TAKE #12 DE

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#12 S Ü DT I R O L

M A G A Z I N E F O R F I L M P R O F E S S I O N A LS 2 0 2 1

IM FOKUS

Jung und wild

#IDMFILMFUNDING

Innovative Serienproduktion: der Südtiroldreh von Wild Republic

P R O D U KT I O N

DOSSIER

Vom Straßenkind zum Nobelpreisträger: die unglaubliche wahre Geschichte hinter Resilient

Die digitale Revolution hinter der Kamera: Innovation & Technologie in der Filmproduktion

A magazine by

Issue – Year

IDM FILM FUND & COMMISSION

#12 2 0 2 1


Panalight Südtirol

Viale Druso, 313/b · 39100 Bolzano (Bz) MOB. +39 366.9509059 · TEL. +39 0471 539862 panalightsudtirol@panalight.it

www.panalight.it

distributore esclusivo per l’Italia


VORWORT

LIEBE FILMSCHAFFENDE,

wir blicken zurück auf ein Jahr, in dem die Covid-19-Pandemie auch die Filmbranche stark getroffen hat: Produktionen wurden unterbrochen, Festivals oder Filmmärkte mussten virtuellen Kommunikationsformen weichen. Doch das Jahr hat auch Gutes gezeigt: die Resilienz, die Kreativität, den Zusammenhalt in der Branche. Neue Arten der Kommunikation, Produktion und Rezeption. Und ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein für die Sicherheit aller Beteiligten am Set. Im pandemiebedingt verkürzten Produktionsjahr 2020 konnte die Südtiroler Filmförderung 18 Projekte finanzieren, die einen geplanten Territorialeffekt von 6,3 Millionen Euro erzeugen werden. Am Standort wurden 190 Drehtage absolviert: spannende Produktionen, die Südtirols Filmschaffende aktiv mitgestalteten. Etwa Resilient, die filmische Biografie des Nobelpreisträgers Mario Capecchi, der während des Zweiten Weltkriegs als Straßenkind in Bozen aufwuchs – eine unglaublich berührende wahre Geschichte. Für den Spielfilm Non mi uccidere, vorgestellt in TAKE #11, entschied sich Regisseur Andrea De Sica zum zweiten Mal für Südtirol als Standort. Der Fernsehfilm Il Pastore nutzte die eindrucksvollen Locations im Land und rückte die Südtiroler Schauspielerin Katia Fellin ins Bild.

Im Herbst wurde die Serie Wild Republic gedreht: Hoch­alpine Locations und ein plötzlicher Wintereinbruch sorgten für Herausforderungen, denen die Crew mit Südtiroler Beteiligung mehr als gewachsen war. Flexibel auf neue Situationen reagieren, schnell kreative Lösungen finden: Darin liegt die Stärke einer Filmcrew und der ganzen Branche. Stehen die kommenden Monate also noch im Zeichen der Pandemie, so stimmen diese Fähigkeiten doch zuversichtlich. Genau wie die guten Nachrichten zum Jahresbeginn: Der Südtiroler Regisseur Ronny Trocker war mit Der menschliche Faktor auf dem Sundance Film Festival 2021 vertreten; Regisseurin Nancy Camaldo SIX COMPETITIONS AND war mit Windstill im Wettbewerb des Max Ophüls Preises. Viel Erfolg!

TA K E #1 2

Welcome

GRUPPE GUT

13.–18.04.2021

filmfestival.bz.it

PRIZES

FOUR INTERNATIONAL JURIES FINAL TOUCH #6 FOCUS EUROPA: CZECH REPUBLIC LOCAL ARTISTS MADE IN SÜDTIROL ALTO ADIGE LANDSHUT SHORT FILM FESTIVAL MEETS BFFB Ihre Vera Leonardelli

D I R E C T O R B U S I N E S S D E V E LO P M E N T I D M S Ü DT I R O L

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IMPRESSUM

I N H A LT

MAGAZINE FOR FILM P R O F E S S I O N A LS # 1 2 2021 PUBLISHER IDM Südtirol Film Fund & Commission Südtiroler Straße 60 39100 Bozen T +39 0471 094 274 film@idm-suedtirol.com film.idm-suedtirol.com Facebook: idmfilmfunding Instagram: idmfilmfunding

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EXECUTIVE EDITOR Birgit Oberkofler

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MANAGING EDITORS Alessia De Paoli, Barbara Weithaler CONCEPT Exlibris www.exlibris.bz.it EDITOR-IN-CHIEF Florian Krautkrämer EDITOR, PUBLISHING MANAGER Valeria Dejaco/Exlibris EDITORIAL DESIGN Nina Ullrich www.designnomadin.com ART DIRECTION Philipp Aukenthaler www.hypemylimbus.com TRANSLATIONS & PROOFREADING Exlibris (Claudia Amor, Valeria Dejaco, Helene Dorner, Cassandra Han, Milena Macaluso, Charlotte Marston, Federica Romanini, The Word Artists) PHOTOS If not credited otherwise: IDM COVER PHOTO Lailaps Pictures/X Filme Creative Pool (Luis Zeno Kuhn) ILLUSTRATIONS Oscar Diodoro (34–40), freund grafic design (57) PRINTER Dialog GmbH A.-Amonn-Straße 29 I-39042 Brixen www.dialog.bz

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O N LO C AT I O N

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PRODUCTION #3: HOCHWALD

NEWS Shot in South Tyrol / Green Shooting Workshop / Nachruf: Valentina Pedicini / 3 Fragen an … / Short Film Workshop / Die Zahl der Ausgabe / Rising Star / New Faces / Top 5

Interview: Regisseurin Evi Romen über ihren ersten Spielfilm, Religion und Männlichkeit

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Vielseitiger Optimist: Regieassistent Giuseppe Tedeschi

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FLASHBACK 2020: Filmerfolge & geförderte Filme PRODUCTION #1: RESILIENT Vom Straßen­

kind zum Nobelpreisträger: die unglaubliche Geschichte des Mario Capecchi GABRIELE NIOLA

DORIS POSCH

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LO C A L TA L E N T S

MARIANNA KASTLUNGER

STUDIOBESUCH BEI …

Postproduktions- und VFXStudio Cine Chromatix Italy MARIANNA KASTLUNGER

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P R O D U Z E N T E N -TA L K

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Donatella Palermo über den Dokumentarfilm als ethisch wertvolle Kunstform

anbieter und öffentlich-rechtliche Sender als Produktionspartner einer High-concept-Serie

MARGHERITA BORDINO

PRODUCTION #2: WILD REPUBLIC Streaming-

FABIAN TIETKE

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DOSSIER

Film is Technology. Die digitale Revolution hinter der Kamera FLORIAN KRAUTKRÄMER

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Drei

Perspektiven auf Südtirol

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S P OT L I G H T

Wilfried Gufler A B S PA N N

Carlo Sironi beantwortet den TAKE-Fragebogen / Coming soon: TAKE #13


E D I TO R I A L

IDM

TAKE #12

Film Fund & Commission

im vergangenen Jahr haben wir alle die Vorzüge und teils auch die Schattenseiten der fortschreitenden Digitalisierung am eigenen Leib erlebt: Zoomkonferenzen, Smart­ working vom Küchentisch aus, Streamingdienste als nicht immer tröstlicher Ersatz für den dunklen Kinosaal. Doch die Digitalisierung in der Filmbranche ist mehr als das: Sie revolutioniert nicht nur die Gewohnheiten des Publikums, sondern auch die Produktionsseite. Technologien erneuern sich immer schneller – so schnell, dass selbst Rentals Forschung und Entwicklung betreiben müssen, um am Puls der Zeit zu sein. Diese digitale Revolution hinter der Kamera beleuchtet TAKE-Chefredakteur Florian Krautkrämer in seinem Dossier ab S. 34. Dabei geht es selbstverständlich auch um die Postproduktionsund VFX-Branche, wo neue Technologien die Arbeitsgrundlage bilden. In Südtirol tüftelt etwa ein junges, innovatives Team in einer ehemaligen Nudelfabrik an perfekten Filmeffekten: Unseren Studiobesuch bei Cine Chromatix Italy lesen Sie ab S. 50 nach. Zwei wunderbare Protagonistinnen dieser Ausgabe sind die

Südtiroler Regisseurin Evi Romen, die 2020 ihren ersten Spielfilm Hochwald präsentiert hat, und die Oscar-nominierte Dokumentarfilmproduzentin Donatella Palermo. Ihre Interviews ab S. 42 und ab S. 54 eröffnen Einblicke in die Arbeit von zwei Filmprofis, die jeweils einen ganz besonderen Blick auf die Welt und auf die Branche haben. Dazu kommen Porträts über lokale Filmschaffende: der sympathische Regieassistent Giuseppe Tedeschi, die tiefsinnige Schauspielerin Katia Fellin, der rührige Produzent Wilfried Gufler und der quirlige Kostümbildner Simone Toso. Ich freue mich sehr, Ihnen diese talentierten Akteure des Filmstandorts Südtirol vorstellen zu können! Nicht zuletzt weise ich Sie auf einige Initiativen hin, die wir 2020 trotz aller Hürden verwirklichen konnten: Eine neue Ausgabe des Workshops „Green Shooting“ oder der Produktionsworkshop Maia fanden genauso statt wie das Programm FINAL TOUCH oder ein Kurzfilm-Workshop – und zwar per Videokonferenz. Ein Hoch auf die Digitalisierung! Herzlich, Ihre Birgit Oberkofler H E A D F I L M F U N D & CO M M I S S I O N

KONTAKTE IDM Südtirol Film Fund & Commission BIRGIT OBERKOFLER Head Film Fund & Commission T +39 0471 094 277 birgit.oberkofler@idm-suedtirol.com RENATE RANZI Coordinator Film Location (maternity leave) T +39 0471 094 252 renate.ranzi@idm-suedtirol.com CLAUDIA HAUG Coordinator Film Location (maternity leave substitute for Renate Ranzi) T +39 0471 094 246 claudia.haug@idm-suedtirol.com

TA K E #1 2

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

EVA PERWANGER Film Funding T +39 0471 094 282 eva.perwanger@idm-suedtirol.com BEATRIX DALSASS Film Funding T +39 0471 094 272 beatrix.dalsass@idm-suedtirol.com ALESSIA DE PAOLI PR & Film Location T +39 0471 094 266 alessia.depaoli@idm-suedtirol.com BARBARA WEITHALER PR & Film Location T +39 0471 094 254 barbara.weithaler@idm-suedtirol.com SOPHY PIZZININI Film Location T +39 0471 094 279 sophy.pizzinini@idm-suedtirol.com LUISA GIULIANI Film Commission T +39 0471 094 294 luisa.giuliani@idm-suedtirol.com

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O N LO C AT I O N

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FILM

D I R E C TO R

Non mi uccidere (2021)

Andrea De Sica


LO C AT I O N

Florian Mohn / www.cinealp.com

TA K E # 1 2

Stadtviertel Europa-Neustift, Bozen

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O N LO C AT I O N

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SERIES

D I R E C TO R

Der Bozen Krimi

Thomas Nennstiel


Florian Mohn / www.cinealp.com

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LO C AT I O N

Biotop Castelfeder, Montan

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O N LO C AT I O N

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FILM

D I R E C TO R

Head Full of Honey (2018)

Til Schweiger


LO C AT I O N

Florian Mohn / www.cinealp.com

TA K E #1 2

Franziskanerkloster, Bozen

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NEWS

S H OT I N S O U T H T Y R O L

F I L M CO M M I S S I O N

Ein Sommer in Südtirol (2021)

Green Shooting Workshop

S H OT I N S O U T H T Y R O L

Nachdem ihr Vater Josef (Harald Krassnitzer, r.) einen Autounfall hatte, reist die Kellermeisterin Franziska Gasser (Maike Jüttendonk) nach Südtirol, um sich um das Weingut der Eltern zu kümmern. Sie kehrt nicht gern in ihre Heimat zurück, auch aufgrund alter Konflikte: zwischen ihr und den Eltern, zwischen Deutschsprachigen und Italienern oder zwischen ihrem Vater und seinem Erzfeind Roberto Antonelli (Michele Oliveri, l.). Und dann ist da noch Robertos charmanter Sohn Marco … Der Fernsehfilm Ein Sommer in Südtirol, Teil der Herzkino-Reihe, wird 2021 im ZDF laufen und wurde im Herbst 2020 in Bozen, Brixen, Meran und Umgebung gedreht. Regie führte Karola Meeder nach einem Drehbuch von Thomas Kirdorf.

ZDF/Stefan Ditner

Sommer mit Herz

G R E E N S H O OT I N G W O R K S H O P

Oscar Diodoro

M. Tessaro

Grün drehen in Südtirol

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„Die Branche ist gerade jetzt mehr als bereit für nachhaltigere Filmsets“, sagte Green-Shooting-Experte Philip Gassmann im Interview in TAKE #11. Entsprechend groß war das Interesse am mehrteiligen Lehrgang „Green Consultant“, den Gassmann 2020 für IDM abhielt. „Im ersten Teil des Lehrgangs im Frühjahr ging es vor allem um Grundwissen zum Thema grünes Drehen in den verschiedenen Departments“, so Renate Ranzi, Coordinator Film Location bei IDM Film Fund & Commission. Der zweite Teil im November, der wieder als Webinar stattfand, wurde nochmal konkreter: „Mit den neun Teilnehmern sprachen wir über die Besonderheiten Südtirols in puncto Nachhaltigkeit – und darüber, wie diese zukünftigen Green Consultants Produzenten und Produzentinnen, die hier am Standort drehen, beraten können.“ Die angehenden Green-Shooting-Berater und -Beraterinnen sollen in Zukunft jenen Produktionen zur Seite stehen, die ihren Dreh klimafreundlich abwickeln wollen. Die Förderrichtlinien der Südtiroler Filmförderung sehen diese Möglichkeit ab 2021 vor: Wer beim Förderantrag die „grüne“ Option wählt – dies fließt mit in die Förderentscheidung ein –, muss beim Drehen in Südtirol eine Reihe von Kriterien berücksichtigen, etwa nachhaltige Energie am Set oder klimaneutrale Transporte. Zu diesem Zweck müssen die interessierten Produktionen einen lokalen Green Consultant engagieren. Teil des Lehrgangs waren auch Gespräche mit Dienstleistern, damit auch diese bereit sind, die Bedürfnisse einer „grünen“ Produktion zu erfüllen. Ob die Produktion die Nachhaltigkeitskriterien einhält, prüft ein unabhängiges Institut im Auftrag von IDM. „Wir haben festgestellt, dass viele Produktionen bereits daran interessiert sind, am Set nachhaltiger zu arbeiten“, erklärt Ranzi. Diese Bereitschaft, beim grünen Drehen Vorreiter zu sein, soll durch die Zertifizierung „Green Shooting“ honoriert werden – mithilfe der lokalen Green Consultants.


NACHRUF

VALENTINA PEDICINI

1978–2020 NACHRUF

Valentina Pedicini 1978 – 2020 LIEBE VALE,

Wir sind so sehr daran gewöhnt, immer neue Geschichten von dir zu erwarten, dass wir auch jetzt nichts tun können als warten: ungläubig, fassungslos, irgendwie auch zuversichtlich.

TA K E #1 2

als wir das letzte Mal beisammen waren, haben wir gelacht ohne Ende. Denn dein Mondhoroskop hatte den Nagel auf den Kopf getroffen: einfühlsam, rastlos; immer neugierig darauf, unbekannte Welten zu erschließen, sagte es über dich. Und weiter: Unter diesem Sternzeichen stehen oft führende Persönlichkeiten aus Kunst und Medien. Jetzt bist du in die unbekannteste aller Welten aufgebrochen. Wie kannst du diese für uns erschließen?

Und zutiefst berührt.

Riccardo Ghilardi

Seit deinen allerersten Schritten in der Welt des Films – die wir glücklicherweise mit dir gehen durften – warst du eine Hauptdarstellerin. Du warst einfach da: außergewöhnlich, immer präsent, überzeugend.

VALENTINA PEDICINI wurde 1978 in Brindisi (Apulien) geboren. Sie erwarb nach ihrem Universitätsstudium der Sprach- und Literaturwissenschaft ein Diplom im Fach Dokumentarfilmregie an der ZeLIG School for Documentary, Television and New Media in Bozen, wo sie die Filme Mio sovversivo amore, Pater Noster sowie ihren Abschlussfilm My Marlboro City drehte. Mit ihrem ersten Doku-Langfilm Dal profondo (From the Depths) über die einzige – und letzte – weibliche Grubenarbeiterin Italiens in einem Kohlebergwerk auf Sardinien gewann sie 2013 beim Filmfest Rom den Preis für den besten italienischen Dokumentarfilm. Pedicinis Spielfilmdebüt Dove cadono le ombre (Where Shadows Fall) über ein dunkles Kapitel in der Schweizer Geschichte – den versuchten Genozid am Volk der Jenischen – lief 2017 im Programm des Filmfestivals Venedig. Mit Faith kehrte sie 2019 wieder zum Dokumentarfilm zurück: Ihr in Schwarz-Weiß gedrehtes Porträt einer sekten­ ähnlichen Gemeinschaft, das bei der IDFA 2019 und der Woche der Kritik der Berlinale 2020 gezeigt wurde, brachte ihr internationale Anerkennung. Valentina Pedicini verstarb nach einer Krankheit am 20. November 2020 in Rom.

Das Wissen, dass du bis zuletzt von der Liebe umgeben warst, ist angesichts deines Abschieds nur ein kleiner Trost. So wie die Filme, die du uns als Erinnerung hinterlässt: Werke über Glauben, Liebe und menschliche Tiefen. Du wirst fehlen.

GEORG ZELLER, Filmschaffender und Autor, war zu Valentina Pedicinis Studienzeiten Tutor an der Bozner Filmschule ZeLIG und seither mit ihr befreundet. Dieser Nachruf ist ursprünglich im Onlinemagazin salto.bz erschienen.

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NEWS

3 FRAGEN AN ...

F I L M LO C AT I O N

Graziella Bildesheim

Short Film Workshop

3 FRAGEN AN …

Graziella Bildesheim, Gründerin der Maia Workshops Bildesheim ist Mitglied der italienischen Filmakademie David di Donatello und vertrat 2018–2019 Italien im Vorstand der Europäischen Filmakademie. Sie ist die Gründerin von Maia, einem Ausbildungs- und Coachingprogramm für aufstrebende Produzentinnen und Produzenten. Als Folge der Corona-Pandemie stehen Produktionen wie Bildungsprogramme in der Filmbranche still. Wie kann Weiterbildung im Produktionsbereich in dieser schwierigen Phase aussehen? GB In unserer Branche lernt man ein Leben lang. Die Pandemie hat uns zwar eingeschränkt, gleichzeitig haben sich aber neue Inspirationsquellen aufgetan: Online-Programme von Filmfestivals, Thinktanks, Masterclasses und Diskussionsforen haben die Debatte darüber angeregt, welche Filme wir in Zukunft produzieren wollen und wie wir unser Publikum erreichen. Wir sollten diese Chance nutzen, um zu lernen, wie man mit einer sich verändernden Welt zurechtkommt.

1.

Wie kann man Produzenten und Produzentinnen dabei unterstützen, dieses Jahr schnell wieder in Gang zu kommen? GB Viele haben die Dreharbeiten mit den nötigen Sicherheitsmaßnahmen bald wieder aufgenommen. Möglich war das vor allem dort, wo Förderungen eng mit ihren Leistungsempfängern zusammenarbeiten, Bedürfnisse verstehen und ihre Unterstützung schnell anpassen können.

2.

Die Maia Workshops vernetzen kreative Köpfe aus ganz Europa. Wo sehen Sie die größten Chancen für grenzüberschreitende Kooperation? GB Koproduktion ist dann vorteilhaft, wenn grenzüberschreitende Geschichten eine internationale Zusammenarbeit erfordern. Doch Koproduktionen sind komplex: Ein internationales Projekt erfolgreich zu steuern, erfordert eine gemeinsame Vision und gute Beziehungen zwischen Produzenten. Unsere Workshops bieten daher aufstrebenden Produzentinnen eine geschützte Umgebung für Experimente, in der sie lernen, zu ihren Entscheidungen zu stehen – und gleichzeitig ein wertvolles Netzwerk aufzubauen.

3.

www.maiaworkshops.org

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IDM-Workshop zu Kurzfilmen online (o.), Dozenten Adam Selo und Olga Torrico (u.)

KURZ UND GUT Was den Reiz von Kurzfilmen ausmacht? „Die große Freiheit zum Experimentieren mit neuen Formen und Filmsprachen, aber auch die größere Unabhängigkeit für Filmemacher im Vergleich zu Langfilmen“, sagt Adam Selo. Er leitet mit Olga Torrico die die auf Kurzfilme spezialisierte Produktionsfirma Sayonara Film. Gemeinsam mit den Dramaturginnen Sofia Assirelli und Zsuzsanna Kiràly leiteten Selo und Torrico im November und Dezember 2020 einen von IDM organisierten Workshop zum Thema Kurzfilmproduktion. Am Onlineworkshop nahmen 19 aufstrebende Filmemacher und Produzenten teil, davon acht mit eigenen Kurzfilmprojekten. „Die Projekte der Teilnehmer haben uns wirklich beeindruckt“, sagt Selo. „Gemeinsam war ihnen der frische Zugang, der Wunsch, etwas Neues zu wagen, und der Drang der Autoren, ihre Geschichten zu erzählen.“ Trotz Fernunterrichts entstand ein freundschaftliches Verhältnis zu den Teilnehmern, sagt der Dozent: „Wir sind weiterhin in Kontakt und freuen uns, die Projekte der Teilnehmer bis zu ihrer Fertigstellung zu verfolgen“, so der Produzent. Teil des Workshops waren Masterclasses von Selo und Torrico zu Produktion und Vertrieb. „Einen Kurzfilm zu drehen ist nicht technisch schwierig, das kann heute jeder schaffen. Die Herausforderung liegt vielmehr darin, in Dramaturgie und Schauspielleistung ein hohes Niveau zu erreichen“, sagt Selo. Nur so sei der Zutritt zum Kurzfilmmarkt möglich – eine Nische, die oft lediglich als Sprungbrett gesehen wird. „Dabei ist es ein spannender Markt mit einer wichtigen kulturellen Dimension und auch wirtschaftlichen Möglichkeiten.“ Infos: film.idm-suedtirol.com


DIE ZAHL DER AUSGABE

R I S I N G S TA R

190

Simone Toso

DIE ZAHL DER AUSGABE

Drehtage in Südtirol Der Rückblick auf das Drehjahr 2020 zeigt: Insgesamt wurden am Filmstandort Südtirol 190 Drehtage absolviert. Hinter dieser Zahl verbirgt sich der lange italienweite Covid-19-Lockdown im Frühjahr. Aber auch ein langer und arbeitsintensiver Drehsommer, in dem die meisten geplanten Produktionen realisiert bzw. verschobene Projekte wieder aufgenommen werden konnten – natürlich mit den nötigen Sicherheits- und Hygieneauflagen am Set.

190 R I S I N G S TA R

Stilvolle Spione

LANDMARK MEDIA/Alamy

Simone Toso kleidete für den neuen BondFilm Ralph Fiennes (u. l.) ein

Der Weg dorthin war turbulent, aber 2021 ist es endlich soweit, der neue Bond-Film No Time to Die soll in die Kinos kommen. Daran beteiligt war auch der gebürtige Bozner Simone Carlo Toniato Toso: Als principal costume standby unter Suttirat Anne Larlarb (Slumdog Millionaire, American Gods) sorgte er dafür, dass Ralph Fiennes und Christoph Waltz rollenkonform gekleidet waren. Toso, der in London lebt, arbeitete zuvor als Kostümassistent mit renommierten Namen wie Cristina Sopeña und Leesa Evans an Zoolander 2 (2015) und unterstützte 2016 das Team der Oscar-prämierten Lindy Hemming für Wonder Woman. Begonnen hat für Toso alles an seinem ehemaligen Studienort Turin, wo er nach seinem Bühnenbildstudium an der Kunsthochschule Accademia Albertina di Belle Arti als Cum-laude-Absolvent beruflich Fuß fasste. 2014 kam ein Jobangebot für die Dreharbeiten von The Avengers: Age of Ultron im benachbarten Aostatal, er sagte sofort zu. Dort lernte er den Designer und Costume Supervisor Stefano de Nardis kennen und arbeitete mit der Oscar-prämierten Kostümbildnerin Alexandra Byrne (Elizabeth – The Golden Age). Beide konnte Toso von sich überzeugen, sein Einsatz und seine Passion sprachen sich schnell herum. Das neueste Projekt des Südtirolers: Unter Kostümbildnerin Liza Bracey (Yesterday, The Girl with All the Gifts) assistierte er letztens Hauptdarsteller Jack Bannon in der Batman-­ Prequel-Serie Pennyworth (2020–21).

TA K E # 1 2

NEWS

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NEWS

N E W FA C E S

Katia Fellin

N E W FA C E S

Katia Fellin Anpassungsfähig war Katia Fellin schon immer. In Trient geboren, aber im dörflichen Oberbozen in Südtirol aufgewachsen, lernte sie neben den Muttersprachen Deutsch und Italienisch auch rasch den Südtiroler Dialekt, später kamen Englisch und Spanisch dazu. Ein Sprachtalent, das der 28-Jährigen bei der Rollenfindung der Staatsanwältin Ines Tomasi in der kürzlich in Südtirol abgedrehten Serie Wild Republic (► Produktionsbericht S. 28) zugutekam. „Meine Figur spricht mehrere Sprachen, auch den lokalen Dialekt“, sagt Fellin. „Das verleiht ihr eine stärkere Verbindung zur Story.“ Einen ähnlichen Effekt hatten die hochalpinen Drehorte der MagentaTV-Serie, ist sie überzeugt: „Je tiefer man in die Südtiroler Berglandschaften eindringt, desto schattiger, ja gewaltiger sind die Seiten, die hervortreten“, sagt die Wahlberlinerin, die schon seit Jahren für TVund Kinoproduktionen vor der Kamera steht und 2018/19 Ensemblemitglied des Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin war. Dabei hätte es auch anders kommen können: Nach ihrem Schulabschluss studierte Fellin zunächst Geotechnologie und Mathematik. Und zieht überraschend spannende Parallelen zwischen Naturwissenschaften und Schauspielkunst: „Ich musste im Studium sehr kreativ sein“, erklärt sie. Denn es ging nicht um Ingenieursmathematik und fixe Formeln, sondern um Theorien: um unterschiedliche, selbst entwickelte Wege zu einem bestimmten Ziel, deren Sinnhaftigkeit sie erst beweisen musste. Eine Denkart, die Fellin auch bei der Findung ihrer Figuren anwendet. „Das gelingt durch Ausprobieren, durch nahezu wissenschaftliches Sammeln von Bewegungen, Emotionen, Gesten oder Erfahrungen“, schildert sie ihren Ansatz, der bei jeder Figur anders abläuft – bis sie ihre richtige Formel gefunden hat. Wie in der Mathematik.

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Martin Rattini

Puria Safary

Als Staatsanwältin in Wild Republic oder im Mafiafilm Il Pastore (u.) taucht Katia Fellin in die Schattenseiten Südtirols ein.

FILMOGRAPHY 2021: Il Pastore TV Series 2021: Wild Republic TV Series 2020: Der Palast TV Miniseries 2019: Tatort Dresden: Die Zeit ist gekommen TV Series 2018: Il ladro di giorni Feature Film 2016: A Hidden Life Feature Film


NEWS

TO P 5

Filmporträts #shotinsouthtyrol TO P 5

Fünf Dokumentarfilme über besondere Menschen

FILM

Becoming Me (2019) Martine De Biasi PRODUKTION Helios sustainable films (IT) LOCATIONS Gebiet Überetsch (St. Michael, Kaltern, Tramin, Girlan, Montiggl) HANDLUNG Der junge Südtiroler Marian hieß früher Marion. Seinen Weg hin zum wahren Ich zeichnet die Regisseurin, seine Exfreundin, einfühlsam nach.

MediaArt

REGIE

Die fünfte Himmelsrichtung (2017) Martin Prinoth PRODUKTION Miramonte Film (IT), Against Reality Pictures (DE) LOCATIONS Seiser Alm, St. Ulrich, Meran, Bozen HANDLUNG Auf der Suche nach der leiblichen Mutter reist ein junger Südti­ roler 2009 nach Brasilien und stirbt auf dem Rückweg beim Air-France-Absturz. REGIE

Against Reality Pictures

FILM

FILM

Ama Dablam – Der heilige Berg (2018) Reinhold Messner PRODUKTION Tempest Film Produktion und Verleih (DE) LOCATIONS Sulden HANDLUNG 1979 überrollt eine Eislawine vier Alpinisten am 6.814 Meter hohen Ama Dablam, darunter den Sohn des Everest-Erstbesteigers Sir Edmund Hillary.

Lars Jacobsen

REGIE

FILM

Monika Hauser – ein Porträt (2016) Evi Oberkofler, Edith Eisenstecken PRODUKTION Thali Media (DE) LOCATIONS Vinschgau, Bozen HANDLUNG Porträt der Südtiroler Ärztin Monika Hauser, die sich mit ihrer Organisation „medica mondiale“ um vom Krieg traumatisierte Frauen kümmert.

Thali Media

REGIE

FILM

Viktoria Savs – Die Kaisersoldatin (2018) Karin Duregger PRODUKTION WEGA-Filmproduktionsgesellschaft (AT) LOCATIONS Meran, Dolomiten, Sexten, Toblach, Fischleintal HANDLUNG Viktoria Savs kämpfte im Ersten Weltkrieg als Mann getarnt an der Dolomitenfront. Das NS-Regime instrumentalisierte sie als „Heldenmädchen“.

WEGA

REGIE

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FLASHBACK

2020

Einige Erfolge des Jahres

Hochwald

Flo Rainer/Amour Fou

Das Spielfilmdebüt der Südtiroler Regisseurin Evi Romen, produziert von Amour Fou Vienna, gewann beim Filmfestival Zürich in der Focus Competition das „Goldene Auge“ für den besten Film. Außerdem lief Hochwald in Co-Premiere auf dem Tallinn Black Nights Festival, auf der Viennale und dem Torino Film Festival. IDM förderte die Produktionsvorbereitung sowie die Produktion.

Neue Visionen Filmverleih

Vor mir der Süden Pepe Danquarts Italien-Roadmovie feierte 2020 seine Weltpremiere auf dem Fünf Seen Festival und lief auf dem DOC LA Los Angeles Documentary Film Festival. Der Film, eine Koproduktion von Albolina Film (Südtirol) und Bittersuess Pictures (Berlin), von IDM mit 65.000 Euro gefördert, führt auf den Spuren des Regisseurs, Dichters und Philosophen Pier Paolo Pasolini die ganze Küste Italiens entlang.

Sole

Kino produzioni

Das Drama von Carlo Sironi über einen Kleinkriminellen und eine junge Schwangere, die ihr Baby verkaufen will, hat bei den European Film Awards 2020 den Filmkritikerpreis European Discovery – Prix FIPRESCI gewonnen. Der Regisseur war für den italienischen Filmpreis David di Donatello nominiert. Die italienisch-polnische Koproduktion von Kino produzioni (mit Rai Cinema) und Lava Films erhielt von IDM 20.000 Euro Entwicklungsförderung.

Marco Nagel/ZDF

Eine harte Tour

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Der 2020 ausgestrahlte Fernsehfilm, produziert von der deutschen Roxy Film (Annie Brunner) und WDR für ARD, hat beim Deutschen Fernsehpreis in den Kategorien „Beste Regie Fiktion“ (Isabel Kleefeld) und „Bestes Buch Fiktion“ (Dominique Lorenz) gewonnen. Eine der weiblichen Hauptrollen in der Tragikomödie spielt die Südtirolerin Anna Unterberger, gedreht wurde in den Pragser Dolomiten. IDM förderte die Produktion mit 300.000 Euro.


FLASHBACK

2020

Die geförderten Projekte des Jahres

Call #2

N O N M I U CC I D E R E

GEGEN DAS SCHWEIGEN – BREAKING THE SILENCE

Romantischer Horror-Fantasy-Film. Regie: Andrea De Sica Drehbuch: Gianni Romoli, Andrea De Sica, GRAMS collective Produktion: Vivo film (IT) Produktionsförderung: 450.000,00 €

I L PA S TO R E

Thriller über Wein, Mord und die Mafia. Regie: Andreas Prochaska Drehbuch: Ben Braeunlich, Grzegorz Muskala Produktion: Good friends Filmproduk­ tion (DE) & Satel Film (AT) Produktionsförderung: 300.000,00 €

D I E C I G I O R N I CO N B A B B O N ATA L E

Turbulente Weihnachtskomödie. Regie: Alessandro Genovesi Drehbuch: Alessandro Genovesi, Giovanni Bognetti Produktion: Colorado Film (IT) Produktionsförderung: 100.000,00 €

THE DEEP HOUSE

Horrorfilm über ein junges Paar, gefangen in einem versunkenen Haus. Regie: Julien Maury, Alexandre Bustillo Drehbuch: Julien Maury, Alexandre Bustillo Produktion: Radar Films (FR) Produktionsförderung: 90.000,00 €

T I L L S L E E P D O U S PA R T

Drama zwischen Traum und Realität. Regie: Peter Dalle Drehbuch: Peter Dalle Produktion: Unlimited Stories (SE) Produktionsförderung: 40.000,00 €

W I L D N I S E U R O PA – T I E R E D E R S U P E R L AT I V E

Dokumentarfilmreihe über Europas schnellste, größte und seltenste Tiere. Regie: Veronika Kaserer Treatment: Nadine Neumann, Veronika Kaserer Produktion: Gebrüder Beetz (DE) Produktionsförderung: 25.000,00 €

GASBARRA

Dokumentarfilm über den deutsch-italienischen Schriftsteller Felix Gasbarra. Regie: Martin Hanni Treatment: Gabriel Heim Produktion: MediaArt (Südtirol) Förderung der Produktionsvorbereitung: 27.000,00 €

Dokumentarfilm über Missbrauchsfälle. Regie: Georg Lembergh Treatment: Georg Lembergh Produktion: Albolina Film (Südtirol) Produktionsförderung: 80.000,00 €

EVA MARIA

Dokumentarfilm über den Kinderwunsch einer Frau mit Behinderung. Regie: Lukas Ladner Treatment: Lukas Ladner Produktion: Golden Girls Filmprod. & Filmservices & Bunny Beach Film (AT) Produktionsförderung: 12.000,00 €

FREMDENVERKEHRT

TV-Mehrteiler über die touristische Entwicklung des Ortes St. Pauls. Drehbuch: Gernot Werner Gruber, ­A leksandra Kumorek Produktion: Albolina Film (Südtirol) & Tellux-Film (DE) Förderung der Produktionsvorbereitung: 60.000,00 €

WIE WEIT GEHEN

Spielfilm über das Schicksal der an ALS erkrankten Sarah Braun. Regie: Sabine Derflinger Drehbuch: Judith Doppler Produktion: Helios Sustainable Films (Südtirol) & kurt mayer film (AT) Förderung der Produktionsvorbereitung: 34.000,00 €

Call #3 DAS FLIEGENDE KLASSENZIMMER

SCHNEE

Mehrteiliger TV-Mystery-Thriller über ein Verbrechen in einem Bergdorf. Regie: Barbara Albert, Esther Rauch Drehbuch: Michael Taschek Produktion: Witcraft Filmproduktion (AT) & handwritten Pictures (DE) Produktionsförderung: 500.000,00 €

SISTERS

Familiendrama über zwei Schwestern in einem Kinderheim und ihre Adoption. Regie: Linda Olte Drehbuch: Linda Olte Produktion: Albolina Film (Südtirol) & Fenixfilm (LV) Produktionsförderung: 190.000,00 €

PERSONAL

Doku über Frauen mit Migrationshintergrund in Südtirols Tourismusindustrie. Regie: Carmen Trocker Treatment: Carmen Trocker Produktion: Bagarrefilm (Südtirol) & Peter Kerekes (SK) Produktionsförderung: 100.000,00 €

RISPET

Spielfilm über die archaischen Regeln eines Bergdorfs im Trentino. Regie: Cecilia Bozza Wolf Drehbuch: Cecilia Bozza Wolf, Raffaele Pizzatti Sertorelli Produktion: Stefilm International (IT) Produktionsförderung: 100.000,00 €

VERMIGLIO

Historisches Drama über drei Schwestern im Zweiten Weltkrieg. Regie: Maura Delpero Drehbuch: Maura Delpero Produktion: Cinedora (IT) Förderung der Produktionsvorbereitung: 42.000,00 €

Moderne Adaption des Kinderbuchklassikers von Erich Kästner. Regie: Carolina Hellsgård Drehbuch: Gerrit Hermans, Carolina Hellsgård Produktion: UFA Fiction & Warner Bros. (DE) Produktionsförderung: 500.000,00 €

C I A O C I A O A U S TO KY O

H E R Z O G PA R K

SOUTH TYROL: THE LAST R E D O U BT

TV-Mehrteiler über vier Frauen, die gemeinsam einen Mord planen. Regie: Jochen Alexander Freydank Drehbuch: Regina Dietl, Nadine Keil, Enno Reese Produktion: Letterbox Filmproduktion & Amalia Film (DE) Produktionsförderung: 450.000,00 €

TA K E #1 2

Call #1

Dokumentarfilm über eine japanische Familie in einer fremden Kultur. Regie: Martin Telser Treatment: Martin Telser Produktion: Ammira (Südtirol) Förderung der Produktionsvorbereitung: 26.000,00 €

Doku über SS-Kriegsverbrecher. Regie: Aaron Young Treatment: James Holland Produktion: Enrosadira Pictures (Südtirol) Förderung der Produktionsvorbereitung: 20.000,00 €

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LO P RR OEDM U CI P TS I OUNM # 1

LO F I LRME M I P S U M

LO D I RREECMTO I PRS U M

Lorem Ipsum Resilient (2021)

Lorem Ipsum Roberto Faenza

Vom Straßenkind zum Nobelpreisträger: die unglaubliche Geschichte des Mario Capecchi Resilient: die Entdeckung Amerikas in Südtirol 20


LO S C R IEPMT I P S U M

LO P RR OEDM U CI P TS I OUNM

LO R E M I P S U M

Roberto Lorem Ipsum Faenza

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TA K E #1 2

„Wir haben einige echte Details aus dem Drehbuch streichen müssen, sonst glaubt uns niemand, dass es sich um eine wahre Geschichte handelt!“ Regisseur Roberto Faenza über Capecchis bewegtes Leben

Text

GABRIELE NIOLA Fotos

J E A N V I G O I TA L I A R I CC A R D O G H I L A R D I LU C A Z O N T I N I

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PRODUCTION #1

FILM

D I R E C TO R

Resilient (2021)

Roberto Faenza

Die unglaubliche Lebensgeschichte des Mario Capecchi beginnt in Südtirol. Von Bozen führt sie in die USA und findet ihren Höhepunkt in Stockholm. Und: Sie ist noch nicht zu Ende. Denn der Mann, von dem sie handelt, erfreut sich bester Gesundheit. Trotzdem entschied die erfahrene Produzentin Elda Ferri, dass nun der richtige Zeitpunkt gekommen sei, diese Geschichte in dem Film Resilient zu erzählen, den Ferris Produktionsfirma Jean Vigo Italia gemeinsam mit Rhino Films und Rai Cinema realisiert. Der Plan, das Leben von Mario Capecchi zu verfilmen, entstand bereits vor zwölf Jahren. 2020 war es endlich soweit, die Produktion konnte ­beginnen – mit vielen Herausforderungen durch die Covid-19-Pandemie. Mario Capecchi ist erst fünf Jahre alt, als seine Mutter – eine überzeugte Antifaschistin – in ein Kon­zen­ tra­tionslager verschleppt wird. Sie schafft es gerade noch, den Jungen in die Obhut einer Bauernfamilie auf dem Ritten oberhalb von Bozen zu geben. Hier setzt Resilient

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an. Wir schreiben das Jahr 1943, eine harte, finstere Zeit. Mitten im Zweiten Weltkrieg haben die Bauern, denen der kleine Mario anvertraut wurde, nicht mehr die Mittel, ihn zu versorgen – und setzen ihn aus. So wird der Fünfjährige zum Vagabunden, der in Bozen und den umliegenden Dörfern umherstreift. „Mehr als die Hälfte des Films handelt von dieser Zeit“, sagt Regisseur Roberto Faenza, der auch das Drehbuch schrieb. „Seit ich die Geschichte von Capecchi zum ersten Mal gelesen und auch mit ihm gesprochen habe, frage ich mich ständig, wie es nur möglich war, dass ein Kind vom fünften zum zehnten Lebensjahr allein überleben konnte – ohne je eine warme Mahlzeit zu bekommen.“ So erklärt sich auch der Titel des Films: Die besondere Resilienz und Widerstandskraft, die Mario Capecchi bereits als Kind auszeichnete, macht seine Lebensgeschichte so beeindruckend. Auch Produzentin Elda Ferri wurde vor zwölf Jahren in ihren Bann gezogen, als sie auf einer Konferenz in Bologna zum ersten Mal mit Capecchi in Kontakt


PRODUCTION

Roberto Faenza

Jean Vigo Italia / Rhino Films / Rai Cinema

TA K E #1 2

SCRIPT

Betteln, klauen, überleben: Capecchis Kindheit als Straßenjunge in Bozen ist ein großer Teil des Films gewidmet.

kam. Sie hatte in der Zeitung von der Veranstaltung erfahren und intuitiv gespürt, dass es hier etwas zu entdecken gab. „Ich wollte diesen Menschen sofort kennenlernen“, erinnert sich Ferri. „Zum Glück kannte er den Film La vita è bella, den ich gemeinsam mit Gianluigi Braschi produziert hatte. Das half mir, ihn zu überzeugen, dass sein unglaub­ licher Lebenslauf ein wunderbarer Film sein könnte.“ DREI KINDER AUF DER STRASSE

In all den Jahren als Straßenjunge in Bozen überlebt Capecchi auch dank der Hilfe anderer Kinder, mit denen er eine Bande gründet. Hier im Drehbuch Details dazuzudichten ist unnötig: „Im Gegenteil!“, sagt Roberto Faenza. „Wir haben sogar das ein oder andere rausgenommen, sonst glaubt uns doch kein Mensch, dass es sich um eine wahre Geschichte handelt! Drei Kinder – sechs, acht und viereinhalb Jahre alt, das letzte taubstumm und unter einem Schutthaufen gefunden – bilden eine kleine Familie, unterstützen einander und überleben, indem sie betteln, stehlen

und an das Mitleid reicher Damen appellieren. Es ist eine wahnsinnig rührende Geschichte.“ Eine derartige Produktion auf die Beine zu stellen, ist schon in normalen Zeiten kein Spaziergang, aber als endlich alles bereit für den Drehstart war, kam die Pandemie. Es war März 2020, wie viele andere Produktionen wurde Resilient auf Eis gelegt, bevor die ersten Aufnahmen beginnen konnten. Das Produktionshaus Jean Vigo Italia entschied, zum erstmöglichen Zeitpunkt weiterzudrehen, und tat das im Juni, unter Einhaltung der geltenden Sicherheitsbestimmungen. „Wir haben allein 108.000 Euro für Covid-Tests ausgegeben, am Set gleich drei Covid-Beauftragte ernannt und die Hauptdarstellerin, die Mitglied der

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PRODUCTION #1

FILM

D I R E C TO R

Resilient (2021)

Roberto Faenza

amerikanischen Schauspielergewerkschaft SAG ist, drei Mal pro Woche getestet“, erzählt uns Elda Ferri während eines Besuchs am Set in Meran. „Und dabei ist der Extraaufwand für die Einhaltung der Abstandsregeln und die allabend­ liche Desinfektion des gesamten Sets inklusive Kostümen und einer 300 Quadratmeter großen Schneiderei noch gar nicht eingerechnet.“ Letztere steht übrigens unter der Leitung von Milena Canonero, der vierfachen Oscar-Preisträgerin fürs Kostümbild. P E N N S Y LV A N I A U N D A R T D É CO

Da Resilient zu großen Teilen ein Filmstoff aus Südtirol ist, war von Anfang an geplant, fast zur Gänze in Südtirol zu drehen und so konnte man auch von der Produktionsförderung der Südtiroler Filmförderung IDM profitieren. Doch der zweite Lebensabschnitt Mario Capecchis spielt nicht in den Alpen, sondern in Amerika. Der Junge erkrankt an Typhus und wird in Reggio Emilia im Krankenhaus behandelt. Dort findet ihn seine Mutter mit Hilfe des Roten Kreuzes wieder und emigriert nach seiner Genesung mit ihm nach Pennsylvania, wo ihr Bruder und dessen Frau für die Ausbildung des Jungen sorgen sollen. Von hier an sollte

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der Film in den USA gedreht werden, die Locations standen bereits fest. Aber manchmal kommt eben alles anders: Die Pandemie machte einen Dreh in den USA undenkbar. Location Managerin Valeria Errighi gelang es, mitten in Südtirol ein kleines Amerika zu entdecken. Danach übergab sie das Ruder an Giuseppe Zampella aus Mailand, der seit sechs Jahren in Bozen lebt und hier seit seinem ersten Einsatz am Set von Terrence Malick’s A Hidden Life erfolgreich als Location Manager tätig ist. Für Resilient siedelte die Produktion Pennsylvania auf dem Salten an, einem Hochplateau mitten in Südtirol: „Die Berge und die Vegetation hier eignen sich perfekt für den amerikanischen Teil der Geschichte“, sagt Zampella und fügt hinzu, dass es überraschend leicht gewesen sei, eine Landschaft zu finden, die in den USA liegen könnte. Roberto Faenza bezeichnet es sogar als Glücksfall, dass man nicht an den Originalschauplätzen in Amerika gedreht hat, denn diese, so der Regisseur, hätten sich seit den 1950er-Jahren sehr verändert. In Südtirol hingegen fand die Produktion Orte, die so aussehen, wie Amerika damals gewesen sein muss. Und was fehlte, wurde nachgebaut: ein ganzes Quäkerdorf mit fingierten Häuserfassaden


SCRIPT

PRODUCTION

Roberto Faenza

Jean Vigo Italia / Rhino Films / Rai Cinema

TA K E #1 2

Glücksfall: Roberto Faenza konnte pandemiebedingt nicht in den USA drehen, fand in Südtirol aber ideale Motive für die amerikanischen Jugendjahre Capecchis.

und einem Schulgebäude sowie eine historische Arztpraxis in Meran. Schwieriger wurde es bei den Innenräumen: „Südtiroler Häuser haben innen einen ganz eigenen Stil, wir brauchten aber einen für die 1930er-Jahre in den USA typischen Art-Déco-Bau, der in unseren Breiten schwer zu finden ist“, sagt Zampella, dessen Job in solchen Fällen darin besteht, herumzufahren und mit Menschen zu plaudern, um die richtigen Motive aufzuspüren. „Am Anfang treibst du dich aus logistischen Gründen im Umkreis der anderen Locations herum, kommst vielleicht mit Einheimischen ins Gespräch, erklärst, was du machst, zeigst ein Foto von dem, was du suchst, und oft kennen die Leute dann jemanden, der in so einem Haus wohnt.“ Für die Einrichtung der Innenräume zeichnet der renommierte Szenenbildner Francesco Frigeri verantwortlich, der auch die amerikanischen Dörfer und das Szenenbild für die Überfahrt nach Amerika gestaltete. Für

Letztere wurde im Studio ein Schiffsdeck nachgebaut, im Hintergrund ein Green Screen, über den die Bilder der Schiffsreise digital eingespielt werden. E I N S Ü DT I R O L E R E P O S

Im Film beginnt zu diesem Zeitpunkt das Leben Capecchis in Amerika. Die Lehrer zweifeln bald an der Intelligenz des Jungen, weil er weder lesen noch schreiben kann und nichts von einem normalen Leben weiß, geschweige denn Englisch spricht. Erst seine Verwandten, die einen naturwissenschaftlichen Hintergrund haben (ein Onkel war sogar an der Entwicklung des ersten Farbfernsehers beteiligt), erkennen, wie sich das Potenzial des Jungen entfalten lässt. Am Tag unseres Besuchs am Set werden gerade diese Szenen gefilmt: In der ehemaligen Cesare-Battisti-Kaserne in Meran ist eine ganze Schule perfekt nachgebildet. Dieser Drehort ist ein Beweis dafür, wie viel sich in der Südtiroler Filmwirtschaft in den letzten zehn Jahren getan hat. Der

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PRODUCTION #1

FILM

D I R E C TO R

Resilient (2021)

Roberto Faenza

„Ein echtes Südtiroler Epos“: Resilient-Set in Neumarkt im Südtiroler Unterland (gr. Bilder); Regisseur Faenza am Filmset auf dem Ritten (kl. Bilder)

massive Anstieg von Filmproduktionen hat auch zu einem Umdenken bei Motivgebern geführt, sodass etwa die riesigen ungenutzten Räumlichkeiten der Kaserne heute regelmäßig Filmproduktionen beherbergen. „Das sind fast schon kleine Studios“, sagt Giuseppe Zampella, „abgeschlossene, geschützte Grundstücke mit vielen leeren Gebäuden und Flächen, die sich für verschiedenste Projekte anbieten, bis hin zu Horrorfilm und Thriller. Wir konnten hier schon ein Polizeikommissariat nachstellen, ein Waisenhaus, eigentlich alles! Außerdem wurde unsere Produktion nicht nur hier mit offenen Armen empfangen. Auch Leute, die keine Erfahrung mit Filmsets haben und Bedenken hatten, stellten uns Drehorte zur Verfügung, sobald sie die Geschichte von Resilient hörten. Diese Geschichte hat noch jeden überzeugt, auch weil es sich um ein echtes Südtiroler Epos handelt.“ Auch der Filmstandort hat zu dieser Entwicklung beigetragen, unterstreicht Zampella: „Zwar holt Südtirol immer noch vor allem auswärtige Produktionen ins Land, aber man beginnt auch selbst mit dem Produzieren.“ Ausbildungsmöglichkeiten dafür gibt es bereits zuhauf: Auch

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Giuseppe Zampella schloss seine Ausbildung in Südtirol ab, neben vielen anderen lokalen Filmschaffenden, die für Resilient im Einsatz waren. S T U N T S U N D S TO C K H O L M

„Es gibt hier enormes Know-how in den verschiedensten Departments. Und erst der Schauspielnachwuchs! Die Kinder, die in den Schulszenen auftreten, sind großartig und sehr intelligent. Sie verstehen einfach alles“, sagt Regisseur Faenza begeistert. Als Beispiel für die große Professionalität der Südtiroler Crewmitglieder nennt er den Stunt Coordinator Jakob Watschinger: Produktionsleiterin Raffaella Cassano bezeichnet ihn als einen der besten, mit denen sie je gearbeitet hat. Oder das SFX-Studio Impact Productions, das etwa eine Explosion inszeniert hat: Der junge Capecchi zettelt diese im Schulbus an, um einem gemeinen Mitschüler eins auszuwischen. Für Mario Capecchi gehört diese Zeit zu den schwierigsten und spannendsten in seinem Leben: In der neuen amerikanischen Schule kann er sich aufgrund der Aggressivität, die er in den Jahren als Straßenkind entwickelt hat,


SCRIPT

PRODUCTION

Roberto Faenza

Jean Vigo Italia / Rhino Films / Rai Cinema

TA K E #1 2

RESILIENT ist eine Produktion der Jean Vigo Italia (Produzentinnen Elda Ferri und Milena Canonero) mit Senderbeteiligung von Rai Cinema und in Koproduktion mit der amerikanischen Rhino Films (Rex Glensy). Gedreht wurde ab Ende August 2020 über 40 Drehtage an verschiedenen Südtiroler Locations wie in Meran und Neumarkt sowie auf den Hochplateaus Salten und Ritten. Die Produktion, an der zahlreiche Südtiroler Filmschaffende beteiligt waren, erhielt von IDM Film Fund & Commission eine Produktionsförderung von 800.000 Euro.

nur schwer integrieren. Seine Verwandten helfen ihm, seine Aggressionen im Sport auszuleben, beim Ringen lernt er, sie zu kontrollieren. Eben für diese Kampfszenen zeichnete der Stunt Coordinator verantwortlich. 1947 ist Mario Capecchi so weit, dass er ein normales Leben führen kann – und hier endet der Film. „Was wir erzählen wollen, ist eben seine Eingliederung in eine neue Gesellschaft und in eine neue Lebensweise, mit der Resi­ lienz im Gepäck, die er in seinen ersten Lebensjahren erworben hat“, sagt Roberto Faenza. Der Regisseur lässt es sich aber nicht nehmen, im Film doch noch eine spätere Episode zu erzählen: Mario Capecchi meistert seine anfänglichen Probleme in den USA, wird Genforscher – und erhält Jahrzehnte später für seine Arbeit gemeinsam mit den Kollegen Martin Evans und Oliver Smithies den MedizinNobelpreis. Dieser emotionale Abschluss stellte das Produktionsteam vor eine letzte große Herausforderung: Mit modularen Bauteilen gelang es, in einem Südtiroler Studio die Fassade des Stockholmer Konserthuset nachzubauen, in dem Capecchi den Preis in Empfang nimmt – als Krönung T#12 eines unglaublichen Lebens.

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PRODUCTION #2

SERIES

Wild Republic (2021)

Eine High-concept-Serie über sieben jugendliche Straftäter auf der Flucht – und eine innovative Partnerschaft zwischen einem Streamingdienst und öffentlich-rechtlichen Sendern. Der Schlüssel zum Serienhit? Wild Republic

Text

FA B I A N T I E T K E Fotos

LAILAPS PICTURES X F I L M E C R E AT I V E P O O L LU I S Z E N O K U H N B E R N D S PA U K E

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Ein Toter. Und sieben junge Straftäter. In dem Jugendcamp am Fuße der Alpen hätten sie eigentlich Verantwortung, Regeln und Fairness lernen sollen, stattdessen kommt alles anders. Hatte der tote Betreuer einen Unfall oder wurde er ermordet? Egal: Nach ihren bisherigen Erfahrungen mit der Justiz wollen es die Jugendlichen nicht drauf ankommen lassen. Sie fliehen in die Berge. In einer Höhle findet die Gruppe Zuflucht – und beginnt ein Leben nach ihren eigenen Regeln. Anfang November 2020 wurden die Dreharbeiten zur Serie Wild Republic in Südtirol abgeschlossen. Damit begann die Postproduktion der mit hohem Aufwand produzierten Serie, die ab April 2021 bei MagentaTV – dem Streamingservice der Deutschen Telekom – zu sehen sein wird und ein Jahr später im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland und Frankreich (ARTE, WDR, SWR, one). Produziert wurde die Serie von der Münchner Lailaps


D I R E C TO R S

PRODUCTION

L. Ruff / M. Goller

Lailaps Pictures / X-Filme / handwritten Pictures

TA K E #1 2

Zusammenhalten: Produktionskosten von bis zu 2 Millionen Euro pro Folge sind in Deutschland – anders als in den USA – nur durch die Kooperation von Fernsehsendern, Streamingdiensten und öffentlicher Filmförderung aufzubringen.

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PRODUCTION #2

SERIES

Wild Republic (2021)

WILD REPUBLIC erzählt die Geschichte einer Gruppe jugend­ licher Straftäter, die das Vertrauen in Staat und Justiz verloren haben. Als bei einem Resozialisierungscamp ein Betreuer stirbt, flüchten sie in die Berge. Im Kampf gegen die Natur und eigene Aggressionen bilden sie eine neue Gesellschaft – nach ihren eigenen Gesetzen. Die Serie zu 8 Episoden à 45 Minuten wird produziert von Lailaps Pictures (Nils Dünker), X Filme Creative Pool (Uwe Schott) und handwritten Pictures (Eric Bouley, Christopher Sassenrath) in Koproduktion mit der Deutschen Telekom, ARTE, WDR, SWR und ONE. Als internationaler Partner übernimmt Beta Film den Weltvertrieb. Das junge Schauspielensemble umfasst Emma Drogunova (Der Trafikant) und Rouven Israel (Club der roten Bänder). In Südtirol wurden 42 Drehtage absolviert; die Serie erhielt von IDM Film Fund & Commission eine Produktionsförderung in Höhe von 500.000 Euro.

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Pictures gemeinsam mit der Berliner X-Filme (Uwe Schott) und der X-Filme-Tochter handwritten Pictures aus Köln. Als Förderpartner beteiligen sich der German Motion Picture Fund der FFA, die Film- und Medienstiftung NRW, die Südtiroler Filmförderung IDM und der Filmförderfonds Bayern. In acht Folgen von je einer Dreiviertelstunde zeigt die Serie unter der Regie von Lennart Ruff und Markus Goller das selbstorganisierte Leben der Jugendlichen in der Berghöhle und deren Umgebung. Nach anfänglichem Enthu­siasmus wird das Zusammenleben schon bald von internen Konflikten erschüttert, Machtstrukturen, Rivalitäten und Misstrauen dringen an die Oberfläche. Anhand von sieben Hauptfiguren entfaltet die Serie ihre Erzählung, blendet zurück in die Vorgeschichte der Jugendlichen und vertieft die Figuren. Die Idee zum Stoff stammt von Eric Bouley, der gemeinsam mit Nils Dünker von Lailaps das Konzept über die Jahre bis hin zur Serie weiterentwickelte – zunächst hatte man auch eine Umsetzung als Kinofilm erwogen. Als Schöpfer der Serie zeichnen Jan Martin Scharf, Arne Nolting und Klaus Wolfertstetter verantwortlich. Nolting und Scharf hatten schon für Club der roten Bänder (VOX) und Barbaren (Netflix) zusammengearbeitet; Wolfertstetter war Headautor der Serie Milk & Honey (VOX) und ist ­Absolvent des Script Labs RACCONTI von IDM. Im Laufe der dreijährigen Entwicklungszeit gab es nur geringe


D I R E C TO R S

PRODUCTION

L. Ruff / M. Goller

Lailaps Pictures / X-Filme / handwritten Pictures

W E T T E R , S C H N E E U N D PA N D E M I E

Start der Dreharbeiten war im Februar vergangenen Jahres in den Kölner MMC Studios. Szenenbildner Claus Rudolf Amler, der bereits das Bühnenbild für Serien wie 4 Blocks und Filme wie Andreas Prochaskas Das finstere Tal gestaltet hat, errichtete mit seinem Team in einem knapp 2.000 Quadratmeter großen Studio eine riesige künstliche Höhle als Set. In einer echten Höhle zu drehen, hatte man angesichts des großen logistischen Aufwands bald verworfen. Mitte März kam dann aufgrund der steigenden Covid-19Infektionszahlen der Drehstopp. Im August dann konnte – nach Abschluss der Studioarbeiten und einiger Außenaufnahmen in der Umgebung von Köln – der Außendreh in Südtirol stattfinden. Es war der letztmögliche Termin mit der Aussicht auf stabile Wetterbedingungen. Wie geplant stießen Südtiroler Crewmitglieder zum Team, zugleich wurden manche Positionen aufgrund der Pandemie doppelt besetzt, um bei etwaiger Infektion eines Teammitglieds weiterarbeiten zu können. Insgesamt waren also etwa 120 Menschen an den Arbeiten in Südtirol beteiligt. Und die Arbeit am Südtiroler Set wurde dem abenteuerlichen Ruf eines Bergdrehs gerecht: Crew und Ausrüstung wurden an jedem Drehtag auf den Berg auf 2.100 Meter Meereshöhe und wieder heruntergebracht. Im Oktober brachte ein früher Wintereinbruch neue

Herausforderungen, an manchen Tagen wurde die Crew am Set eingeschneit. Mit Hilfe des Südtiroler Teams konnte die Produktion umdisponieren und Drehorte verlegen. Als die Dreharbeiten Anfang November nach über 100 Drehtagen endeten, hatte sich die Fertigstellung durch Covid-19 und die Wetterbedingungen um fast vier Monate verschoben. Dass Wild Republic inmitten der Pandemie überhaupt beendet werden konnte, ist nicht zuletzt dem Erfolg des Hygienekonzepts zu verdanken, das die Produzenten für die Arbeiten an der Serie erarbeitet haben. Neben den üblichen Maßnahmen wie Abstandsregeln, Masken, Handschuhen und Desinfektionsmitteln wurden am Set Zonen eingeteilt, um Kontakte zwischen den Teams zu minimieren; dazu kamen engmaschige Covid-Tests. Das erfreuliche Ergebnis: Es gab keine einzige Infektion am Set. E R F O LG S KO N Z E P T M A D E I N E U R O P E ?

Bei der Auswertung folgt Wild Republic dem Erfolgsmodell von Serien wie Babylon Berlin, Streamingpartner und öffentlich-rechtliche Sender als Partner zu kombinieren. Das ermöglicht die Realisierung von Serien, deren Produktionsaufwand ein entsprechend höheres Budget mit sich bringt. Im Falle von Wild Republic kostet jede Folge bis zu 2 Millionen Euro – Herstellungskosten, die in Deutschland nur durch die Kombination von Fernsehsendern, Streamingdiensten und öffentlicher Filmförderung aufzubringen sind. Damit gehen deutsche Qualitätsserien derzeit einen anderen Weg als US-Anbieter zu Beginn der neuen Hochphase der Serien. Unternehmen wie HBO hatten gegenüber

TA K E #1 2

Drehbuchänderungen, die Grundstruktur von Erzählung und Rückblende sowie Erzählgeschwindigkeit, Plottwists und Figurenentwicklung blieben erhalten.

Junger Cast, Alpenkulisse und moderne Erzählstruktur mit Rückblenden und Plottwists: Wild Republic soll das begehrte Publikumssegment unter 30 ansprechen.

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PRODUCTION #2

SERIES

Wild Republic (2021)

den großen Networks darauf gesetzt, dass auch Serien lukrativ sein können, die sich nur an ein Nischenpublikum richten. Das ging vor allem dann auf, wenn die Nische aus einem Publikumssegment stammte, das für den Werbemarkt lukrativ ist. Angesichts der kleineren Zuseherzahl im deutschen Fernsehmarkt versuchen deutsche Qualitätsserien stattdessen – bei aller Innovation – eine möglichst breite Zuschauerschaft anzusprechen. Und man hofft, mit Qualitätsserien wie eben Wild Republic gute Chancen auf dem internationalen Fernsehmarkt zu haben: Für die internationale Auswertung der Serie wurde Betafilm als Partner gewonnen. Die Erwartungen, die die Auswertungspartner – Streaminganbieter auf einer Seite, Fernsehsender auf der anderen – an eine Serie wie Wild Republic knüpfen, sind indes unterschiedlich, sowohl was Erzählstrukturen angeht als auch hinsichtlich der Bildsprache. Produzent Nils Dünker bringt das in einem Satz auf den Punkt: „Wer zehn Euro monatlich für Netflix zahlt, will etwas anderes als jemand, der Rundfunkbeiträge für die ARD zahlt.“ Für MagentaTV ist Wild Republic die dritte Originalproduktion, die zunächst exklusiv für Kunden des Streamingdienstes angeboten wird. Durch den jungen Cast und die Schauwerte der Alpenkulisse zielt man damit allerdings – im Vergleich zu den beiden Vorgängern, der Comedyserie Deutsch-Les-Landes und der vom ZDF koproduzierten Spionageserie Spy City – auch auf Zuschauer unter 30 ab. Ein Publikum, über das sich MagentaTV im Erfolgsfall ebenso freuen dürfte wie die öffentlich-recht­ lichen Sender ein Jahr später: Auch bei diesen ist jugendliches Publikum begehrt, um die Zukunft der Sender zu sichern. Serien zu produzieren, die die Erfolgserwartungen aller Beteiligten erfüllen, hat mitunter etwas von der Quadratur des Kreises. Für Wild Republic erarbeiteten dieses ambitionierte Ziel alle Partner gemeinsam, etwa bei Drehbuchbesprechungen mit allen Partnern in großer Runde – wie die Jugendlichen, die in einer Höhle mitten in den Alpen ums Lagerfeuer sitzend eine eigene neue GesellT#12 schaft gründen.

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Ein aufwendiger Studioset, ein abenteuerlicher Bergdreh in Südtirol und ein strenges Covid-19-Hygienekonzept machten Wild Republic zu einem komplexen Projekt.


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PRODUCTION

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DOSSIER

D I G I TA L I S I E R U N G

Technologische Innovation in der Filmproduktion

Der Siegeszug des Streamings ist nur die Spitze des Eisbergs: Auf der Produktionsseite sorgen neue Technologien für große Veränderungen. Und wir stehen erst am Anfang Schwerpunkt Technologie Text

F LO R I A N K R A U T K R Ä M E R Illustrationen

OSCAR DIODORO

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

vor einigen Jahrzehnten bestand die Vision der Zukunft aus fliegenden Autos und der Möglichkeit, schnell und komfortabel von einem Kontinent zum anderen zu reisen. Computer, die alles steuern, gehörten eher in Filme wie 2001: Odyssee im Weltraum und waren nicht so positiv gesehen. Heute spricht niemand mehr von fliegenden Autos – aber es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis selbstfahrende, com­ puter­gesteuerte Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sind. Im Jahr 2020 wurde das persönliche Reisen coronabedingt durch Videokonferenzen ersetzt und inzwischen hat die Digitalisierung auch den letzten Winkel unseres Alltags erfasst. In der Filmbranche ist das schon länger einer der

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bestimmenden Diskurse. Die Umstellung von analoger Produktions- und Projektionstechnik auf digitale Möglichkeiten ist zwar weitgehend abgeschlossen, aber die Transformation geht durch stetige Innovation immer weiter. Grund genug, um einen eingehenderen Blick auf Veränderungen und Vorstellungen zu werfen, die Filmproduktion, Postproduktion und Ausbildung beschäftigen. Vorneweg: Lokale Filmstandorte und reale Begegnungen sind nach wie vor wichtige Faktoren. Florian Krautkrämer Chefredakteur TAKE #12


D I G I TA L I S I E R U N G

Technologische Innovation in der Filmproduktion

TA K E ##11 2

DOSSIER

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DOSSIER

D I G I TA L I S I E R U N G

Technologische Innovation in der Filmproduktion

Film is Technology. Die digitale Revolution hinter der Kamera Der Gründungsmythos des Films erzählt von e­ iner handbetriebenen Kamera, die zugleich auch Projektor war: Sie projizierte die aufgenommenen Bilder eines einfahrenden Zuges – und das Publikum sprang erschrocken von den Sitzen. Wir wissen heute, dass diese Geschichte ebenso übertrieben ist, wie die Annahme falsch ist, dass von dort an die Entwicklung der Filmtechnik in einer geraden Linie auf die heutigen Standards zulief. Film war von Beginn an eine Kunst für Bastler, Tüftler und Erfinder. Mit jeder Produktion wurde die Technik weiterentwickelt – auch beim Abspiel. Ton, Farbe und Filmlänge waren dabei keine Attribute, die man den bewegten Bildern hinzufügte, sondern immer auch Teil eines Verdrängungsprozesses: Produktionen mussten neues Equipment und passendes Personal mieten, Kinos mussten aufrüsten. Gleichzeitig ermög­lichte die Modifikation der Technik aber auch eine neue Ästhetik und andere Geschichten. Dank tragbarer Soundrecording-Systeme wie der Nagra konnte man ab den 1950er-Jahren schnelle Produktionen auf der Straße drehen, ohne erst mit viel Aufwand das Gebiet abzusperren. Digitale Technik ermöglicht noch kleinere Kameras sowie stundenlange Aufnahmen. Für High Flying Bird (2019) zog ­Steven Soderbergh mit dem iPhone los – und ver­öffentlichte

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seinen Film auch nicht mehr im traditionellen Kino, sondern auf Netflix. Im Abspiel ist der Wandel von analoger auf digitale Projektion – sowie die grundlegende Neustrukturierung, bei der die Streamingplattformen zunehmend wichtiger werden – schon länger ein Thema, wie aber sehen die Auswirkungen auf die Produktion aus? HARDWARE

Ausdifferenzierung und Pluralität sind Merkmale, die mit der digitalen Transformation einhergehen. Auch in der Produktion merkt man das. Niels Maier hat vor über 30 Jahren den Geräteverleih Maier Bros. gegründet, der auch in Meran eine Dependance betreibt. Maier beschreibt die Schnelllebigkeit der Entwicklungen und die damit einhergehende Diversität des Marktes als die größte Veränderung der Branche: „Deutlich mehr Anbieter stellen ähnliche Produkte her, die zum Teil auch noch schneller altern als früher. Sich auf ein, zwei Anbieter von Lampen zu verlassen, reicht nicht mehr aus“, so Maier. Sein Unternehmen verleiht die großen Sachen, Kräne, Trucks, Lampen aller Art. Das ist nichts, was man sich auf gut Glück anschafft und in mehrfacher Ausfertigung in der Garage unterbringen kann. Wie kann man aber Entwicklungen antizipieren,


DOSSIER

D I G I TA L I S I E R U N G

Technologische Innovation in der Filmproduktion

TA K E ##11 2

Marktbeobachtung, eigene Forschung und Entwicklung: Filmrentals müssen heute mit extrem schnellen technischen Entwicklungen mithalten.

um die richtigen Geräte im Verleih zu haben, die dann auch nachgefragt werden? Wie kann man Fehlinvestitionen gering halten? Eine Strategie ist, erklärt mir Maier, möglichst spät zu entscheiden und zu warten, bis die Geräte auf Bestelllisten von Filmproduktionen auftauchen. Auch selbst nahe an Forschung und Entwicklung zu sein, ist hilfreich: Neue Produkte lernen die Maier-Brüder auf Messen und durch die Hersteller kennen, sie testen sie oft selbst und können so auch für den Erfolg am Markt sorgen. „Das ist allerdings schon immer so gewesen“, sagt Maier. Nur eben nicht in dieser Geschwindigkeit und Vielfalt. Der Beratung und Wissensvermittlung kommt da ebenfalls eine große Wichtigkeit bei – ein Thema, das vor allem im Zusammenhang mit dem Green Film Shooting und nachhaltiger Filmproduktion nicht zu unterschätzen ist. Denn zum einen ist es eben nicht damit getan, nur die energiesparenden LEDs auszuleihen, man muss auch wissen, wie man sie richtig einsetzt, sonst kann sich ihr Effekt schnell ins Gegenteil verkehren. Zum anderen – so hat es Philip Gassmann im Interview in TAKE #11 beschrieben – fehlt Erfahrung im Umgang mit Geräten wie beispielsweise Solargeneratoren, die bereits energiesparend in anderen

Bereichen eingesetzt werden, aber noch nicht für die Anforderungen einer Filmproduktion getestet wurden. SOFTWARE

Beratung und Weiterbildung ist auch in der Postproduktion ein nicht zu unterschätzendes Thema. Cine Chromatix, ein Postproduktionshaus mit mehreren Standorten in Deutschland, setzt in Meran, wo es mit Cine Chromatix Italy einen großen Ableger betreibt, besonders auf die Kooperation mit der Filmschule ZeLIG in Bozen sowie lokalen Produzentinnen und Produzenten. „Die Möglichkeiten der Postproduktion kann man nur wirklich ausschöpfen, wenn man sie von Beginn an in die Produktion mit einbezieht“, sagt Studiomanager Florian Geiser. Deswegen knüpft Cine Chromatix Italy (► Studiobesuch S. 50) durch die Teilnahme an Produzentenworkshops schon früh Kontakte. Durch die stetig wachsenden Möglichkeiten der digitalen Nachbearbeitung und Effekte wird es immer wichtiger, Produzentinnen und Produzenten dafür zu sensibilisieren, schon bei der Arbeit am Drehbuch Postproduktion und VFX-Supervisoren mit einzubeziehen. Damit Dreh und Nachbearbeitung gut aufeinander abgestimmt sind und die Kosten am Ende nicht aus dem Ruder laufen.

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DOSSIER

D I G I TA L I S I E R U N G

Technologische Innovation in der Filmproduktion

Durch das zunehmende remote working und den Ausbau schneller Internetverbindungen sollte man meinen, dass gerade in diesem Bereich der persönliche Kontakt gar nicht mehr so wichtig ist. Und während der coronabedingten Einschränkungen war das Arbeiten an weit voneinander entfernten Orten eine gute – wenn auch leider die einzige – Möglichkeit, um Projekte voranzutreiben. Aber als alleiniges Zukunftsszenario sieht Geiser das nicht. „Wenn zwei Menschen direkt im Raum miteinander am Bild oder Ton arbeiten, lassen sich Entscheidungen doch schneller treffen“, sagt er. Deswegen hat sein Unternehmen vor wenigen Jahren in Meran ein Arbeitskino errichtet – nicht ganz ohne Risiko. „Natürlich haben wir uns 2018 gefragt, ob das jetzt die richtige Entscheidung ist, ein Kino zu bauen“, erzählt Geiser. Wer weiß schon, wie lange die große Leinwand noch tatsächlich der Standard sein wird, für den man produziert. Bislang habe sich die Investition aber doch gelohnt, so Geiser. Und: „Das Erweitern des VFX- und Postproduktionsangebots ist auch eine Möglichkeit, um Talente wieder zurückzuholen, die nach der Ausbildung mangels

Jobs beispielsweise nach England, Kanada oder Neuseeland auswandern mussten“, sagt der Studiomanager. Auch hier stellt sich allerdings die Frage, wie sich zukünftige Entwicklungen rechtzeitig erahnen lassen, denn auch die Möglichkeiten und Technologien der Postproduktion nehmen stetig zu und entwickeln sich immer schneller. I N N O V AT I O N

Für einen so innovationsgetriebenen Bereich sind vor allem privatwirtschaftliche Investitionen für Entwicklung und Ausbau vielversprechender, zukünftiger Technologien notwendig – und damit auch Forschung, die zu neuen Anwendungen führt. Öffentliche Gelder und Förderungen können das nicht unbedingt leisten. Hinzu kommt, dass Produk­ tions­förderung projektgebunden ist und Entwicklungsförderung zum einen beschränkt und zum anderen meist eher für Inhalte vergeben wird, nicht für Infrastruktur. Wie kann man also bei der Entwicklung neuer Techniken und Bildwelten Trends setzen? Ein befreundeter Produzent stellt mir dazu folgende hypothetische Frage: Nehmen wir

Um die stetig wachsenden VFX-Möglichkeiten optimal nutzen zu können, sollten Produzenten von Anfang an mit der Postproduktion zusammenarbeiten – vor Ort oder remote.

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DOSSIER

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Technologische Innovation in der Filmproduktion

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an, wir befinden uns im Jahr 1995 und jemand hat hier in Europa die Idee zum Film The Matrix. Könnte man auch hier den Bullet-Time-Effekt entwickeln und mit dem Film zur Marktreife bringen? Ich muss nicht lange nachdenken: Es erscheint mir unwahrscheinlich. Die französische Filmförderung CNC hat daher das Förderinstrument „Aides aux industries techniques, innovation et relief“ ins Leben gerufen, mit dem u. a. gezielt die digitale Bearbeitung von (interaktiven) Filmen gefördert werden kann, die aber auch Investitionen in die Infrastruktur begünstigt. Sogar Investitionen in ökologische Unternehmungen können gezielt bezuschusst werden. Aber es ist nicht nur eine Zeit- und Geldfrage, auch eine Kultur des Austausches und des Diskurses ist wichtig. Wer die monatlich erscheinende Zeitschrift American Cinematographer durchblättert, stellt schnell fest, dass es hier neben der Präsentation von Talenten vor allem um die Betonung des Erfindergeistes geht. Minutiös werden die Anstrengungen beschrieben, um etwa spezielle Halterungen zu entwickeln, die das Filmen eines Fallschirmsprungs in bisher nicht gesehener Art und Weise ermöglichen. Neben Geld und Interesse am Entwickeln von Prototypen braucht es auch eine Plattform, auf der man sich prominent darüber austauschen kann. AUSBILDUNG

Auch in der Ausbildung setzt man darauf, eher Methodenkompetenz zu vermitteln, als mit den Studierenden Programme einzuüben, die möglicherweise schon wieder veraltet sind, sobald sie ihr Studium abgeschlossen haben. „Es ist weniger entscheidend, welche Software ich lerne, als zu lernen, wie ich eine Software erlerne“, bestätigt mir Professor Jürgen Haas, der den Studiengang Animation an der Hochschule Luzern Design & Kunst leitet. Die zunehmende Qualität und Wichtigkeit von Open-Source-Programmen verändert auch die Ausbildung, da Studierende sich inzwischen schon mit sehr weit fortgeschrittenen Arbeiten bewerben – teilweise mit einer technischen Qualität, die man früher erst am Ende eines Studiums erwarten konnte. Damit wird auch im Technikbereich an Hochschulen eine Art von Forschung wichtig. Nicht nur, um neue Technologien zu vermitteln und einsetzen zu können, sondern auch, um eine Kultur zu vermitteln, die sich nicht mit der Beschaffung hochwertigen Equipments zufrieden gibt, sondern darüber hinausgehen kann. Das Besondere und auch Herausfordernde am Film ist, dass man ihn nicht nur auf die Technik und die damit einhergehenden Sachzwänge reduzieren kann, aber seine Möglichkeiten zum inhaltlichen Ausdruck sind davon auch nicht zu trennen. Ja, Geld und Ausstattung sind wichtig,

STIPENDIUM Jährlich vergibt IDM ein Stipendium für einen 12-monatigen Lehrgang im Bereich Licht- und Kamerabühne am Hauptsitz von Maier Bros. in Köln. IDM übernimmt die gesamten Kursgebühren, der Stipendiat oder die Stipendiatin aus Südtirol wird mit einer Teilzeitanstellung bei Maier Bros. vergütet. Infos: film.idm-suedtirol.com

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DOSSIER

D I G I TA L I S I E R U N G

Technologische Innovation in der Filmproduktion

genauso wie das richtige Bedienen neuer Geräte, aber im Film zählt letztendlich die Arbeit am Inhalt und der Dramaturgie. Heidi Gronauer, Leiterin der ZeLIG in Bozen, erzählt mir, dass die Dokumentarfilmschule auf den Lockdown in Italien von März bis Juni letzten Jahres mit Onlinekursen gut reagieren konnte – zumal Zoom-Unterricht schon seit mehreren Jahren in ihrem Europäischen Programm ESoDoc eingesetzt wird. Natürlich könne man die Hand­ habung und Bedienung von Kameras nicht in Onlinekursen lernen, sehr wohl aber Montage und das Verständnis von Bilddramaturgie. Und – das ist Heidi Gronauer besonders wichtig – das kollaborative Arbeiten: „Egal ob online oder im Präsenzunterricht, die Studierenden müssen lernen, im Team zu arbeiten, sich aufeinander verlassen zu können – und sie müssen lernen, wie man voneinander lernt.“ Das kann keine neue Erfindung und technologische Lösung ersetzen. Vielmehr ist es so, dass man sich auf den Wandel, den die Digitalisierung mit sich bringt, auch besser einstellen kann, wenn man gelernt hat zusammenzuarbeiten. Ob sie zuversichtlich in die technologiegeprägte Zukunft ihrer Absolventinnen und Absolventen schaue, frage ich Heidi Gronauer zum Schluss. Und da das keine Frage ist, die man einfach mit Ja oder Nein beantworten kann, tut sie das auch nicht. Für sie liegt eine der gegenwärtigen Herausforderungen darin – egal ob vor Ort oder online –, die Studierenden darin zu unterstützen, ihren eigenen, einzigartigen Blick auf die Realität zu entwickeln. Und sie darin zu stärken, aktiv die neuen Entwicklungen im audiovisuellen Sektor gestalten zu können. Gerade die Covid-Krise hat für eine weitere Zuspitzung gesorgt. Services wie Netflix legen zwar an Marktanteilen zu und sorgen damit für ausreichend Beschäftigung, aber bleibt dabei auch die Vielfalt erhalten, um die Komplexität der Welt abzubilden? Bei all den Veränderungen, die die Branche durchlebt, ist es wichtig, die Einzigartigkeit der verschiedenen Stimmen zu erhalten. „Wenn nicht klar ist, wo der Markt hingeht“, so Gronauer, „ist es um so wichtiger, nicht bloß auf Moden zu achten, sondern das FundaT#12 ment für eine eigene Stimme zu legen.“

In der Filmausbildung gelernte Software ist heute schnell veraltet, wichtiger ist kollaboratives Arbeiten und eine ständige Bereitschaft, Neues zu lernen.

R E N TA LS , T E C H N I K , P O S T P R O D U KT I O N : E I N I G E A N S P R E C H PA R T N E R I N S Ü DT I R O L

► CINE CHROMATIX ITALY

VFX und Postproduktion, Meran www.cine-chromatix.it

► JENNESSEN MOTION PICTURES Kamerabühneverleih, Meran www.m-p-j.eu

► MAIER BROS.

Filmgeräteverleih, Meran www.maierbros.it

► PANALIGHT SÜDTIROL

Filmgeräteverleih, Bozen www.panalight.it

► REC SÜDTIROL

Kameraverleih, Bozen www.rec-roma.com

► ZELIG SCHOOL FOR DOCUMENTARY, TELEVISION AND NEW MEDIA

Filmschule mit den technischen Schwerpunktfächern Kamera/Licht sowie Schnitt/Postproduktion, Bozen www.zeligfilm.it

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FULL SERVICE POST-PRODUCTION PICTURE POST

SOUND POST

ON SET DIT DATA SERVICE ON SET VFX SUPERVISION DATA BACKUP DAILIES EDITING SUITES CONFORMING VISUAL EFFECTS GRADING MASTERING

SOUND EDITING SOUND DESIGN ADR RECORDING FOLEYS SOUND MIX

SERVICE PRODUCTION PLANNING AND ORGANISATION STUDIO / ON LOCATION SHOOTING VIRTUAL PRODUCTION CO-PRODUCING FROM SCRIPT TO FINAL DELIVERY SUBSIDY APPLICATIONS IDM FILM FUND ITALIAN TAX CREDIT

MERAN/O | BERLIN | COLOGNE | LEIPZIG | STUTTGART soon in: LISBON | PUNE

Italy

CINE-CHROMATIX.IT AMMIRAFILM.COM


PRODUCTION #3

FILM

D I R E C TO R

Hochwald (2020)

Evi Romen

»Diese Verlorenheit junger Menschen berührt mich.« Regisseurin Evi Romen über Religion und Männlichkeit, das enge Leben in kleinen Dörfern und ihr Spielfilmdebüt Hochwald Interview

DORIS POSCH Fotos

ANDREAS JAKWERTH

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PRODUCTION

Evi Romen

Amour Fou Vienna

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SCRIPT

„Je älter ich wurde, desto stärker wurde dieser Drang, selbst etwas zu machen.“ Evi Romen hat vor ihrem Regiedebüt Hochwald lange als Cutterin gearbeitet.

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PRODUCTION #3

FILM

D I R E C TO R

Hochwald (2020)

Evi Romen

Das Leben im Dorf hinter sich lassen und Tänzer werden: Das ist der sehnlichste Wunsch des 20-jährigen Mario (Thomas Prenn). An Weihnachten begegnet er seinem Jugendfreund Lenz (Noah Saavedra), der als Winzersohn vergleichsweise bessere Perspektiven hat und vom Schauspielen träumt. Nach einem kurzentschlossenen Ausflug der beiden nach Rom wird Marios Zukunftsvision jäh zerrüttet, als Lenz bei einem Attentat stirbt und Mario sich mit der Berg- und Talfahrt eines aus den Fugen geratenen Lebens konfrontiert sieht. Evi Romen hat nach langjähriger Karriere als Film­ editorin ihr Spielfilmdebüt Hochwald realisiert. Im Mikrokosmos eines Südtiroler Alpendorfes erzählt die Regisseurin eine Geschichte der Vision und der Unmöglichkeit, der dörflichen Enge zu entkommen. Wir treffen Evi Romen zum Interview im Filmcasino in Wien. Mit TAKE spricht sie über das ideologisch motivierte Attentat im Bataclan in Paris 2015 als Ausgangspunkt zu ihrem Film, über den Umgang mit Tod, die Wirkkraft katholischer Glaubenssätze durch Schuldzuweisung und Homophobie sowie über die Angst, das Schicksal zu benennen. Wie ging es Ihnen nach langjähriger Erfahrung als Cutterin mit der neuen Rolle als Regisseurin? E V I R O M E N Die Schnittkarriere war nur ein Aufschub für das andere: Ich habe an der Wiener Filmakademie studiert und wollte ursprünglich Filmemacherin werden. Die Zufallsbegabung Schnitt hat sich schnell herausgestellt – und Schnitt ist einfach auch der schönste Beruf beim Film! Je älter ich wurde, desto stärker wurde dieser Drang, selbst etwas zu machen. Regie ist mir relativ leicht gefallen, das Einzige, vor dem ich mich gefürchtet hatte, war die Schauspielführung. Selbst da hat mir der Schnittberuf geholfen, weil ich sehr gut beobachten kann. In den Szenen konnte ich Ruhe bewahren, weil ich wusste, dass es sich schnitt­ mäßig immer ausgeht – nur die Emotion muss stimmen. „Ich fand es immer sehr beeindruckend, dass dich Glück oder Reichtum nicht vor dem Schicksal schützen können.“ Evi Romen beim Interview im Filmcasino Wien

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Hochwald ist in einem dörflichen Setting angelegt, das Ihnen sehr vertraut ist. Wie kam es zum Aufeinandertreffen der verschiedenen Themen, die Sie in diesem Südtiroler Dorf zusammenbringen? E R Die Ursprungsidee war gar nicht, dass ich einen Film in Südtirol drehe. Als die Attentate im Bataclan in Paris geschahen, war ich zufällig in Südtirol. Durch die regionalen Nachrichten erreichte mich dieses globale Ereignis mit dem Nebensatz, dass auch ein junger Südtiroler unter den Opfern sei. Da Südtirol eine relativ kleine Region ist, wo man einander kennt, fragte ich mich, ob ich das Opfer kenne.


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Evi Romen

Amour Fou Vienna

EVI ROMEN wurde 1967 in Bozen geboren, sie lebt in Wien. Seit über 20 Jahren arbeitet sie als Editorin zahlreicher Serien, Kino- und Fernsehfilme, u. a. Der Knochenmann, Silentium, Braunschlag. In der Kategorie Bester Schnitt erhielt sie für Mein bester Feind 2011 den Diagonale Preis sowie 2016 den Österreichischen Filmpreis für Casanova Variations. 2017 gewann sie für ihr Drehbuch zu Hochwald den Carl-Mayer-Preis. Hochwald ist Evi Romens Spielfilmdebüt als Regisseurin, sie gewann dafür beim Zürich Film Festival 2020 das „Goldene Auge“ im Fokus-Wettbewerb.

Das Attentat vom 13. November 2015 im Bataclan dient als Grundlage für den Film. Aufbauend dazu verweben Sie mehrere Ebenen, wie etwa jene der Homophobie. E R Das Spiel mit der homoerotischen Ebene war ganz bewusst gesetzt. Ich habe versucht, das Thema aus dem Altbackenen herauszunehmen. Homophobe Gedanken sind heute noch da, aber junge Menschen betrachten die Grenzen als fließend, es ist nicht mehr so wichtig, zugeordnet zu werden. Das fiktive Attentat in Hochwald ist aus der Innen­ perspektive Marios dargestellt, Sie geben dem Attentat aber auch eine sichtbare Bühne durch das Mikrofon, über das sich ein Attentäter verbal äußert. Warum diese Inszenierung? E R Es war mir klar, dass das Attentat im Film fiktiv sein muss. Ein homoerotischer Ort ist da ein ganz wesentlicher Angriffspunkt – erstaunlicherweise, denn wir leben in einer Männerwelt und es überrascht, dass diese so homophob ist. Es gab verschiedene Phasen: Einmal habe ich das Attentat

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komplett aus dem Drehbuch genommen, dann wieder ganz groß erzählt. Keiner rechnet doch damit, dass einem so etwas passiert – und filmisch interessant war die Überlegung, was passiert, wenn man in dem Moment gar nicht bemerkt, was da eigentlich vor sich geht, und mitten im Begreifen stirbt. In den letzten Jahren sind etliche Filme entstanden, die das Thema Radikalisierung aufgreifen, vorrangig mit weißen, jungen Männern als Protagonisten, in Vorstadtsettings und an der unteren sozialen Schicht angesiedelt. Hochwald zeigt zum einen ein ideologisch motiviertes Attentat, zum anderen muslimische Reli­ gionspraxis. Was in medialer Rezeption oft gemeinsam gelesen wird, lassen Sie nebeneinander stehen. E R Der Film ist ein Zeitdokument, ich wollte zeigen, was heutzutage eine mögliche Todesursache ist. Ich wollte keinen Film über ein Attentat oder über Radikalisierung machen. Für mich war es mehr eine Beobachtung der Bedrohung.

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FILM

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Hochwald (2020)

Evi Romen

Ihre Beobachtungsgabe wirkt mitunter verstörend im Film; im Dorfsetting herrscht viel Oberflächlichkeit, man bewertet Äußerlichkeiten. Dennoch blickt man in die Tiefe, weil die Figuren in so vielen Abhängigkeitsverhältnissen zueinander stehen. E R Die Oberflächlichkeit im Dorf schützt dich vor der Tiefe, vor einem tiefen Gespräch. Es ist eine Art Sprache, die man entwickelt, um miteinander auszukommen. In einer kleinen dörflichen Gemeinschaft ist es schwierig, jedem seine Meinung zu sagen. Dadurch entwickelt sich über viele Jahrhunderte eine Form der Kommunikation, die auf den ersten Blick oberflächlich wirkt, aber trotzdem viel Information transportiert, zum Beispiel über die Beobachtung, was im Gesicht passiert. Die Rettung in die Oberflächlichkeit ist auch hilfreich, denn in Momenten, wo es einem die Sprache verschlägt, sind Floskeln angenehm zu bedienen. Denn was soll man auch sagen, wenn jemand gestorben ist? „Niemand entkommt seiner Herkunft.“ In ihrem Film thematisiert Evi Romen durch ein tragisches Ereignis die Zwänge von kleinen Dörfern, Geschlechterrollen und Religionen.

War es von Anfang an klar, dass Sie die Figur des Imams Mami, der auch eine Form der Zugehörigkeit für Mario bietet, mit dem deutschen Schauspieler Kida Khodr Ramadan besetzen werden? E R Für meine Geschichte war es mir wichtig, common ­people zu zeigen und niemanden mit einem Star-Back­ ground zu haben. Aber diese Rolle wollte ich mit einem Star besetzen. Kida Khodr Ramadan hatte zunächst abgesagt, da er nicht die Rolle eines Imams spielen wollte. Dann habe ich ihm einen Brief geschrieben und ihm erklärt, dass ich etwas ganz anderes suche, als er bis jetzt gespielt hatte. Und er sagte zu – zum Glück. Ich brauchte einen Rattenfänger, jemanden, den die Jungs mögen. Was hat Sie dazu bewegt, das Thema des Katholizismus so präsent anzulegen? E R Der Katholizismus ist nach wie vor sehr präsent. Es ist zwar nicht mehr so, dass alle in die Kirche gehen und beten, aber diese über die Jahrhunderte in unsere Gene eingestampften Glaubenssätze kriegen wir nicht so leicht los. Immer, wenn Schicksal im Spiel ist, bemüht man auch Religion und Rituale, die man gewohnt ist und gelernt hat. In der heutigen Zeit, durch den islamistischen Terror, wird man ständig mit Religion konfrontiert.

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Neben den Vaterfiguren von Mario und seinem Freund Lenz sind auch die Mutterfiguren unterschiedlich angelegt: Marios Mutter lebt im Zwang der vorherrschenden Strukturen; nach Marios Äußerung, er sei vom Metzger sexuell missbraucht worden, solidarisiert sie sich mit diesem, anstatt sich hinter ihren Sohn zu stellen. Während Lenz’ Mutter Mario beschuldigt und sagt, er hätte anstelle von Lenz sterben sollen. Wie kam es zu dieser Figurenzeichnung? E R Ich kenne beide dieser Figuren. Jede Mutter will das Beste für ihr Kind, aber jede hat andere Möglichkeiten und Lebensumstände. Für eine Frau wie die Mutter von Lenz ist es unvorstellbar, dass ein Mensch, der in Glück getränkt scheint, Unglück hat. Deshalb auch der Satz in meinem Film: „Besser eine Hütte, in der man lacht, als ein Palast, in dem man weint.“ Ich fand es immer sehr beeindruckend, dass dich Glück oder Reichtum nicht vor dem Schicksal schützen können. Mit Lenz’ Mutter wollte ich auch Homophobie thematisieren: Was passiert, wenn der Verdacht auftritt, dass beim eigenen Sohn das zutrifft, was man nicht vermuten würde? Die Figur des Mario spinnt sich in Uneindeutigkeiten weiter, durch Andeutungen hinsichtlich Vaterschaft, Freundschaft, Sehnsüchten und Grenzen seiner Visionen. E R Die meisten jungen Menschen, die ich kenne, sind in dieser Uneindeutigkeit gefangen. Mit zwanzig stehen sie an einem Punkt im Leben, wo sie das Ruder nochmal rumreißen könnten. Das ist auch ein Moment, wo man sich als absolut einzigartig wahrnimmt, aber dann kommt der Moment der


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PRODUCTION

Evi Romen

Amour Fou Vienna

Uneindeutigkeit. Gleichzeitig liegt in dieser Herumprobiererei so viel Verlorenheit. Diese Brüche finde ich filmisch interessant. Diese Verlorenheit junger Menschen berührt mich, auch wenn sie sich noch so selbstbewusst geben.

HOCHWALD (WHY NOT YOU) von Evi Romen ist eine Produktion der Amour Fou Vienna (Alexander Dumreicher-Ivan­ ceanu, Bady Minck) in Koproduktion mit der belgischen Take Five und wird von True Colours international vertrieben. Die Hauptrolle des Mario spielt der Südtiroler Schauspieler Thomas Prenn (r.), Lenz wird von Noah Saavedra verkörpert. Zum Cast gehören auch die Südtiroler Darsteller Katja Lechthaler, Lissy Pernthaler und Andreas Hartner. Die Dreharbeiten fanden an mehreren Locations in Südtirol und Österreich statt. IDM Film Fund gewährte eine Förderung für die Produktionsvorbereitung in Höhe von 45.000 Euro und eine Produktionsförderung von 650.000 Euro.

Flo Rainer/Amour Fou

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Sie setzen eine Perücke ein, die sich durch den gesamten Film zieht. Die Perücke stiehlt Mario die Show, Lenz steht damit noch mehr im Rampenlicht, als er dies ohnehin schon tut, gleichzeitig ermöglicht sie Mario Wandlungsmomente. E R Noch bevor die Story da war, war die Perücke da! Wenn du eine Perücke aufsetzt, bist du ganz anders, sie ist ein Narrenhut. Gleichzeitig bietet sie durch ihre Auffälligkeit weniger Schutz. Die Perücke zeichnet einen Weg nach: vom „Ich möchte beeindrucken, ich möchte anders sein“, sich aber nicht trauen über den besten Freund, der sich traut, einfach die Show zu stehlen, zum Wiederabnehmen der Perücke bis hin zum Trauersouvenir. Schlussendlich macht Mario das, was er sich zu Beginn nicht traute: Er geht mit der Perücke durch die Dorfgemeinde – eigentlich das Mutigste, was er im ganzen Film macht.

Der Wald ist im Film sehr präsent: Zum einen bietet er Zuflucht aus der Enge des Dörflichen, zum anderen symbolisiert er die Welt als Gefahr. Zeigt die Endszene im Wald, dass es Mario verwehrt bleibt, seine Visionen zu verwirklichen? E R Es gibt viele Interpretationsmöglichkeiten dafür, was weiter mit Mario geschehen wird. Diese Baumstämme sind auch wie ein Gefängnis: Es ist vollkommen klar, dass er der dörflichen Gemeinschaft auch dann nicht entfliehen wird, wenn er weggeht. Ich habe selber lange versucht, meine Wurzeln zu leugnen. Du entkommst dem nicht, niemand entkommt seiner Herkunft. Das – und dass Heimkehr nicht unbedingt etwas Negatives sein muss – schwingt in meinem Film mit. Aber es gibt auch Dinge, die akzeptiert werden. Deshalb lasse ich ihn nackt und mit Perücke als Hofnarr durch dieses Dorffest schreiten, diese Stimmung wollte ich mit dem Ende einfangen: Er ist einer von uns. Einer, der weder physisch noch psychisch entkommen T # 12 kann.

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„Ich bin ein Glückspilz.“ Regieassistent Giuseppe Tedeschi über seine vielfältige Filmkarriere

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LO C A L TA L E N T S

A S S I S TA N T D I R E C TO R

Giuseppe Tedeschi

SIBERIA Mit dem größtenteils in Südtirol gedrehten Film kehrte Kultregisseur Abel Ferrara 2020 nach Berlin zurück. Der Spielfilm, eine Reise durch das Seelenleben der Hauptfigur Clint (Willem Dafoe, kl. Foto), war im Wettbewerb der 70. Berlinale vertreten. Produziert wurde Siberia von Vivo film mit Rai Cinema, maze pictures und Piano, auch dank einer Anstoßförderung von IDM. Die Dreharbeiten erfolgten 2019 an verschiedenen Locations in Südtirol, darunter eine Schutzhütte im Pustertal, ein Bunker in Bozen und eine auf­ gelassene Kaserne.

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Foto

M A R I A N N A K A S T LU N G E R

MICHAEL PEZZEI

Giuseppe Tedeschi ist Optimist. Einer, der sich von Schwierigkeiten gar nicht erst entmutigen lässt, weil sein Kopf längst schon auf der Suche nach Lösungen ist. „Einige Charaktereigenschaften sind unverzichtbar, um am Set ­produktive Beziehungen aufzubauen“, erklärt er seine Philosophie, „und zwar Gelassenheit, Neugier, Loyalität und Ehrlichkeit. Man muss Ruhe ausstrahlen und freundlich bleiben. Nur so gibt jeder im Team das Beste.“ Wir treffen Tedeschi in seiner Heimatstadt Meran, gerade ist er von einem Serienprojekt in Apulien zurückgekehrt. Aus der langen Liste der Projekte, an denen er als Second Unit Director oder Assistant Director mitgewirkt hat, stechen spannende Titel hervor, etwa Piccola patria (Small Homeland), 2013 ein Festival­ erfolg in Venedig. „Ein Film, den ich schon in der Entstehung geliebt habe, immer wieder ansehe und mit anderen teile“, so Tedeschi. „Alessandro Rossetto, eigentlich Dokumentarfilmer, findet im Spielfilm zu einer ganz eigenen Sprache.“ 2015 folgen Vergine giurata (Sworn Virgin) und der Blockbuster Everest, an dessen Produktion sich Tedeschi besonders gern erinnert: an die „doch recht beißende“ Kälte auf dem Gletscher, den Schneesturm, der nicht nur im Film, sondern auch in Wirklichkeit hereinbrach, und das Privileg, vom ersten Regieassistenten Fabrizio „Roy“ Bava lernen zu dürfen. Außerdem sei es sehr schön gewesen, im Schnalstal zu drehen, „ein Ort, den ich seit meiner Kindheit gut kenne und dessen wunderbare Bewohner ich sehr schätze“. In den darauffolgenden Jahren wirkte er bei Zoolander 2 (2016), Die zwei Päpste und Siberia (2019) mit. Der 44-Jährige hat eine abwechslungsreiche Karriere hinter sich: Er wollte ursprünglich Biologe werden. „Mich faszinierte der ökologische Gedanke, aber ich war nie ein besonders guter Biologe“, gesteht er. Seine naturwissenschaftliche Pragmatik half ihm aber dabei, seine Gedanken zu ordnen und aus der Leidenschaft für Fotografie und Reportage seinen Beruf zu machen. „Die Freude am Geschichtenerzählen hat mich auf diesen Weg gebracht“, so Tedeschi. Mit einer Ausbildung an der Filmschule ZeLIG in Bozen tauchte er zunächst in den Dokumentarfilm ein; nach dem Abschluss 2007 landete er beim Spielfilm und lernte, auf der Welle zwischen dokumentarisch und fiktiv zu „surfen“, wie er es ausdrückt. „Es sind zwei sehr ähnliche Welten, denen man sich aber anders nähert“, meint er. Ob er eines Tages mit einem eigenen Dokumentarfilm zu seinen Wurzeln zurückkehrt – wer weiß. In der Zwischenzeit reitet er weiter auf den Wellen seiner vielfältigen Projekte, mit dem ihm eigenen Optimismus: „Ich reise viel und lerne tolle Menschen kennen, aus deren kulturellem T # 12 Reichtum ich schöpfen kann. Ich bin wirklich ein Glückspilz.“

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Vom Dokumentarfilm über das Autorenkino bis hin zu italienischen und amerikanischen Serien: Giuseppe Tedeschi ist ein cineastischer Wellenreiter Talenten auf der Spur

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STUDIOBESUCH

D I E N S T L E I S T E R A U S S Ü DT I R O L

Cine Chromatix Italy

In einer ehemaligen Nudelfabrik in Meran versteckt sich eine junge VFX-Firma – mit eigenem Postproduktionskino und großen Ambitionen Studiobesuch bei … Cine Chromatix Italy

„Wir wollen wachsen, auf Europas Filmlandkarte auffallen und mit unseren Kompetenzen überzeugen.“ Operations Manager Matthias Keitsch, VFX-Supervisor Nicola Nardone und Studiomanager Florian Geiser (v. l.) im Common Room des Studios

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M A R I A N N A K A S T LU N G E R Fotos

PAT R I C K S C H W I E N B A C H E R

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Beige und etwas in die Jahre gekommen sieht die Pobitzer Mühle in der Peripherie von Meran von außen aus. Doch der erste Eindruck täuscht. Hinter ihrer Fassade haben sich diverse Film- und Medienschaffende niedergelassen, darunter die italienische Dependance der Berliner Cine Chromatix KG, mit hervorragend ausgestatteten Postproduktions-Arbeitsplätzen. Die Atmosphäre im Haus ist bei unserem Besuch dementsprechend inspirierend – auch weil die unbehandelten Holzdielen, hohen Räume und großen Fenster das industrielle Flair bewahren. Die ehemalige Mühle und Nudelfabrik sowie spätere Tischlerei ist heute – sobald es die Sicherheitsmaßnahmen in Pandemiezeiten wieder erlauben – „ein lebendiger Ort der


STUDIOBESUCH

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Cine Chromatix Italy

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Zusammenkunft“, sagt Matthias Keitsch, Operations Manager von Cine Chromatix Italy. Seine Kolleginnen und Kollegen sind höchstens Mitte 30, kommen aus Berlin, Südtirol und anderen Regionen Italiens. „Die Zusammenkunft von Leuten mit unterschiedlichen Backgrounds bereichert die Kreativität“, erklärt Nicola Nardone, VFX-Supervisor aus Apulien. Die scharfen italienischen Lockdown-Maßnahmen im vergangenen Frühjahr taten dem Schaffenswillen der Truppe keinen Abbruch: „Da haben wir die Effekte für Hilfe, ich habe meine Freunde geschrumpft einfach zu Hause erarbeitet“, erklärt Keitsch, und Nardone fügt hinzu: „Dafür haben wir die Workstations zu uns ins Heimbüro holen müssen!“ Das junge Team um Keitsch und Nardone blickt auf ein außergewöhnliches Jahr 2020 zurück – und wird im VFX-Bereich immer stärker. 2019 arbeitete man in der Mühle unter anderem an Abel Ferraras Siberia (Data Manager) und Vier Zauberhafte Schwestern (DIT und VFX), 2020 kam Roberto Faenzas Resilient dazu (► Bericht über Resilient S. 20). Mit aktuell neun Festangestellten, einem internationalen Netzwerk aus Freelancern und einer proaktiven Akquise-Kultur – etwa durch Workshops für junge Talente – ist Cine Chromatix Italy mittlerweile der größte Betrieb in der Südtiroler Filmbranche. „Und gleichzeitig auch eine wesentliche Stärkung dieser lokalen Branche“, klinkt sich Studiomanager Florian Geiser in die angenehm lockere Gesprächsrunde ein. Wir sitzen im großzügigen, hellen Common Room im Herzen des alten Gebäudes. Vorzüge wie diese Atmosphäre schätzen nicht nur Besucherinnen, sondern auch die Kunden. V FX- E I N S I E D E L E I M I T B E R G PA N O R A M A

Nachdem ausreichend Kraft und Koffein getankt ist, geht’s in die Produktionsräume. Zur hochwertigen Ausstattung zählt neben den VFX-Arbeitsplätzen und den Büros für administrative Tätigkeiten vor allem das eigentliche Juwel der Firma: der hauseigene Kinosaal mit DCI-Projektion, einer Raum-in-Raum-Konstruktion für Color Grading und Audiomischung. „Mit dieser Infrastruktur können wir den Produktionen eine Vielzahl von Möglichkeiten anbieten“, berichtet Geiser. Das Unternehmen versteht sich als Inhouse-Komplettdienstleister – und als Brücke zwischen Nord und Süd. Die Kunden, egal ob aus Rom oder Berlin, genießen die Arbeit in Meran sehr, weiß Keitsch: „Es hat mitunter etwas von einer Einsiedelei, mit wochenweise durchgehender, fokussierter Arbeit“, sagt er. „Aber in der Freizeit genießen sie das gute Essen, das Bergpanorama und die Natur in Südtirol.“ Ein Gesamtpaket, das Cine Chromatix Italy 2019 erstmals für die komplette Postproduktion des Spielfilms

Inspirierende Atmosphäre: Hinter der Fassade der alten Pobitzer Mühle sind neun Mitarbeiter tätig.

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STUDIOBESUCH

D I E N S T L E I S T E R A U S S Ü DT I R O L

Cine Chromatix Italy

Komplettdienstleister: Cine Chromatix Italy verfügt über hochwertige VFX-Arbeitsplätze und einen hauseigenen Kinosaal für Color Grading und Audiomischung.

Scouting am Penser Joch im Sarntal: Die Balance zwischen Produktionsbedürfnissen und dem Schutz der alpinen Natur ist Defranceschi ein besonderes Anliegen.

RESILIENT Für den Spielfilm (▶ Artikel S. 20) war Cine Chromatix Italy schon von den ersten Location-Besuchen an in die Dreh­a rbeiten eingebunden. Die Postproduktionsleistungen umfassten CG-Animation, Set Extension und Nachbearbeitung.

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Cine Chromatix Italy

Effetto Domino von Alessandro Rossetto anbot – und prompt Lob erntete: „Dem Mischtonmeister des Films, Paolo Segat – der übrigens auch für die Audiomischung zahlreicher Filme von Paolo Sorrentino verantwortlich war – hat es hier gut gefallen“, verrät Nardone. Das Trio gibt sich selbst­ bewusst: „Wir wollen wachsen, auf Europas Filmlandkarte auffallen und mit unseren Kompetenzen überzeugen“, lautet das Vorhaben für die Zukunft. KRITISCHE ZEITEN UND GROSSE AMBITIONEN

Dabei hätte es auch anders kommen können. Gegründet wurde Cine Chromatix Italy 2017 als Joint Venture zwischen der Berliner Cine Chromatix und der Südtiroler Produk­ tions­firma Ammira Film. Eine Verbindung, die vor allem durch den Enthusiasmus und die Netzwerkkünste des Ammira-Gründers und damaligen Geschäftsführers Wolfgang Fliri gelang. Als Fliri 2018 plötzlich verstarb, blieben Keitsch, Geiser und Nardone schockiert und ratlos zurück.

„Neben der persönlichen Betroffenheit mussten wir auch für die Firma klären, wer ohne unseren Freund und Drahtzieher Wolfgang nun den Karren ziehen solle“, erinnert sich Keitsch. „Das hat uns zusammengeschweißt“, sagt er heute. Die Zuständigkeiten wurden unter der entstandenen Kerngruppe aufgeteilt, die Firma wurde zu 100 Prozent durch die Berliner übernommen – „die immer sehr freundschaftlich und hilfsbereit agierten“, so Keitsch – und fortan gefestigt und vergrößert. „Wir sind trotz anfänglicher Startschwierigkeiten von der Idee überzeugt, Südtirols Filmindustrie zu stärken“, sagt Geiser – und das stete Wachstum gibt ihnen Recht. „Vielleicht wird die alte Pobitzer Mühle ja irgendwann zum großen Medienhaus“, schwärmt er. Seine beiden Kompa­ gnons attestieren ihm – höchst amüsiert – völligen Größenwahn. „Platz genug dafür hätte sie ja, die alte Nudelfabrik“, wirft Nardone grinsend ein. Na also – wer T # 12 weiß …

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P R O D U Z E N T E N -TA L K

PRODUCER

Donatella Palermo

„Mir wurde klar, dass die Kunst Leben verändert.“

D. Palermo

Interview mit Donatella Palermo

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Interview

M A R G H E R I TA B O R D I N O

DONATELLA PALERMO mit Regisseur Gianfranco Rosi. Nach der preisgekrönten Doku Seefeuer produzierte sie seinen neuen Film Notturno, Italiens diesjährigen Oscar-Kandidaten.


P R O D U Z E N T E N -TA L K

PRODUCER

Den Goldenen Bären hat sie erstmals bei der ­Berlinale 2012 mit Cesare deve morire (Cäsar muss sterben) der Brüder Taviani abgeräumt, 2016 noch einmal mit ­Fuocoammare (Seefeuer) von Gianfranco Rosi, dem Film, für den sie auch eine Oscar-Nominierung für den Besten Dokumentarfilm 2017 erhielt. Die Sizilianerin Donatella Palermo ist eine der Produzentinnen, die die Blüte des italieni­schen Dokumentarfilms in den letzten Jahren wesentlich mitbestimmt haben.

Man wird auch über neue Vorführungsarten nach­ denken müssen … DP Mir bedeutet das klassische Kino alles, ich kann mir eine Filmwelt ohne Kinosäle gar nicht vorstellen. Früher habe ich mal als Filmvorführerin gearbeitet und weiß daher, wie es sich anfühlt, wenn im dunklen Saal plötzlich der Licht­ strahl des Projektors angeht und der Film beginnt. Einen Fernseher anzuschalten ist doch nicht dasselbe!

Als Mädchen schrieben Sie Comics, später avancierten Sie zur bedeutenden Filmproduzentin. Wann hat das Kino Ihr Leben erobert? DONATELLA PALERMO Ich bin auf dem Land aufgewachsen, da sagt man als Kind nicht: „Ich will später mal Filme machen.“ Am Anfang sammelte ich Geschichten von Freunden und machte daraus Comics. Das war schön, aber etwas fehlte mir: Ich bin ein geselliger Mensch, ich arbeite lieber mit anderen zusammen. Eines Tages lief mir auf der Straße ein Hund zu und ich nahm ihn mit nach Hause. Ich schaltete eine Anzeige in der Zeitung und hing Zettel in Geschäften aus. Wie sich herausstellte, gehörte der Hund einer amerikanischen Produzentin, mit der ich mich anfreundete. Ihr habe ich den Zugang zum Film zu verdanken.

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Einmal haben Sie gesagt: „Der Beruf des Produzenten ist wie eine Schule, in der man nie aufhören darf zu lernen.“ Was haben Sie bislang gelernt? DP Ich bin keine Künstlerin, dafür fehlt mir das Talent. Aber ich bin eine gute Supporterin: Ich stelle mich vor die Künstler, unterstütze sie, verstehe ihre Stärken und Schwächen. Und das Kino verändert sich ständig. Aktuell frage ich mich, welche Filme es wohl sein werden, die das Publikum nach dem Jahr 2020 sehen will. Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich mehr als zwei Monate in meinem Haus eingesperrt sein und Angst davor haben würde, andere zu umarmen, dann hätte ich das nicht geglaubt. Heute bin ich, sind wir alle, still und heimlich andere Menschen geworden. Worüber wird man nach der Pandemie sprechen? Da fällt mir das Nachkriegskino ein, die Geburt einer völlig neuen Art des Filmemachens. Ich glaube, dass Produzenten und vor allem Autoren sich wieder darüber klar werden müssen, was den Geist dieser Zeit ausmacht, und das ist alles andere als einfach.

Was bedeutet es für Sie, einen Film zu produzieren? Etwas anfangs Immaterielles Realität werden zu lassen. Einer Idee folgt ein Blatt Papier, dann ein Bild, und in dieses Bild fließt die Schaffenskraft vieler Menschen ein. Für mich ist ein Film eine fixe Idee. Ich muss an den Regisseur und seine Geschichte glauben können. Daher treffe ich meine Entscheidungen aus dem Bauch heraus und nicht mit Logik. Das Dokumentarkino bewegt mich sehr, seit ich es durch Gianfranco Rosi entdeckte. Mit ihm habe ich eine Art des Filmemachens kennengelernt, die allem einen ethischen Wert verleiht. Gianfranco sagt, das Allerschwierigste sei der richtige Abstand zur Realität, wenn man hinter der Kamera steht. Dieser Abstand ist der Schlüssel zu einer Erzählung, zu den eigenen Emotionen. Das hat mir eine ganz neue Welt des Verstehens eröffnet. Ich weiß jetzt, dass fehlende Distanz ein Bild und seine Bedeutung überfahren und zerstören kann.

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Donatella Palermo

Die Begegnung mit der Regisseurin Roberta Torre war für Sie von besonderer Bedeutung. Sie haben 1997 ihren Film Tano da morire (Für Tano sterben) produziert, ein Festivalerfolg in Venedig. Wie ist dieser Film entstanden? DP Roberta kam mit einer Filmidee über den Mafioso Tano Guarrasi auf mich zu. Eine unglaubliche, wahre Geschichte, die wir gemeinsam umsetzen wollten – und zwar als Musical. Es war natürlich verrückt, eine Komödie über die Mafia zu drehen, in der echte Mafiosi singen und tanzen: Kein Wunder, dass ich das Geld dafür nicht auftreiben konnte. Doch dann riet mir der damalige Rai1-Direktor, ­Giovanni Tantillo, eine kleine Doku über Tano zu drehen. Vielleicht würden sich dadurch Türen öffnen. So realisierten wir Appunti per un film su Tano („Notizen für einen Film über Tano“), der seine Geschichte erzählte und Casting-Mitschnitte für die Besetzung potenzieller Rollen

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P R O D U Z E N T E N -TA L K

PRODUCER

Stemal Entertainment

Donatella Palermo

Leben verändert. Nach der Berlinale sind wir nach Rebibbia ins Gefängnis gefahren, um den Häftlingen den Goldenen Bären zu zeigen – das war sensationell! Alle wollten ein Foto mit der Trophäe und schickten es an ihre Familien, die zum ersten Mal stolz auf sie waren. Später dann habe ich mit Seefeuer aus nächster Nähe begreifen dürfen, dass ein Film mit künstlerischem Wert auch die Gesellschaft verändern kann. Sie haben auch den neuen Film von Rosi produziert, die Nahost-Dokumentation Notturno. Der Dreh dafür dauerte ein Jahr, für Seefeuer sogar drei Jahre. Wie wichtig ist der Faktor Zeit für eine Produzentin? DP Für Gianfranco Rosi, der alleine dreht, selbst Bilder und Ton bearbeitet und selten Assistenten beschäftigt, ist Zeit kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Er gehört meiner Ansicht nach zu den ganz Großen der Filmgeschichte. Während der Arbeit an Notturno verfolgte ich von Rom aus jeden Schritt, mein Tagesablauf war nach unseren Telefonaten getaktet. Auf Landkarten zeichnete ich seinen Weg durch Syrien, Libanon und den Irak nach. So hatte auch ich das Gefühl, eine Reise unternommen zu haben. Ich glaube, Notturno ist der bedeutsamste Film, den ich je produziert habe. Ein Film mit ethischem, geschichtlichem und künstlerischem Wert.

Nahost-Dokudrama Notturno, Mafia-Musical Für Tano sterben, Sekten-Dokumentation Faith: Schwierige Projekte sind bei Donatella Palermo gut aufgehoben.

zeigte. Diese kleine Arbeit präsentierten wir in der Woche der Kritik in Venedig, wo dank des großen Erfolges ein Vertrag für die Produktion des Films zustandekam. Ohne diese abenteuerliche Idee hätten wir Für Tano sterben wohl nie drehen können. Und dann war da Ihre Begegnung mit den Taviani-Brüdern. Cäsar muss sterben wurde mit einem wichtigen Filmpreis ausgezeichnet, dem Goldenen Bären der Berlinale. DP Diese Erfahrung war außergewöhnlich! Wir drehten im Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses, wo Mörder und Drogendealer einsaßen. Einer unserer Protagonisten hatte im Gefängnis vier Menschen umgebracht. Die individuellen Vergangenheiten der Inhaftierten waren schrecklich, da wollten wir nie nachbohren. Aber einmal sagte einer, nachdem er eine Filmszene improvisiert hatte: „Jetzt, wo ich die Kunst kennengelernt habe, wird mein Leben nie mehr dasselbe sein.“ So wurde mir erst klar, dass die Kunst

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2020 war für das Kino ein spezielles Jahr, Sie konnten nur auf wenigen Festivals persönlich anwesend sein. Darunter auf der Berlinale, wo Faith vorgestellt wurde. Die Regisseurin, Valentina Pedicini, ist leider kürzlich verstorben. DP Valentina war eine herausragende Regisseurin. Und einer der wertvollsten Menschen, die ich je getroffen habe. Sie hatte die Gabe, viel Liebe zu geben, und Viele trauern jetzt um sie. Wir hatten schon den nächsten Film geplant, davon ist nun nur noch eine Idee auf einem Blatt Papier übrig. Vale unterrichtete in Palermo Dokumentarfilm. Ihre Studierenden haben einen wunderschönen Satz geschrieben: „Jetzt bleibt uns nur noch, von den Filmen zu träumen, die sie noch gedreht hätte.“ Genauso empfinde ich auch. Mit Valentinas Tod haben wir alle etwas verloren. Nach der Vorstellung von Faith beim IDFA erschienen in derselben Woche zwei großartige Artikel über den Film in Variety, woraufhin Gianfranco Rosi mich anrief und – mit Maschinengewehrknattern und Sirenen im Hintergrund – begeistert in den Hörer rief: „Siehst du, jetzt hat Valentina die internationale Anerkennung bekommen, die sie verdient hat!“ Und er hatte Recht! Über Valentina habe ich auch die Südtiroler Filmförderung kennengelernt, die großes Verständnis für unseren Film zeigte.


PRODUCER

S P OT L I G H T

Donatella Palermo

Wilfried Gufler

DONATELLA PALERMO, aus Catania, lebt in Rom. Seit Anfang der 1990er-Jahre ist sie als Produzentin tätig, u. a. mit ihrer Firma Stemal Entertainment. Mit Für Tano sterben war sie 1997 für das Silberne Band nominiert, Liscio (2006) wurde beim Filmfestival in Rom ausgezeichnet. Im Laufe ihrer Karriere produzierte sie Spielfilme wie Viol@ (1998) oder Notturno bus (Nachtbus, 2007) und Dokumentarfilme wie Cäsar muss sterben (2012). 2016 produzierte sie die Doku Seefeuer von Gianfranco Rosi über Migranten, die in Lampedusa gestrandet sind. Mit Rosi realisierte sie auch Notturno (2020), eine Dokumentation über das vom Krieg gezeichnete Leben der Menschen im Nahen Osten. Palermo produzierte auch Valentina Pedicinis Faith (2019), einen Dokumentarfilm über eine Sekte.

Dabei ist die Beziehung zwischen Produzentin und Förderung nicht immer spannungsfrei. DP Das nicht, aber sie ist wichtig. Nicht nur wegen der finanziellen Unterstützung. Sie gibt einem das Gefühl, Teil eines Ganzen zu sein und nicht ein Irgendwer, der sich allein durchschlägt. Ich glaube, dass von diesen Institutionen eine neue Art des Filmemachens ausgehen kann und sie daher finan­ziell wie strukturell gefestigt werden sollten. An welchen Projekten arbeiten Sie aktuell? Hätte es 2020 das Festival in Cannes gegeben, wäre Last Words von Jonathan Nossiter im Wettbewerb gelaufen. Von einem solchen Cast – Nick Nolte, Charlotte Rampling, Alba Rohrwacher und Stellan Skarsgård – hätte ich nie zu träumen gewagt. Der Film spielt am Ende der Menschheit und erzählt die Geschichte eines Jungen, Kalipha Touray, der durch eine Wüstenwelt streift. In Bologna gräbt er sich durch die Trümmer der Cineteca, der Kinemathek, und findet dort Filmschnipsel, die an das Verlorene erinnern. Aktuell bereite ich wieder mit Roberta Torre zwei Projekte vor, wir sind beide froh über diese neuerliche Zusammenarbeit, sie hat uns gefehlt. Außerdem arbeite ich mit Paolo Taviani an dessen neuem Film Leonora Addio. Paolo hat noch die Frische und den Mut, etwas auszuprobieren, er hat das reine Herz eines Regisseurs. Ich bin stolz, mit ihm arbeiten zu können. Überhaupt hatte ich im Leben großes Glück: Ich habe so viele außergewöhnliche Regisseurinnen und Regisseure kennengelernt, die meine Arbeit mit Sinn T#12 erfüllt haben.

DP

WILFRIED GUFLER ,

51, produziert derzeit seinen ersten Spielfilm: Das Adoptionsdrama Sisters ist eine Koproduktion von Guflers Albolina Film mit der lettischen Fenixfilm. Nach der Gründung 2012 war die Albolina Film mit Sitz in Bozen zunächst einige Jahre in der Serviceproduktion tätig, bevor sich der rührige Gufler mit seinem mittlerweile fünfköpfigen Team an selbst produzierte Dokumentarfilme wagte: Die eindrucksvolle Reschensee-Doku Das versunkene Dorf und Pepe Danquarts Roadmovie Vor mir der Süden waren Festivalerfolge; bald folgt die Premiere des Sportlerinnenporträts My Upside Down World. „Als lokal verwurzelter Produzent will ich lokale Themen kritisch und zeitkritisch aufgreifen“, so Gufler. Wie im nächsten Doku-Projekt Gegen das Schweigen über sexuellen Missbrauch. Gufler, der aus der Wirtschaft kommt, nimmt kreativen Köpfen das leidige Zahlenjonglieren sehr gern ab, wie er sagt. „Durch die Arbeit mit Filmschaffenden bin ich so etwas wie ein Generalist in der Branche geworden“, so der Produzent. „Umso mehr schätze ich die Zusammenarbeit mit Spezialisten.“ Genau das ist Teil seines Erfolgsrezepts: „Gespür für gute Geschichten, international denken und vor allem: gute Leute um sich scharen“, sagt Gufler. „Die Filmbranche ist nichts für Einzelkämpfer.“ www.albolina.org

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P R O D U Z E N T E N -TA L K

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A B S PA N N

FRAGEBOGEN

Carlo Sironi FRAGEBOGEN

Carlo Sironi beantwortet den TAKE -Filmfragebogen

WELCHEN FILM HABEN SIE ZULETZT GESEHEN?

Zuhause Passe ton bac d’abord (Mach erst mal Abitur) des großen Autors und Schauspielers Maurice Pialat. Letzthin zieht es mich zu Filmen übers Heranwachsen. Im Kino war der letzte Film Notturno von Gianfranco Rosi, Italiens Oscar-Kandidat. Den will ich unbedingt nochmal auf der großen Leinwand sehen – hoffentlich bald … WELCHE SERIE HAT SIE AM MEISTEN BEEINDRUCKT?

Viele. Ich bin ein großer Fan von Mad Men, die sehe ich immer wieder an, wie ein Buch, das einen geprägt hat und

Jacopo Salvi

das man deshalb immer wieder aufschlägt. Ich finde darin die amerikanische Literatur wieder, die ich so liebe: Sherwood Anderson, John Cheever, John Updike. WELCHER FILM SOLLTE UNBEDINGT NOCH GEDREHT WERDEN?

Eine Adaption von Die drei Stigmata des Palmer Eldritch, Philip K. Dicks Meisterwerk. Es bräuchte einen Geniestreich, um seine Grundidee beispielsweise in eine andere Epoche zu übertragen und der Komplexität des Romans doch treu zu bleiben. WOFÜR WERDEN SIE AUF GAR KEINEN FALL MEHR GELD AUSGEBEN?

CARLO SIRONI, 1983 in Rom geboren, machte mit den Kurzfilmen Sofia (2010, im Wettbewerb des Filmfestivals Turin), Cargo (2013, im Wettbewerb in Venedig, nominiert für den David di Donatello als bester Kurzfilm) und Valparaiso (2016, im Wettbewerb in Locarno) auf sich aufmerksam. Sein erster Spielfilm Sole wurde 2019 in Venedig präsentiert und lief auf dem Toronto International Film Festival und der Berlinale 2020. Für Sole wurde Sironi bei zwei Filmpreisen, den Nastri d’argento und den David di Donatello Awards, als bester Nachwuchsregisseur nominiert. Bei den 33. European Film Awards gewann er kürzlich den Prix FIPRESCI – European Discovery.

Für Fast Food. Es schmeckt mir nicht mehr, nicht mal als „guilty pleasure“. Das Leben ist einfach zu kurz, um schlecht zu essen. DAS LETZTE FOTO, DAS SIE AUFGENOMMEN HABEN?

Die letzten Schmetterlinge, die ich gesehen habe – auf ein Handtuch genäht. Ich freue mich sehr darauf, endlich wieder in die Natur zu kommen und echte zu sehen ...

#13 M A G A Z I N E F O R F I L M P R O F E S S I O N A LS

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CO M I N G AU G U ST 2 0 2 1


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