ARTE, Magazine 01. 2022

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SCHWERPUNKT Winter of Mysteries

Das Riesending

Dokumentarfilm — Es ist eine Reise in eine Parallelwelt tief unter dem Fels: Fünf Forscher unternehmen eine der schwierigsten Höhlentouren der Welt. Sie sind auf der Suche nach dem Ende von Deutschlands größter Schachthöhle, mehrere Tagesreisen entfernt vom hochalpinen Eingang auf dem Untersberg-Plateau in Bayern. TV Samstag, 22.1. — 20.15 Uhr g

MEDIATHEK bis 21.4. verfügbar

Bis zum tiefsten Punkt

S

tellen Sie sich vor: Es ist stockdunkel, nicht die geringste Lichtquelle. Die Temperatur knapp über dem Gefrierpunkt. Irgendwo tropft es unablässig, aber nie ganz im Rhythmus; aus der Ferne ahnt man das Rauschen von Wasser. Es riecht nach kaltem Stein und nach Karbid mit einer Spur von Ammoniak. Ein Film von Feuchte umhüllt die Haut im Gesicht und wabert durch die schwarze Luft. Wenn Sie morgens aufwachen, dann gibt es keine Tageszeit. Und überhaupt gibt es keinen Tag und keine Nacht, und Ihr Gehirn erinnert sich, dass Sie ungefähr 1.000 Höhenmeter und zehn oder zwölf oder 20 Kilometer Wegstrecke vom Tageslicht entfernt sind. Willkommen im unwirtlichen, gespenstischen Milieu von Deutschlands längster, tiefster, spektakulärster Höhle, zu finden in den Berchtesgadener Alpen in Bayern. Sie wird „Riesending“ genannt, weil Hermann Sommer – der erste Forscher, der 1996 einen Blick in dieses Höhlensystem werfen konnte – als Ausruf der Begeisterung entfuhr: „Was ist das für ein Riesending!“ Aber wie groß die Riesending-Schachthöhle tatsächlich ist, das lässt sich auch zwei Jahrzehnte später noch immer nicht sagen. Und auch unsere Dokumentation, die ARTE im Januar zeigt, hat dem Berg längst nicht alle Geheimnisse entlocken können. Die Höhlenforscher Uli Meyer, Thomas Matthalm, Marcus Preißner, Florian Schwarz und Johann Westhauser haben mich und meine Filmcrew mit auf eine unheimliche Reise genommen, die nicht weniger fantastisch ist als jene, die sich Jules Verne vor mehr als 100 Jahren für seinen Roman „20.000 Meilen unter dem Meer“ ausgedacht hatte oder für seine „Reise zum Mittelpunkt der Erde“. Wir erlebten ein

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NATUR

Text FREDDIE RÖCKENHAUS

Gut 20 Jahre nach der Entdeckung der RiesendingSchachthöhle in den Berchtesgadener Alpen suchen Forscher deren Ende. Ein Begleiter berichtet – von einer faszinierenden, bizarren Abenteuerwelt.

ZUR PERSON

Freddie Röckenhaus, Filmemacher Der vielfach ausgezeichnete Journalist hat bereits mehr als 50 Dokumentationen für öffentlich-rechtliche Sender realisiert – darunter die Reihe „Russland von oben“ und den Dokumentarfilm „Unsere Wälder“.

»Es fällt schwer, nicht an die Unterwelt zu denken«

Abseilen und Kriechen und Schreiten und Klettern durch eine sagenhafte Welt – und dabei gelangen faszinierende, fremdartige, wunderschöne Aufnahmen. Wenn man zusieht, wie das Forscherteam in seinem bis in die Tiefe geschleppten aufblasbaren Gummiboot über den größten der unterirdischen Seen gleitet, dann fällt es schwer, nicht an Hades und Styx zu denken. An die unterirdische Schattenwelt jenseits des Grenzflusses zwischen Leben und Tod, in der sich die Angst der Menschen abbildet – vor der Dunkelheit, vor der Tiefe der Erde, vor dem Ende des Lebens. Und vor den Wesen, die die Unterwelt bewohnen. Im Untersberg in den Berchtesgadener Alpen,


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