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Der schwierige Kampf gegen Pädokriminalität im digitalen Raum

Der Schweizer Bundesrat prüfte aufgrund von zwei Postulaten die Massnahmen im Kampf gegen sexuelle Gewalt an Kindern auf digitalen Plattformen. Der Bericht, den er verabschiedete, zeigt: Es ist ein schwieriges Unterfangen.

Im September 2021 nahm der Nationalrat die beiden Postulate «Sexuelle Gewalt an Kindern im Internet. Was macht das Bundesamt für Polizei?» von Alt-SP-Nationalrätin Yvonne Feri und «Die Täter vor dem Live-Streaming eines Kindesmissbrauchs stoppen und der Kinderprostitution im Internet wirksame Grenzen setzen» des damaligen MitteNationalrats und heutigen Ständerats Fabio Regazzi an. Beide Postulate forderten den Bundesrat auf, die bestehenden oder allenfalls notwendigen Massnahmen zur Bekämpfung von sexueller Gewalt gegen Kinder im Internet und der Echtzeitverbreitung von Kinderpornografie zu prüfen. Ende 2023 verabschiedete der Bundesrat einen vom Bundesamt für Polizei fedpol mit Unterstützung einer Expertengruppe von Bund und Kantonen verfassten Bericht zu den Postulaten. Dieser Bericht, dem zudem eine vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) bei der Ecole des Sciences Criminelles der Universität Lausanne in Auftrag gegebene wissenschaftliche Forschung zugrunde liegt, zeigt auf: Die Bekämpfung der Pädokriminalität in der Schweiz ist komplex – und nur im Verbund möglich.

Die Strafverfolgung obliegt den Kantonen

Dies liegt einerseits daran, dass Prävention und Strafverfolgung – ob im virtuellen oder im physischen Raum – der Pädokriminalität den Kantonen obliegen, die in der Präventionsarbeit wiederum unterstützt werden. Beispielsweise von der Schweizerischen Kriminalprävention (SKP), dem 2018 von der Konferenz der Kantonalen Polizeikommandantinnen und -kommandanten der Schweiz (KKPKS) gegründeten «Netzwerk Ermittlungsunterstützung der digitalen Kriminalitätsbekämpfung» (NEDIK) sowie auch Nichtregierungsorganisationen. Das fedpol indes nimmt für den Bund die Zentralstellenaufgaben wahr. Dazu gehören die internationale Zusammenarbeit mit Europol und Interpol sowie die Voranalyse und Triage der Verdachtsmeldungen des Nationalen Zentrums für vermisste und ausgebeutete Kinder (NCMEC) aus den USA. Die Kantonspolizeien nehmen die vorsortierten fedpol-Meldungen entgegen und verfolgen sie weiter – was ein zeitaufwendiges Unterfangen ist.

Einerseits stossen die Kantonspolizeien bezüglich des grenzüberschreitenden Zugangs zu elektronischen Beweismitteln auf grosse Herausforderungen, andererseits mangelt es ihnen an den nötigen personellen Ressourcen für die Sisyphusarbeit, Täter im Internet zu verfolgen. Dies umso mehr, als die Anzahl der an das NCMEC übermittelten Verdachtsmeldungen seit Jahren nahezu exponentiell steigt. Gingen 2014 beim NCMEC noch rund 1 Million Meldungen ein, waren es 2022 mehr als 32 Millionen. Von dieser Flut an Verdachtsmeldungen erreichen jährlich etliche Tausend Berichte fedpol. 2015 waren es noch rund 2’000 Meldungen, 2022 indes gut 12’700.

Fedpol leistet eine wichtige Triagearbeit

Im Rahmen seiner Triageaufgabe prüft fedpol die vom NCMEC erhaltenen Dateien zunächst darauf, ob die Fälle auch nach schweizerischem Recht strafbar sind. Dazu verwendet fedpol ein eigenes Werkzeug, mit dem es die bekannten Hashfunktionen filtern kann. Ist eine Datei in der Hashdatenbank nicht verzeichnet, wird eine manuelle Analyse durchgeführt. Das ist viel Arbeit – und obwohl die zur Entdeckung strafbarer Inhalte verwendeten Algorithmen besser geworden sind, ist bis heute die Mehrheit der bei fedpol eingehenden Meldungen (2022 waren es 71 %) nicht verwertbar – weil der Inhalt nicht als nach schweizerischem Recht illegal identifiziert werden kann. Von den restlichen 29 Prozent der Meldungen konnten 2022 rund 6 Prozent zudem aus technischen Gründen, vor allem, weil die verdächtige Person nicht identifiziert werden konnte, nicht verwertet werden. Die restlichen rund 2’000 Meldungen leitete fedpol an die zuständigen kantonalen Behörden weiter, die für die weiteren Ermittlungen und die allfällige Eröffnung eines Strafverfahrens zuständig sind.

Jagd auf Pädokriminelle ist eine Sisyphusarbeit

Diese Arbeit wird durch zwei Dinge erschwert: die Grenzenlosigkeit digitaler Netzwerke und die unterschiedlichen nationalen Rechtssysteme. Während verbotene oder illegale Pornografie (namentlich sexuelle Handlungen mit Kindern), Grooming (Aufnahme sexuell motivierter Kontakte zu Kindern via Chats oder Social Media) und Sextortion (Erpressung mit Bildmaterial) noch vergleichsweise «einfach» nachzuweisen sind, stossen die Strafverfolgungsbehörden beim Phänomen «Live Distant Child Abuse» (LDCA) rasch an nur schwer überwindbare Grenzen. Dies, weil bei dieser Form des Missbrauchs gleich zwei Typen von Straftätern involviert sind: erstens der Konsument/Anstifter, der nach kinderpornografischen Videos verlangt, und zweitens der Anbieter/ Missbraucher, der vom Anstifter Geld dafür kassiert, dass er selbst Missbrauchshandlungen an Kindern vornimmt, die der Konsument dann live via Webcam mitverfolgen kann. Das bedeutet: Im Gegensatz zu kinderpornografischem Material, das meistens frei über das Internet oder im Austausch zwischen Kriminellen verbreitet wird, findet LDCA in der Regel im Verborgenen statt –bilateral, da es ausschliesslich für den einzelnen Konsumenten bestimmt ist. Ist ein Livestream beendet, sind oft keine Spuren mehr nachweisbar. Das macht die Ermittlungsarbeit überaus komplex.

Laut dem Bundesratsbericht kommt es in der Schweiz immer wieder zu LDCAFällen. 2019 waren es deren 11, 2020 und 2021 waren es 39 respektive 35 und 2022 waren es 20 Fälle. Hotspots sind dabei zwei Kantone: der Aargau (38 % der Fälle) und Bern (31 %).

Internationale Kooperation und verstärkte Präventionsarbeit

Neben der Fortführung der bisherigen Massnahmen, namentlich verdeckte Ermittlungen im Netz sowie in Chats und auf Social Media, setzt der Bundesrat auf eine verstärkte internationale Kooperation. So analysiert das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) laufend die Gesetzgebungsarbeiten in den USA und in der Europäischen Union (E-Evidence-Paket, Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission zur Festlegung von Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern). Zudem beteiligt sich die Schweiz an den Verhandlungen zu einem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Cyberkriminalität.

Parallel dazu verpflichtet sich der Bundesrat in seinem Bericht zu einer Intensivierung der Aufklärungs- und Präventionsarbeit, für die er bereits zusätzliche Mittel versprochen hat. Dies mit dem Wissen, dass sich gezielte Prävention international als sehr wirksam im Kampf gegen Pädokriminalität erwiesen hat: Wenn Kinder informiert sind, welche Gefahren im digitalen Raum möglicherweise lauern, und Kenntnis davon haben, wie Pädokriminelle vorgehen, und an welchen Handlungen/Forderungen sie diese erkennen können, werden sie in die Lage versetzt, selbst rechtzeitig «Stopp» zu sagen und den Kontakt abzubrechen. Zumindest bei illegaler Pornografie, Grooming und Sextortion. Beim Phänomen LDCA indes sind sie ihren Peinigern, die oft aus dem engsten familiären Umfeld stammen, hilflos ausgeliefert. Da hilft auch keine Prävention.

Bild © shutterstock.com

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