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Wie der Fukushima-Fallout in Tokio vor der Öffentlichkeit geheimgehalten wurde

Die Veröffentlichung der Studienergebnisse von Satoshi Utsunomiya wurde jahrelang hinausgezögert

Der japanische Radiochemiker Satoshi Utsunomiya stellte fest, dass Luftproben vom 15. März 2011 in Tokio eine sehr hohe Konzentration an unlöslichen Cäsium-Mikropartikeln enthielten. Er erkannte sofort die Tragweite dieser Ergebnisse für die öffentliche Gesundheit, doch seine Studie wurde jahrelang nicht veröffentlicht.

Am 14. und 15. März 2011 – drei Tage nach dem großen Erdbeben im Osten Japans und dem daraus resultierenden Tsunami, der das AKW Fukushima traf – setzten Explosionen in zwei Reaktorgebäuden des Kraftwerks eine riesige Menge Radioaktivität frei. Diese radioaktiven Wolken wurden vom Wind fortgetragen und breiteten sich über der Umgebung und dem Meer aus. Schließlich verteilte sich die von den Reaktoren in Fukushima ausgehende Strahlung über die gesamte nördliche Hemisphäre. Sie erreichte auch Japans Hauptstadt Tokio. Nach den Explosionen begannen japanische Forscher*innen damit, radioaktives Material aus dem Boden und der Luft zu sammeln und zu untersuchen, um herauszufinden, was in den Reaktoren geschehen war, von denen man nun annahm, dass sie aufgrund des Ausfalls ihrer Kühlsysteme geschmolzen waren. Am 13. März begann das Tokyo Metropolitan Industrial Technology Research Institute, die für die Messung der Luftqualität von Feinstaub in der Region Tokio zuständige Behörde, häufiger Luftproben zu sammeln. Diese Maßnahme war Teil des Notfallüberwachungsprogramms der Stadtregierung von Tokio für radioaktive Strahlung in der

Umwelt, das darauf abzielte, Gammastrahlung emittierende Nuklide im Staub in der Luft nachzuweisen. Die Filter zeigten, dass am 15. März 2011 gegen 10 Uhr vormittags eine große radioaktive Wolke Tokio erreichte, etwa 240 Kilometer südlich von Fukushima. Alle am 14. und 15. März entnommenen Proben wiesen erhöhte Radioaktivität auf.

Zwei Jahre nach dem Unfall entdeckten japanische Wissenschaftler in der Sperrzone um das AKW Fukushima eine neue Art hochradioaktiver Mikropartikel. Die Mikropartikel, die aus den Reaktoren von Fukushima ausgestoßen worden waren, enthielten extrem hohe Konzentrationen von Cäsium 137 – einem radioaktiven Element, das Verbrennungen, akute Strahlenkrankheit und sogar den Tod verursachen kann. Satoshi Utsunomiya, ein Umweltradiochemiker von der Kyushu-Universität im Südwesten Japans, fand bald heraus, dass diese Partikel auch in Luftfilterproben vorhanden waren, die nach dem Unfall von Fukushima in Tokio entnommen wurden.

Die Kontroverse um seine Versuche, seine Ergebnisse zu veröffentlichen, hätte ihn fast seine Karriere gekostet und verhinderte, dass seine Ergebnisse vor den Olympischen Sommerspielen 2020 in Tokio in der japanischen Öffentlichkeit bekannt wurden. „Wir haben jetzt Messungen, die belegen, dass die Partikel über Bevölkerungszentren hinweggezogen sind und sich an bestimmten Orten abgelagert haben“, sagte mir Gareth Law, ein Radiochemiker von der Universität Helsinki. „Wir sollten die Frage beantworten.“

Schockierende Entdeckung

Im August 2013 berichteten vier Forscher des Meteorologischen Forschungsinstituts in Japan erstmals über eine neue Art von kugelförmigen, radioaktiven, cäsiumhaltigen Partikeln, die in den ersten Tagen des Unfalls in Fukushima ausgestoßen worden waren. Mikroskopaufnahmen zeigten, dass die Partikel, die radioaktives Cäsium enthielten, vollkommen kugelförmig waren. Wissenschaftler hatten bereits kugelförmige, cäsiumhaltige Partikel gefunden, aber diese waren anders. Sie waren größer und enthielten andere Elemente, darunter Sauerstoff, Silizium, Chlor, Mangan, Eisen und Zink. Am wichtigsten war jedoch, dass diese Partikel in Wasser unlöslich zu sein schienen.

Vor dieser Entdeckung waren den japanischen Wissenschaftlern die genauen physikalischen und chemischen Eigenschaften der radioaktiven Stoffe, die aus dem AKW Fukushima ausgestoßen wurden, nicht bekannt. „Die Leute dachten, dass diese Hotspots [auf Bodenproben] nur ein Beweis für die sehr hohe Konzentration von Wassertropfen seien, aber das war keine vernünftige Erklärung, da Cäsium schon immer dafür bekannt war, dass es sehr gut wasserlöslich ist“, so Satoshi. „Zu diesem Zeitpunkt waren wir ratlos.“

Für die neu entdeckten Gebilde prägten Satoshi und seine Kolleg*innen 2017 den Begriff „cäsiumreiche Mikropartikel“ (CsMPs), wie sie in der Forschung heute allgemein genannt werden. CsMPs waren bei früheren größeren Reaktorunfällen nicht festgestellt worden. Die Neugier des Umweltradiochemikers wurde auch durch die einzigartigen Eigenschaften dieser Mikropartikel geweckt: Sie sind sehr klein, typischerweise zwei bis drei Mikrometer, in einigen Fällen sogar kleiner als ein Mikrometer. Und die Cäsiumkonzentration in jedem der Partikel ist im Verhältnis zu ihrer Größe sehr hoch.

Wissenschaftler vor Gericht

Zwischen 2016 und 2019 gab es eine kafkaeske Serie von Ereignissen rund um Satoshi und einen ehemaligen Forscher der Japan Atomic Energy Agency, der Satoshi die Luftfilterproben aus Tokio gab. Während dieser Ereignisse wurde Satoshis Forschungsarbeit nach einem Peer-Review-Verfahren von einer renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift zur Veröffentlichung angenommen. Die Zeitschrift verzögerte die Veröffentlichung der Arbeit jedoch um Jahre und entschied sich schließlich aufgrund mysteriöser Anschuldigungen wegen Fehlverhaltens, die sich als unbegründet herausstellten, gegen eine Veröffentlichung. Infolgedessen wurden Satoshis Ergebnisse nicht allgemein bekannt gemacht, wodurch die japanischen Behörden eine mögliche PR-Krise im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele in Tokio abwenden konnten. Aufgrund der Kontroverse um Satoshis Arbeit und der fehlenden Forschung zu den gesundheitlichen Auswirkungen dieser Partikel ist nach wie vor unklar, inwieweit die Einwohner Tokios infolge des Unfalls von Fukushima gefährlichen Strahlungswerten ausgesetzt waren.

Neue Risiken

In den ersten Tagen nach dem Unfall in Fukushima waren Radiochemiker*innen der Meinung, dass sich die Situation stark von der in Tschernobyl unterschied. Die drei Kernschmelzen in Fukushima wurden als energiearm eingestuft, was bedeutete, dass es nicht zu einer tatsächlichen Explosion der Reaktoren gekommen war, wie es in Tschernobyl der Fall war. Dies führte dazu, dass man davon ausging, dass wahrscheinlich keine radioaktiven Partikel aus den Reaktoren ausgetreten waren oder zumindest nicht in großen Mengen. Ein Großteil der frühen Forschung nach dem Unfall konzentrierte sich daher auf den traditionellen Ansatz der Umweltradiochemiker, Böden und Sedimente zu sammeln und Massenanalysen durchzuführen.

Erst nach der Entdeckung der cäsiumreichen Mikropartikel erkannten Forscher, darunter Satoshi, dass tatsächlich Partikel aus den Reaktoren ausgestoßen worden waren. Als sie jedoch die einzigartigen Merkmale und Eigenschaften von CsMPs besser verstanden, stellten sie fest, dass sie sich stark von dem allgemeinen Konzept des radioaktiven Cäsiums unterscheiden, das in löslicher Form in die Umwelt freigesetzt wird. Die Charakterisierung der Mikropartikel erforderte andere Techniken. Da sie bis vor kurzem unbekannt waren, bergen CsMPs neue Risiken, die von der Forschungsgemeinschaft und den Behörden noch immer unterschätzt werden. Da CsMPs so klein sind, in der Regel mit einem Durchmesser von zwei Mikrometern oder weniger, könnten sie sich möglicherweise in den Lungenbläschen festsetzen, wenn Menschen sie einatmen.

Forscher*innen nehmen an, dass CsMPs aufgrund ihrer langsamen Löslichkeit viel länger im Körper verbleiben können – sicherlich mehrere Monate, vielleicht sogar länger – im Vergleich zu Stunden oder Tagen bei suspendiertem Cäsium.

Viele der CsMPs, die am 15. März 2011 in der Stadt Tokio ankamen, sind wahrscheinlich inzwischen vom Regen weggespült worden, in die Kanalisation der Stadt und dann ins Meer gelangt. Aber in den Tagen und Wochen nach dem Unfall von Fukushima könnten viele Einwohner*innen von Tokio Mikropartikel eingeatmet haben. Darüber hinaus sind viele Hotspots von CsMPs immer noch über die Sperrzone von Fukushima verteilt.

Bei diesem Text handelt es sich um einen stark gekürzten Auszug aus dem Artikel: „How Fukushima’s radioactive fallout in Tokyo was concealed from the public“ – erschienen am 13.01.2025 im Bulletin of the Atomic Scientists – zu finden unter: ippnw.de/bit/tokio

François Diaz-Maurin ist Mitherausgeber des Bulletin of the Atomic Scientists.

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