strasse hinab, als ginge es um ihr Leben . Was ist da los? Kurz darauf sehen wir wild tanzende „Medizinmänner“, deren kräftigen Körper von nicht mehr als einem Jutesack und Zweigen bedeckt sind . Sie jagen mit ihren knorrigen Stöcken wie Berserker den Leuten nach . Wir erfahren , dass sie Gaukler sind . Wie auf dem Präsentierteller fallen wir ihnen als Weisse natürlich sofort auf und sie stürzen sich auf uns. Sie mustern und betasten uns mit Gesten der Neugier und Ve r w u n d e r u n g als wären wir von einer gänzlich anderen Welt. Nasenspitze auf Nasenspitze schauen sie uns in die Augen und geben uns ordentlich Klapse . Das Publikum ist hellauf begeistert. Als ich auf den Klamauk einsteige und demonstrativ meine ärmel hochkrempel , damit sie meine weisse Haut auch richtig ehrfurchtsvoll abtasten können und ich ihnen zu guter Let h die goldenen Strähnen von Haaren wie der große Gönner zum Befühlen anbiete , kriegt sich die Menge nicht mehr ein .

Nicht mehr von dieser Welt

Die Dämmerung ist schon hereingebrochen , da kommt vom Palast her etwas sonderbares. An groben Leinen zweier Wärter gebunden wankt etwas ungelenk und langsam eine monströse Er-

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scheinung in Menschengestalt auf die Menschen zu. Pechschwarz ist es und in zerschlissene Lumpen gehüllt. Es hat einen gigantischen , gesichtslosen und zotteligen Kopf, der am ehesten einem Bison ähnelt. Die Menschen in seiner Nähe laufen davon und für wahr, ich lasse mich von der Stimmung mitreißen , dass das, was hier passiert, nicht mehr von dieser Welt ist.

In der Nacht gehen wir zu einigen Hütten . Dort sind dutzende Frauen versammelt, die drei Tage trauern und die Hütten nicht verlassen . Gegen Gastgeld dürfen wir eintreten . Schon in der Tür schlägt uns beißender Rauch entgegen . überrascht sehen wir, dass in der Mitte des sonst dunklen Raumes ein Feuer ohne Kamin brennt. Rundrum sitzen viele Frauen nur vom Feuerschein erhellt. Sie geben uns zu essen . Es ist ein geschmacksloser Brei aus Mais und Spinat- soviel , dass wir es mit Mühe schaen . Sie warten auf Trommler vom Palast. Diese kommen , um zu trommlen und Essen zu erbeten , doch der Tradition gemäss werden ihnen die Speisen erst nach dem dritten Erscheinen überreicht. David , unser Führer, überredet uns, bis zum Schluss zu bleiben . Wir sitzen und warten , tanzen dann zu den Rhythmen der Trommler und zur Musik der Frauen um das Feuer, bis wir erneut warten und so geht es im Wechsel lange bis in den frühen Morgen .


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Die Frauen gewinnen uns rasch lieb und dennoch ist es für uns Fremde ein seltsames Gefühl, so unvermittelt und intim in diese derart andersartige Welt zu tauchen. In dieser Nacht fühle ich am unmittelbarsten den Puls der Traditionen und des Lebens in diesem Land. Wir verbringen noch zwei weitere Tage in der Gegend mit einer magischen Wanderung durch die Nebelhügel zum ruhigen Lake Oku, wobei heldenhaft beweist, dass Dschungelpfade mit leichten Touristensandalen auch von Weissen bezwungen werden können. Auf der mehrstündigen Rückfahrt in einem Kleinbus nach Foumban zum Rest der Gruppe erbringe ich den Beweis, dass pfiffiger Durchfall willentlich zurückgehalten werden kann, auch wenn es schmerzhaft ist. Als ich bei den frères ankomme, schaue ich wohl aus wie eine Leiche.

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vergeblich, in skurrilen Körperstellungen eine „bequeme“ Schlafposition auf dem Sitz zu finden.

Eine Zugreise auf Kameruni Wir lernen, zu was der Mensch fähig sein kann. Dabei sind wir noch gut dran. Der Wagon wird immer voller und dutzende Menschen zwängen sich liegend in den Gängen, unter den Sitzen und vor den stinkenden Toiletten.

Tag später am Bahnhof in der Hauptstadt. Der Bahnhof ist in gutem Schuss und ein Symbol Üble Gerüche breiten sich aus, bei denen wir für die eminent wichtige Verbindung zwischen nicht unterscheiden können, ob sie vom Essen den beiden Landesteilen, welche im wahrsten oder von den Klos stammen. Zwischen HalbSinne ein Nadelöhr ist. In der Schalterhal- schlaf und aufgezwungener Wachheit springen le traue ich mal wieder meinen Augen nicht. meine Gedanken und Gefühle von meiner glüDa hängt doch tatsächlich eine riesige Tafel henden Sehnsucht nach dem Abraxas und der an der Decke, auf der in visionären Welt des Hergroßen Lettern angegeben An der Decke hängt eine Tafel, an mann Hesse hin nach drauwird, wann zuletzt der Zug ßen in die beginnende MorDie Eisenbahn entgleist ist. Vor 72 Tagen. der angegeben wird, wann der Zug gendämmerung und zurück ins Innere des Wagons, wo Unsere Projekte sind erledigt. Nun beginnt Ja, da können sie wahrlich zuletzt entgleist ist ... das unaufhörliche Reden die eigentliche Reise durchs Land. Wir wollen stolz sein, denk ich mir und hoch in den Norden, wo die Savanne mit ihrer vermute, dass sie die Zahl schon lange nicht und Diskutieren der Kameruni in vollem Ganmehrheitlich muslimischen Bevölkerung und mehr geändert haben. Dieses Detail wird uns ge ist. Zwischenzeitlich kommt ein Wanderdem bekannten Waza-Nationalpark auf uns wenige Tage später wieder wichtig werden... prediger vorbei, der eine feurige Predigt hält wartet. Doch das ist gar nicht so einfach. Der Mit so gestärkter „Zuversicht“ kaufen wir und die Fahrgäste zum singen bringt, wie es in Norden wird vom Süden nämlich durch eine dann Tickets für die Allgemeinklasse, weil die den Gospel-Churches in USA nicht besser sein unwegsame Mitte von ca. 600 km Länge ge- 1.Klasse schon voll ist. Die Wagons sind recht könnte. Ein Moslem auf dem Sitz gegenüber trennt, die lediglich von einer einspurigen Ei- sauber und wir kriegen auch unsere bestellten dreht sein Mobiltelefon auf volle Lautstärke Sitze. und hört geschlagene 2 Stunden den von den senbahn durchquert werden kann. Lautsprechern verzerrten Gebetsgesang eines Schließlich fährt der gigantisch lange Zug los Imams. Dieses furchtbare Geräusch nagt derDie restlichen Verbindungsmöglichkeiten sind Straßen im gewohnt katastrophalen Zu- und braucht Stunden, um im Schritttempo und maßen an unseren Nerven, dass wir richtig stand, die noch dazu von schwer bewaffneten mehrmaligem Warten allein nur die Slums zu richtig wild werden. Vor dem inneren Auge Räubern heimgesucht werden. Sogar einheimi- durchqueren, wo Personen auf dem Gleis so treten wir schon den nächsten Kreuzzug an, sche Reisende meiden diese Gegend. Die Vor- alltäglich sind wie heilige Kühe auf den Stras- aber keine Chance. Wir können nichts sagen, sen Indiens. Es bricht die denn sonst hätten wir wohl die Belegschaft des stellung, dass acht Weisse exklusiv an Bord eines Straßen im katastrophalen Zustand, Nacht herein und irgend- ganzen Zuges am Hals! wann sind wir in der NaChickenbus durch dieses Wir fahren durch Gegenden, wo WaldbränNiemandsland tuckeln und die noch dazu von schwer bewaff- tur. Das heisst aber nicht, hoffen, dass sich das nicht neten Räubern heimgesucht werden dass der Zug deshalb viel de nur Stoppelhaarlandschaften hinterlassen schneller fährt. Die Gleise haben. Im Graben neben dem Gleis sehen wir rumspricht und die Räuber diesen einmaligen Leckerbissen irgendwie sind so marode, dass eine Entgleisung unaus- des öfteren verbogene Wagons. Die Strecke erübersehen, ist reichlich verwegen. Wir wollen weichlich wäre. Wir halten gefühlte hunderte ist tatsächlich gefährlich und nicht nur in Unterhosen oder gar in Särgen Male in kleinen Bahnhöfen oder Ausweich- zählt mir später, dass unser Zug mitten in der wieder nach Hause fliegen. Deshalb entschei- gleisanlagen, wo sich jedesmal ein einzigartiges Nacht etwa 3 Stunden stand, weil einer unseden wir uns für den Umweg, nach Yaoundé zu- Schauspiel bietet. Hunderte Menschen aus den rer Wagons aus dem Gleis gesprungen war. 20 rückzufahren und von dort aus die Eisenbahn umliegenden Dörfern warten hier, um Früch- Stunden Fahrzeit mussten verstreichen, bis wir zum Kopfbahnhof Ngaoundéré zu nehmen. te und Waren auf Kopfschalen feil zu bieten. in Ngaoundéré ankommen! Ich streiche mir Nach einem liebevollen Abschied von den Die Fahrgäste greifen einfach aus den Fenstern durchs fettige Haar, in dem der Wahnsinn der christlichen Brüdern sind wir einen halben nach den Waren und werfen Geld zurück. Es letzten Stunden klebt. Der Bahnhof mit riesiger geht tief in die Nacht hinein und ich verliere das Zeitgefühl. Wir richten uns irgendwie ein, bringen ungeahnte Geduld und Durchhaltevermögen auf, lesen, quatschen, schauen den Afrikanern zu. Es wird ein Kampf. Nicht zuletzt deshalb, weil ich währenddessen das Buch „Demian“ von Hesse lese, das für mich vom Inhalt noch viel fordernder ist als die Fahrt selbst. Während meine Seele vom Leiden und Streben der Figuren dieses so weisen und tiefgründigen Werkes in ihren Grundfesten erschüttert wird, versuchen wir des öfteren


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 Beim Gerben

Funkantenne und futuristischer Architektur erinnert irgendwie an eine Raumstation, die sicherlich den Optimismus und den Fortschritt durch diese Bahnverbindung unterstreichen soll. Ich habe das Gefühl, das wir hier inmitten der Steppenvegetation am Aussenposten vor dem großen Nichts stehen. Mit einem Kleinbus fahren wir hunderte Kilometer gen Norden. Unzählige Dörfer mit Lehmhütten und leuchtend farbig gekleideten Frauen ziehen an uns vorbei. In Maroua, der letzten großen Stadt im hohen Norden, besuchen wir das Gerberviertel. An einem ausgetrockneten Fluss liegt es. An großen Erdlöchern arbeiten die Ärmsten der Armen. Mit bloßen Händen bearbeiten sie die Felle von Ziegen, Krokodilhäute und sogar Schlangenleder, die in einer stinkenden Brühe aus Wasser und Säure von einheimischen Baumfrüchten liegen. Es sollen auch Kobras drunter sein. Wir stutzen. Kobras in Afrika? Wir erfahren, dass sie sogar aus Indien importiert werden. Die Arbeiter mit ihren blutunterlaufenen Augen sehen äußerst mitgenommen aus. Es ist ein trauriger Ort. Wir machen einen Abstecher zum WazaNationalpark. Hier ist nun reine Savanne. Wir hoffen, die typischen afrikanischen Wildtiere zu sehen. Tatsächlich treffen wir Antilopen, Geier, allerhand Vögel und Hyänen an. Löwen und Elefanten suchen wir vergeblich. Es ist Trockenzeit und die Wasserstellen versiegen. Für die Fische ist es ein aussichtsloser Kampf ums überleben. Tau Fische in der Trockenzeit

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sendfach schlängeln sie sich luftschnappend im Schlamm, während hunderte gierige Wasservögel sich an diesem Festmahl laben.

lang zurückliegenden Spielen hervor und wirft sie mit einer den ganzen Wagon übertönenden Stimme in die Diskussion.

Der Zug ist entgleist!

Manchmal scheint er seinen Gesprächspartnern richtig ins Gesicht zu springen. Um seiner Botschaft noch mehr Ausdruck zu verleihen, setzt er sich auf die Lehne des Stuhls und redet solange von seiner Kanzel herab, bis der Widerstand aller anderen wohl von seiner Redeflut hinweggespült wird. So ist das, wenn Menschen ihr Gesicht um jeden Preis wahren wollen.

Nach einigen Tagen im hohen Norden, wo die Menschen ein ruhigeres und freundlicheres Naturell zu haben scheinen, wollen wir in Ngaoundéré wieder den Zug zurück in den Süden nehmen. Aber er ist vor 3 Tagen entgleist und seitdem nicht mehr gefahren. Tausende Menschen warten! Wir haben eigentlich keine Chance, so schnell ein Ticket zu kriegen. Wir erfahren, dass wir uns um 4 - 5 Uhr morgens um Tickets bemühen sollten. Das machen wir auch. Eine hunderte Meter lange Schlange ist schon da, als wir ankommen. Das kann nichts werden.

In Doula holen wir Tom ab, den Freund von Wir fahren weiter nach Limbé am Meer. Wir ruhen uns am rauhen und pudelwarmen Atlantik aus, dessen Brandung pechschwarz ist, wie die Strände selbst. Vulkangestein.

Wir wollen in 2 Tagen wieder in Douala sein, um einen hinzustossenden Freund Mt. Cameroon von vom Flughafen abzuholen. Es bleibt nur die Möglichkeit der Bestechung, Im Hintergrund der wunderschönen Küsum noch rechtzeitig nach Douala zu komte verschwindet der Ausläufer des Mt. Camen. Dieser Gedanke drückt mir und wohl meroon in den Wolken. Da wollen wir uns allen ziemlich hoch. 4095 Meter. aufs Gemüt. Oft ge- Es bleibt nur die Möglichkeit der Bestechung Wir fahren nach nug haben wir uns Buéa am Fusse des über die Korruption in diesem Land aufVulkans, der in seiner länglichen Form am geregt und jetzt kommen wir selbst in die ehesten dem Ayers Rock gleicht. Von Buéa Verlegenheit. Während wir abwechselnd aus buchen wir eine Tour. Uns werden Tränoch in der langen Schlange bei eisiger ger und ein Führer an die Seite gestellt. Wir Morgenkühle stehen, kommt irgendwann kaufen Proviant. Die Gegend ist dank des ein Bahnhofsbeamter vorbei und gibt uns Vulkangesteins sehr fruchtbar. unter der Hand die Möglichkeit, im Büro für reservierte Tickets einen "Sonderkauf“ Wir sehen Papayas auf den Märkten so zu tätigen. Wir schlagen zu. groß wie Wassermelonen, nur eben zigarrenförmig. Ich probiere eine und stelle fest, Am selben Tag fährt der Zug wieder und dass sich die Intensität des Geschmacks es herrscht ein unmenschliches Gedränge umgekehrt proportional zur Größe verhält. am Bahnhof. Die Sicherheitsbeamten sind Es sind quasi kleine natürliche Wassertanks. unter Strom und schwer bewanet. An den Am nächsten Tag starten wir los. Vorbei an vergitterten Eingangstüren zwängen sich einem Gefängnis gehts in die erste Vegetativiele hunderte wutentbrannte und ungeonszone, den Dschungel. Unser Führer ist duldige Menschen, die einander anbrüllen eigentlich Arzt und verdient sich wie die übund tätlich angreifen. Frauen werden von rigen Träger sein Zubrot mit Bergführungen. Männern wüst behandelt. Dieser Ort ist Er pflückt mehrere einheimische Pflanzen schicksalshaft. Die Lebensentwürfe unzäherklärt uns ihre medizinischen Wirkungen. liger Menschen hängen buchstäblich am seidenen Faden dieser Bahnstrecke, die es Durch Nebel und Regen hindurch kominsbesondere Geschäftsleuten als einzige men wir zur Baumgrenze. Wir müssen eiermöglicht, innerhalb des Landes zu reisen. nen kurzen traditionellen Tanz ausführen, um den Berggott zu besänftigen. Was für Die Rückfahrt ist geprägt von der uneruns ein Klamauk ist war in früheren Zeiten müdlichen Geselligkeit der Kameruni. Es todernst. wird diskutiert und diskutiert und diskutiert durch die ganze Nacht. Oft geht es wohl um Damals bedeutete eine Eruption für all die den Fußball. Ich beobachte eine kleine RunStämme um den Vulkan, dass der Berggott de, wo über Spieltechniken geredet wird. wohl erbost war und beschwichtigt werEin Mann scheint zusehends mit seinen den musste. Sie machten sich also auf und Meinungen ins Abseits zu geraten, aber statt entführten einen Albino von entfernteren klein beizugeben, geht er in die Offensive. Stämmen. Er kramt sogar Spielzüge von jahrzehnte-


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Sie schleppten ihn auf den Berg an einen rituellen Ort und opferten sein Leben zusammen mit einer weißen Ziege. Wir steigen auf in Wolken hinein. Irgendwo im Nichts des Nebels sollen wir einen außergewöhnlichen Baum erreichen. Wir folgen dem Pfad mit nur wenigen Metern Sicht und verlieren das Gefühl für Zeit und Raum.

men wir den höchsten Kegel. Dort braust ein fürchterlich starker Wind. Wir bleiben nur Minuten auf der Spitze und müssen dann zurück: wir kühlen rasend schnell aus. Ich laufe den Berg zur Hütte förmlich hinab und realisiere erst, wie gigantisch viel Höhenmeter wir am Morgen abgeleistet haben. In nur 2 Tagen haben wir den Berg bestiegen als normale Touris. Was für uns schon eine gute Leistung scheint, wird jämmerlich in den Schatten gestellt von all jenen Extremsportlern, die jährlich im Rahmen der GuinnessRalley den Berg in teils weniger als 5 Stunden hoch- und runterlaufen können. Selbst die Kameruni, bei denen wir in Buéa unser Quartier bezogen haben, machen bei diesem Lauf mit und bezwingen den Giganten in nur wenigen Stunden!

Der perfekte Strand

 Ein außergewöhnlicher Baum

Dann kommen wir an diesem knorrigen und windgepeitschten Baum vorbei. Nach kurzer Rast gehen wir rasch zur Hütte. Es ist nicht mehr als ein Wellblechverhau mit einer Holzpritsche. Dort übernachten wir und haben Gäste. Mäuse. Obwohl wir unser Essen an der Wand aufhängen, finden sie durch Löcher und Schleichwege doch zu ihrem Ziel. Während wir dem Rascheln der Mäuse lauschen, verirren sich einige auf unsere Pritsche und laufen einmal sogar übers Gesicht. Um 4 Uhr morgens vor Anbruch des Tages brechen wir auf. Mit Taschenlampen leuchten wir den Weg. Die Wahrnehmung der Umgebung reicht nicht weiter als die Länge eines einzelnen Schrittes. Stunden vergehen und dennoch empfinde ich sie wie einen Bruchteil davon. Mit der Morgendämmerung erreichen wir die Hochkrater des Vulkans. Es ist eine kahle und junge Landschaft. Vor wenigen Jahren nur war hier buchstäblich die Hölle los und formte alles neu. Es wird kühl, aber wir haben keine Sauerstoffprobleme trotz des schnellen Aufstiegs. Dann erklim-

Nach soviel Höhenrausch und Siegestaumel brauchen wir die ultimative Entspannung. Keinen besseren Ort soll es hierfür in Kamerun geben als Kribi. Es ist ein alter Kolonialhafen der Deutschen gewesen und erfreut sich heute großer Beliebtheit bei vielen Touristen. Es im Gegensatz zu den gut erhaltenen Kolonialbauten in Limbé eine recht gesichtslose Stadt. Im Hafen benden sich zahlreiche Fischrestaurants, die den frischen Fisch direkt von dem integrierten Fischmarkt beziehen. Von kleinen Haien über Rochen bis hin zu allerlei Fischen, die ich noch nie gesehen habe, ndet man hier sehr viel. Wir checken in ein Hotel ein, dass sehr abseitig an einem schönen langen Strand liegt. Lagunen, Mangroven und geschwungene Felsformationen zieren die Küste und alles sähe einem perfekten Paradies gleich, wäre da nicht das Öl. Der Strand ist braun und von Ölbrocken übersät. Das Wasser dunkel und versifft. Vor der Küste liegt ein riesiger Tanker an der Verladestation einer US-amerikanischen Pipeline vertäut. Die Pipeline läuft quer durch Kamerun und das Volk muss mit ansehen, wie kaum ein Heller davon in die Staatskassen fließt, dafür aber mächtig viel Öl aus unzähligen Lecks in die noch vielerorts so unberührte Natur. Wir arrangieren uns mit der Öl-Romantik und machen es uns bequem. Nachdem wir in Limbé gesehen habe, dass man riesige Ölplattformen auch mitten in die kleine Bucht des Hafens setzen kann, schreckt uns so schnell nichts mehr. Ich ziehe genüsslich meine Bahnen im Wasser, das so aussieht, als sei eine nahe Kläranlage havariert und fahre mit einem Kajak, welches wegen eines Lecks nach wenigen Minuten absäuft, fröhlich auf und ab. Ganz romantisch stellen so manche junge Kameruni unter die Äste der Mangrovenbäume einen weissen

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und voll gedeckten Tisch für zwei Personen auf den Strand. Ringsum ist nichts. Ganz unverhofft kann man darauf treffen. Dann kommt der Inhaber dieses einzigartigen Strandrestaurants aus den Büschen hervor und bietet frisches Essen an, welches er mit nicht mehr als einem Tisch und Gaskocher hinter den Bäumen zaubert.

Der Flug zurück Nach wenigen Tagen wird mir langweilig. ist schon weg, weil seine kleine Tochter Geburtstag feiert. Ich werde auf einmal seltsam ungeduldig und will unbedingt meinen Flug um einige Tage vorverlegen. Das gelingt sogar. Von einem Tag auf den anderen packe ich meine Sachen und fahre nach Douala. Am Flughafen werfe ich meine völlig durchgelatschten Flipflops in den Mülleimer. Sie haben alles miterlebt und ihre Entsorgung ist das Symbol des Abschieds. Mit nicht viel mehr materiellen Andenken als einigen Banana-Chips, die ich noch für meine Familie im Duty-Free kaufe, verlasse ich das Land. Dafür fliege ich mit dem Gefühl heim, das mir dieses Land die bisher aussergewöhnlichste und abenteuerlichste Reise geschenkt hat. Weniger als zwei Tage nach meiner Ankunft in der Heimat legt die Aschewolke des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull den kompletten europäischen Luftraum lahm. Der Rest unserer Truppe kann nicht mehr direkt heimfliegen und verpasst den Semesterbeginn. Über einen Zwischenstopp in Casablanca gelangen sie nach Spanien, wo sie mit einem Kleinbus von Mutter abgeholt werden müssen. Für mich ist die Sache sonnenklar. Es muss die Quittung des Berggotts des Mt. Cameroon sein, nachdem wohl manche unter uns das Tanzritual zu seinen Ehren vor der Besteigung nicht ganz ernst genommen haben!

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Das ewige Eis – es bedeutet gleichzeitig Faszination und Gefahr. Wer hier überleben will, muss sich warm anziehen! Die Polargebiete der Erde liegen jeweils nördlich und südlich der meridianen Grenze von 66° 33´, dort, wo die Sonne niemals auf- oder untergeht. Eine etwas großzügigere Definition von der Grenze des Eises bezieht auch noch diejenigen Regionen ein, in denen die Durchschnittstemperatur des wärmsten Monats nur 10° C beträgt. Das korreliert dann auch mit der natürlichen Baumgrenze.

r e D

t f ru

g r e B

Der polare Teil unseres Planeten, bestehend aus Arktis im Norden und Antarktis im Süden, scheint zwar auf den ersten Blick karg und unwohnlich, bietet allerdings Lebensraum für viele Arten, zum Beispiel Vögel oder Meeresbewohner. Für Forscher gibt es hier verlockende Möglichkeiten: Naturwissenschaftler analysieren Klimaveränderungen oder Fossilien, Ethnologen erkunden das Leben der Inuit und Mediziner behandeln deren Krankheiten, wie Diabetes oder Tuberkulose, die zum Teil erst durch den Kontakt zur westlichen Welt zu Stande gekommen sind.

Expeditionen durchs Eis Auf einer Expedition durchs Eis stellt die Kälte die größte Herausforderung dar. Eisiger Wind oder Wasser führen bei langer Exposition des Körpers zu Unterkühlung oder Erfrierungen. Einen unterkühlten Menschen sollte man nicht zu schnell wieder erwärmen, sondern gegebenenfalls nasse gegen trockene Kleidung tauschen, zudecken und warmen Tee einflößen, damit der Körper langsam regeneriert. Erfrierungen führen je nach Stärkegrad erst zu Taubheit und später zum Absterben des betroffenen Gewebes, meistens an den Extremitäten oder an Nase und Ohren. Meistens hilft dann nur noch eine Amputation. Diese sollte man allerdings nur in absoluten Notfällen selbst durchführen ...

Die Herausforderung beim Bergsteigen ist die Höhe, in jeglicher Hinsicht. Nicht nur die Beinmuskulatur arbeitet härter, um die Höhenmeter zu schaffen, der gesamte Körper muss sich auf andere Umweltbedingungen einstellen. Schon ab einer Höhe von 1500m verändert sich der Luftdruck so, dass die Atemfrequenz steigt und die körperliche Leistungsfähigkeit abnimmt. Das liegt an der verminderten Menge an Sauerstoff, die unsere Lungen aufnehmen und in den Kreislauf abgeben können. Folglich kommt es bei Wanderern, die zu schnell aufsteigen, zu akutem Sauerstoffmangel, Kopfschmerzen und Übelkeit. Steigt man über 3500m hoch, verstärken sich die negativen Effekte und es können Probleme wie Gehirn- oder Lungenödeme, Schneeblindheit und Orientierungsstörungen auftreten. Häufig hilft schon eine Pause von mehreren Stunden, damit kleinere Beschwerden vorüber gehen und die Expedition fortgesetzt werden kann. Bei schwerwiegenden Symptomen ist es allerdings notwendig, sofort abzubrechen und zu der Höhe zurück zu kehren, bei der es noch keine Erscheinungen der Höhenkrankheit gab.

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Damit solche Behinderungen die Bergtour nicht stören, sollten Abenteurer es langsam angehen lassen, um den Körper an die steigende Höhe zu gewöhnen. Durch Akklimatisierung ist es dem Organismus nämlich möglich, trotz des sinkenden Luftdrucks die Sauerstoffversorgung von Muskeln und Gewebe immer besser zu gewährleisten. Menschen, die schon ihr ganzes Leben in großer Höhe wohnen, haben sogar die gleiche körperliche Leistungsfähigkeit wie Küstenbewohner.

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Die Anziehungskraft der Pole Die Anziehungskraft der Pole


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by ejbevan // sxc.hu

sunshine Flares through early morning rainforest canopy

Die Wüste

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Überlebensmaximen

Die Überlebensmaximen aller Wüstenbewohner sind deshalb „Wasserkonservierung“ und „Schutz“. Tiere halten sich am Tag meist in einer kühlen Schicht unter der Erdoberfläche auf und viele Pflanzenarten haben alternative Wege zur Energiegewinnung entwickelt. Der Mensch kann sich hieran ein Beispiel nehmen und von der Wüste lernen. Es ist vernünftig in der Wüste nicht in der größten Hitze zu wandern, sondern frühs und abends, wenn es kühler ist.

Lebensquelle

der tropische Regenwald

Riesige Vielfalt

Die Tropen sind eine Lebensquelle. Sie beherbergen eine enorme Anzahl an Tier- und Pflanzenarten, sind der Lebensraum einiger Urvölker und sorgen durch Photosynthese für das überlebenswichtige Luftrecycling. Zwischen dem nördlichen und südlichen Wendekreis gelegen, finden sich die Gebiete des tropischen Regenwaldes, die knapp 5% der Erdoberfläche ausmachen. Typisch sind hier durchschnittlich 24°C und 10cm Niederschlag im Monat. Es gibt niemals Frost und auch keine Jahreszeiten, sondern nur Trockenperioden und Regenzeiten. Das heißt, wer sich auf einen Trip in die Tropen begibt, der sollte sich auf extrem hohe Luftfeuchtigkeit gepaart mit Hitze und Regen einstellen. Deshalb sind gute Vorbereitung und die richtige Ausrüstung wichtig. So schön die fremde Flora und Fauna auch scheinen mag, sie birgt viele Herausforderungen und Gefahren. Neben offensichtlichen Bedrohungen wie Schlangen oder Krokodilen, können Stechmücken, Würmer und Bakterien für unschöne Erlebnisse sorgen. Also vor Reisebeginn an Impfungen wie Hepatitis und Gelbfieber denken, Malariaprophylaxe mitnehmen und ein Moskitonetz besorgen. Essentiell sind außerdem gutes Schuhwerk und eine Hängematte, denn im Dschungel schläft niemand auf dem Boden. Achten sollten Expediteure auf wasserfeste Hüllen für ihr Gepäck, denn nach einem langen Tag durchnässt im Wald, freut man sich auf trockene, warme Anziehsachen im Camp. Und wer auf Nummer sicher gehen will, der nimmt sich einen einheimischen Führer mit auf den Weg, der essbare Pflanzen und giftige Tiere erkennt. Forscher haben übrigens herausgefunden, dass Humor eine entscheidende Rolle dabei spielt, wie gut Reisende im Regenwald zurecht kommmen: die Fähigkeit, in widrigen Situationen das Beste daraus zu machen, war von großem Vorteil.

Als Wüste wird ein Gebiet bezeichnet, in dem ungleichmäßig über das Jahr verteilt weniger als 25 cm Niederschlag fällt. Kennzeichnend sind weiterhin die extremen Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht, denn die spärliche Vegetation und der sandige Boden sind nicht in der Lage die Wärme lang zu speichern. Tagsüber müssen Reisende gut und gern bis zu 50° C aushalten, während nachts das Thermometer bis fast auf den Nullpunkt sinkt.

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Essentiell ist der Schutz der Haut vor der Sonneneinstrahlung, am besten durch Verhängen mit Baumwolltüchern. Ein Sonnenstich äußert sich durch Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit beim Betreffenden. Linderung bringen meist Schatten, Füße hochlagern und kühlende, nasse Tücher. Wasser ist allerdings nicht im Überfluss vorhanden. Da es schwer wiegt, kann man meist nicht genug Wassergewinnung Vorrat mitnehmen, damit es bis zur Als Erstes gräbt man ein nächsten Oase reicht. kreisförmiges Loch in den Boden Deshalb ist es nützlich ein und stellt einen Behälter zum WasserVerfahren zur Wassergeauffangen in die Mitte. Dann legt man eine winnung zu kennen. Plastikfolie über das Loch und beschwert sie an den Rändern.

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Zum Schluss noch einen kleinen Stein in die Mitte der Folie und fertig ist der improvisierte Wasserhahn. Unter der Folie erwärmt sich die Luft, steigt nach oben und kondensiert am Plastik. Die Tropfen laufen zur Mitte der Folie, da sie dort durch den Stein ein wenig durchhängt, und dann fallen sie in den Behälter.

Kamele

Als Fortbewegungsmittel empfehlen sich Kamele, da diese wenn sie „vollgetankt“ sind, mehrere Tage gut ohne Wassernachschub auskommen.


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Medizin der Extreme

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Refugio

 Ivo Straßer

Flüchtlingshilfe in München

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efugio wurde 1990 in München ins Leben gerufen und ist eine uneigennützige Organisation, die sich mit den Schwerpunkten Therapie und Sozialarbeit für das Wohl, die Rechte und die Integration von Flüchtlingen einsetzt. Es war die Reaktion auf die mangelnde Unterstützung und Hilfe für Flüchtlinge aus aller Welt, deren Erfahrungen, Leidenswege und ihre Bemühungen im anstrengenden Asylverfahren umfangreichen, feinfühligen und engagierten Beistand erfordern. In Deutschland existierten bis auf wenige Ausnahmen wie z.B. in Köln soziale Beratungsstellen, so auch in München. Die Psychiatrie Haar bot zwar medikamentöse Behandlungen an, aber das, was die traumatisierten und in einer fremden Kultur oftmals so hilflosen Menschen wirklich brauchten, waren eine fachkundige und tatkräftige Begleitung. Viele Flüchtlinge waren zwar bereits in Psychotherapien eingebunden, aber viele mussten sich erst an dieses Verfahren gewöhnen und es galt zahlreiche andere Herausforderungen in der Integration in unsere Kultur zu meistern: „Therapie hilft nix wenn dann alles den Berg runter geht.” Kulturelle und religiöse Hintergründe sowie die Angst, als „verrückt” abgestempelt zu werden, führten häufig zu einer Skepsis der Betroffenen gegenüber der Psychotherapie, für die es in vielen Herkunftsländern nicht einmal einen eigenen Begriff gibt. Im Vordergrund steht zumeist auch die Sprachbarriere. Refugio kann mittlerweile Dolmetscher, darunter ehemalige Flüchtlinge, für viele Sprachen zur Verfügung stellen. Offenheit und Annäherung ist von beiden Seiten wichtig, um eine fruchtbare Beziehung aufzubauen.

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ie Flüchtlinge haben in vielen Fällen schwerwiegende Fluchtgeschichten hinter sich. Die Flucht kann bis zu mehreren Jahren dauern und ist mit vielen Situationen der Ungewissheit, Lebensgefahr, Ungerechtigkeit und herben Enttäuschungen gespickt. Schlepper verlangen horrende Preise und schrecken mitunter nicht davor zurück, schreiende Kinder den Müttern zu entreißen und Abgründe hinabzuwerfen. Kinder harren wochenlang in Höhlen mit zugeklebten Mund aus und müssen mit ansehen, wie ihre Mutter vergewaltigt werden oder der „Bruder von der Granate gesprengt” wird. Viele dieser Menschen kommen mit „kumulativen Traumata” in sicheren Zielländern an, aber dies bedeutet keineswegs, dass ihre Odyssee ein Ende hat. Die bürokratischen und politischen Hürden im Asylantragsverfahren können unüberwindbar sein und resultie-

ren in den meisten Fällen in einer Abschiebung in Nachbarländer oder gar das Ursprungsland selbst. Nur etwa 1,6 % der Antragssteller erhielten nach Artikel 16 Grundgesetz im letzten Jahr den Status als „politisch Verfolgte” und durften bleiben. Weitere erhielten im Rahmen der Genfer Konventionen das dauerhafte Bleiberecht. Was es bedeutet, in die Höhle des Löwen zurück zu müssen und die Strapazen der Flucht umsonst auf sich genommen zu haben, können wir uns leicht vorstellen. Die Reaktionen sind „heftig, heftig, [mit] Zusammenbrüche[n], Selbstmordversuche[n] oder -androhungen.” Dies ist oft „auch ein totaler Einbruch in der Therapie wo es immer extrem runter geht.” Refugio kämpft in solchen Fällen mit ärztlichen oder psychiatrischen Stellungnahmen z.B. bei schweren Folterverletzungen trotzdem weiter und findet oft noch ein Schlupfloch.

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iele Flüchtlinge kommen mit Symptomen wie Schlafstörungen, depressiver Verstimmung, Desorientierung und Intrusionen (siehe Kasten: Wiedererleben oder -erinnern traumatischer Erfahrungen bzw. Anteile davon, ‚flashbacks‘, die oftmals durch Alltagssituationen getriggert werden und vom Betroffenen nur schwer oder nicht kontrolliert werden können), die bei Vorliegen traumatischer Ereignisse in der Vergangenheit wie Vergewaltigungen, Kriegserlebnisse usw. zur Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD = posttraumatic stress disorder) führen. Die Belasteten werden von Ärzten oder Sozialarbeitern zu Refugio geschickt, wenn sie sich auffällig verhalten. Refugio kann von sich aus nicht auf Flüchtlinge zugehen. Die Therapie muss engmaschig und intensiv gestaltet werden. “Die meisten die kommen sind am Anfang in Krisensituationen.” Dabei ist das Erstgespräch von grosser Bedeutung, bei dem ein Psychologe, ein Dolmetscher und ein Sozialarbeiter anwesend sind. Einmal pro Woche findet ein Gespräch statt, wobei in den meisten Fällen Probleme im Asylantragsverfahren einen grossen Stellenwert einnehmen, da dies eine nicht minder große Belastung mit sich bringt und die andere Therapieinhalte beträchtlich beeinflussen kann. Häufig kommen viele Erlebnisinhalte in der Therapie oder im Asylverfahren gar nicht direkt zur Sprache, da die Patienten sich vor ihren eigenen Erinnerungen und Erlebnissen schützen wollen oder dies für nicht erwähnenswert erachten. In manchen Kulturen ist das Kollektiv wichtig: „Wieso soll ich denn sagen was mir passiert ist: mein Volk wird unterdrückt und ihr in

Kurzporträt Refugio Refugio wurde 1994 offiziell gegründet und verdankt seine Entstehung einer privaten Initiaitve. Die Organisation ist uneigennützig, überparteilich und -konfessionell. Die Arbeitsschwerpunkte liegen auf Psychotherapie, Sozialberatung, ärztliche Diagnostik, Integration und Begutachtungen von Flüchtlingen und Folteropfern. Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Aufklärung und Einbeziehung der Bevölkerung, was u.a. durch spezielle Projekte wie das vom „Bündnis für Demokratie und Toleranz” ausgezeichnete „Welcome-Project” erreicht wird. Derzeit arbeiten 18 Angestellte und 90 Honorarkräften für die Einrichtung, darunter Ärzte, Psychotherapeuten, Dolmetscher und Elterntrainer. 80 weitere Ehrenamtliche tragen zur Arbeit bei. Der Einnahmen betrugen 2009 etwa 1,6 Millionen Euro, wobei dieses Finanzvolumen 1:1 in nötige Ausgaben umgesetzt wurde. Etwa 60 % werden durch Privatspenden, Stiftungsgelder und Zuwendungen getragen.     www.refugio-muenchen.de

Dieser Artikel Unser Artikel basiert auf einem Interview das Frau Anni Kammerlander, die Geschäftsführerin von Refugio, freundlicherweise mit uns geführt hat. Das Interview im Original anhören:     www.synapse-redaktion.de/55-Refugio

Deutschland wisst es doch: was soll ich euch noch erzählen?”

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ie ärztliche Versorgung ist eine weitere essentielle Säule der Hilfeleistungen Refugios und trifft im Falle der besonderen medizinischen Vorgeschichte und gesonderten sozialmedizinischen Stellung der Flüchtlinge im Asylverfahren auf sehr spezielle Probleme. Was kann ein Erkrankter tun, der keine regelrechte Krankenversicherung hat? Die Flüchtlinge können sich vom Sozialamt bei akuten Erkrankungen einen Krankenschein holen, aber bzgl. vieler Krankheitsbilder besteht eine Grauzone, in der letztlich der erstbehandelnde Arzt oder der Amtsarzt entscheiden, ob eine Behandlung wirklich nötig ist und wie sie beglichen wird. Manche gehen in solchen Fällen soweit, sich mit dem Notarzt übers Wochenende einweisen zu lassen, um entsprechende bürokratische Hindernisse zu umgehen. Für Refugio arbeitet ein ehrenamtlicher Arzt, der u.a. Stellungnahmen verfasst und Voraufklärungen durchführt. Ausserdem besetzt eine Psychiaterin eine halbe Stelle zur Krisenintervention


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Grundgesetz Artikel 16a (1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. (2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden. (3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird. (4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen. (5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

und ärztlich-psychiatrischen Stellungnahmen. Eine Alternative bietet das Café 104, welches kostenlose Hilfe für Menschen ohne Krankenversicherungen anbietet (siehe Kasten). Immer wieder gibt es „krasse Fälle” von Folter. So war einer Patientin der Kiefer zertrümmert worden und sie konnte ihn kaum mehr bewegen. Sie lallte nur und es war ihr nurmehr möglich, sich mit dem Strohhalm zu ernähren. Sie hatte Schmerzen bei jedem Schluck. Die Wunden waren aber bereits ausgeheilt, weshalb ihr keine Behandlung gezahlt wurde. Lediglich für akute oder lebensbedrohliche Erkrankungen bzw. Verletzungen werden Leistungen übernommen. Ebenso erging es einem anderen Patienten mit zertrümmerten und schmerzhaftem Knie, der eine OP benötigte. Refugio bleibt hier nichts anderes übrig, als Stiftungsmittel oder bereitwillige Ärzte zu finden. Generell gibt es in München kaum Ärzte, die kostenlose Versorgung für diese besonderen Patienten anbieten. Die Behandlung von Traumata kann Jahre in Anspruch nehmen. Es besteht immer das Risiko, dass die Patienten z.B. infolge von schlechten Nachrichten über Angehörige aus ihrem Ursprungsland in neue Krisen geraten. Die Mitarbeiter von Refugio weisen deshalb stets darauf hin, dass sie keine Wunder vollbringen können und dass es wichtig sei, zu lernen, mit Krisen und Belastungen umzugehen. „Das mindeste Ziel ist es, dass sie den Alltag wieder bewältigen können, dass sie die Kinder wieder unterstützen und versorgen ... erreicht man auch nicht immer” Refugio versucht, all jene, die Asyl erhalten haben, an andere Ärzte oder Therapeuten weiterzuvermitteln, aber Sprachbarrieren und Dolmetscherkosten machen dies für viele Kollegen unattraktiv. Aus diesem Grund machen viele Patienten ihre Therapie bei Refugio zu Ende.

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Genfer Konventionen

in unübersehbares Zeichen für die Vorbehalte und Zurückhaltung der Behörden gegenüber Flüchtlingen sind deren Unterkünfte, die in einem katastrophalem und im Vergleich zum hohen Versorgungsstandard der deutschen Bevölkerung beschämenden wie unhaltbaren Zustand sind. Die Asylantragssteller müssen mit nicht mehr als alten Containern, Holzbaracken oder umfunktionierten Industriegebäuden Vorlieb nehmen, in den das Ungeziefer und der Schimmel allgegenwärtig sind und keine Anstrengungen von staatlicher Seite unternommen werden, dies zu ändern.

Zwischenstaatliche Abkommen, essentielle Komponente des humanitären Völkerrechts. Die Geschichte ist eng mit dem Entstehen des Roten Kreuzes verbunden, es geht im wesentlichen auf das Buch „Eine Erinnerung an Solferino" eines Genfer Geschäftsmannes (Henry Dunant) zurück, der miterlebt hat wie Verwundete nach einer Schlacht liegengelassen wurden. Er bietet in diesem Buch eine Reihe von Vorschlägen, die die Grundlage der Genfer Konventionen wurde.

Dahinter steckt Kalkül. Die Behörden wollen den Flüchtlingen keine Anreize schaffen, hier zu bleiben, und nützen solche Umstände als Abschreckung. „Flüchtlinge sind zuerstmal zu unrecht da und [die Behörden] wollen die rausfinden, die zu recht da sind ... und die Unterstützung von Flüchtlingen kommt irgendwann ganz weit hinten”. Deshalb ist der Besuch der Unterkünfte nicht unangemeldet

erlaubt. Bei angemeldeten Kontrollen wird am Abend zuvor das Apfelduftspray versprüht. Die Bewohner arrangieren sich, denn Sicherheit und Leben gehen vor Komfort und Hygiene. Während des Asylantragsverfahren sind integrative Massnahmen wie z.B. Deutschkurse vom Staat nur in Form von „Mini-Mini-Kursen” angeboten. Es ist Eigeninitiative gefragt, die aber stark von individuellen Resourcen und finanzieller Unterstützung abhängt. Refugio kann hier vermitteln.

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s ist schwer, Asyl gewährt zu bekommen. Einerseits sind die Zulassungsvorrausetzungen des Staates sehr streng, da ein unkontrollierter Zuwanderungsstrom von „Wirtschaftsflüchtlingen” und Trittbrettfahrern verhindert werden soll. Viele Menschen in anderen Teilen der Erde haben ein „total vergoldetes Bild von Deutschland” und nicht selten werden Jugendliche her geschickt, um Geld für ihre daheimgebliebenen Familien heran zu schaffen. Andererseits führt das Verhalten der Antragssteller in den Anhörungen oftmals zu Missverständnissen und unglücklichen Verläufen. Nicht allen ist es möglich, in einer Anhörung schmerzhafte und sensible Details ihrer Fluchtgeschichte preiszugeben, da sie sich vor ihren eigenen Erinnerungen schützen wollen. Andere Menschen wie z.B. Frauen nach Vergewaltigung kommen aus Gründen ihrer kulturellen oder sozialen Prägung nicht auf die Idee, bestimmte persönliche Informationen auszusprechen. Wichtige Fragestellungen greifen im Verfahren des Öfteren zu kurz. Was hilft es, nur nach unrechtmässigen Gefängnisaufenthalten zu fragen, wenn dabei übersehen wird, dass dies oft mit Folter und Gewalt einhergeht? Die Türkei hat offiziell die Folter abgeschafft, aber es ist bekannt, dass sie weiterhin praktiziert wird. Das auswärtige Amt scheint sich aber lediglich auf die offizielle Information zu stützen und übergeht die Angaben von Betroffenen über Foltererfahrungen. Diese lückenhaften Darstellungen können bei den Entscheidungsträgern fatalerweise ein zu mildes und falsches Bild des Schicksals solcher Menschen zeichnen und zur Ablehnung des Asylantrags führen. In letzter Zeit sind die Anträge für Asyl sehr stark zurückgegangen, weil die Außengrenzen der EU viel strenger überwacht werden. Jüngst steigen aber die Zahlen wieder, da vermehrt Menschen aus Somalia, Irak und Afghanistan flüchten. Refugio ist für große Flüchtlingswellen nicht speziell gewappnet, aber der schlagartige Flüchtlingsstrom von etwa 10000 Menschen zur Zeiten des Kosovokrieges brachte die Organisation zum ersten Mal dazu, mithilfe einer Umstellung des Arbeitsmodells die nötige Hilfe aufzubringen.

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ie Integration und Perspektiven nach erfolgreichem Asylverfahren hängen im wesentlichen von jedem Einzelnen ab. Es be-


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café 104 Da Migrantinnen und Migranten keine „Papiere", damit keinen Versicherungsschutz, und oftmals auch nicht die Mittel haben, medizinische Behandlungen privat zu zahlen, hilft café 104 bei der Vermittlung medizinischer Hilfe beim benötigten Spezialisten. Café 104 Görresstraße 43 80797 München     www.cafe104.de

steht die Möglichkeit, sich in bereits existierende soziale Gemeinschaften mit Menschen gleichen Schicksals oder Herkunft zu integrieren und von dort aus Unterstützung für die Eingliederung in die breite Öffentlichkeit und Kultur zu erhalten. Fehlende Anerkennung vieler ausländischer Berufsausbildungen bedeutet insbesondere für Akademiker oft einen herben Rückschlag und viele schaffen nicht den Neuanfang: „[der] Staatsanwalt fährt Pizza aus, [der] Arzt hat Glück, wenn er noch ein Hilfskrankenpfleger wird, also es ist ein totaler Abstieg”. Es gibt einige Ausnahmen wie etwa „eine Irakerin, die hat Medizin von Anfang an nochmal studiert und durchgezogen.” Kinder spielen in der Arbeit Refugios eine wichtige Rolle, da sie eine ganz eigene Art der Zuwendung benötigten und für die gesamte Familie eine große Chance darstellen können.

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sere Welt mit vielen Perspektiven zu holen. Refugio bietet den Eltern ebenfalls an, „elternfrei” zu nehmen, um sich von der Erziehung zeitweise zu entlasten und in der fremden Welt selbst Fuß fassen zu können. Die Besserung des Zustandes eines Kindes kann sich in positiver Weise unmittelbar auf die Situation in seiner Familie auswirken. So gab es einen Jungen, der in einer deutschen Schule auffiel, weil es sehr blass war und in seinen Leistungen zurück lag. Es stellte sich heraus, dass er im Kosovokrieg von serbischen Soldaten geschlagen worden war und die Pistole an seinen Kopf gehalten bekam, um vom Vater Geld zu erpressen. Dieser Junge bekam eine Therapie und besserte sich in seinem Verhalten, woraufhin die Mutter nach einem halben Jahr kam, um selbst Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es zeigte sich, dass sie auf einem Parkplatz vergewaltigt worden war. Das „Welcome”-Projekt ist ein besonderes Programm für Familien mit Kindern, um Bekanntschaft mit Einheimischen zu schliessen und Aktivitäten mit ihnen zu entfalten. Kinder erhalten Nachhilfe oder werden zum Spielen mitgenommen. Dieser Austausch ermöglicht den Flüchtlingsfamilien, Neues zu erleben, was sie sich sonst nicht leisten könnten und Einheimische werden auf ganz direkte Weise in diese Thematik eingeführt.

Bedauernswert bleiben viele Umstände, deObwohl manche Kinder schon im kleins- nen die Flüchtlinge ausgesetzt sind. Selbst Inten Alter schrecklichste Erfahrungen machen itiativen von höchster politischer Ebene, der mussten, so können sie dennoch wieder auf EU, verlaufen sich im Sande. Jüngst wurde von die richtige Bahn gelenkt werden, wenn sie ein der EU eine Richtlinie herausgegeben, wonach sicheres und fürsorgliches Umfeld und „soviel unbegleitete Minderjährige besondere UnterNormalität wie möglich“ vermittelt bekom- stützung und Behandlungsvorzüge erhalten men. Diese Erkenntnisse gehen u.a. auf den sollten. In Deutschland wurde dies aber nicht deutschen Psychiater Hans Keilson zurück, umgesetzt und trotz einer Abmahnung durch der als Jude in der Frühphase des Nationalso- die EU kommt es zu keiner Änderung. Letztere zialismus nach Holland auswanderte und nach würde nämlich bedeuten, die Unterkünfte auf dem Krieg begann, jüdische Kinder zu beglei- Vordermann zu bringen und das Asylverfahren optimiert werden. Kurzten, die ihre Eltern im KZ verloren hatten. Die Asylbewerberleistungsgesetz und Gemein- um gehörten sich das „AsylbewerberleistungsMitarbeiter Refugios setschaftsunterkünfte gehören eingestampft gesetz und Gemeinzen Spiel- und Kunsttherapien ein und legen viel Wert auf die Beratung schaftsunterkünfte [...] eingestampft”. der Eltern. Die therapeutischen Bemühungen können wirkungslos sein, wenn die Kinder in ie Bitte an uns nachfolgenden Ärzte ist, ihrer Familie dem alten „Klima” ausgesetzt aufmerksam zu sein im Umgang mit Pableiben. Selbst Kinder, die erst nach der Flucht tienten und keine vorschnellen Diagnosen zu geboren wurden, nehmen sehr direkt die Stim- stellen. Gerade bei solchen Patienten mit vermungen und Verhaltensweisen traumatisierter mutetem Migrationshintergrund oder FluchtEltern auf und entwickeln Störungen. Daher vergangenheit ist Feingefühl und Geduld bei ist es entscheidend, die Kinder so schnell wie sprachlichen Barrieren und kulturellen Untermöglich aus den katastrophalen Bedingungen schieden gefragt. Es ist das Beste für sie, wenn der Flüchtlingsunterkünfte heraus in eine bes-

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Folter und Trauma „Jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden; Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind." Amnesty International berichtet, dass 2007 in 81 Ländern der Welt gefoltert wurde. Einer skandinavischen Studie zufolge wurden 10 - 30 % der Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, gefoltert. Das Ziel der Folter ist nicht immer die Erpressung von Geständnissen, sondern vielfach die Zerstörung des Willens und der Persönlichkeit des Gefolterten. Folter als Machtinstrument Folter ist ein wesentliches Machtinstrument in vielen autoritären Staaten, um die politische Linie durchzusetzen. Aus diesem Grund findet immer häufiger eine psychische Folter statt, bei der der Körper meist verschont bleibt und mangels Spuren den Nachweis im Nachhinein erschwert. Beispiele sind Scheinhinrichtungen, „Waterboarding” (Untertauchen des Kopfes um Erstickungsgefühle zu provozieren) oder Schlafentzug. Folteropfer verlieren oft das Vertrauen in die Welt, in ihre Mitmenschen und in sich selbst. „Wer Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in dieser Welt ... Die Schmach der Vernichtung lässt sich nicht austilgen”- so schrieb es der Philosoph und Schriftsteller Jean Amery, der selbst Opfer von Folter im KZ wurde. Folter in Sonderfällen zulässig? Diskussionen über die Anwendung von Folter im deutschen Rechtssystem in besonderen Fällen wie zum Schutze der Allgemeinheit oder bestimmter Personengruppen können zu der fatalen Vorstellung führen, dass Folter legitim sein kann. Damit wäre genau wieder das erreicht, weshalb sie u.a. verboten worden ist: sie als Instrument staatlicher Exekutive einzusetzen. Das Folterverbot muss deshalb auch auf staatlicher Ebene absolut sein.

wir sie dorthin schicken, wo ihnen am ehesten geholfen werden kann. So ein Ort ist Refugio.


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Studium und Arbeit

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E-Learning an der Medizinischen Fakultät Zwei Jahre moodle

E-learning hat an unserer Fakultät eine lange Tradition, bereits Anfang der 90er Jahre wurden fallbasierte Programme entwickelt und in das Curriculum integriert. Auch das fallbasierte Lernsystem CASUS wurde seit Mitte der 90er Jahre hier entwickelt. Über viele Drittmittelprojekte wird die Weiterentwicklung und Erforschung von E-learning finanziert. Mittlerweile gibt es auch zahlreiche weitere E-learning Projekte, die z.T. auch durch studentische Initiative entwickelt wurden. Als zentrales Lernmanagementsystem (LMS) wurde 2009 moodle (  www.moodle.org) eingeführt. Ein LMS dient zum einen dazu, Lernmaterialien in Kursen zu strukturieren und zum anderen das Erstellen von solchen Materialien zu unterstützen. Es ist damit eine ideale Ergänzung zu einem Campus Managementsystem (wie MeCuM-Online), das zur Verwaltung von Studienleistungen oder Stundenplänen dient, und spezialisierten Systemen, wie z.B. das fallbasierte Lernsystem CASUS.

Wer steckt dahinter? Die E-learning Aktivitäten in MeCuM werden vom E-learning Beauftragten der Fakultät (Inga Hege) unterstützt und koordiniert. Zwei Medienberater (Thomas Bischoff, Thomas Brendel – jeweils 50%) kümmern sich um die Erstellung und Integration von Lehrfilmprojekten bzw. Podcasts und bieten Hilfe bei allen Fragen rund um das Thema Medien an. Das moodle Kernteam besteht aus einem Techniker (Julia Küfner), einer Administrationskraft (Iwona Pelczar), die sich um Schulungen, die gesamte Verwaltung von moodle, den Support und alles was sonst anfällt kümmert,

und zwei studentischen Hilfskräften (Antonia Port und Franziska Hasch).

 Iwona Pelczar

Navigation/Struktur unübersichtlich

Bessere Abstimmung von moodle mit MeCuM - Online

Noch mehr Inhalte sollen in moodle rein: Hier könnt ihr auch was tun - einfach Dozenten auf moodle ansprechen. Dazu gibt es auch einen moodle InformationsFlyer im Nachrichtenforum der Website.

Warum moodle? Moodle ist ein weit verbreitetes LMS, das an vielen anderen Universitäten und Schulen weltweit verwendet wird. Da moodle ein Open-Source-System ist, können wir selbst das System an die Bedürfnisse und Wünsche, die an uns herangetragen werden, anpassen. Schnittstellen ermöglichen eine Integration, so dass für moodle und alle angebundenen Programme (wie z.B. Casus) kein extra Zugang nötig ist.

Wie kommt moodle an? Von den 165 Kursen, die in moodle pro Semester ausgehend vom Vorlesungsverzeichnis angelegt sind, enthalten mittlerweile 135 Materialien zum Kurs (80 %). Derzeit sind über 5000 Teilnehmer in moodle registriert, davon 120 aktive Dozenten, die Material einstellen und aktualisieren.

Was ist gut und was kann noch verbessert werden?

Darüber hinaus haben wir festgestellt, dass moodle hauptsächlich zur Bereitstellung von statischen Materialien wie z.B. Vorlesungsfolien, Podcasts oder Informationen genutzt wird. Wünschenswert und didaktisch sinnvoll wäre, dass auch dynamische, interaktive Lernmaterialien, wie z.B. Online Aufgaben, Lektionen, Tests vermehrt bereitgestellt und sinnvoll in MeCuM integriert werden. Mitte März haben wir auf die neueste moodle Version aktualisiert. Das neue Layout, die verbesserte Navigation und Struktur sind die wichtigsten Änderungen. Wir hoffen, dass wir damit einige Nutzerwünsche umsetzen konnten und sind auf das Feedback gespannt.

Fragen?

In den letzten 4 Semestern hat sich die Anzahl der bereitgestellten Lerninhalte deutlich erhöht. Es gibt aber immer noch einige Kurse, in denen keine Materialien eingestellt werden.

Alle Fragen rund um die Einführung und den Betrieb von moodle könnt ihr gerne jederzeit im Forum für Studenten „Fragen und Kritik“ stellen – alles dazu auf der moodle Startseite unter „Nachrichten der Website".

Bei der Auswertung der Evaluationen (Dank an alle, die mitgemacht und konstruktive Vorschläge gemacht haben!) sind uns insbesondere folgende Punkte aufgefallen, an denen wir an Verbesserungen arbeiten:

Alle Daten zur Evaluation, sowie weitere Statistiken sind ebenfalls in diesem Forum zu finden. Außerdem informieren wir dort auch, z.B. über alle Neuentwicklungen oder geplante Wartungsarbeiten.


Studium und Arbeit

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„Ich denke gerne an meine Münchner Zeit zurück" Frau Prof. Müller-Gerbl spricht mit uns über Basel, München und ... Fußball Die Studentenschaft in München hat Ihren Weggang damals als großen Verlust angesehen für die Lehre in der Anatomie. Sind Sie selbst mit zwei lachenden, oder doch auch mit einem weinenden Auge gegangen ? Es war genauso, wie Sie es in der Frage beschreiben. Im Laufe der Zeit hat man - gerade in München – viele Studenten gesehen und hat sich ein gewisses Renommee aufgebaut. In Basel musste ich mir das erst wieder neu aufbauen, was gerade am Anfang nicht immer ganz störungsfrei verlaufen ist. Aber es war eine neue reizvolle Aufgabe, die ich gerne übernommen habe. Da ich in einer Phase nach Basel gekommen bin, in der gerade die Umstellung auf das Bachelor/Mastersystem erfolgte, hatte ich die Möglichkeit, eigene Vorstellungen in die Lehre einzubringen.

Das Studium der Medizin im Vergleich Schweiz/LMU – speziell jetzt auf Ihren Bereich gesehen – wo sehen Sie die Unterschiede, die Vorteile bzw. Nachteile des jeweiligen Studiengangs ?

Sehr geehrte Frau Prof. Müller-Gerbl,   wie geht es Ihnen heute in Basel? Meine Familie und ich, wir haben uns inzwischen sehr gut in Basel eingelebt. Wir geniessen die Vorteile, hier im Dreiländereck zu wohnen. Aber auch beruflich bin ich sehr zufrieden, da ich hier in einer Position bin, Dinge u.a. in der Lehre bewegen zu können. Auch im Bereich der postgraduellen Ausbildung gibt es hier viele Möglichkeiten, etwas auf die Beine zustellen.

Sie sind jetzt 4 Jahre von der LMU weg. Mit diesem zeitlichen Abstand betrachtet, wie sehen Sie heute Ihre Zeit in München? Ich habe die Zeit in München sehr genossen und habe mich sehr wohl gefühlt, sowohl privat wie auch beruflich. Es war für mich eine grosse Herausforderung, entscheidend an der Neugestaltung des Curriculums mitwirken und umsetzen zu können. Vor allem die 3 zusätzlichen Ferienpräparierkurse, die aufgrund der Umstellung des Curriculums notwendig wurden, waren eine ganz besondere Erfahrung.

Ein großer Unterschied zwischen Basel und München betrifft die Studentenzahlen. In meinem letzten Semester in München hatten wir 920 Studenten, was logistisch zwar eine grosse Herausforderung darstellte, aber doch eine gewisse Anonymität mit sich bringt. Hier in Basel sind es 180 Studenten, was ich als familiäre Kleingruppe empfinde, wodurch es möglich ist, Studenten auch mit Namen anzusprechen und sie als Einzelpersonen etwas näher kennenzulernen, eine Situation, die ich als sehr viel befriedigender empfinde. Im Gegensatz zum Blocksystem in München gibt es hier in Basel ein Themenblocksystem, d.h. die verschiedenen Themen werden jeweils gleichzeitig von allen betroffenen Fächern gleichzeitig behandelt (so dozieren z.B. im Themenblock Herz-Kreislauf der Anatom, Physiologe und Biochemiker, aber auch- speziell hier in Basel – eine Reihe von Klinikern. Nachteile im Basler System liegen sicherlich darin, dass oft die notwendigen Grundlagen für ein Verständnis der klinischen Inhalte fehlen, da Fächer wie Pathologie, Pharmakologie erst später kommen. Die Abfolge der Themenblöcke ist nicht immer ganz nachvollziehbar. So findet der Präparierkurs schon sehr früh

Renate Radtke  Maximilian Batz

Prof. Dr. Magdalena Müller-Gerbl Geboren 1958 in Kenzingen (Baden-Württemberg), studierte sie Medizin in Freiburg und München bis zur Approbation 1984 und der Promotion über ein immunohistochemisches Thema im Jahr 1985. Darauf wechselte sie für vier Jahre ans Anatomische Institut der Universität Freiburg und ging danach an die Universität München, wo sie sich 1992 für das Gesamtfach Anatomie habilitierte. Studienaufenthalte führten sie unter anderem nach Innsbruck, Aarhus und New York. 1999 war sie für ein Semester als Gastdozentin an der Harvard Medical School in Boston tätig. Ihr wissenschaftlicher Schwerpunkt sind Studien zur Form-Funktionsbeziehung im Bewegungsapparat, insbesondere in Gelenken (Knochen, Knorpel), wobei bei den aktuellen Studien die Wirbelsäule im Vordergrund steht. In Basel erhofft sie sich eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit auf dem wissenschaftlichen Sektor und das Erarbeiten und Umsetzen gemeinsamer Konzepte in der studentischen Lehre und der postgraduierten Weiterbildung. Frau Prof. Müller-Gerbl ist verheiratet und Mutter von zwei Söhnen Quelle: Universität Basel, unibas.ch

statt, obwohl die meisten Themenblöcke mit den entsprechenden Anatomievorlesungen erst danach kommen, was doch einige Schwierigkeiten bereitet. Als großen Vorteil in Basel empfinde ich, dass es während des Studiums keine zentralen Prüfungen gibt, sondern die Prüfungsfragen von den jeweiligen Dozenten und Kursleitern erstellt werden, wodurch man als Dozent die Möglichkeit hat, die Akzente im Lernstoff zu setzen, die man für wichtig und sinnvoll erachtet. Der Vorteil im Münchner System liegt darin, dass man die Anatomie sehr kompakt in den ersten eineinhalb Semestern lehren konnte und die Möglichkeit hat, den Stoff konsequent und logisch aufzubauen. Ein Nachteil ist sicherlich, dass die Anatomie so früh im Studium und damit nicht sehr zeitnah zum Physikum gelegen ist, was

Bild: Basel bei Nacht // sxc.hu / jenssen

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Wappen von Basel

Delta-9 // Wikimedia Commons

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Auswirkungen auf die Prüfungsergebnisse mit sich bringt.

Sie haben das MeCum-Konzept der Vorklinik damals mit eingeführt und aufgebaut. Wie sehen Sie dieses Konzept jetzt mit den Erfahrungen aus Basel? Ich halte das MeCum Konzept angesichts der riesigen Studentenzahlen und der grossen Schwierigkeiten in München, die Fächer sinnvoll zu vernetzen (z.B. gleichzeitig die Anatomie und Physiologie von Organen zu behandeln) immer noch für eine sehr gute Option. Wie jedes System hat es Vor- und Nachteile.

Für ein PJ-Tertial sind Schweizer Kliniken sehr beliebt. Würden Sie auch Kooperationen und Austausch schon während des Studiums für sinnvoll halten? Ich würde jedem Studenten, der die Möglichkeit dazu hat, empfehlen, schon während des Studiums einen Aufenthalt im Ausland in Erwägung zu ziehen. Ausser dem persönlichen Gewinn (Kennenlernen anderer Kulturen und Menschen, sich an einem anderen Ort zurechtzufinden) ist es sicherlich auch für das berufliche Weiterkommen von Vorteil, andere Systeme kennenzulernen und das in seinem Lebenslauf aufführen zu können.

Zum Schluss noch eine, zugegeben neugierige und persönliche Frage: Sind Sie dem FCB als Fan treu geblieben oder hat der FCB einen Fan an einen Schweizer Verein verloren? Diese Frage ist sehr leicht zu beantworten. Für mich gilt einmal Bayern-Fan, immer Bayern-Fan, obwohl es gerade im Augenblick nicht ganz einfach ist. Ausserdem habe ich den Vorteil, dass, wenn ich gefragt werde, für welchen Verein ich bin, ich mit meiner Antwort FCB nichts Falsches sage, denn es kann entweder der FC Basel oder der FC Bayern gemeint sein. Für mich natürlich keine Frage, obwohl ich auch hin und wieder zu Spielen des FC Basel gehe und mich freue, wenn er erfolgreich ist, allerdings nicht, wenn sie gegen meinen FC Bayern spielen.

Vielen Dank für das Interview!

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Mit DoktaMed zum Dr. Med Der Doktorarbeitstag Medizin der LMU München am 14. Mai 2011

Die Richtige und Du 98% der Medizinstudenten fangen eine Doktorarbeit an. Die richtige Doktorarbeit zu finden ist jedoch sehr schwierig. Die meisten Doktoranden beginnen laut eigener Aussage die erste Doktorarbeit, die Ihnen angeboten wird. Nur die wenigsten Studenten haben sich vor ihrer Entscheidung ausreichend mit dem Thema befasst. Es kommt sogar vor, dass eine Doktorarbeit abgebrochen werden muss. Trotzdem gab es lange kein Forum für Studenten um sich objektiv, unverbindlich und umfassend mit dem Thema auseinanderzusetzen und die Entscheidung für oder gegen eine Doktorarbeit informiert zu treffen. Am Samstag, den 14. Mai 2011 ab 9:00 Uhr ist es jedoch wieder soweit: Der Doktorarbeitstag Medizin der LMU München jährt sich zum dritten Mal. Austragungsort ist in diesem Jahr das Personalkasino des Klinikums Großhadern. Die Messe wird wieder Treffpunkt für Studenten, Ärzte, Arbeitsgruppenleiter sowie doktorarbeit-assoziierte Organisationen sein. Dabei stehen diese dem Studenten bei Vorträgen, betreuten Führungen, Workshops, aber natürlich auch im Einzelgespräch zur Verfügung. Dies stellt eine einzigartige Möglichkeit dar, sich umfassend aus unabhängigen Quellen und unmittelbar über alle wichtigen Aspekte der Doktorarbeit zu informieren.

Für wen? Die DoktaMed richtet sich an Medizinstudenten aus allen Semestern, die an dem Thema Doktorarbeit interessiert sind. Es sind also natürlich auch die Studenten der TU München herzlich willkommen. Für Studierende veranstaltet, hilft die DoktaMed angehenden Doktoranden im vorklinischen und klinischen Abschnitt, die Doktorarbeit zu finden, die passt – egal ob klinisch, statistisch oder experimentell. Besonders wertvoll ist auch die Möglichkeit, sich mit erfahrenen Doktoranden, die ihre Arbeiten während der Postersessions vorstellen, zu unterhalten. Dies hilft dem zukünftigen Doktoranden, aus Fehlentscheidungen und Problemen ihrer Vorgänger zu lernen und so viel Frust oder gar den Abbruch einer Doktorarbeit zu vermeiden. Des Weiteren ist die DoktaMed eine Möglichkeit in die Welt der Forschung und Kongresse hinein-

 Bernd Uhl zuschnuppern und einen ersten Eindruck zu erlangen wie das „System" funktioniert! Für Arbeitsgruppen bietet die DoktaMed die Möglichkeit, auf einem Messestand die eigene Forschung zu präsentieren, mit vielen potenziellen Doktoranden sowie Kooperationspartnern in Kontakt zu treten und so die passenden zu finden! Doktoranden, die bereits an ihrer Dissertation arbeiten, profitieren von den wissenschaftlichen Workshops, der Möglichkeit das Thema ihrer Doktorarbeit als Poster oder Vortrag zu präsentieren und eventuell sogar einen der begehrten Posterpreise zu gewinnen.

DoktaMed im Überblick Doktawalks Geführte, nach Thematik geordnete, Touren quer durch das vielfältige Angebot der sich auf der DoktaMed präsentierenden Institute Workshops Für Medizinstudenten kostenlose Hilfe auf dem Weg zum Dr. med. z.B: Wissenschaftliches Recherchieren, Posterpräsentation, Endnote, SPSS, Zeitmanagement, Präsentationstraining, Rhetorik (englisch) Poster und Vorträge Alle Medizinstudierenden, die bereits an ihrer Promotion arbeiten, wurden dazu aufgerufen, einen Abstract über ihr Doktorarbeitsprojekt einzureichen. Die besten vier Abstracts wurden für Vorträge ausgewählt, die ihr euch am Doktorarbeitstag anhören könnt. Zusätzlich werden während acht Postersessions insgesamt 64 Poster präsentiert. Informationsstände •

I nformationen und Hilfe bei der Doktorarbeit im Ausland

finanzielle und wissenschaftlich-ideelle Förderung für Doktoranden (FöFoLe, GraKo)

GraduateCenter-LMU

  DoktaMed.de


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Krank aber glücklich

 Katharina Biersack

Sind alle Patienten an schneller Genesung interessiert? In meinen Kindheitstagen gab es für mich einen Zustand, der eine Mischung aus Urlaub und dem, was ich mir als den ultimativen Luxus vorstellte, zu sein schien. Nicht zur Schule gehen zu müssen, in regelmäßigen Abständen mit Brezen, Tee und von Mama gekochtem Lieblingsessen versorgt zu werden, das waren die überwältigenden Vorteile des Krankseins. Bauchschmerzen, Fieber und andere Nachteile vergaß ich nur allzu gerne, so dass ich selten eine Grippeepidemie ausließ und, wenn nichts sonst half, einfach mal einen Nachmittag lang unter drei Decken auf dem Sofa lag, um meine Kerntemperatur die entscheidenden 3 Zehntel herauf zu regeln. Ich war damit keinesfalls ein Einzelfall. Meine kleine Schwester pflegte mich, wenn ich es wieder einmal für eine Woche aufs Sofa geschafft hatte, so lange innig zu herzen und zu küssen bis sie sich sicher sein konnte, dass auch sie demnächst den ganzen Tag schlafen können würde.

„Urlaub mit Rundumbetreuung" Dies sind natürlich naive spätkindliche Spinnereien, auf die ich nicht stolz bin. Obwohl sie immer wieder für eine Anekdote gut sind, verleugnen wir solche Ideen meistens. Sie sind beschämend und beleidigend den Menschen gegenüber, die sich mit einer chronischen Krankheit konfrontiert sehen. So kam es wohl, dass gerade derjenige, der sich nur allzu gerne mit unserem perversen, abartigen und deswegen verdrängungswerten Unterbewusstsein beschäftigte, auch diesen Sachverhalt beschrieb und benannte: Oben genanntes wird in der Freudschen Schule als Krankheitsgewinn (genauer als sekundärer Krankheitsgewinn) beschrieben. Sekundärer Krankheitsgewinn bedeutet also die Befreiung von bewusst oder unbewusst als belastend empfundenen sozialen Pflichten, wie z.B. dem Schulbesuch. Die meisten von uns kennen das wohl als Urlaub mit Rundumbetreuung.

Ventil für einen inneren Konflikt Daneben gibt es den primären Krankheitsgewinn. Er steht ganz im Sinne der Psychoanalyse. Der Patient erhält durch Ausbruch der Krankheit ein Ventil, das ihm den Umgang mit einem inneren Konflikt erleichtert. Der Patient erhält durch die Krankheit Fähigkeiten und Eigenschaften, die ihm weiterhelfen

per definitionem niemals von dem Halluzinierenden, sondern ausschließlich von einer zweiten außen stehenden Person festgestellt. Halluzinationen, die schließlich ein Teil der eigenen Realität sind, können auch etwas Bereicherndes sein. Medikamente und Therapie nehmen dem Patienten diesen Teil seiner Realität. Man möge sich nur vorstellen, wie schrecklich es wäre, wenn sich eines Tages ein wichtiger Teil des eigenen Lebens, beispielsweise eine nahestehende Person als reine Illusion entpuppen und damit für immer verschwinden würde. Mit diesem Negativerlebnis könnte die Im Folgenden möchte ich Bereitwilligkeit, mit der die versuchen, BeispieEin Franzose, ein Engländer und ein Deutzumeist chronischen le zu finden, in scher gehen in ein Lokal. Sagt der Franzose: Patienten in der denen das "Ist das dort am Tisch nicht Jesus?" nächsten EpisoStreben des Keiner ist sich sicher, und so geht der Deutsche hin und fragt: de ihre Pillen Leiden"Sind Sie Jesus?" Antwortet der Mann: "Ja ich bin es." schlucken, sinden nach Der Deutsche geht wieder zurück und meint: "Ja, er ist es." ken. Kuration Darauf geht der Engländer hin und lässt sich von Jesus seine kranke Schulter heilen. Danach in Frage geht der Franzose hin und lässt sich sein krankes Kreuz heilen. gestellt Die MagerNachdem Jesus mit dem Essen fertig ist, kommt er zu dem Deutschen und fragt werden sucht als „besihn, ob er ihn von seinen Beschwerden heilen soll. könnte. te Freundin"? Zu allerDer Deutsche winkt ab: "Nein danke, ich bin noch drei Wochen krank geschrieben!" erst muss hier natürlich an Doch auch andere Stöpsychische Errungen gehen mit Bereicherungen einher. Bei Patientinnen, die an Anorek r a n k u n g e n xia nervosa, der Magersucht, leiden, sieht man gedacht werden, eine für viele Menschen bewundernswerte Disbei denen allein die ziplin, die sich nicht nur auf die strenge KonEinsicht des Bestehens trolle der Essenszufuhr beschränkt, sondern einer Krankheit oft ein sich auch auf die Bewältigung des gesamten Problem darstellt. Dies liegt Alltags ausweitet. Die Krankheit überschreitet zum Teil daran, dass eini- den Bereich, indem sie erkannt und diagnostige dieser als Patho- ziert wird weit, auch wenn die meisten Menlogien mit gewis- schen wohl nach wie vor das Bild eines jungen sen Fähigkeiten, Mädchens, das sich vor dem Spiegel zu dick das heißt einem findet, vor Augen haben werden. Für die Erprimären Krank- krankte stellt die Aufrechterhaltung dieser Dish e i t s g e w i n n , ziplin einen großen Gewinn dar und auch für e i n h e r g e h e n , Laien ist es wohl leicht ersichtlich, dass bessedie vom Pati- re Noten und die scheinbar mühelose Bewälenten durchaus tigung jeglichen Hindernisses für sich gesehen als Bereiche- positive Charaktereigenschaften. rungen angesehen werden. Dieser vermeintlichen Verknüpfung ist sich häufig die Patientin am ehesten bewusst, die So nehmen sich bei Beginn einer Therapie auch vor dem beispielswei- Verlust dieser Fähigkeit fürchtet. Da die Krankse Menschen heit typischerweise in einem Alter auftritt, inmit Schizo- dem sich auch der Charakter des zukünftigen phrenie oder Erwachsenen maßgeblich bildet, ist es für Beeiner mani- troffene und Umwelt wohl die Frage nach der schen Episode Henne und dem Ei, ob nun die Disziplin die ihre Umwelt einfach Krankheit oder die Krankheit die Disziplin zur anders wahr. Schließ- Folge hatte. Der Glauben an diese Verknüplich werden Halluzi- fung bewirkt so leider häufig, dass Magersüchnationen als solche tige sich für die Krankheit als Teil ihres Lebens und ihn bereichern. Das mögen hoch theoretische Überlegungen sein. Zudem freundet sich wahrscheinlich niemand gerne mit diesen Gedanken an. Darf man einem chronisch Kranken mit starkem von außen wahrgenommenem Leidensdruck unterstellen, er würde einen Vorteil gegenüber Gesunden haben? Davon abgesehen, wie beeinflussen diese fast schon angenehmen Seiten der Krankheit die Compliance des Patienten, d.h. seinen Willen zur Mitarbeit?


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„Ich bin nicht sehr krank, ich kann noch drüber reden ..."

– William Shakespeare

entscheiden. So ist es zu erklären, dass sich ganze Netzwerke gebildet haben, in denen die Magersucht als „beste Freundin“ stilisiert wird. Die Frage, die sich hier aufdrängt, ist: Ist es richtig eine Abweichung von der Norm als Krankheit zu definieren oder bestimmt das Leiden, das heißt die Gesamtheit subjektiv wahrgenommener Einbußen, die Krankheit? Auch nach Beispielen für den sekundären Krankheitsgewinn kann bei den psychiatrischen Erkrankungen gesucht werden. So befreien sich beispielsweise Depressive mit fortschreitender Erkrankung zunehmend von den Pflichten und der Verantwortung, unter der sie häufig mehr als Gesunde leiden. Dennoch ist bei dieser Erkrankung der subjektive Leidensdruck oft so groß, dass diese Einschränkung vernachlässigt werden kann. Doch der Krankheitsgewinn kann auch selbst derart überhand nehmen, dass er selbst zur Krankheit wird. Ich spreche von einer Orchidee unter den Störungen, dem Münchhausen-by-proxy-Syndrom.

die Aufmerksamkeit seiner psychisch labilen Verwandtschaft genießt. Dieser Kollege würde wohl kaum einen Preis als Arzt des Jahres erhalten. Eine derartige Vermutung kann nur als Vorwurf gewertet werden. Es handelt sich scheinbar um ein Tabuthema, womit wir wieder bei Freud wären. Aber denken wir doch einmal an unsere kurze Karriere in der Medizin, als Praktikanten, Famulanten und PJ-Studenten. Wer kennt nicht Patienten mit mehr oder weniger schwerwiegenden und einschränkenden Problemen, die nach Besserung ihrer Symptomatik nach eigenen Angaben statt „entlassen“ aus dem Krankenhaus „rausgeworfen“ werden? Oder Patienten die eigentlich keine Beschwerden angeben, aber bei der Visite plötzlich dramaturgisch glaubwürdig die Passion Christi nachstellen?

Die Vorteile einer Krankheit Ich möchte mich hier über niemanden lustig machen. Wir sollten uns selbst einen Spiegel vorhalten. Denn wer zieht schließlich den größten Gewinn aus der Krankheit und dem Leiden? Natürlich wir. Zukünftige Ärzte, das gesamte Gesundheitssystem. Wir müssten alle

Wie der Name bereits vermuten lässt, handelt es sich dabei quasi um pathologische und zwanghafte, meist weibliche, Lügnerinnen. Diese Frauen verwenden Angehörige, meistens eigene Kinder, um selbst mehr Aufmerksamkeit von der Umwelt zu bekommen. Baron Münchhausen Ein Beispiel für den tertiären Krankheitsgewinn. Die Kinder werden anderen als Der Lügenbaron der Herzen körperlich krank verkauft. Die Mütter Karl-Friedrich-Hieronymus wurde am erhalten somit auch selbst Zuwendung. 11. Mai 1720 in Bodenwerder (NiederDa Kinder aber nicht immer gleich krank sachsen) geboren. aussehen, wenden die Betroffenen auch Als er 18 Jahre alt war, folgte er als drastischere Mittel an, die bis zu gefährPage seinem Herren, Anton Ulrich licher Körperverletzung reichen, um ihre von Braunschweig - Wolfenbüttel, in Glaubwürdigkeit zu wahren. Das in den den Russisch - Österreichischen TürSiebzigern von einem britischen Psychikenkrieg (1736 - 1739). Viele der ihm ater beschriebene Syndrom ist allerdings, zugeschriebenen Geschichten beruzumindest in der By-Proxy-Form, nicht hen auf diesen kriegerischen Auseinandersetzungen. Später pflegte er sie in den DSM IV verzeichnet. Schließlich auf seinem Gut in Bodenwerder im bestünde so die Gefahr allzu leichtfertig Freundeskreis zum Besten zu geben. Kindesmissbrauch einfach auf eine seltene Störung zu schieben. 3

Eingeschränkte Mitarbeit Was bei psychischen Krankheiten leicht ersichtlich ist und worauf in jedem Lehrbuch aufmerksam gemacht wird, ist bei körperlichen Erkrankungen sehr viel schwieriger nachzuweisen. Warum eigentlich? Es will niemand hören. Man stelle sich den Onkologen vor, der versucht einem Patienten, der gerade seine zweite Chemotherapie erhält, zu erklären, er sehe dessen Mitarbeit dadurch eingeschränkt, wie gerne er leidet und

umschulen, wenn es uns doch noch gelingen sollte, alle Menschen dauerhaft gesund zu machen, so dass niemand mehr auf medizinische Unterstützung angewiesen wäre. Also kann man den Diskurs an dieser Stelle auch beenden. Es lohnt sich zwar die Vorteile einer Krankheit im Auge zu behalten, sowohl als Arzt als auch als Patient, dennoch sind diese derart verbreitet, dass es überflüssig erscheint diese als Abweichung von der Norm, d.h. selbst als pathologisch zu sehen.

Mit 73 Jahren heiratete der Baron die 20-jährige Bernhardine von Brünn. Die Ehe hielt nur sehr kurz, und der Baron verlor im Scheidungsstreit sein ganzes Vermögen. g Hier ist er zu sehen, wie er auf einer Kanonenkugel über eine belagerte Stadt reitet. Nachdem er den Gegner auf diese Weise ausspioniert hat, greift er gerade nach einer Kugel die in die Gegenrichtung fliegt, um umzusteigen. Ob er nach diesem Abenteuer wohl seinen Hausarzt aufsuchen wird?

Gravur: August von Wille (1828-1887)


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Berufseinstieg oder Der Wahnsinn der Bürokratie Bei Fragen erreichbar Regierung Oberbayern Approbationsangelegenheiten Tel.: 089 / 2176 – 2634 Bayrische Landesärztekammer Zentrale Mitgliederverwaltung (ZMV) Tel.: 089 / 4147 – 114

 Sarah Kohler

Endlich Arzt !?

eventuell notwendige Versicherungen informiert.

Endlich hat man sein Studium hinter sich gebracht und freut sich, bald das seit vielen Jahren mühsam erworbene Wissen anwenden zu können. Aber zuvor möchte man nach all dem Lernstress gerne noch ein paar Wochen wohlverdiente Pause genießen. Doch leider raucht einem schon bald wieder der Kopf. Diesmal nicht beim Durcharbeiten medizinischer Literatur sondern beim Zusammensuchen aller notwendiger Anträge, die plötzlich auf einen zukommen. Um diese Bürokratie zu vereinfachen gibt es nun seit zwei Semestern das Berufseinsteigerseminar, angeboten von der medizinischen Fakultät der Ludwig - Maximilians - Universität München. Im Dezember 2010 haben sich zuletzt knapp 100 Studenten in diesem Seminar über Anträge, Verträge und

Wieviel verdient ein Assistenzarzt? An einem städtischen Krankenhaus 3.735 € brutto

für 40 h / Woche An der Uni

3.891 € brutto

für 42 h / Woche

Netto bleiben in Steuerklasse I ca. 20 % weniger übrig, den Rest kassiert der Fiskus.

Die Approbation Nach über 6 Jahren Studium und einem äußerst anstrengendem Hammerexamen sollte man denken, dass wenigstens der Erhalt der Approbation nun ein Kinderspiel ist. Wenn man sich dann aber durch den ganzen Dschungel an Information und Horrormeldungen auf Medi-Board durchgearbeitet hat, ist man sich gar nicht mehr so sicher, ob man dieses wichtige Stück Papier in diesem Jahrzehnt noch erhalten wird. Aber Kopf hoch, mit den richtigen Informationen ist es doch ein Leichtes die Approbation schnell in Händen zu halten. Die Regierung Oberbayern, Sachgebiet 55.2, ist zuständig für die Erteilung der Approbation. Mitte Juni und Dezember türmen sich jedes Jahr von neuem bei der Approbationsstelle die Anträge, so dass eine Bearbeitungszeit von über 6 Wochen nicht selten ist. Doch dies kann man deutlich beschleunigen, wenn man seinen Antrag bereits vor dem Examen stellt. Neben einem Antrag zur Erteilung der Approbation, welchen man auf der Homepage der Regierung von Oberbayern1 herunterla1 http://www.regierung.oberbayern.bayern.de/formulare/gesundheit/appo/05048/

den kann, muss man einen lückenlosen, kurz gefassten Lebenslauf, einen gültigen Staatsangehörigkeitsnachweis, die Geburtsurkunde, einen Nachweis über die Namensführung, ein amtliches Führungszeugnis, ein ärztliches Attest sowie gegebenenfalls die Promotionsurkunde und Zeugnisse über bisherige ärztliche Tätigkeiten beifügen. Das Zeugnis wird direkt vom Prüfungsamt an die Approbationsstelle weitergeleitet. Falls man längere Zeit im Ausland verbracht hat, sollte man bedenken, dass die Regierung von Oberbayern Strafregisterauszüge für diese Länder verlangen kann. Um keine böse Überraschung zu erleben, empfiehlt es sich daher frühzeitig Kontakt mit der Approbationsstelle aufzunehmen, um eventuell notwendige Nachweise rechtzeitig beantragen zu können. Berücksichtigt man diese Punkte, erhält man wenige Wochen nach der Mündlichen endlich ein Einschreiben mit dem lang ersehnten Dokument und einer Rechnung über ca. 150 €. Und genau dieses Dokument ist ganz entscheidend, um wirklich einen Vertrag in der Klinik abschließen zu können. Leider kann es vorkommen, dass eine bereits zugesagte Einstellung wegen fehlender Approbation nicht möglich ist.


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Die Ärztekammer

Der Arztausweis

Herzlichen Glückwunsch, mit Erhalt der Approbation sind Sie offiziell Arzt. Leider hat dies nicht nur Vorteile, sondern bringt gleich wieder Kosten mit sich. Denn jeder Arzt der in Bayern arbeitet oder hier seinen Hauptwohnsitz hat, ist verpflichtet sich innerhalb eines Monats nach Erhalt der Approbation bei der bayrischen Ärztekammer anzumelden, ganz gleich ob man aktuell ärztlich tätig ist, oder nicht. Der Jahresbeitrag für die Mitgliedschaft in der Ärztekammer beträgt 0,3 % des Jahresgehalts beziehungsweise minimal 16 €. Genauere Informationen zur Antragstellung findet man auf der Homepage der bayrischen Ärztekammer (www.blaek. de) unter.

Außerdem erhalten Sie von der bayrischen Ärztekammer kostenlos einen Arztausweis. Senden Sie einfach ein Passfoto mit Name und Geburtsdatum sowie einer Kopie ihres Personalausweises mit der Bitte um Ausstellung eines Arztausweises an ihren zuständigen Bezirksverband. Der Personalausweis sollte möglichst nicht in den nächsten Monaten ablaufen, da der Arztausweis genauso lange gültig sein wird, wie Ihr kopierter Personalausweis.

Aber was macht denn eigentlich die Ärztekammer für jeden Einzelnen, so dass man ihr jährlich ca. 170 € zahlen muss? Als ärztliche Berufsvertretung setzt sie sich unter anderem für die beruflichen Belange der Ärzte im Rahmen der Gesetze ein, achtet auf die Wahrnehmung der ärztlichen Berufspflichten und kümmert sich um die ärztliche Fortbildung.

Nach wenigen Tagen werden Sie den Ausweis erhalten und können ab sofort in jeder Apotheke alle Medikamente, bis auf Betäubungsmittel, auch ohne Rezept kaufen, zahlen dann jedoch den kompletten Preis.

Berufseinstieg leicht gemacht Wir hoffen mit diesen Tipps den Berufseinstieg oder den Wahnsinn der Bürokratie für Sie etwas zu vereinfachen und würden uns sehr freuen, Sie beim nächsten

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Berufseinsteigerseminar begrüßen zu können. Zusätzlich werden Sie hierbei noch einige Informationen zu notwendigen Versicherungen erhalten und wir werden Ihnen ein paar Bewerbungstipps mit auf den Weg geben.

Nächstes Berufseinsteigerseminar für PJ-Studenten und Absolventen Zeit

30. 06. 2011 18:30 – 20 Uhr

Ort

Hörsaal des Dr. von Haunerschen Kinderspitals

Anmeldung

ab dem 09.05.2011 unter www.lmudle.de

Themen •

Welche Anträge (Approbation, Ärztekammer, Arztausweis, ...) benötige ich?

Was muss ich bei Bewerbung und Verträgen beachten?

Welche Versicherungen sind notwendig?

Ansprechpartnerin Sarah Kohler Assistenzärztin Neonatologie und Mitarbeiterin im L-Kurs

Sarah.Kohler@med.uni-muenchen.de

Wohin mit den alten OP-Sälen? Die Zukunft Großhaderns

Durch den Bau des neuen riesigen Operationstraktes werden über kurz oder lang die alten OP-Säle in Großhadern leer stehen. Im Raum steht die eventuelle Verwendung für uns Studierende. Da dies aber alles noch hypothetisch ist und noch keine konkreten Pläne vorliegen, würden wir von der Synapse gerne von euch wissen, was ihr denn davon haltet und wofür man diese Räume verwenden könnte. Also lasst eure kreative Ader fließen und schickt uns eure Vorstellungen und Wünsche zu – vielleicht lässt sich der ein oder andere Vorschlag von euch realisieren ... In der nächsten Ausgabe drucken wir die besten Vorschläge ab!

Dein Vorschlag zählt! umfrage@synapse-redaktion.de


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Es waren einmal ... allgemeine Studiengebühren Ausnahmen sind die Regel

 Nadine Ponsel

erkannt hat, dass die Gebühren finanziell zu Der Förderalismus beschert uns die Tatsa- stark belasten, werden auch in Bayern immer che, dass wir neben den Niedersachsen bald mehr Studiernde von der Unimaut befreit. die einzigen Studierenden in Deutschland Zuletzt durften auch diejenigen einen Antrag sind, die Allgemeine Studiengebühren zah- auf Rückerstattung ihrer Gebühren stellen, die len müssen. Nach den Landtagswahlen in ein Geschwisterkind an einer anderen europäischen Universität haben, das Nordrhein-Westfalen verabschiedete sich die Rot-Grüne ca. 30 % sind aktuell von ebenfalls Gebühren zahlen muss. Minderheitsregierung von den den Gebühren befreit Studiengebühren und auch in An der LMU sind aktuell ungeBaden-Württemberg gibt es mit fähr ein Drittel der Studierenden Grün-Rot keine Zukunft für das Zahlstudium von Studiengebühren befreit ... Doch was sind – und übrigens noch die Einführung der Ver- die Gründe für eine Befreiung und wer bleibt fassten Studierendenschaft obendrauf. Wenn auf der Strecke? Niedersachsen und Bayern also zukünftig die einzigen Bundesländern sein werden, in denen Erziehende von Kindern unter 18 Jahren, das Studium bezahlt werden muss, kann man Studierende mit Geschwistern müssen nicht dann noch von Allgemeinen Studiengebüh- zahlen und alle 10 % Besten eines Jahrgangs ren sprechen, oder besser von Bildungszoll? können nach dem Studium ihr Geld zurückDr. Heubisch (Wissenschaftsminister, FDP) verlangen. Was ist mit BAFöG-Empfängern? betont stets, dass die Studienanfängerzahlen Fehlanzeige. Wer erklärt mir den Sinn hinter in Bayern steigen, und das trotz der Studien- der Regelung, erstmal Förderung vom Staat zu gebühren (siehe Pressemitteilung im Kasten). erhalten um die Lebenshaltungskosten wähDiese Argumentation wird auch im nächsten rend des Studiums zu decken, um sie dann in Jahr leicht zu führen sein, wenn wegen des Form von Studiengebühren wieder dem Staat doppelten Abiturjahrgangs unsere bayerischen zurückzuzahlen? Und sind es vor allem diejeHochschulen aus allen Nähten platzen. Sind nigen, die es während des Studiums aus finanes tatsächlich mehr Studierende, die sich für ziellen Gründen schwerer haben, die zu den Bayern entscheiden, oder sind es einfach mehr 10 % Besten ihres Abschlussjahrgangs gehöAbiturienten? ren? Ich bezweifle das. Also bleibt Elite weiterhin Elite, vom Kinderbett bis zur Promotion. Wichtig ist dabei auch der Gesichtspunkt der Wahlfreiheit: wie viele Studierende haben denn Doch noch einmal zum Thema Studiengeschlussendlich die freie Wahl? Niedersachsen bühren: Im Gesetz steht, dass bis zu 10 % der und Bayern stellen gemeinsam ungefähr 25 % Studierenden für besondere Leistungen von der Medizinstudienplätze Deutschlands. ZVS, Studiengebühren befreit werden dürfen. Der Zulassungsbeschränkungen, Familie und sozi- neugewählte LMU- Vizepräsident für Studium, ale Verpflichtungen treffen häufig die Voraus- Prof. Martin Wirsing, hat sich zu diesem Thema wahl des Studienortes. kürzlich weit aus dem Fenster gelehnt. Im UniMagazin sagte er, er werde die Rückerstattung der Studiengebühren an die 10 % Besten der Nicht alle zahlen ... Studienfächer reformieren. Es soll semesterAllgemeine Studiengebühren – nur für Bay- weise eine Chance auf Rückerstattung geben, ern? Auch bei uns kann man davon eigent- und nicht erst nach Ende des Studiums. Das lich nicht mehr sprechen. Weil die Regierung hört sich klasse an! Jedes Semester die Chance auf Rückerstattung zu haben, wenn man zu Befreiung von Studiengebühren den Besten seines Faches gehört, oder andere „besondere Leistungen“ vorweisen kann. Befreiungsgründe an der LMU http://www.uni-muenchen.de/studium/administratives/gebuehr/studiengebuehren/befreiungen/ index.html Antrag und Fristen (LMU) http://www.uni-muenchen.de/studium/administratives/gebuehr/studiengebuehren/befreiungen/ antragundfristen/index.html Alles zur Beitragsbefreiung an der TU http://portal.mytum.de/studium/studienfinanzierung/ studienbeitraege/beitragsbefreiung/

Bild: Akriesch, Wikimedia Commons

Bildungszoll?

 Dr. Wolfgang Heubisch, FDP

Bayerns Wissenschaftsminister Heubisch zu den hochschulpolitischen Plänen der rot-grünen Koalition in Baden-Württemberg 27. April 2011 Bayerns Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch hält die geplante Abschaffung der Studienbeiträge in Baden-Württemberg für den falschen Weg. Heubisch betont: „Die Studienbeiträge haben die Qualität der Lehre deutlich verbessert. Wer auf dieses Geld verzichtet, muss sich genau überlegen, wie er das erreichte Niveau halten kann. Eine Verschuldung ginge jedenfalls voll zu Lasten der kommenden Generation.“ Auch bei der Frage nach der sozialen Gerechtigkeit lohne sich ein genauer Blick: „Die Abschaffung der Studienbeiträge mag eine kurzfristige Erleichterung für den einzelnen bedeuten, mit Chancengleichheit in unserem Bildungswesen hat dies aber wenig zu tun. Ist es wirklich gerecht, wenn Steuerzahler, die selber nicht studiert haben und deren Kinder dies auch nicht tun, die akademische Ausbildung der später besser Verdienenden finanzieren?“ Durch zinsgünstige Studienkredite und Ausnahmeregelungen könne sichergestellt werden, dass jeder Studierwillige auch tatsächlich studieren kann. Das Beispiel Bayern zeige, dass der Zuspruch für ein Studium durch die Beiträge nicht gelitten habe.

Quelle:   Pressemitteilung vom 27. April 2011

Rückerstattung nur auf Antrag!

werden, für uns und alle Magisterstudierenden bleibt es wohl dabei:

Doch wie legt man fest, wer die 10 % sind, die für ihre besonderen Leistungen befreit werden, wenn es Fächer gibt, in denen semesterweise gar keine Noten erhoben werden? Oder wie bei uns in Medizin, kein zentrales Register aller Prüfungen eines Semesters erfasst? Naja, wir freuen uns für die vielen Bachelorstudierenden, die in Zukunft wohl in den Genuss dieser Befreiung nach jedem Semester kommen

Erkundigt euch nach dem Examen beim Prüfungsamt. Gehört ihr zu den 10 % Besten, dann stellt einen Antrag auf Rückerstattung der Studiengebühren bei der Studentenkanzlei, denn automatisch funktioniert das nicht. Bisher nehmen ca. 3 % der Berechtigten diese Möglichkeit war. Die anderen 7 % wissen dank der mageren Informationspolitik unserer Hochschule vermutlich gar nichts davon.


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Studium und Arbeit

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Kein Pharmabuch im herkömmlichen Sinn Rezension eines Buches der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft „Arzneiverordnungen“ richtet sich in erster Linie an Hausärzte, soll aber auch dem Medizinstudenten höherer Semester als praxisnaher Begleiter dienen, indem es objektiv in allen Fragen der Arzneitherapie berät. Ziel ist es einen Wegweiser zu bieten, der bei der Flut an Informationen, die aus unterschiedlichsten Interessen veröffentlicht werden, anzeigt, welche Pharma-Therapie an erster Stelle eingesetzt werden sollte, wobei auch rationale und wirtschaftliche Aspekte miteinfließen. Das Buch ist also kein Pharmakologie- Lehrbuch im herkömmlichen Sinn. Kann es dem Studenten trotzdem helfen?

Der Aufbau des Buches Das Einführungskapitel setzt sich kritisch mit Arzneimittelstudien auseinander und beschreibt, wie diese zustande kommen, wer beteiligt ist und Einfluss nimmt, und gibt Quellen an, um an unabhängige Arzneimittelinformationen zu gelangen. Die Gliederung des Buches ist sehr übersichtlich, und durch eine farbliche Griffleiste sind die Kapitel wie Schmerz, Infektionen, Nervensystem, Herz und Kreislauf, usw. gut zu finden. Jedes Kapitel ist gleich aufgebaut: Zu Beginn gibt es einen grünhinterlegten Textkasten mit der Überschrift „Fazit für die Praxis“ in dem, bestens für Studenten, die wichtigsten Facts zur Krankheit (auch die Relevanz) erwähnt werden. Also eine sehr kurze Zusammenfassung über Ursachen, Klinik und welche Therapeutika in Frage kommen. Dazu gibts auch gleich Hinweise, ob Studien vorliegen, die die Wirksamkeit belegen. Es folgt eine Wirkstoffübersicht in Form von zwei Spalten, eine grün hinterlegt auf der linken Seite, mit den empfohlenen Wirkstoffen – zum Glück für den Studenten beschränkt auf die wichtigsten, meistgenutzten und gut bewährten Präparate. In der linken Spalte gibt’s weitere Wirkstoffe, die eine geringere Rolle spielen, und in einer Kurzcharakteristik am Ende des Buches nur äußerst knapp beschrieben werden. Wer an dieser Stelle genaueres über Raritäten, veraltete, vom Markt genommene, oder auch die neuesten Präparate erfahren will – soll ja in Pharmaklausuren

durchaus mal gefragt werden – muss auf andere Bücher zurückgreifen. Weiter geht’s mit den klinischen Grundlagen der Krankheit. Dieser Abschnitt kann dem Medizinstudenten sehr gut als Wiederholung dienen, damit man neben dem Medikamentelernen auch noch ein bisschen Wissen über Definition, Pathologie, Einteilung und Diagnostik der Krankheit auftanken kann. Erst dann kommt die spezielle Pharmakotherapie, schön strukturiert und ganz übersichtlich aufgebaut mit Wirkstoffgruppen, die dann genauer beschrieben werden. Es wird immer darauf hingewiesen, welches Präparat Mittel der 1. Wahl ist, so verliert der Student nicht den Überblick. Am Ende des Kapitels sind noch die Preise der Arzneimittel aufgelistet. Nicht unbedingt prüfungsrelevant (oder doch?) aber auf jeden Fall nicht uninteressant. Zu manchen Themen gibt es auch anschauliche Grafiken, die einem aus der Verwirrung helfen, z.B. Wie gehe ich bei der antihypertensiven Therapie stufenweise vor.

Aufs Wesentliche reduziert Wer in dem Buch nun beim Pharma lernen ab und an nachschlagen möchte, muss sich mit einem Wirkstoff- und einem Sachverzeichnis hinten im Buch zufriedengeben: Es gibt kein Stichwortverzeichnis! Die Suche im Wirkstoffverzeichnis ergibt immer sehr viele mögliche Trefferseiten, auf denen das Wort dann einmal erwähnt wird. Also wer z.B. Haloperidol sucht, schaut am besten gleich bei Psychose und grast nicht erfolglos alle angebenen Seiten ab. Ansonsten kann man dieses Buch sehr gut gebrauchen. Es ist nicht überfrachtet oder unübersichtlich, sondern einfach und klar strukturiert. Das hat etwas Herold-artiges oder entsteht der Eindruck nur wegen des dünnen Papiers? ;-)

 Vera Linckh

Es handelt sich weder um ein Lehrbuch (es gibt z.B. keine Grundlagen zur Pharmakodynamik oder Kinetik) noch um eine rote Liste – sondern es enthält die ca. 500 wichtigsten Empfehlungen. Das Schöne ist, dass der Student, der ja keine klinische Erfahrung hat, die Bedeutung von bestimmten Pharmaka abschätzen lernt, da dieses Buch sehr viel Wert auf die Praxisrelevanz legt und nicht alle auf dem Markt erhältlichen Präparate aufzählt.

Fazit Es ersetzt kein Lehrbuch, wenn es um die Prüfungen geht (aber das will es ja auch nicht), eignet sich jedoch wunderbar um Wissen über Krankheitsbilder zu ergänzen und aufzufrischen, außerdem lässt es einen den Überblick behalten oder wiederfinden, wenn man ihn beim Studieren des Kleingedruckten im Karow verloren hat.

Arzneien und Fakten Jeder Arzt setzte 20071 für gesetzlich versicherte Patienten durchschnittlich 185.000 € für Medikamente um. Spitzenreiter waren dabei Nervenärzte, dicht gefolgt von den Internisten. Schlußlichter bei der Verordnung waren die Chirurgen. Trotz rückläufiger Verordnungszahl (zuletzt 582 Millionen) stieg der Umsatz mit den Medikamenten kontinuierlich weiter auf 24,8 Milliarden €. Zum Vergleich: 91‘ waren bei knapp über einer Milliarde Verordnungen nur 14,8 Mrd. € umgesetzt worden. Das Ganze trotz eines deutlichen und fortwährenden Anstieges der Generika-Verordnungen auf insgesamt 65,4 %. Das führende Medikament bei den Verordnungen schlechthin war L-Thyroxin Henning, mit deutlichem Abstand gefolgt von MetoHEXAL, Voltaren und Diclofenac-Ratiopharm. Das weltweit teuerste Medikament ist 2010 gemäß Forbes Soliris von Alexion Pharmaceutical – eine jährliche Anwendung kostet je Patient 340.000 €. Soliris ist ein Medikament mit der die sehr seltene (bspw. sind davon nur etwa 8000 Amerikaner betroffen) Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie behandelt wird. 1 Die Zahlen beziehen sich auf 2007 und gesetzlich Versicherte


Erasmus in Strasbourg  Elena Kindsvater

Eigentlich habe ich nie im Vorfeld den Wunsch geäußert, ausgerechnet nach Strasbourg zu gehen. Ich wollte unbedingt einen Erasmusaufenthalt während meines Medizinstudiums absolvieren und falls es nach Frankreich gehen sollte, dann eher in eine Großstadt.

eine bescheidene Summe, wenn man es auf ein Jahr hochrechnet.

Außerdem bekommen die Medizinstudenten in Frankreich jeden Monat ca. 100 €. Wenn man im letzten Jahr ist, sogar mehr. Sodass man dadurch bei den Wohnkosten etwas entlastet wird. Es gibt ausgesproDass Strasbourg nicht allzu groß ist, wissen Die C.A.F. (Caisse d'allocations familiales) chen viele wirklich sehr tolle Altbauwohnungen wahrscheinlich die meiszahlt jedem Studenten Wohngeld. in Strasbourg, in denen ten von euch. Dass aber dieses kleine französische Städtchen, nicht man im Rahmen einer Wohngemeinschaft weit von der deutschen Grenze, perfekt für ein auch als Student ziemlich schick und sehr zenAuslandsjahr geeignet ist und eine riesige Men- tral leben kann. ge an wertvollen Erfahrungen und Möglichkeiten bietet, wohl eher die wenigen. So war ich Das Programm vor der Uni lohnt sich doch selbst skeptisch am Anfang. Man hat die Möglichkeit, bereits einen Monat bevor die Uni anfängt nach Strasbourg zu komDie richtige Entscheidung men und einen zweiwöchigen Sprachkurs zu Schnell hat sich herausgestellt, dass dies die absolvieren und einige Fahrten und Veranstalrichtige Entscheidung war, auch wenn dieser tungen, die von der Université de Strasbourg, Aufenthalt mit ein paar mehr oder wengiger bezahlt werden zu machen. Es lohnt sich auf seriösen Schwierigkeiten verbunden war. So alle Fälle, denn es wird sehr viel geboten und habe ich am Anfang das versprochene Studen- in diesen zwei Wochen lernt man eine Menge tenwohnheimzimmer nicht bekommen und an Erasmusstudenten aus allen Fachrichtunmusste mir ein paar Wochen vor der Abreise gen kennen und nicht nur die aus der Medizin, selbstständig was zum Wohnen suchen. Appar- mit denen man dann eigentlich das ganze Jahr tements oder Wohngemeinschaften sind deut- lang in der Uni zu tun hat. lich teurer in Frankreich, als StudentenwohnDiese Zeit am Anfang ist wirklich die interesheime. Jedoch zahlt der französische Staat jedem, auch den Studenten aus dem Ausland, santeste, weil man so viel Neues sieht und auf Wohngeld, dessen Höhe von der Miete oder einmal alle Länder Europas und deren Kultur der Art der Wohnung (Studentenwohnheim/ in Form von einer Person vor einem vertreten Apartement) abhängt und dies ist nicht gerade sind. Man kann die Menschen über ihr Land

ausfragen und Fragen stellen, die man immer schon mal von einem Einheimischen beantwortet haben wollte.

Feiern und Studieren – geht beides? Es stimmt, dass man als Erasmusstudent jeden Tag was unternimmt und viel feiert. Jedoch in dem Fach Medizin ist es leider nicht einfach das Feiern und die Tatsache, dass man sein Auslandsstudium ernst nehmen möchte und vielleicht auch gute Noten schreiben will, zu kombinieren. Denn meiner Meinung nach ist das Medizinstudium in Frankreich viel strenger und mit viel mehr Aufwand verbunden als in Deutschland. Die Lehre ist aber wirklich sehr gut, die Praktika sind interessant und man nimmt viel mit. Die beiden ersten Fächer, die ich hatte, waren Gynäkologie und Psychiatrie. Bei den Franzosen sind die Praktika ganztägig und es wird allgemein viel Wert auf die praktische Ausbildung gelegt. So darf man, wenn man sich nicht gerade blöd anstellt, auch Kinder zur Welt bringen. Dafür muss man sich einfach bei den Hebammen nett vorstellen und denen die Bereitschaft zeigen, dass man etwas lernen will und sich dafür interessiert. Bei den Operationen wird auch viel assistiert, wobei ich nicht finde, dass man als Student viel machen darf. Denn die Asisstenzärzte (interne) machen meist die ganzen kleinen Aufgaben wie Nähen. Dafür kann man wirklich in alle möglichen Ops rein und sieht wirklich sehr in-


Synapse 55 teressante Sachen wie Brustrekonstruktionen, Hysterektomien usw. Die französischen Medizinstudenten müssen während ihres Studiums 36 Nachtdienste machen. Diese beginnen um 18 Uhr abends und enden um 9 Uhr früh. In der Nacht kommen natürlich viele Notfälle, somit sehen sie bereits im Studium, womit sie es später als diensthabende Ärzte zu tun haben. Diese Nachtdienste (une garde) sind sehr sinnvoll, jedoch für die Erasmusstudenten keine Pflicht. Falls man aber so einen Dienst mitmachen möchte, braucht man sich eigentlich nur kurz dafür anmelden. Die Gynäkologie ist sehr praktisch als Fach und deswegen hatte ich auch sehr viel Spaß. Man darf zwischen den verschiedenen Bereichen rotieren und die Ärzte sind freundlich. Die Psychiatrie ist zwar sehr renomiert in Strasbourg, dennoch fand ich es nicht gerade berauschend den ganzen Tag auf Station zu sein und bei den therapeutischen Gesprächen zuzuhören. Denn das Einzige, was man eigentlich selbstständig machen kann, ist, falls Mal neue Patienten kommen, diese aufzunehmen und ein EKG zu schreiben.

Studium und Arbeit Reine Unterrichtsfächer sind z.B. Augenheilkunde, HNO, Dermatologie, Geriartrie. Da hat man auch keine Praktika. Am Anfang jedes Seminars gibt einen kleinen Test (TD), der 10 Minuten dauert und den Stoff, den man zu diesem Tag hätte lernen müssen, abprüft. Diese Punkte ergeben am Ende eine Note und werden zur Endnote dazu gerechnet. Das heißt, dass man eigenlich kontinuierlich die ganze Zeit mitlernen muss.

In Strasbourg werden jedes Jahr eine Menge Events veranstaltet. So findet an einem bestimmten Tag die Fête de la Musique statt. Zu dieser Zeit ist wirklich in jeder Ecke der Stadt eine Bühne aufgebaut und es wird Musik aller Richtungen gespielt. Alle sind bis spät in die Nacht auf den Straßen unterwegs und haben sehr gute Laune. Desweiteren gibt es in Strasbourg zahlreiche Märkte, Karneval und Feuerwerke.

Facharzt nach Note

Außerdem darf man als Student an bestimmten Tagen umsonst in die Museen rein und auch wenn man irgendwo den Eintritt zahlt, ist es für die Studenten oft sehr viel günstiger als der normale Preis. Es gibt auch ab und zu Kinotage, da können alle Bürger für nur ca. 2,50 oder drei Euro pro Film ins Kino gehen.

Was ich in Frankreich nicht so gut finde, ist, dass man am Ende sich seinen Facharzt nur selber aussuchen kann, wenn man eine sehr gute Note hat. Das heißt am Ende des Studiums kriegen die Franzosen eine Note, so wie bei uns im letzten Examen. Wenn man eine eins hat, dann kann man sich die Facharztrichtung und den Ort der Facharztausbildung aussuchen. Falls

Einmal in der Woche hat man dann den theoretischen Unterricht zur Psychiatrie und Gynäkologie und nach den zwei Monaten schreibt man die die beiden Klausuren.

Dazu kommt bei Erasmusstudenten natürlich noch die Schwierigkeit mit der Sprache dazu. Am besten man fängt schon von Anfang an zu lernen und bearbeitet nebenbei klinische Fälle zu dem jeweiligen Fach.

Das Studium in Frankreich Das Jahr in Frankreich ist in vier Bimester (ca. 2 Monate) aufgetelt und es gibt keine Semesterferien im Winter. Das eine Bimester hat man die Praktika, also z.B. Gynäkologie und Psychiatrie und das andere nur Unterricht und dann wieder einen Wechsel.

Natürlich darf man nicht die Europäischen Institutionen vergessen, die sich dort befinden. Diese haben mindestens ein Mal im Jahr den Tag der offenen Türen. Es werden Führungen gemacht und Vorträge gehalten. Die Organisation ist wirklich super und man erfährt sehr viel. Ntürlich kann man auch an anderen Tagen in die Institutionen rein, nur muss man sich rechtzeitig davor für die Führungen anmelden.

Klausuren Die Klausuren sind ein Thema für sich. Ich persönlich finde sie alles andere als leicht. Es sind keine MCPKlausuren. Man bekommt einen klinischen Fall und dazu Fragen und muss auf diese Antworten und am Ende eine Diagnose stellen. Einfach darauf zu antworten ist aber nicht ausreichend. In diesen Antworten müssen nämlich Schlüsselwörter vorkommen (mots clés), ohne diese Fachausdrücke gibt es keine Punkte, auch wenn man das Ganze richtig umschrieben hat.

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Essen und Transportmöglichkeiten

man jedoch keine gute Note hat, dann wird man vom Staat zugeteilt. Dann muss man den Facharzt für etwas machen, wo noch Plätze da sind. Und natürlich wird der Ort der Facharztausbildung auch nicht gerade Paris, Lyon oder Südfrankreich sein, weil diese Orte am beliebtesten sind und von den Absolventen mit guten Noten vergriffen werden. Das Studium der Medizin finde ich dennoch qualitativ sehr hochwertig und gut.

Freizeit in Strasbourg In Strasbourg kann man sehr viel unternehmen. Es gibt zum Beispiel die Laiterie. Dort finden jede Woche Konzerte statt von sehr bekannten Künstlern und auch weniger bekannten. Als Student kann man bereits ab fünf Euro ein Konzert besuchen. Dies ist wirklich fantastisch, weil ich bereits Konzerte für fünf Euro gesehen habe, die wirklich einmalig waren. Für so einen niedrigen Preis kriegt man wirklich etwas Tolles geboten.

Das typische elsässische Gericht ist die Tarte flambée (Flammkuchen). Diesen gibt es in fast allen Restaurants und auch im Supermarkt zu kaufen. Auch gute Weine kann man in Strasbourg zu einem fairen Preis erwerben. Bis einschließlich 25 Jahre kann man in Frankreich die Carte 12 - 25 kaufen, diese kostet ungefähr 50 Euro und erlaubt 50 % Nachlass auf alle Bahnfahrten, sofern es sich nicht um Hochgeschwindigkeitszüge handelt. So kann man sehr günstig interessante nah gelegen Städte und Ortschaften besuchen, wie Nancy, Colmar, Reims und die Route du Vin, die Weinstraße. Paris ist mit einem TGV innerhalb von zwei Stunden zu erreichen und auch Lyon ist nicht allzu weit weg. Eigentlich lässt sich nicht Mal ein Bruchteil dessen, was ich in diesem Jahr in Strasbourg erlebt habe, hier reinschreiben. Trotzdem hoffe ich, dass ich euch einen kleinen Überblick über diese Stadt und das dortige Medizinstudium gegeben habe. Ich würde wirklich jedem raten, dort einen Auslandsaufenthalt zu machen, falls sich die Gelegenheit ergibt.


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Die Knoblauchzehe oder die Suche nach der Liebesgöttin  Natalie Grisin

Felix blieb stehen, nahm seine schwarze Mütze vom Kopf und steckte diese in seine Jackentasche. Die blon- den Haare fielen ihm ins Gesicht, was ihn aber weiter nicht störte. Der Junge zog seine Jacke zurecht und rückte seinen Schulranzen nochmals gerade. Er schleppte sich ab mit seiner großen Grundschultasche. Wie oft hatte er seine Mutter um eine neue Tasche angefleht? Kleine Schiffchen, Kreise, Wellen und bunte Punkte – für einen 12-jährigen einfach peinlich! Er kickte ein kleines Steinchen mit dem Fuß weg und beobachtete, wie es mit Wucht an einem Garagentor abprallte: „Peng!“, es klang nach der großen Verzweiflung, die Felix fühlte. Er würde diese blöde, aber leider gut erhaltene Tasche lieber seiner Schwester Ana schenken. Sie würde wohl im Herbst in die erste Klasse kommen. Aber ob einem kleinem Mädchen solch ein Muster gefallen würde das war die Frage. © Ale_Paiva / sxc.hu

seinen Freunden zu treffen. Aber dazu hatte er keine besondere Lust mehr. Stundenlang durchquerte er die Straßen der Stadt, beobachtete die Menschen und überlegte, ob diese glücklich seien. Ob seine Familie je wieder glücklich sein konnte? Alle zusammen glücklich? Er musste dazu dringend etwas beitragen dessen war sich Felix sicher.

Miklas Nach der Schule ging er die Straße eine Weile schweigend Seite an Seite mit seinem besten Freund Miklas entlang. Der war zwar etwas pummelig und klein, galt aber als Menschenseelenkenner in der Klasse. „Du, Miklas, kannst du ein Geheimnis bewahren?“ Miklas nickte. „Ich glaube schon lange stimmt etwas mit meinen Eltern nicht!“ Miklas hob eine Augenbraue, was symbolisierte, dass er das Thema ziemlich spannend fand:“Sprechen Sie miteinander oder gehen sie eher einander aus dem Weg?“

Sherlock Holmes Miklas demonstrierte seine Wörter sogleich mit den entsprechenden Körperbewegungen. Er versteckte sich zuerst hinter einem dicken Kastanienbaum und guckte vorsichtig heraus, danach machte er schleichende Katzenbewegungen und lief geduckt zum nächsten Baum. „Jetzt du! Ich spiele deinen Vater.“ Felix schmiss seine Schultasche auf den Boden und versuchte Miklas nachzuahmen. Beim „Baumwechsel“ stolperte er durch einen Ast und lag mit seinem Gesicht auf der feuchten Erde. „Da müssen wir noch üben.“, von oben nach unten musterte der Trainer seinen eifrigen Schüler. Die ganze nächste Woche nach der Schule trainierte Felix im nahegelegenen Park, alle möglichen Tricks und Kniffe sich möglichst unsichtbar zu machen. Dazu hatte er extra ein paar Bücher über den berühmten Detektiv ausgeliehen. Dann kam der entscheidende Tag. Es war wieder ein Samstag. Während des Frühstücks sah Felix aus dem Augenwinkel heraus, dass sein Vater vor hatte, das Haus zu verlassen. Unter dem Vorwand er wolle sich dringend mit Miklas treffen, legte er seinen Teller mit Besteck mit halb geleerter Tasse in die Spülmaschine und stürzte aus dem Haus.

Felix sah, dass der Vater unterwegs zum Park war. Nach dem er angekommen war ließ sich der Vater gemütlich auf eine Bank fallen.Er schickte Miklas eine kur„Sie treffen sich fast nie. Und das denke ich bewusst“ Das Objekt ist im Park, dritte Bank ze SMS: „Das Objekt ist im links, brauche Unterstützung Park, dritte Bank links, brauche Unterstützung“. „UnterEr seufzte tief. Die Beziehung zwischen seinen „Wer kocht das Essen?“ wegs,“ kam die Antwort. Bald sah Felix, wie Eltern stimmte schon lange nicht mehr. Vor einigen Monaten stritten die Eltern in Anwesen„Meine Mutter für mich und meine Schwes- sich sein Freund schleichend dem vereinbarten heit der Kinder heftig miteinander. Das böse ter. Der Vater trinkt nur Kaffee und meint im- Ort näherte. Eine blonde Frau tauchte plötzWort „Scheidung“ war mer er hätte keinen lich auf dem Parkweg auf und sprach seinen Vater an. Dieser stand auf, nickte und nahm auch im Spiel. Seit- Das böse Wort "Scheidung" war auch im Spiel. Hunger“ ihre Hand. „Tatsächlich eine Frau!..“ ging es dem mieden beide den Kontakt zueinander. Es gab kein gemeinsames „Hmmmh ... Schlafen deine Eltern miteinan- ihm durch den Kopf. „Welches Recht hat diese Barbie meinen Vater anzusprechen!“, er ballte Frühstück, keine gemeinsamen Ausflüge zum der?“ Felix errötete und schüttelte den Kopf. seine Handflächen vor lauter Wut zu Fäusten. Münchner Ostpark, sogar kein richtiges Interesse an dem Leben von Felix und seiner klei„Aha..“, hier kam auch schon der Experte Sein Vater schien sich sehr gut mit der Blonnen Schwester Ana mehr. Sein Vater nahm ein zum Vorschein, “Cherchez-la-femme.“ Miklas den zu amüsieren. Die Beiden sprachen lebhaft neues Jobangebot an und war deshalb oft auf war Halbfranzose und lies es auch manch- miteinander und umarmten sich. Felix musste Dienstreisen. Sogar wenn er zu Hause warlas mal zum Vorschein kommen „Was meinst du unbedingt wissen, um was es ging. er meistens Zeitung oder verbrachte seine Zeit damit?“, wollte Felix wissen.“ „Da ist mit SiVon der anderen Seite des Weges übermittelte mit Fernsehen schauen. Sehr selten nahm er cherheit eine andere Frau im Spiel! Du musst beide Kinder auf einen Spaziergang in den Park deinen Vater beschatten!“ „Und wie geht das?“ ihm Miklas „Signale“. „Was meinst du?“, deutete Felix seinem Freund mit Handbewegunmit. Aber dort schwieg er wieder. Seine Mutter arbeitete seither länger. Felix musste täglich „Schon mal etwas von Sherlock Holmes ge- gen an. Miklas versteckte sich seitlich hinter Ana vom Kindergarten abholen, nach Hause hört? Mache dich durchsichtig, beschatte sei- dem Baum, bückte sich und schlich weiter, machte eine seitliche Bewegung nach vorn und bringen, das Essen vom Vortag aus dem Kühl- ne Schritte, beobachte..“ fiel auf den Boden und versuchte etwas zu lauschrank erwärmen, danach seine Hausaufgaschen. Danach stand Miklas auf und deutete ben schaffen, mit Ana spielen, und schließlich auf das Paar. Es hieß, sein Freund solle seine schlafen gehen. Samstags und sonntags hatte er „dienstfrei“. Da hatte er etwas Zeit sich mit


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gute Ausbildung benutzen und versuchen sich dem Paar zu nähern.

im Sport bekommen! Aber wie er sich geärgert hat, das war das Beste!“, bemerkte er amüsiert.

ten die Freunde bei Gelegenheit Anfang nächster Woche das Tollwood zu besuchen.

Mit klopfendem Herzen und im Schutz der Büsche näherte sich Felix auf Zehenspitzen der Bank. Die Zwei waren in ein Gespräch vertieft und bemerkten ihn nicht. Der Junge machte sich so lang wie möglich und glich damit einem dünnen Grashalm. Er konnte schon einige Fetzen des Gesprächs belauschen, als ihn etwas feuchtes und kaltes in den Oberschenkel stupste. Felix erschrack so stark, dass er das Gleichgewicht verlor und auf dem Po landete. Vor ihm stand der gefleckte Foxterrier des Nachbars mit einem Tennisball im Maul und wedelte eifrig mit dem Schwanz. Felix hob den Kopf und sah, wie sich Miklas auf der anderen Seite, mit einer Hand auf dem Bauch, vor Lachen krümmte. „Verschwinde!“ fauchte er dem Hund zu,“Geh weg, ich bin beschäftigt“ Der Hund war aber bester Laune: Er legte vorsichtig den Ball auf das Gras und machte seitlich zwei Hüpfbewegungen im Anschluss daran bellte er fröhlich- ganz klare Einladung zum Spielen. Felix hörte schließlich einen leisen Pfiff: „Ricki!“.

„Denkst du, er hat mich gesehen?“ „Nee, maximal dein kariertes Hemd!“ „Miklas, es gibt sicher Ärger zu Hause. Ich bin einfach ein Detektiv in einer Pechsträhne“, behauptete er traurig. „Hey lass den Kopf nicht hängen, wir lassen uns etwas anderes einfallen.“

Der Wahrsager

„Oh, Mann! Der Nachbar hatte ihm gerade noch gefehlt!“,dachte der Junge über die brenzlige Situation nach:“ Wenn ich zögere, werde ich entdeckt“ In seiner Verzweiflung nahm er den Ball und schleuderte ihn hoch Richtung Stimme: “Geh zu deinem Herrchen!“, flüsterte er. Der Hund raste los. „Das gibts doch nicht!“ hörte er lautes Schimpfen, “Was für ein Dreckskerl erlaubt sich solche Witze! Was für eine Frechheit!“ „Aha! Getroffen! Das tat weh!“ Die zwei auf der Bank wurden auf den Fall aufmerksam. Heute hatte er sicherlich Pech. Was hätte der erfahrene Sherlock Holmes in dieser Situation gemacht? Miklas gestikulierte ihn aus seinem Versteck. Felix musste das Schlachtfeld schnellstmöglich verlassen.

Hausarrest Beim Mittagessen entdeckte seine Mutter das karierte Hemd auf der Waschmaschine. „Du hast es wieder geschafft: ein Knopf fehlt auf deinem Hemd. Denkst du, ich habe immer Zeit und Lust deine Sachen zu flicken?“ , fragte sie. Felix schwieg und starrte auf den Boden: seine Mutter durfte auf keinen Fall die Wahrheit erfahren. „So,Felix, du stehst unter Hausarrest.“, seine Mutter wählte eine passende pädagogische Maßnahme,“ Du verbringst den Rest des Tages in deinem Zimmer. Und keine Beschäftigung mit dem Computer. Mach gefälligst etwas Sinnvolles!“ Felix konnte nur kleinlaut beigeben. Zuerst versuchte er sich auf das Buch „Was Jungen können wollen“ zu konzentrieren. Das war schwierig, denn es ging auf jeder zweiten Seite unter anderem darum bei allen Aktivitäten einen Freund oder zumindest seinen Vater dabei zu haben. Der Junge schob das Buch zur Seite und überlegte, was er als nächstes tun solle. Sein Handy klingelte und auf dem Display erschien die Nummer von Miklas.

Die Gelegenheit ergab sich von alleine, als die Klassenleiterin einen Unterrichtsgang zur Handwerksmesse auf der Theresienwiese verkündete. Gleich beim Eingang bekamen die Schüler die Möglichkeit sich innerhalb von zwei Stunden die einzelnen Künstlerstände selbstständig anzuschauen. „Wo geht ihr hin?“, wollten ein paar Mädchen aus der Klasse wissen. „Wir müssen unbedingt einen Stand mit Stricksachen anschauen!“, Miklas beantwortete rasch die neugierige Frage und zog seinen Freund am Ärmel schnell in das Innere des Tollwoods. Das Wahrsagerzelt war nicht zu übersehen es befand sich unter einem großen Baum am anderen Ende der Messe. Beim Eingang versprach ein großes Plakat mit aufgemalten Tarot-Karten, verschleierten Frauen und schwarzen Katzen die reine Wahrheit. „Na, los, geh hin“, Miklas schubste seinen Freund. Felix ertastete einen fünf Euro-Schein in seiner Hosentasche, schob entschieden den schwarzen Vorhang beiseite und trat hinein.

In dem verdunkelten Raum stand ein runder Tisch auf dem eine schwere Tischdecke lag. In der Mitte leuchtete eine große blaue Kugel. Auf der Tischfläche waren ordentlich geordnet zwei Stapel bunter Karten und mehrere verschiedenartige Knoblauchzehen. Verschiedenförmige Kristalle warfen bunte Kringel an „Hi, Felix! Was machst du gerade?“ die Wände und die Decke. Am Tisch stand ein massiver Sessel, auf dessen Rückenlehne eine „Ich stehe unter Hausarrest.“ gelbäugige Eule behäbig trohnte. Felix streckte „Ungerechtigkeit. So was fieses diese Erwach- seine Hand aus und berührte den Vogel. „Du senen. Man quält sich für deren Wohlbefinden siehst aber echt cool aus“, flüsterte er dem ausab, sie bemerken das aber nicht. Soll ich dich gestopften Vogel zu. Seine Augen gewöhnten vor deiner Mutter vielleicht verteidigen?“, sich langsam an die Dunkelheit. Keiner war Rückzug zu sehen,alles war still. „Hallo ...?“, schlug er vor. Er rannte wie der Wind in das Dickicht, um Ist hier jemand? sprach er in die Dunkelheit. „Ist hier jemand?“ „Es ist nicht so schlimm, sie wird es sodie Büsche und Bäume in zick-zack Bewegungen Richtung Wohnblock. Nur dort drosselte wieso nicht verstehen. Lass es. Warum rufst du „Einen Moment, bitte. Ich komme,“ hörte er sein Tempo, ging um den Spielplatz und blieb an?“ er eine männliche rauchige Stimme und der schnaufend gebückt stehen. Beide Handflä„Nächste Woche fängt das Tollwood an. Ich Vorhang mit den Sternchen am anderen Ende chen auf die Oberschenkel gestützt, wie nach einem anstrengenden Marathonlauf, versuchte habe eine Werbung im Fernsehen gesehen. Da des Raumes ging auf. Ein dicker verschlafener Mann, voll in schwarz gekleidet mit sämtlichen Felix seine Atmung wieder zu beruhigen. Sein können wir hin, zu einer Wahrsagerin.“ Ketten und Kettchen um Hals und an anderen Gesicht brannte wie nach einem Sonnenstich, „Seit wann bist du denn abergläubisch?“, Plätzen kam zum Vorschein. an der Hemdleiste fehlte ein Knopf. Er hatte furchtbares Seitenstechen und vor allem ein wollte Felix wissen. Felix wurde sofort mulmig: „Und wo ist die schlechtes Gewissen. „Es ist eine lange Geschichte, das erzähle Wahrsagerin?“ Miklas kam bald hinterher und versuchte ich dir vieleicht beim nächsten Mal. Übrigens, „Ich bin es“, antwortete der Mann, „Der nicht erneut in Lachkrämpfe auszubrechen:„ ich habe dein Verhalten in Anwesenheit einer schwarzen Katze beobach- Wahrsager!“. Der Ring in seinem linken Ohr Das war ein super Wurf! Du glänzte dem Jungen verschwörerisch zu. „Was hast ihn direkt auf die Glat- Das war ein super Wurf! Du hast ihn tet“, argumentierte er. willst du, mein Junge?“ ze getroffen! Sniper!! Sicher direkt auf die Glatze getroffen! Felix konnte das Arguhättest du eine Eins mit Plus ment nicht entkräftigen. Schließlich vereinbar-


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„Ich... ich möchte die Wahrheit wissen“ druckste Felix herum. „Hmmmh, und wie alt bist du? Ich darf eigentlich nur Personen ab 18 Jahren beraten.“ „Dreizehneinhalb“, fügte er seinem Alter etwas hinzu.

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wird dir selber im richtigen Moment begegenen“, er drehte die weiteren vier Karten um. Sie zeigten alle ein eindeutiges Herzmuster: „Hmmmh, seltene Kombination. Schau her, die Entscheidung liegt allein in deinen Händen und nur du kannst den König von der Dame entfernen.“ Die Beratung war zu Ende. Felix stand auf.

Nummer sicher gehen. Wir fangen an unsere Göttin auf dem Marienplatz zu suchen!“, ließ Miklas seinen Vorschlag triumphierend verlauten und fügte hinzu, „ Jeder, der nach München kommt, besucht früher oder später den Marienplatz. Ich denke, wir haben dort wirklich gute Chancen.“

Am Samstag fuhren die zwei Freunde in die „Warte, warte, nimm dein Geld zurück. Ich Stadtmitte zum Marienplatz. Der überfüllte wollte nur überprüfen, ob du deinen Besuch Platz sah wie ein voll beschäftigter Bienenbei mir bewusst ernst nimmst. Du hast übri- stock aus. Anhand der Kleidung, der Sprache Felix schüttelte seinen Kopf: „Nein, es geht gens auch einen anderen Tarif...“ , seine große und vielen enorm überfüllten Tüten erkannte um meine Eltern, meine Schwester und mich“, Hand drückte den fünf Euro-Schein mit einer man die typischen Touristen und die eingeer legte eine Pause ein, “Wir sind keine richtige kleinen Knoblauchzehe in seine Handfläche. fleischten Einheimischen, die in das Herz der weltberühmten Stadt gekomFamilie mehr, alle sind unglücklich. Ich dachte, „All meinen Respekt für dein Vorhaben. Und vergiss nicht, Vergiss nicht, die Knoblauch- men waren. Diese standen in ich kann allen helfen.“ Gruppen und Grüppchen, gesdie Knoblauchzehe zu schälen, zehe zu schälen. tikulierten, kommunizierten, „Na gut. Hast du das Geld dabei?“ Felix dann entfaltet sie sich am Besstreckte dem Wahrsager seinen Geldschein ten,“ gab er ihm die letzten Ratschläge als sie umarmten, begrüßten oder ignorierten einander. Felix blickte Miklas unsicher an: „Welche entgegen. Dieser nahm das Geld , steckte es Richtung Ausgang gingen. Richtung?“ Miklas war mit der Frage sichtlich in eine kleine schwarze Tasche am Gürtel ein Felix kam wie berauscht aus dem Zelt. Mi- überfordert. Er zuckte mit den Schultern und und deutete dem Jungen schweigend auf einen Stuhl an der anderen Seite des Tisches Platz klas stürzte ihm entgegen: „Du warst dort eine nickte mit dem Kopf Richtung Fischbrunnen: halbe Ewigkeit! Kennst du jetzt die Wahrheit? „Fangen wir vielleicht dort an?“, schlug er vor. zu nehmen. Wie war die Wahrsagerin? Erzähle!“ Felix Die Worte des Wahrsagers gingen Felix nicht „Na gut, ich mache für dich heute eine Aus- schaute seinen Freund an, öffnete die Hand- aus dem Kopf. Den ganzen Weg über durch die nahme“, er ließ sich auf den massiven Sessel fläche, auf der eine kleine Knoblauchzehe lag Menge durchboxend drehte er den Kopf und fallen.“ Wir schauen, was in deinem Fall die und fasste kurz seinen interessanten Besuch hielt Ausschau nach einer sehr hübschen Frau, Karten sagen werden. Andere magische Kräf- beim Wahrsager zusammen: „Es war ein „er“, die eine Göttin symbolisieren sollte. Nicht weit te darf ich in deinem Alter leider noch nicht der Wahrsager. Ich soll eine Liebesgöttin fin- vor dem Fischbrunnen zog ihn Miklas am Ärbenutzen.“ Felix nickte ihm aufmunternd zu den und die bösen Geister um sie herum mit mel und deutete auf eine modisch gekleidete junge Frau, die sich vor einem roten Porscheund schaute, wie der Wahrsager professionell einer Knoblauchzehe neutralisieren.“ Carrera ablichten ließ. Ihre blonden Haare die Karten kräftig zusammenmischte und diese leuchteten in der Sonne. Sie strahlte, nickte nach einem, nur ihm bekannten Muster, wie Wie schaut eine Liebesgöttin aus? allen Umstehenden freundlich zu. Mehrere Felix schien, auf der Tischfläche ausbreitete. Den ganzen Weg nach Hause überlegten die junge Männer warteten in einem Halbkreis um „So, mein Freund,“unterbrach er endlich das Beiden, wie eigentlich eine Liebesgöttin ausse- sie herum, um ihr schönes Lächeln in ihrem Schweigen, „Dich brachte ein langer Weg hier- hen sollte. Sie diskutierten alles mögliche aus Gedächtnis zu verewigen. „Die Liebesgöttin,“ her. Diese Karte deutet auf starken Kummer und zählten auf, angefangen von bekannten flüsterte Felix. Er versuchte nah wie möglich an hin. Ein sehr guter Freund versucht dir zu hel- hübschen Schauspielerinnen bis hin zu den ei- sie heranzukommen, ertastete seine geschälte fen. Jetzt schauen wir mal, was es noch gibt.“ gensinnigsten Schönheiten in der Schule. Zum Knoblauchzehe in der Tasche und vergrub sie Schluss war auch nicht völlig klar, welche in- in der Faust. „Willst du ein Autogramm, bamDer Wahrsager drehte noch zwei weitere Kar- neren und äußeren Eigenschaften bevorzugt bini?“ sprach die hübsche Fremde sanft und ten um. König kreuz und Dame pick kamen werden und welche eher unberücksichtigt blei- streckte ihm die Hand entgegen. zum Vorschein. „Ist da eine ben sollten. Miklas war für Mit schneller Bewegung drückte Felix seine fremde Frau im Spiel?“ Eine verwirrte Liebesgöttin die den einen schlanken Schneewollte Felix angespannt wittchentyp und Felix für Knoblauchzehe dem Mädchen in die Hand. Gedanken des Königs keine Ruhe gibt die blonde Barbie. Sie Der Knoblauchgeruch breitete sich in der wissen. „Eher eine verwirrte Liebesgöttin, die den Gedanken des Königs einigten sich aber darauf, dass ihre Favoritin Gruppe aus. Das Lächeln der Göttin huschte keine Ruhe gibt“. mit größter Wahrscheinlichkeit modische Klei- von ihrem Gesicht. Sie quiekte zuerst, dann dung tragen, viele Bewunderer um sich herum prustete die rassige Schönheit vor Entsetzen „Wie kann ich sie dann von unserer Familie haben, keine Brillenträgerin sein und auf jeden los und zum Schluss schimpfte diese dann laut fernhalten?“ Fall aus dem Bereich „Zicke“ herausfallen soll- und deutlich die Jungen in einer Fremdsprache aus. Man brauchte keinen Übersetzer, um den te. Inhalt der Worttirade zu verstehen. Wie geDie Knoblauchzehen „Wo fangen wir aber nur an, unsere Göttin zu bannt schaute Felix ihr zu. „Es ist schwierig, sehr schwierig...“, der Wahr- suchen?“, fragte Felix unsicher seinen Freund. „Schnell, lauf!“ Miklas schätzte die Situation sager überlegte, „Vielleicht solltest du einfach „Am besten dort, wo viele Menschen zusamden Trick mit den Knoblauchzehen probieren. menkommen“, schlug er mit einem Achselzu- richtig ab. Die Jungen sausten weg, zurück zur Diese halten die bösen Geister fern“, schlug er cken vor. „Denkst du unser Einkaufszentrum U-Bahn. Schwer atmend schlüpften beide in die sich schließenden Waggontüren und die reicht dafür?“ vor und zwinkerte belustigt mit dem Auge. Bahn begann sich langsam zu verschnellern. „Natürlich können wir dort auch suchen,“ Dann begann Miklas laut und herzhaft zu „Und wie erkenne ich die richtige Göttin?“, fragte der Junge weiter. „Das kannst du nur sein Blick fiel auf den Plan des Verkehrsnetzes kichern:“Es war so lustig ihr Gesicht nach deimit deinem Herzen. Lasse die Augen offen, sie für die Münchner U-Bahn, „Wir sollten nur auf „Bist du verliebt?“ , der Wahrsager musterte ihn mit seinen schwarzen glänzenden Augen und lächelte ihn verschmitzt an.


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Leben und Kultur

ner Überraschung zu sehen! Morgen stehst du in der Zeitung!“

auf das Bett von Felix, hüpfte vergnügt einige Male hoch und verschwand.

„Das Mädchen war bestimmt keine Liebesgöttin, oder was meinst du?! Eine Göttin darf die anderen nicht beschimpfen!“ sagte Felix überzeugt.

„Ja das ist schwierig,“ Felix brachte die Worte heraus, „Wir brauchen Plan C“

In dem Moment fiel sein Blick auf den Computer :“Eureka, wir googeln!“ Er „Nein, ich denke es handelte sich Eureka, wir googeln! startete den Computer, loggte sich ins Internet und gab den Suchbeum eine italienische Schönheit! Und du hast ihr wahres Gesicht entdeckt. Eine böse griff „Liebesgöttin“ ein. Hexe könnte sie schon sein!“ Die Jungen starrten euphorisch auf den Monitor. Der Computer spuckte sämtliche InterDie Krisensitzung netadressen aus. Nach einer Weile stellten die Eine Krisensitzung unter dem Thema “Wie Freunde fest, dass zur Liebesgöttin die altgriesoll eine Liebesgöttin eigentlich aussehen?“ chische Aphrodita zählte, dessen Statue in der wurde schleunigst einberufen. Die Jungen sa- Münchner Glyptothek ausgestellt war. ßen im Kinderzimmer und brüteten über den „Sie ist ja nackt,“ wunderte sich Miklas. aufgeschlagenen Zeitschriften mit vielen verschiedenen schönen Frauen. Ein Ideal war „In Griechenland ist es immer heiß,“ meinschwierig zu finden. te Felix, „Ich war dort mit mei„Vielleicht soll sie wie Julia Roberts oder Ca- nen Eltern vor zwei Jahren“. „Gut, dann nehmen wir also meron Diaz aussehen?“, schlug Felix vor. Aphrodite. Und weshalb die „Ich würde lieber Veronica Ferres wählen,“ Knoblauchzehen?“, wollte wiedersprach ihm Miklas.“ Warum rufen wir Miklas wissen. Beim erneuten nicht Anna? Sie muss wohl auch von den Suchen tauchten sie in die Frauen etwas bessere Ahnung haben als wir, Geschichte der Knoblauchknolle ein. Die oder?“ Pflanze kannte man im alten Griechenland „ Anna-Anna!“ riefen die beiden im Chor. und im alten Rom. Sie Die Schwester von Felix guckte in das Zim- half gegen Kopfschmermer: „Ich spiele nicht mehr mit euch! Ihr habt zen und Schwindel. Es mich letztes Mal in den Park zum Fußballspie- wurde als lebensverlänlen nicht mitgenommen!“, sagte sie resolut und gerndes Immunstimulaverzog ihre Lippen zu einem Schmollmund. tus und erotisierendes „Bitte Anna, ich werde dein Fahrrad reparie- Liebesmittel gepriesen. ren, sei uns nicht böse.“, versuchte Felix die Miklas stieß Felix mit Situation zu retten. Deine Puppen sind alle so dem Ellbogen in die gut frisiert und angezogen. Dir macht es sicher Seite:“ Was ist das viel Spaß täglich für sie etwas besonders modi- ... Immunstimus ...“ sches auszuwählen. Und dieses Mal brauchen „Keine Ahnung, wir ein Wort der Expertin. Sicher kannst du die schönste Prinzessin aus all diesen Damen er- etwas zur Lebenskennen.“ Er deutete mit der Hand auf die gan- verlängerung, wenn ze Ansammlung auf dem Boden. Anna hörte du es einatmest ... auf zu bocken: „Wofür braucht ihr das?“, fragte Schau, auch Liebesmittel, das dem Liesie misstrauisch. benden unter das „Wir sollen uns die Kostüme für die nächs- Kissen gelegt wurte Theatervorstellung in der Schule überlegen. de ...“ Felix deutete Es ist sehr wichtig,“ log Miklas sie an, „und du auf eine andere Bedarfst uns helfen.“, fügte er geschickt hinzu. deutung. Die Knolle Anna nickte. Es schien, sie war mit der Ant- enthielt Hormone, die wort zufrieden. Das Mädchen tauchte in die menschlichen SexualWelt von wunderschönen Kleidern, Frisuren, hormonen ähnelten. Der Gesichtern und passenden Accessoires ein. Geruch vertrieb Geister BöseSie ging langsam im Raum herum und spielte und die Fachexpertin. Gespannt und schweigend wichter von folgten ihr die zwei Jungen. Bald aber fand den Göttern. sie kein Interesse mehr und ihre Neugier war M i k l a s gedeckt. „Alle sind schön, aber mein Teddy ist ein hübscher“, war ihre letztes Wort. Sie kletterte machte

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ernstes Gesicht:“ Du schleppst ständich die Knoblauchzehen mit dir rum. Das kann gefährliche Folgen haben! Spielen deine Sexulahormone verrückt? Wer ist die Glückliche?“, und prustete los. Felix war seinem besten Freund nicht böse: „Also unser Plan C.“

Plan C „Ich muss Aphrodite auf meine Familie aufmerksam machen. Ich fahre ins Museum und lasse sie den Knoblauch-Liebes-Geruch einatmen. Danach stecke ich die Knoblauchzehen unter die Kissen meiner Eltern, um die bösen Geister zu vertreiben. Was denkst du? Bist du dabei?“ „Kolossal und genial ...“ stimmte Miklas sofort zu, „Morgen ist Sonntag, der 20. Mein Vater hat Geburtstag. Um zwei sind die Verwandten eingeladen. Ich kriege es bestimmt in den Griff. Zu Hause sage ich, wir fahren Inlineskaten auf der alten Flugbahn. Also pünktlich um zehn. Halte die Knoblauchzehen bereit,“ er salutierte und verschwand durch die Tür. Um halb elf standen Felix und Miklas vor der Glypthotek. Sie stiegen die großen Stufen hinauf, öffneten die massive Tür und gelangten durch das Portal mit den mächtigen Kolonnen zur Kasse. Der Kassierer, ein älterer Mann, war sehr gesprächig und fragte, was zwei Jungen in das Museum gebracht hatte. Miklas jammerte etwas über das Referat in Geschichte und damit verbundene Schul-Pflichten. Dabei erkundigte er sich sehr höflich, in welchem Saal sich die berühmte Aphrodite-Statue befand. „Es ist schön, dass ihr euch für griechische Geschichte interessiert. Ihr habt heute einen günstigen Wochentag ausgewählt“, lobte er die Jungen. „Die Karten sind heute besonders billig. Bitte zwei Euro.“ Felix zahlte den Eintritt. „Und hier findet ihr die schöne Aphrodite“, der Mann deutete auf die Halle in der Broschüre.

Aphrodite Es schien, dass sich nicht nur die Schüler für die Aphrodite interessierten. Dicht um die Skulptur stand eine Gruppe von japanischen Touristen, die im Takt des Audioguides mit den Köpfen nickten. Um Zeit zu gewinnen, fingen die Freunde an, alle möglichen Exponate mit den dazugehörigen Einzelheiten zu betrachten. Endlich trottete die Gruppe weiter. „Endlich! Ich habe schon drei Runden in dieser äußerst lehrreichen Halle gedreht. Du kannst mich jetzt alles


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se gehört euch.“ Er breitete über alte Geschichte abfragen!“ zeigte Miklas im Flüs- Ich denke das kleine wohlrie- seine Handfläche aus und es terton seine Unzufriedenheit. chende Gemüse gehört euch. erschien eine Knoblauchzehe in Inneren. Der Museumsmit„Schau, sie sieht echt toll aus, wie eine richtige Göttin“ erwiderte Felix leise, arbeiter nickte bestätigend. „und so lebendig, aber ... sie hat keine Hände. Die Jungen tauschten schnelle Blicken aus. Wo werde ich ihr den Knoblauch reinlegen?“ Sie gingen langsam um die Skulptur herum. „Ihr wollt sicherlich keine polizeiliche AnzeiSchweigend zeigte Miklas Felix eine Falte im dargestellten steinernen Gewand. Sie wechsel- ge, wegen Entehrung einer Statue erhalten?“, ten Blicke. Genau in diesem Moment wurde fuhr Herr Biber fort, „So, meine Herren, ihr der Mitarbeiter in Museumsuniform auf den schuldet mir eine Erklärung.“ langen Aufenthalt der Jungen in der Halle aufmerksam. Felix errötete, sein Herz pochte wie verrückt. Er schaute zuerst zu Miklas, der nervös von ei„Los, schnell deine Knoblauchzehe! Ich geb‘ nem Fuß auf den andren sein Gleichgewicht verlagerte. dir Deckung!“ . Miklas raste dem kleinen, bäuchigen Wachmann entgegen,entschuldigte sich und stellte ihm geschickt eine historische Frage. Mit einer geschickten Bewegung steckte Felix eine Knoblauchzehe in die Gewandfalte: „Ich bin nicht abergläubisch, aber hilf mir bitte dieses Mal, schöne Göttin. Lass unsere Familie wieder zusammen kommen, wie eine richtige Familie.“ , flüsterte er aus tiefster Überzeugung seines Herzens. Vorsichtig entfernte er sich von der Statue und marschierte langsam in die nächste Halle. Bald gesellte sich Miklas zu seinem Freund. „Was hast du denn den Aufseher gefragt?“, wollte Felix wissen. Miklas zwinkerte ihn mit einem Auge zu: „Ich wollte wissen, ob die Götter besondere Pflanzen bevorzugt haben“. Die beiden durchquerten die letzten Austellungsräume im Galopp. Die Mission im Museum war erfüllt. Beim Ausgang stand der aufgeregte dickliche Museumsmitarbeiter, der dem grauhaarigen sportlichen Mann im schwarzen Anzug gestikulierend und aufgeregt etwas erzählte. Der alte Mann schüttelte bewundert den Kopf. „Ich habe ein schlechtes Gefühl, mir dreht es den Magen um!“, hatte Miklas eine Vorahnung. „Du hast mir doch beigebracht cool zu bleiben, egal was kommt! Wir können sowieso nicht zurück“, meinte Felix. „Gehen wir ruhig weiter!“

Museumssicherheitsdienst Der Mann im schwarzen Anzug machte einen Schritt auf die Jungen zu: „Museumssicherheitsdienst, Herr Biber“, stellte er sich vor, „Würdet ihr bitte Beide hierher kommen. Wir haben in der letzten halben Stunde etwas Besonderes in der Aphrodite-Halle an den Überwachungsmonitoren beobachtet. Ich denke, das kleine wohlriechende Gemü-

dürfnis, dem Beamten seine Geschichte anzuvertrauen. „Ich bin bereit, Ihnen meine Geschichte zu erzählen,“ sagte er munter, „Laden Sie aber bitte meine beiden Eltern ein.“ „Meiner Meinung nach ist es auch sinnvoll beide Elternteile einzuladen und ein gemeinsames Gespräch über dein Verhalten heute im Museum zu führen“, der Mann fragte den Jungen nach den Handynummern seiner Eltern. Er schrieb die zwei Nummern der Eltern von Felix auf einen Zettel, gab telefonisch einige Anweisungen weiter und wandte sich anschließend an seinen Gast.

„Deine Eltern sind unterwegs,“ fasste er sich kurz und sah den Jungen eine Weile schweigend an: „ Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, einer Statue, und ich nehme an, einer ganz besonderen Statue die KnoblauchHerr Biber wandte sich zum Aufseher, der zehe in das fallende Gewand zu legen? In den sehr glücklich aussah, endlich jemanden er- dreißig Jahren meines Dienstes habe ich so etwas noch nie erlebt. wischt zu haben: „War das der Blonde?“. Dieser In den dreißig Jahren meines Dienstes Du scheinst mir intelligenug zu sein, um nickte. „Danke für Ihre habe ich so etwas noch nie erlebt. gent zu verstehen was du dir Hilfe. Ich werde den Jungen in mein Büro bringen und zuerst seine gerade im Museum erlaubt hast,“ er legte eine Eltern anrufen. Sie können zu Ihrem Arbeits- kleine Pause ein, „Du weißt doch, dass alle Explatz zurückkehren. Und du“, er wandte sich ponate im Museum sehr wertvoll sind? Diese alte Geschichtsbeweise können noch mehrezu Miklas, „gehst sofort heim.“ ren weiteren Generationen interressant und Felix ermunterte seinen Freund: „Geh schon, lehrreich sein!“ du brauchst keinen Ärger zu Hause besonders Der Junge nickte betroffen: „Ich hatte aber nicht am Geburtstagstag deines Vaters. Ich komme schon zu recht. Geh und mach dir kei- meine eigenen Gründe dafür.“ Er schaute dine Sorgen um mich!“ Miklas öffnete die große rekt in die Lachfältchen und fing an mit jeMuseumstür, schaute das letzte Mal zu Felix nem Tag zu erzählen, an dem seine Eltern eine Streit hatten. Er redete und redete, als ob er und ging hinaus. die ganze Last von den letzten Monaten endlich los werden wollte. Der Sicherheitsmann Felix' Geschichte unterbrach Felix nicht. Nur durch vereuinzelte Regungen des Gesichts konnte man sehen, Herr Biber brachte Felix zu einer kleidass die Geschichte des Jungen ihm sehr ans nen Tür im Nebengang. Das Zimmer Herz ging. war klein und dunkel. Auf dem Tisch in der Ecke leuchteten mehrere Monitore, die diverse Museumsecken Die Eltern sichtbar machten. Der Mann setzte sich an den Tisch und deutete Aus dem Augenwinkel sah er am Felix schweigend Platz auf eiMonitor, wie zuerst eine dem Fenem Stuhl auf der anderen lix ähnliche Frau mit einem kleiSeite des nen Mädchen und danach ein Tisches zu besorgter blonder Mann annehmen. kamen. Zu diesem Felix Zeitpunkt war Felix schon mit seiner Erzählung fertig. Der S i c h e rheitsbe© nkzs // sxc.hu „Herr Biber, bitte lassen Sie Miklas gehen. Sein Vater hat heute Geburtstag. Es war allein meine Idee hierher zu kommen.“

hob den Kopf. Die freundlichen grauen Augen mit kleinen Lachfältchen schauten ihm prüfend entgegen. Der Junge verspürte das Be-


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Leben und Kultur

Termine und mehr

amte goss ein Glas Wasser ein und schob es dem Jungen zu: „Du bist sicher durstig, trink, es wird dir gut tun“. Felix griff nach dem Getränk und leerte das Glas mit großer Gier und auf einmal.

Alles Wichtige im Blick

„Danke“, sagte er und fügte hinzu,“ Danke fürs Zuhören.“ „Ja, mein Freund, dein Leben scheint mir nicht so einfach zu sein,“ unterstützte ihn der alte Mann,“ Deine Eltern sind da, sie warten an der Kasse.“ Er telefonierte kurz und bat die Eltern von Felix in sein Büro zu begleiten. Die Mutter, der Vater und seine kleine Schwester betraten den Raum. Anna stürzte zu Felix, umarmte ihn und vergrub ihr Gesicht in seinem Hemd. Felix streichelte das Mädchen sanft am Kopf und sprach sie leise an. Die Mutter berührte Felix am Arm und fragte, was er wohl diesmal angestellt hatte. Der Vater erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei. Es war schön die ganze Familie beisammen zu haben. „Ich würde gerne alleine mit deinen Eltern reden“, mischte sich der Beamte ein,“ Kannst du mit deiner Schwester draußen warten? Es wird nicht lange dauern.“

Termine im Mai

ab 9:00

Doktamed – Doktorarbeitstag Medizin der LMU München

19.5

ab 16:00

Eckart von Hirschhausen lädt zur öffentlichen Vorlesung

LMU / TU Roadshow

Termine im Juni 3.6 bis 5.6

21.6

Zu viert, Hand in Hand verließ die Familie das Museum.

siehe Artikel auf Seite 53 an der TU am Mittwoch, dem 25. im Hörsaaltrakt des Klinikum rechts der Isar. an der LMU: bitte bei der Fachschaft Ort und Zeit erfragen

25.5 und 8.6

Eheberatung bei Aphrodite

Beim Verlassen der Aphroditehalle drehte sich Felix noch mal um. Es schien ihm, als ob die Göttin ihm verschwörerisch zum Abschied zuzwinkerte. Er lächelte sie an und nickte dem Aufseher mit Bauch freundlich zu.

siehe Artikel auf Seite 35 // Gutschein auf Seite 2

Uni hilft! Knochenmark Typisierungsaktion

23.5 bis 29.5

10.6

„Und die schöne Göttin tobte“, seine Mutter lächelte ihn an,“Kommt nach Hause.“

Prüfungsamt Medizin

14.5

Felix nahm seine Schwester an der Hand: „Komm, ich zeige dir eine schöne Prinzessin“. Er zerrte sie sanft aus dem Büro.

Sein Vater nickte. „Was hat euch Herr Biber erzählt?“, wollte er wissen. „Er meinte, du hast uns zur Eheberatung mithilfe einer Göttin eingeladen,“ antwortete seine Mutter.

Antragsfrist für die Anerkennung von Krankenpflegepraktika, Famulaturen, PJ

13.5

8.6

In einer halben Stunde fanden die Eltern ihre beiden Kinder wieder in der Halle mit der Liebesgöttin Aphrodite. Alle standen schweigend vor der Statue. Der Vater legte liebevoll seinen Arm um den Jungen:“Es tut uns Leid, dass es so weit in unserer Beziehung gekommen ist. Es wird sich alles ändern.“ Die andere Hand legte er um seine Frau, die nachdenklich an seiner Seite stand. Felix war bereit in diesem Moment die ganze Welt samt schöner Göttin zu umarmen. Er unterdrückte aber sein Bedürfnis und fragte: „Dürfen wir schon gehen?“

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Medi-Meisterschaften 2011

in Göttingen // scheere85@yahoo.de 20:15

Wie wirkt Alkohol auf das Gehirn?

Fakultät für Chemie und Pharmazie, Buchner-Hörsaal // Butenandtstr. 5-13 Meldefrist für den Ersten, Zweiten (und Dritten) Abschnitt der ärztlichen Prüfung

Prüfungsamt Medizin Briefwahl - Antragsfrist Hochschulwahlen

spätester Eingang beim Wahlamt // Ausschlussfrist PJ - Anmeldeschluß

30.6

Prüfungsamt Medizin Anmeldeschluß Mind/Body Medicine Summer School 2011, Essen

30.6

  www.mindbodymedicine.de // 14. bis 17. Juli 2011

Termine im Juli 1.7

UNI-Sommerfest Rückmeldefrist (Studiengebühren müssen überwiesen sein!)

4.7 5.7 und 6.7 15.7 31.7 bis 7.8

Typischerweise 500 € + 42 € Studentenwerksbeitrag 9:00 bis 16:00

Hochschulwahlen für die Medizinische Fakultät

Anatomische Anstalt Pettenkoferstr, 11 Neubau, Erdgeschoß Anmeldefrist BVMD-Famulantenaustausch

für ein Praktikum in der Zeit von Januar – Juni Katastrophenmedizin und humanitäre Hilfe: 2. Sommerakademie in Tübingen

  www.you-manity.org

Termine im August 6.8 bis 13.8

Open Academy Davos 2011

  www.openacademy-davos.ch

Weitere Termine und Links zu interessanten Veranstaltungen halten wir für Dich online bereit:

  www.synapse-redaktion.de/termine


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Leben und Kultur

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Welche Farbe ist das? Das Leben durch die Augen eines rot-grün Schwachen

„Welche Farbe ist das?“ ist meistens die erste Frage, wenn ich anderen Menschen gerade von meiner Rot-Grün-Schwäche erzählt habe. Erstaunen macht sich breit, wenn ich auf ihre Fragen hin ohne Probleme rote und grüne Gegenstände richtig identifiziere. „Es geht doch!“, meinen sie dann wohlwollend. Das stimmt – die Rot-Grün-Schwäche schränkt mich im Alltag kaum ein, und wenn sie es doch tut, dann anders als die meisten Menschen es dem Namen nach vermuten würden.

Einschränkungen

 Maximilian Batz

Was die Rampe für den Rollstuhlfahrer ist, ist für den Rot-Grün-Schwachen die richtige Die einzige größere Einschränkung die ich Wahl von Farben. Dort, wo man Farben unter- habe ist kein Jet-Flugzeug fliegen zu dürfen. scheiden können muss – und dafür gibt es im Für die dafür benötigte ATPL – Air Traffic PiAlltag viele Beispiele. Roter Text auf violettem lot License – muss man alle Farben sehen könHintergrund in PowerPoint-Präsentationen, nen, und das auch in einem entsprechenden farbkodierte U-Bahnlinien, rote Hervorhe- Test nachweisen. In Singapur, der Türkei und bungen in schwarzem in Rumänien dürfte ich Fließtext, … all das sind Bei manchen Tierarten sehen Männchen darüber hinaus keinen Dinge die ich nicht wahrmachen. nur zwei Farben, Weibchen aber drei. Führerschein nehmen kann. Für mich Diese der Sicherheit der schauen die zwei UPassagiere und sonstigen Bahnlinien gleich aus, ich kann den Text in der Verkehrsteilnehmer dienende Regelungen entDas Selbstverständliche hinterfragt Powerpoint-Präsentation nicht lesen, und mer- standen nach einem Zugunglück am 15. NoViele Dinge sind für uns selbstverständlich, ke nicht dass da etwas hervorgehoben sein soll. vember 1875 in Lagerlunda, Schweden. Obwohl neuere Forschung darauf hindeutet, dass wie dass es jeden Tag einen Sonnenauf- und eiMissachtung der Vorschriften, und nicht die nen Sonnenuntergang gibt. Es ist für die meis- Die eigene Wahrnehmung als Norm? Farbblindheit des Lokfahrers zum Unglück geten Menschen zum Beispiel normal, Treppe steigen zu können, oder Auto zu fahren. Das Die Wahrnehmung unserer Umwelt schwankt führt hat, führte Professor Holmgren, ein Phywird jedoch dann zum Problem, wenn eine von Individuum zu Individuum, wird jedoch siologe, daraufhin Farbtafeln zum Testen des Krankheit, ein Unfall, oder ein vererbtes Lei- von uns selbst als Norm, als selbstverständlich Eisenbahnpersonals ein. Viele junge Männer den einen Menschen einschränkt. Manchmal erlebt. Daher kann man bei Menschen mit ver- – 3,5 Millionen deutscher Männer haben eine ist das Problem offensichtlich – im wahrsten änderter oder eingeschränkter Wahrnehmung Form von Rot-Grün-Fehlsichtigkeit – mussten Sinne des Wortes – schwer von außen deswegen ihren Traum, Pilot zu werden, aufund dadurch auch Von Rollstuhlfahrern würde niemand verlangen erkennen und nach- geben. für alle präsent. Von dass sie die Treppe zum Bahnsteig herunterfahren vollziehen dass der Rollstuhlfahrern Betroffene ein Prob- Aussichten würde niemand verlangen, dass sie die Treppe lem hat, tatsächlich eingeschränkt ist. Derjenizum Bahnsteig herunterfahren, es werden im- ge der die Pläne, Präsentationen, usw. erstellt, Gibt es aber vielleicht in naher Zukunft doch mer öfter Rampen für sie gebaut. nimmt die Farben „normal“ wahr. Es wäre eine Möglichkeit, die volle Farbsicht wiederohne Hilfsmittel unmöglich für ihn zu sagen, herzustellen? Da es sich um eine Erbkrankheit welche Kombinationen für einen Rot-Grün- handelt, schöpft die traditionelle Medizin mit Ishihara Farbtest Schwachen nicht unterscheidbar sind. verschieden getönten Linsen für rechtes und Durch gezieltes Benutzen von den Farb-Unlinkes Auge ihre Möglichkeiten bereits voll terschieden die für Rot-Grün-Schwache nicht Wir befinden uns hier an einem Umbruchs- aus. Das würde beim Farbtest für die ATPL oder nur schwer zu bemerken sind, hat Dr. zeitpunkt. Mit dem Computer steht ein Werk- aber wahrscheinlich auffallen. Shinobu Ishihara bereits 1917 diese einfache zeug zur Verfügung, was es leicht macht, Testmethode eingeführt. „schlechtes“ Design für Farbfehlsichtige zu Hoffnung verspricht dafür die Gentherapie: Gemäß Wikipedia sollte die Nummer 74 in der identifizieren, und eine Lösung dafür zu fin- In manchen Tierarten, z.B. Totenkopfäffchen, Tafel unten sichtbar sein. Ich kann sie nicht erden. Es gibt beispielsweise eine Webseite, die ist es natürlich, dass Männchen nur zwei Farkennen, es schaut für mich einfach wie eine Art Bilder automatisch so verändert, dass Rot- ben sehen können, während Weibchen drei Blumenwiese aus, in der kein bestimmtes MusGrün-Schwache die Kontraste erkennen kön- Farben sehen. Forscher haben 2007 zwei Toter zu finden ist. nen. tenkopfaffenmännchen das Gen für die dritte Übrigens bitte ich die Tafel nicht für einen seriFarbe injiziert. Trotz Skepsis aus Fachkreisen ösen Farbtest zu nutzen, weil es sein kann das – das Gehirn habe die nötigen neuronalen Mein Alltag beim Druck die entscheidenden Unterschiede Strukturen in der Kindheit nicht schaffen könverfälscht werden. Ich lebe sehr gut mit meiner Rot-Grün- nen – konnten die Äffchen nach sechs MonaSchwäche, merke gar nicht, dass ich die Far- ten das erste Mal in ihrem Leben rot und grün ben anders wahrnehme, und mir manche unterscheiden. Details vielleicht entgehen. Ich habe Sinn für Wäre das eine Lösung für mich? Nein – denn Ästhetik, genieße das Farbenspiel der Sonnenuntergänge, und, nein, ich habe kein Problem die Vorstellung, dass mir für die Gentherapie damit zu erkennen ob es „grün“ oder „rot“ ist Viren mit einer Spritze ins Auge eingebracht wenn ich an der Ampel stehe. Ich nehme rot werden müssen ist erschreckend. Gerade das und grün einzeln wahr, vertausche diese Far- Auge scheut sich naturgemäß vor spitzen ben auch nicht miteinander. Es sind die Kont- Gegenständen, und das zurecht: jeder solche raste zwischen Vordergrund und Hintergrund, Eingriff bringt ein Risiko der teilweisen oder und manche Farbunterschiede - immer im Ver- ganzen Erblindung mit sich. Es ist immer eine Risiko-Nutzen-Abwägung, und diese muss gleich - die mir Schwierigkeiten bereiten. auch die generellen Risiken einer Gentherapie


Medizin der Extreme

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berücksichtigen. Zum Beispiel ist es zu einer sehr hohen Krebsrate bei der Behandlung von X-SCID, einem lebensbedrohlichen erblichen Immundefekt, gekommen. Die verwendeten Viren integrierten die neue Erbsubstanz auf eine Art und Weise die das Auftreten von Krebs stark begünstigte – stärker als die Forscher es statistisch erwartet hätten.

Wann ist ein Gen krank? Wann ist ein verändertes Gen, mit Unterschieden zu den Genen der meisten Menschen wirklich ein krankes Gen? Oft dienen Mutationen an den Genen, um wichtige Überlebensvorteile auf Kosten unwichtigerer Einschränkungen zu erkaufen. Könnte es sein, dass die doch sehr häufige Rot-Grün-Schwäche manchmal von Vorteil ist?

Warum sind mehr Männer betroffen? Die Fähigkeit zum Unterscheiden dieser Farben wird auf dem X-Chromosom weitergegeben. Männer haben nur eine Kopie des X Chromosoms, während Frauen zwei haben (von denen jeweils eine in der Zelle zufällig deaktiviert wird, das entstehende sog. Barr-Körperchen kann man mikroskopisch sehen und zur Geschlechter-Unterscheidung benutzen) Ein Rot-Grün-Fehlsichtiger Vater, der nur Söhne hat, vererbt ihnen die Fehlsichtigkeit nicht weiter (da er ja entweder X oder Y weitergibt). Mütter können hingegen ein X mit dem Gendefekt haben, selber normalsichtig sein, allerdings haben ihre Söhne ein 50 % Risiko, Rot-Grün-Schwach zu werden. Eine Rot-Grün-Schwache Mutter wird immer

Eine Studie wies 2005 tatsächlich nach, dass Farbfehlsichtige Brauntöne besser unterscheiden können. Soldaten mit Tarnfarbanzügen im Wald, etwa, werden von ihnen leichter erkannt. Das wurde bereits seit dem zweiten Weltkrieg vermutet. Es wird zwar unter anderem auch darauf zurückgeführt, dass Farbfehlsichtige sich stärker auf die Formen als die Farben konzentrieren. Andererseits scheint ihnen aber auch für manche Farben ein deutlich breiteres Unterscheidungsspektrum zur Verfügung zu stehen. Sie können 12 verschiedene Brauntöne auseinander halten, während normale Menschen auf nur 3 - 4 kommen. Sehr praktisch, wenn man im Wald lebt und nach Nahrung sucht. Das ist zumindest die Idee der Wissenschaftler, warum diese Fehlsichtigkeit so häufig ist. Und wenn ich doch mal etwas nicht unterscheiden kann, dann frage ich einfach. Was dann meistens mit der Gegenfrage endet: „Welche Farbe ist das?“

Zugunglück in Lagerlunda Der Unfall passierte am 15. November 1875, zwischen Linköping und Vikingstad in Schweden. Das Foto entstand einige Tage nach dem Unfall. Links ist der Zug „Svea", rechts „Einar".

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Rot-Grün-Schwache Söhne haben.

Tetrachromaten Theoretisch wäre es bei Frauen möglich, dass eines der X-Chromosomen mutiert, und ihr zusätzliche Farbwahrnehmungen ermöglicht, die über den „normalen" Bereich hinausgehen. Es müssten sich dennoch auch die neuronalen Strukturen entstehen, um diese zusätzliche Farbwahrnehmung verarbeiten zu können. Vielleicht ist das, wie bei den Totenkopfäffchen möglich. Die wenigen bekannten Fälle von Vier-Farbpigment-Genotypen sind sehr selten, und es ist keiner offiziell bestätigt. Es bleiben viele spannende Fragen offen ....


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Leben und Kultur

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Freak out because it’s GAGA  Carmen Astra Wer hat mehr Fans auf Facebook als Obama? Keine Ahnung? Dann fange einfach mit dem Artikel an. Lady Gaga ist am 28. März 1986 in New York geboren. Ihr damaliger Sponsor Fusari hörte oft „ Radio Gaga“ von Queen, weshalb es nicht wundert wie denn dann der Künstlername entstanden ist. Die hübsche Blonde, eigentlich gefärbt von brünett, hat auch einen kreativen Geburtsnamen und der lautet Stefani Joanne Angelina Germanotta.

Die Familie Sie hat eine hübsche jüngere Schwester namens Natali Germanotta, die unschuldige 17 Jahre alt ist. Und wie alle kleinen Schwestern auf ihre älteren schauen, macht es Natali nicht anders. Die kleine Schwester singt und hat, wen soll es wundern den Künstlernamen Baby Gaga. Eigentlich will Baby Gaga voll durchstarten als Sängerin, doch zunächst muss sie laut Eltern einen Abschluss machen. Recht haben sie. Die Beiden sind in einer Mittelstandfamilie, an der Upper-West Side, mit italienisch-amerikanischen Wurzeln aufgewachsen. Da der Mittelstand versucht, besonders in Amerika, nach oben in die High Society zu kommen ist es verständlich, wenn die Kinder eine Privatschule besuchen. Die zwei Geschwister besuchten die Convent of the Sacred Heart School. Interessanterweise sind auf dieselbe Schule auch Nicky und Paris Hilton gegangen. Da die Eltern hart arbeiteten um den Schwestern diese Ausbildung zu ermöglichen nahm Stefani die Schule ernst. Lady Gaga war eine der wenigen Schülerinnen dort mit Nebenjob: „All die anderen Mädchen in der Schule hatten diese schicken Taschen, und ich hatte immer nur ein Irgendwas.“ Da ihre Eltern der großen Schwester keine Tasche für 600 $ kauften, sparte sie und kaufte sich, von ihrem ersten Kellner-Gehalt, die lang ersehnte Tasche. Ein Vorbild ist Donatella Versace, vielleicht noch von ihrer Zeit als Schülerin herrührend.

Früh übt sich ... Gagas Künstlerkarriere begann im zarten Alter von 8 Jahren mit einem Auftritt am Piano. Mit elf nahm das Mädchen dann Schauspielunterricht. Und je älter sie geworden war desto mehr kam das Interesse am anderen Geschlecht. So beschloss die Pop Prinzessin in der achten

Klasse, dass die Schauspielerei ein fabelhafter Weg war um Jungen kennenzulernen. Da ihre Schule eine reine Mädchenschule war, war die Teilnahme an Schauspielstücken an der Regis Highschool eine ausgezeichnete Möglichkeit viele Sympathische kennenzulernen. In der Schule wurde sie oft für ihren extravaganten und exzentrischen Stil gehänselt. Was aber wenn man dem Artikel, welchen ich zur Hilfe genommen habe und den Internetquellen nicht ganz stimmt. Ihre damaligen Schulfreundinnen sagen: „Sie war immer sehr beliebt“. Mit 17 Jahren ging sie auf die Tisch School of the Arts der New York University. An dieser begann sie bereits eigene Songs zu schreiben. Ihre Vorbilder sind der verstorbene Queen Sänger Freddie Mercury und der Rocker David Bowie. Ihn bezeichnet die Künstlerin als persönliche Kunstikone.

Lady Gaga's Stil Das faszinierende was auch auf Anhieb sichtbar ist und die Sängerin von anderen unterscheidet ist die exzentrische Art sich zu kleiden. Die Ideen der Kostüme stammen oft von ihr, aber auch ihre Designer und Berater arbeiten täglich an neuen Shockern, welche ihr verhelfen, dass über sie gesprochen wird. Wir erinnern uns die überdimensionale Haarschleife, die Seifenblasenkleider, entsprechende Teile des Körpers nur mit Zeitungspapier beklebt, ihr Flamingodress und vieles mehr. Sie hat auch fast immer eine Sonnenbrille auf der Nase, wie die meisten Stars und Sternchen, denn über die Augen kann bekanntlich viel abgelesen werden.

te dabei viele davon auf dem Synthesizer selbst eingespielt. „Es geht um Ruhm, aber um eine Art von Ruhm, die man mit anderen Menschen teilen kann. Jeder ist zu dieser Party eingeladen. Ich will ein Lebensgefühl mit den Leuten teilen; die Zuhörer sollen sich als Teil dieses Lifestyles fühlen.“ Das Lied heißt übrigens „Beautiful, Dirty. Rich“ und passt wunderbar um auf diesen Teil der Society anzuspielen. Mit diesem Lied beschreibt Lady Gaga die Phase ihrer Selbstfindung, das Leben in der Lower East Side mit ihrem Partyleben und den Drogenexperimenten. Gaga suchte nach Antworten in dieser Phase – schließlich kam sie zum Entschluss sich auf die Musik zu konzentrieren. „Da bemerkte ich schon sehr bald, dass Musik mir viel mehr gibt als das ganze Partyleben.“ In ihrem ersten Album hatte RedOne sechs Lieder für sie komponiert. Der gebürtige Marokkaner komponierte Songs unter anderem für Enrique Iglesias, Jennifer Lopez, New Kids on the Block, Backstreet Boys, Britney Spears und andere. Seit dieser Zeit gilt RedOne als Hauskomponist von Lady Gaga. Als kleine Information am Rande: derselbe Songwriter schrieb das Lied „Get You“ für den diesjährigen Titelverteidiger Russlands Alex Sparrow für den Eurovision Song Contest im Mai. Das Album „Fame“ wurde mit 14 Millionen verkauften Exemplaren ein weltweiter kommerzieller Erfolg. Insgesamt kam es auf Platz eins in sechs Ländern und Platz zwei in Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Auf dem Album sind allgemein bekannte Ohrwürmer, wie „Just Dance“ und „Poker Face“. Das Album „The Fame“ gewann einen Grammy Award in der Kategorie Best Electronic / Dance Album.

Die hübsche Blondine unterschrieb mit Interscope ihren ersten Vertrag und das vor ihrem 20-ten Geburtstag. Was für mich selbst überLady Gaga ging als Operaschend war, dass sie auch Songwriterin ist und vor Vor ihrem großen Ruhm schrieb ning Act bei New Kids on the Block das erste Mal auf ihrem großem Ruhm Songs für andere, wie die Pussycat Lady Gaga Songs für u.a. die Pussy- Tournee im Jahr 2009. Dolls oder Britney Spears cat Dolls und Britney Spears. schrieb. Fusari, ihr Mentor The Fame Monster schimpfte sie da sie oft zu den Aufnahmen in ausgeleierten Pullis und Leggins kam. Was Am 20. November wurde die EP The Fame dazu führte, dass sie ihre Erscheinung vollends Monster mit acht neuen Liedern veröffentwandelte. Immer kürzere Röcke und schließ- licht. Diese wurde ebenfalls erfolgreich. Der lich manchmal nur noch Unterhosen mit Song „Telephone“, eine Zusammenarbeit mit Strumpfhosen waren seitdem an der Kleider- Beyoncé Knowles wurde ihr vierter Nummerordnung. Eins-Hit in Großbritannien. Das zweite Album gewann einen Grammy in der Kategorie Best Pop Vocal Album und die Single „Bad RoThe Fame mance“ gewann jeweils einen Grammy in der In ihrem Debütalbum „The Fame“ schrieb sie Kategorie Best female Pop Vocal Performance sämtliche Melodien und Texte alleine und hat- und Best Short Form Music Video.


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Leben und Kultur

„Ich war schon immer eine Entertainerin“, Auch im Jahr 2009 empfing die Queen Stars sagt die heute 24-jährige. aus dem Showgeschäft, unter ihnen war auch die „Ich war schon immer eine Entertainerin" Das kann sie aber auch sagen, wenn sie in jedem Lady. Und sie fiel durch ihr extravagantes, aber geschlossenes rotes Club in New York gestanden ist. Plastikkleid auf. Die Queen nahm es mit HuIm Februar veröffentlichte Lady Gaga „Born mor und lächelte bei ihrem Anblick. This Way“ als erste Single aus ihrem gleichnaInteressant auch, dass Poker Face 2011 ei- migen Album. Es dauerte nur wenige Stunden nen Grammy in der Kategorie Best Dance Re- und das Lied stand auf Platz eins verschiedecording gewonnen hat. Zudem gewann Lady ner Downloadportale. Innerhalb von drei TaGaga bei den MTV Video Music Awards in den gen wurden 448.000 Downloads verkauft, der Kategorien Best New Artist sowie Best Art Di- größte Absatz einer weiblichen debütierenden rection und Best Special Effects für „Paparaz- Künstlerin. zi“. Wie man sieht wird ihre harte Arbeit auch Die Musikvideos von Gaga wurden auf Youmit vielen bedeutenden Preisen ausgezeichnet. Tube über eine Milliarde mal aufgerufen, was

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zuvor noch keinem anderen Musiker gelungen ist. Es wird auch unter anderem diskutiert, ob die schöne Künstlerin sich nicht hat die Nase operieren lassen. Na denkbar wäre es schon, wie wir sehen auch erfolgreiche Stars sind mit sich unzufrieden und auch nur menschlich.

Alles aus eigenem Antrieb Ganz sicher hat Lady Gaga mit ihren 24 Jahren schon sehr viel erreicht und zwar ohne Casting Show, oder mit berühmter Familie. Also alles auf eigene Faust und aus eigenem Antrieb. Ihr extravaganter Stil und ihre immerwährenden Ideen werden bestimmt noch von sich reden machen.

Arzt – Deutsch / Deutsch – Arzt Dr. Eckart von Hirschhausen lädt zur öffentlichen Vorlesung

 Wie Ärzte und Patienten die Sprache wiederfinden können ein freiwillig komischer Vortrag über die unfreiwillige Komik in der Arzt-Patienten - Kommunikation

 Am 19.05.2011 um 16:00 hält Dr. Eckart von Hirschhausen eine besondere „Sprechstunde“. Im Circus Krone, wo er am Abend mit seinem Bühnenprogramm „Liebesbeweise“ gastiert, nimmt der Autor sich die Kuriositäten der Arztsprache vor.

„Man lernt als Arzt 6 Jahre lang, sich unverständlich auszudrücken. Zum Beispiel sagt man essentielle, funktionelle, vegetative, idiopathische Dystonie, nur um zu sagen: Ich habe keine Ahnung, woher Ihre Beschwerden kommen!“ Eckart von Hirschhausen, der mit seinemBestseller „Arzt–Deutsch / Deutsch–Arzt“ das erste humorvolle medizinische Wörterbuch ablieferte, gibt praktische Beispiele, wie man sich aus der Fachsprachenverwirrung befreien kann, und wieder weniger über Krankheiten redet, als vielmehr mit den Kranken. Weil ihm die nächste Generation der Mediziner und Psychologen am Herzen liegt, sind alle Studierenden dieser Fächer eingeladen und erhalten gegen Vorlage des Studentenausweises freien Eintritt (Anmeldung unter vorlesung@hirschhausen.com). Alle anderen Interessierten zahlen einen Unkostenbeitrag in Höhe einer Praxisgebühr von 10 Euro. Karten sind im Vorverkauf er-

hältlich unter   www.muenchenticket.de und   www.eventim.de. Die Vorlesung findet auf Einladung der Fachschaft Medizin der LMU am 19.05.2011 von 16 (s.t.!) bis 17 Uhr im Münchner Circus Krone (Zirkus - Krone - Straße 1- 6) statt. Der Einlass beginnt um 15:30 Uhr. Um 20 Uhr spielt Eckart von Hirschhausen dann sein aktuelles Bühnenprogramm „Liebesbeweise“. Restkarten sind noch erhältlich. Herzlich eingeladen sind natürlich auch die Medizinstudierenden der TU, die Zahn- und Tiermediziner und die PsychologiestudentInnen sowie das Lehrpersonal der medizinischen Fakultäten. Gegen Vorlage eines Studentenausweises oder eines Beschäftigtenausweises der Unikliniken ist der Eintritt frei. Daher bitten wir für die Stiftung “Humor hilft heilen” um eine Spende. Hierfür werden die Klinikclowns vor Ort ihre roten Nasen verkaufen. Um Anmeldung bis spätestens 13.05. unter vorlesung@hirschhausen.com wird gebeten, Karten gibt es, solange der Vorrat reicht. Wir freuen uns auf euer zahlreiches Kommen! – Michaela für die Fachschaft Medizin LMU

© E. von Hirschhausen // Herbert Management

Dr. med. Eckart von Hirschhausen Dr. med. Eckart von Hirschhausen studierte Medizin und Wissenschaftsjournalismus. Seit 20 Jahren ist er als Komiker, Autor und Moderator in den Medien und auf allen großen Bühnen Deutschlands unterwegs. Sein Markenzeichen: intelligenter Witz mit nachhaltigen Botschaften, gesundes Lachen über Niveau. Mit über 4 Millionen verkauften Büchern wurde er zum erfolgreichsten Sachbuchautor 2008 und 2009. In der ARD moderiert Eckart von Hirschhausen die Wissensshows „Frag doch mal die Maus“ und „Das fantastische Quiz des Menschen“ . 2008 gründete er seine eigene Stiftung Humor hilft Heilen und sammelt unermüdlich Spenden, um das therapeutische Lachen in Medizin und Öffentlichkeit zu fördern und Clowns in Krankenhäuser zu bringen. Mehr über Eckart von Hirschhausen unter:   www.hirschhausen.com   www.humorhilftheilen.de


Leben und Kultur

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Die wahre Geschichte

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Mein Vater war schrecklich in Eile. Er wollte unser Auto – von mir Lexi getauft – verkaufen, und die Interessenten sollten um zwei kommen.

zu verkaufen. Noch voller Stolz auf mich, wie ich den Moment gerettet hatte, beobachtete ich, wie die Innenbeleuchtung anging, und die Heckscheinwerfer kurz aufblinkten.

Lexi, ein dunkelblauer 7er BMW, stand in der Auffahrt bereit, nur kamen wir zu spät vom Einkaufen zurück. Zuhause angekommen war weit und breit kein Käufer mehr zu sehen, deshalb beauftragte mich mein Vater zu warten und mich um eventuell auftauchende Interessenten zu kümmern.

Herr Martin hatte sich mittlerweile ins Auto gesetzt. Als ich wieder nach vorne kam, stieg er aus und fragte mich ob es möglich wäre, den Motor anzuschauen. „Selbstverständlich", ich machte ihm die Motorhaube auf. Er lehnte es aber ab, den Motor zu starten: „Ich war früher Rennmechaniker. Das tut den Autos nicht gut, wenn man sie ständig kalt startet. Ich kann das auch so beurteilen.“ Seltsam, normalerweise will man das Auto doch probefahren, oder zumindest den Motor anhören ... Herr Martin erzählte mir dann, wie er am Geruch des Öls feststellen könnte, ob es sich um neues oder recyceltes Öl handeln würde. Wir hätten recyceltes Öl drin, was nicht so gut für den Motor, dafür aber billiger wäre. Auf meine Frage, was er jetzt beruflich machen würde, antwortete er ausweichend „Unternehmensberater“.

Wenige Minuten später klingelte es und ein wohlhabend wirkender Mann stand vor der Tür. Er wollte das Auto inspizieren und verlangte gleich alle wichtigen Papiere. Ich hatte ein seltsames Gefühl bei diesem Typ, er verhielt sich ungewöhnlich angespannt.

Herr Martin Am Auto angekommen wollte der Mann, Herr Martin (Name von der Redaktion geändert), wissen, warum die Zentralverriegelung nicht ginge. „Moment, das haben wir gleich.“, sagte ich und ging mit dem Schlüssel in der Hand zum Kofferraum. Mein Vater klemmte die Batterie zwischen den Fahrten immer ab, weil sie sich sonst im Standby zu schnell entlud. Diesesmal hatte er Wo ist der allerdings seltsamerweise die beiden Klemmen die ins Auto führten mit einer schwarzen Krokodilklemme überbrückt. Gut dass ich mich mit Elektronik auskannte – daher nahm ich die Krokodilklemme ab, bevor ich die Polklemmen an die Batterie klemmte. Sonst wäre es zu einem Kurzschluß gekommen, und dann hätten wir für den Moment andere Sorgen gehabt, als das Auto

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Mein Vater Bevor wir das noch vertiefen konnten, kam auf einmal mein Vater angerannt. Er ging schnurstracks zur Fahrertür, und schaute ins Innere. Dann fragte er in agressiSchlüssel? vem Ton: „Wo ist der Schlüssel?“ „Hier“ sagte ich. „Nein, der andere Schlüssel!“. Es stellte sich heraus, dass mein Vater den Schlüssel absichtlich im Zündschloss hatte stecken lassen. Auch die Krokodilklemme hatte ihren Sinn: er wollte damit den Bordcomputer zurücksetzen. Und jetzt war der Schlüssel fort!


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„Mein Sohn hat den Schlüssel nicht, also muss er bei Ihnen sein. Geben Sie ihn mir wieder zurück!“, ging mein Vater den Kaufinteressenten ziemlich gereizt an. Mir war das in dem Moment furchtbar peinlich, was wenn der Mann zu Unrecht beschuldigt wurde?

Leben und Kultur Der Schlüssel bleibt verschollen Herr Martin verabschiedete sich nun recht schnell und brauste davon. Und wir hatten den Schlüssel immer noch nicht wieder!

Meine Eltern parkten den BMW sicherheitsDer Käufer selber verhielt sich allerdings sehr halber um. Mein Vater fragte mich außermerkwürdig. Er ging auf die Anschuldigung dem, ob ich mich klar erinnern könne, ob die überhaupt nicht ein, sondern stellte weiter Fra- Scheinwerfer aufgeblinkt hatten oder nicht, gen zum Auto, ging um es herum und bück- als ich die Batterie anklemmte. „Das würden te sich, um die Reifen zu begutachten. Doch sie nur“, so mein Vater, „wenn ein Schlüssel mein Vater ließ nicht locker – und schließlich im Zündschloss gesteckt hätte“. Falls dies der blieb Herr Martin vor dem Kofferraum stehen, Fall gewesen wäre, so hätten wir einen Beweis und legte seinen Mantel und dafür, dass Herr Martin die sein Sakko ab. „Wollen Sie Wollen Sie das Auto verkaufen, Schlüssel genommen hatte. das Auto verkaufen oder hier konnte mich aber beim oder hier eine Szene machen? Ich eine Szene machen? Bitte, besten Willen nicht mehr wo kann man einen Schlüssel noch verste- mit Sicherheit erinnern, ob ich aufleuchtende cken“? Mit diesen Worten zog er seine Socken Scheinwerfer gesehen hatte. Wieso hatte ich herunter, und stülpte seine Hosentaschen aus. nicht besser aufgepasst? Schwere Vorwürfe Das verblüffte uns und machte weitere An- plagten mich. schuldigungen unhaltbar. In der Zwischenzeit hatte ich im Auto nach dem Schlüssel gesucht und herum telefoniert – keiner aus meiner Familie wusste, wo sich der Schlüssel befinden könnte. Also notierte ich sicherheitshalber das Tölzer Kennzeichen unseres Kaufinteressenten, der interessanterweise bereits in einem eigenen BMW gekommen war. Es passte bei ihm einiges nicht zusammen: Lexi war für seine angegebene Tätigkeit als Unternehmensberater nicht neu und repräsentativ genug und seine Aussage, er suche einen Zweitwagen für den Winter, war auch seltsam – sein eigenes Auto war ja kein Cabrio.

Die Lösung? Es riefen weitere Interessenten an, die das Auto haben wollten. Vielleicht war das ja die Lösung? Das Auto verkaufen, bevor der potenzielle Dieb wiederkommen würde. Mir schwirrte der Kopf und ich konnte gar nicht mehr klar denken. Doch auf einmal kam mir die Erleuchtung! Mehrere Dinge sortierten sich und alles machte auf einmal Sinn. Erstens: Ich glaubte, dass die Scheinwerfer aufgeblinkt hatten. Also musste Herr Martin den Schlüssel genommen haben.

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Zweitens: Er hatte uns angeboten, ihn zu durchsuchen. Hätte er den Schlüssel zu diesem Zeitpunkt gehabt, wäre das ein ziemlicher Bluff gewesen. Sehr riskant ... Drittens: Herr Martin hätte den Schlüssel zwischendurch loswerden können! Tatsächlich – er war ja immer wieder ums Auto herum gegangen, hatte sich gebückt, ... Jetzt hieß es schnell handeln, der Betrüger konnte ja jeden Moment zurück kommen. Und tatsächlich – unter einem Haufen Blätter im nahen Gebüsch fand mein Vater den vermissten Schlüssel, fein säuberlich zugedeckt. Das konnte kein Zufall gewesen sein, Herr Martin hatte genug Gelegenheit gehabt, den Schlüssel dort zu verstecken.

Zerwühlte Blätter Einige Tage später erzählte mir meine Mutter, dass sie gesehen hätten wie die Blätter am Parkplatz komplett zerwühlt seien. War Herr Martin nachts heimlich da gewesen und hatte enttäuscht mit leeren Händen wieder heimfahren müssen? Jedenfalls meldete er sich eine Woche darauf am Telefon. Ich bekam das Gespräch zwischen ihm und meinem Vater mit: – „Ich würde gerne am Freitag kommen um das Auto anzuschauen.“ – „Kommen Sie, wie alle anderen am Samstag, passt es Ihnen gegen eins?“ – „Ich habe das Auto schon gesehen. Erinnern Sie sich, Sie dachten ich hätte den Schlüssel genommen.“ - „Dann kann ich Ihnen gleich sagen, wir kommen nicht miteinander ins Geschäft.“ - „Sie sind aber überheblich!“ - „Ich bin nicht überheblich!“ An dieser Stelle unterbrach ich das Telefonat, indem ich den Telefonhörer auflegte. Lexi verkauften wir einige Wochen drauf an einen Jugendlichen, der seit einigen Wochen den Fahrschein hatte. Von Herrn Martin hörten wir nicht mehr.


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