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Bis bald

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Jede Biografie hat ihren eigenen Knacks, jeder Text sein eigenes Geheimnis. Ich glaube, dass an einem Ort wie dem Literatur Labor Wolfenbüttel viele Knackse und Geheimnisse zusammenkommen. Das muss so sein, wenn Leute in einem bestimmten Alter – oft zum allerersten Mal überhaupt – über ihr Schreiben und damit auch über sich selbst und ihren Blick auf die Welt sprechen und diskutieren. Alle ofenbaren sich ein Stück weit, ob beim Sprechen über Kommaregeln oder über das, was Kunst überhaupt in dieser Welt soll, und alle ofenbaren sich viel dringlicher und authentischer, als abgebrühte professionelle Schreibende das auch nur ein paar Jahre später jemals hinbekommen würden. Das Literatur Labor ist also eine Textwerkstatt und geht dabei ständig über das Arbeiten allein an Texten hinaus: An diesem Ort geht es um Werte, geht es um Brüche, geht es um Lebensaufassungen, geht es um das, was man Ästhetik nennt.

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Ach, verdammt.

Jetzt habe ich das alles im Präsens geschrieben, als ginge es gegenwärtig und auch in Zukunft immer weiter um Ästhetik dort in Wolfenbüttel. Dabei besteht nun einmal eine traurige Besonderheit dieser Textsammlung hier darin, dass sie auch eine Abschiedssammlung ist. Als jemand, der vor vielen Jahren selbst an ersten Textwerkstätten für Sechzehn- bis Einundzwanzigjährige teilgenommen hat, fällt es mir schwer, die klafende Lücke auch nur zu beschreiben, die das Einstellen einer über zwanzig Jahre hinweg so wesentlichen Institution wie des Literatur Labors Wolfenbüttel bedeutet. Alle, die sich auch nur einen Hauch für junge Literatur interessieren, kennen das Literatur Labor. Und sie alle wissen, dass es nicht viele solche Formate für junge Literatur gibt, denn die nach außen hin einfach zu kommunizierenden, prestigeträchtigen Stipendien und Preise beginnen nun einmal erst in den Regionen der Auszeichnungen für veröfentlichte Debüts.

Mit dem Literatur Labor verschwindet also einer der wenigen Orte von der Karte der Literaturförderung, an dem dezidiert nicht einfach nur promotet und performt wurde, nach außen wie nach innen. Hier wurde sich stattdessen immens viel Zeit genommen, ganz für sich an Texten zu arbeiten, ob die Welt das nun beachtete oder nicht. Für mich als Lektor in einem Verlag war das auch eine Erfahrung von Großzügigkeit: Endlich einmal wieder ein Ort, an dem nicht fortwährend der Daumen gehoben oder gesenkt wird über Texte. Sondern einer, an dem alles ernstgenommen wird. Seine

schönste Verkörperung fand dieses wechselseitige Ernstnehmen an jenem verzauberten Regensommer-Abend unseres Wochenendes, an dem wir alle gemeinsam durch Wolfenbüttel spazierten und nach und nach alle Schreibenden des Jahrgangs unter Bäumen, vor Schaufenstern, auf Treppenstufen Texte heraussuchten und sie vorlasen. Das Vorgelesene wurde von uns anderen respektiert, und es wurde auch voller Vertrauen auf dieses Respektiert-Werden vorgelesen. Und Vertrauen, das wissen wir alle, ist nun einmal etwas sehr Prekäres, sehr schwer Herzustellendes, sehr Kostbares.

Was wird aus dem Vertrauen werden? Was aus all den Ideen von Ästhetik, die in Wolfenbüttel zusammenkamen? Was aus uns allen, die wir da ein paar Tage lang miteinander über Texte und viel mehr redeten und uns dabei ein Stück weit ofenbarten? Ich finde: Es ist immer auch sehr gut, wenn nichts wirklich herauskommt. Der Textordner auf dem Desktop wird irgendwann seltener angeklickt, irgendwann schreibt man irgendetwas ganz anderes, irgendwann vielleicht für lange Zeit gar nicht mehr … oder man schreibt in eine ganz andere Richtung, vergisst jedes Komma, für das man in Wolfenbüttel noch erbittert gestritten und argumentiert hatte. All das sind keine Niederlagen, im Gegenteil. Man sollte ja vielmehr in einer Welt leben wollen, in der nicht alles auf Niederlagen oder Siege, auf Efzienz und Vermarktbarkeit geprüft wird und in der stattdessen möglichst viele Dinge ausprobiert werden können, aus denen ebenso wunderbare Bücher hervorgehen können wie wunderbare Episoden im Leben. Vielleicht hat das Literatur Labor genau in diesem Sinn für manche manches verändert und hat ihnen dann vor allem gezeigt, wie viel möglich ist beim Nachdenken über Ästhetik. Das denke ich auch, weil ich gehört habe, wie liebevoll und innig die langjährigen Profis des Literatur Labors Friederike Kohn, Kathrin Lange und Cornelius Hartz über die Teilnehmenden all der Jahre und ihre Texte sprachen, wie enthusiastisch und intensiv Olaf Kutzmutz von der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel sich einsetzte, wie inhaltlich und engagiert Gesa Schönermark von der Stiftung Niedersachsen mitdiskutierte.

Das war ein guter Ort.

Wir nehmen ihn einfach alle mit, mit allen Knacksen und Fragestellungen und allem erfahrenen Vertrauen. Alles Gute, bis bald, bei vielen kommenden Gelegenheiten!

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