21014_Finale_RZ.qxp_Layout 1 26.08.21 17:25 Seite 70
Farukh Sauerwein
Zehn Minuten Grusel Die Attentention fand im vergangenen Dezember bereits zum sechzehnten Mal statt, diesmal in Bremen. Unser Reporter Max von Holtern durfte den Attender Ahmad an seinem letzten Tag begleiten und hat dabei einiges über die Faszination der umstrittenen Veranstaltung gelernt.
70 71
Der große Tag im Leben von Dustin Noemo beginnt um acht Uhr morgens in einem Hotelzimmer in der Bremer Bahnhofsvorstadt. Draußen ist es noch dunkel. Die Arbeiter auf der Baustelle gegenüber werfen die ersten Baumaschinen an. Als der Wecker klingelt, ist Noemo schon fertig angezogen und prüft vor dem Badezimmerspiegel die Symmetrie seiner Augenbrauen. Er hat kaum geschlafen. Auf die Frage, ob er aufgeregt sei, schüttelt er den Kopf: »Nur konzentriert. Maximal konzentriert. Ich will niemanden enttäuschen. Mich am allerwenigsten.« Er klingt wie ein Boxer, der gleich für einen entscheidenden Kampf den Ring besteigen wird, siegesgewiss. Doch wenn alles nach Plan läuft, dann wird er seinen Erfolg heute Nacht nicht mehr selbst feiern können. Noemo holt das Handy aus der Tasche seines Trainingsanzugs und überprüft die Uhrzeit. »Wir müssen los, Ronald wartet unten.« Im Frühstücksraum sitzt ein etwa sechzigjähriger Mann mit Bauchansatz allein an einem Vierertisch und löffelt ein hartgekochtes Ei aus der Schale. Die wenigen anderen Gäste – Geschäftsreisende oder Wochenendtouristen – werden ihn höchstens als einen etwas verschrobenen Gesinnungsgenossen wahrgenommen haben, aber mit Sicherheit nicht als Ronald Glanz, Deutschlands derzeit bedeutendsten Aktionskünstler, über dessen makabere Attentention-Happenings in der Republik ein Dauerstreit entbrannt ist. Man kennt sein Gesicht aus keiner Talkshow. Mit Karohemd und lichtem weißem Haar wirkt er so bescheiden wie ein Ruheständler, der nebenher in der Süddeutschen blättert, um sich politisch up to date zu halten. Noemo begrüßt Glanz mit einer herzlichen Umarmung, als würden Opa und Enkel heute gemeinsam ins Museum gehen. »Gut siehst du aus«, sagt Glanz. Noemo schaut verlegen zu Boden. Er bedient sich am Frühstücksbuffet. »Unsere Attender werden immer professioneller. Dustin ist bewusst, welche Macht die Aufmerksamkeit mit sich bringt. Er spielt eine Rolle, Ahmad, die Rolle seines Lebens gewissermaßen.« Bei den ersten Happenings ging es den Attendern nur um die Bilder, um den kurzen, lauten Effekt. Das hat Glanz und seinen Mitstreitern