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Deutschland und der AVV

Deutschland und der AVV – Unter welchen Bedingungen wäre ein Beitritt möglich?

Mit dem Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrags (=AVV) am 22. Januar 2021 durch die Ratifikation von Honduras als 50. Staat wurde dieser Anfang dieses Jahres auch in den deutschen Medien wieder häufiger thematisiert. Jedoch ist der Beitritt Deutschlands zum AVV derzeit ein noch eher unwahrscheinliches Zukunftsszenario. Dies ist insbesondere interessant, da die Zustimmung zu diesem Vertrag in der deutschen Bevölkerung als sehr hoch anzunehmen ist. Laut einer durch Greenpeace in Auftrag gegebenen Studie aus diesem Jahr würden nämlich 92%1 der Deutschen einen Beitritt befürworten. Somit soll sich dieser Artikel mit folgender Frage beschäftigen: Unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen könnte Deutschland den AVV unterzeichnen, beziehungsweise genauer gesagt, ratifizieren? Eine Unterzeichnung wäre nämlich sofort möglich, für die Ratifikation müssten jedoch noch Gesetze geändert werden.

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Der augenscheinlichste Punkt, der zu ändern wäre, ist der Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe im Rahmen der NATO-Mitgliedschaft, zu der unter anderem die Lagerung US-amerikanischer Atomwaffen, die Bereitstellung von Flugzeugen und Raketenträgersystemen für diese Waffen und generell das Recht zur Mitbestimmung beim Thema Nuklearwaffen gehören. Ein derartiger Ausstieg hätte natürlich auch gewisse Folgen. Es wäre sehr wahrscheinlich, dass die US-Nuklearwaffen, die derzeit in Deutschland lagern, einfach von anderen europäischen NATO-Mitgliedern übernommen werden. Beispielsweise bot Polen schon einmal an, diese übernehmen zu können, wie die amerikanische Botschafterin Polens berichtete2. Dies würde jedoch der Zusicherung der NATO gegenüber Russland im Rahmen der Osterweiterung widersprechen, keine Atomwaffen auf dem Staatsgebiet der neuen Mitgliedsstaaten zu stationieren. Des Weiteren würde die NATO bei einem Ausstieg Deutschlands aus der nuklearen Teilhabe von Deutschland wahrscheinlich auch eine gewisse Kompensation fordern3. Dies könnten zum Beispiel Investitionen in die konventionellen Abschreckungsfähigkeiten sein, wie nicht-nukleare Raketensysteme oder Raketenabwehrsysteme.

Ganz grundsätzlich besteht innerhalb der NATO schon die Meinung, dass der Beitritt zum AVV nicht mit der Mitgliedschaft in der NATO vereinbar sei. Jedoch wurde im aktuellen strategischen Konzept aus dem Jahr 2010 festgehalten, dass die NATO zwar eine nukleare Allianz ist, solange auch Nuklearwaffen existieren, dass diese Organisation sich aber gleichzeitig für eine atomwaffenfreie Welt einsetzt4. Außerdem werden Atomwaffen, beziehungsweise die Notwendigkeit deren Besitzes oder Verwendung, an keiner Stelle NATO-Gründungsvertrag erwähnt. Somit gibt es kein handfestes Argument, das ausschließt, dass ein NATO-Mitglied den AVV unterschreibt und ratifiziert.

Überdies wird im Artikel 1 des AVV nicht nur die Stationierung von Atomwaffen, sondern auch deren Entwicklung, Testung, Herstellung und Erwerb verboten5. Was bedeutet dies aber nun genau? Es müssten Gesetze so geändert werden, dass sich deutsche Firmen und Banken nicht mehr an der Herstellung von Atomwaffen oder den dazugehörigen Trägersystemen beteiligen oder diese finanzieren können. Dies betrifft beispielsweise deutsche Niederlassungen der Division „Defence and Space“ des Airbus Konzerns, die an der Herstellung von Trägerraketen für französische Nuklearsprengköpfe beteiligt sind. Weiterhin würden von diesen Gesetzesänderungen eben voraussichtlich auch deutsche Banken und Kreditinstitute betroffen sein, die größere Kredite an Firmen wie Airbus, Boeing, BAE Systems, Safran, Raytheon und viele andere vergeben, die mit diesen Geldern die Entwicklung und Produktion von Atomwaffen finanzieren. Das betrifft die Deutsche Bank, die Commerzbank, die Allianz, den Siemens Konzern und die Landesbanken von Bayern, Baden-Württemberg und Hessen-Thüringen6. Diese Kreditinstitute müssten durch entsprechende Gesetze dazu gebracht werden, ihre Investitionen zu beenden.

Somit kann man zusammenfassen: Eine Unterzeichnung und Ratifikation des AVV durch Deutschland bringt sicher einige Herausforderungen mit sich und ist auf alle Fälle mit deutlich mehr Aufwand verbunden als bei einem Staat, der sich schon in der Vergangenheit eindeutig gegen Atomwaffen entschieden hat. Jedoch bestehen auch keine unüberwindbaren Schwierigkeiten und mit genügend (politischem) Engagement wäre ein Beitritt zum AVV ohne Weiteres sicherlich möglich. Und wenn man sich jetzt die bereits am Anfang des Artikels erwähnte sehr hohe Zustimmung zum AVV innerhalb der deutschen Bevölkerung noch einmal ins Bewusstsein ruft, ist es ja eigentlich sehr verwunderlich, warum Deutschlands Unterschrift nicht schon längst unter diesem Vertrag steht.

Fußnoten

1 Greenpeace e.V. (2020). Greenpeace-Umfrage zu Atomwaffen und Atomwaffenverbotsvertrag. Abgerufen am 31. 07. 2021 von https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/ publications/umfrage_atomwaffenverbotsvertrag__0.pdf

2 Carstens, P. (17. 05 2020). Sollen amerikanische Atomwaffen künftig statt in Deutschland in Polen lagern? Frankfurter Allgemeine Zeitung.

3 Roberts, B. (6 2021). BAKS - Arbeitspapier - Deutschland und die Nukleare Teilhabe der NATO. (B. f. Sicherheitspolitik, Hrsg.) Abgerufen am 31. 07. 2021 von https://www.baks.bund.de/sites/ baks010/files/arbeitspapier_sicherheitspolitik_2021_7

4 Heads of State and Government at the NATO Summit in Lisbon 19.-20.11.2010. (NATO, Hrsg.) Abgerufen am 31. 07. 2021 von Strategic Concept for the Defence and Security of the Members of the North Atlantic Treaty Organization: https://www.nato.int/ nato_static_fl2014/assets/pdf/pdf_publications/20120214_strategic-concept-2010-eng.pdf

5 United Nations (Hrsg.). (07.07.2017). Abgerufen am 31.07.2021 von Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons: https://undocs.org/A/CONF.229/2017/8

6 PAX Niederlande. (01 2020). Abgerufen am 02.08. 2021 von www.dontbankonthebomb.com: https://www.dontbankonthebomb.com/investors/

Der Autor

Christoph Müller, 9. Fachsemester, Medizinische Hochschule Hannover.

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