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DIVERSES

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„Wo sind die Fachkräfte!” heult die Ananas

— Ausgerechnet auf Münchens traditionsreichstem Markt meinte neulich eine Obstverkäuferin, aufzeigen zu müssen, daß sie weniger von ihrem Beruf versteht, als sie verstehen könnte: Um die richtige Ananas für mich herauszusuchen, prüfte sie, ob die Blätter schon recht welk sind und in der Mitte nicht mehr so fest sitzen, sondern sich leicht abzupfen lassen. Meine Bitte, ich hätte lieber ein frischeres Exemplar, bürstete sie ab: Sie schaue nur, welche von den Früchten schon gescheit nachgereift sei.

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Da mußte ich einwenden, daß Ananas generell nicht nachreifen, wenn sie einmal gepflückt sind, worauf sie entgegnete, natürlich reiften die nach und sie mache das schließlich schon immer so. Ich blieb freundlich, fragte, ob sie schon mal von klimakterischen und nichtklimakterischen Früchten gehört habe, erntete keinen Blick und trug die arme Ananas nach Hause, wo der nicht sofort verzehrte Rest nach einem Tag artgerecht vergoren und nur noch zum Trocknen geeignet war.

Zufällig zugleich meldete ein esoterischer, weil mit aktuell abseitigen Themen befaßter Radiosender mal wieder was zum altdeutschen Mythos des „Fachkräftemangels“, der die deutsche Wirtschaft unter seine Knute zwinge und einen anständigen Aufschwung verhindere. Gebannt lauschte ich, weil die Anprangerung des „Fachkräftemangels“ für gewöhnlich Unheil für „sozial schwache“ Elemente verheißt – Kürzungen, Einschnitte, Reformen und so Zeug. Es kam jedoch nichts rechtes raus, vielleicht weil nicht mehr viel zum Kürzen, Einschneiden und Reformieren geblieben ist. Da fand ich das zum ersten Mal irgendwie plausibel: Wenn schon eine tragende Säule der Münchner Obstverkaufswirtschaft nicht weiß, daß eine Ananas im Gegensatz zur Avocado nicht nachreift, sondern fault, was mag dann erst in der Autoindustrie los sein, wo von fachlichen Kenntnissen noch viel mehr abhängt, weil sonst am Ende eine Elektrokarre mit explosionsfreudiger Batterie und Microsoft-Betriebssystem herauskommt, mit der sich zwar der Berufsverkehr auf dem Mittleren Ring, niemals aber der Klimawandel aufhalten läßt?

Und tatsächlich: Schaut man genau hin, findet man den Fachkräftemangel allenthalben. Minister und Ministerpräsidenten, die inmitten der fünften oder sechsten „Welle“ noch nicht begriffen haben, daß man Krankenhausbetten zur Erkältungssaison bereitstellen und nicht tausenderweise abbauen sollte. Journalisten, die Korruption für „Haltung“ halten, Fußballspieler, die sich herz- und kreislaufgefährdendes Zeug in den Organismus pumpen und dann ächzend im Strafraum herumliegen! Bäcker, die vermuten, Brot ohne Kümmel und Koriander sei genießbar! Ethikberater, die „Max Weber“ für eine Traktorenmarke und „Gesinnungsethik“ für eine Kosmetikfirma halten!

Stadtverwalter, die ihre Straßenkehrer mit benzinbetriebenen Lärmturbinen zum Laubrechen schicken! Lehrer, die mehr Angst vor Kindern als vor deren psychischer Folterung haben! Grünpolitiker, die Wälder und Biotope vernichten lassen, um „nachhaltige“ Hochhäuser zu bauen! Radlhersteller, die sauteures Stangenzeug mit Hi-TechKlimbim zusammenschrauben, das sich nach 2.000 Kilometern in irreparablen Schrott verwandelt! Verfassungsjuristen, für die „Gefahr im Verzug“ bedeutet, daß man Entscheidungen ruhig ein paar Jahre verschieben kann, bis sich die Gefahr verzogen hat! Klimaaktivisten, die Billionen Megawatt für Internetkampagnen verzünden und Technoparties auf Diesellastern veranstalten … man findet kein Ende!

Wenn man sich gründlich umschaut im alltäglichen Gerödel des real existierenden Neofeudalismus, möchte man sich fast die alte Version (circa 1600 n. Chr.) zurückwünschen, weil da zumindest das eine oder andere in fachlich versierten Händen lag, der eine oder andere Philosoph noch wußte, was ein grundsätzlicher Widerspruch ist und der eine oder andere Fronbauer, was man tun muß, um einen genießbaren Sellerie

„Und tatsächlich: Schaut man genau hin, findet man den Fachkräftemangel allenthalben.”

aus dem Boden graben zu können.

Mag sein, daß sich darin eine Art Machtübernahme widerspiegelt: Was früher der Mensch von der Welt und den Dingen wußte, weiß heute eine Armada von Apps. Zumindest behauptet sie das und schickt den Menschen in der Welt zwischen den Dingen herum wie einst der Meister seine Gehilfen. Aber was die App (angeblich) weiß, das weiß sie halt leider nur von den Menschen, die es ihr ins algorithmische Hirn hineingetippt haben, und die wissen es auch bloß von einer älteren Version einer anderen App.

So geht irgendwie alles verloren, keiner weiß warum, keiner findet sich mehr zurecht und fühlt sich wohl und ist zufrieden. Und irgendwo weint traurig eine Ananas.

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