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Wunderkind (Auszug

Wunderkind (Auszug)

Ich sitze auf meinem Stuhl, die Hände kneten nervös den zerzausten roten Polsterstof. Meine Füße stoßen gegen dunkles, poliertes Holz. »Zehn Minuten.«

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Mein Cello schläft noch neben mir, es ist ganz ruhig, erhebt sich auf der Seite liegend fast wie eine menschliche Silhouette.

Wie gerne hätte ich es berührt. Einmal über den hölzernen Rahmen gestrichen, die Fugen entlang, wie ich es als Kind gemacht habe.

Aber ich weiß nur zu gut, was passieren wird, in der Sekunde, in der meine Finger sich um den Hals schließen. Mir wird schwindelig werden, etwas Kaltes, Glattes wird sich auf meine Kehle legen, und dann werde ich die Stimme hören. »Pass bloß auf, dass du den Stuhl nicht zerfetzt. Der kostet dich dein halbes Honorar.«

Oh nein. Bitte nicht. Nicht so früh. »Warum blinzelst du so?«

Jetzt erst merke ich, dass es hinter meiner Stirn still ist und ich die spöttische Stimme meines jungen Kollegen gehört habe. »Hatte ich nicht vor.« Ich springe auf und glätte meinen Rock. »Würdest du bitte hinter die Bühne gehen? In drei Minuten ist Einlass, aber wenn du noch Zeit brauchst …«

Als ich aufstehe, macht er einen respektvollen Schritt zurück. Hinter der Bühne wird mir sogar die Tür aufgehalten.

Ich hoffe, du weißt das zu schätzen, flüstere ich lautlos.

Keine Antwort.

Bis ich wieder auf meinem Stuhl auf der Bühne sitze und darauf warte, dass es im Zuschauerraum dunkel wird.

Die Lichter verändern sich. Sie werden tiefer, goldener, die Bühnenbeleuchtung wird aufgefahren. Die Staubpartikel, die in den Scheinwerferstrahlen schweben, tanzen in Bahnen in meine Richtung, steigen meine Lunge empor, das Licht breitet sich aus in meinen Kopf, und mir wird schwindelig.

Naaa, hast du mich vermisst?

Ich zucke zusammen. Geh weg!

Wie wäre es mit ein bisschen Dankbarkeit?

Halt die Klappe.

Schließlich darfst du dich zwei Stunden lang ausruhen, während ich die Arbeit für dich erledige.

Die würde ich liebend gerne selber …

43

Haha! Das Wunderkind gibt ein Glucksen von sich. So ist es immer, irgendwo zwischen Weisheit und kindlicher Freude, besonders gerne Schadenfreude, besonders gerne mir gegenüber. Vor Publikum? Das will ich sehen. Du könntest nichts mehr, glaub mir. Du könntest nicht einmal mehr deinen Bogen richtig halten.

Ich sträube mich gegen das unsichtbare Gewicht, das meine Kehle zudrückt, bis ich weder schlucken noch sprechen kann. Ich kämpfe gegen die Starre an, die sich um meine Glieder gelegt hat, aber das Wunderkind lacht nur. Eine Bewegung. Viel zu elegant und anmutig. Dann noch eine. Das Wunderkind legt den Bogen an die Saiten.

Sei jetzt ruhig und hör mir zu.

Nicht einmal das kann ich noch. Früher konnte ich es, da war ich begeistert von der ganzen Sache, aber inzwischen schwebe ich nur noch irgendwo zwischen den flackernden Konzertlichtern und den Melodieschwaden, die sich am Rand des Saales in Rauch auflösen, und dämmere dem Ende der Qual entgegen. Frage mich, ob ich das Wunderkind loswerden könnte, mich selbst zum Aufhören zwingen, mir meine Finger brechen, wenn da nicht dieser heimliche Wunsch wäre, nach mehr Auftritten, nach mehr Erfolg. Und die Angst, alleine zu versagen.

Als der Applaus losbricht, weiß ich, dass die anderen wieder nichts gemerkt haben.

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