J'N'C Magazine 1/2014

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JEANSWEAR And CONTEMPORARY FASHION

Deutsch

No 55 / 1-2014

No 55 / 1-2014

Cool CIties / Florenz

Cool Cities FLorenz Street Styles Retail Talks ANd Service

Im iNterview: Christopher RÆburn, Henrik Vibskov, Andy Rogers, Andreas

Deutsch

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Baumgärtner, Linda Loppa

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Was bleibt, ist der Wandel Uns, die wir in der Modebranche arbeiten, verbindet eines:

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von Victorinox zuständig ist. J’N’C-Autorin Fredericke Winkler sprach mit dem Briten über sein erstes Schweizer Messer, die Kollektion ‚Rescue‘ und Recycling als Verkaufsargument. Last, not least kommen gute Nachrichten auch aus deutschen Landen: Marc O’Polo hat mit ‚Pure’ eine wunderbare Linie ins Leben gerufen, die COO Andreas Baumgärtner und seine Mitstreiter mit Begeisterung in Stephanskirchen präsentierten. Und wie passt Neu zu Alt (wie gesagt: wir lieben Klassiker)? Sehr gut, das wissen wir nicht erst, seit wir Vintage mit Avantgarde-Mode und den neuesten Street Styles mixen. Ein Beispiel für die gelungene Verbindung von beidem ist Florenz. Jahrhundertealte Traditionen, insbesondere in Gestalt der Ledergerber und Tuchweber, bilden

Ilona Marx Wir von J’N’C haben viele Neuigkeiten auf Lager. Was genau? Am besten, Sie besuchen uns an unserem Stand auf der Bread & Butter!

Pünktlich zum Start der Berlin Fashion Week servieren auch wir vom J’N’C-Team Ihnen einige News aus dem Modekosmos. & Butter und Panorama sein, die im Sommer ihre Pforten erstmalig für den Endverbraucher öffnen. Doch pünktlich zum Start der Berlin Fashion Week servieren auch wir vom J’N’C-Team Ihnen einige News aus dem Modekosmos – beispielsweise aus London, wo unser Großbritannien-Korrespondent Oliver Horton den neuen Brand Director von Fred Perry, Andy Rogers, traf und mit ihm über Markenvisibilität, die Langzeitbeziehung zu Raf Simons und den Spagat zwischen Sport und Subkultur plauderte. Ein neues Headquarter durften wir in Kopenhagen bestaunen, wo uns der multitalentierte Henrik Vibskov Rede und Antwort stand. Er, der nimmermüde kreative Kopf des gleichnamigen dänischen Labels, ist gerade dabei, in den jüngst bezogenen neuen Räumlichkeiten des Unternehmens im Hafen ein öffentliches Café zu eröffnen, und so durften wir als erste Gäste im frisch gestrichenen Schankraum Platz nehmen. Interessantes hat auch Christopher Ræburn zu vermelden, der seit vergangenem Jahr nicht mehr nur für diverse Capsule-Kollektionen, sondern als Artistic Director für die gesamte Bekleidungslinie

noch immer das Fundament für eine florierende Modeszene – die nicht zuletzt durch den halbjährlich stattfindenden Pitti Uomo lebendig bleibt. Und dass hier neben den Platzhirschen Ferragamo, Gucci, Luisaviaroma und Gerard manch anderes unkonventionelles Shopkonzept zu entdecken ist, beweist unser ‚Cool Cities‘-Special ab Seite 42. Einen schönen Kontrast bilden auch die Stimmen, die wir in Florenz einfangen konnten. Zu Wort kommen Daniele Davitti, der jüngste Professor Italiens, Filippo Fanini, der gerade ein High-End-Fashionlabel gelauncht hat, und Linda Loppa, allseits bekannt als Reformkraft im Bildungswesen, die nach Antwerpen jetzt die florentinische Polimoda mit frischen Ideen versorgt. Inspiration also in rauen Mengen, mit der wir einmal mehr hoffen, Ihre Neugier zu wecken! Ilona Marx

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n Ja

Das schmeckt uns bisweilen so gar nicht. Denn manches eben erst Liebgewonnene ist schon wieder passé, kaum hat man sich daran gewöhnt. (Dass einige Brands ihre Klassiker saisonübergreifend anbieten, kommt uns vor diesem Hintergrund sehr entgegen.) Doch da ist auch ein gegenläufiger Impuls – und der scheint uns Fashionistas weitaus mehr zu beherrschen: Wir lieben das Neue, warten mit Spannung auf die aktuellen Farben und Kollektionen, suchen stets nach dem angesagten Look der Saison! Langeweile? Ein Gefühl aus dem letzten Jahrtausend, das spätestens mit dem Siegeszug der Smartphones aus allen Lebensbereichen verdrängt wurde. Topthema der kommenden Tage wird sicherlich das zu erwartende Besucheraufkommen der Bread

16

.

Ständige Erneuerung ist unser täglich Brot.

19


Inhalt

Überblick

Inhalt

Linda Loppa

62

Street People

44

Andy Rogers, Fred Perry

Christopher Ræburn, Victorinox

80

Henrik Vibskov

72

42

Cool Cities Florenz

68

Marc O’Polo Pure

76

Acne

98

The Masterpieces

31

106

55 — 01/2014

Fashion Shootings

Hostem 20

92

Glosse

24

Fashion Shootings

106

Schiesser

84

Irving Schott (1891-1990), invented the legendary PERFECTO biker jacket in 1928. It was named after his favorite cigar. His American outerwear designs and craftsmanship, which had been his main passion throughout his long life, have had a big influence on worldwide fashion designers, rebels and rockstars for many decades and continue to be influential today. Handmade in USA. www.schott-bros.com

The Schott Family, wearing and smoking the Perfecto, gathered at the front of the Lehigh Ave factory in ca. 1989. (Left to right) Irving Schott, Roz Schott, Mel Schott (with an early Harley Davidson FXS model), Steve Colin and Milton Perlman. Photo by Diane Rubinger.


ICH BIN EIN BERLINER.

Inhalt

Überblick

Inhalt Editorial Inhalt Impressum Glosse / Contributors Bits & Pieces

19 20 22 24 26

The Masterpieces

31

Cool Cities Florenz

42

Street Styles Retail Service Talks – Linda Loppa Talks – Filippo Fanini Talks – Daniele Davitti

44 46 58 62 64 66

—JAY READ, Birmingham

Retail & Architecture Hostem, London

James Feels Good

92

THe Armoury, Hongkong

Edler Zwirn am Perlfluss

94

Wald, Berlin

Die Wald-Meisterinnen

96

Acne, Tommy Hilfiger, Karl Lagerfeld, Urban Outfitters

Short cuts

Brands & Brains

98

Feature Umdasch

Space for People

Fred Perry Interview Andy Rogers

102

Feature Visplay

Friend of Fred

68

Invisible Design

72

Fashion Shootings

Henrik Vibskov Interview Henrik Vibskov

Vibskovs Vision Marc O’Polo Interview ANdreas Baumgärtner

104

John Brömstrup

„Erfolg ist die Beste Motivation“

76

On The Road

106

Muriel Liebmann

Victorinox Interview Chritopher RÆburn

(s)he Likes ...

Ans Messer Geliefert

80

Feature Schiesser

Der Zukunft an die Wäsche

114

Heiko Laschitzki

Chalkidiki

120

Where To Find Us

128

84

Feature Anvil

People, Planet, Profit

86

Feature Kingpins Show Interview Andrew Olah

Blaues Blut

88

Zehn Fragen an

90

Einzelhändler in Berlin

QS by S.Oliver Interview Michael Petersen & Guido Johnen

Leben im Hier und Jetzt

Herausgeber B+B MEDIA COMPANY GmbH Hildebrandtstr. 24 d 40215 Düsseldorf Telefon +49 (0)211 8303 0 Telefax +49 (0)211 8303 200 info@jnc-net.de, www.jnc-net.de Geschäftsführer André Weijde

55 — 01/2014

Verlagsleitung Rainer Schlatmann, Kathrin Wimber Chefredaktion Ilona Marx /im Associate Publisher Pierre D’Aveta

FREIE MITARBEIT Gerlind Hector /gh, Oliver Horton, Cheryll Mühlen ­/cm, ­Fredericke Winkler /fw Fotografie John Brömstrup, Heiko Laschitzki, Muriel Liebmann, Sorin Morar, Bernd Wichmann, Andi Zimmermann Illustration Mathias Suess Übersetzung Paula Hedley, Galina Green Grafische Gestaltung Martin Steinigen, chewing the sun, www.chewingthesun.com Bildbearbeitung Jean Pascal Zahn

22

Andreas Murkudis

tEXTCHEFIN Eva Westhoff Leiter Produktion Stefan Mugrauer Druck Kössinger Druck, Schierling Anzeigen Pierre D’Aveta Telefon +49 (0)211 8303 151 p.daveta@bb-mediacompany.com Einzelpreis Deutschland 9,50 Euro A, NL, B 10,50 Euro; E, P, I 11,50 Euro Schweiz 15.80 CHF

130

Bankverbindung BTV Bank für Tirol u. Vorarlberg AG Kto: 772898000, BLZ: 72012300 Datenschutzhinweis Falls unter der angegebenen Anschrift eine Zustellung nicht möglich ist, ist die Deutsche Bundespost berechtigt, die richtige Anschrift an den Verlag weiterzugeben. Der Abonnent kann gegen diese Regelung Widerspruch einlegen. Für unverlangte Manuskripte, Fotos, etc. wird keine Haftung übernommen. Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Erfüllungsort und Gerichtsstand ist in jedem Fall Düsseldorf.

BREADANDBUTTER.COM BREAD & BUTTER. 14—16 JANUARY 2014 AIRPORT BERLIN-TEMPELHOF


Glosse

TEXT Gerlind Hector Illustration Mathias Suess

Some of our

Contributors

Muriel Liebmann Die kleine Schwester war Muriels bevorzugtes Modell, als sie mit 15 Jahren ihre erste Kamera geschenkt bekam. Seitdem kann sie nicht mehr anders: Ständig auf der Suche nach Locations, Trends und Inspirationen ist sie am liebsten unterwegs und tourt rund um den Erdball. Genau wie der von ihr bewunderte Kollege Tim Walker, der große Geschichtenerzähler der Modefotografie, liebt auch die Hamburgerin das Hintergründige. Für uns hat sie Men’s Fashion an weiblichen Models fotografiert. Das Ergebnis ist gerade durch die Prise Androgynität ultraelegant und echt feminin.

Glosse

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Hits für Kids

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Stella McCartney verriet jüngst in der ‚Vogue‘, dass sie sich als verhinderte Musikerin fühlt. Dieser Berufswunsch sei nun fürs nächste Leben fest in Planung, denn dann werde sie mit Sicherheit nicht mehr McCartney heißen. Natürlich ist klar, worauf sie anspielt: Als Promi-Kind hat man’s schwerer als mancher meint, und mit der freien Entfaltung ist das so eine Sache. Jetzt lassen wir mal all die güldenen Löffel, coolen Kontakte und devoten Türöffner beiseite, die so ein Star-Kid mit auf den Weg bekommt – schlussendlich machen die wenigsten was draus. Im Gegenteil! Der Sohn von Michael Douglas sitzt wegen Drogendealens im Knast, der Spross von Ryan O’Neal und Farrah Fawcett ebenfalls. Und auch Alain Delons Jüngster sorgte schon für Negativschlagzeilen, als seine Party für eine geladene 16-Jährige mit einem Bauchschuss endete. Meine Güte! Hätten die sich nicht alle irgendeine vernünftige Aufgabe suchen können? Na gut, das ist natürlich relativ. Noah Becker, der Sohn vom Bobbele, penetriert uns mit seiner grauenhaften T-Shirt-Kollektion namens ‚Fancy Clothing‘. Aber immerhin: Er verletzt niemanden körperlich! Überhaupt scheint die kunterbunte Welt der Mode das ideale Terrain, wenn sich die Promi-Brut einmal austoben möchte. Da kann man nicht so viel kaputtmachen, und Leute mit schlechtem Geschmack, die einem jeden Scheiß abkaufen, wenn der passende Name drin-

steht, gibt’s immer. Auch Madonnas Tochter Lourdes macht ja in Fashion. Der flotte Teenager will angeblich total unabhängig sein und nannte sein Label prompt ‚Material Girl‘. Wie hieß noch mal die Sängerin, die einen Hit gleichen Namens … ach, egal! Glaubwürdigkeit ist jedenfalls was anderes. Wir sind auf alle Fälle schon ganz gespannt, wann Suri Cruise oder Harper Beckham endlich ihre längst überfälligen Kollektionen auf den Markt werfen. Das wird bestimmt total crazy und irre kreativ. Schließlich wurden uns die beiden bereits im Säuglingsalter als absolute Stilikonen präsentiert. Stets grübelnd in ihrem bekrabbelbaren Kleiderschrank, so haben wir sie uns vorgestellt und imaginiert, wie sie den passenden Schnulli zu den neuen Baby-Dior-Schühchen ausgewählt haben. Höchstpersönlich, versteht sich. Dieser Illusion wollen wir bitte schön nicht beraubt werden. Dem wahren Mode-Kenner mag das alles ganz fürchterlich auf den Keks gehen. Aber, hey, wir müssen’s ja nicht kaufen oder in unseren Fashion-Blogs darüber berichten – oder? Und die Stella soll sich mal nicht so haben. Genug genörgelt! Offensichtlich gehört sie zu den wenigen Promi-Blagen in der Modebranche, die wirklich so etwas wie Talent besitzen. Wenn sie zusätzlich noch ein wenig Tambourin oder Triangel spielen kann, umso besser. Damit darf sie uns dann gern in unserem nächsten Leben beglücken.

John Brömstrup John kann kochen – und zwar mit Leidenschaft, weniger mit Geduld! Aktuell versucht er sich am perfekten Apfelkuchen à la Oma, und Vorkoster darf sein kleiner Sohn sein, dem er ansonsten gern typisch männliche Disziplinen mit auf den Weg gibt. Die da wären Fußball, Fußball und, ah ja, Fußball. Ehrensache für den eingefleischten St.-Pauli-Fan. Wenn er nicht gerade in einem Kreuzberger Club die Plattenteller heißlaufen lässt, greift John am liebsten zur Kamera. Inspiration bezieht er nicht zuletzt aus dem Berliner Alltagsleben, aber auch von Künstlerkollegen.

I N T E R N A T I O N A L FA S H I O N T R A D E S H O W F a l l— W i n t e r 2 0 14 / 15

Ja n ua ry Mathias Suess Siegfried wäre vor Neid erblasst: Denn Jagen, Reiten und Drachentöten hält ­Mathias Suess für ein paar seiner leichtesten Übungen. Anders als der NibelungenHeld beherrscht der smarte Illustrator nämlich außerdem noch die Kunst des Bleistiftschwingens. Wunderschön hat er erst jüngst das ‚Fischfinder‘-Buch bebildert, das dem unwissenden Angler hilft, Plötze von Piranha zu unterscheiden. Dass der Bayreuther Naturbursche neben Grob- und Feinmotorik auch jede Menge Humor besitzt, beweist er in der vorliegenden J’N’C-Ausgabe einmal mehr: In Szene gesetzt hat er diesmal die Glosse ‚Hits für Kids‘.

S T A T I O N – B E R L I N w w w . p r e m i u m e x h i b i t i o n s . c o m

14 —16


24 Høur Life

K.O.I:

HundertMal Blau

Indigo in all seinen Facetten – hundert, um genau zu sein. Das ist die Inspiration der A/W-2014/15-Kollektion von Kings of Indigo. Frei nach dem Motto ‚Blau ist das neue Blau‘ experimentieren die Macher des Amsterdamer Denimlabels sowohl mit verschiedensten Waschungen als auch mit Mustern und grafischen Elementen. Zum Einsatz kommen Techniken wie der traditionelle chinesische Woodblock-Print. Geometrische Drucke, Punkte und grafische Strickereien tun ihr Übriges, damit der K.O.I’sche Herbst ein durch und durch blauer wird. Eine weitere Grundlage für die Kleidungsstücke der nächsten Ära: strukturierte Stoffe. /cm www.kingsofindigo.com

Mavi:

Wild Winter

Grunge, Punk und Rock lautet das Gebot der Stunde. Und so ist es nur konsequent, dass auch Mavi dem rebellischen Spirit verhaftet bleibt. Zu A/W 2014/15 setzt das türkische Jeanslabel bei den Frauen auf DestroyedDetails und beschichtete Materialien sowie jede Menge Acid-Waschungen, Oil Dyes und Lederapplikationen. Etwas rougher geht’s auch bei den Männern zu, wo Vintage-washed-Denims in schmaler Silhouette die Vergangenheit in die Gegenwart holen. Was wilde Jungs dank Mavi ebenfalls nicht entbehren müssen: die Bomberjacke. /cm

Smarte Denims

Alberto:

www.drmartens.com

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Dr. Martens:

26

Crocodile Rock

bench24hourlife.com

Jeder Schritt mit einem Dr.-Martens-Schuh ist auch ein Schritt der Rebellion. Mag sie mit der Zeit auch hier und da ein wenig an Radikalität eingebüßt haben, so bleibt der Stolz der britischen Arbeiterklasse und die Anti-Establishment-Haltung doch weiterhin ihr Fundament. Das schlägt sich auch in der A/W-14/15-Kollektion nieder. Im Fokus steht das Basic-Modell von Dr. Martens, allerdings in neuem Gewand, genauer: in Kroko-LederOptik. Heritage goes Zeitgeist. /cm

Hosenspezialist Alberto schlägt zur A/W-2014/15-Saison ein neues Kapitel in der Denimgeschichte auf. Nur einer von vielen Protagonisten: der Real-worn-Denim, der mit Tintings und per Sandpapier handgearbeiteten Destroyed-Elementen daherkommt. Doch auch edle Materialien wie pure Baumwolle, luxuriöses Kaschmir oder die hochwertige T400-Elastikfaser spielen bei den Jeans eine gewichtige Rolle. Keypiece der Kollektion ist allerdings eindeutig die extraleichte ‚Sky‘-Lederhose im Grunge-Look, wobei sich auch die Winter-Denims des Mönchengladbacher Hosenherstellers nicht zu verstecken brauchen: Mit wärmeregulierenden Powder-TouchQualitäten bieten sie Schutz vor kalter Winterluft und punkten außerdem mit Oldschool-Skifahrer-Illustrationen auf der Innenseite und dem Taschenfutter. /cm

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Multipurpøse City Cløthing

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Bits & Pieces

Bits & Pieces


Bits & Pieces

Lee:

Dockers:

Sustainable solutions

Mode ist leider oft schnelllebig. Eine alternative These zur allgegenwärtigen Fast Fashion formuliert jetzt das kalifornische Label Dockers. Für die Pilotkollektion der ‚Wellthread‘-Linie, die zu A/W 2014/15 in die Läden kommt, wurden der Erfahrungsschatz und das Archivmaterial des Mutter-Unternehmens Levi’s herangezogen, um Hosen, Jacken und T-Shirts langlebiger zu gestalten. Nachhaltiges Design geht dabei Hand in Hand mit einer besonders robusten Verarbeitung. So wurden zum Beispiel neuralgische Punkte wie Hosenbund, Taschen und Knopflöcher verstärkt. Doch das ist selbstredend noch nicht alles: Auch Dockers weiß, dass Nachhaltigkeit beim Wasser- und Energieverbrauch beginnt und beim bestmöglichen Recycling noch lange nicht endet. Verbessern will man zukünftig auch die Standards bezüglich Arbeit und Sicherheit, um dem Namen ,Wellthread‘ vollends gerecht zu werden. /cm

Happy Birthday!

Na, das ist doch mal ein Grund zum Feiern! Das Gründungsdatum von Lee jährt sich 2014 zum 125. Mal. Und da man beim US-amerikanischen Denimbrand bekanntlich stolz auf sein Erbe ist – und das absolut zu Recht –, hält man zu diesem Anlass für die Mens- und Womenswear der A/W-2014/15-Saison ikonische Styles, Specials und aufregende Kollaborationen bereit. Seinen ersten Jeans­ overall kreierte Unternehmensgründer Henry David Lee 1911 in Kansas. Noch Jahrzehnte später wurde dieser von Hollywood-Legenden wie James Dean oder Marilyn Monroe getragen. Heute sind einige Lee-Teile selbst zu Legenden geworden. So wie die Worker Jacket, das Western Shirt, der berühmte Bib Overall oder die 5-PocketDenim. /cm www.lee.com

www.dockers.com

Feel the ‚Blues‘

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Liu Jo:

Alles, was blau ist, die Zweite: In der Pre-Collection A/W 2014/15 der italienischen Marke Liu Jo regieren sämtliche Nuancen der Sehnsuchtsfarbe: von Royal- und Kobaltblau bis hin zu sanfteren Tönen. Erweitert wird das farbliche Spektrum durch dunkles Kaffeebraun, frisches Hellgrün oder Alabaster. Blumenbouquets – ob geometrisch oder leicht verpixelt – schmücken Blusen und Co. und sorgen für Frühlingsgefühle mitten im Herbst. Dazu kombiniert man bei Liu Jo Denims – als Slim Fit oder in der neuen Karotten-Form mit tiefem Schritt. /cm www.liujo.com

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Grunge meets Punk meets Glamour

Replay:

Derb, cool und edgy, so das Credo im Hause des italienischen Denim- und CasualwearBrands Replay zu A/W 2014/15. Bedeutet für ihn: Bikerthemen, Grunge-Elemente und Punk-Details kombiniert mit Leder und Wolle. Bei den Schnitten liegt der Schwerpunkt auf Skinny und Carrot Fits sowie einem verjüngten Regular Slim Fit. Die Ladys erwartet im kommenden Herbst/Winter viel Schwarz, gepaart mit glänzenden Akzenten wie Metallic, Pailletten und Lurex-Fäden. Eine lässigere Silhouette, Camouflage-Muster und eine Boy-Fit-Lederjacke durchbrechen gekonnt das feminine Bild. So gelingt einmal mehr der Spagat zwischen klassischer Replay-Sexiness und cooler Streetstyle-Attitüde. /cm

Herringbone, Glencheck-Varianten, florale VintageTapetenmuster und Retro-Karos. Klingt nach ,The British Sixties‘ – der Geburtsstunde des Londoner Kultlabels Merc. Zur A/W-2014/15-Saison lässt die Marke ihre traditionellen Werte wieder aufleben und stöberte zu diesem Zweck in den eigenen Archiven nach den markantesten Heritage-Merkmalen. Diese finden sich nun in der neuen Kollektion ,Town and Country‘ wieder – elegante Jacken, schlanke Silhouetten, schwerer Retro-Strick, gedeckte Farben und auffällige Vintage-Muster inklusive. /cm

www.replay.it

www.merc.com

Merc:

Alive & Swingin’


The Masterpieces

The Masterpieces Editor’s Pick

J’N’C Proudly Presents: Meisterstücke, die das Zeug zum Klassiker haben.

TEXT CHeryll Mühlen Fotos Bernd Wichmann

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nightly weekly monthly uniquely nightly weekly monthly uniquely

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ED-55 / Made in Japan Edwin Europe × Edwin Japan

B-7 Sheepskin Parka Nigel Cabourn

Auch wenn Edwin Europe stets eng mit seinen Partnern aus dem Land der aufgehenden Sonne zusammenarbeitet – die ‚ED-55‘ aus der ‚Made in Japan‘Edition, die zu Herbst/Winter

2014/15 in die Läden kommt, ist eine absolute Premiere. Denn es ist das erste Mal, dass Edwin Japan ein Modell eigens für den europäischen Markt kreiert hat. Hergestellt aus einem 14 oz.

­ intage-Selvage-Denim, der in V den berühmten Nihon Menpu Mills gewebt wurde, zelebriert die Neuheit das einzigartige Craftsmanship des Japanese Denim auf nie dagewesene Weise

www.edwin-europe.com 32

– nämlich im Gewand des legeren Jeansklassikers für Jungs ‚ED-55‘ aus dem Hause Edwin Europe. Das Beste von zwei Kontinenten und eine kleine Rarität für wahre Denim-Enthusiasten.

Nigel Cabourn liebt den Spagat zwischen dem Gestern und Heute, erst recht wenn sich damit Military-Styles vergangener Dekaden zu neuem Leben erwecken lassen. So ist der ‚B-7 Sheepskin Parka‘ aus der Damen-Kollektion

der Fliegerjacke nachempfunden, die Piloten der US-Army im Zweiten Weltkrieg trugen. Die Neuinterpretation hat schmalere Schultern, ist länger als das Original und verfügt über eine sehr große Kapuze mit einem

Futter aus Rentier-Fell. Details wie zwei große Cargo-Taschen mit asymmetrischer Öffnung entsprechen dem historischen Vorbild. Sie kommen mit ExtraLeder-Verstärkung und sind dank Reißverschluss innen und Horn-

Knöpfen außen doppelt sicher. Dass der ‚B-7 Sheepskin Parka‘ bei minus 20 Grad und Schneesturm getestet wurde, versteht sich fast von selbst.

The Masterpieces

Überflieger – Nigel Cabourn

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The Masterpieces 55 — 01/2014

Doppelte Denimpower – Edwin Europe × Edwin Japan

www.cabourn.com 33


Leo Alberto

Black Society HTC Hollywood Trading Company

Wer glaubt, der Animal-Print sei nur der Damenwelt vorbehalten, der irrt. Den besten Beweis liefert das Mönchengladbacher

Hosenlabel Alberto mit der ‚Leo‘ aus seiner A/W-2014/15-Kollektion, die selbst wagemutige Modemänner aus der Reserve lockt.

Denn trotz dezenter VintageFärbung ist das Slim-Fit-Modell im olivfarbenen Leoparden-Look definitiv nur etwas für waschech-

www.alberto-pants.com 34

te Tarzans des urbanen Modedschungels. Wer sich allerdings traut, der punktet mit diesem Style-Statement garantiert.

Welcher Mann träumt nicht davon, mit einer heißen Maschine und einem Sieben-Tage-Bart auf der Route 66 seine Freiheit zu genießen? Für den passenden Look sorgt jetzt die Hollywood Trading Company aus Los ­Angeles mit ihrer ,Black Society‘-­

Lederjacke. Ein Modell, das auch Easy Rider Dennis Hopper einst perfekt gekleidet hätte. Den Frisco-Biker-Style der 70s wieder aufleben zu lassen – so lautet das erklärte Ziel von HTC-Designer Andrea Brà. Nur konsequent, dass bei der ‚Black Society‘

Premium-Leder und OriginalPatches von Flohmärkten eine Liaison eingehen. Auf dem Rücken wurden verschiedene Vintage-Denim-Teile eingenäht und ergänzen den derben BikerLook, der durch per Hand eingesetzte Nieten veredelt wird. Und

wem die röhrende Harley fehlt, der kann sich ‚Black ­Society‘ trotzdem überwerfen und den kalifornischen Spirit auf seinen Schultern durch die City tragen.

The Masterpieces

Rough & Tough – HTC HOLLYWOOD ­TRADING COMPANY

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The Masterpieces 55 — 01/2014

Das Tier im Manne – Alberto

www.htclosangeles.com 35


Byrd Cloth Arctic Parka DF Woolrich

Brian Denim Shirt K.O.I

entwarf das US-amerikanische Outerwear-Label das Modell ursprünglich für Bauarbeiter in Alaska. Egal für wen und egal wo, der ,Arctic Parka‘ hält die Körpertemperatur sogar bei bis zu minus 40 Grad Celsius aufrecht

– dank seiner Herstellung aus ,Byrd Cloth‘, bestehend aus 100 Prozent natürlicher Baumwolle, und seinen wasserabweisenden, atmungsaktiven und winddichten Eigenschaften. Das Futter aus hochwertigen Gänsefedern bie-

www.woolrich.com 36

tet maximale Wärme und leichten Tragekomfort. Und damit auch der Kopf nicht auskühlt, ist die Kapuze mit einem abnehmbaren und weichen Kojoten-Fell besetzt.

Manche Kleidungsstücke sind einfach zeitlos. Wie sonst hätte das Jeanshemd den Sprung vom Wilden Westen in die oberste Riege der Mode-Must-haves geschafft? Und wer sich derart

beständig im sich stetig neu formierenden Fashion-Zirkel hält, der reiht sich natürlich in unsere Masterpieces ein. Warum wir ,Brian‘ aus 100 Prozent Biobaumwolle gewählt haben?

Durch seine kleinen Details wie die geschwungenen Nähte auf den aufgesetzten Brusttaschen oder die leichte Used-LookAnmutung transportiert das Jungsmodell des Amsterdamer

Denimlabels Kings of Indigo den Cowboy-Charme mühelos in das 21. Jahrhundert. Bleibt nur noch eines zu sagen: Yehaa!

The Masterpieces

Ein alter Bekannter – K.O.I

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The Masterpieces 55 — 01/2014

Mehr als 40 Jahre trotzt der Woolrich ‚Arctic Parka DF‘ nun schon den eisigen Temperaturen. Ob im städtischen Winter, auf der abenteuerlichen Expedition zum Südpol oder auf den steilen Pisten im Winterurlaub. Dabei

Ice Ice Baby – Woolrich

www.kingsofindigo.com 37


Holdall Medium Croots

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Victorinox ,Mountain Rescue‘ lautet hier das Stichwort. Denn für die Herbst/ Winter-Kollektion 2014/15 des Schweizer Traditionsunter­ nehmens Victorinox dienten die extremen Wetterbedingungen, unter denen die Bergrettung im Einsatz ist, als Inspiration für

­ esign und technische AusstatD tung. So auch beim ,Linthal‘Parka, dessen Obermaterial aus einem hochwertigen BaumwollNylon-Gemisch besteht. Die Kapuze lässt sich eingerollt im Kragen verstecken, die Innentasche ist mit einem Sicherheits-

Zipper verschließbar und für die Sonnenbrille gibt es ein Extra-Fach in der linken Brusttasche. Der herausnehmbare Liner aus Primaloft-Mikrofaser kann selbst als vollwertige Jacke verwendet werden. Das heißt: Der Parka lässt sich mit ein paar

www.victorinox.com 38

The Masterpieces

Majestätischer Brit Chic – Croots

Hand­griffen in ein Blouson verwandeln. Was bei diesem dann wiederum ins Auge fällt? Die neu interpretierte Camouflage-Optik und die im typischen ‚VictorinoxRot‘ gefütterten Ärmel. Selten wurde das Prinzip ‚2 in 1‘ stilvoller umgesetzt.

Erst kürzlich belieferte Croots die Queen. Doch nicht etwa mit einem eleganten Lederaccessoire, sondern mit einer Munitionstasche. Was eine Königin nicht alles braucht – aber mit Croots hat sich das britische

Staatsoberhaupt auch einen wahren Spezialisten in Sachen Flintenfutteral und Co. ausgesucht. Seit einigen Saisons fertigt das Unternehmen aus North Yorkshire zudem eine zivile Taschen- und Gepäckserie an.

Die ,Holdall Medium‘ aus der Croots-City-Range, handmade in England und hier in der Farbe Havana, feiert auf der Bread & Butter Berlin im Januar Premiere. Das handgewachste English Bridle Leder, ein besonders

haltbares Kalbs- oder Rindleder, das vorwiegend bei Zaumzeug oder Sätteln zum Einsatz kommt, wurde vegetabil gegerbt. Der baumwollgefütterte Innenraum bietet mehrere Extrafächer. We are amused.

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The Masterpieces

2 in 1 – Victorinox

www.crootsengland.co.uk www.amtraq.com

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Equipo Polo La Martina

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Shirt Knopfleiste Merz b. Schwanen Originale Arbeiterwäsche aus den 20er, 30er und 40er Jahren – das ist das Steckenpferd der Vintage-Liebhaber und Merz-b.Schwanen-Designer Peter und Gitta Plotnicki. Das schwäbische Unternehmen steht für Produkte mit höchsten handwerklichen

Ansprüchen, die keinen Trends unterliegen. Hergestellt werden diese auf historischen Rundstrickmaschinen, wobei Merz b. Schwanen komplett auf ,Made in Germany‘ setzt. Nicht nur die Trikotware wird hierzulande produziert, auch Besätze, Knöpfe,

Hängeetiketten und Verpackungen kommen ausschließlich aus Deutschland. Das naturfarbene Knopfleistenshirt aus der Damenkollektion besticht durch sein besonderes Material ‚Maco Imit‘, ein Gemisch, bestehend aus 67 Prozent Baumwolle und

www.merz-schwanen.com 40

The Masterpieces

Let’s play Polo – La Martina

33 Prozent Viskose, das bereits vor hundert Jahren verwendet wurde und über die gleichen Trageeigenschaften verfügt wie hochwertige ägyptische Baumwolle.

Was haben Argentinier, Pferde und La Martina gemeinsam? Die Antwort lautet: Polo. Nachdem die Engländer das Ballspiel zu Pferd 1873 nach Argentinien gebracht hatten, gewann Polo auch dort rasch an Popularität und

avancierte seither zu einem der beliebtesten Mannschaftssportarten der südamerikanischen Republik. Kein Wunder also, dass dieses Piqué-Polo-Longsleeve aus der A/W-14/15-Pre-Collection in den Nationalfarben Blau,

Weiß und Sonnengelb eines der neuen La-Martina-Lieblingsstücke ist. Das gilt umso mehr, als der Schriftzug ‚Argentina‘ auf Brust und Rücken im typisch argentinischen ,Fileteado‘-Stil gehalten ist. Soll heißen: Er

kommt kunstvoll verziert und verschnörkelt daher. Klingt nach einem guten Handicap für das La-Martina-Team.

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The Masterpieces

Unaufdringlich schön – Merz b. Schwanen

www.lamartina.com 41


Cool Cities / FLORENZ

Cool Cities / FLORENZ

TEXT Ilona Marx FotoS Bernd Wichmann

Cool Cities

Florenz Für die meisten Besucher ist Florenz in erster Linie die Wiege der Renaissance. Man schwelgt in Kunstgenuss von Weltrang, flaniert durch die Straßen, die sich seit jener prägenden Epoche kaum verändert haben, lauscht in die engen Gassen hinein, die ­tausend Geschichten zu erzählen haben.

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Nicht nur Design hat in Florenz Tradition, auch die Produktion blickt auf ein reiches Erbe.

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der Prachtmeile niedergelassen. Bekanntlich blüht dort, wo große Namen omnipräsent sind, immer auch das Geschäft mit hochwertiger Vintage-Mode. Secondhand-Läden, die erstklassige Schätzchen aus den letzten 50 Jahren horten, finden sich dementsprechend im gesamten Stadtgebiet. Allerdings weiß man hier, was man hat: Auch eine gebrauchte Gucci- oder Prada-Tasche kann um die 700 Euro kosten – Schätzchen also ja. Schnäppchen? Eher nicht. Doch nicht nur Design hat in Florenz Tradition, auch die Produktion blickt auf ein reiches Erbe. Tatsächlich schufen erst die kunstfertigen Meister in den Manufakturen die Grundlage für die Ansiedelung der großen Marken. Bereits im Mittelalter gab es links und rechts des Arno so viele Woll- und Tuchmacher, dass man von einer Modeindustrie sprechen konnte. Eine Tradition, die sich bis heute fortsetzt: Noch immer finden sich in Florenz zahlreiche, vor allem lederverarbeitende Betriebe. Mit der Scuola del Cuoio beherbergt die Stadt zudem eine Schule, an der eine internationale Schülerschar seit 1950 in der Kunst der Lederverarbeitung

unterwiesen wird. Modedesign und -management lehrt man an der Polimoda, einer privaten Akademie, die seit 2007 von der progressiven Direktorin Linda Loppa geführt wird (mehr dazu auf Seite 62). Die internationale Modemesse Pitti Immagine lockt zum Saisonauftakt zweimal jährlich das Who’s who der Modebranche, vor allem die Welt der HAKA, aber auch die Sportswear Richtung Toskana. Kein Wunder also, dass auch der individuelle Florentiner Einzelhandel – gemessen an deutschen Verhältnissen erstaunlich oft familiengeführt – guten Zuspruch erhält und in Koexistenz mit den HighEnd-Labels floriert. Dass es abseits der Piazza del Duomo, der Ponte ­ ignoria Vecchio, der Uffizien oder der Piazza della S noch ein anderes, junges, alternatives Florenz gibt, bleibt vielen Besuchern jedoch verborgen. Um diese Seite der Stadt zu entdecken, müssen sie nämlich die Brücke über den Arno überqueren und ins Gassengewirr des Viertels Oltrarno eintauchen. Genau hier entdeckten J’N’C-Chefredakteurin Ilona Marx und der Düsseldorfer Fotograf Bernd Wichmann Stores mit besonders inspirierenden Fashion-Sortimenten und außergewöhnlichen Einrichtungsideen – das moderne Florenz eben, das sich nicht auf seinen alten Polstern ausruht,

Der individuelle Florentiner Einzelhandel erhält guten Zuspruch. sondern umtriebig nach neuen Ansätzen forscht. Auch wenn die Renaissance ein halbes Jahrtausend zurückliegt, scheint Florenz noch heute über starke reformerische Kräfte zu verfügen und das Potenzial zu haben, sich immer wieder neu zu erfinden – ohne dass Traditionen ganz verschwinden, denn auch sie finden hier ihr Publikum. So fiel es uns nicht schwer, eine Mischung aus klassisch Bewährtem und erfrischend Unkonventionellem auf den folgenden Seiten für Sie zusammenzustellen.

FLORENZ in ZAHLEN Gründung Gucci: 1921 Gründung Ferragamo: 1927 Eröffnung des Ferragamo-Museums: 1995 Gründung Pucci: 1947 Erster Pitti Uomo: 1972, seit 1988 Pitti Immagine Uomo Eröffnung Luisaviaroma: 1930, heute bereits in dritter Generation

Auch wenn die Renaissance ein halbes Jahrtausend zurückliegt, scheint Florenz noch heute über starke reformerische Kräfte zu verfügen. 55 — 01/2014

Doch auch für die Modewelt nimmt die malerische Stadt am Arno eine Sonderstellung ein: Guccio Gucci und Roberto Cavalli kamen hier zur Welt, und auch Emilio Pucci lebte und arbeitete in Florenz. Noch heute zeugt die Via de’ Tornabuoni mit ihren eleganten Geschäften von der großen Modevergangenheit und -gegenwart der Stadt und weist eine erstaunliche Dichte an hochkarätigen Flagships auf – und das, wo die toskanische Hauptstadt nicht einmal 400.000 Einwohner zählt. Neben Gucci und Salvatore Ferragamo, die Florenz beide um ein Museum bereichert haben – schließlich ist Mode hier Kulturgut! –, haben sich Prada, Miu Miu, Lanvin, Chanel, Burberry, Tod’s und Emporio Armani auf

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Florenz Street Styles

Jacke COS Sweater Kenzo Hose Unicorn Schuhe New Balance Brille Mykita Tasche Gucci Armband vom Straßenmarkt

„Florenz ist durchaus eine Modestadt. Aber ich vermisse hier

Cool Cities / Florenz — Street Styles

Cool Cities / Florenz — Street Styles

Shao, 20 Marketing-Student

einen kosmopolitischen Look

Fotos Bernd Wichmann

– einen Stylingmix, wie man ihn beispielsweise in Berlin oft sieht.“ Cesare, 50 Modeberater

MARCO

Jacke Burberry Vintage Hose Bottega Veneta Schuhe Vintage Alexander Schal Pescetto Tasche Hermès Brille Ray-Ban Melanie, 22 Modedesign-Studentin Mantel Vintage Hemd Zara Hose & Schuhe H&M Tasche vom Markt in San Lorenzo Wollturban aus Südafrika

„Mode in Florenz ist wie das Rosé und das Grün im Marmor einer Kirche. Sie ist das, was die Massimilian, 46 Ladenbesitzer Anzug Société Anonyme T-Shirt Maison Kitsuné Schuhe Vans

Stadt schön und auSSergewöhnlich macht.” CESARE

Marco, 38 Art Director Jacke Armani Pullover Mas_Q Hemd H&M Jeans Cheap Monday Sneakers Pony Brille Ray-Ban Tasche Picard Manuela, 27 Verkäuferin Kleid Société Anonyme Schuhe Chie Mihara Leggings Falke

Mantel Prada T-Shirt & Socken Marimekko Hose Comme des Garçons Schuhe Marni Halskette Miu Miu Tasche Dimitri Villoresi Akiko, 43 Künstlerin Outfit Prada

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Sonia, 19 Studentin Geschichte & Italienisch Kleid H&M Schuhe Jeffrey Campbell Tasche Bardot Haarschmuck Diva

Hitoshi, 35 Schuh-Designer Hemd, Weste, Gürtel Vintage Hose selbst gemacht Schuhe Hitoshi Kanai Tasche Coach

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Gabriella, 35 Grafikdesignerin

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Cool Cities / Florenz — Retail

Cool Cities / Florenz — Retail

Florenz Retail

Brands MEN Fortela, Ernesto, Ten c, Filson, Blue Blanket, Tellason, Mosca, Gilded Age, Anachronorm, Mabro, Molo 11, Htc, Silent People, Bevilacqua, Bellwood, Wise Guy, Folk, Stewart Brands

Brands WOMEN

Wood Wood, You Must Create, Bastet, Nice Things, Vivetta, Des Petits Hauts, Odette, Vigliano, Missoni

L’Autre Chose, See by Chloé, So Nice, Jejia Collection, Alyki, Rindi, Local, Ernesto, Pence, Silent People, Barbara Tani, Iro, Humanoid, Htc, Adriano Goldschmied, Citizens Of Humanity, Tela, Salvatore Santoro, Soho

Boutique Nadine Lungarno Acciaiuoli, 22r 50123 Florenz T +39 (0)55 287851

Flow Via dei Vecchietti, 22r 50123 Florenz T +39 (0)55 215504

Öffnungszeiten Mo 14.30 – 19.30 Uhr Di – Sa 10 – 19.30 Uhr So 12 – 19 Uhr

Öffnungszeiten Mo – Sa 10 – 19.30 So (saisonal) 14.30 – 19.30

Via de’ Benci, 32r 50122 Florenz T +39 (0)55 2478274

www.flow-store.it

Öffnungszeiten Mo 14.30 – 19.30 Uhr Di – Sa 10.30 – 20 Uhr So 12 – 19 Uhr

Hier konnte

www.boutiquenadine.it

das Multitalent Nicola Pecchioli zeigen, was in ihm steckt.

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Wie so vielen Einzelhändlern genügte auch auch Irene Zarrilli und Matteo Querini das reine Verkaufen von Mode irgendwann nicht mehr. Nachdem die beiden über zwei Jahre einen gut sortierten Vintageladen geführt

Nur Mode zu aufgenommen. Der Dreiklang aus Getragenem, Neuem und Selbstentworfenem ist seither das Geheimrezept der Boutique Nadine, die vor zweieinhalb Jahren einen Ableger auf der Via de’ Benci eröffnete. Jüngster Coup: die Lancierung einer Badehosenkollektion namens Vigliano, von Matteo entwickelt und aus Vintagestoffen gefertigt. Sie wurde dem sympathischen Boutiquebesitzer im letzten Sommer förmlich aus den Händen gerissen.

verkaufen, das reichte Irene und Matteo nicht. Sie wollten ihr eigenes Ding machen.

Flow Wie der Vater, so der Sohn. 1969 eröffnete Paolo Pecchioli, seines Zeichens Stylist, eine Boutique namens Gerard. Paolos Tochter Giulia stieg in die väterlichen Fußtapfen und führte den Laden mit neuer Idee weiter (mehr dazu auf Seite 52). Sohn Nicola jedoch wollte seinen eigenen Stiefel machen und lancierte anlässlich des Pitti Uomo im Juni 1997 das Flow, nur einen Steinwurf vom Gerard entfernt. Hier konnte das Multi-

talent zeigen, was in ihm steckt. Unterstützt von seiner hübschen Frau Gabriella gestaltete Nicola nicht nur die gesamte Inneneinrichtung des weitläufigen Shops, er erledigte auch von Anfang an den Einkauf der Herrenkollektionen. Dass er dabei bis heute ein glückliches Händchen beweist, zeigt die Auswahl an derzeit schwer angesagten Marken wie Tellason, Filson oder Ten c. ­Gabriella hingegen kümmert sich

um die Bedürfnisse der weiblichen Kundschaft. Sie wird bei Kollektionen wie See by Chloé, Humanoid, Citizens Of Humanity, Iro und Adriano Goldschmied fündig. Erst kürzlich wurde eine große Schuhabteilung hinzugenommen – ein im schuhverrückten Florenz strategisch gut überlegter Schritt.

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Boutique Nadine

hatten, den sie 2007 mit Neuware von Wood Wood aus Skandinavien, YMC aus London und jungen Designern aus Florenz sowie einer schönen Auswahl an Schmuck anreicherten, wollten sie sich endlich auch selbst in einer Kollektion verwirklichen. Gesagt – getan. Eine kleine Linie aus Seidenkleidern mit dem klingenden Namen ‚Odette‘ wurde aus der Taufe gehoben und vom Publikum der Boutique, darunter auffällig viele asiatische Modeverrückte, begeistert

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Cool Cities / Florenz — Retail

Cool Cities / Florenz — Retail

Brands A.P.C., Maison Martin Margiela, Zucca, Comme des Garçons Play, Petit Bateau, Topman, Uniforms for the Dedicated, Saturdays Surf NY, Tsumori Chisato, Kai-aakmann, Kenzo, Freitag, Levi’s Made & Crafted, Société Anonyme

Ceri Vintage Via dei Serragli, 24r/26r 50124 Florenz T +39 335 8390356 Öffnungszeiten Mo 15.30 – 19 Uhr Di – Sa 10 – 12.30 und 15.30 – 19 Uhr

Eine

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Niemand Geringeres als ­Peggy Guggenheim und Marcel Duchamp sind die Leitfiguren der Société Anonyme, dem wohl spannendsten Laden der Stadt. Die Kunstmäzenin und der Dadaist gründeten in den 20er Jahren eine gleichnamige Avantgardegalerie in New York. Und eben deren dadaistischer Geist hat es Catia Nencini und Massimiliano Giannelli, den Inhabern der florentinischen ‚Anonymen Gesellschaft‘ angetan, das ist unschwer zu erkennen. Eine durchgesägte Badewanne, deren Hälften mit Hilfe von jeweils vier Beinen in zwei ungewöhnliche Sitzmöbel verwandelt wurden,

durchgesägte Badewanne,

Ceri Vintage

deren Hälften mit Hilfe von je vier Beinen in zwei ungewöhnliche Sitzmöbel verwandelt wurden, zeugt von einem Hang zum Dadaismus.

legt davon Zeugnis ab. Bereits seit 1999 betreibt das Paar seine Société Anonyme. Neben Marken wie Comme des Garçons, A.P.C., Uniforms for the Dedicated oder Tsumori Chisato vertreiben die beiden sympathischen Geschäftsleute auch ihre eigene Linie. Die heißt genau so wie der Laden und besteht aus 15 UnisexStyles. Vorbild hier: belgisches und japanisches Design. Doch Nencini und Giannelli wären keine echten Florentiner, wenn sie

nicht auch ihre eigenen Lederwaren produzieren würden: Eine kleine, feine Schuhselektion, gleich um die Ecke des Stores gefertigt, rundet das Angebot ab. Société Anonyme Via Niccolini, 3f 50121 Florenz T +39 (0)55 3860084 Öffnungszeiten Mo 15.30 – 19.30 Uhr Di – Sa 10 – 19.30 Uhr www.societeanonymestore.com

Ein Militärhelm, den er sich im zarten Alter von zehn Jahren auf einem Flohmarkt kaufte, stand am Anfang von Danilo Ceris umfassender Vintage-Sammlung. Zum ersten Helm gesellte sich ein zweiter, es folgte eine Uniformjacke. Als Danilo feststellte, dass sich mit seinen Fundstücken handeln ließ, besetzte er eine kleine Ecke im väterlichen Rahmen- und Dekorationsgeschäft und begann, seine Streifzüge auszuweiten. Sein Schicksal war besiegelt. Zunächst bestand Danilos Kundschaft aus Militärspezialisten. Als sich jedoch

herauskristallisierte, dass auch die Modewelt verrückt nach seinen Schätzchen war, spezialisierte er sich auf die Bedürfnisse dieser Klientel und suchte zusätzlich verstärkt nach VintageWorkwear. Und tatsächlich, sie kommen alle: Nigel Cabourn, Jason Denham, die Designer von G-Star, Peter Plotnicki von Merz b. Schwanen. Das gesamte Who’s who der Heritagefashion-Bewegung gibt sich bei Ceri regelmäßig die Klinke in die Hand. Ja, sogar Ermanno Scervino, dessen High-Fashion-Kollektionen man den historischen Bezug nicht auf

den ersten Blick ansieht, sammelt gerne Ideen und Anregungen bei Danilo. Der hat inzwischen das väterliche Geschäft übernommen und sogar ein zweites Ladenlokal angemietet. Hier gibt es ausreichend Platz, noch tiefer in die Materie einzutauchen. Zum Beispiel mit Hilfe von Workshops, in denen Ulrika Marie Wennerström, eine schwedische Spezialistin, in die Geheimnisse des Restaurierens antiker Textilien oder der Herstellung eines Fischgrätkorsetts einweiht.

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Société Anonyme

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Cool Cities / Florenz — Retail

Cool Cities / Florenz — Retail

Brands Mykita, Oliver Goldsmith, Andy Wolf, Epos, Moscot, Tom Ford, Super, Waiting For The Sun, Barton Perreira, Frency & Mercury, JPlus

Geschichten, die das Leben

I Visionari

schreibt:

Piazza Nazario Sauro, 14r 50124 Florenz T +39 (0)55 282714

Nachdem er den

Öffnungszeiten

ivisionari.com

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I Visionari

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Und wieder eine Familiengeschichte, wie man sie in Florenz so oft zu hören bekommt. Bei I Visionari handelt es sich jedoch um eine ganz besondere – die des Geschwisterpaares Elena und Emiliano Lenzi nämlich. Sie, seit 24 Jahren Optikerin, er, mit technischem Wissen beschlagen, beschließen eines schönen Tages, sich gemeinsam selbst-

ständig zu machen. Zunächst ‚übt‘ Elena einige Jahre vor den Toren der Stadt und sammelt wertvolle Erfahrungen, bevor sie 2011 ihren traumschönen Laden im Hipsterviertel Santo Spirito bezieht. Hier nun, als Happy End sozusagen, findet ihre visionäre Brillenauswahl und ihr guter Einrichtungsgeschmack endlich die verdiente Beachtung. Elena,

die leidenschaftlich im Internet recherchiert und wohl eine der kosmopolitischsten Brillenhändlerinnen der Stadt ist, bezieht ihre Gestelle von überall her: Aus den USA, Australien, Neuseeland, Schweden und Deutschland lässt sie sich beliefern. Weiteren Input sammelt die 43-Jährige auf den einschlägigen Messen in Paris, Monaco und München. Schützen-

hilfe bei der Einrichtung bekam Elena übrigens von Freunden, darunter Neri Bandolfini, der die überlebensgroße ‚Schreibtischlampe‘ aus Holz gebaut hat, die den Verkaufstisch beleuchtet. Täglich an Elenas Seite: ihr Bruder Emiliano, der ganz nebenbei noch den Internetshop von I Visionari managt.

Schauspieler

Stefano Bemer Die Geschichten, die das Leben schreibt, sind manchmal verrückt und manchmal auch traurig. Diejenige, die sich um Stefano Bemer, einen der besten Schuhmacher der Stadt rankt, ist beides. Ein Kunde, der dem leidenschaftlichen Handwerker 1999 einen Besuch abstattete, entpuppte sich nämlich als kein Geringerer als der HollywoodSchauspieler Daniel Day-Lewis, und der wollte nicht nur ein paar handgemachte Schuhe von Stefano – er wollte lernen, wie man diese herstellt. Der junge Schuster war zwar ziemlich verblüfft. Dennoch willigte er ein, und so ging Daniel Day-Lewis in Florenz in die Lehre. Dass dieser Eleve seine Reputation weiter steigern würde, damit hatte Stefano nicht wirklich gerechnet. Doch angesichts eines solch

Daniel Day-Lewis als Lehrling gewann, brummten Stefanos Geschäfte mehr denn je. prominenten Zöglings brummten die Geschäfte mehr denn je. Allerdings kommt nun der traurige Teil der Geschichte: Im Alter von nur 48 Jahren starb Bemer völlig unerwartet an den Folgen eines Diabetes. Dass sein Name dennoch weiterlebt, ist Tommaso Melani zu verdanken, dem Spross jener Familie, die vielleicht die größte Lederkompetenz der Stadt aufweisen kann: den Goris,

Stefano Bemer Via San Niccolò, 2 50121 Florenz T +39 (0)55 0460476

die seit 1950 die Scuola del Cuoio, die hiesige Lederschule führen. Tommaso, der einst eng mit Stefano zusammenarbeitete, übernahm nach dessen Tod das Business. Erst jüngst zog der Nachfolger mit Geschäft und Belegschaft in eine ehemalige Kapelle. Schöner und würdiger kann man das Erbe Bemers wohl nicht fortführen.

Öffnungszeiten Mo – So 10 – 19 Uhr www.stefanobemer.com 55 — 01/2014

Di – Sa 10 – 13 Uhr und 13.30 – 19.30 Uhr

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Cool Cities / Florenz — Retail

Cool Cities / Florenz — Retail

A Piedi Nudi nel Parco Brands Kuro Denim, Dukes, Emiliano Rinaldi, Uneeto, Route des Garden, Volta

Brands Women Norwegian Rain, NeroInk, Nude, Rick Owens DRKSHDW, Uma Wang, Gareth Pugh, Alessandra Marchi, Claudio Cutuli

Viele Einzelhandels­ geschichten sind in Italien gleichgeschichten – und die der Familie ­Pecchioli

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Viele Einzelhandelsgeschichten sind in Italien gleichzeitig Familiengeschichten – und die der Familie Pecchioli gehört mit zu den schönsten. Denn alle vier Kinder des Familienoberhauptes Paolo Pecchioli haben sich dem Textilhandel verschrieben. Den Pecchiolis gehören nicht nur das Gerard, das Gerard Loft und das Flow, sondern auch sämtliche Replay-Läden in Florenz, Siena und Mailand. Am konsequentesten schreibt dabei

Öffnungszeiten Mo – Sa 10.30 – 19.30 Uhr So 12 – 19.30 Uhr www.pnp-firenze.com

Gerard

Öffnungszeiten Di – Sa 10 – 19.30 Uhr Mo + So 14.30 – 19.30 Uhr www.gerardfirenze.com

A Piedi Nudi nel Parco

den schönsten. wohl Tochter Giulia die Tradition fort. Sie nämlich übernahm den 1969 gegründeten väterlichen Menswear-Shop – nicht ohne ihr eigenes Konzept zu verfolgen: Um sich selbst zu verwirklichen und gleichzeitig vom Wetter und den Lieferanten unabhängiger zu sein, gründete Giulia kurzerhand eine eigene Hemden- und Stricklinie, die nun den größten Teil des Gerard-Sortiments bestimmt. Italienische und japanische Stoffe, darunter solche mit

Brands Men Area by Barbara Bologna, Label Under Construction, Incarnation, Ziggy Chen, Lost & Found, Versuchskind Berlin, Werkstatt München, Goti

Via Sassetti, 13r 50123 Florenz T +39 (0)55 217448

gehört mit zu

Gerard

Men’s Store Via Santa Margherita, 2r 50122 Florenz T +39 (0)55 280179

exklusiv für Gerard entworfenen Drucken, sind die Basis ihrer Kollektion. Alle Hemden, die in den kleinen Größen durchaus auch gerne von Frauen gekauft werden, wandern zunächst in die Waschmaschine und werden ungebügelt angeboten. Formelle oder steife Kleidung ist nämlich so gar nicht das Ding der fröhlichen Designerin. Durch die eigene Produktion bleibt Giulia flexibel und vermeidet große Lagerüberhänge – was sich bezahlt

macht. Kein Wunder also, dass die Pecchiolis nach diesem Modell noch weitere Läden in Europa eröffnen möchten. Dann aber auch bitte mit so toller Einrichtung. Die stammt – wie könnte es anders sein – von einem Familienmitglied. Von Giulias Bruder Nicola nämlich, der ein paar Schritte weiter das Flow betreibt (mehr dazu auf Seite 47).

Ein historischer Ort – eine spektakuläre Location. Genau dort, wo im Jahr 60 v. Chr. die Stadtmauer von Florenz verlief, befindet sich heute eine der wichtigsten Fashion-Institutionen der Stadt: das A Piedi Nudi nel Parco, von den Einheimischen kurz PNP genannt. Bereits seit 1990 existiert der Laden, vormals jedoch unter anderer Adresse. Als 2009 der Umzug in die neue Location auf der Via del Proconsolo anstand, stieß man während der Umbauten wie so oft im geschichtsträchtigen Florenz auf antike Gemäuer – die

dann kurzerhand in die Ladenarchitektur integriert wurden: Ein Glasboden wurde eingezogen, und so genießt die internationale PNP-Kundschaft beim Shopping nun freien Blick auf die über 2.000 Jahre alten römischen Ruinen. Was darüber schwebt, ist durchaus ebenfalls bemerkenswert. Immerhin verkauft man bei A ­Piedi Nudi nel Parco seit 23 Jahren mit äußerster Konsequenz nahezu ausschließlich schwarze Mode. Statt auf Farbe setzt man auf raffinierte Schnitte – und bedient sich dabei in einem umfassenden Portfolio

Dass neben Owens und Pugh auch eine Reihe unbekannterer Namen im Angebot sind, schreckt das Publikum nicht ab. Im Gegenteil.

von etwa 40 Designern, die diesen Avantgarde-Look vertreten. Dass neben Rick Owens und Gareth Pugh auch eine Reihe unbekannterer Namen dabei sind, versteht sich bei einer solch langen Liste von selbst und schreckt das aufgeschlossene Publikum keineswegs ab. Denn die Entwürfe dieser Brands sind nicht minder speziell, dafür aber zum Teil erschwinglicher als die der prominenten Designer. Das Konzept funktioniert so gut, dass gleich um die Ecke, auf der Via Santa Margherita, eine HerrenDependance eröffnet wurde.

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zeitig Familien­

Women’s Store Via del Proconsolo, 1n 50122 Florenz T +39 (0)55 218099

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Cool Cities / Florenz — Retail

Cool Cities / Florenz — Retail

Brands A Kind of Guise, Studiopretzel, Libertine-Libertine, BASE range, Diarte, Won Hundred, A Question Of, Études, LRNCE, Hien Le

Bjørk Via dello Sprone, 25r 50125 Florenz T +39 333 9795939

„Ich bin überglücklich, wenn ein schönes altes

Bjørk

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bjorkflorence.tumblr.com

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Für florentinische Verhältnisse ist Filippo Anzalone ein ModePionier. Denn er hat es gewagt, einen jungen Concept-Store zu eröffnen, der fernab des Mainstreams liegt – nicht nur räumlich betrachtet, sondern auch vom modischen Standpunkt aus gesehen. Und solche Leute braucht Florenz, da ist sich die hiesige Modeszene einig. Etwas versteckt, in einer kleinen Gasse im Stadtteil Santo Spirito, lässt Filippo, der in Großbritannien Styling und Art Direction studiert hat, seinem Gestaltungsdrang

Kleidungsstück oder eine

Mo 14.30 – 19.30 Uhr Di + Mi 10.30 – 19 Uhr Fr 10.30 – 19 Uhr Sa 10.30 – 19.30 Uhr

freien Lauf. Inspiriert vom Vorbild der Londoner Läden kehrte der smarte Selfmademan nach dem Studium nach Florenz zurück, um seiner Heimatstadt das zu geben, was ihr seiner Meinung nach fehlte: coole DIY-Möbel, unkonventionelle internationale Marken und nette Events zu den Themen Grafik- und Objektdesign. Den Einkauf erledigt Filippo Anzalone fast ausschließlich im Internet, denn zum Reisen fehlen ihm die Zeit und das Geld. Labels wie A Kind of Guise, Hien Le, BASE oder Libertine-Libertine

stehen bei ihm hoch im Kurs. Sein Faible für grafisches Gestalten schlägt sich nicht zuletzt in der Auswahl an internationalen Magazinen nieder, die sich in den von ihm selbst gestalteten Regalen finden. Und noch ein weiteres Ass zieht Filippo aus dem Ärmel: Zu seinen Ausstellungen mit Illustratoren, Objekt- und Schmuckdesignern lässt sich die Hipster-Crowd der Stadt nicht lange bitten.

edle Vintage-Tasche

Desii Vintage „Ich bin überglücklich, wenn ein schönes altes Kleidungsstück oder eine edle Vintage-Tasche ein zweites Leben bekommen“, erläutert der vollbärtige Carlo Alberto Andreani seine Motivation, mit hochwertiger Secondhand-Mode zu handeln. Dass er inzwischen auch Neuware verkauft und zum ersten ein zweiter und dritter Laden hinzukamen, zeugt von seinem guten Geschmack und ausge-

ein zweites Leben bekommen.“

Brands Louis Vuitton, Dr. Martens, Prada, Miu Miu, Gucci, Céline, Valentino, Yves Saint Laurent, Hunter, Timberland, Jeffrey Campbell, Filson, Red Wing Shoes, Church Desii Vintage

prägten Geschäftssinn. Wobei der Besitzer des Desii Vintage, für den die Bezeichnung ‚Ein Bär von einem Mann‘ geradezu erfunden worden zu sein scheint, für jede seiner Dependancen ein anderes Konzept entwickelt hat. Der erste und ursprüngliche Laden auf der Via dei Conti bietet eingangs erwähnte SecondhandMode und Accessoires von italienischen High-Fashion-Brands. Gleich nebenan dann die Filiale

für Männer, die allerdings zu drei Vierteln mit Neuware bestückt ist, darunter Marken wie Filson, Church und Red Wing Shoes. Und auf der Via della Spada schließlich das Desii Lab, ein junger Ableger, der neues Schuhwerk von Hunter und Jeffrey Campbell mit sehr ausgefallenen getragenen Kleidungsstücken mischt.

Via dei Conti, 17/19/21r 50213 Florenz T +39 (0)55 2302817 Desii Store Via Borgo San Lorenzo, 4/6r 50123 Florenz T +39 (0)55 211222 Desii Lab Via della Spada, 40r 50123 Florenz T +39 331 5404334 Öffnungszeiten Mo 11.30 – 19. 30 Uhr Di – Sa 10.30 – 19.30 Uhr

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Öffnungszeiten

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Luisaviaroma Der Platzhirsch. Der dreistöckige Store aus der Feder des Architekten Claudio Nardi, der auch das Riva Lofts gestaltete (mehr dazu auf Seite 59), ist die Modeinstitution in Florenz. Alle großen Namen sind hier versammelt. Zuweilen ist die Auswahl ein bisschen sehr bling-bling. Aber so lieben es die Italiener nun mal. Zurückhaltung und Purismus überlässt man gerne anderen Völkern.

Cool Cities / Florenz — Retail +

Cool Cities / Florenz — Retail +

FLORENZ Retail +

www.luisaviaroma.com

Flair Bekannte Namen spielen bei den Interior-Design-Spezialisten Alessandra Tabacchi und Franco Mariotti eher eine untergeordnete Rolle – was zählt, ist der Look! Und der stimmt, davon kann man sich bei Flair überzeugen. Ein Mix aus edlem Vintage-Mobiliar und neuen Home-Accessoires. Empfohlen dazu: eine großzügig geschnittene Wohnung und ein gut gefüllter Geldbeutel.

Bottega Quattro Das Sortiment stammt zum größten Teil von Scotch & Soda – die Einrichtung ist bunt zusammengewürfelt. Spaß machen beispielsweise die zahlreichen gold gerahmten Blumen-Gemälde in Petersburger Hängung. Genau wie das riesige Garnrollenregal, das auf der Schnörkeltapete besonders gut zur Geltung kommt.

www.flair.it

bottegaquattro.com

Auch wenn der Name etwas anderes suggeriert: Das lang gestreckte Ladenlokal am unteren Ende der Via Tornabuoni bietet nicht viel Fläche, dafür aber eine gute Auswahl. Klasse zählt hier mehr als Masse: Styles von Maison Martin Margiela, Golden Goose und Paul Smith reihen sich wie Perlen auf einer Schnur.

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www.abbigliamentospace.com

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Aqua Flor

Genten

Fast geht Guya in der von Touristen bevölkerten Via Calimala etwas unter, dennoch lohnt ein zweiter Blick – auf die Kollektionen von Henrik Vibskov, Jil ­Sander, Helmut Lang, Maison Martin Margiela und Co. Ein Hingucker sind auch die ungewöhnlichen Regale und die Lampen, die die Szenerie beleuchten.

Mehr als 1.500 Ingredienzen warten bei Aqua Flor darauf, zu individuellen Wohlgerüchen verbunden zu werden. Sileno Cheloni, Parfümeur und Zeremonienmeister bei Aqua Flor, komponiert auf Anfrage individuelle Parfüms, hat aber darüber hinaus auch eine große Auswahl eigener Düfte auf Lager. Den perfekten Rahmen für dieses luxuriöse Business bieten die Räume im ehemaligen Palast der Familie Antinori. Spektakulär!

Zwei, nein, drei Highlights gibt es bei Genten zu bewundern. Da ist zum einen die schöne Kollektion aus Ledertaschen, Portemonnaies, Gürteln und anderen Accessoires und zum zweiten die traumhafte Location, der Palazzo dei Cerchi aus dem 13. Jahrhundert, in dem der Shop im Erdgeschoss logiert. Die Krönung jedoch sind Mauro Lami und seine Frau Heidi, die hier an ihrer Werkbank und Nähmaschine wunderschöne Gürtel anfertigen. Customized natürlich.

www.guyafirenze.com

www.florfirenze.it

Guya

gentenfirenze.com

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Space

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Cool Cities / Florenz — Service

Cool Cities / Florenz — Service

FlORENZ Service

Riva Lofts Via Baccio Bandinelli, 98 50142 Florenz T +39 (0)55 7130272

Cibrèo

5e Cinque

Gleich vis-à-vis des Teatro del Sale hat sich Fabio Picchi gemeinsam mit seinen Kindern ein kleines gastronomisches Familienimperium aufgebaut, dessen Fixstern das Restaurant Cibrèo ist. Hier serviert man feinste saisonal angepasste Gourmetküche in elegantem Ambiente. Die Zulieferer sämtlicher verwendeter Produkte sind handverlesen, die Rezepte raffiniert. Drüben im Teatro wird vielleicht mehr gelacht, hier aber angesichts der köstlichen Speisen dafür öfter glückselig gelächelt.

Spät erst erfüllte sich M ­ ariolina Garau einen Lebenstraum. Statt weiterhin mit historischen Fotografien zu handeln, wie sie es zuvor getan hatte, eröffnete sie 2010 ihr eigenes HealthFood-Restaurant. Die Lage an der Piazza della Passera, einem hübschen Plätzchen unweit des Palazzo Pitti, und allem voran das leckere, gesunde Essen machen das 5e Cinque zu einem beliebten Anlaufpunkt im Viertel – so beliebt, dass auch Mariolinas Lebensgefährte Silvio Varando seinen Job als Galerist an den Nagel gehängt hat und seiner Partnerin nun beim Aufbau ihrer neuen Existenz hilft.

www.edizioniteatrodelsalecibreo firenze.it

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Riva Lofts Der Architekt Claudio Nardi ist in Florenz kein Unbekannter, zeichnet er doch für das Interieur des berühmtesten Fashion-Stores der Stadt, des Luisaviaroma verantwortlich und gestaltete jahrelang Einrichtungen für Valentino und Dolce & Gabbana. Letzteren hat er sogar einst das Wohnhaus entworfen – genau wie sich selbst: Sechs Jahre lang lebte und arbeitete Nardi auf dem Gelände eines ehemaligen Lederverarbeitungsbetriebs, bevor es ihn wieder zurück ins Zentrum

zog. Das idyllisch am Arno gelegene Anwesen wollte er jedoch nicht aufgeben, sondern vielmehr mit Gästen und Freunden teilen. So splittete er die ehemaligen Wohn- und Arbeitsräume in acht individuell geschnittene Einheiten. Große Fenster, luftige Treppen, offene Küchen und warme Farben machen aus den Lofts behagliche Apartments, deren Größe zwischen 300 und 1.000 Quadratmetern variiert. Besonders schön ist das Loft Nummer 4, das mit einem Pano-

ramablick auf den Fluss aufwartet, und die Nummer 8, die eine große Terrasse besitzt. Weitere Entspannung bieten Garten und Pool. Der Frühstücksraum mit dem schönen Kamin wird auch für private Veranstaltungen und Dinner-Partys vermietet. Claudio Nardis Tochter Alice führt das Hotel mit viel persönlichem Einsatz, während der Vater sukzessive für die eine oder andere Veränderung sorgt. Dementsprechend erinnert das Riva Lofts an ein Privathaus, das immer wieder

sein Gesicht wandelt. Apropos Wandel: Dass die unmittelbare Umgebung des Anwesens mithilfe neuer Infrastruktur städteplanerisch aufgewertet wurde und der Park am anderen Ufer des Arno nun zur grünen Lunge der Stadt ausgebaut werden soll, steigert die Attraktivität des Riva Lofts zusätzlich.

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www.rivalofts.com

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Cool Cities / Florenz — Service

Il Santo Bevitore Das Santo Bevitore gilt im jungen Florenz als eines der fünf besten Restaurants, und wer einmal in den Genuss der modernen toskanischen Küche gekommen ist, hat dem nichts zu entgegnen. Dass der Funke bald nach der Eröffnung auf die Einwohner des hippen Santo Spirito übersprang, dafür haben das Geschwisterpaar Martina und Marco Baldesi und deren gemeinsamer Freund Stefano Sebastiani nicht zuletzt gesorgt, indem sie ein höchst engagiertes, sympathisches Team rekrutierten. Jetzt brummt das Bevitore, und es ist unbedingt angeraten, rechtzeitig zu reservieren. Seit 2008 befindet sich nebenan eine Weinbar, in der man den Abend gemütlich ausklingen lassen kann. www.ilsantobevitore.com

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Amblé Fiaschetteria Di Pesce Abseits des Zentrums und somit auch fern der Touristenpfade liegt die Fiaschetteria Di Pesce an einem lebhaften Kreisverkehr. Piazza Taddeo Gaddi, 5r, so die Adresse. Dennoch: Wer in Florenz Fisch liebt, der kennt den Laden. Bereits 1961 verkaufte der Vater der heutigen Betreiber Marco und Roberto Agresti allerlei Meeresgetier an seinem Marktstand – die jahrzehntelange Erfahrung ist auch dem Sohn in Fleisch und Blut übergegangen. Besonders köstlich: Der Meeresfrüchtesalat und die Spaghetti Scampetti.

Fresh food and old furniture: Nur wenige Schritte von der Ponte Vecchio entfernt, jedoch gut an einem kleinen schattigen Platz versteckt, befindet sich das Amblé, eine Mischung aus Vintage-Interior-Design-Store und Snackbar. Die Macher des Amblé, Barbara Sontani und ihr Mann Lorenzo Nardi sowie deren gemeinsamer Freund Fabrizio Bodini, legen genauso viel Wert auf biologisch angebaute Zutaten wie auf guten Stil und originelle Einrichtungsgegenstände. Alles Vorlieben, die sie mit einer Vielzahl der jungen Florentiner teilen – und so erfreut sich das Amblé größter Beliebtheit.

Il Teatro del Sale Erst essen, dann lachen, so lautet die Kurzformel für eines der beliebtesten Restaurants in Florenz. Der Patron im Teatro del Sale ist kein Geringerer als Fabio Picchi, der nicht zuletzt durch seine Kochsendungen und Buchveröffentlichungen in aller Munde ist. Allabendlich wird im Teatro ein großes Buffet aufgefahren, an dem sich die Gäste gütlich tun, bevor der lustige Teil eingeläutet wird. Auf die Bühne tritt dann Maria Cassi, Fabios Lebensgefährtin, die den Florentinern als die weibliche italienische Antwort auf Charlie Chaplin gilt. Keinesfalls verpassen!

Brac Der unscheinbare Eingang täuscht: Das Brac bietet nicht nur kreative vegetarische und vegane Gerichte, die sogar die Liebhaber der traditionellen italienischen Küche überzeugen, sondern auch eine gut sortierte Bibliothek für zeitgenössische Kunst, die gleichzeitig als Gastraum dient. Wenn die Bee Gees dazu noch ‚Good ­Vibrations‘ beisteuern, scheint es keinen besseren Ort für eine entspannte, gesunde Mittagspause zu geben.

www.edizioniteatro www.amble.it

delsalecibreofirenze.it

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Cool Cities / Florenz — Service

FLORENZ Service

www.libreriabrac.net

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Die Mode gilt gerne als schnelllebig. Und doch gibt es Persönlichkeiten, die sie mit ihrem Wissen, Können und Charisma über Jahrzehnte hinweg prägen. Linda Loppa, ihres Zeichens Direktorin der Florentiner Modeakademie Polimoda, ist eine solche Persönlichkeit.

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Kurzbiografie

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1971: Abschluss Modestudium an der Royal Academy of Fine Arts ­in Antwerpen Modedesignerin für Bartsons, einen Hersteller von Regenjacken Leitet ein Geschäft im Zentrum von Antwerpen 1978 – 1991: Eröffnet mehrere Multibrand-Stores Seit 1982: Dozentin im Fachbereich Mode der Royal Academy of Fine Arts ­in Antwerpen 1991 – 1997: Managerin in der Vertriebsabteilung von Dries Van Noten 1996: Mitentwicklung des Flanders Fashion Institutes und des ModeNatie in Antwerpen 2002: Direktorin des MoMu, ModeMuseum of Fashion Provincie Antwerpen ‚Gouden Erepenning Vlaams Parlement‘-Award Seit 2007: Direktorin der Polimoda, Florenz

Wir treffen Linda Loppa in ihrem Büro im obersten Stock der Villa Favard, in der das ‚International Institute of Fashion Design & Marketing’ Polimoda seit einiger Zeit residiert. Nicht nur die Architektur des 1875 erbauten Stadtpalais ist famos, für den Blick aus dem Fenster gilt dasselbe. Man sieht auf den Arno und auf den Bellosguardo-Hügel – dorthin, wo sich ein weiteres Gebäude der Akademie befindet. Ein Szenario, das in seiner Erhabenheit durchaus dem Renommee des Instituts entspricht. Denn unter der Leitung von Linda Loppa hat sich die Polimoda mit ihren 150 Professoren innerhalb kurzer Zeit eine weltweite Reputation erworben. Was nicht weiter verwundert: Schließlich hat die Belgierin mit italienischen Wurzeln vor ihrem Umzug nach Florenz lange Jahre an Antwerpens berühmter Royal Academy of Fine Arts unterrichtet und ab 1983 auch als deren Direktorin gewirkt. Zu ihren Schülern ge-

Cool Cities / Florenz Talks — Linda Loppa

„Mehr denn je ist Vielseitigkeit und geistige Flexibilität gefragt.“

Linda Loppa

hörten die legendären Antwerp Six. Doch das ist Vergangenheit – zumal Loppa kein Mensch ist, der sich auf seinen Lorbeeren ausruht. Vielleicht ja ein Grund, warum sich mancher die Dame nach nur sieben Jahren im Amt aus Florenz ebenso wenig wegdenken mag wie Michelangelos David. Frau Loppa, Sie haben Ihrer Heimatstadt Antwerpen 2007 den Rücken gekehrt, um die Leitung der Polimoda zu übernehmen. Worin bestand ihre Motivation? Was mich in Florenz am meisten beflügelt: Ich kann hier eine neue Lehrmethode ausprobieren – Teil einer Bewegung sein, die Modedesign unter einer veränderten Perspektive betrachtet. Und nicht nur Modedesign: Das Angebot an Kursen und Studienfächern, das wir an der Polimoda bereithalten, geht ja weit über Modedesign hinaus. Es umfasst ein breites Spektrum an kreativen und nicht kreativen Disziplinen, wenn man diese Differenzierung so treffen will. Darin besteht ein wesentlicher Unterschied zu Antwerpen.

Welche Studienfächer bietet die Polimoda denn an? Wir bieten aktuell zwischen 50 und 60 verschiedene Kurse an, bei einer Studierendenzahl von etwa 1.200. Davon studiert gut die Hälfte ein Fach aus dem Bereich ‚Design & Technology‘ – von Footwear Design über Fashion Design bis hin zu Pattern Design. Der Rest strebt entweder einen Abschluss in ‚Business & Management‘ an oder in den Bereichen ‚Media & Communication‘ beziehungsweise ‚Search & Trend Vision‘. Und worin besteht die neue Lehrmethode, von der Sie sprechen? Woran uns besonders gelegen ist, ist der kommunikative Austausch innerhalb der vier verschiedenen Fachbereiche – der disziplinübergreifende Ansatz. Auch Studenten solcher Fachrichtungen, die von Hause aus als nicht kreativ gelten, sollen in kreativem Denken geschult werden. Das disziplinübergreifende Lernen wird zudem nicht zuletzt dadurch befördert, dass unser Programm auch mit Blick auf Abschlüsse und Zielgruppen extrem

breit gefächert ist. Es reicht von unseren ‚Orientation Courses‘, die ein paar Wochen dauern, über die regulären, mehrjährigen ‚Undergraduate Courses‘ bis hin zu unserem ‚Master‘-Angebot, wo man nach 6 bis 14 Monaten den Abschluss macht. Nicht zu vergessen: die ‚Specialisation Courses‘ für Leute, die bereits Berufserfahrung mitbringen und die sich in einem bestimmten Bereich fortbilden möchten – im Rahmen eines Sabbaticals beispielsweise. Außerdem gibt es Sommerkurse, Workshops und zeitlich flexible ‚Private Classes‘. In Sachen Fortbildung für Branchen-People werden wir das Angebot bald noch erweitern. Wie gelingt es Ihnen konkret, vermeintlich nicht kreativen Personen, Brand-ManagementStudenten zum Beispiel, Kreativität zu vermitteln? Indem wir einerseits ihr theoretisches und praktisches Wissen vermehren und andererseits an ihre Intuition appellieren und sie in ihrer persönlichen Vision bestärken. Wissen und Intuition – beides sollte in Balance sein. Denn wenn man zu sehr einer

einzigen Denkweise verhaftet bleibt, wird man schnell zum Fachidioten und verliert seinen natürlichen Instinkt. Der Lehrer spricht und alle hören zu – so war Uni vielleicht gestern. Doch die Modewelt hat sich verändert. Mehr denn je ist Vielseitigkeit und geistige Flexibilität gefragt, und das beinhaltet auch ein gewisses Verständnis für scheinbar fachfremde Disziplinen. New ­Media zum Beispiel, das geht jeden an. Das heißt, bei uns ist der Prof mehr als ein Wissensvermittler. Er ist Teil der Inspiration. Ich bin ein großer Befürworter davon, im Leben Erfahrungen, Visionen und Sichtweisen auszutauschen. Das ergibt sich schon allein aus meiner Biografie. Inwiefern? Obwohl ich lange an der Antwerpener Akademie für Schöne Künste unterrichtet und dort auch selbst studiert habe, besteht meine Vergangenheit nicht ausschließlich aus meiner universitären Laufbahn. Im Gegenteil: Ich hatte schon die verschiedensten Jobs, habe für Designer gearbeitet, hatte ein eigenes Geschäft in Antwerpen,

war Direktorin des MoMu, des 2002 eröffneten Modemuseums der Provinz Antwerpen. All diese Erfahrungen möchte ich auch in meine Arbeit einfließen lassen – und das kann ich hier an der Polimoda. Abgesehen davon gibt mir Florenz als Stadt jede Menge Energie. Sie selbst haben italienische Wurzeln, richtig? Ich bin in Antwerpen geboren und aufgewachsen, aber mein Großvater stammt aus dem armen italienischen Norden, aus den Bergen. Er war Schneider, wie mein Vater übrigens auch. Bei diesem Stammbaum: Was bedeutet Ihnen das Siegel ‚Made in Italy‘? Ob nun aus Italien, Belgien, England oder Amerika – woher die Mode stammt, ist für mich ehrlich gesagt nicht relevant. Mich interessiert das Konzept dahinter. An die 70 Prozent der Studierenden an der Polimoda kommen heute aus dem Ausland. Davon sind knapp 16 Prozent aus China. Die Ausrichtung der Akademie ist also international.

Ich habe mich gestern mit Laura Gori von der bekannten Lederschule Scuola del Cuoio getroffen, und auch sie hat von einem überproportionalen Anteil an chinesischen Schülern berichtet. Wieso auch nicht. In China besteht reges Interesse an italienischem Handwerk und Design. Da hat man noch Nachholbedarf, möchte von uns lernen. Ich habe damit kein Problem. Im Gegenteil. Waren Sie schon mal in Shanghai? Eine beeindruckende Metropole und nicht umsonst Teil des ‚Creative City‘-Netzwerks der UNESCO. Seit der Expo 2010 ist man richtig enthusiastisch und daran interessiert, den Hype um die Stadt aufrechtzuerhalten. Wenn mein Wissen also dem einen oder anderen chinesischen Nachwuchsdesigner weiterhilft – hervorragend! Genau so soll es sein. Und außerdem: Was können wir nicht alles von den Chinesen lernen. Wir sind eine Welt. Wenn wir uns untereinander austauschen, ist das ein Gewinn für alle Beteiligten. www.polimoda.com

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Cool Cities / Florenz Talks — Linda Loppa

Florenz Talks Linda Loppa

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Cool Cities / Florenz Talks — Filippo Fanini

Cool Cities / Florenz Talks — Filippo Fanini

Florenz Talks Filippo Fanini

„Ein Schlüsselerlebnis war, als ich Roberto Menichetti kennenlernte.“

Wir treffen Filippo Fanini am Mittag. Er führt einen Rollkoffer mit seiner Kollektion bei sich und ist etwas abgehetzt. Entgegen italienischen Gepflogenheiten hat er gerade noch hastig ein frühes und schnelles Mittagessen zu sich genommen.

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Kurzbiografie

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2012 Gründung der eigenen Marke 2010 Capsule Collection ‚Noonk‘ 2009 Designer bei Salvatore ­Ferragamo Menswear, Ready-to-wear 2009 Master in Fashion Design an der Polimoda 2004 Aufenthalt in New York 2001 Tätigkeit im Familienunternehmen im Bereich Muster- und Produktentwicklung

Filippo, du hast es 2012 trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage gewagt, dein eigenes Label zu gründen. Mode liegt mir im Blut. Ich wuchs in einem Familienbetrieb auf, der Lederartikel für Luxusmarken wie Donna Karan und Calvin Klein Collection herstellt. Ich bin also seit jeher mit der Produktion betraut, habe von klein auf Leder gerochen, es angefasst, gewaschen, genäht, geschnitten. Ein Schlüsselerlebnis war, als ich ­Roberto Menichetti kennenlernte. Ich war überwältigt von diesem Mann mit dem langen glatten

Haar, der auf mich wirkte wie ein Elf aus ‚Herr der Ringe‘. Wann habt ihr euch kennen­ gelernt? Vor etwa 15 Jahren. Menichetti war damals Creative Director bei Burberry Prorsum. Er hat ja entscheidend zum Comeback von Burberry beigetragen. Glory, das Unternehmen meiner Familie, in dem ich nach der Schule zunächst fünf Jahre gearbeitet habe, war der Lederzulieferer von Burberry. Inspiriert durch Menichettis Aura und ­seine Kreationen habe ich dann Schnitttechnik gelernt und bin später nach New York gegangen, um mal rauszukommen und mein Englisch zu verbessern. Zurück in Florenz begann ich 2006 ein Studium an der Polimoda – zu einem Zeitpunkt, als sich dort alles im Umbruch befand. 2007 übernahm Linda Loppa die Leitung. Keine Frage: Die Polimoda war auch vorher schon eine gute Schule, doch mit Loppa als ­Direktorin wurde der Ansatz um einiges künstlerischer. Heute unterrichte ich auch selbst dort.

Nach deinem Studium wurdest du sofort von Salvatore ­Ferragamo angeheuert. Naja, ganz so schnell ging das nicht. Zunächst bekam ich bei Ferragamo ein Praktikum. Später wurde ich übernommen und hatte die Möglichkeit, mit ­Massimiliano Giornetti und seinem Team zusammenzuarbeiten – und zwar tagtäglich. Denn als ich bei Ferragamo anfing, war Massimiliano noch Creative ­Director der Menswear. Ein anderer Praktikant und ich wurden fast über Nacht zu Senior-Designern befördert, weil unsere Vorgängerin schwanger geworden war. Ehrlich gesagt: Wir hatten keine Ahnung, was man von uns erwartete – es war verrückt. Natürlich hatte ich Glück: Ich besaß ja bereits praktische Erfahrung, wusste zum Beispiel, wie man mit den Schnittmachern redet, solche Dinge. Aber anfangs war es trotzdem schwer. Doch Massimiliano Giornetti, der später Creative Director des gesamten Hauses wurde, ist ein beeindruckender Designer. Er hat uns beigebracht, aufmerksam zu sein

wie Chirurgen und nicht zu prahlen, denn Ferragamo braucht das nicht. Ferragamo ist elegant. Ich blieb drei Jahre – eine großartige Erfahrung. Ich habe tolle Menschen getroffen, für eine tolle Firma gearbeitet. Hast du weitere Vorbilder? Wenn du mich nach meinem wichtigsten Vorbild fragst, dann ist das mein Vater. Er ist der klassische, extrem kreative Künstler. Der Typ, der zwar nicht zeichnet, aber etwas erschafft, der viel recherchiert – immer auf der Suche nach einer neuen handwerklichen Methode. Er entwickelt die Ideen also zusammen mit den Designern? Ja, denn Glory ist kein Unternehmen, das einfach nur die Muster macht und dann die Produktion der Teile übernimmt. Angeboten wird auch der Service der Recherche. Es gibt vier bis fünf Kunden, darunter wie gesagt zum Beispiel Donna Karan. Wird dort etwas Bestimmtes gewünscht, begeben wir uns auf die Suche nach Lösungen – ich sage ‚wir‘,

denn ab und an übernehme noch immer ich selbst die Recherche. Den Kunden schlagen wir dann verschiedene Looks vor. Es ist ein durch und durch kreativer Prozess. Nehmen wir die Designer. Wer inspiriert dich da? Riccardo Tisci. Er beeindruckt mich auf ganzer Linie. Und Hedi Slimane ist auch so ein Kandidat, der mich wirklich inspiriert hat. Du bist bekannt für deinen avantgardistischen Stil und die aufwendige Schnittführung. Wie arbeitest du? Drapierst du an der Büste? Mein Ansatz ist ein sehr praktischer. Natürlich zeichne ich – das ist wichtig. Ich habe immer ein Skizzenbuch dabei. Allerdings versuche ich, die Skizzen schnellstmöglich umzusetzen. Als gelernter Schnitttechniker bin ich ja in der Lage, Schnitte zu nutzen, möchte den Arm oder die Tasche in ihrer echten Größe sehen, als dreidimensionales Muster. Wenn ich ans Drapieren denke, dann kommen mir flau-

schige, voluminöse Sachen in den Sinn – und ich bevorzuge körpernahe Schnitte. Denn Mode dreht sich um den Körper. Wobei: Wenn ich Womenswear mache, drapiere ich auch. Das ist eine gute Herangehensweise, wenn es ums Feeling geht oder um Ideenfindung. Ich sage das auch immer wieder zu meinen Studenten: Das Wichtigste ist, es anzugehen, an und mit den Entwürfen herumzuprobieren und seine Hände zu benutzen – ob nun Papier oder bereits Stoff im Spiel ist. Apropos: Was gibst du deinen Studenten sonst noch mit auf den Weg? Sie fragen mich: Wie werde ich ein erfolgreicher Designer? Wie lange wird es dauern? Ich antworte: Genießt die Zeit, es geht hier nicht um Wirtschaft, es geht um Kunst. Klar ist es cool, mit 28 oder 30 ein erfolgreicher Designer zu sein. Aber wenn du nun 45 oder 50 bist – wen kümmert das? Das Einzige, was zählt, ist deine Kreativität. Yohji Yamamoto wurde erst um die 40 so richtig bekannt. Oder Armani,

der war auch kein Jungspund. Meine jetzige Kollektion enthält sechs Teile, nächstes Jahr werden es zwölf. Und dann lerne ich vielleicht, eine große Kollektion für eine Show zu machen, aber Schritt für Schritt. Alles, was wirklich gut ist, braucht Zeit zum Reifen. Eine letzte Frage: Wie beurteilst du den Status quo der italienischen Mode? Hier in Mailand existiert dieser Kreis, in den niemand wirklich hineinkommt. Versteh mich nicht falsch: Ich bin dankbar für ­Valentino, Giorgio Armani oder Alberta Ferretti, aber wir müssen auch dem Nachwuchs eine Chance geben. Andrea Pompilio ist ein gutes Beispiel für eine gelungene Förderung. Es ist wichtig, dass sich die Modeszene weiterentwickelt – auch in Italien. www.filippofanini.com

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Geradezu schüchtern wirkt Fanini, als wir ihn fotografieren möchten. Doch im Gespräch blüht er merklich auf und erzählt wortreich – und darin dann doch typisch italienisch – von seinem Werdegang. Der Designer ist Spross einer Familie mit ­Wurzeln in der Lederverarbeitung. Höchste Qualitätsansprüche und ein Hang zu ausgefallenem Design sind ihm in die Wiege gelegt. Seit 2012 betreibt der 32-Jährige sein eigenes Label.

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Cool Cities / Florenz Talks — Daniele Davitti

Cool Cities / Florenz Talks — Daniele Davitti

Florenz Talks DAniele Davitti

„Wenn sich die Gesellschaft verändert, ändert sich der Begriff von Schönheit. Das hoffe ich zumindest.“

Du bist gerade erst aus den USA zurück. War das deine erste Ausstellung in New York? Ja, es war mein erstes Mal in New York und in den USA – und meine erste Malerei-Ausstellung. Also jede Menge erste Male. Kurzbiografie

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2008 graduierte Davitti an der Polimoda, wo er heute auch selbst unterrichtet. 2009 machte er seinen Master in Fashion Illustration in Osaka. Anschließend begann er, neben seiner künstlerischen Laufbahn Theaterkostüme zu entwerfen und für Privatkunden zu arbeiten. Seine erste Einzelausstellung als Illustrator und Maler hatte Davitti im September 2013 in New York.

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Wie bist du zur Kunst gekommen? Ich stamme aus einer Künstlerfamilie. Wie du siehst, stehen hier einige Skulpturen. Die sind von meinem Vater. Meine Großmutter war Pianistin. Die Kunst hat mein Leben von Anfang an bestimmt. Gleichzeitig hatte ich aber das Bedürfnis, etwas Angewandtes zu machen. Deshalb habe ich hier in Italien und in Japan Mode studiert. Die Inspiration dazu verdanke ich unter anderem Persönlichkeiten wie Mariano Fortuny oder Paul Poiret – zwei kreative Köpfe, die im Leben nicht bloß eine Sache gemacht haben, nicht bloß Kunst oder Mode, sondern beides und noch mehr: Tapeten oder Parfüm beispielsweise. Gleichzeitig liebe ich

Daniele Davitti

die Grafikkünstler, angefangen bei den Meistern der japanischen Kunst wie Katsushika Hokusai bis hin zu Illustratoren wie Aubrey Beardsley und Edward Gorey. Denn letztlich sehe ich mich doch in erster Linie als Illustrator. Gibt es weitere Vorbilder in der Kunst? Ich fühle mich zur Belle Époque hingezogen und hätte wahnsinnig gerne in dieser Zeit gelebt. Egon Schiele ist ein Künstler, den ich sehr bewundere. Als ich seine Bilder zum ersten Mal in Wien sah, war ich wie vom Donner gerührt. Das ist mir bei keinem der großen florentinischen Meister so gegangen. Außerdem liebe ich die deutschen Expressionisten – und die Dadaisten um Marcel Duchamp. In deinen eigenen Werken tauchen fast nur ältere Frauen auf. Ist das ein Statement gegen den Jugendwahn in der Modeindustrie? Ja, denn meiner Meinung nach ist die Idee von Schönheit in unserem Zeitalter extrem unnatürlich.

Irgendwie bleibt die Menschlichkeit auf der Strecke. Mich persönlich faszinieren Frauen wie Bette Davis, besonders in ihren späten Jahren mit ihren Augen und dem tragischen Ausdruck darin. Oder ein Charakter wie Marchesa Luisa Casati. Sie galt ihren Zeitgenossen zunächst als eher hässliche Frau, weil sie dünn war und Tränensäcke hatte. Aber sie unterstrich und verstärkte ihr Aussehen noch und wurde so Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer der wichtigsten Modeikonen Italiens. Das ist es, was mich am meisten berührt: Menschen, deren Schönheit durch den Charakter bestimmt wird. Findet sich dieser Aspekt in der zeitgenössischen Mode überhaupt berücksichtigt? Kennst du ein positives Beispiel? Die Mode sucht ewig nach Neuem. Doch wenn man genau hinsieht, tut sich recht wenig. Dabei braucht Mode Veränderung – und zwar nicht nur in Sachen Schnitt oder Stoff, sondern auch was die Interpretation von Schönheit betrifft. Ein Beispiel

für eine gelungene Neuinterpretation war zweifellos die letzte Rick-Owens-Womenswear-Show: Owens hat mit seinen molligen, martialischen Models den Nagel auf den Kopf getroffen und alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Und warum? Natürlich waren die Designs interessant, aber noch spannender waren die Menschen, die sie trugen. Ja, das stimmt wohl. Und wie beurteilst du die Entwicklung in der Männermode? Aktuell verändert sich das Bild der Männer stärker als das der Frauen. Wenn man sich die weiblichen Supermodels anschaut, hat sich in den letzten Jahren nicht viel getan. Denk doch nur an die unsterbliche Kate Moss. Bei den Männern hingegen sehen wir neue Gesichter, neue Frisuren, neue Volumen, neue Silhouetten, neue Passformen. Die Antwort bei den Frauen könnte die Plus Size sein – aber nur dann, wenn die Mode, die Gesellschaft, die Wirtschaft, all diese Instanzen, die miteinander verbunden sind, folgen. Wenn sich die Gesellschaft verändert, ändert sich

der Begriff von Schönheit. Das hoffe ich zumindest. Du scheinst einen sehr differenzierten Blick auf die Modewelt zu haben. Siehst du dich als Modemensch? Nun ja, mich und die Mode verbindet eher eine Hassliebe. Aber die Liebe überwiegt wohl. Andernfalls würdest du kaum an der Polimoda unterrichten, oder? Zu Beginn warst du 24 und damit der jüngste Professor Italiens. Heute bist du 27. Was bedeutet dir diese Arbeit? Linda Loppa gab mir die Gelegenheit, und ich muss sagen: Es macht wahnsinnig viel Spaß. Meine Studenten sind 18 oder 20 Jahre alt und bringen viel frischen Input mit. Das heißt, nicht nur ich gebe ihnen etwas – sie geben mir auch etwas zurück! Das ist fantastisch. Eine meiner Studentinnen kam sogar nach New York zu meiner Ausstellung, und sie war sehr kritisch. Es war großartig, ihre Meinung zu hören. So frisch, so unbeeinflusst vom Markt.

Was versuchst du, deinen Schülern zu vermitteln? Eine der ersten Lektionen, die ich meinen Studenten regelmäßig erteile, lautet: Coco Chanel ist nicht klassisch. Coco Chanel war eine Frau, die alle Regeln ihrer Zeit gebrochen hat. Sie war wild wie Vivienne Westwood. Und jetzt sagen alle: „Oh, ich liebe Chanel. Es ist so klassisch.“ Nein! Coco Chanel ist nicht klassisch. Heute ja, aber zu ihrer Zeit sah das völlig anders aus. Es ist wichtig, so etwas zu bemerken. Die Studenten sollen verstehen, dass sie frei sind. Dinge so zu tun, wie Prada sie tut, ist uninteressant für uns. Das gibt es doch alles schon! Das versuche ich auch den ausländischen Studenten zu vermitteln. Sie kommen aus Indien oder Russland und wollen ‚Mailand‘ sein – ahmen also Sachen nach. Und ich sage ihnen: „Nein, du hast diesen großartigen indischen Hintergrund. Nutze ihn! Das bist du. Wir brauchen keinen weiteren Designer aus Mailand, der sich wie jemand aus den 80ern benimmt. Das gibt es schon. Wir wollen neue Sachen. Dich, aus Indien. Dich, aus Mumbai. Zeig uns deine Kultur. Zeig uns deine Regeln. Und wenn sie nicht modisch sind: Du machst sie modisch.“ In Amerika ist man da ja ein bisschen mutiger. Hast du das auch so empfunden? Ich habe in New York eine Stadt gefunden, die auf radikale Weise anders ist als alles, was ich bisher gesehen hatte – und ich bin schon viel herumgekommen, war in Afrika, Asien, in vielen Städten Europas. Ich habe in Japan studiert. Aber New York

ist einzigartig. Eine Stadt mit so vielen Möglichkeiten. Eine Stadt voller Menschen, die wegen eines Traums da sind. Das ist es, was ich so liebe. Jeder einzelne Mensch, den ich dort traf, hatte einen Traum. Da gab es kein ‚Glaubst du, ich kann …?‘, sondern nur ein ,Ich will das und das sein‘ oder ,Ich will das und das machen‘. Und wenn man dafür erst einmal kellnern muss, egal! Was ist dein Traum? (überlegt einen kurzen Moment) So ziemlich das, was ich gerade tue. Ich möchte unbedingt weiter unterrichten. Das ist etwas, das ich gerne mein Leben lang machen würde. Außerdem möchte ich weiterhin künstlerisch tätig sein. Hast du meine Webseite gesehen? Dort steht: ‚Daniele­ ­Davitti: arts and crafts‘. Ich möchte gerne an meiner Kunst arbeiten, weiterhin ausstellen – mich aber parallel auch Dingen widmen wie handbedruckten Textilien. Eine Reihe von Kimonos und Kaftans mit meinen eigenen Graphics habe ich ja bereits kreiert. Mein Traum ist es, mein eigenes Universum zu erschaffen. Hast du das nicht bereits getan? Naja, ich würde gerne einen kleinen Shop eröffnen. Dort würde ich einerseits Objekte wie Kissen, Tapeten und Stoffe verkaufen, andererseits meine Illustrationen und Gemälde präsentieren – und so die beiden Welten, in denen ich mich bewege, vereinen: die Welt des Handwerks und die der Kunst.

danieledavitti.com

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Ein früher Sonntagmorgen in F ­ lorenz. Die Stadt schläft, aber Daniele Davitti ist schon putzmunter. Er ist am Abend zuvor aus New York zurückgekommen, wo er eine Ausstellung mit seinen Illustrationen und Gemälden hatte. Der Jetlag scheint ihm nichts anzuhaben. Dandy-like empfängt er uns barfuß in einem bodenlangen Kimono. Zum Gespräch nehmen wir in den weichen Sesseln in seinem salonartigen Wohnzimmer Platz, das auch als Ausstellungsraum dient.

www.tazzagallery.com

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Friend of Fred Ein knappes Dreivierteljahr ist vergangen, seit Andy Rogers den Job als Brand Director beim HighStreet-Retailer Reiss gegen denselben Posten bei Fred Perry eingetauscht hat. Zuvor war er sieben Jahre lang die rechte Hand von Stella McCartney – als Visual ­Director. „Ich war der Kreative im Büro, der keine Kleidung entworfen

hat.“ Bei Fred Perry kommt dem 44-Jährigen die Aufgabe zu, ein Sportswear-Label zu pushen, bei dem sich längst nicht alles um Sport dreht, und den Bekanntheitsgrad des Brands mit dem Lorbeerblatt-Logo weiter zu erhöhen. „Das Wichtigste ist, das, was wir tun, besser zu machen.“

Rogers lebt mit seiner Frau, einer Freelance-Schmuckdesignerin, und seinen zwei Söhnen in Süd-London. Zur Head Office von Fred Perry in Covent Garden fährt er mit seinem maßgeschneiderten Single-speed-Bike aus der britischen Fahrradschmiede Bob Jackson. Das passt gut, denn zu den Kollaborationen im Hause Fred Perry gehört eine mit Tourde-France-Gewinner Bradley Wiggins. Wie viele Fred-PerryTräger liebt Andy Rogers Fußball, auch wenn er sich beim Spielen seinen Knöchel ruiniert hat und sich über seine „schlechten Hüften“ beschwert. Er trägt eine Uhr der Marke Patek Philippe und liebt auch sonstigen Schmuck. Er könne sich gut vorstellen, meint Rogers, eines Tages wieder für ein

Die Fred-Perry-Büros machen einen recht spartanischen Eindruck ... Ich muss mit dem Office-Manager reden – ich hasse den Eingangsbereich. Es gehört zu meinem Job, mich um solche Dinge zu kümmern. Was unterscheidet deine Tätigkeit bei Fred Perry von deinen früheren Jobs? Bei Reiss haben wir die Marke quasi erfunden. Hier ist sie bereits sehr stark. Wir haben 1,2 Millionen hingebungsvolle Hardcore-Fans auf Facebook – die werden immer mehr über Fred Perry wissen als ich. Also unterscheidet sich der

„Fred Perry ist sowohl bei JD Sports als auch bei Dover Street Market präsent. Es gibt lediglich eine Handvoll Brands, denen dieser Spagat gelingt.“ Andy Rogers Brand Director Fred Perry

„Mit 14, 15 drehte sich bei mir alles um The Jam 55 — 01/2014

und Fred Perry.“

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Brands & Brains — Andy Rogers, Fred Perry, London

F r e d Pe r r y

Schmucklabel zu arbeiten – wie zu Beginn seiner Karriere, als er unter anderem für Tiffany & Co. tätig war. Rogers Büro bei Fred Perry ist überraschend kahl – nur zwei Laserdrucke von der letzten Fred-Perry-Kampagne hängen an der Wand, als Dekoration und Inspiration zugleich. Es handelt sich um Schwarz-Weiß-Bilder, die Männer in streng zugeknöpften Shirts zeigen, was vordergründig im Kontrast zu Fred Perrys Heritage als smarte TennisMarke zu stehen scheint. Doch diese Sichtweise relativiert sich schnell, blickt man auf die wechselvolle Geschichte des Brands zurück, das in der Vergangenheit immer wieder auch gemeinsame Sache mit jugendlichen Subkulturen gemacht hat – allen voran mit den Mods und der NorthernSoul-Bewegung. Rogers beschreibt seine Rolle als die des „brand guardian“ und räumt ein: „Manchmal sehen wir vielleicht zu britisch aus.“ Er möchte Fred Perry als eine Marke für Nonkonformisten jeglicher Herkunft etablieren und den Lorbeerkranz auf der Brust als Zeichen der Rebellion. „In Jeans kannst du nicht mehr nonkonformistisch sein“, meint er schließlich.

Job fundamental von dem bei Reiss. Bei Fred Perry geht es darum, die DNA, den Ethos und die Seele der Marke zu bewahren und zugleich einem breiteren Publikum zu vermitteln, was diese drei Dinge ausmacht. Fred Perry ist sowohl in einer Sportkette wie JD Sports als auch bei Dover Street Market präsent, und zwar mit nahezu denselben Produkten. Es gibt lediglich eine Handvoll Brands, denen dieser Spagat gelingt – Nike und Adidas vielleicht. Woher diese breite Zielgruppe? Fred Perry ist eingebettet in die Geschichte verschiedener Subkulturen und Musikszenen – angefangen von den 1950ern bis zum heutigen Tag. Die Marke entwickelt sich stetig weiter und hat Fans auf der ganzen Welt. In den Social Media bilden Brand und Shirt quasi eine Einheit, und das zieht sich durch alle Subkulturen. Dabei gibt es stets eine Konstante: Fred Perry repräsentiert den modernen, eher cleanen, geschmackssicheren Part der jeweiligen Bewegung. Da gibt es dieses tolle Foto von einem Typen aus L.A., mit Gang-Tattoos selbst auf den Händen und Finger-

Brand History Fred Perry hieß der Mann aus dem Norden Englands, der Tennis – einstmals ein Upper-Class-Sport – in den 1930er Jahren revolutionieren sollte. Wie? Indem er, Sohn eines Baumwollspinners, dreimal in Folge Wimbledon gewann. Zum Missfallen des britischen Establishments, was Perry später dazu bringen sollte, in die USA auszuwandern. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er in den Reihen der amerikanischen Armee, war der Liebhaber der deutschen Schauspielerin Marlene Dietrich und lancierte 1952 seine eigene Tennis-ShirtKollektion. Die Marke wurde von der Clubszene und später unter anderem von den Mods und der NorthernSoul-Gemeinde für sich entdeckt. Allesamt wussten sie ein Shirt zu schätzen, in dem man schwitzen konnte, während man tanzte. Das Markenlogo, der Lorbeerkranz, avancierte zum Symbol der Jugendkultur, während das Tennis-Erbe des Unternehmens zunehmend in den Hintergrund rückte, da man sich dem Sport-Sponsoring weitgehend verweigerte. Anfang des Jahrtausends lancierte Fred Perry seine Footwear und erfand sich selbst neu. Kollaborationen mit Comme des Garçons, Raf Simons, Amy Winehouse oder jüngst mit Radrennfahrer Bradley Wiggins spielten dabei eine zentrale Rolle. Die Marke Fred Perry ist heute unterteilt in die ‚Authentic‘- und die ‚Laurel Wreath‘-­ Kollektion. Während ‚Authentic‘ vor allem über Stores mit einem Schwerpunkt auf Sports- und Casualwear verkauft wird, nimmt sich die Zielgruppe von ‚Laurel Wreath‘ etwas anspruchsvoller aus.

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Brands & Brains — Andy Rogers, Fred Perry, London

Interview Oliver Horton Fotos Andi Zimmermann

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„Wir steuern auf unsere zehnte Kollektion mit Raf Simons zu. Das ist also eine Langzeit-Beziehung.“

uns. Wir sollten dies mehr herausstellen. Ein Teil unserer Strategie besteht darin, online präsenter zu werden und dort auch zu werben. An erster Stelle stehen dabei unsere Webseite und Social-Media-Präsenz plus die entsprechende Bildsprache, die Kommunikation insgesamt, die E-Mails, die wir verschicken. Einen beträchtlichen Teil des MarketingBudgets verwenden wir auf Konzerte, die unter dem ‚SubSonic Live‘-Banner stattfinden. Fünf große Gigs sind für dieses Jahr geplant. Wenn du spontan antworten müsstest: Worauf liegt 2014 bei Fred Perry der Fokus? Auf dem Fred-Perry-Shirt. Wir müssen unsere Autorität auf dem Poloshirt-Markt untermauern. Das Wort ‚Poloshirt‘ benutzen wir allerdings nicht. Für uns ist das Poloshirt schlicht das Fred-Perry-Shirt. Wenn man sie alle nebeneinanderlegt – Ralph Lauren, Lacoste etc. – und mit dem Fred-Perry-Shirt vergleicht, versteht man den Unterschied. Und wenn wir uns auf das Shirt konzentrieren, konzentrieren wir uns auf die Marke Fred Perry. Wir planen außerdem weitere Stores. Und auch hier soll das Produkt im Fokus

Sind Kollaborationen denn noch immer wichtig für Fred Perry? Wir steuern unter anderem auf unsere zehnte Kollektion mit Raf Simons zu. Das ist also schon mal eine Langzeit-­ Beziehung. Raf liebt Fred Perry, er liebt das Logo und möchte weitermachen. In der Vergangenheit haben wir mehrmals mit Comme des Garçons zusammengearbeitet – auch das lässt sich jederzeit wiederbeleben. Denn auch hier liebt und versteht man uns. Wir kollaborieren ja auch viel mit Dover Street Market. Aktuell ist bei uns eine gemeinsame Kollektion mit dem Künstler und Anarchisten Jamie Reid in der Pipeline, und die werden wir wahrscheinlich bei Dover Street Market in London, Tokio und New York lancieren. Also ja: Kollaborationen sind für uns noch immer ein wichtiges Tool, um dem Endkonsumenten etwas Besonderes zu bieten.

Andy Rogers Kurzbiografie Fred Perry: Brand Director seit Mai 2013 Reiss: Brand Director, Mai 2008 – Mai 2013 Stella McCartney: Store-Planung und Visual Director, März 2001 – April 2008 Tiffany & Co.: European Visual ­Merchandising Manager, Mai 2000 – Mai 2002 Frühere Tätigkeiten: Asprey & Garrard, ­Simpsons of Piccadilly Ausbildung: Winchester School of Art Geboren: 8. September 1969

knöcheln. Ansonsten: Haartolle, Jeans und ein Paar Boots. Und das, was diesen Look zusammenhält, ist das cleane Fred-Perry-Shirt, zugeknöpft und eng geschnitten. TattooTräger oder was auch immer – das Shirt ist der gemeinsame Nenner. Welchen Subkulturen fühlt sich Fred Perry heute ­verbunden? Wir sind immer noch Teil der Fankultur im Fußball. Ob man Fußball nun liebt oder hasst – fest steht, dass sich dort auf den Tribünen bis heute eine oftmals sehr modeaffine Jugend versammelt. Dann bekomme ich aber auch Dinge zu hören wie: „Wusstest du, dass es in Thailand eine Underground-Punk-Szene gibt, die nur Fred Perry trägt?“ Und der Typ in L.A., von dem ich eben gesprochen habe, ist ein Latino-Rapper. Das Tolle an den Social Media ist: Man bekommt mit, was solche Leute mögen. Du siehst Typen, die auf Death Metal oder Hardcore Trash und auf Fred Perry stehen, Street People aus Singapur und ihre Interpretation des Brands. Oder Skater, die Fred Perry tragen.

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Warst du ein Fred-Perry-Fan, bevor du Brand Director der Marke wurdest? Ich war ein Mod. Mit 14, 15 drehte sich alles um The Jam und Fred Perry.

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Und dann ...? Dann ging ich zur Kunsthochschule und studierte Malerei. Dort ging es darum, das Auge zu trainieren. Du kannst malen, was du willst – egal. Aber irgendwann heißt es immer: „Und jetzt sag was dazu.“ Dann stehst du da vor deinen Mitstreitern. Und wenn dir dann keine Story zu deinem

Zum Thema Tennis erst einmal so viel: Wir werden die Tennis-­Linie irgendwann relaunchen. Wir haben ja auch heute Tennis-Styles in unserem Portfolio, forcieren diesen Bereich aber derzeit nicht. Im Tennis liegen unsere Wurzeln, und ich glaube fest daran, dass Fred Perry wieder auf den Court zurückkehren kann. Sieh dir die letzten ­Wimbledon-Spiele an – wie sich der Look der Spieler verändert hat: Alles ist übergroß, baggy, wenig schmeichelhaft, wenig sexy. Dahinter steht keine Haltung. Wir könnten das wieder zurückbringen. Und wenn der Tag gekommen ist, an dem wir unsere Tennis-Kollektion lancieren, dann werde auch ich Tennis-Stunden nehmen. Kann Fred Perry der Balanceakt zwischen Sport und ­Subkultur überhaupt gelingen? Blättert man in den alten Katalogen, sieht man, welche zentrale Rolle der Sport stets für Fred Perry gespielt hat. In den 70ern und frühen 80ern lächelten die Männer und Frauen mit Tennisschläger und Schweißband in die Kamera. So hat sich das Unternehmen damals präsentiert. Gleichzeitig trugen Punks und Mods Fred Perry. Würdest du gerne einen Wimbledon-Sieger ausstatten? Es wäre naiv von mir zu glauben, wir könnten Novak ­Djokovic, Rafael Nadal oder Andy Murray einkleiden. Wir sollten da etwas bescheidener herangehen. Es gibt auf der ganzen Welt Tennis-Clubs, und Sonntag für Sonntag werden die zum gesellschaftlichen Treffpunkt. Dort könnte man ansetzen. Ich liebe den Gedanken einer Tennis-Kollektion, deren Distribution an ungewöhnlichen Orten erfolgt, so dass der Träger Kommentare erntet wie: „Ach was? Du hast das Shirt aus dem Beverly Hills Tennis Club?“ Besonders

Brands & Brains — Andy Rogers, Fred Perry, London

Fred Perry war ein berühmter Tennisspieler. Spielst du auch selbst Tennis?

Menswear lässt sich auf eine solche Weise toll pushen, selbst wenn wir am Credo der streng limitierten Stückzahl festhalten, wie es auch für unsere vielzähligen Kollaborationen gilt. Auch im Rahmen dieser Kollaborationen bekommen die Leute ja regelmäßig eine breite Variation von Shirts präsentiert, die jeweils auf 1.000 Stück limitiert sind.

Fred Perry heute Eigentümer der Marke: ­ Hit Union Co. Ltd., Japan Beschäftigte: 250 Internationale Präsenz: Fred Perry wird in mehr als 75 Ländern verkauft Hauptmärkte: UK, Frankreich, Naher Osten, Japan, Südostasien Neue Märkte: erste StoreEröffnungen in Brasilien und Indien; angestrebtes Wachstum in Russland und China/Hongkong

Welche Rolle spielt das Siegel ‚Made in England‘? Wir fertigen das Lorbeerkranz-Shirt, das klassische M12, in Leicester. Es wird von Hand gefertigt. Denn die Fäden, die an den ‚twin tip collars‘, unseren Krägen mit den zwei farbigen Streifen raushängen und die die meisten Labels abschneiden, fädeln wir wieder ein, und das geht nur in Handarbeit. Um das Logo zu sticken, benötigt die Maschine zwei Minuten und 20 Sekunden, was eine recht lange Zeit ist. Wir haben einen kleinen Film über diesen Vorgang gedreht: Der Lärm, den die Maschine macht, ist enorm. Dieses Gerät arbeitet direkt und ehrlich – und kann bei einer Marke wie Fred Perry fast schon als symbolhaft angesehen werden.

Vertrieb: 40 Prozent über mehr als 100 eigene Monobrand-Stores und den Online-Shop, 60 Prozent über den Großhandel

Könnte der Lorbeerkranz jegliches Produkt zieren, oder gibt es klare Grenzen, was euer Angebot betrifft? Wir machen kein Denim. Die Leute, die Fred Perry tragen, haben diese nonkonformistische Einstellung – und in einem Paar Jeans kannst du nicht nonkonformistisch sein. Ich selbst tue mich schwer damit, mir Jeans zu kaufen. Ich fühle darin mein Alter. Fred Perry betrachte ich allem voran als Shirt- und Schuh-Brand. Wir haben großartige Shirts und großartige Schuhe. Letztere machen rund 30 Prozent unseres Geschäfts aus, vermutlich, weil unser Logo auf Schuhen so toll aussieht. Wir gehören zu den wenigen Privilegierten, die ein phänomenales Logo haben.

News: 2013 übernahm Fred Perry den britischen Daunenjacken-Hersteller Lavenham

Könnt ihr euch denn vorstellen, mit der Marke neue ­Segmente zu erobern? Wenn wir unsere DNA nicht preisgeben wollen, können wir keine Homeware und keine Kerzen machen. Und wir sollten auch keine Düfte herstellen. Wir könnten vielleicht Sonnenbrillen anbieten. Ich habe früher oft Anzüge getragen und vermisse das. Im Sommer bin ich mit Chinos und einem TShirt zufrieden. Doch kommt der Winter, fühle ich mich in Hemd und Krawatte wohler. Aber Anzüge – das wäre nicht das Richtige für Fred Perry. Das Thema Hosen finde ich da schon interessanter. Welche Hose ließe sich zum Fred-­ Perry-Shirt kombinieren? Wie müsste man sie tragen? Und wie sieht es in Sachen Marketing aus? Wir pflegen eine großartige Beziehung zur Musik-Industrie, haben mit Amy Winehouse zusammengearbeitet. Blur trägt

Kollektionsgröße: 500 ­Styles insgesamt, bezogen auf Menswear, Womenswear, Footwear und Accessoires Berühmte Fans: die Mitglieder der Britpop-Band Blur, Tour-de-France-Gewinner Bradley Wiggins

stehen, was konkret bedeutet: Wir werden unsere FredPerry-Shirt-Wand neu gestalten. In der aktuellen Wand sind alle 48 Shirts gefaltet und gestapelt. Es ist eine mächtige Wand, aber das einzelne Shirt kann man nicht gut sehen. Und gerade das verdient es doch. Vielen Dank für das Gespräch. www.fredperry.com

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Brands & Brains — Andy Rogers, Fred Perry, London

Werk einfällt und du deine Nervosität nicht in den Griff bekommst, dann gibt es keine Gnade, da muss man durch. Am Ende bist du auch schon mal in Tränen aufgelöst. Das ist es, was du auf der Kunsthochschule machst: kreieren und debattieren. Man lernt zu präsentieren. Und so entwickelt man das Selbstbewusstsein, zu seiner Intuition zu stehen oder – auf meinen jetzigen Job bezogen – sich durchzusetzen, wenn man spürt, dass ein bestimmter Schritt für die Marke richtig ist. Meine Aufgabe bei Fred Perry besteht darin, die Visibilität und Außenwirkung der Marke zu erhöhen – ob nun mithilfe eines Satzes, eines Bildmotivs oder eines Store-Designs. Wichtig ist es, die Message auf den Punkt zu bringen – auch für uns als Marke mit diesem starken subkulturellen Background.

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Brands & Brains — Henrik Vibskov, Kopenhagen

Brands & Brains — Henrik Vibskov, Kopenhagen

Interview Ilona Marx Fotos Andi Zimmermann

He n r i k V i b s k o v

Vibskovs Vision Dass Henrik Vibskov viele Talente besitzt, ist uns geläufig. Seit seiner Kindheit spielt er Schlagzeug, tourte schon mit dem Elektromusiker Trentemøller. Er entwirft Theaterkostüme und hat in Museen wie dem New Yorker MoMA PS1 und dem Palais de Tokyo in Paris ausgestellt – nicht etwa seine Modekreationen, sondern Readymades und Skulpturen. Und doch sind wir ­verblüfft, als wir ihn in seinem neuen Headquarter in ­Christiansholm umringt von Farbeimern antreffen.

Christiansholm ist eine der vielen künstlich angelegten Inseln im Kopenhagener Stadtkern. In Sichtweite liegt der Hafen, genau wie das Königliche Theater, die Oper und der Nyhavn, mit seinen schmucken Giebelhäusern, Restaurants und Bars eine der Ausgehmeilen der dänischen Hauptstadt. ‚The paper island‘ wird Christiansholm auch genannt, da hier, wo die Gentrifizierung ihr Werk noch nicht vollendet hat, Teile der dänischen Presse jahrzehntelang ihr Papier lagerten. Vor sechs Monaten hat Henrik Vibskov sein Studio aus einem ehemaligen Fabrikgebäude im Stadtteil Vesterbro auf diese Insel verlegt. Doch die Genehmigung für den Umzug in die neuen Räumlichkeiten erhielt er nur unter der Auflage, dass ein Café dort Platz finden würde – ein öffentliches. Einer der Investoren, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dafür sorgen werden, dass Christiansholm seine Hotspot-Qualitäten in den kom-

das Ergebnis ist es manchmal besser, wenn die Dinge ein bisschen

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komplizierter sind.“

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Buchtipp ‚Henrik Vibskov‘ 2012 hat Henrik Vibskov anlässlich einer Buchpublikation gemeinsame Sache mit dem Berliner Gestalten Verlag gemacht. Der 240 Seiten starke Bildband mit Texten in englischer Sprache – darunter viele aus der Feder von Vibskov himself – ist für 39,00 Euro erhältlich. Eine lohnende Investition, da hier erstmals ein umfassender Einblick in das facettenreiche kreative Schaffen des Designers gewährt wird.

„Ich bin mit mehreren Geschwistern aufgewachsen. Ich würde also sagen, mein erster ‚fashion moment‘ war secondhand und ein wenig oversized.“ menden Jahren voll ausspielt, machte dies zur Bedingung. Daher also die Farbeimer. Denn Vibskov hat sich nicht nur entschlossen, gleich zwei Räume seines Headquarters dem Gastro-Vorhaben zu opfern – er hat auch selbst ein Auge auf die Renovierung. Wie gesagt, Vibskov hat viele Talente. Darunter die Mode, für die der hoch aufgeschossene, schlaksige Mann aus Jütland nicht nur zahlreiche Preise erhalten hat, sondern die auch in einigen der renommiertesten Stores weltweit verkauft wird. So bei 10 Corso Como in Mailand, Tom Greyhound in Seoul oder RA in Antwerpen. Seit seinem Abschluss am Londoner Central Saint Martins College 2001 hat der Däne, Jahrgang 1972, über 20 Menswear-Kollektionen entworfen. Er hat zwei eigene Stores eröffnet – einen in Kopenhagen, einen in New York –, hat zwei Kinder gezeugt und sich als Designer längst auch der Womenswear angenommen. Und obwohl Henrik Vibskov zu den Aushängeschildern des skandinavischen Modedesigns zählt, verweigern sich seine Kollektionen dem Schlagwort des minimalistischen Scandinavian Chic. In seinen freigeistigen

Unregelmäßigkeiten auf, genauer: eine Art Fischhaut-Optik. Gewollt? Nein, meint Vibskov, wohl eine unvorhergesehene chemische Reaktion. Aber hätte man diesen Effekt bewusst erzielen wollen, witzelt er, hätte man wahrscheinlich größte Mühe gehabt. Vermutlich weiß der Mann, wovon er spricht. Denn trotz der komplexen Konzepte, die hinter seinen Kreationen stehen, ist das Spielerische Indiz dafür, dass im Vibskovschen Kosmos ab und an der Zufall Platz auf dem Regiestuhl nehmen darf. Vibskovs Mode passt in keine Schublade. Oder doch? Henrik, ich kenne viele Designer, die ihre Leidenschaft für Mode bereits in der Kindheit entdeckt haben. Erinnerst du dich an deinen ersten ‚fashion moment‘? Na ja, was soll ich sagen? Ich bin mit mehreren Geschwistern aufgewachsen und natürlich dazu genötigt worden, deren Klamotten aufzutragen. Ich würde also sagen, mein erster ‚fashion moment‘ war secondhand und ein wenig oversized (lacht).

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„Mit Blick auf

Entwürfen, die sich ebenso durch den wilden Mix grafischer Muster auszeichnen wie durch eine Linienführung, die herkömmliche Proportionen oftmals auf spektakulär unkonventionelle Weise verschiebt, scheinen Einflüsse aus Kultur, Musik und Kunst miteinander zu verschmelzen. Dass ­Vibskov seine Mode nicht nur bei den Kopenhagener Schauen, sondern seine Menswear zudem auf der Pariser Fashion Week zeigt – immer im Rahmen aufwendiger, gerne surrealistisch anmutender Inszenierungen –, passt ins Bild und unterstreicht die Ausnahmestellung des Multitalents. Bei der Renovierung des zukünftigen Cafés, in das wir uns mit einer Tasse Kaffee zum Gespräch begeben – als mutmaßlich erste Gäste –, scheint allerdings etwas schiefgelaufen zu sein. Immer wieder begutachtet Henrik Vibskov den Boden, der mit schwarzem Lack bestrichen ist. Er scheint gerade erst trocken geworden zu sein und weist

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Kurzbiografie

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Seine Kollektionen tragen Namen wie ‚The Pigs‘, ‚­Dancing Frogs‘, ‚The Solar Donkey Experiment‘ oder ‚The Bathtub Observer‘ wie im Fall der SommerKollektion 2014. Seine Markenzeichen sind neben innovativen Silhouetten und ungewöhnlichem Mustermix surrealistische Catwalk-Shows. Geboren wurde Henrik Vibskov 1972 in Kjellerup, Jütland, und er fühlt sich seiner Heimat bis heute sehr verbunden. So ist der Designer nach seinem Modedesign-Studium am Londoner Central Saint Martins College von 1998 bis 2001 nicht nur nach Dänemark zurückgekehrt, um Kopenhagen zum Sitz seines Labels zu wählen. Er präsentiert seine Kollektionen auch nach wie vor bei der Copenhagen Fashion Week. Seit 2003 zeigt er seine Menswear zudem in Paris. Seit 2009 lehrt Vibskov regelmäßig an renommierten Akademien, darunter Central Saint Martins, das ­Istituto ­Europeo di Design in ­Madrid und die Antwerp Royal Academy of Fine Arts. 2007 hat er gemeinsam mit dem Grafikdesigner Andreas Emenius, die Kunstprojektreihe ‚Fringe Projects‘ ins Leben gerufen. Dabei ging es um eine gründliche Erforschung der Franse – englisch ‚fringe‘. Das Nachfolgeprojekt des Duos, gestartet 2009, hört auf den Namen ‚The ­Circular Series‘. 2010 tourte Vibskov mit dem Kopenhagener Elektromusiker Trente­ møller durch Europa und steuerte zu dieser Tour nicht nur seine Performance als Schlagzeuger, sondern auch das SetDesign bei. 2012 wurde er Mitglied des ­Chambre Syndicale de la Mode ­Masculine, wie bereits Christian Dior, Yves Saint Laurent und Lanvin vor ihm.

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Und welches ‚Erscheinungsbild‘ hast du dir zugelegt? Ich habe damals bei verschiedenen Indiebands gespielt. Unsere Vorbilder kamen aus England. Das hat mir das Tor zur Welt der Mode geöffnet. Ich hatte Gigs, stand auf der Bühne, und dort wurde ich mir dann meiner selbst und meines Aussehens bewusst. Als Indieband entsprachen wir natürlich nicht dem typischen Bild der dänischen Landjugend, weder optisch noch in dem, was wir sonst so trieben. Da blieben Konflikte nicht aus. Ich jedenfalls bin mehrmals verprügelt worden. Ich habe mal gelesen, deine Entscheidung für das Modedesign-Studium beruhe unterm Strich auf einem Zufall. Das ist eine längere Geschichte. Bei uns auf dem Land gab es so eine Schule in einer alten Burg. Dort konnte man sich für fünf Monate hinbegeben, um sich auf ein späteres Studium vorzubereiten. Ich fand die Schule super, nicht nur wegen der tollen Location. Auch weil dort unter anderem Architektur, Kunst und Grafik angeboten wurde. Leider war

„Was verbindet denn mehr, als gemeinsam über etwas zu lachen. Ohne Humor wäre diese Welt ein sehr trister Ort.“ In den Anfangsjahren drehten sich gleich mehrere deiner Kollektionen um das Thema Tiere. Ich habe ein bisschen herumgespielt. Es ging um Schweine, Frösche, Eier …. Wie gesagt: Ich war vielleicht noch ein wenig verspielt. Mittlerweile habe ich mich weiterentwickelt – denke ich zumindest. Wobei: Humor ist mir nach wie vor sehr wichtig. Er erleichtert uns die Kommunikation. Was verbindet denn mehr, als gemeinsam über etwas zu lachen. Ohne Humor wäre diese Welt ein sehr trister Ort. In meinen Augen ist deine Mode heute tragbarer als früher. Einigen wir uns doch auf weniger verrückt. Wobei ich das nicht immer selbst in dem Maß steuere, wie man vielleicht meinen könnte. Oft sind es unvorhergesehene Situationen, die das Wilde, Humorvolle erst hervorbringen. Oft leistet der Zufall seinen Beitrag. Ich bin ja nicht die einzige Person, die am Produktionsprozess beteiligt ist. Da wird ein Entwurf bei uns gezeichnet, durchläuft mehrere Prozesse, und dann erklärt jemand einer Näherin, die vielleicht in Indien sitzt, wie sie unsere Ideen umzusetzen hat. Anschließend landet das Teil bei mir auf dem Tisch, und manchmal denke ich nur: Wow, was ist das denn jetzt? In der Mode geht es immer auch um Kompromisse – mit der Industrie, den Zulieferern und vielen anderen Beteiligten. Es ist manchmal ganz schön wild. Letztes Jahr zum Beispiel sind wir kurz vor der ersten Schau der Saison zum Flughafen gefahren und haben dort die Teile in Empfang genommen. Und was soll ich sagen: Wir haben die Kiste geöffnet und es waren die verkehrten Farben. Aber wie reagieren, wenn 50 Prozent der Dinge anders kommen als geplant? Sich aufregen, oder es laufen lassen? Da muss man von Fall zu Fall abwägen. Verrückt ist immer, wenn du es laufen lässt, und dann, fünf Minuten nach der Show, kommt die Presse und stellt fest: „Mann, Mintgrün ist also das neue Ding!“ Wie immer du es drehst und wendest: Deine Kollektionen besitzen einen hohen Wiedererkennungswert. Die Farben, die Prints – da ist übrigens etwas, das mich an traditionelle afrikanische Mode erinnert. Gibt es Einflüsse? It’s in my blood, man! (lacht) Nein, ernsthaft, vielleicht sind da tatsächlich ein paar Referenzen. Aber würde ich mich gezielt an afrikanischen Vorbildern orientieren, könnte ich sicherlich noch kräftig nachlegen. Und wie gesagt: Aktuell geht es ja auch nicht mehr ganz so wild und farbenfroh zu, weder bei mir noch in der Mode generell.

ich mit meiner Anmeldung zu spät dran, die Warteliste war zu lang. Also schlug mir meine Mutter vor, es mit der Schule zu versuchen, die mein Cousin besuchte, einem wirklich hässlichen Betonklotz. Sie boten dort Fächer an wie Musik und Theater. Ich aber landete im Vorbereitungskurs für Fashion Design – ich, der anfangs lediglich ein wenig herumprobierte, und 20 Mädels, die sich diszipliniert auf die Aufnahmeprüfungen der Akademien vorbereiteten (lacht).

Brands & Brains — Henrik Vibskov, Kopenhagen

Und doch wurdest du anschließend tatsächlich von ­Central Saint Martins College angenommen. Hat dich das Studium an dieser renommierten Modeakademie geprägt? Ja, sicherlich. Vor allem was das Entwickeln von Konzepten betrifft, von Ideen, die man dann seinem Gegenüber präsentiert und erklärt. Denn darauf legen sie in Central Saint Martins großen Wert: dass man in der Lage ist, Ideen Schritt für Schritt zu entwickeln und sie auch zu vertreten. Aber alles in allem kann man sich auf dieser Akademie im Vergleich zu anderen doch ziemlich frei entfalten. Die Erfahrung habe ich auch immer dann gemacht, wenn ich dort selbst unterrichtet habe: Die Studenten arbeiten alle sehr eigenständig und frei.

Apropos: Hast du schon eine Vorstellung davon, wie die nächste Saison bei Henrik Vibskov aussehen wird? Es gibt verschiedene Themen, mit denen wir uns aktuell befassen. Zum einen geht es ums Gärtnern – Samen, Vögel und so. Was haben wir noch? Normalerweise gibt es drei, vier Ideen, die wir parallel verfolgen und ausarbeiten, komplett mit Research und allem – in der Hoffnung, dass sich die Dinge am Ende irgendwie zusammenfügen. Diesmal wird womöglich eine Gras-Installation in Kombination mit pastelligem Mintgrün eine gewichtigere Rolle spielen.

Wirst du auch weiterhin in Kopenhagen zeigen? Ja, für mich sind die Schauen hier in Kopenhagen sehr wichtig. Nicht zuletzt, weil ich damit auch dem dänischen Modenachwuchs Mut machen und etwas signalisieren kann. Nämlich, dass – Business hin und her – die Kreativität keinesfalls auf der Strecke bleiben darf. Ich bin der Meinung, es ist wirklich wichtig kreativ zu sein, um die Copenhagen Fashion Week interessant zu halten. Wenn wir immer nur Jeans zeigen, was soll das internationale Publikum denn dann noch hierher locken? Einige Designer verzichten ja heute auf ihre eigene Schau und drehen stattdessen zum Beispiel lieber einen FashionFilm. Eine Option für dich? Nein, denn ein Fashion-Film kann wohl kaum dieselbe Atmosphäre erzeugen wie eine Fashion-Show. Die Musik, das Licht, die Spannung, die nicht zuletzt dadurch entsteht, dass bei einer Fashion-Show auch immer etwas schiefgehen kann. Das Publikum, das sich wichtig nimmt oder auch nicht – das ist alles wunderbar oldschool. Ich mag das. Was bedeuten dir Ruhm und Anerkennung? Ich denke, das Streben danach verleitet die Leute dazu, Dinge zu tun, hinter denen sie eigentlich gar nicht stehen. Ich selbst bin kein großer Fan von Red-Carpet-Events und halte mich da am liebsten fern. Mich auf eine Bühne zu stellen und vor 60.000 Zuschauern zu performen, das bereitet mir keine Probleme. Aber eine Party, auf der lauter Leute abhängen, die mich unbedingt ganz dringend sprechen wollen – da krieg ich zu viel. Versteh mich nicht falsch: Anerkennung für das zu erhalten, was man tut, ist natürlich ein großes Glück. Ich weiß noch genau, wie geehrt ich mich fühlte, als plötzlich Magazine wie ‚Dazed & Confused‘ und ‚The Face‘ bei mir anklingelten – wegen meiner Mode. Was die Musik angeht, da war einer der größten Momente, als ich im Alter von 13 mit meiner Band ein Radio-Konzert geben durfte. Und was bedeutet dir Geld? Na ja, wenn es mir in erster Linie ums Geld ginge, dann hätte ich Bauingenieur werden können. Aber du siehst mich: Ich stehe hier und streiche diesen Boden.

… und du scheinst vor Ideen nur so zu sprühen. Hast du keine Angst, eines Tages aufzuwachen und da ist Leere in deinem Kopf? Angst davor, dass mir die Ideen ausgehen, habe ich so direkt keine. Wenn man geduldig mit sich selbst ist, kommt eigentlich immer etwas heraus, auf dem sich aufbauen lässt. Anfangs steht ein Konzept allerdings oftmals auf wackeligen Beinen. Wie gesagt: Wir verfolgen meist mehrere Ideen parallel, und am Ende ergeben sie dann hoffentlich ein großes Ganzes – auf die eine oder andere Weise. Ich bin allerdings der Meinung, man sollte es sich nicht zu leicht machen. Mit Blick auf das Ergebnis ist es manchmal besser, wenn die Dinge ein bisschen komplizierter sind und eine gewisse Herausforderung darstellen. Eine persönliche Frage: Gibt es etwas, das du gerne an deinem Leben ändern würdest? Ich bin eine sehr unabhängige Person und genieße das eigentlich auch. Aber manchmal fühle ich mich dann doch ein bisschen auf mich selbst zurückgeworfen. Manchmal fehlt mir jemand, der meine Perspektive teilt. Letztlich ist es ja an mir, das Team zusammenzuhalten. Probleme, Gehälter, zufriedene und unzufriedene Leute – ich trage die Verantwortung. Und gibt es etwas, das dich besonders glücklich macht? Wenn es gut läuft, bei einer Schau oder so, bin ich natürlich glücklich, was Lob angeht allerdings eher zurückhaltend. Ich muss zugeben, ich bin einfach nicht der Typ für euphorische Äußerungen. Wenn ich zu meinem Team sage: Das war nicht schlecht, dann ist das schon ein Lob. Was ich nach über zehn Jahren im Job über meine Arbeit sagen kann: Sie lässt mich ausgeglichen sein. Hast du Pläne für die Zukunft? Zum 40. Mal einen Cardigan zu designen, stellt ja keine wirkliche Herausforderung dar, außer in kommerzieller Hinsicht vielleicht. Neben meinen Kollektionen möchte ich daher gerne weiter Bühnenkostüme entwerfen – oder Möbel oder Häuser, was auch immer. Es macht mir einfach Spaß, kreativ zu sein. Das gibt mir neue Energie für den Alltag. Vielen Dank für das Gespräch, Henrik.

Aber alles, was du tust, erscheint wahnsinnig aufwendig – allem voran deine Schauen. Wie bewerkstelligst du das? Mit Freunden und Leuten, die mir helfen. Wir sind ein Team. Außerdem arbeite ich ziemlich schnell.

www.henrikvibskov.com

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Das kenne ich irgendwoher. Ich habe eine ältere Schwester. Seit dem Kindergartenalter wünschte ich mir nichts sehnlicher als meine eigenen Klamotten, am besten von mir selbst gestaltet. Ging es dir auch so? Hat diese Erfahrung vielleicht den Grundstein für deine kreative Karriere gelegt? Nein, nicht unbedingt. Ich komme aus Jütland, bin in einer ländlichen Gegend groß geworden und verbrachte als Kind viel Zeit mit mir allein in meinem Zimmer. Ich könnte mir vorstellen, dass das meine Kreativität beflügelt hat – die Konzentration auf mich selbst und meine Fantasien. Was die Mode angeht, da hat ganz klar die Musik eine Rolle gespielt. Ich habe mit neun oder zehn Jahren angefangen, Musik zu machen – und Musik verbindet ja bekanntlich. Du wirst Teil einer Szene, die sich bestimmter Codes bedient, und das betrifft dann eben auch dein äußeres Erscheinungsbild, gerade wenn du jünger bist.

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„Erfolg ist die beste Motivation“ Survival of the fittest? Bei Marc O’Polo geht es seit Jahren steil bergauf. ­Während viele in der Branche ­aufgeben oder glauben, sich permanent neu erfinden zu müssen, setzt COO Andreas

­ aumgärtner auf ein geschärftes Profil B und eine anspruchsvolle Evolution der Marc-O’Polo-Kernmarke. Mit Marc O’Polo Pure setzen die Stephanskirchener nun zum großen Sprung an.

Laue 20 Grad mitten im Januar? Das kann vorkommen, im bayrischen Voralpenland, wenn der Fön mal wieder wohltemperierte Luft aus Italien über die Berge weht. Das weckt die Lebensgeister und wirkt auf sensible Seelen, die nicht gerade unter Migräne leiden, wie ein wahrer Kreativ-Schub. Hier in Stephanskirchen, eine knappe Autostunde südlich von München, herrscht ohnehin pure Idylle: grasende Milchkühe, grandioses Bergpanorama und sympathisch grantelnde Bayern, die ortsunkundigen Großstädtern gern den Weg zur Marc O’Polo AG erklären. Rund 600 Angestellte feilen hier tagtäglich am Portfolio des vor über 46 Jahren in Stockholm gegründeten Unternehmens. Insgesamt beschäftigt Marc O’Polo national und international über 1.800 Mitarbeiter. Mit der neuen Kollektionslinie Marc O’Polo Pure wagen die Stephanskirchener einen mutigen Schritt, der – noch bevor die Styles im Verkauf gelandet sind – jede Menge Vorschusslorbeeren erntet. „Die ersten Resonanzen waren so überschwänglich, dass wir fast ein wenig überrascht waren“, freut sich Andreas Baumgärtner, der als COO für Design, Lizenzen, Marketing und Produktion verantwortlich zeichnet. „Wir arbeiten einerseits zwar streng strategisch, sind dabei aber andererseits auch sehr emotional bei der Sache. Lange haben wir uns überlegt, in welche Richtung wir gehen wollen, und unser ganzes Herzblut in Pure gelegt.“

man sofort mit dem gesamten Unternehmen und seinem Portfolio in Verbindung bringt, geht schließlich gar nichts, weder daheim in Deutschland noch auf dem internationalen Markt. Andreas Baumgärtner, der seinerzeit als Student an der LDT Nagold im angesagtesten Store Stuttgarts, dem Holy’s, gejobbt hat, weiß um die Tücken im Retail und begibt sich regelmäßig und höchstpersönlich auf internationalen StoreCheck. Wie steht’s mit der passenden Inszenierung, und was nimmt der Kunde überhaupt an? Von Anfang an war klar, dass Design, Produktion und Vertrieb von einem eigenständigen Team verantwortet werden sollten. Der Wunsch der gesamten Mannschaft? Eine Kollektion zu schaffen, die nah am Markt ist – auch über Deutschlands Grenzen hinaus – und die dennoch eine unverwechselbare Vision darstellt. Das Ergebnis ist ein cleaner, angezogener Look, der ohne jedes Chichi auskommt und dafür mit ausgearbeitetem Design, zurückhaltender Farbpalette und edlen Materialien punktet. Kein Wunder, dass Marc O’Polo Pure preislich rund 20 bis 30 Prozent über der Hauptlinie liegt. Die Hosen,

„Natürlichkeit, Modernität und eine gewisse Easiness”

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Andreas Baumgärtner COO Marc O´Polo

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Brands & Brains — Marc O’Polo, Stephanskirchen

Marc O´Polo

Edler, hochwertiger, stärker auf den Punkt gebracht, aber stets als typisch Marc O’Polo erkennbar – so lautete die Vorgabe. „Ohne das Team, das nicht selten bis tief in die Nacht hier im Stephanskirchener Office zusammengesessen hat, wäre all dies nicht möglich gewesen“, betont Baumgärtner. Gelohnt hat sich der Einsatz allemal. Mit der ersten PreKollektion, die 50 bis 60 Teile umfasst, besetzt man eindeutig das Modern-Woman-Premium-Segment – und muss sich nun neben Mitbewerbern wie Hugo, Steffen Schraut oder Schumacher behaupten. „Das ist natürlich eine Herausforderung“, so Baumgärtner. „Wir wollen die Marc-O’Polotypische Natürlichkeit zeigen, gepaart mit Modernität und einer gewissen Easiness.“ Ohne ein individuelles Profil, das

„Wir setzen auf natürliche Evolution.”

Jacken und Röcke werden größtenteils in Europa produziert, wo man sich mit der Verarbeitung edler Stoffe wie Seide und Kaschmir gut auskennt. Natürlich wird auch viel Strick mit dabei sein. „Wir sind überzeugt von einer Profilschärfung unserer Marc-O’Polo-DNA. Daher haben wir unsere Kernkompetenzen ausgearbeitet und gezielt umgesetzt“, erklärt Andreas Baumgärtner Natürlich und gleichzeitig hochelegant wurde auch das Shooting mit dem österreichischen Model Iris Strubegger inszeniert. Aus Liebe zum Understatement hat man bewusst auf ein aufwendiges Make-up und ein opulentes Szenenbild verzichtet. Strubegger wirkt mit ihrem strengen Kurzhaarschnitt markant, ausdrucksstark und vor allem erwachsen. Die raffiniert-puristische Schnittführung und die edlen Materialien der Kollektion werden auf diese Weise perfekt

Brand History 1967: Marc O’Polo wird in Stockholm von den Schweden Rolf Lind und Göte Huss sowie dem Amerikaner Jerry O’Sheets gegründet. 1968: Marc O’Polo Deutschland wird von ­Werner Böck unter dem Namen ‚Marc O’Polo Textilvertrieb Werner Böck GmbH‘ mit Sitz in ­Stephanskirchen gegründet. 1972: Marc O’Polo gründet die Marke Campus. 1975: Erweiterung der Marc-O’Polo-Kollektionen um Marc O’Polo ­Modern Casual Womenswear und Marc O’Polo Modern Casual Menswear. 1987: Werner Böck übernimmt 40 Prozent der schwedischen Muttergesellschaft. 1990: Marc O’Polo startet das Lizenzgeschäft mit Schuhen, Brillen und Underwear. 1997: Werner Böck übernimmt weitere knapp 40 Prozent und gründet die Marc O’Polo International GmbH. Der Firmensitz wird von Stockholm nach Stephanskirchen verlegt. 1998: Vergabe der Lizenzen für Junior, Beachwear, Legwear, Jewels sowie Fragrance. 2003: Neben dem größten Store mit über 900 qm in München eröffnet Marc O’Polo seinen Online-Store: www.marc-o-polo.com. 2008: Der erste Marc-O’Polo-Store Asiens wird in Singapur eröffnet. 2012: Marc O’Polo vergibt eine Lizenz für Marc O’Polo Home.

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Brands & Brains — Marc O’Polo, Stephanskirchen

Text Gerlind Hector Fotos Sorin Morar

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Brands & Brains — Marc O’Polo, Stephanskirchen

in den Vordergrund gerückt. Dass Marc O’Polo ein besonders glückliches Händchen hat, was die Auswahl der Testimonials seiner Kampagnen betrifft, ist erst in der vergangenen Saison deutlich geworden. Während andere Labels mit jugendlichen Strahlegesichtern warben oder sich die üblichen Verdächtigen der internationalen Model-Liga herauspickten, um die neuesten Styles zu präsentieren, setzten die Stephanskirchener auf Charakterköpfe. Sich ausgerechnet die knapp 40-jährige Amber Valletta auszusuchen und den noch mal bald zweieinhalb

Die Marc O’Polo AG wird heute von Alexander Gedat (CEO), Andreas Baumgärtner (COO, Foto oben) und Jürgen Hahn (CFO) geleitet. Mehrheitsgesellschafter Werner Böck wechselte 2012 in den Aufsichtsrat. Im Geschäftsjahr 2012/13 realisierte das Unternehmen einen Markenumsatz von rund 420 Mio. Euro.

Jahrzehnte älteren Jeff Bridges war ein mutiger, aber auch genialer Schachzug, der bei Marc O’Polo vorab intensiv diskutiert wurde. „Wir haben uns da für zwei durchaus polarisierende Persönlichkeiten entschieden“, erinnert sich Baumgärtner. „Jetzt freuen wir uns umso mehr, dass uns Amber und Jeff auch noch in der kommenden Saison erhalten bleiben.“ Lachend räumt er ein, einen echten Schreck bekommen zu haben, als ihm der Oscar-Preisträger jüngst am Telefon mitteilte, er habe sich gerade die lange Silbermähne abschneiden lassen. Aber ein Jeff Bridges bleibt eben ein Jeff Bridges, und dass der Endverbraucher schon seit Längerem lieber individuelle Köpfe betrachtet – gern auch mit Fältchen oder markanter Nase – als mit Photoshop perfektionierte Einheitsmasken, weiß Baumgärtner natürlich. Nun ist man in Stephanskirchen gespannt, wie Marc O’Polo Pure mit seiner femininen und zeitlosen Aussage bei den Kundinnen ankommt. Vorerst werden nur selektiv eigene Marc-O’Polo-Stores sowie ausgewählte Franchise- und Premiumpartner beliefert, und zwar zum Juni 2014. Ganz bewusst will man den Markt nicht überschwemmen, weder mit einem textilen Überangebot noch mit großflächiger Werbung. „Wir setzen auf die natürliche Evolution“, so ­A ndreas Baumgärtner, und die positive Entwicklung der vergangenen Jahre gibt ihm recht. „Erfolg ist die beste Motivation!“

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www.marc-o-polo.com

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Ans Messer geliefert Anfang des vergangenen Jahres ernannte Victorinox Christopher Ræburn zum neuen Artistic Director seiner Bekleidungslinie. Der britische Designer hatte für den Hersteller des legendären Schweizer Taschenmessers bereits zu Herbst/Winter 2011 das Projekt ‚Remade in Switzerland‘ entwickelt, in dessen Rahmen er aus alten Militärtextilien acht neue Kleidungsstücke herstellte. Mit diesem Recycling-Konzept hielt Ræburn an einem Kernprinzip seiner eigenen Marke fest, das regelmäßig auf das Wohlwollen der Öffentlichkeit stößt.

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Kurzbiografie Christopher Ræburn:

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Brands & Brains — Christopher Ræburn, Victorinox, Ibach-Schwyz/Schweiz

Christopher Ræburn, Victorinox

Der britische Designer studierte am Royal College of Art in London und gründete 2008 das Modelabel ‚Christopher Ræburn‘. Bekannt für sein Recycling-Konzept, für das er Militärkleidung umarbeitet, und für die ausschließliche Produktion in Großbritannien, wurde Ræburn 2009 vom Ethical Fashion Forum (EFF) ausgezeichnet und

erhielt bereits viermal das Topshop NEWGEN Sponsorship. Unterdessen ist er mit seiner Marke weltweit in renommierten Stores vertreten, unter anderem bei Colette in Paris, in mehreren Filialen von ­Harvey Nichols, bei Beams in Tokio und Barneys in New York. Die erste Kooperation mit Victorinox erfolgte zu H/W 2011.

„Du siehst das Messer und denkst an deine Kindheit. Das war und ist für mich sehr inspirierend.“

Aufbauend auf den Erfolg von ‚Remade in Switzerland‘ wurden zwei weitere Capsule-Kollektionen unter der Headline ‚Protect‘ lanciert, deren gestalterische Qualität und frische Darstellung in Form dynamischer Trailer Victorinox ein für alle Mal aufs internationale Fashionparkett beförderte. Die erste vollständig unter der künstlerischen Leitung von Ræburn entstandene Kollektion für Victorinox wird im Januar während der Bread & Butter in Berlin vorgestellt. Sie bestätigt, was aufmerksame Beobachter schon immer dachten: Der 31-jährige Visionär und das 130-jährige Unternehmen ergänzen sich geradezu schicksalhaft. Im Gespräch mit Christopher Ræburn wird schnell klar, welche Art von Gemeinschaft er mit Victorinox gefunden hat: eine Wertegemeinschaft.

Recycling-Methode ein wichtiges Verkaufsargument. Aber das ist nicht bei allen Händlern so. Daher lege ich Wert darauf, dass unser Gesamtkonzept rund ist – und das Produkt so perfekt wie möglich. Denn die Verbraucher wählen ihre Kleidung erst einmal nach dem Design. Ich halte es für meine Aufgabe, Design und Herstellungsweise in Einklang zu bringen. Es ist nicht die Aufgabe des Kunden. Den müssen wir vor allem emotional abholen. Letztlich ist das der Grund, warum ich die Zusammenarbeit mit Victorinox genieße. Es kommt selten vor, dass Menschen eine so starke emotionale Verbindung zu einem Produkt aufbauen, wie es bei dem Taschenmesser von Victorinox geschieht. Du siehst das Messer und denkst an deine Kindheit. Das war und ist für mich sehr inspirierend.

Zu Beginn möchte ich ein paar Fragen zu deiner eigenen Marke ‚Christopher Ræburn‘ stellen. Diese wird wegen des Recycling-Konzepts gerne als nachhaltig bezeichnet. Du hingegen sprichst lediglich von einem positiven Nebeneffekt deiner Philosophie. Bei Christopher Ræburn setzen wir drei Schwerpunkte bei der Materialbeschaffung. Zum einen dekonstruieren wir originäre Militärkleidung und verwenden sie wieder – das läuft unter der Überschrift ‚Remade in England‘. Als ‚British‘ bezeichnen wir alle Stoffe, die wir von englischen Webereien beziehen – alles sehr hochwertige Materialien. Und dann ist da noch ‚Lightweight‘. Unter diesem Stichwort arbeiten wir mit einer recycelten Synthetikfaser aus Japan. Natürlich haben wir uns bewusst für dieses Konzept entschieden. Dennoch ist Nachhaltigkeit nur Teil der Geschichte, und nicht die Geschichte selbst. Heute geht es immer stärker um den Wert von Kleidung, wie er sich aus der Herstellungsweise ergibt. Unsere Kunden kennen die Herkunft der Stoffe, die Story dahinter, das Handwerk. Und sie wissen, wie alles zusammenspielt. Es ist aber die Einzigartigkeit des Produkts, die unsere Kunden wertschätzen. Glücklicherweise arbeiten wir mit Händlern wie Harvey Nichols oder Colette in Paris, deren Klientel diese Art von Qualität konkret sucht.

„Heute geht es immer stärker um den Wert von Kleidung, wie er sich aus der Herstellungsweise ergibt.“

Spielt für diese Kunden denn tatsächlich Nachhaltigkeit eine Rolle? Oder ist sie eher ein nettes Sahnehäubchen? (schmunzelt) Einige Geschäfte, die Christopher Ræburn im Sortiment haben, verstehen durchaus die gesamte Philosophie der Marke. Vor allem in Asien, etwa in Japan, ist unsere

Brand History Victorinox: 1884 eröffnete Karl Elsener ein Messerschmiedefachgeschäft, um die Schweizer Armee mit Messern zu beliefern. 1921 taufte er seine Firma auf den Namen ‚Victorinox‘, nach seiner Mutter Victoria und dem damals gerade erfundenen rostfreien Stahl (Inox). Seither vergrößerte sich das Unternehmen stetig, erweiterte sein Portfolio um Uhren, Gepäck und Bekleidung, globalisierte sowohl die Produktion als auch die Absatzmärkte und beschäftigt heute weltweit rund 1.700 Mitarbeiter.

War es einer deiner älteren Brüder, der dir als Kind dein erstes Schweizer Taschenmesser schenkte? Nein, es waren meine Eltern. Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Für uns gehörte es quasi zum Ritual des Erwachsenwerdens, ein eigenes Taschenmesser zu bekommen. Dann war das Taschenmesser ein wichtiges Symbol für dich? Sicher! Aber auch ein wichtiges Werkzeug. Ich bin wirklich in einer einsamen Gegend in der Grafschaft Kent groß geworden. Der nächste Laden war eine gefühlte Weltreise entfernt. Wir mussten selbst für unseren Spaß sorgen. Da sollte man ordentlich ausgerüstet und vorbereitet sein. Letztlich habe ich mir diesen Blick auf die Dinge bis heute bewahrt, was sicher auch meinen Stil beeinflusst. Ich bin irgendwie ein großes Kind geblieben. ... allerdings ein ziemlich erfolgreiches. Denn immerhin kannst du seit der Gründung deines eigenen Labels 2008 auf eine illustre Reihe von Awards und Kooperationen blicken. Deine Kollektionen sind der Liebling vieler renommierter Stores ... (grinst) Ich habe lange Beine. Womöglich komme ich daher manchmal schneller ans Ziel.

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Brands & Brains — Christopher Ræburn, Victorinox, Ibach-Schwyz/Schweiz

Interview Fredericke Winkler

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Brands & Brains — Christopher Ræburn, Victorinox, Ibach-Schwyz/Schweiz

Für die erste Kooperation mit Victorinox ‚Remade in Switzerland‘ bist du in die Schweiz gegangen und hast im alten Wohnhaus des Gründers Karl Elsener ein Laboratorium eingerichtet, in dem acht Kleidungsstücke aus dekonstruierter Militärkleidung entstanden sind. Das war super! Ich bin während der Kooperation regelmäßig in der Schweiz gewesen. Eines meiner Teammitglieder ist sogar für diese Zeit hingezogen. Die Natur dort ist sehr berührend. Man will unweigerlich raus und hat plötzlich eine ganz andere Energie. Das ist fantastisch. Besonders einprägsam war mein erster Besuch im Hauptquartier von Victorinox. Ich meine, dort produzieren 900 Leute bis zu 120.000 Produkte am Tag. Das Familienunternehmen existiert unterdessen in der fünften Generation. Das alles zusammengenommen ist unglaublich inspirierend. Und dann komme ich. Meine Firma gibt es erst seit vier, fünf Jahren, Victorinox schon seit 130 Jahren. Es wäre für mich ein erstrebenswertes Ziel, meinem eigenen Unternehmen ein so gutes Vermächtnis zu hinterlassen, dass es auch einmal so lange wertgeschätzt werden kann.

„Die Kooperation mit Victorinox hat mich sehr diszipliniert.“

Inwieweit macht sich die Tradition des Unternehmens in eurer Zusammenarbeit bemerkbar? Nehmen wir unser erstes Treffen. Ich war in Ibach und traf mich zum Dinner mit Carl Elsener und anderen Konzernrepräsentanten (Carl Elsener junior ist ein Urenkel des Gründers Karl Elsener und als Konzernchef und Präsident des Verwaltungsrats für Victorinox verantwortlich/d. Red.). Sie waren im Gespräch so bescheiden, so freundlich und so nachdenklich. Und sie brachten mir von Anfang an sehr viel Vertrauen und Unterstützung entgegen. Was mich wiederum motiviert hat, eine gute Arbeit für sie zu machen. Ich habe schon mit einigen großen Marken gearbeitet. Und ich sage dir: Ein solch solidarisches, freundliches Miteinander ist mir bisher noch nicht untergekommen. Wenn wir über Werte reden – nicht nur bei Produkten, sondern auch im Business und im Leben –, dann haben die von Victorinox sich mir schon bei diesem ersten Treffen erschlossen. In Form der Wertschätzung, die man sich in dem Unternehmen gegenseitig entgegenbringt.

„Sie waren im Gespräch so bescheiden, so freundlich und so nachdenklich.“

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War das auch der Grund für dich, das Job-Angebot von Victorinox anzunehmen? Jetzt hast du quasi in die Familie eingeheiratet. (lacht) Ich würde sagen, ich bin jetzt engaged (ob er dies im Sinne von ‚verlobt‘ oder von ‚verpflichtet‘ meint, lässt R ­ æburn offen/d. Red.). Ich habe drei Jahre an ‚Remade in Switzerland‘ und den beiden ‚Protect‘-Kollektionen gearbeitet. Wie gesagt, ich war in der Zeit regelmäßig in der Schweiz, außerdem beim Designteam in New York und konnte so die Mannschaft kennenlernen. Ich will ehrlich sein: Ich habe diese drei Jahre gebraucht, um das Unternehmen zu verstehen – und auch um mein eigenes Business auf die Beine zu stellen. Auch das zu erreichen war wichtig für mich, bevor ich mich binde. Außerdem brauchte ich diese Zeit, um zu erfassen, was ich mit und für Victorinox tun kann. Denn die Kooperation muss ja für beide Seiten Sinn machen. So profan es sich anhören mag, aber dass die Zusammenarbeit jedes Mal so gut verlaufen ist, lag maßgeblich daran, dass wir uns vorher immer in Ruhe zusammengesetzt und auf Augenhöhe diskutiert haben. Wie zufrieden bist du mit den ersten Ergebnissen deiner Arbeit als Artistic Director? Ich bin begeistert. Schon jetzt zeigt sich eine rasante Entwicklung. Ich bin alle vier bis sechs Wochen in New York, darüber hinaus bespreche ich mich mit dem Designteam zweimal die Woche über Skype. Und wir haben schon mit der ersten Kollektion so viel Qualität und Stimmigkeit erreicht. Überhaupt sehe ich durch unsere gemeinsame Arbeit in den letzten 15 Monaten einen unglaublichen Fortschritt der Marke Victorinox für den Bereich Fashion. Das sind Momente, für die ich lebe.

Was erwartet uns denn in der ersten Saison mit dir? Ausgangspunkt war die Suche nach einem klaren Konzept, das sowohl für die Fashion-Linie stehen sollte als auch für die Marke selbst. Daher haben wir uns an einem Produkt orientiert, mit dem Victorinox einige Awards gewonnen hat, dem ‚Rescue Knife‘. Das Ergebnis: die Kollektion ‚Rescue‘ mit den drei Unterthemen ‚Helicopter Rescue‘, ‚Mountain Rescue‘ und ‚Fire Rescue‘. Wir haben uns viel mit der Emotionalität dieser Begriffe auseinandergesetzt und mit der Funktionalität originärer Materialien. Bei den Farben dominieren warme Braun- und Orangetöne. Die ersten fünf Styles wurden in meinem Studio in London entwickelt. Wir haben Prototypen genäht, die ich dann nach New York brachte, um sie dem Victorinox-Designteam zu präsentieren. Auf dieser Grundlage haben wir gemeinsam die weitere Kollektion erarbeitet, wobei wir nicht zuletzt die Basis der Fashion-Linie optimieren konnten – die Fits, die Verarbeitung, die Materialität. Und es ist uns gelungen, mehr Stoffe als zuvor von Schweizer Anbietern zu beziehen, etwa einen Stretch-Nylon von Schoeller – einem der besten Hersteller von Funktionsmaterialien in der Schweiz.

„Das Ergebnis: die Kollektion ‚Rescue‘ mit den drei Unterthemen ‚Helicopter ­Rescue‘, ‚Mountain Rescue‘ und ‚Fire Rescue‘.“ Ist die Kollektion größer geworden? Im Gegenteil. Ich habe ihren Umfang sogar um 25 Prozent reduziert, um die Aussage besser herausarbeiten zu können. Und trotzdem sind es noch 120 Teile. Hinzu kommt die Womenswear Collection, die diesmal acht starke Looks hat. Für die Zukunft möchte ich die Kollektionen gerne in weitere Linien unterteilen, um stärker auf die verschiedenen Eigenschaften der Marke Victorinox eingehen zu können. Du bringst dich nicht nur durch dein Designkonzept ein, sondern auch durch deine Vorstellung davon, wie sich Victorinox dem Endverbraucher präsentieren sollte. Ich erinnere nur an die künstlerischen Filme, mit denen ‚Remade in Switzerland‘ oder die ‚Protect‘-Kollektionen beworben wurden. Ist es dir wichtig, auf andere Darstellungsformen als zuvor zu setzen? Ja, und wenn du einmal das Beispiel der Kurzfilme nimmst, wird auch schnell deutlich, warum: Dieses Medium öffnet für die Verbraucher die Tür zu den Geschichten hinter der Marke. Gerade weil Victorinox insbesondere bekannt für das Messer ist, müssen wir eine erzählerische Brücke bauen, damit wir auch als Modelabel verstanden werden. Im Gegenzug haben wir mit der Mode die Möglichkeit, eine andere Art von Aktualität zu erzeugen. Alleine, weil sich Mode so schnell ändert. Du sagtest, dir sei wichtig, auch persönlich an der Kooperation zu wachsen. Was konntest du bisher mitnehmen? Was ich allem voran durch Victorinox gelernt habe und was ich auch für meine eigene Arbeit fruchtbar machen kann, ist, dass überlegtes Handeln für ein Unternehmen von großem Vorteil sein kann. Manchmal dauert es wirklich lange, bis bei Victorinox Entscheidungen getroffen werden – dann sind es aber auch die richtigen. Dieses Abwarten hat mich zwar manchmal frustriert, aber auch sehr inspiriert. Mit der Zeit habe ich gelernt, diese Art des Arbeitens zu respektieren. Wenn man jung ist und dazu noch lange Beine hat, nimmt man das Ergebnis manchmal nicht ganz so genau. Die Kooperation mit Victorinox hat mich dahingehend sehr diszipliniert. Die Arbeit erlaubt mir eine klare Routine. In England sagt man: ‚If you want to get something done, ask a busy person.‘ Seitdem ich so sehr beschäftigt bin, bin ich viel effizienter und klarer geworden. Ich erlebe mehr, kann das Erlebte aber auch besser verarbeiten. Im Übrigen hat mir die Disziplin auch persönlich sehr gut getan. Ich bin heute viel ausgeglichener, obwohl ich so viel reisen muss. Vielen Dank für das Gespräch. www.victorinox.com

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Sc h i e s s e r

Back to the future

Der Zukunft an die Wäsche Es ist besonders schwer, von etwas zu erzählen, was eigentlich jeder kennt. Und schwer vorstellbar ist, dass sich

Für Schiesser war das nur der Anfang. Weitere KünstlerKooperationen sind für die Zukunft geplant, und mit einigen der ‚Artists for Revival‘ soll weiterhin zusammengearbeitet werden. So wird in diesem Frühjahr ein neuer Schiesser-Revival-Flagship-Store in Berlin-Mitte eröffnen, dessen Look maßgeblich die Handschrift einer der am Projekt beteiligten Künstler tragen soll. Und wie, so ließe sich abschließend fragen, kam ­Schiesser nun zu seiner Coolness? Die Antwort lautet: mit derselben Unaufdringlichkeit, die den coolen Jungs die Herzen der Frauen zufliegen lässt. Oder, um mit Schiesser die Quintessenz aus dem Jubiläumsprojekt zu ziehen: ‚Artists for Revival‘ zeigt, „dass in allen Lebenslagen nichts so zukunftsfähig ist wie ein echter Klassiker: natürlich, schön und lebendig. Wer an die Zukunft denkt, dem gehört Schiesser Revival. Das ist unsere Einladung: REVIVE YOURSELF!“.

unter den Lesern dieser Zeilen eine Person findet, die den Wäscheher­ steller Schiesser nicht kennt.

Natürlich könnte man nun staunen über das bald 140-jährige Bestehen des Unternehmens aus Radolfzell am Bodensee. Man könnte von dem glücklich überstandenen Insolvenzverfahren 2010 berichten oder von der beliebtesten Linie des Hauses ‚Schiesser Revival‘, die sich aus einer zeitgemäßen Interpretation der Modelle speist, für die Schiesser in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stand. Man könnte sich freuen, dass der Erfolg von Schiesser Revival auch nach der Retrowelle zum Jahrtausendwechsel anhält. Was aber wirklich interessiert, ist die Frage, die alldem zugrunde liegt. Nämlich, wie es Schiesser schafft, trotz generationenschwerer Tradition so verdammt cool zu sein. Schiesser ist cool. Und zwar in der Art, wie Enkelkinder ihre Großeltern cool finden, wie sie deren Gepflogenheiten aufgreifen und zu ihrem eigenen Lebensstil machen. Schiesser ist so cool wie der beste Freund, dessen Gegenwart man besonders dann zu schätzen weiß, wenn man sich zu Hause von einem nicht ganz gelungenen One-Night-Stand erholt. Oder, um eine Unternehmensbroschüre von Schiesser zu zitieren: „Vom ersten Hautkontakt an vermitteln unsere Trikotagen (…) echtes Wohlgefühl, Wärme und Sicherheit, um selbst den stürmischsten Zeiten die Stirn zu bieten.“

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Schiesser ist pure Alltagsästhetik Natürlich gründet dieser Erfolg auf der Qualität und der Tradition des Herstellers. Vor allem aber – und das gilt insbesondere für Schiesser Revival – beruht er auf dem gestalterischen Mut, die Produkte das sein zu lassen, was sie sind, nämlich schnörkellose Unterwäsche. Alltagsgegenstände. Dadurch entfalten die Basics ihre Schönheit im Kontext – ganz unabhängig vom jeweiligen Trend. So wie ein Rahmen das Bild hervorhebt, anstatt selbst zu stark im Fokus zu stehen. Indem es sich selbst zurücknimmt, funktioniert das klassische Doppelripp-Shirt genauso unter dem Hemd eines Bankers wie auf dem nackten Oberkörper eines tätowierten Rappers – und unter Umständen handelt es sich dabei gar um ein und die-

selbe Person. „(…) um ins Ungewisse aufzubrechen, muss man wissen, woher man kommt“, heißt es bei Schiesser. Wer das weiß, kann dann auch morgens Banker, abends Rapper sein. Und daran, woher man kommt, erinnert einen ein Klassiker besser als ein Fashion-Item, das ständig seine Anmutung ändert.

I do it my way Dass das Unterhemd heutzutage als vollwertiges Kleidungsstück gilt und aus den meisten Schränken nicht mehr wegzudenken ist, lässt sich vor allem auf zwei Personen zurückführen: Marlon Brando und James Dean. Ihr straightes und ärmelloses Auftreten in den Filmen ‚Endstation Sehnsucht‘ und ‚… denn sie wissen nicht, was sie tun‘ machte die beiden Underdogs der 50er Jahre zu Schlüsselfiguren vieler Jugendkulturen. Seitdem umweht das Doppelripp ein Hauch von Anti-Establishment, verbunden mit dem Ruf nach persönlicher Freiheit, Chancengleichheit und Toleranz. Bis heute pflegen die wirklich coolen Jungs ihren lässigen Jeans-und-T-Shirt-Look – oder greifen gleich zum Unterhemd. Das DoppelrippShirt spielt in der Reihe der symbolisch aufgeladenen Kleidungsstücke so weit vorne mit, wie Schiesser unter den Wäscheherstellern. Das Kunstprojekt ‚Artists for Revival‘, welches das Unternehmen anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Revival-Linie vergangenes Jahr ins Leben rief, hätte vor diesem Hintergrund auch leicht schiefgehen können. Zehn Künstler mit unterschiedlichen Schwerpunkten wurden gebeten, das Doppelripp-Unterhemd für eine Limited Edition zu gestalten. Nimmt man den Kunden damit nicht die Möglichkeit, die Klassiker selbst mit Inhalt zu füllen? Und beraubt man das Produkt somit nicht eines seiner wichtigsten Verkaufsargumente? Nein, keineswegs, denn Schiesser war sensibel genug, die Natur des Unterhemds zu bewahren. Als Object trouvé wurde dieses zur Inspiration für die Suche nach Identität, Urbanität, Wirklichkeit und Schönheit. Auch die Auswahl der Gestalter passt zum Sujet, han-

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Brands & Brains — Schiesser, Radolfzell

delt es sich bei diesen doch durchweg um eigenwillige, rebellische Querdenker wie Marc Brandenburg oder Tobias Rehberger. Sämtliche Künstler lieferten nicht nur eine eigenwillige Neuinterpretation des Klassikers ab, erhältlich in ausgewählten Schiesser-Stores sowie über den Online-Shop des Unternehmens. Sie wurden – von der Fotografin Andrea Stappert in blankem Doppelripp porträtiert – auch selbst zu Botschaftern von Schiesser Revival. Gekrönt wurde das Projekt durch eine Ausstellung der Künstler-Porträts und Künstler-Kreationen, die in verschiedenen Stores gastierte, darunter das KaDeWe in Berlin.

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Artists for Revival – Welche Künstler sind beteiligt?

Die erste Artists-for-­ Revival-Generation stellen Marc Brandenburg, Tobias Rehberger, Sarah ­Morris (6), Thomas Zipp (7), David ­Nicholson (3), Pola Sieverding (5), Ekrem Yalcindag (2), Andreas Schulze, Spencer Sweeney (4) und ­ onvicini (1). Monica B Schiesser möchte das Projekt in Zukunft mit weiteren Künstlern ausbauen. Die aktuellen Kreationen sind im KaDeWe in Berlin, im Alsterhaus in Hamburg, bei Lieblings … in Frankfurt, bei Rossner in Singen, im SchiesserStore in Berlin und im Schiesser-Online-Shop erhältlich.

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Brands & Brains — Schiesser, Radolfzell

Text Fredericke Winkler

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Brands & Brains — Anvil, New York/Kaiserslautern

Text Gerlind Hector

Anvil

People, Planet, Profit Bislang punkteten die T-Shirt-­ Spezialisten von Anvil vor allem mit Fachkompetenz und Zuverlässigkeit.

Jetzt geht man verstärkt auf die ­Wünsche der Händler ein und untermauert sein modisches Gespür.

Zahlen sind Schall und Rauch, so könnte man ein Sprichwort abwandeln. Tatsache ist: Mit grandiosen Umsatzzahlen, positiven Umfrage-Ergebnissen oder hübschen Tortendiagrammen können die wenigsten etwas anfangen. Mit 18.000 Bäumen hingegen schon! Und tatsächlich wurde auf Initiative des Anvil-Mutterkonzerns im vergangenen Jahr der achtzehntausendste Jungbaum in die Erde gepflanzt – und das ganz ohne BlaskapellenBegleitung. Für Anvil mit Europa-Hauptsitz im deutschen Kaiserslautern ist es eben selbstverständlich, ökologische und soziale Verantwortung in verschiedensten Unternehmensbereichen umzusetzen – angefangen beim Einsatz von Bio-Baumwolle und erneuerbarer Energie über eine ‚Recycling-Rate‘ von 67 Prozent in den Betrieben bis hin zum CO2-neutralen Versand zum Kunden.

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„Ökologischen und sozialen Standards gerecht werden“

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Neben Honduras, Haiti und Nicaragua hat Anvil auch in Bangladesch einen eigenen Fertigungsbetrieb. „Wir sind vertikal integriert, das heißt, wir produzieren in eigenen Werken – denn nur so können wir unseren hohen ökologischen und sozialen Standards gerecht werden und ein sicheres Arbeitsumfeld für unsere Mitarbeiter garantieren, in dem alle mit Respekt behandelt werden“, betont Geschäftsführer Frank Bröckers. Die jüngsten Skandale berühren die Kaiserslauterner natürlich, aber man weiß zum Glück, dass man in den eigenen Betrieben von Anfang an vorgesorgt und an ausreichende Sicherheitsmaßnahmen gedacht hat. Vor allem ist man von Zwischenhändlern unabhängig, deren Arbeitsweise sich oftmals als schwer kontrollierbar darstellt. Lediglich die Baumwolle wird hinzugekauft und in Lohn gesponnen; alle anderen Produktionsschritte laufen in den eigenen Betrieben. ‚People, Planet, Profit‘ lautet das offizielle Credo – und auf exakt diese Reihenfolge wird auch streng geachtet.

Nachhaltigkeit, aber auch Verlässlichkeit und Transparenz sind die Kerndisziplinen des bereits 1899 gegründeten Unternehmens. Darauf könnte man sich ausruhen, will sich aber weiterentwickeln. Da sich die Qualität der Anvil-Shirts mittlerweile herumgesprochen hat, setzt man nun im modischen Bereich auf eine Neupositionierung. Der Einzelhandel hatte in jüngster Zeit immer stärker nachgefragt und sein Interesse an jüngeren und modischen Styles aus dem Hause Anvil bekundet. Sowohl Kompetenz als auch Kapazitäten waren vorhanden – also ließ sich Anvil nicht lange bitten.

„Modisch und preislich stark sein“ „Wir setzen vor allem auf Fashion-Basics für jeden Tag”, betont Alexandra Jost, Marketing Coordinator ­Europe. „Bei den Materialien punkten wir mit modischen ­Melange-Geweben oder auch Terry Fleece und für Damen halten wir sogar zwei Schnitte (Fitted und Semi-Fitted) bereit.” Egal, ob unifarbene Hoodies, T-Shirts mit tiefem V-Ausschnitt oder feminine Variationen in knalligem Pink – vor allem der Facheinzelhandel soll hier bedient werden, als dessen enger Partner sich Anvil sieht. „Wir wollen modisch und preislich stark sein und dem motivierten Händler eine runde Auswahl bieten”, so Alexandra Jost. Denn nicht selten wird nach einem kompetenten Verkaufsgespräch noch schnell das passende Basic zum Anzug gesucht, das der Kunde gern „mal eben so” mitnimmt. Für passendes PoS-Material in Form von Postern, Bannern, Aufstellern etc. und digitale Unterstützung für Beschilderung und Werbung ist ebenfalls gesorgt. Ob’s funktioniert? Bei Anvil ist man sich da ziemlich sicher. Schließlich hat man hier nicht ins Blaue hinein designt, sondern ist hautnah am Markt und somit am Verbraucher geblieben. Zur optimalen Nachkaufsteuerung hält Anvil ein NOS-Lager mit über fünf Millionen Teilen, die auch per EDI abgerufen werden können. www.anvil.eu

Das Unternehmen Anvil gibt es bereits seit 1899 Anfänge liegen in der Herstellung von Arbeitsbekleidung Vertikal integrierte Produktion Europa-Headquarter in Deutschland Fertigungsstätten in North Carolina/USA, Honduras, Nicaragua und Bangladesch Produktionsstätten WRAPund Produkte Oeko-TexStandard-100-zertifiziert Anwendung von sozialen und ökologischen Verfahren, die ein dauerhaftes Engagement für Umwelt, Mensch und Gemeinschaft versprechen; siehe www.anvilcsr.com

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y n a m r e g f, r o ld e s düs

NOS-Warenlager von ca. 5 Mio. Teilen in Deutschland

www.gds-online.com


Brands & Brains — Kingpins Show

Interview Cheryll Mühlen

Kingpins Show

Blaues Blut Es begann im Jahr 2004 als Gegenentwurf zu den kommerziellen Trade-Shows. Von Beginn an versammelte die Kingpins Show jene Brands, deren Hingabe an Denim eine andere, vielleicht tiefere Art Geschäfte zu machen erfordert.

Der Strippenzieher des Events ist kein Unbekannter: Andrew Olah ist mit seiner Produktions- und Beratungsagentur Olah Inc. tief in der amerikanischen Denimszene verwurzelt. Kunden wie Levi’s, Guess, Ralph Lauren und Seven Jeans sprechen da eine klare Sprache.

Olahs Messekonzept jenseits von oberflächlichem Händeschütteln feiert dieses Jahr das zehnte Jubiläum und findet unterdessen in Hongkong, New York und Los Angeles statt. Doch damit ist der Textilunternehmer noch nicht am Ende seiner Mission angekommen. Seine neueste Destination heißt: Amsterdam.

die Amsterdamer Kingpins Show zu unserem Flagschiff ausbauen.

Herr Olah, Sie nähern sich dem zehnjährigen Jubiläum ihrer Kingpins Show. Beschreiben Sie bitte die Entwicklung der Messe. Fun, funny and always getting to be more fun and ­funnier. Wir haben Kingpins nicht als kommerzielle Organisation gestartet, sondern als Spaßevent für Jeansliebhaber – was rückblickend eine komische Idee war. Aber bis heute suchen wir mit der Kingpins Show nach neuen Wegen, um alte Konventionen der Mode aufzubrechen.

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Sie sind immer noch sehr exklusiv in der Auswahl Ihrer Aussteller. Und auch bei den Besuchern gilt die Invitation-only-Regel. Nach welchen Kriterien wählen Sie aus? Unsere Grundidee baut auf der vertikalen Struktur unserer Aussteller auf. Sie verkaufen ihre Accessoires und Textilien nicht nur, sie produzieren sie auch. Denim-­ Lieferanten ohne eigene Weberei haben wir beispielsweise in der Vergangenheit abgelehnt. Aber auch uns ist klar, dass wir hin und wieder Kompromisse eingehen müssen. Daher haben wir nun einige wenige Aussteller, die nicht alle eigene Produktionsstätten besitzen. In diesen Fällen schauen wir uns die Lieferkette sehr genau an und verlangen erst recht ein exzellentes Produkt. Unser vorrangiges Ziel ist, dass unsere Show die besten ‚Kingpins‘ – also Hauptakteure – der Industrie versammelt.

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Erster Veranstaltungsort in diesem Jahr ist New York am 21. und 22. Januar, im März folgt Hongkong – und im Mai ist dann erstmals Amsterdam dran. Warum? Wir sehen Amsterdam als die europäische DenimHauptstadt. Viele Brands sind dort ansässig. Die ‚House of Denim Foundation‘ in Amsterdam hat gerade die erste Jeansschule eröffnet. Die Stadt beweist einfach eine besondere Wertschätzung für unsere Branche. Wir wollen

Haben Sie daher Los Angeles als Veranstaltungsort zugunsten von Amsterdam aufgegeben? Wir haben entschieden, der Kingpins Show in Los Angeles erst einmal eine Pause zu gönnen. Das bedeutet: Es wird keine Januar-Show in L.A. geben. Im Juli allerdings wird auch diese Messe dann wieder stattfinden – und zwar neu aufgelegt. Ihr Claim lautet ‚Kingpins with Love’. Die Botschaft dahinter? Wenn sich jemand bei uns anmeldet, behandeln wir ihn wie einen Gast. Wir machen da keine große Sache draus. Zu Hause würden wir ihn auf unsere Couch setzen, das Radio aufdrehen und ihm ein Sandwich in die Hand drücken. Ähnlich halten wir es bei Kingpins. Für uns gehört das zum normalen Umgang: Wir kümmern uns persönlich um die Leute, behandeln sie so, wie sie es verdient haben. Wie beurteilen Sie die Entwicklung in der Denimbranche? In den vergangenen Jahren hat sich sehr viel getan. In den meisten Webereien rauchen die Managerköpfe. Die Kunden wollen ständig neue Ware. Auf der anderen Seite verlangt die Zukunft, dass wir vieles hinterfragen: Warum verwenden nicht alle nachhaltige Baumwolle für ihre Jeans? Warum werden immer noch Jeans verkauft, die nicht den Qualitätsansprüchen der Kunden gerecht werden? Was können

wir tun, um ein besseres Produkt zu garantieren? Eine große Aufgabe wird sein, neue Fasergemische mit neuen Eigenschaften zu kreieren. Sie heben sich mit Ihrem Konzept für Kingpins bewusst von anderen Messen ab. Ist es hart, mit den Großen mitzuhalten? Wie kommt ein Zwerg unter Riesen zurecht? Indem er zwischen ihren Beinen hindurchläuft. Anders gesagt: Wir akzeptieren, dass wir klein sind. Mehr noch: Wir sehen darin unsere Bestimmung. Wir mögen es, klein zu sein, und denken, dass anderen dieser Ansatz ebenfalls gefällt. Die kleinsten Restaurants machen ja nicht das schlechteste Essen, oder? Neben der familiären Atmosphäre – was macht Kingpins zu einem besonderen Messeformat? Unsere Vision macht den Unterschied. Wir sind Leute aus der Jeansindustrie, die Denim lieben, die fast fünf Dekaden in diesem Business arbeiten, in deren Adern also Indigo fließt. Gibt es Pläne für die Zukunft? Wir möchten die bestehenden Kingpins Shows stetig verbessern, damit unsere Kunden und Aussteller Amsterdam lieben, L.A. genauso – und New York erst recht. Und Hongkong soll weiter der Geheimtipp auf dem asiatischen Markt sein. Das ist unser Traum. Vielen Dank für das Gespräch. www.kingpinsshow.com


Brands & Brains — QS by s.Oliver, Rottendorf

Brands & Brains — QS by s.Oliver, Rottendorf

Interview Gerlind Hector

Guido Johnen, Division Head QS by s.Oliver male Michael Petersen, Division Head QS by s.Oliver female

GJ: Wir beschreiben unsere Zielgruppe mit Attributen wie individuell, autonom, neugierig, experimentierfreudig, trendbewusst. Natürlich ist für eine konsequente Kollektionsentwicklung eine ungefähre Zielgruppendefinition nach Alter ein Aspekt. Wichtiger sind uns jedoch psychografische Merkmale wie Einstellungen, Vorlieben und Verhaltensweisen.

Q S b y s . O l i ve r

Leben im Hier und Jetzt

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sich mit ihrem jungen, urbanen Style besonders eng am Zeitgeist ­orientiert. Eine völlig neue Zukunftsstrategie macht aktuell neugierig. Guido ­Johnen und Michael Petersen stehen dazu Rede und Antwort.

‚Alte Muster aufbrechen, im Hier und Jetzt leben und unabhängig sein‘, so lautet das offizielle Motto des Denim-Labels QS by s.Oliver – und der Slogan passt nicht nur zur Kollektion und der angepeilten Zielgruppe, sondern zur Strategie des gesamten Unternehmens der s.Oliver Group. Seit Bernd Freier im Jahr 1969 seine erste Herrenboutique in Würzburg eröffnete, sind ein paar Jahre ins Land gezogen und aus dem ursprünglichen ‚Sir Oliver‘ wurde ein international agierender Konzern. Statt Mondlandung wie seinerzeit sind heute vor allem exakte Punktlandungen gefragt, gerade angesichts des Überangebots und Konkurrenzdrucks in der Modebranche. In Rottendorf versucht man deshalb, dem Zeitgeist stets eine Nasenlänge voraus zu sein. QS bleibt neugierig – will nicht ankommen, sondern unterwegs sein. Bei zwölf Kollektionen, die allesamt cool, hochwertig und bezahlbar bleiben sollen, muss ohnehin jederzeit vieles neu überdacht und vor allem aktualisiert werden. Das gilt für die Positionierung der Marke, aber auch für die Kreationen im Detail. Dass man bei den Outdoor-Jacken für Herbst/ Winter 2014 lieber auf Fake Fur und Vintage-Leder statt auf Polarfuchs setzt, ist ganz klar der Tatsache geschuldet, dass der Konsument inzwischen verstärkt nachfragt, woher die Ware kommt und welche Materialien verwendet wurden. Im vergangenen Sommer wurde die ‚Vier Welten‘-Strategie präsentiert, deren Ideen man bis 2016 in die Tat umsetzen will. Der Plan: Es soll in Zukunft eine strenge Trennung zwischen den vier Labels der s.Oliver Group geben. Was das für QS bedeutet? Guido Johnen, Division Head QS by s.Oliver male, und Michael Petersen, Division Head QS by s.Oliver female, beantworten noch offene Fragen.

Mitte letzten Jahres haben Sie Expansionspläne verkündet. Michael Petersen: Ja, die Expansionspläne, die in der ‚Strategie 2016‘ verankert sind, betreffen alle Marken der s.Oliver Gruppe. Es handelt sich dabei um ein evolutionäres Projekt, an welchem wir momentan mit Hochdruck arbeiten, um uns noch stärker aufzustellen. Welche Rolle spielt dabei QS by s.Oliver? Müssen unterschiedliche Marktanforderungen bedacht werden, gerade wenn es um Kunden im Ausland geht? Guido Johnen: Selbstverständlich. Aber tatsächlich nähert sich da vieles an. Besonders interessant ist nach wie vor Benelux. Wir hatten zum Beispiel ein extrem positives Feedback von der Messe in Amsterdam. Nach wie vor ordern die ausländischen Märkte etwas modischer, wobei Deutschland derzeit massiv aufholt. Genau wie in unseren Kernmärkten, darunter Österreich, Slowenien und Tschechien, sind wir auch in Deutschland sehr stark unterwegs. Wo wird der modische Fokus in Zukunft bei QS liegen? GJ: Wir zeigen in Zukunft einen klaren Denim-Fokus mit ausgebauter spitzerer Denim-Aussage in der Kollektion sowie ein vergrößertes NOOS für den Basic-Bereich. Generell konzentrieren wir uns auf eine größere und spitzere Formenauswahl im Sortiment. Bereits jetzt verzeichnen wir enorme Erfolge mit Skinny-Jeans.

Brand History 1994: Gründung der Marke QS by s.Oliver als Unisex-Label 2004: Launch QS STYLE Male, ­Relaunch QS STYLE Female 2005: Umbenennung von QS STYLE in QS by s.Oliver female/male Eröffnung der ersten eigenständigen QS by ­s.Oliver Monolabel-Stores in Graz, Österreich, sowie in Köln und Oberhausen 2010: QS by s.Oliver launcht in Kooperation mit ­Universal Music/Bravado die ­Kollektion ‚Music Legends‘ sowie die Linie ‚s.Oliver ON STAGE‘

Wird es eigene QS-by-s.Oliver-Stores geben? MP: Eigene Stores sind als Baustein für die Bildung eines Markenimages natürlich ein strategisches Ziel. Zudem wollen wir mit unseren Partnern im Wholesale und Franchise zukünftig mit Blick auf die Außenwirkung auf der Fläche gemeinsame Wege gehen. Ist ein individueller Web-Auftritt geplant? MP: Im Moment sind s.Oliver und die damit verbundenen Brands online eine extrem starke Plattform für uns. Ein eigener Auftritt ist geplant, wird aber behutsam aufgebaut. Online ist ein starker, zukunftsträchtiger Kanal und wächst sehr schnell. Wir können uns hier markenweltgerecht in Szene setzen und somit unsere Markenbekanntheit steigern. Hiervon profitieren all unsere Vertriebskanäle, zumal die Digital Natives, die sich online komplett ausleben, unsere Kernzielgruppe sind. Wir schreiben jetzt das Jahr 2014. Sind die Ideen der ‚Vier Welten‘-Strategie bis 2016 umsetzbar? MP: Die ‚Vier Welten‘-Strategie ist wichtig für die Eigenständigkeit und die Erkennbarkeit der einzelnen Brands. Jede Marke der s.Oliver Gruppe hat ihren eigenen Markt und ihre eigene Zielgruppe. Diese zu erkennen und zu fokussieren ist wichtig. Die Strategie trägt den Zusatz ‚2016‘, und dies beinhaltet natürlich auch einen Umsetzungstermin. Allerdings ist sie Teil eines fortwährenden Prozesses, der nach 2016 sicher weiter verfeinert wird. Gibt es auch ganz persönliche Vorsätze fürs neue Jahr? MP: Ich freue mich darauf, gemeinsam mit meinen Mitarbeitern den Erfolg von QS by s.Oliver weiter auszubauen, und nehme mir vor, mir das Gefühl zu bewahren, dass man stets noch mehr erreichen und sich selbst verbessern kann. Das Wichtigste ist, immer genau zu wissen, was man will. GJ: Mehr mit meinem Crosstrail-Bike rumheizen! Vielen Dank für das Gespräch!

Wie sehen Sie die typische QS-Zielgruppe? Ist es nochzeitgemäß, nach Alter zu differenzieren?

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‚Now is the new tomorrow!‘ ist kein neuer James-Bond-Titel, sondern ein pfiffiger Claim aus dem fränkischen Rottendorf. Hier wird neben s.Oliver, Sir Oliver und Triangle auch an der Marke QS by s.Oliver gefeilt, die

Zwischen den einzelnen Labels soll eine stärkere Trennung vollzogen werden. Wie sieht das im Detail aus? MP: Wir befinden uns gerade mit QS by s.Oliver auf einem sehr spannenden Weg. Alle Bereiche werden im Rahmen der Strategie neu definiert und bis 2016 überarbeitet. Ab April 2014 wird es zudem einen eigenen Global Product Director für QS by s.Oliver geben. Für diese Aufgabe konnten wir Alex Ibakasap gewinnen.

www.soliver.com

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Retail & Architecture — Hostem, London

Retail & Architecture — Hostem, London

TExt Gerlind Hector

H o s t em , L o n d o n

James Feels Good

Brands A Diciannoveventitre, Alice Waese, Ann Demeulemeester, Boris Bidjan Saberi, Casey Casey, Casely Hayford, Casey Vidalenc, Chrome Hearts, Comme des Garçons Homme Plus, De Rien, Denis Colomb, Duffy Jewellery, Duffy X Hostem, Faustine Steinmetz, Fleet Ilya, Forme d’Expression, Geoffrey B. Small, Giudi, Globe-Trotter, Hector Magazine, James Plumb, Jan – Jan Van Essche, Junya Watanabe, Label Under Construction, M.A+, Mastermind Japan, Meadham Kirchhoff, O’Keeffe, Parabellum, Plus, P.R. Patterson, Rick Owens, Sebastian Tarek, Sebastian Magazine, S.N.S. Herning, Thamanyah, The Elder Statesman, The Soloist, Visvim, Yang Li, Yohji Yamamoto O’Keeffe, Parabellum, Plus, P.R. Patterson, Rick Owens, Sebastian Tarek, Sebastian Magazine, S.N.S. Herning, Thamanyah, The Elder Statesman, The Soloist, Visvim, Yang Li, Yohji Yamamoto

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„I feel good!”, so beginnt ein beliebter Song von US-Funk-Legende James Brown. James Brown, Englishman, blass, schlank und mit nachdenklichen blaugrauen Augen, wollte das auch. Der junge Londoner hatte es satt, frustriert durch die britische Hauptstadt zu traben und seine Lieblingslabels mal hier und mal da einzusammeln. „Mich haben so viele Kulturen und Erfahrungen geprägt”, betont er. „Ich wollte endlich mal einen Menswear-Laden finden, der all das in seinem Sortiment widerspiegelt.” Vor allem stand ihm der Sinn nach „happy tension between brands” – am besten in Gestalt

eines ungewöhnlichen Mix aus belgischen, japanischen und britischen Labels, alle unter einem Dach versammelt. „Ich wusste von Anfang an, welche Labels das Angebot bestimmen sollten und dass ich eine warme, einladende Atmosphäre kreieren wollte”, erinnert sich James Brown. Tatsächlich glaubt man sich hier, in der eher uncoolen Redchurch Street im tristen Nordosten Londons, wie auf einem geheimnisvollen Dachboden, auf dem man längst vergessene Schätze entdecken kann. Die Interior-Spezialisten James Russell und Hannah Plumb alias JamesPlumb haben sich alle Mühe gegeben, die

Einrichtung möglichst mühelos erscheinen zu lassen. Die unbehandelten Dielen am Boden, die alten Holzböcke, die als Tischbeine umfunktioniert wurden, die spartanische Beleuchtung – man hat das Gefühl, hier wird noch gewerkelt und womöglich liegt irgendwo ein vergessener Sack Zement herum. Besonders beeindruckend sind die unzähligen Bahnen aus handgefärbtem Sackleinen, die locker an die Wände und die Zimmerdecken geheftet wurden. Man könnte meinen, der Tapetenleim habe sich gelöst oder der Hausherr wolle mit diesem vermeintlichen Provisorium über unverputzte

Wände hinwegtäuschen. Farblich reicht die Palette von RaufaserBeige über Staubgrau bis hin zu Sägespäne-Braun. Ein paar verblichene Vorhänge in zartem Altrosa als farbliche Eyecatcher zu bezeichnen, wäre übertrieben. Wer jetzt an ‚Shabby Chic‘ denkt, liegt allerdings schief. Hier ist definitiv nichts schäbig: Antike Schränke wurden zwar auf Flohmärkten ausfindig gemacht, jedoch mit viel Fingerspitzengefühl in die Räumlichkeiten eingepasst. Der Verkaufstresen ist das Überbleibsel einer alten Kirchenbank. Das liebevoll arrangierte und perfekt inszenierte

Gesamtkonzept geht auf. Bester Beweis: 2011 wurde Hostem im Rahmen des ‚World Festival of Interiors‘ mit dem ‚Inside Award‘ in der Kategorie Retail ausgezeichnet. Neueste Attraktion der Location: der ‚Chalk Room‘ im Untergeschoss, der im Frühling 2013 eröffnet wurde. Ein weiterer Baustein, der das Hostem zum perfekten Magneten für Freunde zeitgenössischer Menswear macht. Denn die ein Stockwerk höher gezeigte Mode von Rick Owens, Ann Demeulemeester oder Jan – Jan Van Essche kann man sich hier noch mal mit besonders edlen Accessoires zusätzlich aufwerten. Zu

haben sind unter anderem die Maßschuhe von Sebastian Tarek oder die Taschen des im Jahr 1897 gegründeten Unternehmens Globe-Trotter, das in der jüngsten James-Bond-Verfilmung Daniel Craig einen maßgefertigten Koffer mit auf den Weg gab. Die Liebe zum Handwerk und die Betonung des Individuellen mit einer Prise Extravaganz – so könnte man die Botschaft des Hostem wohl zusammenfassen. Dass sich James Brown von seinen allem voran egoistischen Motiven leiten ließ und seinen speziellen Vorstellungen konsequent gefolgt ist, erweist sich im Nachgang als Segen für die

gesamte Londoner Männerwelt. „Das Feedback auf meinen ungewöhnlichen Brandmix war von Anfang an fantastisch”, schwärmt er. Und um noch mal auf den Smash-Hit seines USNamensvetters zurückzukommen – auch James findet: „I couldn’t be happier!”

Hostem 41-43 Redchurch Street London, E2 7DJ T +44 (0)20 77399733 www.hostem.co.uk

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London ist ein echtes Shopping-Paradies, keine Frage. Aber die vielen Wege, die James stets zurücklegen musste, um sich hier das besondere Hemd und dort die spezielle Hose zu besorgen, haben ihn irgendwann genervt. Weit weg vom trendy West End, im tristen Osten der Stadt, eröffnete der junge Brite vor dreieinhalb Jahren das Hostem, einen perfekt kuratierten Menswear-Store, der sich ­erfrischend vom Mainstream abhebt.

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Retail & Architecture — The Armoury, Hongkong

Retail & Architecture — The Armoury, Hongkong

TExt Gerlind Hector Fotos Carmen Chan

T h e A r m o u r y, H o n g Ko n g

Edler Zwirn am Perlfluss

Brands Abbeyhorn, Albert Thurston, Ambrosi, Ascot Chang, Carmina, Drake’s, D.S. & Durga, E. Marinella, Ettinger, Fox Umbrellas, Hanna Hats, John Smedley, Justo Gimeno, Liverano & Liverano, Nackymade, Orazio Luciano, Ortus, Ring Jacket, Saint Crispin’s, Sozzi Calze, Spigola

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Herrenausstatter vom Scheitel bis zur Sohle – das sind Mark Cho, Alan See und Ethan Newton. Die drei Inhaber des The Armoury haben im Jahr 2010 ihren Traum verwirklicht und einen der exklusivsten Stores rund um das Thema Menswear eröffnet. Allerdings geografisch weit entfernt von Londons Savile Row, dem klassischen Magneten für Fans von edlem Tweed und feinstem Zwirn. Stattdessen hat man sich mitten in Hongkong eingerichtet, der Sieben-Millionen-Stadt an der Südküste der Volksrepublik China. Das mag zunächst ungewöhnlich erscheinen, ist aber gar nicht so abwegig. Als frühere britische Kronkolonie gehört Hongkong in­ zwischen zwar zum chinesischen Hoheitsge-

biet. Allerdings bewahrte sich die Metropole einen hohen Grad an Autonomie – und vor allem die freie Marktwirtschaft. Selbstständige und kreative Geschäftsideen lassen sich hier wunderbar in die Tat umsetzen, zumal eine Vielzahl großer internationaler Unternehmen ansässig ist, deren hauptsächlich männliche Angestellte sich ja irgendwo einkleiden müssen. Als Standort wurde das ehrwürdige Pedder Building im Zentrum Hongkongs erwählt, das im Jahr 1924 erbaut wurde und zu den wenigen in der Stadt erhaltenen historischen Gebäuden im Stil des Neoklassizismus zählt. Mit seinen neun Geschossen und den hohen Arkaden im Erdgeschoss ist es in der Tat

beeindruckend und steht unterdessen unter Denkmalschutz. Ursprünglich als reines Bürogebäude geplant, befinden sich hier mitt­lerweile jede Menge Shopping-Tempel, von denen The Armoury wohl einer der exklusivsten ist. Auf zutiefst männliche Shopping-Bedürfnisse hat man sich hier eingestellt und auch bei der Inneneinrichtung auf klare Linien und Praktikabilität geachtet. Fern jeden Schnickschnacks wurde vor allem mit viel Holz gearbeitet, das sich am Boden, den Wänden und natürlich den Regalen und verglasten Vitrinen wiederfindet. Unzählige in die Decke und Wände eingelassene Strahler setzen die Ware ins perfekte Licht, damit das Sortiment

The Armoury 307 Pedder Building, 3rd Floor 12 Pedder Street, Central Hongkong T +852 28046991 thearmoury.com

sofort und direkt in Augenschein genommen werden kann. Ein paar wenige beigefarbene Läufer dämpfen die Schritte, mit dunkelbraunem Leder bezogene Sitzbänke laden zum kurzfristigen Verweilen ein. Gürtel, Schuhe, Krawatten, Sakkos – alles hängt fein säuberlich in Reih und Glied. In dem relativ kleinen Ladenlokal durchaus ein Muss, aber man merkt auch schnell, dass Akkuratesse hier als erstrebenswerte Disziplin angesehen wird. Einziges auffälliges Deko-Element ist ein überdimensionales Wandbild, das eine antike chinesische Männergesellschaft darstellt. Service, Handwerk, Seele – diese drei Attribute gehören unbedingt zur Vision der

drei jungen Herrenausstatter Mark, Alan und Ethan, die sich auch international mit einem aufwendigen Internet-Auftritt um Renommee bemühen. Außergewöhnlich ist das Markenportfolio, das von John Smedley über Drake’s bis hin zu Ambrosi, einem neapolitanischen Hosenspezialisten reicht. Salvatore Ambrosi kommt selbstverständlich auch zu persönlichen Fittings nach Hongkong geflogen. Überhaupt bedeuten klassische HandwerksTugenden viel im The Armoury. Mal zeigt vor Ort ein japanischer Schuhmacher sein Können, mal wird ein Herrenmaßschneider aus Florenz für ein paar Tage eingeladen, um die Hongkong-Klientel in die Geheimnisse des perfekt sitzenden italienischen Anzugs

einzuweihen. Was ein echter Gentleman bei seiner Garderobe unbedingt beachten sollte, wo die Finessen liegen und wie man das alles bis zur Perfektion treiben kann – darüber könnte sich das The-Armoury-Team stundenlang auslassen. Mit sehr viel Leidenschaft zwar, aber zum Glück völlig undogmatisch. Das zeigt schon die Antwort auf die ewige Frage nach dem idealen Krawattenknoten: „Es gibt keinen richtigen oder falschen Weg, eine Krawatte zu binden. Es kommt nur darauf an, wie du persönlich es am liebsten magst.”

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Dress for success? Für einen Briten, einen Chinesen und einen Australier ist edle Menswear sowohl Selbstverständlichkeit als auch Herzensangelegenheit. Mitten im Zentrum Hongkongs haben sie ‚The Armoury‘ eröffnet und können sich über mangelndes Interesse – auch international – nicht beklagen.

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Die ­WaldMeisterinnen

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Die berühmte Berliner Luft wird zwar in einem alten Gassenhauer besungen. Frisch und wohlriechend ist sie aber eher nicht. Wer zumindest modisch einmal tief durchatmen möchte, kann ja in den Wald gehen. Der steht mitten in Berlins Zentrum und bietet einige Überraschungen.

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Retail & Architecture — Wald, Berlin

W a l d , Be r l i n

‚Ich glaub’, ich steh im Wald‘ ist eine dämliche Redewendung, die eher selten den Kern trifft. In der Alten Schönhauser Straße Nr. 32c, unweit der Hackeschen Höfe, liegt man dagegen völlig richtig. Jede Menge Birkenstämme ragen mit ihrer markanten schwarz-weißen Borke in die Höhe und ein paar abgesägte Baumstämme liegen verstreut herum. Nur der Waldboden ist offensichtlich frisch gefegt … schwarzes Linoleum ist eben doch pflegeleichter – und als Kontrast zu den bodenlangen Stoffbahnen, die als Begrenzung für die Umkleidekabinen dienen, ein echter Hingucker. Mitten in Berlin, zwischen Cafés, Friseursalon und Straßenbahn-

gleisen, liegt natürlich kein idyllisches Wäldchen, sondern der Wald-Store. Das kleine Ladenlokal hat sich zu einem echten Hotspot entwickelt, wenn es um ausgefallene Mode geht, die eben nicht an jeder Ecke in den Regalen schmort. Hier gibt es ausnahmslos echte Schätzchen, die man sich sonst mühsam in x verschiedenen Läden zusammensuchen muss: Ob Hemdblusen-Kleider mit Blümchendessin von Dansk, knallrote AngoraPullis von Malaikaraiss oder exklusive Kalbsfell/KalbslederBlazer von Porter Grey – wer sich für nur ein Teil entscheiden will, hat’s schwer. Die Accessoires reichen von Mini-Rucksäcken von Fjällräven über goldene Konfetti-

Ohrringe von Maria Black bis hin zu Messing-Armreifen von Sukathi. Verantwortlich für das ausgefallene Sortiment sind Dana Roski und Joyce Binneboese, die eher zufällig zu ihrem Glück als LadenChefinnen gekommen sind. Denn beide hatten zunächst nur nebenbei im Wald gejobbt, als der damalige Inhaber sie kurzerhand fragte, ob sie nicht miteinsteigen wollten in das Geschäft rund um Einkauf, Marketing und edle Fummel. Die beiden Twens konnten es kaum fassen, zumal sie damals nicht sicher waren, der Herausforderung überhaupt gewachsen zu sein. „Im Grunde war mir aber immer klar, dass ich irgendwann selbstständig arbeiten möchte“,

erinnert sich Dana. „Und es sollte natürlich unbedingt etwas mit Design und schönen Dingen zu tun haben.“ Angefangen hat Dana, die als gelernte Einzelhandelskauffrau und Handelsfachwirtin durchaus prädestiniert für den Posten der Geschäftsführerin scheint, als Stylistin. Ihr erster richtiger Job, nachdem sie von Stuttgart nach Berlin gezogen war: das Styling für das Cover von Joy Denalanes Single ‚Niemand‘. Danach kamen immer häufiger Styling-Anfragen. Auch Joyce ist ein kleines Multitalent und arbeitet, wenn sie sich nicht gerade um den Wald-Store kümmert, als Model und Sängerin und ist neuerdings auch Inhaberin eines kleinen Mützen-

Dana Roski, Joyce Binneboese

Wald Alte Schönhauser StraSSe 32c 10119 Berlin T +49 (0)30 60051164 www.wald-berlin.de

labels. ‚Bin Ne Boese‘, so heißt die Marke – Ähnlichkeiten mit Joyce’ Nachnamen sind durchaus erwünscht. Trotz großer Konkurrenz, gerade in Berlin-Mitte, können sich die beiden Wald-Meisterinnen über mangelnde Frequenz nicht beklagen. Ihr Geheimnis? „Man muss Position beziehen!“, weiß Dana und fügt lachend hinzu: „Wir stehen für das, was wir hier verkaufen, und haben tatsächlich Lust, die Welt zu verändern.“ Kreativ ist tatsächlich nicht nur das Markenportfolio, sondern auch das Rundum-Paket, das die Wald-Fans geboten bekommen. Zweimal im Jahr erscheint die ‚Wald Fashion Issue‘ – ein selbst kreiertes Magazin, das allein

durch die Anzeigen der Labels finanziert wird, die im Wald zu haben sind. Einen Teil des öffentlichen Renommees haben Dana und Joyce der Berliner Nachwuchs-Designerin Malaika Raiss zu verdanken. Als sie im Sommer 2012 ihre After-Show-Party zur Berliner Fashion Week kurzerhand in den Wald-Store verlegte, wurde auch die internationale Fashion-Meute samt Presse auf den ausgefallenen Laden aufmerksam. Seitdem nimmt die ‚Wald-Pflege‘ noch mehr Raum im Leben der beiden jungen Retail-Expertinnen ein.

Brands Altewaisaome, American Retro, Carin Wester, Dansk, DSTM, Fjällräven, Henrik Vibskov, Issever Bahri, Jeffrey Campbell, Just Female, Karlotta Wilde, Malaikaraiss, Maria Black, Porter Grey, Sophie Hulme, Soulland, Sukathi

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Retail & Architecture — Wald, Berlin

TExt Gerlind Hector

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Retail & Architecture — Short cuts

Wir SCHAFFEN Räume für Ihre MARKE....

4.500 STORES & 8.000 Shops

≈ 1.1 MILLIONEN m² geplante Flächen

welten erschaffen retail design rollout planning project management dachmarken konzepte brand communications

Facelift in Düsseldorf

Tommy Hilfiger:

Schwedischer Futurismus in Paris

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Acne Studios:

Acne steht für ‚Ambition to Create Novel Expression‘. Kein Wunder, dass sich das Stockholmer Label auch in Sachen Retail-Design nicht lumpen lässt und in Zusammenarbeit mit den Landsmännern von ­Bozarthfornell Architects und dem Ladenbauunternehmen V ­ izona jetzt in Paris mächtig reingeklotzt hat. Der im September 2013 eröffnete Store auf dem Quai Voltaire ist nach dem Shop auf der Londoner Pelham Street der zweite im neuen, futuristischen Gewand. Bei der Inneneinrichtung kamen hauptsächlich Materialien wie rohes Aluminium, Glas und verchromtes Metall zum Einsatz, so dass auf den 95 Quadratmetern Ladenfläche nun ein extravaganter Industrie-Look dominiert. Licht- und Farbreflexionen auf gelochten Aluminium-­ Wänden sorgen für eine gleichermaßen puristische wie belebte Szenerie. Ein weiterer Eyecatcher ist die am Eingang platzierte Glasvitrine, die einen interessanten Kontrast zum rotbraunen Terrazzo-Boden bildet. /cm

Aus zwei mach eins: Knapp zwei Monate lang wurde der Tommy-­ Hilfiger-Flagship-Store auf der Düsseldorfer Schadowstraße umgebaut. Das Ziel: Durch die Zusammenlegung zweier benachbarter Gebäude sollte die Verkaufsfläche auf rund 2.000 Quadratmeter verdoppelt werden. Verantwortet wurde die Baumaßnahme von ­Schwitzke Project. Eine besondere Herausforderung bestand in statisch hochkomplexen Lastumlagerungen, erforderlich, um den nötigen Freiraum für die Gebäudeverbindung zu schaffen. Weitere Stichworte auf der To-do-Liste des Düsseldorfer Generalübernehmers und Projektsteuerers lauteten: konstruktiver Stahlbau, Stahlbeton- und Mauerwerksbau, Trockenbau, Malerarbeiten, Demontage und Neuinstallation der gesamten Haus- und Datentechnik sowie Neubau von Aufzugsanlagen. Das Resultat kann sich sehen lassen: Edles Fischgrät-Parkett, Walnussholzinventar, weiße Vertäfelungen und Vintage-Möbel spiegeln den traditionell-amerikanischen UpperClass-Charme der Tommy-Hilfiger-Welt wider. Das Tüpfelchen auf dem I: eine neue Natursteinfassade mit Schaufensteranlagen und Eingangstüren im Messing-Antik-Look. /cm

mit BLUT & Schweiss..... 252.000 Tassen KAFFEE & ≈ 2.500 kg SÜSSIGKEITEN

Shopfitting: Vizona AG www.vizona.com

Projektleitung und -durchführung: Schwitzke Project www.schwitzke-project.com

moysig | vilsendorfer straße 62 | 32051 herford | info@moysig.de | www.moysig.de 100


Retail & Architecture — Short cuts

Connecting Global Competence

Highclass-Chic in Antwerpen

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Karl Lagerfeld:

Im eleganten Schwarz-Weiß-Kontrast präsentiert sich seit Anfang November der neue Karl-Lagerfeld-Store auf Antwerpens Schuttershofstraat – eben typisch Karl. Nach Shop-Eröffnungen in Paris, Amsterdam, Peking, Shanghai, Berlin und München war für die Eigenmarke des exzentrischen Chanel-Chefdesigners nun auch die belgische Modehauptstadt an der Reihe. Das Store-Konzept sowie dessen Umsetzung auf 138 Quadratmetern verdankt König Karl dem Berliner Architekturbüro plajer & franz studio, wobei er selbst – so kennt man ihn – die Art-Direktion übernahm. Das Interieur basiert auf dem preisgekrönten Retail-Design des Lagerfeld-Stores in Paris SaintGermain. Werkstoffe und deren Oberflächenbeschaffenheit spielen hier wie dort eine entscheidende Rolle: So wird durch reflektierende Materialien in der Gegenüberstellung mit matten Oberflächen die Wahrnehmung der Perspektive beeinflusst, dezente optische Täuschungen inklusive. Zum kleinen Spiegelkabinett umfunktioniert wurden die Umkleidekabinen. Die Lösung hier: drei komplett verspiegelte Glaswände. /cm

in Köln

Kreatives Quartier

625 Quadratmeter auf zwei Etagen. Der neueste Store der US-RetailKette Urban Outfitters feierte Ende November vergangenen Jahres seine Eröffnung auf der Kölner Breite Straße. Bei der Gestaltung galt einmal mehr das Credo „Kreativität“, wie Creative Director Steve Briars verriet. Bevor es allerdings mit dem Einrichten losging, wurde zunächst die originale Architektur der drei zusammenhängenden Gebäude freigelegt. Dann erst wurde der typische Urban-OutfittersSpirit in individueller Handschrift inszeniert – unter anderem in Form von Wandmalereien des spanischen Künstlers Ricardo Cavolo und der Kölnerin Laura Kampf sowie unter Beteiligung anderer lokaler Künstler. Weitere Key-Elemente sind sichtbare Stahlträger, schwebende Treppen, industrielle Beleuchtung – und ein großes, bequemes Sofa. Im Erdgeschoss finden sich die Womenswear sowie Wohn- und Geschenkideen, im ersten Stock ist die Menswear beheimatet. Urban Outfitters führt nun insgesamt sechs Stores in Deutschland. Neben Köln haben die Amerikaner Hamburg, Berlin-Mitte, Berlin Kurfürstendamm, Frankfurt und Nürnberg zum Standort gewählt. /cm Design: Urban Outfitters Team

Design: plajer & franz studio & Karl Lagerfeld www.plajer-franz.de

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Urban Outfitters:

www.urbanoutfitters.de

Treffen Sie die globale SporT buSineSS-eliTe. 26. – 29. Januar 2014 auf der ISPO MunICH. Erleben Sie schon heute die Sporttrends von morgen. Auf der ISPO MUNICH, der weltweit einzigen Multisegmentmesse der Sportbranche – und ihrer wichtigsten Plattform mit 80.000 Besuchern aus über 100 Ländern. Schaffen Sie Synergien, knüpfen Sie internationale Kontakte und profitieren Sie gleichzeitig von einem ganzen Spektrum an Weiterbildungsmöglichkeiten in den unterschiedlichsten Marktsegmenten. Direkt auf der ISPO MUNICH und 365 Tage im Jahr auf ispo.com SportS. BuSineSS. ConneCted.


Retail & Architecture — Umdasch Shopfitting, Amstetten/Österreich

TExt Gerlind Hector

Um d a s c h , Am s t e t t e n

Materials

Space For People

Technology Marketing

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Zu den Big Playern in der europäischen Ladenbau-Szene gehört eindeutig Umdasch Shopfitting. Die Österreicher verfügen über ein enorm vielfältiges Leistungsspektrum, das international Maßstäbe setzt, und sind stets auf der Suche nach Perfektion und neuen Herausforderungen.

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Energy & Efficiency

Staging

Einen 360°-Aktionsradius verspricht ­Umdasch Shopfitting seinen Kunden. Das klingt zunächst mal sehr sportlich – aber man darf die Österreicher aus Amstetten gern beim Wort nehmen. Die Ladenbau-Spezialisten stehen mit einer rund 145-jährigen Firmengeschichte vor allem für traditionelle Werte, nennen als zentralen Bestandteil der Unternehmenspolitik aber auch soziale Verantwortung und Umweltschutz. „Wir verfolgen das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit: Ökonomie, Ökologie und Soziales“, heißt es auf der UnternehmensWebsite. Konkret bedeutet dies, dass die arbeitsrechtlichen Bestimmungen an den jeweiligen Standorten selbstverständlich eingehalten werden und konsequentes Verbesserungsmanagement permanent auf dem Stundenplan steht. Zusätzlich zeichnen sich die Amstettener durch soziales Engagement im Rahmen von regionalen Projekten in der Umgebung ihrer diversen Unternehmens­ standorte aus. Dazu zählen, neben Österreich, Deutschland und der Schweiz, Frankreich, Italien, Irland und Großbritannien. Auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten verfügt man seit 2007 über ein eigenes Büro. Globales Handeln und eine hohe Flexibilität, insbesondere was die Kundenwünsche angeht, sind für die erfolgreiche Umsetzung der Projekte natürlich eine Voraussetzung. Dafür bürgen auch Silvio Kirchmair, Vorstand Umdasch Shopfitting Group, und der Geschäftsführer Thomas Birnleitner. „Als führende, international tätige Ladenbau-Gruppe helfen wir unseren Kunden, sich im Wettbewerb zu differenzieren und erfolgreich zu sein“, betont Kirchmair. Bewerkstelligt wird dies durch ein fein gesponnenes Netzwerk von kundennahen eigenen Fertigungsstätten, das Umdasch zur Verfügung steht. Der Claim ‚Space for People‘ soll zudem die Tatsache in den Mittelpunkt rücken, dass es auch immer um die Menschen geht, die einen Store letzt-

endlich zum Ort der Begegnung machen. Neben Aufträgen aus den Bereichen Home & Entertainment sowie Food & Care erreichen Umdasch Shopfitting vor allem solche aus dem Segment Fashion & Style, wo man sich eine hohe Reputation erworben hat. So geht der Berliner Philipp-Plein-Store mit seinem komplizierten Marmor-Mosaik-Boden und dem edlen Interieur in Schwarz-Weiß aufs Konto der Österreicher, der puristisch mit Holz verkleidete Esprit-Laden in Rotterdam oder auch der farbenfrohe Tommy-HilfigerShop im schwedischen Stockholm. In über 30 Ländern wurden mittlerweile die unterschiedlichsten Projekte realisiert, und pro Jahr werden mehr als 1.000 Shop-in-ShopPlanungen durchgeführt. Auch MultichannelLösungen für den stationären Handel, die Offline- und Online-Shopping miteinander verbinden, gehören zum Leistungsspektrum von Umdasch Shopfitting. Das immense Fachwissen der UmdaschShopfitting-Mitarbeiter und die große internationale Erfahrung machen natürlich neugierig. Ein wenig in die Karten blicken lassen sich die Ladenbau-Spezialisten im Rahmen der ‚Umdasch Shop Academy‘. In den 60 bis 80 Seminaren und Fachveranstaltungen pro Jahr, die ein breites Themenspektrum rund um den Point of Sale abdecken, werden Handelsprofis fit gemacht. Und nicht nur das: Die Amstettener beweisen auf diese Weise, dass der versprochene 360°-Aktionsradius wirklich für alle Bereiche rund um das Thema Ladenbau gilt. www.umdasch-shopfitting.com

So fing es an : 1868: Stefan Hopferwieser, der Urgroßvater der heutigen Inhaber, gründet eine Zimmerei. 1937 – 1944: Die Enkelin Mathilde Hopferwieser heiratet den Ingenieur Josef Umdasch, der 1939 in die Geschäftsführung eintritt. 1956: Spezialisierung auf die Geschäftsbereiche Laden-Einrichtungen (Shopfitting) und Schalungstechnik (Doka). 1983: Durch den Aufkauf des Ladenbaubereichs der Firma Bremshey zählt Umdasch nun auch in Deutschland zu den führenden Ladeneinrichtern. 1991: Eine neue Unternehmensstruktur wird etabliert: Unter dem Dach der Umdasch AG agieren die Doka Gruppe und die Umdasch Shop-Concept Gruppe als eigenständige Unternehmensbereiche. 2001: Zukauf der Assmann Ladenbau Leibnitz, dem österreichischen Marktführer im FoodLadenbau. 2012/13: Aus Umdasch Shop-Concept wird Umdasch Shopfitting und in der Folge aus den Kernmarken Umdasch Shopfitting bzw. Assmann Ladenbau die gemeinsame Marke Umdasch Shopfitting.

Architecture & Design

Your Global Flagship Event. EuroShop The World’s Leading Retail Trade Fair

16 – 20 February 2014 Düsseldorf · Germany · www.euroshop.de

The hot topics of EuroShop 2014 www.euroshop.de/visitors-world


Retail & Architecture – Visplay, Weil am Rhein

TExt Gerlind Hector

V i s p l ay, W e i l a m R h e i n

Invisible Design

Kreatives Design will prominent in Szene gesetzt werden – da wird jeder fleißige Gestalter sofort zustimmen. Die Ladenbau-Experten von Visplay streben allerdings genau das Gegenteil an: Sie feilen an ihren hochfunktionellen Produkten und wollen danach am liebsten unsichtbar sein. Was haben das Münchner Kaufhaus Ludwig Beck, Selfridges in London, aber auch das Modehaus Stackmann in Buxtehude gemeinsam? Natürlich die modularen Einrichtungssysteme von Visplay, die – zugegeben – zunächst nicht weiter auffallen, wenn man die jeweiligen Räumlichkeiten betritt. Das ist natürlich volle Absicht, denn erfolgreiche Store-Branding-Konzepte funktionieren auf subtile Art und nur dann, wenn Architekten, Visual Merchandiser und die Kunden aus dem Retail eng zusammenarbeiten. Schlussendlich geht es ja darum, dass der Endkonsument sich wohlfühlt, gern wiederkommt und womöglich das eine oder andere angebotene Produkt mit nach Hause nimmt. Wie man sein Sortiment besonders gut in Szene setzt – egal, ob dezent, effektvoll oder extraprominent –, wissen die Experten von Visplay ganz genau. Regelmäßig werden neue Einrichtungssysteme entwickelt, die sich sowohl an aktuellen technischen Neuerungen als auch an Kundenwünschen orientieren.

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Hochgradig spezialisierte Kompetenz

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Ganz neu ist zum Beispiel ‚Xero Twin P/L‘, ein vertikales Tragsystem mit integrierter Stromschiene. ‚Push‘ nennt sich ein EinpunktSystem, das mit einer besonders raffinierten Technik überzeugt. Mit Sicherheit werden auch vier neue Systemvarianten zur schnellen frontseitigen Befestigung für Interesse sorgen, die unter dem Namen ‚Visplay Onto‘ präsentiert werden. Das Unternehmen mit Sitz in Weil am Rhein gehört gemeinsam mit den beiden ebenfalls selbstständigen Firmen Ansorg und Vizona zu den international gefragtesten LadenbauSpezialisten. Das Besondere: Jedes der drei Unternehmen verfügt über individuelle,

hochgradig spezialisierte Kompetenzen, von denen der Kunde schlussendlich dankbar profitiert. Die Ansorg GmbH mit Sitz in Mülheim an der Ruhr ist der perfekte Ansprechpartner für Lichtlösungen, während Vizona, das ebenfalls in Weil am Rhein angesiedelt ist, als Experte für kundenspezifische Services beim Einrichten von Einzelhandels- und Dienstleistungsunternehmen gilt. Gemeinsam setzen die drei schon seit Jahren anspruchsvolle Projekte um – von Hongkong bis New York City, von Oslo bis Melbourne.

Die Spezialität des Hauses Dass Visplay, Vizona und Ansorg allesamt zur Familie der Vitrashop Gruppe gehören, erleichtert natürlich vieles. Die gemeinsame Erfolgsgeschichte mit Vitra, dem Spezialisten für edle Designermöbel, ist ein bedeutsamer Teil von Visplays Firmenhistorie und reicht zurück bis ins Jahr 1934. Erst im Jahr 1984 wurde Vitra offiziell in zwei Geschäftsbereiche separiert: Vitrashop entwickelte sich zum Experten für den Ladenbau und Vitra konzentriert sich auf Möbel für Office und Home. Mittlerweile setzen Architekten und Visual Merchandiser weltweit Visplay-Systeme ein, um ihre Vorstellungen von perfektem Retail-Design mit höchster Funktionalität zu realisieren. An der Spezialität des Hauses, dem ‚Invisible Design‘, wird regelmäßig gefeilt, ohne den hohen Anspruch an Qualität und Anwendersicherheit zu vernachlässigen. Kaum erwarten können die Ladenbau-Experten die Düsseldorfer EuroShop vom 16. bis 20. Februar 2014, die führende Fachmesse zum Thema Retail. Dort wird Visplay wie immer mit einem repräsentativen Messestand in direkter Nachbarschaft zu Ansorg und Vizona vertreten sein.

So fing es an : 1934: Erste Geschäftsverbindungen zwischen dem Unternehmen in Weil am Rhein und dem Ladenbaugeschäft von Willi Fehlbaum in Birsfelden bei Basel. 1950: Fehlbaum verlegt seine Produktionsstätten nach Weil am Rhein und nennt seine Firma Vitra. 1953: Vitra erhält die Vertriebslizenzen für Entwürfe von Charles und Ray Eames sowie George Nelson. 1967: Der ‚Panton Chair‘ des dänischen Architekten und Designers Verner Panton geht bei Vitra in Serie. Es folgen Entwürfe von Antonio ­Citterio, Jasper Morrison, Konstantin Grcic u. a. 1984: Aufteilung des Unternehmens in zwei selbstständige Geschäftsbereiche: Ladenbau (Vitrashop) und Möbel (Vitra). 2001: Aus Vitrashop mit Visplay (modulare Einrichtungssysteme) und Vizona (kundenspezifische Lösungen und Projekte) werden zwei eigenständige Ladenbauspezialisten. 2005: Die Ansorg GmbH (Lichtlösungen) wird Teil der Vitrashop Gruppe.

www.visplay.com www.ansorg.com www.vizona.com


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On The Road


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Fotografie JOOHN / John BrÜmstrup @ syndikat-artists.de Styling Aude Jamier audejamier.com Haare & Make-up Astrid Glänzel @ liganord.com Models Olga Datsenko @ modelwerk.de Miha @ pmamodels.com Assistenz Nico Herzog

Hemd Opening Ceremony x Adidas Rollkragenpullover Tiger of Sweden Hose Sopopular Schuhe Adidas

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(s)he likes‌

Rollkragenpullover & Wollhose: Gucci Mantel: Ralph Lauren

Dufflecoat, Hose & Boots: Burberry Prorsum Pullover & Weste: Calvin Klein Collection Jerseysweater: Campus


Wendemantel: Y-3 Kaschmirhoodie: COS Wollhose: Hien Le Wollm端tze: H&M Chelsea Boots: Attilio Giusti Leombruni

Kaschmirmantel: Herno Bluse & Hose: Hien Le Jerseysweater: Campus Rock: H&M Schuhe: Brunello Cucinelli


Fotografie: Muriel Liebmann Styling: Annika Schmeding Haare & Make-up: Carolin Jarchow Model: Julia L. @ Model Management

Anzug: Brioni Latz mit Hemdkragen: COS Schuhe: Brunello Cucinelli Sonnenbrille: Mykita

Blazer, Wollpullover & Hose: Prada Tasche: COS


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Fotografie Heiko Laschitzki Assistenz Sandra Damjanovic Models Melanie & Lena @ Lichtkind Agency

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Gegendarstellung

zum Artikel über Freeman T. Porter in J’N’C 4/2013, Seite 57

Fälschlicherweise wurde in unserer Ausgabe 4/2013 behauptet, Rainer Geilfus sei der Sohn des US-­ Soldaten Freeman T. Porter. Tatsächlich jedoch war es Erwin O. Licher, der 1992 die Fashionmarke Freeman T. Porter gründete und nach seinem leiblichen Vater benannte.

HALL4

18 - 20 FEB. 2014 - PARIS-NORD VILLEPINTE INTERNATIONAL TRIMMINGS AND COMPONENTS SHOW FOR FASHION AND DESIGN modamont.com


Zehn Fragen an — andreas Murkudis

Zehn Fragen an:

Andreas Murkudis Einzelhändler aus Berlin, der gerade zehnJähriges Jubiläum Beging

5. Gibt es etwas, das du gerne verändern würdest in Berlin? Ich wünsche mir ein aussagekräftiges Konzept für die MercedesBenz Fashion Week. Außerdem halte ich eine Nachwuchsförderung für notwendig, die diese Bezeichnung tatsächlich verdient.

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1. Was trägst du gerade? Jetzt gerade? Nichts Spannendes. Meine interessanten Kleidungsstücke hängen immer im Schrank und warten darauf, dass ich sie mal anziehe. Aber das passiert selten.

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2. Wann hast du den Entschluss gefasst, in der Modebranche zu arbeiten? Ich wollte nie in der Modebranche arbeiten. Was mir vorschwebte, war der Aufbau einer spannenden Produktwelt, in der die Mode zwar eine große Rolle spielt, aber nicht die einzige.

3. Gab es einen Moment, in dem du daran dachtest, in eine andere Branche zu wechseln? Ich bin Kunsthistoriker und beschäftige mich auch heute noch trotz des Ladens täglich mit Kunst. Ich bin mit meiner Situation zufrieden. 4. Ist Berlin für ein Store-Konzept wie deines der einzig mögliche deutsche Standort? Für mich und meine Arbeit ist Berlin definitiv der einzig mögliche Standort in Deutschland.

6. Du hast gerade zehnjähriges Jubiläum gefeiert. Wie hat sich die Modebranche in Deutschland nach deinem Empfinden in den letzten zehn Jahren entwickelt? Es gibt vor allem in Berlin sehr viele interessante Konzepte, mit denen man etwas Neues wagen möchte. Davon abgesehen hat sich unsere Modebranche eher negativ entwickelt. Das bestätigen mir viele Vertreter der internationalen Marken, die Deutschland regelmäßig bereisen. Entweder will der hiesige Händler etablierte Marken oder er will preiswerte Produkte, also in beiden Fällen Waren, die sich mehr oder minder von alleine verkaufen. Händler, die ein hochwertiges und beratungsintensives

Produkt in ihr Sortiment aufnehmen und ihren Kunden vermitteln, bilden eher die Ausnahme. 7. Was hat dich bei den Feierlichkeiten am meisten gefreut? Es ist schön zu wissen, dass die Personen, die mich die letzten zehn Jahre begleitet haben, immer noch an meiner Seite stehen. 8. Zum Zehnjährigen hast du mit zehn Designern eine eigene Edition herausgegeben. Gibt es eine Designer-Persönlichkeit, die du besonders schätzt? Ich bewundere die vielen unabhängigen Designerlabels, die sich gegen die Macht der großen Konzerne stemmen und versuchen, sich zu etablieren. 9. Was wünschst du dir für die nächsten zehn Jahre? Ich wünsche mir für die Zukunft den gleichen Spaß an der Arbeit, den ich heute habe. 10. Was ist dein Lieblingsplatz auf der Welt? Momentan ist es die griechische Insel Lipsi. Sie ist der ideale Rückzugsort für meine Familie und mich.


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