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Blick über den Tellerrand
STOP TIHANGE: MENSCHENKETTE IM DREILÄNDERECK AM 25. JUNI 2017 3. JAHRESTAG DES ATOMWAFFENVERBOTS. BÜCHEL, 7. JULI 2020
Initativen auf der ganzen Welt kämpfen für das Atomwaffenverbot
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Den dritten Geburtstag des Verbotsvertrages haben Aktivist*innen aus ganz Deutschland und den Niederlanden in Büchel mit einer riesigen Geburtstagstorte gefeiert. Drei Jahre nach der Verabschiedung des Vertrags ist es fast geschafft. Es fehlen nur noch sechs Ratifizierungen. Dann, neunzig Tage nach der 50. Ratifizierung, tritt der Vertrag offiziell in Kraft. Der Vertrag stellt einen Meilenstein in den Abrüstungsbe strebungen der letzten Jahrzehnte dar und auch eine zwei Meter hohe Geburtstags torte reicht eigentlich nicht aus, um ihn zu würdigen.
Doch letztendlich bleibt er nur ein Werk zeug, das, wenn man es nicht benutzt, verstaubt in einer Schublade landet. Doch glücklicherweise sind wir davon weit ent fernt. Seit drei Jahren kämpfen Aktivist*innen weltweit darum, ihre Regierungen zu überzeugen, dem Vertrag beizutreten. Durch den Vertrag sollen die Bedingungen geschaffen werden, unter denen eine glo bale nukleare Abrüstung tatsächlich stattfinden kann. Doch trotz des hartnäckigen und kreativen Aktivismus auch hier zu Lan de hat sich die deutsche Regierung bisher noch wenig bewegt. Bundesregierung spricht sich für das Ziel einer atomwaffenfreien Welt aus; 2010 hat der Bundestag beschlossen, die Statio nierung der Atomwaffen in Büchel zu beenden. Mit dem Ächtungsvertrag besteht erstmals die Möglichkeit, Atomwaffen um fassend zu verbieten – Deutschland könnte diesem Vertrag beitreten; die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt den Vertrag und spricht sich gegen die Stationierung und Modernisierung der Atomwaffen in Deutschland aus (ICAN Deutschland,2019)
Und was tut die Bundesregierung? Erstmal nichts. Naja, nicht so ganz: die Verteidi gungsministerin wollte erst kürzlich neue atomar bestückbare Kampfjets in Milliar denhöhe von Steuergeldern kaufen. Den Verbotsvertrag ignoriert sie derweil. Doch warum geht es nicht voran? Wie können wir den Druck auf die Regierung erhöhen? Nun, vielleicht lohnt sich ein Blick über unseren nationalen Tellerrand.
Nach Spanien zum Beispiel. Spanien ist NATO-Mitglied, hat sich allerdings bereits 1986 mittels eines Referendums gegen die Stationierung von Atomwaffen auf seinem Territorium ausgesprochen. Doch seitdem ist auch hier eher wenig in passiert. Die Verhandlungen zum Verbots vertrag boykottierte die spanische Regierung ebenso wie die Deutsche. 2018 stand der Vertrag dann plötzlich ganz oben auf der Agenda. Die Partei Podemos („Wir können“) stellte für ihre Zustimmung zum nationalen Haushalt 2019 Bedingungen. Darunter eine, die sich kurz und knackig präsentieren lässt: „Spain will sign the Treaty on the Prohibition of Nuclear Wea pons (TPNW)“. Und der Koalitionspartner, die Partei der Sozialisten Kataloniens (PSC) und Pedro Sanchez ließ sich auf den Deal ein.
Begonnen hatte der neuerliche Aufschwung mit einer humanitären Konferenz im Frühjahr 2018. Dort, so erzählte mir Carlos Umana – IPPNW-Mitglied aus Costa Rica und Mitglied der Inter national Steering Group (ISG) von ICAN für die IPPNW – wurden zwei spanische Abgeordnete auf den Verbotsvertrag auf merksam. Wenige Wochen später, im Mai 2018, unterschrieben 92 Mitglieder des spanischen Parlaments, die meisten von ihnen Mitglieder von Podemos, den „Par liamentarian Pledge“ (ICAN-Erklärung für Abgeordnete). Damit verpflichten sie sich, die Unterzeichnung und Ratifizierung des Verbotsvertrages in ihren Ländern voran zutreiben. Die Unterschriften nahm die Geschäftsführerin von ICAN Beatrice Fihn feierlich entgegen. Dazu gab es Fotos mit der Nobelpreismedaille.
Bis heute gehört Spanien nicht zu den Unterzeichnern, denn das Verteidigungs ministerium stoppte den Prozess. Die Regierung führte eine Rechtsberatung durch, ob die NATO-Mitgliedschaft dem Vertrag entgegenstünde. Carlos Umana und seine Kollegen von ICAN übersetzten zügig ein entsprechendes Briefing, das von norwe gischen Partnern ausgearbeitet wurde. Sie verbreiteten es unter Parlamentarier*innen und der Presse, doch die Regierung blieb vorerst bei ihrer Entscheidung: Aktuell kön ne man nicht unterzeichnen – aus politischen Gründen.
Im November 2018 nahmen dann ICANVertreter an dem „World Forum on Urban Violence and Education for Coexistence and Peace“ in Madrid teil. Inspiriert von diesem Forum wurde der ICAN Cities Appeal gegründet. Er bietet Städten die Möglichkeit, symbolisch den Vertrag zu unterzeichnen und macht den Prozess de mokratischer. Denn das ist eine der Stärken dieses Vertrages: die „Demokratisierung des Abrüstungsprozesses“ (Umaña, 2020). Im August 2020 hatten elf spani sche Städte unterzeichnet, darunter auch Barcelona. Madrid allerdings fehlt noch.
Carlos Umana ist nicht nur in der Abrüstungsbewegung aktiv, sondern setzt sich in seinem Heimatland auch für die Rech te der LGBTQ-Community ein. Auch diese Arbeit führte ihn mehrmals nach Spanien, wo er viele Kontakte zu Politker*innen knüpfen konnte. Und diesen erzählte er natürlich auch von ICAN und dem Verbots vertrag, denn, so Carlos „It’s the same type BARCELONA UNTERZEICHNET DEN ICAN-STÄDTEAPPEL, 3. APRIL 2020
of violence behind homophobia and nuc lear weapons. People fighting them have many things in common.”
Die Kampagnen Arbeit in Spanien nahm vor Beginn der Coronapandemie noch ein mal richtig Fahrt auf und hatte mit dem Besuch von Setsuko Thyrlow einen neuen Höhepunkt erreicht. Es gab viele Interviews und Aufmerksamkeit. Dann kam die Pan demie und es gab drängendere Probleme. Doch das Thema ist nicht von der Tages ordnung verschwunden.
Am 75. Jahrestag des Angriffs auf Hiroshima berichteten mehrere spanische Zeitungen auch über den Verbotsvertrag und dass die Regierung noch immer nicht unterschrieben habe. Auch der Präsident Sanchez mahnte angesichts dieses Jubilä ums mit einem Tweet zu Frieden und Koexistenz.
Carlos ist zuversichtlich, dass sie den Druck auf die Regierung noch wei ter erhöhen können. Auf die Frage nach dem spanischen Erfolgsrezept nannte er mehrere Dinge: Wichtig sei es aus seiner Sicht auf Intersektionalität zu setzen, ge paart mit Expert*innenwissen. Er klopfe an jede Tür und manchmal entstünden daraus neue Initiativen. Die Message müs se klar und deutlich sein; die Menschen bräuchten Informationen und eine klare Handlungsanleitung. Initiativen wie der Städte-Appell oder die Abgeordneten-Er klärung bieten die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden. Diese kleinen Schritte, so Carlos, sollten nicht unterschätzt werden, denn irgendwann summieren sie sich zu einem großen Ganzen.
Auch wenn sich auf Bundesebene in Deutschland bisher wenig bewegt hat, gibt es auf lokaler Ebene einige Erfolge. Über 40 Städte (darunter Stuttgart, Düsseldorf, München, Kiel) fünf Landkreise und vier Bundesländer (Berlin, Hamburg, Rhein land-Pfalz, Bremen) haben den Städteappell bereits unterzeichnet. Über 500 Abgeordnete aus dem Bundestag, den Landtagen und dem Europaparlament sind der ICAN-Erklärung beigetreten. Und ge rade, was Intersektionalität angeht, ist die deutsche IPPNW besonders stark. Kaum eine andere Sektion arbeitet zu so vielen verschiedenen Themen, hat Kontakte und Expertise in so vielen Bereichen und so viele Mitglieder. Wenn alle an den ihnen bekannten Türen klopfen und ihre Netz werke nutzen, haben wir Potential, das Thema auf die politische Agenda zu setzen und vielleicht nach der nächsten Bundes tagswahl erste Schritte zu erzwingen.
Franca Brüggen ist internationale IPPNWStudierendensprecherin.