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Wheelchair Rescue von Michaela Vogler
from Blaulicht 2/2025
by IV Group
Retten von Menschen mit körperlichen Handicaps
Michaela Vogler aus Alpnach ist Feuerwehrfrau, Mutter zweier Kinder – und querschnittgelähmt. Mit «Wheelchair Rescue» vermittelt sie, welche Besonderheiten bei der Rettung von Menschen mit körperlichen Handicaps beachtet werden müssen.

Menschen zu helfen, sich für andere zu engagieren, steckt Michaela Vogler (35) im Blut. Sie erlernte einen Beruf im Gesundheitswesen und trat im Alter von 20 Jahren als Aktivmitglied in die Feuerwehr ein. Mit 23 wechselte sie zur Feuerwehr Alpnach – und das Engagement dort, an der Front, in der Verkehrsabteilung, bereitete ihr viel Freude und Befriedigung. So viel, dass auch die Geburt ihrer Kinder, die Arbeit als Hausfrau und Mutter und ihre Teilzeittätigkeit in der Administration einer ortsansässigen Land- und Baumaschinenwerkstätte nichts an ihrem Engagement zu ändern vermochten. Ihr Leben war perfekt.
Bis sie im Jahr 2020 bei Hausarbeiten einen unbedachten Schritt rückwärts machte, über den dort stehenden Wäschekorb stolperte und mit dem Rücken derart unglücklich auf die Bettkante stürzte, dass sie eine Querschnittlähmung erlitt. Danach war alles anders.
1’000 Fragen ans eigene Leben …
Michaela Vogler hatte unzählige Fragen, war verunsichert, fragte sich, wie es weitergehen soll.
Zumindest stellte sich heraus: Ihre Befürchtung, fortan nicht mehr aktives Mitglied der Feuerwehr sein zu können, war unbegründet. Michaela Vogler: «Ich wollte unbedingt weitermachen, denn ich liebe das Teamwork in der Feuerwehr und weiss, dass das Bewältigen von Extremsituationen stark zusammenschweisst. Aber Feuerwehr und Rollstuhl? Das passt doch nicht zusammen, dachte ich.»
Ihr Kommandant indes sah es anders. Er sagte ihr: «Die Tätigkeit bei der Feuerwehr hat viele Facetten – und wir brauchen dich und deine Erfahrung.» So erhielt Michaela Vogler eine zu ihrer neuen Situation passende Rolle zugeteilt. «Statt in der Verkehrsabteilung bin ich nun in der Führungsunterstützung engagiert. Ich arbeite als rechte Hand des Einsatzleiters in der Zentrale im Feuerwehrlokal Alpnach, stelle bei Einsätzen die Kommunikation sicher und pflege die Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen wie Polizei und Rettungsdiensten», freut sie sich. Sogar Übungen leitet die im Rang einer Wachtmeisterin tätige Alpnacherin. «Natürlich nicht gerade eine Vegetationsbrandübung im Wald», erklärt sie, «aber allerhand anderes. Denn ich habe festgestellt: Abdelegieren funktioniert auch aus dem Sitzen heraus.»

… und 1’000 Fragen, die nie jemand stellt
Mit der Rückkehr in den Feuerwehrdienst sah sich Michaela Vogler allerdings mit neuen Fragen konfrontiert. «Als Rollstuhlfahrerin blickte ich aus einem anderen Blickwinkel auf die mir zuvor so vertraute Welt. Sachverhalte, die ich vorher nie, oder wenn, dann nur sporadisch, auf dem Radar hatte, erlangten auf einmal grosse Wichtigkeit», erinnert sie sich.
«Wenn Kameraden nach Einsätzen erzählten, wie sie eine Person aus deren Auto befreit hatten, stellte ich mir viele Fragen: Hätten sie das mit mir auch geschafft? Was hätten sie getan, wenn die Platzverhältnisse das Ausfahren der im Fahrzeug eingebauten Rampe nicht zugelassen hätten –etwa in einem Stau, einem Tunnel, auf einer Fähre oder beim Autoverlad? Wäre ihnen bewusst gewesen, dass ich einen an einem Stoma an der Bauchdecke angenähten Blasenkatheter habe, von dem ein Schlauch zum Urinbeutel an meinem Bein führt? Hätten sie geahnt, dass, wenn zu viel Zug auf diesen ausgeübt wird, der Katheter eher am Bauch als am Beutel abreissen wird – mit bösen Folgen für mich? Wissen sie, dass viele körperlich eingeschränkte Menschen auch andere medizinaltechnische Geräte wie eine Schmerzmittelpumpe oder gar eine am Halsansatz einoperierte Beatmungshilfe haben? Ist ihnen bekannt, dass Querschnittgelähmte Probleme mit der Temperaturregulation haben? Denn die gelähmten Körperpartien empfinden nicht nur weder Hitze noch Kälte, sondern tragen auch nicht zur Temperaturregulation bei, weshalb sommerliche Hitze bei uns innert weniger Minuten zum Kreislaufkollaps führen kann. Was würde geschehen, wenn sie mich mit den üblichen Gerätschaften, etwa einem Gstältli, aus dem Auto hieven? Drückt auch nur eine der Schnallen während einiger Minuten auf die Haut meiner gelähmten Beine, kann ich einen Dekubitus erleiden. Die Folgen wären ein monatelanger Spitalaufenthalt, chirurgischer Eingriff inklusive!»
Zudem ortete Michaela Vogler Wissensdefizite rund um den korrekten Umgang mit speziell ausgerüsteten Behindertenfahrzeugen. «Ich selbst fahre einen auf Handgas und -bremse umgerüsteten sowie mit Spezialausrüstung, etwa der Rollstuhlrampe, ausgestatteten Mercedes Viano», sagt sie. «Wie viele andere Behindertenfahrzeuge hat dieser nicht nur eine, sondern gleich drei Batterien. Wird bei einem Unfall nur die Hauptbatterie im Motorraum abgeklemmt, sind die anderen beiden immer noch aktiv. So kann es passieren, dass das Fahrzeug sich plötzlich bewegt, obwohl es stromlos geschaltet wurde. Die Folge sind potenziell gefährliche Situationen, die niemand, der nicht selbst ein solches Auto hat, kennt. Weil es nicht ausgebildet wird.»
Michaela Vogler erkannte die Problematik …
Ihre Gespräche mit Kameraden, Kollegen kooperierender Organisationen sowie Fachstellen und Ausbildnern machten deutlich: Nicht nur Feuerwehrleute, sondern auch die Einsatzkräfte von Polizei, Strassenrettung, Berg-, Luft- und Wasserrettung, ja sogar Rettungssanitäter verfügen zur Thematik «Rettung von Menschen mit körperlichem Handicap» meist nur über Basiswissen. «Dabei sind allein in der Schweiz rund 6’000 behindertengerecht umgebaute Autos immatrikuliert», weiss Michaela Vogler. «Hinzu kommen all jene Menschen, die nicht selbst fahren können, wohl aber im Auto anderer mitreisen. Und die Zigtausenden mobilitätseingeschränkten Personen, die im ÖV unterwegs sind. Die an allen möglichen Orten arbeiten, ihre Angelegenheiten erledigen oder ihre Freizeit verbringen. Wobei die Vielfalt wächst, da immer mehr Orte barrierefrei gestaltet und damit endlich auch für Menschen wie mich zugänglich werden.»

… und engagiert sich für eine Lösung
Michaela Vogler erkannte: «Wer, wenn nicht ich, die beide Seiten – Feuerwehr und Rollstuhl – aus eigener Erfahrung kennt, wäre geeignet, Lösungen zu erarbeiten?» So begann sie, ihre Fragen und die Antworten darauf in Ausbildungsinhalte umzuwandeln.
«Ich nahm Kontakt zu übergeordneten Stellen wie dem Schweizerischen Feuerwehrverband SFV und dem Interkantonalen Feuerwehr-Ausbildungszentrum IFA Swiss auf. Ich diskutierte mit Feuerwehrkameraden, Polizistinnen, Rettungssanitätern und Samaritern. Ich stellte Fragen – und ich stiess auf grosse Akzeptanz», erinnert sich Michaela Vogler. «Alle, die ich mit meinem Anliegen konfrontierte, anerkannten, dass ich auf ein effektives Bedürfnis aufmerksam mache.»
Überzeugt hat sie insbesondere, dass «alte Hasen» mit 20, 30 oder noch mehr Jahren Erfahrung im aktiven Einsatz ihr sagten: «Was du machst, ist wichtig. Geh deinen Weg weiter – zum Wohle zigtausend anderer, die in der gleichen Lage sind wie du.»
Seit Mai 2024 mit «Wheelchair Rescue» aktiv
Im Mai 2024 gründete Michaela Vogler unter Einsatz ihrer Ersparnisse ihre Einzelfirma «Wheelchair Rescue». Mit dieser bietet sie, aktuell unterstützt von drei ebenfalls auf einen Rollstuhl angewiesenen, aber in Feuerwehrthemen nicht erfahrenen Mitstreitern, Kurse für Blau- und Gelblichtkräfte an. In diesen vermittelt sie Wissen zum Umgang mit körperlich behinderten Menschen sowie mit deren umgerüsteten Fahrzeugen.
Für Letzteres hat sich Michaela Vogler erst kürzlich in Unkosten gestürzt, wie sie erzählt: «Aus dem Nachlass eines MS-Betroffenen konnte ich einen zwar alten, aber sehr gut in Schuss befindlichen Mercedes Viano mit komplexem Paravan-Umbau (www.paravan.de) erwerben. Dieser war das erste Fahrzeug mit Joystick-Lenkung in der Schweiz überhaupt – und ist das perfekte Auto, um in meinen Kursen praktisch und 1 : 1 aufzeigen zu können, worauf es ankommt.»
Weniger erfreulich war, dass die Occasion ungeachtet ihres Alters stattliche 26’500 Franken kostete. Viel Geld für Michaela Vogler, die seit ihrem Unfall noch immer auf eine IV-Rente wartet. Doch ihr Lebenspartner hatte Verständnis. Er verkaufte dafür sein eigenes Auto – und akzeptiert, dass er und Michaela Vogler beim Budget ihrer für Mai geplanten Hochzeit Abstriche werden machen müssen.
Kurse buchen – und Unterstützung leisten
Blau- und Gelblichtorganisationen, die sich für die Themen «Rettung von Menschen mit körperlichem Handicap» und «Sicherer Umgang mit behindertengerecht umgerüsteten Fahrzeugen» interessieren, können bei Michaela Vogler entsprechende Kurse buchen.
Wer ihr Engagement grossartig findet und dieses durch Sponsoring unterstützen will (Sponsoringkonzept auf Anfrage erhältlich), findet ihre Kontaktdaten in der Infobox.
Und wer selbst ein körperliches Handicap hat und zugleich über Erfahrungen bei Feuerwehr, Rettungsdienst, Sanität, Strassenrettung oder anderen Organisationen verfügt, ist herzlich im Team von Wheelchair Rescue willkommen.
«Als Einzelkämpferin habe ich, zusammen mit meinen Mitstreiterin, schon einiges erreicht», sagt Michaela Vogler. «Richtig stark aber ist man, das Wissen alle im BORS-Bereich engagierten Kollegen, im Team. Daher würde ich mich freuen, wenn sich Gleichgesinnte und Gleichbetroffene finden, die mit mir zusammen Grosses auf jene Beine stellen wollen, die auch dann tragen und bewegen, wenn man selbst im Rollstuhl sitzt!»
«Infobox» Wheelchair Rescue –die Organisation
Wheelchair Rescue wurde 2024 gegründet und zielt auf die Sensibilisierung und Instruktion von Blau- und Gelblichtkräften. Kurse fanden bereits beim SFV in Interlaken (Personenrettung bei Unfall, PBU), bei der Feuerwehr Meiringen, den Samaritern Obwalden, bei der IFA Swiss in Balsthal sowie bei der Schadenwehr Gotthard in Göschenen statt. Dieses Jahr sind Kurse beim Autoverlad Furka Basistunnel, bei der Feuerwehr Uri, Stützpunkt Altdorf und – zum zweiten Mal – beim PBU-Kurs des SFV in Interlaken geplant. Ab Herbst 2025 sollen über den SFV zusätzlich eigenständige Kurse angeboten werden und auch an der Höheren Fachschule für Rettungsberufe HFRB in Zürich darf Michaela Vogler ihr Wissen ab diesem Jahr weitergeben. Mehr Informationen sowie den Kontakt zu Michaela Vogler finden Interessierte auf: www.wheelchairrescue.ch
