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Félix Lefebre (Alex), François Ozon und Benjamin Voisin (David) am Set von SOMMER 85
Dieter Oßwald: Monsieur Ozon, Sie wollten den Roman „Tanz auf meinem Grab“ seit 35 Jahren verfilmen. Weshalb hat es derart lange gedauert? François Ozon: Dinge passieren, wenn sie passieren sollen. Es ist bisweilen ganz gut, eine gewisse Reife und Distanz zu haben. Den Roman las ich 1985 mit 17 Jahren, damals träumte ich davon, Regisseur zu werden. Und dieses Buch hätte der Stoff für meinen ersten Film werden sollen. Vor allem die Position des Beobachters hatte mich dabei interessiert. Als alter Mann kann ich nun zu diesem Punkt meiner Jugend zurückkehren und mich meiner melancholischen Nostalgie hingeben (lacht). Wäre der Film von einem jungen Wilden anders ausgefallen? Hätte ich den Film früher gemacht, wäre er vollkommen anders ausgefallen. Es hätte vermutlich mehr Gewalt gegeben, alles wäre weniger charmant und sexy ausgefallen. Jetzt porträtiere ich die Teenager ja mit einer großen Zärtlichkeit. Die Soundtrack reicht von Bananrama über The Cure bis zu Rod Stewarts „I am Sailing” – da lässt es sich leicht nostalgisch werden. Waren die 80er Jahre für Sie die gute alten Zeit? Es war ein besonderes Vergnügen für mich, filmisch in diese Zeit zurückzukehren: Von der Mode über die Ausstattung bis zur Musik. Für die Zuschauer stellen sich schnell nostalgische Gefühle ein, zumal unsere aktuelle Zeit nicht unbedingt einfach ist. Allerdings sollte man das nicht zu verklärt sehen: Ganz so happy waren die 80er Jahre nicht, auch damals gab es große Probleme wie Aids oder die Arbeitslosigkeit. Die Szene in der Disco mit dem Walkman erinnert stark an den D 42
D JULI 2021
französischen Teenie-Film-Klassiker schlechthin. Was halten Sie vom Prädikat: LA BOUM meets CALL ME BY YOUR NAME? LA BOUM war ein enormer Erfolg und für mich als Teenager damals ein ganz wichtiger Film. CALL ME BY YOUR NAME gefällt mir gut, wobei ich das Buch nicht gelesen habe. Es gibt durchaus Parallelen zwischen den beiden Filmen, letztlich jedoch sind sie doch ganz unterschiedlich. Sie erzählen eine Lovestory und einen Krimi. Die sexuelle Orientierung spielt überhaupt gar keine Rolle mehr. Genau dieser Umstand hat mir sehr gefallen, als ich den Roman 1985 las. Diese große Selbstverständlichkeit im Umgang von Schwulsein war damals alles andere als üblich. Hier gibt es nicht die üblichen Selbstzweifel, keine Probleme mit Coming-Out oder Homophobie. Und auch Aids spielte zu dieser Zeit noch keine Rolle. Es war einfach eine ganz universelle Liebesgeschichte, die mich schwer beeindruckte. Wer Ihre Filme kennt, dürfte in SOMMER 85 einige déjà-vu-Erlebnisse haben. Cross-Dressing kennt man aus EIN SOMMERKLEID oder EINE NEUE FREUNDIN, die Szene in der Leichenhalle aus UNTER DEM SAND, eine Beziehung zu einem Professor aus IN IHREM HAUS, dazu der Friedhof in FRANTZ - das kann kaum Zufall sein? Diese Szenen finden sich alle im Roman, davon ist nichts von mir erfunden. Als ich vor zwei Jahren „Tanz auf meinem Grab“ nochmals las, war ich tatsächlich schockiert. Offensichtlich war dieser Roman unbewusst derart wichtig für mich, dass mich Elemente daraus viel später für Szenen in ganz unterschiedlichen Filmen inspirierten. Ich wurde vom Autor Aidan Chambers bei meinen Filmen beeinflusst, ohne es überhaupt zu merken.