Johannes Groht
DIE ALSTER D a s We se n d e s F l usse s
Johannes Groht
DIE ALSTER Das Wesen des Flusses
Tropfenfotos von Ulrich Kurt Dierssen Mit Texten von Helmut Schreier und Vera Stadie
Dieser Band wird herausgegeben von Klaas Jarchow und Vera Stadie. Alle Landschaftsfotos stammen von Johannes Groht. Alle Tropfenfotos stammen von Ulrich Kurt Dierssen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Urheber unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 1. Auflage, September 2016 Copyright © 2016 Klaas Jarchow Media Buchverlag GmbH & Co. KG Simrockstraße 9a, 22587 Hamburg www.kjm-buchverlag.de ISBN 978-3-945465-24-0 Umschlag, Gestaltung und Satz: Johannes Groht, Hamburg Bildebarbeitung: litho-brecht.de, Hamburg Herstellung: Eberhard Delius, Berlin Druck & Bindung: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten Dieses Buch hat BUCHPATEN. Mehr dazu und zu den Büchern des KJM Buchverlags: www.hamburgparadies.de
Über dieses Buch
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ies ist ein Buch über einen Fluss. Über seine Geschichte, seine Landschaft, sein Wasser. Zwei Fotografen haben sich dafür zusammengetan – ein Landschaftsfotograf und ein Mikroskopie-Fotograf. Autoren haben ihr Wissen hinzugefügt. Der Fluss heißt erst Alstra (11. Jahrhundert) und dann Alster (15. Jahrhundert). Das Buch zeigt eine Wanderung von ihrer Quelle bis zu ihrer Mündung in die Elbe. An jedem Ort der Landschaftsaufnahme wurde dem Fluss Wasser entnommen, das unter dem Mikroskop fotografiert wurde. Landschaftsaufnahmen zu allen Jahreszeiten werden ergänzt durch die Bilder der Tropfen. Wir sehen die optische Relation der Fotografien. Mal scheint eine gemeinsame Struktur sichtbar zu werden, mal ein kolossaler Gegensatz. Mal ergänzen sie sich farblich oder kontrastieren. Ein ebenso monumentales wie detailliertes und feines Bild des Flusses ergibt sich. Überraschend und beruhigend. Das Buch folgt einem Fluss – von seinem ländlichen Ursprung bis in die große Stadt Hamburg. Es ist eine Reise in eine Landschaft und in eine Stadt. Vor allem aber ist es eine Reise zu einem Fluss. Eine Reise zu den Wassern. Von Alexander Lauterwasser stammt der Hinweis auf das Geheimnis aller Wasser – seine Nachbarschaft zum größten Geheimnis des Kosmos, dem Leben. Er hat uns auch auf dieses Zitat aus den „Vogelgesprächen“ des persischen Dichters Fariduddin Attar hingewiesen: „Wenn weder von Menschen noch vom Dschinn auch nur eine Spur übrigbliebe, müsste man immer noch über das Geheimnis des einen Wassertropfens nachdenken, aus dem alles gebildet worden ist.“ Der Wassertropfen, der aus der Quelle der Alster kommt – welchen Weg nimmt er? Und wo fließt er hin? Davon berichtet dieses Buch.
IN HA LT Im Labyrinth der Alster von Johannes Groht Wasser, Tropfen und die reine Freude von Ulrich Kurt Dierssen Das laute Flüstern der Jahrtausende – der Fluss Alster von Helmut Schreier BILDTEIL Fotografien von Johannes Groht und Ulrich Kurt Dierssen Lebensraum Alster von Vera Stadie Literatur Abbildungen, Ortsangaben zu den Fotografien Autoren
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Johannes Groht
IM LA BY R INT H DER A LS T ER
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ielleicht ist die „Verzweigungskarte“ der Alster, die hier links zu sehen ist, das Herzstück dieses Buches. Sie liefert keinerlei Informationen über Namen oder Orte. Sie folgt keinen geophysikalischen Kriterien, sondern zeigt alle mit der Alster verbundenen Gewässer zwischen Elbe und Trave – den Verlauf des Flusses bis in seine feinsten Verästelungen. Aller Informationen entkleidet, die eine Karte für uns normalerweise lesbar und nützlich machen, zeigt sie eine reine, abstrakte Form. Auf der ästhetischen Ebene ist sie ein direkter Ausdruck der Alster. Ein solches Bild fordert uns heraus, nach Mustern zu suchen. Eine naheliegende Analogie ist die des Baumes. Dem Baum begegnen wir in diesem Buch an vielen Stellen wieder, sowohl realistisch in den Landschaftsfotos als auch eher abstrakt in den mikroskopischen Strukturen einzelner Wassertropfen. Das Bild des Baumes scheint für ein universales Prinzip zu stehen, das die Welt auf ganz unterschiedlichen Ebenen, vom Größten bis zum Kleinsten, durchdringt. Dieses Bild leuchtet uns unmittelbar ein. Gibt es noch mehr solcher Bilder, Strukturen, Prinzipien, gibt es weitere Analogien zwischen den verschiedenen Ebenen der Wahrnehmung? Können wir auf diesem Wege mehr über das Wesen des Wassers und seinen Fluss erfahren? Um diese Fragen geht es in diesem Buch.
IN DE N A R M E N D E R A L S TE R Den größten Teil meines bisherigen Lebens habe ich im „Dunstkreis“ der Alster verbracht. Ohne, dass es mir bewusst geworden wäre, haben sie und ihre Zuflüsse meine Familie und mich immer umgeben und begleitet: in den Erzählungen meines Vaters von ausgedehnten Radtouren mit seinen Eltern in den Walddörfern, auf Sonntagsspaziergängen mit meinen Eltern und auf Sonntagsspaziergängen mit meinen Kindern in Rade.
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Helmut Schreier
DAS LAU T E FLÜ S T E R N DER JAHRTAU S ENDE – DER F LU S S A LS T E R
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ie Alster quillt bei Henstedt-Rhen unter einer kunstvoll verzierten Metallplatte aus einer Moorgrube. In der Mitte der Platte die Aufschrift „Quellgrund der Alster“, drumherum ein keltisch anmutendes Wogennetz. Die eisernen Linien umspülen das von einem fischschwänzigen weiblichen Wesen, Nymphe oder Nixe, gehaltene hamburgische Wappen. Eisendeckel und Quellwasser sind vom Halbkreis einer geschwungenen Feldsteinmauer mit Treppenabstieg umfasst: Eine Demonstration hamburger Zuständigkeit auf holsteinischem Territorium. Tatsächlich ist der gesamte Flusslauf der Alster von der Quelle bis zur Mündung – 56 Kilometer lang – seit 700 Jahren in hamburger Besitz. Die Mündung des Flusses bei der Graskellerschleuse in die Elbe ist mehrfach umgesetzt worden, seit die Stadt den oberen Lauf der Alster in den Jahren 1306 bis 1310 von holsteinischen Grafen erwarb, und die Quelle ist seither weit nach Westen gerutscht, von Sülfeld an der Alten Alster hinüber nach Henstedt. Dass die Alte Alster nahezu versiegt ist, hängt mit dem Austrocknen der Moore und mit der Entwaldung des Landes in ihrem Quellgebiet zusammen – über Jahrhunderte hin betriebene Maßnahmen, die beim Versuch, einen Kanal von der Alster über die Beste zur Trave bis nach Lübeck zu bauen, verstärkt betrieben und zum radikalen Abschluss gebracht wurden. Wie im 16. Jahrhundert die Alte Alster, die von Osten her kommend bei Stegen in die heutige von Westen kommende Alster einmündet, in das Kanalbau-Projekt einbezogen wurde, und weshalb die Moore, denen ihr Wasser entstammte, dabei völlig trockengelegt werden mussten, um den Kanal nutzen zu können – und weiter, wie dann im 17. Jahrhundert die Wasserfracht aus dem im Henstedter Moor entspringenden Bach in dem platten Gelände durch Umleiten anderer Bäche zum Ansteigen gebracht wurde, so dass der Name des Flüsschens Alster auf ihn überging, ist im Einzelnen aufs Schönste in Wilhelm Melhops Buch „Die Alster“ aus dem Jahre 1932 nachzulesen. Selten ist ein Buch derart gründlich recherchiert worden wie diese Ehrfurcht einflößende Studie mit ihren
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DIE QU E LLE und die ersten tausend Meter des nach Norden flieĂ&#x;enden Alsterbachs, bis er Richtung Osten in die Oberalsterniederung abknickt
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Ufertyp Gartenstadt: die Alster als begrünter Kanal
Ufertyp Parkstadt: die Alster als begrünter See
Ufertyp Boulevardstadt: die Alster als steinerner See Fleetstadt: die Alster fließt in steinernen Kanälen
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Vera Stadie
LEB ENS R AU M A LS T E R
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elches Wesen, welche Wesen hat die Alster heute, welche Qualität hat ihr Wasser? Ist sie noch natürlich? Oder ist das stark verzweigte System aus Kanälen, künstlich angelegten Seen, Teichen und Fleeten ein großes Freizeitgewässer? Wie lebt ein Fisch in der Großstadt? Wie wurde die Alster, was sie ist? Wie wird sie wieder „Lebendige Alster“?
FAU NA U ND FL ORA D E R A L S TE R – W IE E S E IN M A L WA R Wir tauchen ein in ein noch namenloses Fließgewässer, lassen uns in den Zeitläuften mehr als 1.000 Jahre zurücktreiben, gehen dem Quellbach auf den Grund. Er entsteht irgendwo im Labyrinth, durch die Vereinigung mehrerer Quellrinnsale, fließt mal drängend, sprudelnd, reißend, mal etwas langsamer, gebremst durch eine scharfe Kurve. Im Uferschatten unter einem umgestürzten Baum fast verborgen, hält ein Fisch seine Position. Ein paar rote Flecken auf der Seite und eine rot umrandete Flosse verraten die Bachforelle. Ihr Schwanz zeigt bachabwärts. Die Strömung treibt ihr kleine Fische, Krebstiere, Schnecken und Insektenlarven ins Maul. Insektenlarven und die anderen niederen Lebewesen der Fließgewässer sind Strömungsspezialisten, abgeflacht gebaut oder mit Saugnäpfen ausgerüstet, um ihre Position zu halten. Die Larven der Köcherfliegen bauen einen Kokon aus Pflanzenteilen oder Steinchen. Auch dieses Schutzgehäuse ist der Strömung angepasst und gibt den Insektenlarven Gewicht. In der sogenannten Forellenregion besiedelt die Tierwelt ein Lückensystem zwischen Kies und größeren Steinen. Forelleneier entwickeln sich hier, Fischlarven finden Schutz vor Fressfeinden, und Kleintiere ernähren sich von Bakterien und Algen, die darin wachsen können. So steht es im Buche, und so heißt es im Lied: Die Forelle braucht ihr „Bächlein helle“. Das vorbeiströmende Wasser treibt ihr die Nahrung ins
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also die Strömung wechselt, stagniert das Wasser in Bleichen- und Herrengrabenfleet. Sie sind durch das ständig verschlossene Baumwallsperrwerk von der Elbe abgetrennt. Hier kommt es schnell zur Verschlickung und zeitweise zur Sauerstoffarmut. Dann strebt die Qualität des Alsterwassers wie in alten Zeiten der Güteklasse „stark verschmutzt“ zu. Eine ganz andere Dynamik herrscht im Nikolaifleet, es ist zur Elbe hin geöffnet, unterliegt den Schwankungen von Ebbe und Flut, fällt zeitweise fast ganz trocken. Hier beträgt der Tidenhub mehrere Meter. Die Touristen wundern sich über die feuchten Spuren der Flut an den Fleetmauern und die Schlickfelder. Sie haben ein Süßwasserwatt vor sich, einen aus ökologischer Sicht exquisiten und ausbaufähigen Lebensraum. Für die Entwicklung einer lebendigen Alster als Wanderkorridor und Lebensraum für Mensch und Tier stellt die denkmalgeschützte Fleetstadt eine Herausforderung dar. Aus Sicht von Sabine Rabe sind die Fleete „eintönig und strukturarm“. Die Ideenstudie „Lebendige Alster in der Hamburger Fleetstadt“ soll dem Neuenwall-, Mönkedamm-, Alster-, Bleichen-, Herrengraben- und Nikolaifleet neues städtisches und ökologisches Leben einhauchen. In einem einmaligen Pilotprojekt wollen die im Projektbüro „Lebendige Alster“ zusammengeschlossenen Verbände BUND, NABU und Aktion Fischotterschutz als Träger, gefördert von der Stiftung Lebensraum Elbe und der Hamburger Umweltbehörde, „der Natur wieder mehr Raum geben, ohne dabei die Historie zu verleugnen“, erklärt Umweltsenator Kerstan. Um die innerstädtische Alster als ökologischen Lebensraum und nutzbaren Kulturraum aufzuwerten, sollen in den Fleeten Strukturen geschaffen werden, die trotz der „hoch urbanen“ Rahmenbedingungen die Anforderungen der ursprünglich hier beheimateten und vom Gewässer abhängigen Arten so weit wie möglich erfüllen. Wie das aussieht, kann man immer nur beim „Stapellauf“ sehen, denn viele der Maßnahmen geschehen unter Wasser, die futuristisch-nostalgischen Konstruktionen werden versenkt. Im Alster- und im Mönkedammfleet ruhen Strukturen aus Gliederketten, Reisigbündeln, Bällen aus Weide und Totholz, einem kiesgefüllten Netz. Hier finden Algen, das Phytobenthos und von ihnen lebende Kleinstorganismen neuen Lebensraum. Diese dienen wiederum Fischen als Nahrung. Die kiesgefüllten Netze sind ebenfalls Besiedlungsraum, sie stabilisieren den Sand. Sand wird von den Äckern, aus den Nebengewässern und mit den Straßenabwässern in den gesamten Alsterlauf eingebracht. Wenn keine Stillwasserzonen vorhanden sind, wo der Sand sich absetzen kann, treibt eine Unterwasserdüne über den Grund und legt sich wie ein Leichentuch übers Benthos, die Bodenlebewesen. Dazu gehört auch die seltene Malermuschel, die in der Hamburger Fleetstadt vereinzelt vorkommt. Die schmale, gelblichgrüne Muschel mit dunklen Längsstreifen gehört zur Familie der Flussmuscheln. Im Schlammgrund sieht man manchmal eine meterlange Furche, an deren Ende eine Flussmuschel sitzt. Sie kriecht so langsam, dass man es nur bei entsprechend geduldiger Beobachtung wahrnimmt. Ihr muskulöser Fuß streckt sich
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