INDIEKINO MAG #11, Juli 2021

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INDIEFEATURE

INDIEKINO: Herr Vinterberg, als Sie auf der Berlinale DER RAUSCH ankündigten, prophezeiten Sie einen Shit-Strom wegen des Feierns von Alkohol. Nun bekommen Sie auf Festivals beste Kritiken dafür ... Thomas Vinterberg: Das Projekt hat sich verändern. Zu Beginn war die Idee, etwas Sensationelles, leicht Provokatives über Alkohol zu erzählen. Churchill zum Beispiel schickte 200.000 Zivilisten in den Krieg. Bei dieser Entscheidung war er nicht betrunken, aber vermutlich eben auch nicht nüchtern. Aber dann erkannte ich, viel faszinierender ist das Thema, wie diese akzeptierte Droge die Menschen beflügeln und gleichzeitig tödlich sein kann. Stimmt diese Story mit Churchill oder ist das eine Legende? Wir wissen nicht, ob diese Geschichte stimmt. Aber viele Zeitzeugen erzählen von seiner Vorliebe von Champagner zum Frühstück. Für mich klingt sein Vorhaben auch nicht nach einer Idee im Suff. Vielmehr ist es ein sehr mutiger und überzeugend irrationaler Plan - genau solche Ideen bekommt man im Stadium zwischen nüchtern und betrunken. Vielleicht ist die Sache mit Churchill auch nur ein Mythos - aber machte das etwas aus? Ihre Film-Trinker berufen sich auf den norwegischen Psychiater Finn Skårderud, wonach dauerhafter Alkohol-Genuss die D 34

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Leistung steigere. Gibt es diesen Trinker-Denker oder haben Sie ihn erfunden? Finn Skårderud existiert, seine Theorie existiert seit 20 Jahren und er steht bis heute dazu. Er sagt, durch Alkohol wird man mutiger und kreativer, doch das meint er polemisch. Ich habe ihn getroffen und er war begeistert, dass wir seine Theorie im Film aufgreifen. Vor allem mochte er, dass wir dieses Thema nicht mit einer moralischen Botschaft versehen. Schauspieler, die Betrunkene spielen, wirken selten glaubhaft. Wie haben Sie das Problem gelöst, mit echtem Alkohol für die Akteure? Die Schauspieler haben beim Dreh keinen Alkohol getrunken - was sie in den Pausen im Wohnwagen gemacht haben, weiß ich allerdings nicht (lacht). Einen zwölfstündigen Drehtag würde man betrunken nicht durchstehen. Einen Besoffenen zu spielen, bedeutet harte Arbeit, zudem viel Recherche: Wir haben reichlich russische Videos auf YouTube angeschaut! Vom besoffenen Russen lernen, heißt siegen lernen. Was war die Lektion der Wodka-Videos? Wenn man in sehr betrunkenem Zustand stürzt, dann schützt man sich nicht mehr. Man fällt einfach auf das Gesicht, ohne die


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