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Büchel-Proteste: Dringender denn je
SCHIFFAHRT AUF DER MOSEL VORTRAG „ATOMKRIEG AUS VERSEHEN“
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Unsere Proteste: Dringender denn je
Aktionscamp gegen Atomwaffen in Büchel
Unter dem Motto: „Atomwaffen abschaffen – dringender denn je“ haben ICAN und die IPPNW zum Aktionscamp vor am Atomwaffenstandort Büchel aufgerufen, auch dieses Mal rund um den „Geburtstag“ des Atomwaffenverbotsvertrages. Rund 100 Menschen sind diesem Aufruf gefolgt, einige von ihnen waren zum ersten Mal dabei. Das bunte Programm, von der zehnköpfigen Vorbereitungsgruppe über Monate konzipiert, bestand aus Aufklärung, Vorträgen, Workshops, Protest, viel Musik und Kleinkunst. Zudem hat eine Gruppe von Aktivist*innen an einem Aktionstraining teilgenommen, um eine niedrigschwellige Aktion des Zivilen Ungehorsams (mehrstündige Blockadeaktion mit Behinderung des Baustellenverkehrs) vorzubereiten. Die Presse reagierte mit verstärktem Interesse – sicherlich auch aufgrund des Ukrainekrieges. Im Vorfeld hatten Militär und Polizei mit allen Mitteln versucht, die Proteste vor dem Haupttor mit Argumenten zur militärischen Sicherheit in einer Kriegssituation einzuschränken. Dieses gelang ihnen nur in geringem Maß.
Warum sind diese Proteste so notwendig?
Büchel wird zur Zeit für 260 Millionen Euro ausgebaut, erneuert und mit modernster Sicherheitstechnik ausgestattet, z.B. einem 17 km langen Hochsicherheitszaun. Dieses Geld fehlt dann an anderer Stelle. Aufgrund der Baumaßnahmen ist nicht klar, ob momentan in Büchel noch Atombomben liegen. Das taktische Geschwader soll vorübergehend nach Nörvenich verlegt werden. Ob die Atombomben mitkommen, wissen wir nicht. Möglich ist, dass sie in die USA transportiert werden, da die Produktion der neuen B61-12 Bomben schon begonnen hat. Dafür müssen die atomaren Zünder aus den alten Bomben „recycelt“ werden.
Die neuen Atombomben sollen ab 2023 nach Europa kommen. Die B61-12 werden als „glaubwürdige“ Abschreckung gesehen, weil sie für die Kriegsführung einsetzbar sind. Sie sind in ihrem Zerstörungspotential flexibel einstellbar, können als „Mininuke“ oder „Bunker Buster“ eingesetzt werden. Die alten Bomben konnten nur abgeworfen werden, die neuen sind steuerbar und aus Sicht der Militärs „hochpräzise“. Damit werden sie für den militärischen Gegner unberechenbarer und bedrohlicher. Das macht sie zum ersten Ziel eines atomaren Erst- oder Vergeltungsschlages. Die Schwelle ihres Einsatzes wird in unverantwortlicher Weise herabgesetzt.
Auch die Zahl der US-Atombomben in Deutschland ist unklar. Man ging jahrelang davon aus, dass bis zu 20 Stück in Büchel gelagert werden. Laut Hans Kristensen vom Nuclear Information Project gibt es nun neue Zahlen: Insgesamt sind 150 Atomwaffen in Europa stationiert, künftig werden es 100 Waffen vom Typ B61-12 sein. Daher können wir mit Sicherheit nur von 10-15 Atomwaffen in Deutschland reden, Anzahl und Ort unterliegen der Geheimhaltung.
Dazu sollen US-amerikanische Tarnkappenbomber, die F-35, für viele Milliarden Euro neu angeschafft werden. Die USA haben die Bestellung inzwischen genehmigt – als Teil eines großen Rüstungseinkaufs, den die US-Regierung im Juli auf 8,4 Milliarden US-Dollar bezifferte. Die F-35 sind im Bundeswehr-Sondervermögen enthalten – und damit Teil der atomaren Aufrüstungsdynamik, die von den neun Atomwaffenstaaten und ihren atomaren Vasallen aktiv betrieben wird. Büchel ist somit der symbolische Ort für die völkerrechtswidrige atomare Teilhabe, die Russland im Rahmen des Ukrainekrieges für sich mit Belarus ebenfalls beansprucht. Wir sind in einer atomaren Aufrüstungsspirale wie in den 1980er Jahren.
Die atomare Katastrophe rückt näher
Seit dem Auseinanderfallen des Warschauer Paktes und dem Ende der Sowjetunion ist die Atomkriegsgefahr aus den Köpfen vieler Menschen verschwunden. Selbst in der Friedensbewegung war sie kaum noch ein Thema. Die verschiedenen internationalen Abrüstungsverträge hatten zur Hoffnung vieler Menschen beigetragen, dass
GEBURTSTAGSFEIER
Foto: IPPNW Österreich Atomwaffen nie wieder eingesetzt werden. Jetzt ist die Gefahr wieder präsent.
Die größte Gefahr eines atomaren Waffenganges besteht momentan in den zunehmenden internationalen Spannungen, die eine konstruktive Kommunikation und spannungsabbauende Interaktion zwischen den atomaren Großmächten zerstören. Technisch nimmt gleichzeitig die Gefahr eines „Atomkrieges aus Versehen“ zu, wie Prof. Karl-Heinz Bläsius bei einer Schifffahrt auf der Mosel erklärte: „Neue Waffensysteme wie Hyperschallwaffen werden die Vorwarnzeiten weiter verkürzen. Deshalb gibt es bereits Forderungen, mit Methoden der Künstlichen Intelligenz autonome Systeme zu entwickeln, damit Bewertung und Entscheidung vollautomatisch durchgeführt werden können, da für Menschen nicht genügend Zeit übrigbleibt. Die Datengrundlage für solche Bewertungen ist jedoch vage, unsicher und unvollständig“, so der KI-Experte.
Der Ukrainekrieg mit den Drohungen von Seiten der russischen Regierung, gegebenenfalls Atomwaffen einzusetzen, macht noch einmal deutlich, dass die Abschreckung nicht funktioniert, sondern in eine immer gefährlichere atomare Aufrüstungsspirale mündet.
Die Zivilgesellschaft ist gefragt
Es war die weltweite zivilgesellschaftliche Protestbewegung, die der Menschheit den Atomwaffenverbotsvertrages geschenkt hat. Dieser wurde von 122 Nichtatomstaaten aufgegriffen und schließlich als internationaler UN-Vertrag am 7. Juli 2017 verabschiedet. Seit Januar 2021 ist er völkerrechtlich verbindlich in Kraft. 86 Staaten haben ihn bisher unterschrieben, 66 Staaten auch ratifiziert. An dieses Zustandekommen dieses Vertrages erinnerten wir, ICAN und IPPNW als Friedensnobelpreisträger, mit einer eindrucksvollen Geburtstagsfeier an dem Ort, wo am ehesten die atomare Zerstörung von deutschen Boden ausgehen könnte. Lisann Drews (IPPNW) und Johannes Oehler (ICAN) berichteten vom ersten Treffen der Vertragsstaaten in Wien und fassten die Ergebnisse der Verhandlungen zusammen.
Trotz der zunehmenden Einschränkungen der Proteste vor Ort in Büchel darf der nadelstichartige Widerstand dort nicht nachlassen. Denn nur durch einen erhöhten zivilgesellschaftlichen politischen Druck wird sich eine deutsche Regierung auf einen Wechsel in ihrer Atomwaffenpolitik einlassen. Wir suchen neue Wege, unserem Protest Gehör zu verschaffen. Deshalb planten wir einen Teil des Programms beispielsweise im Touristenort Cochem, wo wir die Öffentlichkeit zur Schiffahrt mit Vortrag und Musik einluden sowie Workshops zum „Atomkrieg aus Versehen“ und „Sicherheit neu Denken“ am Moselufer abhielten. Neue Ideen und neue Methoden, den öffentlichen Druck zu erhöhen, werden angesichts der wachsenden Gefahr immer dringlicher.
Die Blockadeaktion mit ihrer Regelübertretung (Ziviler Ungehorsam) und der gleichzeitigen regelkonformen Präsenz vor dem Haupttor mit kreativen Aktionen unterstrich noch einmal den Willen, gemeinsam einen Politikwechsel durchzusetzen. Die Aktion wurde durch drei Kamerateams verschiedener Sender begleitet, was uns weitere Öffentlichkeit brachte.
ZU-AKTION
Wie geht es weiter?
Attraktiv an dieser Form eines Aktionscamps mit verschiedenen gemeinsam abgestimmten Protestmethoden ist der generationsübergreifende Charakter. Deshalb lädt die Vorbereitungsgruppe Interessierte ein, um im nächsten Sommer die öffentlichkeitswirksame Präsenz unserer Organisationen fortsetzen zu können. Gerade jüngere Gesichter können auf die sonst etwas veraltete Friedensbewegung Eindruck machen – so wie Fridays for Future mit der Klimakatastrophe eine wichtige Zukunftsaufgabe für die Gesellschaft angehen. Denn Sicherheit muss neu gedacht werden. Vorhandene alternative Konzepte zum militärischen „Schutz“, wie z.B. soziale Verteidigung müssen in der gesellschaftlichen Diskussion verankert werden. Denn nur eine atomwaffenfreie Welt kann uns in Zukunft die notwendige Sicherheit geben.
Wenn Ihr uns bei der Vorbereitung für das nächste Camp unterstützen wollt, meldet Euch bitte unter: antinukleareplanungsgruppe@posteo.de – Wer über Aktionen am Standort Büchel sowie andere Projekte des Arbeitskreises für die Abschaffung von Atomwaffen informiert bleiben will, kann den Nuclearban-News-letter abon-
nieren: www.ippnw.de/bit/newsletter
Ernst-Ludwig Iskenius ist IPPNW-Mitglied und hat das Aktionscamp mit vorbereitet.