J.T. Golecki Fiske bei den Bundys Reclam
J.T. Golecki Fiske bei den Bundys Ein kurzes St端ck in f端nf Szenen.
Personen: Al Bundy: Al, der Vater und Ehemann, hat Körpergeruch und ein hässliches Gesicht, das groteske Züge annehmen kann; er kehrt die sozialen Werte hinsichtlich männlicher Macht um, da er ökonomisch und sexuell unfähig ist und weder seine Kinder noch seine Frau kontrollieren kann. Zur Highschoolzeit war er ein Footballtalent bei den Polk High School Monsters. Er erzielte in dem entscheidenden Stadtmeisterschaftsspiel von 1966 gegen die Andrew Johnson High School vier Touchdowns in einem Spiel. Peggy Bundy: Peg, die Mutter und Ehefrau, ist hinsichtlich Kleidung, Frisur und Make-up „aufgedonnert“ und dazu nymphomanisch. Ihre Körperbewegungen, Gesten und ihr Gesichtsausdruck verspotten durch Übertreibung die Konventionen weiblicher Attraktivität. Sie sorgt nie für die Familie; weder kauft sie Lebensmittel ein, noch bereitet sie das Essen zu. Die Heirat, zu der sie Al unter Alkoholeinfluss zwang, machte dessen Footballkarriere zunichte. Kelly Bundy: Ein Teenager, der ständig nach Nahrung und Sex giert. Sie hat bei der Suche nach sexuellem Vergnügen viel Erfolg. Dafür ist sie nicht besonders intelligent. Bud Bundy: Bud teilt die Begierden seiner Schwester. Tragischerweise hat er im Gegensatz zu ihr keinerlei Erfolg beim anderen Geschlecht und ist clever genug das auch zu merken. Er wird sich seiner sozialen Identität und seiner sozialen Beziehungen mehr und mehr bewusst. John Fiske: ist ein britischer Medien- und Kulturwissenschaftler. Marcy Rhodes: ist die Nachbarin der Bundy-Familie. Sie ist mit Peggy gut befreundet, mit Al jedoch verbindet sie eine erbitterte Feindschaft. Nicht zuletzt weil Al sich stets über ihre dürren Beine, ihren knabenhaften Haarschnitt und ihre flache Brust lustig macht. Sie ist äußerst konservativ und legt viel Wert auf Anständigkeit und Sittsamkeit. Steve Rhodes: Marcys Ehemann und erfolgreicher Geschäftsmann. Chor: Claqueurs aus der Dose
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Erste Szene
Auftritt Al Bundy. Al läuft aus dem Schlafzimmer die Treppe zum Wohnzimmer hinunter. Er ist aufgebracht. AL (schreit). Peg, meinst du nicht du hättest mir Bescheid sagen können, dass du einen Kaktus neben meinen Wecker gestellt hast? PEG (flötet). Das wollte ich Schatz. AL. Hast es aber nicht getan! Al hält eine verletzte Hand vorwurfsvoll in die Luft. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. PEG. Na ja, ich finde er macht sich toll im Schlafzimmer – wenigstens einer der immer spitz ist! CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. Auftritt John Fiske. Al will etwas Bissiges erwiedern, da sieht er John Fiske, der gerade das Sofa inspiziert und sich dabei Notizen macht. Al bleibt wie angewurzelt stehen und reißt die Augen auf. AL. Peg schnell, bring mir das Gewehr! PEG. Ach so schlimm, dass man sich gleich die Kugel geben muss ist deine schlaffe Nudel auch nicht, Al. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. John Fiske hebt seinen Kopf und bemerkt Al. Er geht lächelnd und mit zur Begrüßung ausgestreckter Hand auf Al zu. Fiske: Ah guten Morgen, Al! Al ballt kampfbereit die Fäuste. AL. Die Kugel ist nicht für mich, sondern für den da! FISKE. Oh Entschuldigung, ich habe mich nicht vorgestellt. Ich bin kein Einbrecher, falls sie das annehmen. Mein Name ist John Fiske und... AL. ...und du bist der Gerichtsvollzieher! Euch Pack riech ich, wie Geier Aas. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. AL. Peg, die Knarre! Du wirst den Tag bereuen... FISKE. Nein, nein Al. Ich versichere Ihnen, ich bin nicht vom Finanzamt. Al schaut misstrauisch.
7 FISKE. ich bin Wissenschaftler und bin hier um über Ihren immensen Einfluss auf die Jugend zu schreiben. Al zieht ein dummes Gesicht. Chor: Hahahahahahahahahahahaha. FISKE (schlau). Ja Al – Sie sind ein Star. Al strahlt: Polk High Monsters – 4 Touchdowns in einem Spiel! Aaaaaaaaaaal Buuuuuuuundy! Al feiert sich selbst mit einer Laola-Welle. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. Fiske macht sich Notizen. AL. ich wusste man würde mich nicht vergessen – habt euch ja ganz schön Zeit gelassen. FISKE. Pardon? AL. Na ja, Schwamm drüber, John. Setz dich doch – reden wir über Football. Al legt freundschaftlich seinen Arm um Fiske und buchsiert ihn zum Sofa. AL (kläfft). Peg, schwing deinen Arsch hier ‚runter und mach unserem Gast ‚nen Kaffee. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. AL. Sie trinken doch Kaffee, John? Ich darf doch John sagen? Fiske: Sicher, Al. Fiske notiert sich etwas in seinem Notizbuch Al ruft, sich nach hinten wendend: Kinder, kommt ‚runter. Ihr sollt auch wissen, was für ein Teufelskerl euer Vater ist. Es rumpelt im oberen Stockwerk. Bud und Kelly grummelnd: Oh nee... Al grinst gekünstellt. AL. John, du bist also hier weil ich ein Vorbild für die Jugend bin? Fiske: So hatte ich das nicht gesagt. Es geht um Ihren Einfluss auf die Jugend. Um genau zu sein untersuche ich wie Ihr Publikum entsteht. AL (abwesend nickend). Acha... Al springt vom Sofa. AL. John ich muss da kurz was aus der Garage holen... Peggy bringt ihnen sicher gleich ihren Kaffee. Peg! Wo bleibst du!
8 Al grinst Fiske an und rennt aus der Haustür. Von draußen hört man Motorengeräusche und Fluchen. CHOR.h Hahahahahahahahahahahaha.
Zweite Szene Auftritt Peggy Bundy. Peggy stöckelt aufgetakelt und mit wackelndem Hintern an Fiske vorbei. Fiske notiert im Notizbuch FISKE (murmelnd). ...Übertreibung der Konventionen weiblicher Attraktivitvität... PEG. Oh danke, Sie Charmeur! Peggy winkt lächelnd ab und zündet sich eine Zigarette an. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. PEG. Woll‘n Sie ‚n‘ Kaffee? FISKE. Tee, wenn es keine Umstände macht. Peggy schaut Fiske ausdruckslos an und zieht an ihrer Zigarette. FISKE. Kaffee wäre prima, danke. Peggy lächelt und stöckelt in Richtung Küche. Peggy geht ab. Es rumpelt, Bud und Kelly kommen müde die Treppe herunter. Auftritt Bud und Kelly Fiske schaut zu ihnen hoch. Er scheint etwas äußerst Interessantes entdeckt zu haben, steht auf und verharrt starrend. BUD. Kell, hast du nicht was vergessen? Kelly fährt mit ihren Händen suchend an ihren Kleidern herab, beim Minirock in Hüfthöhe kommt sie ins Stocken und rennt zurück nach oben. Fiske verfolgt jeden ihrer Schritte. BUD (entschuldigend). Sie verlegt ständig ihre Unterwäsche. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. Fiske nickt unbeholfen und macht Notizen.
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Dritte Szene
BUD. Sie können mir sicher sagen, warum ich meinen 10-Blondinen-die-auf-mich-stehn-Traum unterbrechen musste. FISKE. Na ja, Bud, richtig? Auftritt Al – die Eingangstür springt auf und Al kommt in voller FootballMontur und einem Rugby-Ball unterm Arm hereingesprintet. Al spannt seinen Körper an und bringt sich in Wurfposition. BUD. Das haben Sie ja toll hingekriegt. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. Fiske lächelt gequält und macht Notizen. Al ignoriert Bud, lacht und haut Fiske freundschaftlich auf den Rücken, sodass Fiskes Brille von dessen Nase abrutscht und er sie auffangen und richten muss. Al weist mit ausgestrecktem Arm zum Sofa. Sie nehmen Platz. Bud setzt sich dazu. AL. Peg, wo bleibt der Kaffee! Al steckt die Hand in seine Hose. Fiske notiert eifrig. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. AL. Also wie war das nochmal mit dem Publikum? FISKE. Ja, ich untersuche wie es entsteht, es... AL (großspurig). Das ist ganz einfach. Die Leute kaufen sich ‚n Bier und ‚ne Wurst, dann gehen sie ins Stadion um AAAAAL BUUNDY zuzujubeln. Es klingelt an der Tür. AL (sauer). Peg, Tür! Es klingelt. AL (autoritär). Bud, Tür! Bud grinst seinen Vater nur an. BUD. Wie genau wollen sie das Entstehen denn untersuchen? FISKE. Nun ich beobachte deinen Vater, dich und den Rest deiner Familie genau... Es klingelt weiter. BUD. aber wenn sie uns untersuchen und beobachten wollen, müssten sie sich dann nicht verstecken, sodass Sie unser Verhalten nicht beeinflussen? Sie wissen schon, wie beim Doppelspaltexperiment – so wie echte Wissenschaftler das auch machen.
11 FISKE. Nein, das wäre rein deskriptiv. Bei den Cultural Studies, die ich betreibe, gehe ich generativ vor - ich will beeinflussen. Es klingelt wieder. Al lässt alle Körperspannung abfallen und schleppt sich zur Tür. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha.
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Vierte Szene
Al öffnet die Tür, Steve und Marcy stehen im Türrahmen. Auftritt Steve und Marcy. STEVE. Hallo Al, dein Dodge blockiert unsere Einfahrt und... AL. Oh ja welche Freude, die Nachbarn! Kommt rein, macht es euch bequem - Peg, wo bleibt der Kaffee, wir haben Gäste. MARCY. Hast du etwa wegen diesem lächerlichen Trikot die Garage ausgeräumt und dein stinkendes Wrack von einem Auto auf unseren... AL. Darf ich vorstellen, Mister John Fiske, er schreibt über meinen Einfluss auf die Jugend und mein Publikum. FISKE. Bitte, John reicht völlig. Misstrauisch schauend nehmen Marcy und Steve Platz. MARCY. Ich bin Marcy und das ist mein Mann Steve. STEVE. Eines möchte ich gleich klar stellen, ich finde Sie sollten sich schämen, diesen einfachen Leuten so einen Bären aufzubinden... MARCY. Ja, sie glauben zu lassen sie hätten eine wie auch immer geartete Bedeutung für die Gesellschft – ekelhaft! Al japst empört nach Luft. FISKE. Gut, ich erkläre es Ihnen. Die soziale Verbreitung von Bedeutung ist immer ein Mahlstrom, voller gegensätzlicher Strömungen, Strudel und Wirbel. Fiske steht auf und formt mit seinen Armen Strömungsverläufe, um seine Rede zu unterstreichen. FISKE. Die Hauptströmung versucht ihren Lauf möglichst gleichmäßig und unaufhaltsam zu halten, aber an ihren Rändern gibt es immer schroffe, unzugängliche Felsen und Vorsprünge, die sie unterbrechen und umlenken - Felsen und Vorsprünge wie die Bundys Alle starren Fiske mit offenem Mund an. Es ist ganz still. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. BUD. Sie bespannen uns also, weil Sie uns für Assis halten? FISKE (korrigierend). Für karnevalesk! Und ich bespanne nicht, ich nehme Proben. AL. Halt, halt, halt, John. Soll das heißen,hier geht es garnicht um meine 4 Touchdowns? Und, und, und hat dieser Rugby-Ball dann keine Bedeutung?
13 Al hält vorwurfsvoll den Rugby-Ball mit dem er in der Stadtmeisterschaft 4 Touchdowns erzielte in die Luft. MARCY (hämisch). Ooh wie ein kleiner Junge. Enttäuscht, dass sich keiner für seinen Ball interessiert. AL. Wie ein kleiner Junge? Das beschreibt eher dich und deine Oberweite. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. Bud linst in Marcys Dekolletée und lacht böse. FISKE. aber selbstverständlich hat dein Ball Bedeutung, Al. Er hätte Bedeutung auch wenn du der einzige Mensch im Universum wärest, der mit ihm spielte. Gerade so wie die Bedeutung eines Satzes nicht von der Anzahl der Personen abhängt, die ihn äußern. Er ist von Bedeutung weil er eine Praktik eines Systems ist, nicht weil er andere Praktiken reproduziert. Jede Praktik aktualisiert das System in dem sie sich befindet und muss berücksichtigt werden, um das System als Ganzes zu verstehen. Wieder starren alle Fiske mit offenem Mund an. Es ist ganz still. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. AL. Peg? Wo bleibt unser Kaffee? STEVE. Ach hören Sie doch endlich auf Al Honig ums Maul zu schmieren. Al, wieviel Geld hat dir dieser Scharlatan schon abgeschwatzt? FISKE. Um Geld geht es hier nicht. Es ist nur ein weiterer Teil des Systems. Wesentlich ist das Publikum und seine Praktiken. MARCY. Ich höre immer Publikum. Wo ist denn das Publikum? Marcy schaut sich demonstrativ um. Fiske zeigt auf den Fernseher (direkt auf Sie, den Leser dieses Textes) BUD. Das ist unser Fernseher... Sie wissen schon wie sowas funktioniert, oder? Das Publikum sind die, die davor sitzen. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. FISKE. Natürlich Bud. Fernseher funktionieren so. Aber dieser hier ist anders. Er ist wie der Punkt der Punktspiegelung des amerikanischen Wohnzimmers. Wir sitzen hier auf einer Spiegelung, besser auf einem Zerrspiegelbild eines typisch amerikanischen Sofas... Alle schauen Fiske verwirrt an. Fiske versucht sich deutlicher auszudrücken.
14 FISKE. Dieser Apparat funktioniert wie ein Panoptikum, nur umgekehrt. Fiske schaut sich um. Die Gesichter der Anderen signalisieren Unverständnis. FISKE. Viele beobachten Wenige. Bei einem Panoptikum werden wiederum Viele von Wenigen beobachtet. Der Rest nickt gequält. Fiske greift nach der Fernbedienung und schaltet den Fernseher an. FISKE. Hier, seht selbst. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. Alle drehen ihre Köpfe zum Leser und sehen den Leser interessiert und etwas verwirrt an. Al zieht die Hand aus seiner Hose. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. MARCY. Die Bundys sind im Fernsehen? Das ist die unanständigste Familie, die ich kenne! Das ist doch kein Vorbild, das gehört nicht ins Fernsehen! Bud und Al schauen Marcy giftig an. Marcy lächelt: Das ist nicht persönlich gemeint. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. FISKE. Es ist auffällig wie häufig der Begriff Anstand verwendet wird, um klassenspezifischen Geschmack und Macht unter der Maske universeller, allgemein verbindlicher Werte zu verstecken. Bud linst wieder in Marcys Dekolletée und grinst blöd. MARCY. Klasse hin oder her, das ist doch nicht normal! Im Fernsehen sollte etwas... etwas Bedeutendes gesendet werden. Marcy schaut Bud an. Bud grinst ertappt. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. FISKE. Warum gehen Sie davon aus, dass das, was normal ist auch das Bedeutendste ist? Gerade die Extreme, das Seltene und Abweichende ist hoch bedeutend. Es zeigt zu was ein System fähig ist. Es zeigt wie dehnbar ein System ist. Systeme sind an ihren Rändern oft empfänglicher für Wandel oder Veränderung als in ihrem Kern. MARCY. Aber hier geht es um die Familie! Dieses System werden sie doch wohl kaum ändern wollen! Und genau deshalb brauchen Jugendliche die richtigen Vorbilder, sonst werden sie...
15 Marcy schaut Bud an, der wieder in ihr Dekolletée linst. AL. Bud, hilf deiner Mutter in der Küche! Bud lächelt und bleibt wo er war. STEVE. So schlimm ist das doch auch nicht Marcy, die Bundys sind doch unsere Nachbarn. Vielleicht können wir ihnen helfen sich gut zu vermarkten. T- Shirts, Kaffeetassen... AL. Peg, wo bleibt der Kaffee! CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. STEVE. Merchandise eben, den die Jugendlichen dann sicher kaufen! FISKE. Marcy, die Jugendlichen sind keine leeren Behälter, die durch das Zusehen automatisch Befriedigung erhalten und so automatisch negativ oder positiv geprägt werden. Genauso wenig entscheiden sie sich automatisch dadurch für den Kauf von bestimmten Produkten, Steve. Hier herrscht nicht das Prinzip von Ursache und Wirkung, sondern von Systemhaftigkeit. BUD. Ok, Meister Yoda, dieses Mysterium dann verständlicher erklären du musst. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. FISKE. Die Definition von Publikum hängt von der Art seiner Lokalisierung in der Sozialordnung ab. Es kann als ökonomisches Marktsegment, das durch seine Konsumpräferenz und Kaufkraft definiert ist, verortet werden... Fiske schaut zu Steve. FISKE. Oder in Abhängigkeit zu einer Werte vermittelnden Institution. Fiske schaut zu Marcy. FISKE. Oder im Prozess der Herausbildung des Gefühls und des Verständnisses der eigenen sozialen Identität, sowie sozialen Beziehungen mittels gelebter Erfahrung. Fiske sieht Bud an. STEVE. Jugendliche sollten ein Mitspracherecht haben, wenn es um ihre Identität geht, um ihre Beziehungen und das was sie tun. Und wenn jemand sie mit bestimmten Produkten dabei unterstützt dann um so besser, nicht?
16 FISKE (empört). Aus dieser Sicht ist der Konsum die Reproduktion des Kapitalismus und die Aufgabe der Medien ist es sicher zustellen, dass das Gesamte des sozialen Lebens, insbesondere im Bereich Freizeit, in einen riesigen Ort des Konsums verwandelt wird. STEVE. Ja, genial, nicht? MARCY (die Augen verdrehend). Ich gehe, Peggy mit dem Kaffee helfen. Marcy geht ab. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. STEVE. Mit ihren Forschungsergebnissen sollte es ein Klacks sein, eine absolut wasserdichte Zielgruppendefinition aufzustellen. Und dann klingelt die Kasse! Al freut sich. FISKE. Ich muss sie enttäuschen Steve. Eine Zielgruppe wäre eine soziale Kategorie. Man müsste genau feststellen können, wer zu ihren Mitgliedern gehört und wer nicht, um sie aufstellen zu können. Wir haben es bei unserem Publikum mit einer sozialen Formation zu tun. Diese bilden sich, in Übereinstimmung mit situativen Bedingungen, einfacher und lösen sich einfacher wieder auf. Sie kommen nur zusammen, um die Sendung zu sehen und haben sonst nicht unbedingt etwas gemeinsam. STEVE. Aber könnte man sie nicht als weiße Jugendliche aus der amerikanischen Mittelschicht definieren?! FISKE. Ja schon, aber darum geht es mir nicht. STEVE (Hände reibend). Aber mir! Marcy, wo bleibt der Kaffe?! CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. BUD. Ok, die versammeln sich also vor der Glotze, um uns zu bespannen, aber wo kommen die her? Ich meine die müssen doch schon vorher da gewesen sein? FISKE. Richtig Bud, das Publikum, Jugendliche, existierten bevor es eure Sendung gab. Sie hatten schon Vorlieben und Handlungen und konstituierten das soziale Ziel, auf das eure Sendung gerichtet ist. Die Sendung ist das Ergebnis dieser Zuschauerschaft.
17 BUD. Sagten Sie nicht, dass das Prinzip von Ursache und Wirkung hier nicht greift? FISKE. Richtig, indem ich die Sendung als Effekt des Publikums beschrieb, unternahm ich den Versuch, ein Argument in einer Auseinandersetzung zu gewinnen, und nicht den Versuch einer grundlegenden Definition. BUD. Na dann. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. STEVE. Schon gut Bud, ich wette Herr Fiske lässt sich hier alles so mühsam aus der Nase ziehen, damit er ganz allein daraus Kapital schlagen kann, der Fuchs. Steve zwinkert Al zu. Al lacht dumm. CHOR. Hahahahahahahahahahahaha. FISKE (empört). Die grundlegende Annahme aller kritischen Theorie ist, dass die Ungleichheiten des Kapitalismus verändert werden müssen und, dass es auf der Welt besser zugehen würde, wenn wir sie verändern könnten! AL (platzt dazwischen). Ok. Schluss mit dem schlauen Geschwätz! Wenn die nichts über meine Footballkariere wissen wollen, wieso schauen die sich uns überhaupt an? FISKE. Nun Al, die karnevaleske Umkehrung der heilen Familie, wie sie durch dich und deine Familie verkörpert wird... AL. Carnivor-was? Ständig sagen sie dieses Wort, wollen sie meine Familie beleidigen?! CHOR. Hahahahahahahahahahahahaha. FISKE. Aber nicht doch. Karnevalesk bedeutet, dass ihr das vorherrschende Gefüge umkehrt. Der Arbeiter wird erhöht und der Chef wird erniedrigt. AL. Ja, das klingt gut. FISKE. Jedenfalls erlaubt die Karnevaleske Anstößigkeit deiner Familie den Jugendlichen sich mit den altersspezifischen Machtstrukturen in der Beziehung zu ihren Eltern zu emanzipierenn. Sie können sich so eine soziale Identität und soziale Beziehungen erkämpfen, die ganz ihrer Kontrolle unterliegen.
18 AL. Acha. FISKE. Die Jugendlichen öffneten so eine Lücke im Machtgefälle, was an sich nicht konstruktiv ist. Die herrschende Klasse ist natürlich schnell dabei das zu kritisieren, fürchtet sie doch um ihre Machtposition. Aber womit die entstandene Lücke gefüllt werden soll, darüber macht sie sich keine Gedanken. AL. Ja und. FISKE. Gemeinsam können wir diese Lücke schließen! Die Machtlosigkeit der Jugendlichen aufgrund ihres niedrigen Alters wird helfen, dass sie sich mit deiner klassenbedingten Machtlosigkeit solidarisieren. Al, du kannst sie als Vorbild aus der Arbeiterklasse unter einem Banner vereinen. Al sieht verwirrt zu Steve und Bud CHOR. Hahahahahahahahahahahahaha. STEVE. Ich sagte doch an dem ist was faul. FISKE (singt). Nie wird, was wir tun vollkommen sein, nie absolut die Freiheit sein, denn wir wollen doch miteinander, nicht voneinader uns befreien, zur Arbeit, die uns reich macht alle und zum Genuss wird allgemein. Da mag denn fehlen mancher Wein, und mancher Trost für manches Leid, doch es wird Kommu... STEVE (mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Fiske zeigend). Kommi! Bud (mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Fiske zeigend). Kommi! Auftritt Peggy und Marcy. MARCY. Kaffee! AL. Peg, Knarre! CHOR. Hahahahahahahahahahahahaha.
Fünfte Szene
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Wir sehen das Haus der Bundys von außen. Die Tür springt auf und Fiske wird herausgeworfen. Die Tür schnappt wieder zu. Fiske klopft sich den Staub aus den Kleidern. FISKE (singt traurig). Doch es wird Kommunismus sein und seine Zeit, die unsere Zeit. Die Tür öffnet sich wieder. Hoffnungsvoll dreht sich Fiske zu ihr um. Er kann gerade noch der Tasse Kaffee ausweichen, die nach ihm geworfen wird. CHOR. Hahahahahahahahahahahahaha.
Universal-Bibliothek Fiskes „Wie ein Publikum entsteht“ neu interpretiert als eine Folge von „eine schrecklich nette Familie“. Beziehungsweise als kurzes Bühnenstück in fünf Szenen.