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KI-Lösungen in der Einsatzzentrale

Wie plant man eine Einsatzleit zentrale – und welche Rolle spielt KI dabei?

Viele Einsatzleitzentralen (ELZ) sind ins Alter gekommen. Dann ist der Entscheid «Neubau oder Nachrüstung?» nötig. Wir haben bei der IABG mbH nachgefragt, wie man Klarheit für eine langfristige Lösung schafft –und welche Rolle KI in der ELZ dabei spielt.

In den vergangenen 30 Jahren haben sich die Anforderungen an Einsatzleitzentralen (ELZ) nachhaltig verändert –getrieben vor allem durch die rasanten, teils disruptiven technologischen Entwicklungen. Was zum Zeitpunkt der Errichtung «State of the Art» war, ist längst überholt. Moderne Anwendungen wie echoSOS, Emergency Eye, E-Call, OSINT-Werkzeuge, der verstärkte Einbezug von Videodaten für Einsatzaufnahme und Erstbewältigung sowie die Digitalisierung der Kommunikation haben zu Veränderungen geführt. Parallel stiegen die Herausforderungen hinsichtlich der Sicherheit kontinuierlich.

Geblieben sind zwei Dinge: Die hochkomplexen Systeme einer ELZ müssen ebenso hochverfügbar sein wie die in der ELZ tätigen Personen, die 24/7 unter teils hohem Stress Notrufe annehmen und adäquate Massnahmen auslösen, steuern und koordinieren müssen.

Damit dies gelingt, sind, zusätzlich zu einer genügend hohen Zahl motivierter und hochprofessioneller Kräfte, eine intelligente Infrastruktur, ergonomisch gestaltete Arbeitsplätze in sinnvoller Anordnung zueinander sowie eine hocheffiziente ICT, welche die Einsatzkräfte bestmöglich unterstützt und entlastet, unabdingbar.

In der Einsatzleitzentrale der Zukunft spielen künftige Technologien, insbesondere KI, eine grosse Rolle.
© shutterstock.com

Die erste Frage bei der Neukonzeption einer ELZ

Ist der Tag gekommen, an dem die Gesamtkonzeption einer ELZ überdacht werden muss, müssen viele Fragen beantwortet werden – und zwar mit Blick auf das «Heute» ebenso wie mit Blick auf das «Morgen» und «Übermorgen». Immerhin hat eine ELZ einen Nutzungshorizont von 25 bis 30 Jahren, wovon bis zu zehn Jahre auf Planung und Realisierung entfallen.

Die Antwort auf die Frage, wo man beginnt, ist dabei noch mit am leichtesten zu beantworten: beim Flächenbedarf. Denn dieser entscheidet darüber, ob die ELZ im Bestand verbleiben kann, ob eine Erweiterung oder ob gar ein Neubau nötig sein wird.

So einfach es ist, diese erste Frage zu formulieren, so komplex ist deren Beantwortung. Denn bei der Ermittlung des Flächenbedarfs spielen die technologischen Lösungen, die vom Personal dereinst genutzt werden sollen, eine zentrale Rolle. Technologische Entwicklungen beeinflussen die Rollen und Aufgabengebiete stark – in der ELZ wie auch bei Führungs- und Einsatzmitteln. Mancherorts sinkt der Arbeitsaufwand, andernorts steigt er – und bisweilen entstehen völlig neue Aufgaben. Dies wiederum verändert die Kollaboration der Akteure in der ELZ – weshalb deren Arbeitsplätze künftig möglicherweise räumlich anders zueinander angeordnet werden sollten. Diese «Raumbeziehungen» indes müssen bekannt sein, damit ein gesamthaft stimmiges Raumkonzept (sowohl in der eigentlichen ELZ als auch hinsichtlich der angrenzenden Räumlichkeiten) entwickelt werden kann – wobei auch Aspekte der physischen Sicherheit (Sicherheitszonen, Zugangskontrollen), der Arbeitsplatzergonomie sowie der Rechtskonformität (geltende Richtlinien und Gesetze, z. B. hinsichtlich Brandschutz) zu berücksichtigen sind.

Das «Technologieradar» ist ein wichtiges Planungsinstrument bei der Konzeption einer ELZ.
© zVg

Planungshilfe «Technologieradar»

In einem ersten Schritt müssen alle für den Betrieb einer ELZ potenziell relevanten Technologien erkannt und hinsichtlich ihres Entwicklungspotenzials abgeschätzt werden. Dies geschieht basierend auf Studien, die Zukunftstechnologien identifizieren und Hinweise zu deren Entwicklung, Handhabbarkeit und Auswirkungen auf die Arbeit in einer ELZ in den kommenden zehn bis 20 Jahren liefern. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse müssen dann von Experten aus Industrie, Behörden und vonseiten des ELZ-Betreibers vertieft analysiert werden.

Ein gutes Beispiel dafür ist Big Data in Kombination mit fortgeschrittener Datenanalyse (Advanced Analytics) und Entscheidungsfindung (Advanced Decision Making). Geschickt kombiniert leisten diese Lösungen wertvolle Unterstützung in der Notrufbearbeitung sowie bei der (Erst-) Beurteilung und Unterstützung von Lagen. In der ELZ können Ort und Situation eines Notfalls, dessen Dringlichkeit und die Wahl der benötigten Einsatzmittel schneller erfasst und validiert werden. Zudem gelangt die Einsatzführung schneller zu einer besseren Lageeinschätzung. Werden überdies KI-Algorithmen implementiert, können mögliche Entwicklungen und entsprechende Entscheidungsalternativen besser abgeschätzt werden – bis hin zu recht genauen Prognosen, wie sich potenzielle Massnahmen auf die Lage auswirken.

Ein zweites Beispiel sind für ELZ entwickelte KI-Lösungen. Diese können nicht nur Standard-Notrufe zu weiten Teilen automatisiert abwickeln, sondern beispielsweise auch fremdsprachige Notrufe in Echtzeit bidirektional übersetzen. Dabei sind sogar eine akustische Umfeldanalyse sowie die Bewertung des Anrufers anhand sprachlicher Merkmale möglich.

Des Weiteren können KI-Werkzeuge bei der Lageplanung und bei der Bewertung (hoch-)dynamischer Lagen sehr hilfreich sein – insbesondere in Bezug auf die Planung respektive Prognose der benötigten Kräfte mit entsprechenden Fähigkeiten. Zudem helfen KI-gestützte Systeme bei der Identifikation und Filterung von Informationen in der Erstphase grösserer Einsatzlagen und ermöglichen, basierend auf historischen Daten, Prognosen zum potenziellen Einsatzaufkommen – zugunsten einer dynamischeren Personalplanung.

Neue Prozesse und Aufgaben abschätzen

Basierend auf den aus dem Technologieradar abgeleiteten, potenziellen Auswirkungen neuer Technologien auf eine ELZ werden im zweiten Schritt die Prozesse und Aufgaben abgeglichen, angepasst und wo nötig erweitert. Auch für diesen Schritt liefern KI-Systeme gute Beispiele:

Wird die Bearbeitung von Standard-Notrufen einer KILösung übergeben, werden die bisherigen «Call-Taker» zu «Call-Controllern». Sie überwachen einerseits die Korrektheit und die Qualität und bilden andererseits die Eskalationsebene. Sowohl für Anrufe, in der die KI automatisiert die Weiterleitung an einen Menschen vollzieht, als auch in komplexen Situationen oder Fällen, in denen kritische Entscheidungen gefällt werden müssen.

Im Bereich der Lagebewertung erweitert KI-Unterstützung die Aufgabenbereiche der OSINT-Recherchen, Telekommunikationsmassnahmen, Behördenrecherchen und des Internet-Monitorings deutlich. So entsteht die neue Rolle des «Informationsbrokers», der die Lagebewertung verantwortet und die Vielzahl der Informationen zusammenfasst, damit Entscheidungsträger alle zentralen Inhalte in leicht erfassbarer Form erhalten. Die Rolle des Informationsbrokers hat eine grosse Schnittmenge zur Rolle des Videobeobachters, da die Verfügbarkeit autonomer Aufklärungssysteme und polizeilich nutzbarer Videoquellen künftig stark zunehmen wird.

Die Alarmzentrale der Polizei Kanton Solothurn ist ein gutes Beispiel für eine nach modernsten Gesichtspunkten entwickelte und ausgerüstete ELZ.
© Polizei Kanton Solothurn

Technologische Sicherheit einer künftigen ELZ

Der ITK-Grundschutz des Bundesamtes für Cybersicherheit BACS respektive die dafür nötigen Prozess- und Schutzbedarfsbetrachtungen definierten das Standardvorgehen zur IT-Security. Hinsichtlich des Einsatzes von KI-Systemen in der ELZ beschreibt AI Assurance vier zentrale Kriterien, die eine KI erfüllen muss: Sicherheit, Rechtskonformität, Fairness und Zuverlässigkeit. Insbesondere will AI Assurance potenzielle Risiken respektive Schäden aufgrund von Ausfällen oder Missbrauch von KI-Systemen minimieren und mehr Vertrauen in KI-Systeme etablieren – zugunsten breiter Akzeptanz und effektiver Implementierung von KI.

Transparenz, die sicherstellt, dass KI-Entscheidungen für alle Beteiligten nachvollziehbar sind, wird bei AI Assurance grossgeschrieben. Hinzu kommen Robustheit (Widerstandsfähigkeit gegen gezielte Angriffe und unbeabsichtigte Störungen) sowie ethische Aspekte, insbesondere mit Blick auf die Vermeidung von Diskriminierung und die Behandlung potenzieller Verzerrungen in KI-Systemen. Und natürlich ist Compliance, also die Einhaltung von gesetzlichen Anforderungen und Industriestandards, unerlässlich.

In der Praxis, gerade im Sicherheits- und Militärbereich, ermöglicht AI Assurance den sicheren Einsatz von KI zur Entscheidungsunterstützung in Echtzeit, die Entwicklung sicherer autonomer Systeme für Aufklärung und Schutz sowie die Implementierung KI-basierter Anomalie-Erkennung für die Cybersicherheit. Besonders wichtig sind dabei der Schutz kritischer Netzwerke und Systeme vor Cyberangriffen sowie die Früherkennung und Prävention physischer und digitaler Angriffe auf kritische Infrastrukturen.

Für die Umsetzung von AI Assurance müssen Organisationen sensible Daten schützen, die Nachvollziehbarkeit von KI-Entscheidungen sowie die kontinuierliche Anpassung an sich ändernde Bedrohungsszenarien gewährleisten, qualitativ hochwertige und vollständige Daten verwenden und die robuste Integration in bestehende Systeme sicherstellen.

Physische Sicherheit einer ELZ

Je nach Lage und Umgebung einer ELZ ergeben sich individuelle Bedrohungsszenarien, die spezifische Massnahmen erfordern. Nimmt die ELZ nur einen Teil eines Gebäudes ein, machen Sicherheitszonen mit gestaffelten Übergängen vom öffentlichen Bereich (Sicherheitszone 0 oder 1) bis zum Kernbereich der ELZ (SZ 5 oder 6) Sinn. Die Zuordnung aller Räume zu einer adäquaten Sicherheitszone bildet eine eminent wichtige Vorgabe. Sowohl für die Architektur als auch für die Planung der Kontrollmechanismen (z. B. Personenschleuse, Sicherheitstür mit digitaler Zutrittskontrolle) an den Übergängen. Dies kann zu komplexen Herausforderungen führen, die naturgemäss im Neubau einfacher realisierbar sind als im Bestand.

Fazit und Zusammenfassung

Thorsten Hansler ist Programm Manager Leitstellen & Lagezentren / CTFS30 der IABG mbH.
© zVg

Für eine vorausschauende Planung einer ELZ sind viele Aspekte zu berücksichtigen. Eine zentrale Rolle nimmt dabei das Technologieradar ein, das es ermöglicht, technologiebedingte Veränderungen bei den Rollen und Aufgabenbereichen zu erkennen, welche sich unmittelbar auf die Ausstattung und Anordnung der Arbeitsplätze und damit den Flächenbedarf und die Strukturierung einer ELZ auswirken. Aufgrund der nach wie vor rasanten Entwicklung im Bereich Digitalisierung sollte das Technologieradar in kurzen Intervallen (drei bis fünf Jahre) überprüft und adaptiert werden.

Wird der Einsatz von KI, die bereits heute hilfreiche Dienste leisten kann, in der künftigen ELZ erwogen, hilft AI Assurance bei der Prüfung erwogener Lösungen und bei der Schaffung der nötigen Akzeptanz dieser Technologien.

Unabhängig von den Technologien muss bei der Planung einer ELZ auch an die benötigten Nebenräume und die physische Sicherheit gedacht werden. Daher ist mit einem Planungs- und Realisierungshorizont von bis zu zehn Jahren zu rechnen.

Mehr Informationen erhalten Interessierte bei Thorsten Hansler, Programm Manager Leitstellen & Lagezentren / CTFS30 der IABG mbH, Bonn, www.iabg.de, hansler@iabg.de, sowie am SPIK 2025, wo das Unternehmen mit einem Stand sowie einem Referat zum Thema «SafeAI –Absicherung von KI-basierten Systemen» vertreten sein wird.

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