3 minute read

Kann das Super-Greenwashing noch verhindert werden?

Next Article
Gelesen, Gesehen

Gelesen, Gesehen

Abstimmung zur Taxonomie im Juli in Brüssel

Am 2. Februar 2022 veröffentlichte die EU-Kommision offiziell ihren Vorschlag für einen zweiten „Delegierten Rechtsakt“, der Atomenergie und fossiles Erdgas in die sogenannte EU-Taxonomie aufnehmen und damit als „grün“ klassifizieren soll. Die EU-Kommission untergräbt damit das ursprüngliche Ziel der Taxonomie, Investitionen für einen ökologischen Umbau der Gesellschaft bereitzustellen. Stattdessen möchte sie weitere Gelder in fossile Infrastruktur und die an der Realität längst gescheiterte Atomtechnologie leiten. Dies hätte jedoch gravierende Folgen:

Advertisement

1. Jeder Euro, der aufgrund dieser Einstufung in Atomkraft oder Erdgas fließt, fehlt für wirksamen Klimaschutz und bremst die Energiewende aus. 2. Investitionen in fossile Gas-Infrastruktur führen auf Jahrzehnte hin zu massiven weiteren Klimaschädigungen: nicht nur durch das bei der Verbrennung des Gases entstehende CO2, sondern auch, weil bei Transport und Lagerung viel Methan über Lecks in die Atmosphäre entweicht. 3. Die Finanzsituation für die kapitalintensive Risikotechnologie Atomkraft würde sowohl durch Fördermittel als auch bessere Kredite entscheidend verbessert, was Laufzeitverlängerungen im französischen Kraftwerkspark und AKWNeubauten in vielen europäischen Ländern deutlich wahrscheinlicher werden lässt.

Wie geht der Prozess weiter?

Die Taxonomie ist dem EU-Parlament am 11. März 2022 offiziell übermittelt worden. Jetzt hat das Parlament die Möglichkeit, den Vorschlag der Kommission bis zum 11. Juli 2022 abzulehnen. Dieser ist nun in den Wirtschafts- und Finanzausschuss und den Umweltausschuss des EU-Parlaments weitergeleitet worden. Nach einer ersten Debatte und der Abstimmung in den beiden zuständigen Ausschüssen, voraussichtlich vom 14. bis 21. Juni, gibt es die finale Abstimmung im Plenum in der ersten Juliwoche. Für eine Ablehnung im Parlament bedarf es 353 Stimmen. Da im EU-Rat absehbar keine Mehrheit für eine Ablehnung der Taxonomie zu erwarten ist, ist es möglich, dass hier gar keine Abstimmung darüber aufgesetzt wird.

Wie hoch stehen die Chancen, dass dieser Rechtsakt durchkommt?

Allein im EU-Parlament gibt es die Möglichkeit, den Vorschlag der EU-Kommission noch abzuwehren. Dafür braucht es eine absolute Mehrheit mit 353 Stimmen. Nimmt man die Anzahl der Unterschriften zusammen, ergibt sich mittlerweile ein Stimmungsbild von ca. 250 Abgeordneten, ausgehend von Sozialdemokraten Fraktion, Grünen und Linken und einigen Konservativen. Es fehlen also rund 100 Abgeordnete, die von der konservativen EPP-Fraktion und der liberalen „Renew“-Fraktion kommen müssen. Die EPP droht sich aktuell zu spalten. Bei „Renew“ wird es einzelne Abgeordnete geben, die gegen die Taxonomie stimmen. Die Mehrheit wird sich aber dafür aussprechen, um dem französischen Präsidenten Macron nicht in den Rücken zu fallen. Es wird also ein Krimi werden, bei dem es auf jede einzelne Stimme ankommt. Dabei kritisieren immer mehr Abgeordnete sowohl den Prozess als auch den Inhalt des Entwurfs. Wenn es zu einem knappen Abstimmungsergebnis für den Vorschlag der EU-Kommission kommt, wäre dies trotzdem eine politische Niederlage für die Kommission, da sie wegen ihres undemokratischen Vorgehens zunehmend in der Kritik steht.

Was für Aktionen sind geplant?

Im Mai mobilisierte .ausgestrahlt zu den EU-Abgeordnetenbüros in Deutschland, um mit Protest und Forderungsübergaben einen direkten Kontakt vor allem zu den konservativen und liberalen Abgeordneten herzustellen. Gleichzeitig wurde die EU-Taxonomie im Rahmen des Globalen Klimastreiks am 21. Mai von Fridays for Future thematisiert und insbesondere Abgeordnete adressiert. Umweltverbände haben im Mai und Juni offene Briefe und Direktmailing-Kampagnen gestartet, und die Parents for Future wollen kurz vor der Abstimmung einen Twitterstorm initiieren.

Luxemburg und Österreich haben bereits eine Klage angekündigt, sollte die Verordnung rechtsgültig werden. Eine solche Klage könnte sich darauf stützen, dass gemäß Artikel 290 der EU-Verträge nur „unwesentliche“ Aspekte eines Gesetzes an die EUKommission delegiert und per Verordnung geregelt werden dürfen. Deutschland unterstützt diese Klage bis jetzt noch nicht, aber soziale Bewegungen und NGOs sollten darauf hinwirken, dass die Bundesregierung mitklagt, falls das EU-Parlament das Greenwashing nicht stoppt. Doch jetzt schon einseitig auf Klagen und deren unklares Ergebnis zu setzen, wäre verfrüht. Noch ist die Verordnung nicht in Kraft – und Protest dagegen notwendiger denn je. Hier sollte ein Fokus auf den EU-Parlamentarier*innen liegen. Um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, braucht es vielfältige Kontaktaufnahmen. Gleichzeitig kann öffentlicher Protest auf der Straße, im Netz oder mit Leserbriefen in der Lokalzeitung nicht nur Druck auf die Abgeordneten aufbauen, den Entwurf iabzulehnen. Vielmehr würden sich damit auch die Erfolgsaussichten einer Klage verbessern – denn Details eines Gesetzes sind umso „wesentlicher“, je mehr sie auch politisch umstritten sind. Mehr Infos:

ausgestrahlt.de/eu-taxonomie

Timo Luthmann arbeitet bei .ausgestrahlt als Campaigner zum Thema Klimakrise und Atomkraft.

This article is from: